Das Wissenschaftsmagazin Forschung Frankfurt ]

 Büroimmobilien nur noch ein Anlageprodukt? ISSN 0175-0992

[  Herausforderung Integration

]

 Holbein-Madonna im Wandel 5 Euro

[

]  Deutsche Sprache – schwere Sprache? 2009

[ 

Frankfurt und Rhein-Main Innovationen »made in Frankfurt«

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27. Jahrgang

[ 2009 3.

00 UNI 2009_03 0 U1-U4.indd 1 24.11.2009 14:52:12 Uhr Raum…

Campus Westend Campus Bockenheim Campus Riedberg beeindruckend traditionell modern

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00 UNI 2009_03 0 U1-U4.indd 2 24.11.2009 14:52:14 Uhr Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

»Nur ein stabiles Gemeinwesen mit ausgeglichenen, fairen sozialen Strukturen, mit engagierten und leistungsbereiten Bürgern und gut in- tegrierten Zuwanderern unterschiedlicher Herkunft; mit Bildungs- und Lebenschancen für alle kann das Fundament für den erwünschten Stadt- organismus darstellen,« so formulierte es Albert Speer in der Studie »Frankfurt für alle«, die Handlungsperspektiven für die »Internationale Bürgerstadt Frankfurt am Main« mit dem Zielhorizont bis 2030 auf- zeigt. Ohne die Mitwirkung der Goethe-Universität und ihrer klugen und kreativen Köpfe werden diese Ziele nicht zu erreichen sein, darin waren Albert Speer, und ich uns in der lebhaften Diskussion einig, die Sie in dieser Ausgabe von »Forschung Frank- furt« nachlesen können.

Frankfurt: der prosperierende Finanzplatz Europas, die Stadt der Kreativen, die Stiftungs- hauptstadt der Republik, Drehscheibe und logistischer Mittelpunkt Kontinentaleuropas, Global City für Arbeitsnomaden, Stadt mit Wohnqualität für Familien, Stadt mit der größ- ten Bildungsbaustelle der Republik. Die Suche nach Alleinstellungsmerkmalen und Spit- zenpositionen in Rankings treiben Frankfurt um. Wie Humangeografen, Stadtsoziologen und Kunsthistoriker der Goethe-Universität Trends und Entwicklungspotenziale dieser Stadt aus ihrer Perspektive beurteilen, können Sie in diesem Themenheft von »Forschung Frankfurt« verfolgen. Die Wissenschaftler beteiligen sich mit ihren Analysen an den öffent- lichen Diskussionen – seien es die Kontroversen um Rekonstruktion oder Neubau des Altstadtkerns, die Ursachen für die Schwankungen des Immobilienbüromarkts oder die Hochhausdebatte am Beispiel des Opernturms.

Frankfurt ist auch die bundesdeutsche Großstadt mit dem höchsten Anteil an Bürgern mit Migrationshintergrund (38 Prozent der Bevölkerung). Auch dieses Thema greift »For- schung Frankfurt« auf; wir stellen Ihnen einige Projekte zur wissenschaftlich fundierten Sprachförderung und zur Besserung der berufl ichen und gesellschaftlichen Integration von Migranten vor. Diese Beispiele zeigen, wie sich wissenschaftliche Forschung und ihre konkrete Umsetzung produktiv ergänzen können – was übrigens nicht möglich wäre ohne die Frankfurter Stiftungen und die hessische LOEWE-Initiative, die derartige Projekte großzügig unterstützen.

Der Ausbau der Wissensregion RheinMain ist ein wichtiges Thema für die kommenden Jahre, und die Goethe-Universität arbeitet daran aktiv mit. Über eines von vielen Beispie- len für die Stärkung der Region berichten wir in dieser Ausgabe unseres Forschungsmaga- zins: Unter Koordination der Goethe-Universität entsteht das »Helmholtz International Center for FAIR« (HIC for FAIR). FAIR ist das neu entstehende Beschleunigerzentrum bei Darmstadt. Es zählt zu den größten europäischen Vorhaben in der physikalischen Grund- lagenforschung in der kommenden Dekade. HIC for FAIR wurde im Juli 2008 im Rahmen der hessischen LOEWE-Initiative gegründet. Es verbindet das experimentelle und theore- tische Know-how verschiedener universitärer Partner der Region und beteiligt sich inten- siv am Aufbau von »FAIR«.

Mit der Forschung zu Frankfurter Themen geben unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Stadt und ihren Bürgern zurück, was sie ihnen »schuldig« sind; denn ohne Engagement der Frankfurter Bürger hätte diese Universität 1914 nicht gegründet werden können; ohne ihr Engagement hätte diese Universität nicht ihre Vielzahl an Stif- tungsprofessuren. Ich wünsche ich Ihnen eine spannende und erkenntnisreiche Lektüre!

Werner Müller-Esterl Präsident der Goethe-Universität

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Kompakt Zum 150. Todestag Bettine von Arnims 4 Habermas will sein Archiv 18 der Goethe-Universität überlassen Bettine von Arnim begann ihre Laufbahn als 5 Marbach bekommt Schriftstellerin erst im Alter von 50 Jahren. Suhrkamp-Schätze Streng genommen ist sie eine Autorin ohne Werk, denn zeitlebens verfasste sie nur Briefe 6 Finanzmärkte und Wohlstand und Gespräche. Bis heute bekannt ist ihr Erstlingswerk»Goethe’s Briefwechsel mit 9 Zur Kreativpolitik in Frankfurt einem Kinde«, mit dem sie schlag- 11 Kunstvermittlung zur Integration artig berühmt wurde. Doch die arbeitsloser Jugendlicher Schriftstellerin war auch eine engagierte Fürstenerzieherin, die 12 Die StadtteilBotschafter: offen und verdeckt auf soziale Revolution des Ehrenamts Missstände hinwieshinwies..

14 Ein Stadtviertel im Wandel: Quar- tiersforschung im Ostend

16 Frankfurts offene Drogenszene und die Hierarchie der Geschlechter Büroimmobilien nur noch Forschung intensiv ein Anlageprodukt? Wolfgang Bunzel 18 Literaturgeschichte 30 Zum 150. Todestag der Schrift- stellerin Bettine von Arnim Der europäische Finanzplatz Frankfurt ist stärker als ande- Marianne Rodenstein 23 Stadtsoziologie re deutsche Städte von den Ein soziologischer Blick Schwankungen des Büromarkts auf die Frankfurter Altstadt betroffen. Die Liberalisierung der Finanzmärkte führte in der Susanne Heeg 30 Immobilienmärkte Mainmetropole zu erheblichen Sabine Dörry Leerstände und Bauboom – Ausschlägen nach oben wie Büroimmobilien nur noch ein unten. Wie sind die Wechselwir- Anlageprodukt? kungen zwischen den beiden Märkten zu erklären? Welchen Christa Larsen 37 Arbeitsmarktforschung Einfl uss hat die Deregulierung Vera Neisen Herausforderung Integration: Zur im Finanzsektor auf diese Pro- Alfons Schmid Eingliederung von Migranten in zesse? Und wie reagieren die Arbeitsmarkt und Bildungssystem Stadtplaner und die Kommunal- politiker? Ingo Fröhlich 44 Teilchenphysik Marcus Bleicher Den Geheimnissen der Materie Gabriela Meyer auf der Spur Herausforderung Integration Forschung aktuell 37 Maren Illinger 50 Frankfurt als Impulsgeber Migranten sind in Deutschland weniger in den Arbeitsmarkt integriert als zweier zeitgenössischer Romane ihre deutschen Mitbürger; daran haben auch Integrationsprogramme we- nig geändert. Warum schlagen diese so häufi g fehl? Es mangelt politischen Christian Freigang 53 Frankfurt im Spätmittelalter und Entscheidern und kommunalen Verwaltungen an aufbereiteten Hinter- die Dominanz der Patrizier grundinformationen. Der »Hessische Monitor Arbeitsmarkt und Migration«, entwickelt vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur, sorgt mit seinem Markus Dauss 57 Hochhausdebatten im Frankfurt webbasierten nutzerorientierten Informationssystem für mehr Transparenz. der Gegenwart

Jochen Sander 61 Holbein-Madonna im Wandel

Dieter Nittel 65 Geschichtenerzählen Elke Wehrs im »Café Sagenhaft« Daniela Bruckmann

Ulrich Labonté 68 Deutsche Sprache, Petra Schulz et al. schwere Sprache?

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Die Holbein-Madonna Forschung aktuell im Wandel 61 Das Industrielabor zwischen 74 Michael C. Schneider Kreativität und Ökonomie Mit der Madonna des Jacob Meyer zum Hasen von Hans Krebs: Bewegung tut gut 77 Winifred Banzer et al. Holbein dem Jüngeren beher- bergt das Frankfurter Städel Museum seit einigen Jahren Perspektiven eines der Hauptwerke der deutschen Renaissancemalerei. Was Frankfurt ist 80 Matthias Arning Kunsthistoriker haben dieses Im Gespräch: »Die Universität – 83 Olaf Kaltenborn Gemälde im Laufe der Jahrzehn- ein Nukleus für eine Belebung Werner Müller-Esterl te immer wieder unter die Lupe des kulturellen und intellektuellen Klaus Ring genommen. Mithilfe der Infra- Lebens der Region« Albert Speer rot-Refl ektografi e ließ sich jetzt zeigen, dass der Künstler das Eine Campus-Universität mit 87 Ferdinand Heide Gemälde – auf Wunsch seines urbanen Qualitäten Auftraggebers – mehrfach ver- ändert hat. Stadt im neoliberalen 91 Andrej Holm, Susanne Zeitalter Heeg, Robert Pütz

Intelligente Vermarktung geistigen 94 Manuela Innovationen Eigentums der Goethe-Universität Bremshey-Wilhelm »made in Frankfurt« 94 Stifter und Sponsoren

Die Goethe-Universität ist eine Mobilitätsforschung: Stiftungs- 98 Anne Hardy der wichtigsten Ideenschmie- professor Martin Lanzendorf sucht den der Rhein-Main-Region. nachhaltige Konzepte Viele Erfi ndungen, die ihren Forschungslabors entspringen, sind inzwischen über das uni- Stadt- und Universitätsgeschichte versitätseigene Innovations- Vorschau auf den zweiten Band der 100 Notker Hammerstein, dienstleistungsunternehmen Frankfurter Universitätsgeschichte Anne Hardy zum Patent angemeldet wor- den. Einige Erfi ndungen ha- Am Wasser mussten arme 103 Anna Leiss ben zu Unternehmensgründun- Frankfurter Bürger nie sparen gen geführt, was den direkten Wissenstransfer aus der Hoch- Ein Erinnern an Ehrenbürger und 106 Gunter Stemmler schule in die Wirtschaft und Ehrensenatoren die Gesellschaft fördert. Gute Bücher

Stiftungsprofessur Jörn Kobes/Jan-Otmar Hesse (Hrsg.) 110 Andreas Fahrmeir für Mobilitätsforschung Frankfurter Wissenschaftler 98 1933 bis 1945 Mobilität und Lo- Ines Stickler gistik sind wichtige »mainhattanmanhattan – lebens- 111 Horst Nising Wirtschaftsfaktoren geschichten aus zwei metropolen« für Frankfurt und das Rhein-Main- Jörg Lesczenski 100 Prozent Messer. 112 Andreas Weidemann Gebiet. Doch wie Die Rückkehr des Familienunter- lässt sich das ge- nehmens 1898 bis heute steigerte Mobili- Clemens Reichel Vom Verbund zum täts bedürfnis einer Konzern. Die Metallgesellschaft AG wachsenden Welt- 1945 – 1975 bevölkerung mit der Forderung Angela Pfotenhauer, Elmar Lixenfeld, 114 Ulrike Jaspers nach einer scho- Uwe Dettmar Frankfurt am Main nenden Nutzung von Energie und Ressourcen vereinbaren? Mobilitätsforscher Martin Das nächste Mal Lanzendorf sucht darauf Antworten, indem er die sozialwissenschaftlichen Aspekte von Mobilität und Verkehr untersucht. Vorschau, Impressum, Bildnachweis 116

Forschung Frankfurt 2 / 2009 3

00 UNI S001-017 2009_03.indd 3 24.11.2009 15:59:01 Uhr KompaktKompakt Habermas will sein Archiv der Goethe-Universität überlassen Aus Verbundenheit mit Frankfurt als intellektuellem Zentrum

Rundgang durch die Werkschau zu Habermas’ 80. Geburtstag in der Deut- schen Nationalbibliothek: Prof. Dr. Jürgen Habermas und der Kurator der Ausstel- lung Wolfgang Schopf. Die Schriften des Philosophen Jürgen Habermas sind in mehr 50 Sprachen übersetzt, nur eine Auswahl ist auf dem Ausstellungstrans- parent. zu sehen.

Appell, das materialisierte Gedächt- nis des Suhrkamp Verlags vor einer Entwurzelung zu bewahren, stimmte die Suhrkamp-Verlegerin nicht um.

Das neue Archivzentrum auf dem Campus Westend Räumlich wird die Goethe-Uni- versität optimale Unterbringungs- möglichkeiten für Habermas’ Vorlass bieten. Das neue Archivzentrum, Das umfangreiche Archiv eines der erfreut: »Ich bin froh und stolz, das unter anderem die Nachlässe bedeutendsten deutschen Philo- dass mit der in Aussicht gestellten der Autoren der Frankfurter Schule sophen der Gegenwart wird lang- Übernahme dieses Archivs die gro- sowie das Schopenhauer-Archiv fristig in Frankfurt seinen Platz ße Tradition der Frankfurter Schule beherbergen wird, wird in Zukunft finden: Prof. Dr. Jürgen Habermas auch auf diesem Weg in Stadt und neue Akzente setzen: Es bildet ei- hatte diese Absicht im September Universität weiter wirken wird.« nen wichtigen Baustein im Neubau- in einem Schreiben an den Präsi- Das Habermas-Archiv, das der komplex der Universitätsbibliothek, denten der Goethe-Universität zum Philosoph der Universität als »Vor- der bis 2014 auf dem Campus Ausdruck gebracht. lass« übergeben will und das sich Westend entstehen wird. »Damit Damit hat Habermas erneut – wie zu großen Teilen in seinem Starn- bieten wir beste Voraussetzungen bereits aus Anlass seines 80. Ge- berger Haus befi ndet, umfasst unter für eine lebendige interdisziplinäre burtstags im Juni – seine Verbunden- anderem, soweit erhalten, Entwürfe Forschung und Lehre. Mit Ausstel- heit mit Frankfurt als intellektuellem und Manuskripte seiner mehr als lungen, Lesungen und Symposien Zentrum und mit »seiner« Univer- 50 Bücher sowie Korrespondenzen werden wir auch die Frankfurter sität bekräftigt. Bis zu seiner Eme- mit Wissenschaftlern. Die Archiva- Bürger ansprechen. Dass hier gro- ritierung 1994 lehrte und forschte lien sollen in den kommenden Jah- ßes Interesse besteht, zeigen die er in Frankfurt und war richtungs- ren systematisch wissenschaftlich enorme Resonanz auf die Werk- weisend für eine Generation von aufbereitet werden. »Dies wird in schau zum 80. Geburtstag von Ha- jungen Geisteswissenschaftlern, die enger Kooperation mit der Erschlie- bermas in der Nationalbibliothek«, heute die Inhalte des Exzellenzclus- ßung der bereits übernommenen betont Müller-Esterl. ters »Die Herausbildung normativer Gelehrtennachlässe der Frankfurter Dieser Werkschau hatte Haber- Ordnungen« mitprägen. Schule geschehen«, verweist Mül- mas anlässlich seines 80. Geburts- Gemeinsam mit den Nachlässen ler-Esterl auf die umfassenden wis- tags zugestimmt – selbst wenn die anderer großer Autoren der Frank- senschaftlichen Erfahrungen, die ambivalenten Gefühle überwogen, furter Schule – wie Horkheimer, die Universitätsbibliothek Johann als das Wissenschaftslektorat des Adorno, Mitscherlich, Marcuse Christian Senckenberg in den letz- Suhrkamp Verlags und Wolfgang und Löwenthal – die sich in der ten Jahrzehnten auf diesem Feld Schopf, Leiter des Archivs der Peter Frankfurter Universitätsbibliothek erworben hat. Suhrkamp Stiftung an der Goethe- und im Institut für Sozialforschung Das Suhrkamp-Archiv, das eben- Universität, mit dieser Idee an Ha- befi nden, kann ein einzigartiges falls umfängliche Bestände zu den bermas herantraten. Und so wurde Ensemble Frankfurter Wissen- Hauptautoren der Frankfurter Schu- die Eröffnung dieser Ausstellung im schaftsgeschichte und bundesre- le besitzt, hätte die bereits in der Juni zu einem öffentlichen Ereignis publikanischer Geistesgeschichte Main-Metropole vorhandenen Be- besonderer Art: »Was wenig verhei- heranwachsen. Uni-Präsident stände und den Habermas-Vorlass ßungsvoll nach Manuskripten und Prof. Werner Müller-Esterl zeigte zur Frankfurter Schule hervorragend Büchern in Vitrinen klingt, erweist sich über Habermas’ Angebot hoch ergänzt. Doch auch Habermas’ sich in diesem Fall als auratische

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Installation«, lobte Michael Hierhol- auf, sie zeigt seine Präsenz im aka- Habermas. Eine Werkschau« nähert zer in der FAZ und ergänzte: »Man demischen Leben der Goethe-Uni- sich Habermas‘ eigenem Beitrag könnte meinen, einem Festakt bei- versität und illustriert die weltweite zum intellektuellen Diskurs seiner zuwohnen. Aber es ist nichts ande- Rezeption seiner Schriften. Anläss- Zeit an. Der Titel der Ausstellung res als die Eröffnung einer Ausstel- lich der Ausstellung in Oldenburg ist übrigens Habermas’ Artikel in lung. … Das intellektuelle Frankfurt haben nun Kurator Wolfgang Schopf der »Zeit« (4. September 2003) gibt sich die Ehre.« und Prof. Dr. Stefan Müller-Doohm, zu Adornos 100. Geburtstag ent- Die Ausstellung, die mehrere Leiter der »Forschungsstelle Intel- nommen. Darin erinnert sich der Wochen in der Deutschen National- lektuellensoziologie« an der Carl von Philosoph, wie er 1956 aus Bonn bibliothek zu sehen war und seit Ossietzky-Universität Oldenburg, an das Frankfurter Institut für Sozi- Mitte November bis 13. Februar eine Broschüre zur Ausstellung und alforschung kam: »Intellektuell bin in der Landesbibliothek Olden- ihrer Frankfurter Eröffnung heraus- ich 1956 in ein neues Universum burg gastiert, zeichnet Habermas‘ gegeben, unter anderem mit den eingetreten. Trotz vertrauter Themen schriftstellerische Produktion nach, Reden von Alexander Kluge und und Fragestellungen war es zugleich sie wirft Schlaglichter auf sein Jürgen Habermas sowie der Olden- fremd und faszinierend. Verglichen intellektuelles Engagement als Re- burger Laudatio von Oskar Negt. mit dem Bonner Universitätsmilieu, präsentant der »vierten Gewalt«, sie Die Ausstellung »›... die Lava war hier die Lava des Gedankens im greift Schwerpunkte seiner Arbeit des Gedankens im Fluss. Jürgen Fluss.« Ulrike Jaspers 

Marbach bekommt Suhrkamp-Schätze Verlag schlägt das Angebot von Universität, Stadt und Land Hessen aus

Am 29. Oktober 2009 endete der Die Universität hätte gern die hatten eine massive öffentliche und Verhandlungskrimi um die Suhr- einmalige Chance genutzt, ein sol- publizistische Unterstützung und kamp-Archive – ein bitterer Tag ches Archiv in einem lebendigen gute Argumente für die jeweils eige- für die Goethe-Universität und die Lehr- und Forschungskontext weiter ne Position.« Stadt Frankfurt: Die Verlegerin zu erschließen und in dem geplan- Das beurteilten auch die Me- Ulla Unseld-Berkéwicz entschied, ten Archivzentrum auf dem Campus dien ähnlich. So schrieb Felicitas die Suhrkamp-Archive dem Deut- Westend anzusiedeln. Jetzt setzen von Lovenberg im Feuilleton der schen Literaturarchiv Marbach zu die Geisteswissenschaftler der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: überlassen. Goe the-Universität auf eine Koope- »Frankfurt hat sich also, nicht nur, Universitätspräsident Prof. Werner ration mit Marbach, über die sich was die im Rahmen der 2002 über- Müller-Esterl hatte sich – unterstützt bereits am Tag vor dem öffentlichen lassenen Dauerleihgabe angeht, von Stadt und Land Hessen – vehe- Bekanntwerden der Entscheidung nichts vorzuwerfen, im Gegenteil. ment für den Verbleib der Archive Müller-Esterl und Prof. Dr. Ulrich Es wäre fatal, wenn die engagier- in Frankfurt eingesetzt und dem Raulff, Direktor der Marbacher Ar- te Zusammenarbeit, mit der sich Verlag ein ausgezeichnetes Angebot chivs, verständigt hatten. Universität, Stadt und Land um für die Übernahme der Archive ge- Darin wird der Goethe-Universi- die Archive bemüht haben, mit der macht. tät eine privilegierte Position in der Enttäuschung über den ungüns- Müller-Esterl zeigte sich betrübt, Erforschung der Archive von Suhr- tigen Ausgang dieser Bewerbung, dass Frankfurt ein großer intellek- kamp und Insel gesichert, eine von wieder auf Eis gelegt würde (…) tueller und kultureller Schatz den beiden Partnern zu gründende Während in Marbach künftig nicht verloren gehe: »Ein Archiv von Arbeitsgemeinschaft Suhrkamp- allein der Forschungs-, sondern diesem Rang sollte nicht aus dem Insel-Archive wird wissenschaftli- auch der Schauwert der Sammlung geistigen und kulturhistorischen che Kolloquien, Ausstellungen und zur Geltung gebracht werden wird, Entstehungszusammenhang heraus- Publikationen koordinieren, um hätte Frankfurt sie eher in einem le- gerissen werden.« Literaturwissen- Inhalte der Archive zu erforschen bendigen interdisziplinären Zusam- schaftlich und geistesgeschichtlich und zu vermitteln. Darüber hinaus menhang gestellt, die das Gegenteil sind die Archive der Verlage Suhr- beabsichtigen Goethe-Universität einer Musealisierung der Bestände kamp und Insel von höchstem Wert. und das Deutsche Literaturarchiv, bezweckt hätte.« Sie umfassen Manuskripte und ein Stipendienprogramm einzu- Bereits seit 2002 betreut die Korrespondenzen unter anderem richten, das Forschern aus aller Universität Teile der Suhrkamp Ar- von Theodor W. Adorno, Ingeborg Welt die Arbeit mit den Quellen der chive. In einem bis heute (Stand Bachmann, Ernst Bloch, Bert Suhrkamp- und Insel-Archive er- Mitte November) ungekündigten Brecht, Paul Celan, Hans Magnus möglichen soll. »Beide Institutionen Vertrag zwischen der Suhrkamp- Enzensberger, Max Frisch, Durs haben mit Leidenschaft um dieses Stiftung und der Goethe-Universi- Grünbein, Peter Handke, Hermann bedeutende Erbe der deutschen tät, unterzeichnet von Ulla Unseld- Hesse, Marie Luise Kaschnitz, Ni- und europäischen Geistes- und Berkéwicz und dem damaligen klas Luhmann, Arno Schmidt und Literaturgeschichte gekämpft«, er- Universitätspräsidenten Rudolf Martin Walser. klärte Müller-Esterl. »Beide Seiten Steinberg, hatten beide Seiten eine

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Auch das Uwe Johnson-Archiv muss umziehen Neben diesen bereits aufge- arbeiteten Archivbeständen ver- liert die Universität auch das Autorenarchiv Uwe Johnson, das Dr. Eberhard Fahlke seit Mitte der 1980er Jahre wissenschaftlich be- treut. Es enthält die Manuskripte, Briefe und die über 5000 Bände der Bibliothek des bekannten deutschen Nachkriegsautors. Siegfried Unseld übergab sie als Depositum an die Universität Frankfurt. Neben der Betreuung der Werke von Uwe Johnson fun- giert das Archiv auch als Heraus- geber einer Schriftenreihe, die im Suhrkamp Verlag erscheint. Im März 1985 schrieb die »Zeit«: »Rühmenswert, wie unbürokra- tisch rasch sich die Universität »Nach zwanzig Jahren einvernehmentlichen wie streitbaren Gesprächs hast du auch erfahren von dem Frankfurt mit dem von Johnson Ungeschriebenen, und so bist du für mich der menschliche Ort geworden, ohne den das einsamste Leben im Testament als Erbe benannten unmöglich ist: die Gewissheit, dass es in der Welt einen Menschen gibt, bei dem man als zusammen- Suhrkamp Verlag und mit des- gefasste Kenntnis sicher aufgehoben ist. Obwohl ich keiner Probe bedurft hätte, hast du mir geholfen sen Leiter, Siegfried Unseld, als im schlimmsten Unglück meines Lebens, als ich mich jenseits von Hilfe glaubte«, schrieb Uwe Johnson Nachlassverwalter geeinigt hat: 1979 an Siegfried Unseld. Das Bild zeigt Johnson bei der Poetik-Vorlesung im Mai 1979, im legendären Hörsaal VI der Goethe-Universität. Schon ein Jahr nach dem Tode des Dichters kann der vollständige langfristige Kooperation bei der Er- musste zu einem Archiv, das diesen Nachlass, wie er am Todestag auf schließung der Archivalien verein- Namen verdiente, geformt werden. der Sheppey-Insel vorgefunden bart. Schon bald begann die konser- »Unter Leitung unseres Archivars wurde, der Goethe-Universität als vatorische Sicherung und die Wolfgang Schopf und unserer Wis- Leihgabe zur Sichtung und wissen- Erschließung der Dokumente von senschaftler wurde großartige Arbeit schaftlichen Auswertung übergeben den 1940er bis zu den 1960er Jah- geleistet«, betonte der Uni-Präsi- werden.« Das Marbacher Archiv ren. Denn das in Umzugskisten an- dent. Aus dem Archiv seien inzwi- und die dort anreisenden Wissen- gelieferte ungeordnete Material aus schen hochrangige Publikationen, schaftler dürften ihre Freude an den Kellern der Lindenstraße befand eine ganze Reihe von viel beachte- den erstklassig ausgewerteten Ar- sich zum Teil in einem konservato- ten Ausstellungen und wissenschaft- chivalien aus Frankfurt haben! risch bedenklichen Zustand und lichen Projekten hervorgegangen. Ulrike Jaspers 

Finanzmärkte und Wohlstand Ein Einblick in den Wertschöpfungsanteil der Finanzindustrie in Deutschland

Wie wird sich der Finanzstandort Unternehmens zur Wertschöpfung 200 weitere Bankhäuser prä sent Deutschland in Zukunft entwickeln des Finanzsektors in Deutschland sind. Die Kernaufgabe dieser Finanz- und welchen Mehrwert leistet der einschätzen. Dazu wurde ein neues institute besteht in der Finanzinter- Finanzsektor für die wirtschaft- Instrument entwickelt, der CFS- mediation, also in der Vermittlung liche Entwicklung Deutschlands? Finanzplatzindex. zwischen Kreditangebot und -nach- Eine intensive akademische Ausei- Defi niert man einen Finanzplatz frage, sowie dem Kapitalmarktge- nandersetzung mit den Strukturen als Standort, an dem sich eine ho he schäft. Das Kreditgeschäft hat in von Finanzplätzen findet erst seit Anzahl von Finanzakteuren konzent- Deutschland traditionell eine hohe wenigen Jahren statt. riert, so gibt es aus der geografi - Bedeutung, da Unternehmen Inves- Ein Team des Center for Finan - schen Sicht zwei Finanzzentren für titionsvorhaben vornehmlich über cial Studies unter Leitung von Deutschland: Frankfurt und Mün- Bankkredite fi nanzieren. Daneben Prof. Jan Pieter Krahnen erhebt seit chen. In Frankfurt exisiert eine gibt es einen wachsenden Markt für drei Jahren, wie Führungskräften deutliche Agglomeration von Kredit- Anleihen und Beteiligungstitel. Die der Finanzindustrie ihre Geschäfts- instituten, wobei neben den sicht- Agglomeration an wenigen Standor- situation und den Beitrag ihres baren Banktürmen zusätzlich über ten ist auch Ausdruck des Wettbe-

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werbs um hochqualifi ziertes Perso- Neue Heimat der nal und um Wissensvorsprünge. Wirtschaftswissen- Frankfurt zeichnet ebenfalls ein schaft ler: House of hoher Anteil von Auslands- und Spe- Finance (HoF) und Recht- und Wirt- zialbanken aus, die durch den inter- schaftsgebäude nationalen Fokus und eine globale (RuW) am Cam- Vernetzung wertvolle Dienstleis- pus Westend, in tungen für institutionelle wie auch Blick nähe zur private Kunden erbringen können. Bundesbank (Hin- Der Bankensektor ist zudem einer tergrund). der größten Arbeitgeber der Stadt, Der CFS-Finanz- da über 75 000 Menschen direkt platzindex ist bei Kreditinstituten Beschäftigung skaliert von 50 bis fi nden. Neben dem für die Region 150, ein Indexwert bedeutsamen Arbeitseinkommen von 100 entspricht und dem daraus resultierenden Kon- einer insgesamt sum leisten die Kreditinstitute nicht neutralen Ein- zuletzt durch ihr Steueraufkommen schätzung der Geschäftssituation. einen erheblichen Beitrag für die Hier lassen sich Stadtgesellschaft. die Auswirkungen In München ist der Finanzsektor der Finanzkrise im direkten Vergleich der Anzahl deutlich ablesen.

de Unternehmen, die von der Ge- *Indexwert CFS – Finanzplatzindex schäftstätigkeit des Finanzsektors 130 126,2 125,0 indirekt profi tieren, selbst jedoch 123,2 125 nicht der Finanzindustrie angehören 120 113,2 116,9 wie große Immobiliengesellschaf- 115 ten, Flughäfen, Hotels oder Auto- 110 109,0 108,7 vermietungen. 105 103,6 Die Bedeutung des Finanzsek- 100 99,0 98,8 tors ergibt sich aus den erbrachten 95 97,3 98,4 Leistungen für das Bruttoinlands- 90 85 produkt der Volkswirtschaft. In An- 80 lehnung an die volkswirtschaftliche * Ein Indexwert von 100 signalisiert eine neutrale Stimmungslage. Gesamtrechnung identifi ziert das 75 Konstruktionsbedingt liegt der maximale Indexwert bei 150 und der minimale 70 Indexwert bei 50. CFS für den Wertschöpfungsanteil des Finanzsektors drei Komponen- Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 Q1 Q2 Q3 Q4 ten: die Investitionen in Produkt- 2006 2007 2008 2009 und Prozessinovationen, die Erträge Quartal aus der Geschäftstätigkeit und das Einkommen der Mitarbeiter. Neben der Firmensitze zwar kleiner als vier Bereichen zu. Das Segment den Erträgen werden auch Um- in Frankfurt, dafür ist aber die »Finanzinstitute und Börse«, zu Versiche rungswirtschaft mit insge- dem Kreditinstitute und Versiche- samt 70 Versicherungen deutlich rungen, Investmentbanken, Börsen- Das Center for Financial Studies präsenter. Hinzu kommt, dass der betreiber, Asset Manager, Private Bereich Private Equity in München Equity sowie Wertpapierhändler as 1967 gegründete Center for Financial Studies einen Schwerpunkt bildet: 40 Pri- gehören, bildet in unterschiedli- D(bis 1996 bekannt als Institut für Kapitalmarkt- vate-Equity-Gesellschaften sind in chen Zusammensetzungen den forschung) ist ein an die Goethe-Universität ange- der bayerischen Metropole nieder- Kern eines jeden Finanzplatzes. gliedertes und vollständig unabhängig fi nanziertes gelassen. Um diesen Nukleus sind die Fi- Forschungsinstitut. Das Center for Finan cial Studies nanzdienstleister angeordnet, die (CFS) betreibt international ausgerichtete For- Der Finanzsektor: Von Banken sekundäre Dienstleistungen für die schung über Finanzmärkte, Finanzintermediäre bis zu IT-Dienstleistern erste Gruppe erbringen. Dies sind und Mo netäre Ökonomie, bietet hochgradige Qua- Neben der räumlichen Betrach- unter anderem Unternehmensbe- lifi zierung und Weiterbildung an und fördert den tungsweise ermöglicht eine funk- ratungen, Wirtschaftsprüfer und Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Seit 2008 tionale Ordnung eine präzisere IT-Dienstleister. Ein weiteres dem hat das Center for Financial Studies seinen Sitz im Einsicht in die Struktur des Finanz- Finanzplatz zugehörendes Segment neu errichteten House of Finance am Campus platzes, bei der die Unternehmen sind die fi nanzplatzbezogenen Insti- Westend und trägt dort zu einem Ausbau der nach ihren Aufgaben und Leistun- tutionen: Zu dieser Gruppe gehören Schwerpunktbildung bei, unter anderem durch gen kategorisiert werden. Das Team die Organe der Aufsicht und Regu- verstärkte Kooperation mit den Fachgruppen am Center for Financial Studies lierung, Interessensverbände und Finance, Macroeconomics und Financial Law. ordnet hierfür Unternehmen und akademische Institutionen. Zuletzt Institutionen des Finanzsektors gibt es noch fi nanzplatzprofi tieren-

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satzentwicklungen abgefragt, denn einerseits das vergangene Quartal In der Befragung spiegeln sich dadurch enthält der resultierende (»Performance«) und andererseits auch die Jahre der Finanz- und Indexwert zusätzlich zu der Wert- das nächste Quartal (»Prognose«) Wirtschaftskrise wider, indem au- schöpfungs- eine Volumenkompo- erfasst. Hierzu fragt das CFS nach ßergewöhnliche Änderungen der nente der Geschäftstätigkeit. den vier Kennzahlen (Ertrag, Um- Erwartungen und Einschätzungen satz, Investitionen und Beschäfti- in der Finanzindustrie eingetre- 500 Führungskräfte gung), und die Ergebnisse werden ten sind: Zu Beginn der Zeitreihe in jedem Quartal befragt so über die Zeit gemittelt, dass sich im Januar 2007 befand sich der Der CFS-Finanzplatzindex wird in einem Gesamtindikator sowohl Finanzsektor noch in einer Phase quartalsweise aus einem Panel von die Performance als auch die Prog- ausgeprägten Optimismus. Mehr- 500 Führungskräften der Finanz- nose über zwei Quartale verdichten. heitlich wurde die Ertragslage als industrie in ganz Deutschland für Da das Panel gegenwärtig die bei- hervorragend eingeschätzt, und die vier Segmente erhoben. Die den wichtigsten Standorte Frankfurt auch neue Mitarbeiter wurden in Befragten berichten dazu jeweils und München abbildet, ermöglicht großem Umfang eingestellt. Von über die Geschäftssituation ihres dies neben der Betrachtung zeitli- einem entsprechend hohen Niveau Unternehmens oder ihrer Institu- cher Veränderungen und funktiona- ausgehend sank der Indexwert par- tion, indem sie ihre Einschätzung ler Unterschiede zusätzlich einen allel zur Entwicklung der Finanzkri- (positiv, neutral, negativ) abgeben. Vergleich zwischen Regionen. Der se teilweise sprunghaft. Besonders Das Panel spiegelt in seiner Struk- Indexwert bewegt sich dabei kons- stark war der Einbruch im Oktober tur in etwa die Verteilung der Wert- truktionsbedingt in einem Intervall 2008, dem Monat nach der Schlie- schöpfung auf die vier Segmente von 50 bis 150, wobei ein Wert von ßung der Lehman Bank in den USA wider, wobei entsprechend der Grö- 100 ein insgesamt neutrales Urteil, und für viele Befragte der Einstieg ße für einige wenige Unternehmen also eine ausgeglichene Menge von in die systemische Krise. mehrere Ansprechpartner befragt positiven und negativen Einschät- werden. Bei der Erhebung wird zungen, signalisiert. Wendepunkt nach der Krise Erst im Frühjahr 2009 erreichte Anzeige der Indexverlauf einen Wendepunkt. Seitdem hat der Indexwert wieder zugelegt; aber erst mit der letzten Befragung vom Oktober 2009 hat sich diese Entwicklung verstärkt, so dass erstmals seit fünf Quartalen wieder ein insgesamt positives Ni- veau erreicht wurde. Schon jetzt gibt die Betrachtung Eine neue Zeit beginnt. der Teilindizes – etwa getrennt nach Banken und Versicherungen – Ein- Wir sind bereit. blick in die teilweise recht unter- schiedlichen Branchenkonjunkturen Wir stehen am Anfang einer neuen Zeit. Einer Zeit, und deren gegenseitige Abhängig- die Erfahrung und Entschlossenheit erfordert. keiten. Ebenso werden differenzier- Gerade im Umbruch sind wir unseren Kunden und te Entwicklungen bei Investitionen, unserem Anspruch an Leistung verpfl ichtet. Wir haben die Stärke, weiter erfolgreich und nachhaltig bei Einstellungen und bei Gewinnen zu wachsen. deutlich. Die Evaluation der Befra- gung gibt Anlass zu der Hoffung, www.deutsche-bank.de dass der CFS-Finanzplatzindex mit einer weiter zunehmenden Laufzeit auch eine Prognosequalität entfal- ten wird, die eines Tages einen Ein- satz als vorauslaufender Konjunktu- rindikator für die Finanzbranche in Deutschland erlaubt. Weitergehende Informationen: www.fi nanzplatzindex.de 

Der Autor

Christian Knoll, 31, ist wissenschaftlicher Mi tarbeiter des Center for Financial Studies (CFS) und Doktorand der Ab- teilung Finanzen. Er ist zuständig für die konzeptionelle Umsetzung des CFS- Finanzplatzindex und hat zuvor an der Goethe-Universität mit dem Abschluss Diplom-Kaufmann studiert. [email protected]

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00 UNI S001-017 2009_03.indd 8 24.11.2009 15:59:06 Uhr Kompakt Lokale Konturen eines globalen Leitbildes Zur Kreativpolitik in Frankfurt

Die Kreativwirtschaft macht Karriere. Mittlerweile ist es kaum mehr vorstellbar, dass über regio- nale Wirtschaftsentwicklung ge- sprochen wird, ohne dabei die Bedeutung von Kreativität, Kunst und Kultur zu beschwören. Zu die- sem Eindruck gelangt man jeden- falls, wenn man die Webseiten städtischer Wirtschaftsförderun- gen, Wirtschaftsmeldungen in den Massenmedien, Rapports der EU, OECD und UNESCO oder Partei- programme liest. Galten Kunst und Kultur früher bestenfalls als Hintergrundbe- dingungen einer erfolgreichen Regionalpolitik, so sind sie heute zu deren Kristallisationspunkt ge- worden. Diese Verschiebung kann beispielhaft anhand der schnell wachsenden Zahl von Studien zur Kultur- und Kreativwirtschaft nachvollzogen werden. 1 Widme- ten sich die ersten Berichte noch überwiegend dem enger gefassten programmatisch aufzugreifen. Wer Wirtschaftsdezernent Boris Rhein – Kreative Freiräu- Bereich der »Kulturwirtschaft« mit Leitbilddiskussionen vertraut gemacht werden kann, ist unklar. me: Leer stehende wie Film, Musik und darstellende ist, der erkennt hier den Zyklus von Im Vordergrund stehen deshalb oft Büroimmobilien Künste, jedoch nicht Bereichen wie Genese, mimetischer Verbreitung, konkrete Projekte, aus deren Erfolg können vorüberge- hend von Künst- Werbung oder Software / Games, und aktuell ablaufender Institutiona- Strategien abgeleitet oder an denen lern zum Nulltarif stellten deren volkswirtschaftlichen lisierung und sich ankündigender Instrumente erprobt werden. oder zu günstigen Beitrag heraus, so ist jüngst in er- Krise, die mit dem Verlust der in- In Frankfurt gibt es dafür mittler- Mietkonditionen weiterter Abgrenzung meist von der novativen Aura einhergeht. Dieser weile eine ganze Reihe von Beispie- genutzt werden. »Kreativwirtschaft« die Rede, die Zyklus und die konkreten Wirkwei- len. Dabei reicht das Spektrum von als entscheidender Faktor städti- sen sind Gegenstand unseres lau- Projekten, für deren Gelingen kom- scher Entwicklung betrachtet wird. fenden Forschungsvorhabens zum munale Unterstützung eine zentrale Zu verstehen ist der Erfolg dieser neuen politischen Gestaltungsfeld Rolle spielt, bis hin zu Vorhaben, die Debatte nur, wenn die semantische »Kreativpolitik« am Beispiel Frank- sich zumindest in der Anfangsphase Entgrenzungs- und Mobilisierungs- furt, einer Stadt, die sich gerade eher gegen administrative Wider- funktion des Begriffs »Kreativität« in der Institutionalisierungsphase stände durchsetzen mussten. So be- berücksichtigt wird: Er ist hochgra- befi ndet. müht sich die Politik um große Kre- dig positiv belegt, eine niemanden ativwirtschaftsveranstaltungen mit ausschließende Jedermanns-Res- Wie wird eine Stadt zur bundesweiter Ausstrahlung und be- source und steht für eine saubere »Top-Adresse für Kreative« warb sich folgerichtig um den »ADC Form der Wirtschaftsentwicklung Es ist zwar leicht zu behaupten, Gipfel der Kreativität«. Dieses vom mit identitätsstiftenden Formen von man habe die Bedeutung der Kre- Art Directors Club (ADC) organisierte Erwerbsarbeit. ativwirtschaft erkannt und ihr eine Branchentreffen fand seit 1994 im- So entfaltete das Thema Kre- politische Stimme verliehen, wie es mer in statt und wurde jetzt ativwirtschaft eine Dynamik und beispielsweise Frank-Walter Stein- erstmals offen ausgeschrieben. Im Attraktivität, der sich Politik und meier in seinem Programm »Die Wettbewerb konnte Frankfurt über- Förderpraxis kaum mehr entziehen Arbeit von morgen: Politik für das zeugen und erhielt den Zuschlag für können. Die kritischen Stimmen der nächste Jahrzehnt« tut. Aber für die nächsten drei Veranstaltungen. Anfangsjahre, die etwa die empiri- die städtische Wirtschaftsförderung Über das Vertragskonstrukt ist nichts schen Grundlagen des Modells be- stellt die programmatische Aus- Genaues bekannt, aber man kann zweifelten oder auf die Grenzen der gestaltung dieses Anspruchs eine mit gutem Grund davon ausgehen, Planbarkeit hinwiesen, wurden sel- Herausforderung dar. Mit welchen dass Frankfurt nicht allein mit sei- tener und leiser. Stattdessen sind Maßnahmen eine Stadt wie Frank- ner verkehrsgünstigen Lage, sondern allerorten Bemühungen zu verzeich- furt zu einer »Top-Adresse für Krea- vor allem mit direkten fi nanziellen nen, das Label »Kreativwirtschaft« tive« – so der ehemalige Frankfurter Zuschüssen überzeugte.

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ximierung und wachstumseffi zienter Anzahl der Berichte zur Kultur-und Kreativwirtschaft in Deutschland Verwendung von Fördergeldern ver- 12 söhnen. Dabei befi ndet sie sich per- manent in der paradoxen Situation, 10 dass administrative Planung – Wirt- schaftsförderung – etwas Unplanba- 8 res – Kreativität – zum Ziel hat. Beim Blick auf die kleinen Ver- änderungen darf der größere Kon- 6 text nicht vergessen werden. Krea- tivpolitik ist Teil einer umfassenden 4 Verschiebung, welche inhaltlich als Vermarktlichung beschrieben werden kann. Sie trägt auf multi- 2 ple Weise – diskursiv, symbolisch, sozial, rechtlich, ökonomisch – 0 zur Schaffung des Gegenstandes bei, auf den sie sich bezieht und

1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 konstituiert ihn als ein Feld, das Jahr marktwirtschaftlichen Regeln folgt. 1 Von Kommunen, Regionen, Ländern und Bund selbst verfasste oder in Auftrag Doch dieser Prozess ist in doppelter gegebene Kultur- und Kreativwirtschaftsberichte in Deutschland. Hinsicht weitaus weniger »geschlos- sen«, als es den Anschein hat: Freiräume: woch«. Partner aus Wirtschaft und Erstens ist die zukünftige Form der Zwischennutzung leer stehender Politik wollen den Medienstandort Kernbestandteile dieses Marktes – Immobilien »FrankfurtRheinMain« fördern und Qualitätskriterien und (symbolische) Großveranstaltungen sind aber veranstalten zu diesem Zweck regel- Güter, Preise, Tauschformen und nur ein Aspekt der Frankfurter Kre- mäßige Thementreffen. Völlig unbe- -orte und so weiter – keineswegs ativpolitik. Ihre Wirkung würde nach absichtigt hat sogar die kommunale festgelegt, und zweitens schafft innen verpuffen, gäbe es keine kre- Kreativwirtschaftsdebatte selbst zur er paradoxerweise auch Raum für ative Szene vor Ort, die für Kontinu- Vernetzung beigetragen, indem sie kreative Produktionen, die sich der ität sorgt. Ein gelungenes Beispiel die Entstehung einer »Gegenöffent- Marktlogik entziehen oder sogar dafür ist der gemeinnützige Verein lichkeit« in Form eines Netzwerks ausdrücklich dagegen Stellung be- »basis« zur Förderung kreativer Pro- von Kreativen provozierte, die alter- ziehen.  duktionsmöglichkeiten und Inhalte native Ansprüche an eine sinnvolle im Frankfurter Bahnhofsviertel. Kreativpolitik für Frankfurt formulier- »basis« kümmert sich um Zwischen- ten (vgl. www.kreatives-frankfurt.de). Die Autoren nutzungsmöglichkeiten von leer Prof. Dr. Christian Berndt, 42, lehrt und stehenden Immobilien, sodass mit Paradoxie: forscht im Bereich angewandte Wirt- Unterstützung von Land und Kom- Wirtschaftsförderung schaftsgeographie am Institut für Hu- mune derzeit über 100 Kreative in für etwas Unplanbares mangeografi e der Goethe-Universität. rund 110 Arbeitsräumen ihre Projek- Allgemeine Regeln sind aus sol- Zu seinen Forschungsschwerpunkten te verwirklichen können. Öffentliche chen Beispielen zwar nur schwer zählen die heterodoxe Wirtschafts- Partner und überdurchschnittlicher abzuleiten, aber einige der spezi- geografi e mit besonderem Fokus auf Prozessen der Ökonomisierung und Einsatz von »basis« machen es mög- fi schen Anforderungen kreativwirt- »Ver-Marktung«, Geografi en der Arbeit lich, dass die Ateliermieten sehr schaftlicher Entwicklungsprozesse sowie Globalisierung und Nord-Süd- günstig sind. Weitere Leistungen werden schnell sichtbar. So muss Beziehungen. dieses Vereins umfassen Angebote Kreativpolitik angemessen auf die [email protected] der Präsentation, der Kooperation Tatsache reagieren, dass sich Wert- Dr. Pascal Goeke, 33, beschäftigt sich und der Vernetzung. Auch die im schöpfungsprozesse hier verstärkt seit 2007 mit der Kreativwirtschaft Bahnhofsviertel anmietbaren »Work- in zeitlich befristeten Projekten mit [siehe auch Seite 14]. spaces für Kreative« sind so organi- unscharfen Rändern vollziehen und [email protected] siert, dass sie sowohl der Vernetzung weniger in Unternehmen mit festen dienen als auch fl exible Lösungen Hierarchien und Ansprechpartnern. Prof. Dr. Peter Lindner, 40, hat seit 2006 die Professur für Allgemeine Sie muss eine »kreative Allmen- für das Raumproblem vieler Kreati- Wirtschaftsgeographie am Institut für ver bieten. de« bereitstellen, die als Umfeld Humangeographie inne. Sein wissen- Vernetzung ist überhaupt das für diese Wertschöpfungsprozesse schaftliches Grundinteresse gilt der entscheidende Stichwort und steht dient, jenseits der Grenzen einzel- Frage, auf welche Weise Güter, markt- nicht nur im Fall von »basis« für ner Unternehmen angesiedelt ist wirtschaftliche Bewertungsmechanis- eine heterarchische Form der Ko- und die Entstehung von Netzwerken men und Märkte als Orte des Tauschs operation, in der situationsange- erlaubt. Und sie muss die beson- geschaffen, reproduziert und verändert werden. Zusammen mit Christian Berndt dere Rationalität des Kunst- und passt und dezentral auf Problem- und Pascal Goeke hat er 2008 den ers- stellungen reagiert werden kann. Kulturbetriebs, der wesentlich nur ten Frankfurter Kreativwirtschaftsbericht In dieselbe Richtung zielt auch für sich selbst sein will, mit dem verfasst. die Initiative des »m² MedienMitt- profanen Streben nach Gewinnma- [email protected]

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00 UNI S001-017 2009_03.indd 10 24.11.2009 15:59:08 Uhr Kompakt KOMM! Eine neue Form der Kunst- vermittlung zur Integration arbeitsloser Jugendlicher Ein Projekt mit Frankfurter Museen und seine wissenschaftliche Begleitung

Im harten Konkurrenzkampf um die wissenschaftliche Begleitfor- für die eigenen Werke. Schließlich Jugendliche, die einen Arbeits- oder Ausbildungs- schung von Soziologen der Goethe- besteht das Ziel ihrer Arbeit darin, am Arbeitsmarkt platz haben sozial benachteiligte Universität Aufschluss geben. Ergebnisse aus der sechsmonatigen wenig Chancen und bildungsferne Jugendliche Projektarbeit während einer Aus- haben, beschäf- tigen sich in dem oft keine Chance. Ihnen fehlt »… am Ball bleiben und stellung in einem der beteiligten »KOMM!«-Projekt nicht nur wichtiges Basiswissen, etwas zu Ende bringen« Museen öffentlich vorzustellen. mit Kunst, um sie können sich meist schlecht »KOMM!« unterstützt und er- Die Resonanz des Publikums ist Kreativität zu konzentrieren, haben nicht ge- gänzt die Arbeit der kooperierenden nach Auffassung der Initiatorin von entwickeln und ihr lernt, eigenständige Entscheidun- sozialen Bildungsträger Caritas oder »kunstsprünge« überaus positiv. Durchhaltevermö- gen zu treffen, und viele beherr- Paul-Ehrlich-Schule, einer berufs- »Das spüren unsere Teilnehmer, sie gen zu verbessern. schen die deutsche Sprache nur bildenden Schule. Hier erhalten genießen den Eröffnungsabend, vie- unzureichend. Kann die Begeg- die Jugendlichen nicht selten ihre le sind auch stolz, weil sie zum ers- nung mit der Kunst daran etwas letzte Chance, sich handwerklich zu ten Mal ein Projekt zum Abschluss ändern? Das Projekt »KOMM!« qualifi zieren oder den Hauptschul- gebracht zu haben.« von der Agentur »kunstsprünge« abschluss zu schaffen. Svenja Krie- gibt dazu seit 2006 neue Impulse. bel schildert den Ablauf: »Einmal Im Vordergrund stehen Jugend- wöchentlich ersetzt KOMM! über liche, die vom Arbeitsmarkt fünf Stunden den Alltag der vom ausgegrenzt sind und aufgrund Arbeitsamt verordneten Maßnahmen erschwerter Lebens- und Soziali- durch eigenes kreatives Arbeiten. sationsbedingungen kaum Per- Innerhalb kleiner Gruppen von ma- spektiven haben. ximal zwölf Teilnehmern wird unter »Wir wollen dieser sozialen Anleitung eines Museumspädagogen Problemgruppe über die bildende und eines Künstlers an möglichst Kunst grundlegende Fertigkeiten eigenständig entwickelten Projek- vermitteln, um ihnen den Einstieg ten gearbeitet.« Anfangs entstehen ins Berufsleben zu erleichtern: die Zeichnungen, Porträts, mit denen Fähigkeit zu Kommunikation, Kre- die (Selbst-)Wahrnehmung sensibi- ativität und Durchhaltevermögen – lisiert und die Konzentration gestei- und damit letztlich auch für ein ge- gert werden soll. Dann werden die stärktes Selbstwertgefühl sorgen«, Techniken differenzierter: »Lebens- so Svenja Kriebel, Initiatorin und große Büsten zu erstellen, ist nicht »Gute Ansätze einer Das eigene Werk Koordinatorin des Projekts. Es gehe nur eine individuelle, sondern auch positiven Aktivierung präsentieren: Eine darum, Verweigerungshaltungen ab- schwierige Projektarbeit. Dazu ge- bei den Jugendlichen« Teilnehmerin von zulegen und das eigene Leben wie- hört: Ideen fi nden, sich ein Konzept »Wir beobachten gute Ansätze KOMM! während des Ausstellungs- der in die Hand zu nehmen. Schon und einen Ablaufplan überlegen, die einer positiven Aktivierung bei den aufbaus im Städel der Projekttitel sei Programm: einzelnen Schritte umsetzen, aber Jugendlichen«, konstatiert Dr. Jens Museum. »KOMM!«: »Werde aktiv, fi nde Dich auch Widerstände und Mängel über- Becker, wissenschaftlicher Mitarbei- nicht mit Deiner Situation ab« ist winden, am Ball bleiben und etwas ter im Fachbereich Gesellschafts- die Botschaft. zu Ende bringen.« wissenschaften, der die wissen- Sechs Gruppen haben bislang Wichtiger Bestandteil des Pro- schaftliche Begleitforschung leitet das Projekt in Kooperation mit den jektes ist der Besuch der Museen: und gemeinsam mit Katharina Zoll Frankfurter Museen Schirn, Städel Für die meisten dieser Jugendli- eine erste Studie veröffentlicht hat. und Liebieghaus durchlaufen. Fi- chen ein unbekannter Ort, doch »Die kontinuierlichen Erfolge füh- nanziert wird es durch Sponsoren. in der zunächst fremden Welt der ren dazu, dass die Jugendlichen im 2007 / 08 wurde es durch »eXpe- Bilder und Skulpturen beginnen Vergleich zu anderen Maßnahmen, rimente 2007 – eine Initiative der sie, neue Welten zu entdecken. Im die sie schon durchlaufen haben, Aventis Foundation« getragen. Eine Gespräch über die Kunstwerke kön- deutlich seltener die Teilnahme langfristige Unterstützung erfolgte nen sie ihre Sprachfähigkeiten und abbrechen.« Vier Soziologie-Dip- dank der »Crespo Foundation«. ihr Urteilsvermögen stärken. Nicht lomanden haben bei der Untersu- Über den Erfolg von »KOMM!« soll zuletzt holen sie sich Anregungen chung mitgewirkt, dazu gehörte die

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teilnehmende Beobachtung ebenso de Haltung ist nicht so groß wie Aussage von Jugendlichen, die wie Experten- und Teilnehmerinter- gegenüber dem Kunstunterricht in über Vergleichsmöglichkeiten ver- views. Wichtig sei, so Becker, ein der Schule – so sagte eine andere fügten. Es lässt sich zeigen, dass eingespieltes kunstpädagogisches Teilnehmerin im Interview: »In der die praktische Tätigkeit mit Kunst Team, das die Teilnehmer an die Schule … wurde meistens auch be- eine Auseinandersetzung mit der Hand nehme: »Führung zur Selbst- stimmt, was man machen soll. ›Du eigenen Identität fördert, die meist führung« meinte er in Anlehnung machst jetzt das, und wenn es dir nicht bewusst refl ektiert, aber doch an Michel Foucault, damit die Ju- nicht passt, kannst du rausgehen.‹ erlebt wird. Solche Ansätze sind gendlichen sich trauten, etwas Neu- … und hier wird man auch gefragt, aus der Sozialpsychologie bekannt, es auszuprobieren. Und das klappt da wird drüber gesprochen, was wir werden aber in der Berufs- und Bil- auch häufi g, wie eine Teilnehmerin machen könnten.« dungsförderung zu wenig genutzt. im Interview berichtet: »Dir wird Tatsächlich nehmen der Team- Beckers Bilanz: »Die Auseinander- gesagt, okay, hier hast Du’n Stift, geist, die Menge der positiven sozi- setzung mit Kunst und Kultur hat kannst jetzt machen, was Du willst. alen Interaktionen zu, die Einzelnen eine wichtige Komplementärfunk- Also, erst einmal diese Freiheit zu konzentrieren sich besser, und die tion, um verantwortungsbewusste kapieren: Okay, ich kann eigentlich gruppeninternen Störungsmanöver Persönlichkeiten mit einer starken alles machen, was ich will. Aber wie Handyklingeln lassen nach. Ich-Identität hervorzubringen. Ge- damit muss man erst mal irgendwie Von acht Jugendlichen eines Kur- rade bei diesen benachteiligten umgehen können.« ses bleiben durchschnittlich sechs Jugendlichen droht die Gefahr, dass Es braucht Zeit, bis anfängliche bis sieben bis zur gemeinsamen die soziale Exklusion sich verfes- Widerstände überwunden sind, Ausstellung ihrer Kunstwerke da- tigt und sie sich überfl üssig fühlen die Jugendlichen selbstständig bei. Einige Jugendliche fühlten oder sie als überfl üssig angesehen beginnen, über ein mögliches Pro- sich angeregt, auch über die Zeit werden, weil sie weder vom Arbeits- jekt wie das Drehen eines Films im »KOMM!«-Projekt hinaus, in markt noch von der Gesellschaft konkret nachzudenken und mehr der Beschäftigung mit Kunst eine integriert werden können.«  mit anderen, die sie vorher nicht Alternative zu anderen Freizeitakti- kannten, zusammenzuarbeiten und vitäten zu sehen. Andere Projekte Weitere Information zur Begleitstu- zu kommunizieren. Die ablehnen- konnten dies nicht leisten – so die die: www.soz.uni-frankfurt.de/agsi/

Die Revolution des Ehrenamts im Netzwerk Die StadtteilBotschafter: Impulse für die Stadtgesellschaft der Zukunft

Wer das so einfache wie findige Im Projekt geht es um Ehrenamt, und es geht um Professionalisie- Frankfurter Projekt »StadtteilBot- doch mit dem angestaubten Bild rung in bislang der Freizeit zugeord- schafter« der Stiftung Polytechni- von Kassenwart und Schriftfüh- neten Lebensbereichen. Insgesamt sche Gesellschaft beschreiben will, rer in Vereinen haben die jungen geht es um die Frage, wie die Zu- stößt an die Grenzen des gesell- Botschafterinnen und Botschafter kunft der Stadtgesellschaft ausse- schaftlich vorrätigen Vokabulars. wenig zu tun. Es geht um selektive hen kann. In der wissenschaftlichen Das ist kein Wunder, denn das Pro- und individuelle Förderung, doch Begleitung dieses Projekts unter- jekt probiert aus, wie soziales En- nur, wenn die geförderten Botschaf- suche ich unter anderem, welche gagement in der Zukunft aussehen ter etwas für die Gesellschaft leis- neuen sozialen Formen durch das kann – eine Blaupause dafür gibt ten. Es geht um Freiheit, auf deren Engagement dieser Botschafter in es nicht. Rückseite Verantwortung entsteht der Gesellschaft entstehen können.

Es ist vollbracht. »Mach Dein Ding!« Nach 18 Monaten »Mach Dein Ding!« lautete die ehrenamtlichen Losung der Stiftung Polytechnische Engagements Gesellschaft, mit der sie junge präsentieren die StadtteilBotschaf- Frankfurter zwischen 17 und 27 ter der ersten Ge- Jahren dazu ermunterte, sich mit neration ihre Pro- einer guten Idee für ein Stipendium jekte einer breiten zu bewerben. Viel mehr Vorgaben Öffentlichkeit. gab es nicht. Es musste nur deut- Ein guter Anlass, lich werden, dass die Projekte, die um neue Ideen zu die zukünftigen Botschafter allein sammeln und das nächste Netzwerk oder zu zweit verwirklichen, jeweils zu knüpfen. einem Frankfurter Stadtteil zum Vorteil gereichen. So breit die Aus- schreibung war, so breit war die Re- sonanz: Hausaufgabenhilfe für be-

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nachteiligte Kinder in Sossenheim, schied zum Ehrenamt im Verein zur Unterstützung bereit, wird er ein Kletterturm in Nieder-Erlenbach, aufmerksam. Zwar lassen sich auch im Netzwerk umgangen und eine ein durch Sachsenhausen wandern- die Botschafter und die Stiftung andere Route gewählt. In Vereinen des Kunstbuch oder die Eckenhei- auf ein wechselseitiges Abhängig- mit festen Satzungen und eingefah- mer Generationenkonferenz sind nur keitsverhältnis mit Kontrollen und renen Routinen kann das Veto einer einige Ideen. Wer die Bewerbungs- Verbindlichkeiten ein – so wie es höheren Hierarchieebene selbst die hürde genommen hat – aktuell 25 aus der Vereins- und Organisati- besten Ideen im Keim ersticken. Botschafterinnen und Botschafter onsforschung bekannt ist –, aber Nicht so beim Projekt StadtteilBot- mit 17 Projekten –, bekommt ei- bei den StadtteilBotschaftern gibt schafter, dessen Struktur und im- nen Etat für sein Projekt, lernt in es praktisch keine Hierarchien und plizite Maxime stark an Heinz von Seminaren die Kunst der Rhetorik, festgelegten Verfahrenswege. Ist Foersters ethischen Imperativ erin- das Handwerk des Projektmanage- ein Kontakt blockiert oder nicht nert: »Handle stets so, dass die An- ments und andere, für das eigene Projekt nützliche Dinge. Ein profes- sioneller Ansprechpartner bei der Anzeige Stiftung rundet die Leistung für die Botschafter ab. So gerüstet, kann binnen 18 Monaten nach weiteren Partnern oder Sponsoren gesucht, die Idee weiterentwickelt und das Unsere Region wächst. Projekt vorangetrieben werden. Bedeutsam ist das Konzept der Der Flughafen wächst mit. StadtteilBotschafter, weil es sich auf die Suche nach Lösungen für Man könnte mit Investitionen viel beklagte Missstände macht. Es warten, bis die Zukunft eine reagiert auf die sinkende Bereit- bessere Gelegenheiten bietet. schaft, ein klassisches Ehrenamt in Oder der Zukunft eine neue Vereinen, Kirchengemeinden oder Landebahn bauen. am Arbeitsplatz zu übernehmen, Wir fangen jetzt damit an. aber es versucht nicht, diese Form des Engagements einfach wieder- zubeleben. Stattdessen nimmt die Hier landet die Zukunft. Stiftung zur Kenntnis, dass es wei- Fraport. Die Airport Manager. terhin Menschen gibt, die sich für die Gesellschaft einsetzen wollen. Genau hier setzt die Förderung an. Die Stiftung vergibt die Stipendien an Einzelne, wenn sie eine gute Idee haben, diese aber, aus wel- chen Gründen auch immer, nicht eigenständig oder in ihrem bishe- rigen Verein verwirklichen können. Gemeinsam mit den Botschaftern knüpft die Stiftung Netzwerke in der Stadt. Dabei ist immer klar, dass die Botschafter die Projektleiter sind, auch wenn die Stiftung von ihnen fordert, dass sie ihre Vorhaben in Zusammenarbeit mit Sportvereinen, karitativen Einrichtungen, Schulen oder anderen planen und umsetzen. Bei der Kontaktanbahnung kön- nen sich die Botschafter auf ihre Ansprechpartner bei der Stiftung stützen. Dabei profi tieren sie vom Renommee der 2005 gegründeten Stiftung Polytechnische Gesell- schaft wie auch der ungleich älte- ren, 1816 gegründeten, Polytech- nischen Gesellschaft.

Frei von Vereinshierarchien und eingefahrenen Routinen Das Bild des Netzwerkes macht auf den entscheidenden Unter-

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Sarah-Jane Koch, Frankfurter Persönlichkeiten oder Stadtteilbotschaf- die gemeinsamen Seminare mo- terin aus Bona- tivieren und geben Kraft für die mes, leitet Kinder nächste Projektetappe. Aber diese beim Knüpfen von Knoten an. Ausgleichsmechanismen sind auf- Diese Übung ist wendig. Im Fall der Stiftung ist das Teil einer Feuer- insofern kein Problem, als dass das wehrfreizeit, die Ausloten von neuen Formen des sie entwickelt und sozialen Engagements ein Teil des geleitet hat. Projektziels ist. Wie sehr sich bei den StadtteilBotschaftern bewährte Arbeits- und Kooperationsformen verallgemeinern und übertragen las- sen, wird für den zukünftigen Erfolg solcher Projekte entscheidend sein. Ganz gleich, wie das Projekt insgesamt ausgehen wird, die Bot- schafter der aktuellen Generation leisten gute Arbeit, und das Projekt zahl der Wahlmöglichkeiten größer für die Herauslösung des Ehren- insgesamt führt vor, testet aus und wird!« Ohne den österreichischen amtes aus Organisationsstrukturen verwirft Ideen für das soziale Enga- Kybernetiker von Foerster und des- zu bezahlen ist. Zwar wird die An- gement in der Gesellschaft der Zu- sen Werk zu kennen, beschreibt bindung an einen Träger von den kunft. Dass dieses Engagement im einer der Botschafter seine Einstel- Botschaftern verlangt – im Jargon Netz und nicht im geschlossenen lung und das Verhältnis zur Stiftung der Netzwerktheorie: die Rekombi- Verein, in Heterarchien und nicht so: »Die Stiftung ist eigentlich der nation von zuvor ausdifferenzierten in Hierarchien sowie an der Grenze Starter in ein selbstständiges Leben Adressen –, doch diese Verbindun- von Freizeit und Professionalität (…). Ich habe früher viele Sachen gen können Erfahrungswissen nicht stattfi nden wird, scheint allerdings selber organisiert, aber nicht in so ersetzen. So muss etwa jeder Bot- schon jetzt ausgemachte Sache zu einem Maß und nicht mit solchen schafter die Kostenkalkulation für sein – und das ist wenigstens eine Finanzen. Und jetzt trage ich Ver- sein Projekt neu erstellen, weil das kleine Revolution.  antwortung mit meinem Projekt, Wissen von einer ähnlichen Veran- vor allem mit dem Thema meines staltung nur schlecht im Netzwerk Weitere Informationen unter: Projektes.« gespeichert werden kann. www.stadtteilbotschafter.de Quasi auf der Rückseite der gewährten Freiheit entsteht Ver- Neue Kooperationsformen Der Autor antwortung. Alle Botschafterinnen im Praxistest und Botschafter müssen für ihre Im Fall des Frankfurter Projekts Dr. Pascal Goeke, 33, ist wissenschaft- Entscheidungen einstehen. Zunah- können die Mitarbeiter der Stiftung licher Assistent am Institut für Human- me von Entscheidungen heißt aber durch ihren Erfahrungsvorsprung geographie. Zu seinen Forschungs- auch, dass sich niemand mehr auf die Wissensdefi zite ausgleichen. schwerpunkten zählen die Migrations- und Inklusionsforschung sowie die Routinen und Traditionen verlassen Auch hilft das Rahmenprogramm Organisations- und Netzwerkforschung. kann und die Vergangenheit nicht bei der Überwindung von längeren Seit 2009 begleitet er das Projekt mehr automatisch den Weg in die Durststrecken bei der Projektent- »StadtteilBotschafter« wissenschaftlich. Zukunft weist. Das ist der Preis, der wicklung, denn die Treffen mit [email protected]

Ein Stadtviertel im Wandel Quartiersforschung im Ostend

»Im Osten gibt’s Neues.« So Kriminaldelikte, Drogen, Abwan- Besonders im südlichen, an die wirbt die Stadt Frankfurt seit Mai derung und Aufgabe zahlreicher Innenstadt angrenzenden Teil des 2009 in ihrer Imagekampagne Unternehmen. Am Institut für Ostends leben überdurchschnittlich für den Stadtteil Ostend. Das Ost- Humangeographie forscht eine viele Bürger mit Migrationshinter- end: künftiger Standort der Euro- Arbeitsgruppe (Junior-Prof. grund. Medienberichte über das päischen Zentralbank (EZB), Au- Antje Schlottmann, Dr. Andrea Ostend beschränken sich oftmals tohäuser, Galerien, Szenelokale, Mösgen, Thomas Sperber) seit auf Pressemeldungen der Polizei. Bildungszentrum, neue hochwerti- mehr als zwei Jahren im Ostend. Und dennoch: Im Vergleich zum ge Wohnbebauung, aber auch star- Im Mittelpunkt stehen dabei die Frankfurter Durchschnitt lassen ke Verkehrsbelastung, schmudde- Lebenswelten von Kindern und sich weder bezüglich Einkommen lige Straßen, unsanierte Gebäude, Jugendlichen. noch Arbeitslosigkeit statistisch

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Der Neubau der Europäischen Zentral- Literatur bank (EZB) (hier eine Fotomontage mit dem alten Modell) wird nicht nur Bau- Schlottmann, A. substanz, sondern auch Sozialstrukturen (2005): Raum- des Ostends tiefgreifend verändern. Sprache – Ost- West-Differenzen in der Berichterstat- sich Kinder und Jugendliche? tung zur deutschen Welche Räume können zum freien Einheit. Eine so- Spiel oder zur nicht überwachten zialgeographische beziehungweise nicht disziplinier- Theorie. Sozialgeo- ten Erkundung innerer und äußerer graphische Bib- Grenzen genutzt werden? Wie liothek, Band 4. Stuttgart: Steiner. werden neu gestaltete Räume, wie etwa Teile des Ostparks, der Paul- Weichhart, P. Arnsberg-Platz oder ein Spielplatz (1990): Raumbe- an der Rosa-Luxemburg Allee, zogene Identität. tatsächlich wahrgenommen? Dabei Bausteine zu einer belegbare »Probleme« oder »Be- Stadt« KIDS Ostend) den Studie- stellte sich unter anderem heraus, Theorie räumlich- nachteiligungen« feststellen. Das renden Rede und Antwort. dass vermeintlich gute Angebote sozialer Kognition und Identifi kation. Ostend ist sehr viel heterogener als von vielen Kindern und Jugendli- Erdkundliches plakative Bilder dies transportieren. Lebenswelten der Kinder chen eher gemieden werden, etwa Wissen, Band 102. Hinzu kommt, dass das Quartier und Jugendlichen weil sie wie der Ostpark abseits all- Stuttgart: Steiner. seit Ende der 1980er Jahre um- Mit diesen sozialen Institutionen täglicher Raum-Zeit-Pfade oder wie fangreich saniert wird und sich des- besteht auch in der Forschungspra- der Paul-Arnsberg-Platz zu offen Werlen, B. halb stark wandelt. Dieser Prozess xis eine enge Kooperation. Sie ge- liegen. Untersucht wurde in diesem (1997): Sozialgeo- beschleunigt und intensiviert sich währen großzügig Einblicke in ihre Zusammenhang auch das Sicher- graphie alltäglicher Regionalisierungen. aktuell durch den geplanten Neu- Jugendarbeit. So kann die Bedeu- heitsempfi nden von Kindern, wobei Band 2: Globali- bau der Europäischen Zentralbank, tung der öffentlichen Einrichtungen neben dem Ostbahnhof wiederum sierung, Region der 2014 fertig gestellt werden soll. als Anlaufstelle, Aufenthalts- und der Ostpark häufi g als »unheimli- und Regionalisie- Diese Ausgangsbedingungen ma- Lernort erfasst werden. Dabei wurde cher Ort« erscheint. Herumliegen- rung. Stuttgart: chen das Quartier zu einem hoch- zum Beispiel deutlich, dass das An- der Müll, Verwahrlosung und die Steiner. interessanten Gegenstand stadtgeo- gebot des Spielens unter Aufsicht dort häufi g lagernden Obdachlosen grafi scher und sozialgeografi scher gerade in Zeiten zwischen Schule werden als Gründe genannt. Fragestellungen. und Abendessen nachgefragt ist Auch wenn die Ergebnisse der Die Untersuchungen fi nden und insbesondere für die sogenann- meist qualitativen Forschung auf- zurzeit im Projektseminar »Quar- ten »Lückekinder« zwischen 9 und grund ihrer Anlage und Laufzeit tiersanalyse« im neu strukturierten 13 Jahren, die nicht mehr in den nicht repräsentativ sind, haben sich Lehramtsstudiengang Geografi e Hort, aber noch nicht in Jugend- im Laufe der Zeit Fragen nach dem statt. Zusammen mit Studierenden clubs gehen, von großer sozialisato- Image des Ostends und der raum- werden unter dem Rahmenthema rischer Bedeutung ist. bezogenen Identität der Bewohner »Räumliche Sozialisation« empiri- Neben den öffentlichen Ein- als zentrale Bausteine für ein tiefe- Kein Raum für sche Einsichten zur symbolischen richtungen werden aber auch res Verständnis der Lebenswelten Heimatgefühle? und emotionalen Aneignung des die − gemäß neuerer Sozialisations- von Kindern und Jugendlichen Der neugestaltete Viertels und seiner räumlichen theorien − wichtigen ungeregelten erwiesen. Aus dieser Einsicht ist Paul-Arnsberg- Gegebenheiten erfasst. Es geht Freiräume untersucht: Wo treffen die Idee für ein längerfristig ange- Platz. darum, die Konstitution des Quar- tiers durch Praktiken der sozialen Interaktion und der raumbezogenen Identifi kation nachzuvollziehen, mögliche Defi zite aufzuzeigen und den zukünftigen Wandel begreifbar zu machen. Wichtige Anregungen für diese zunächst noch punktuelle Erforschung der sozialisatorischen Umwelt im Quartier hat eine Po- diumsdiskussion am Institut für Humangeographie Anfang 2009 geliefert. Als Ostend-Experten standen Eleonore Demmer-Gaite (Internationales Familienzentrum), Christiane Dubuque (Nachbar- schaftszentrum Ostend), Dr. Sabine Baumann (Selbsthilfe- und Nach- barschaftszentrum Ostend e. V.) und Martin Karlson (»Kinder in der

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legtes Forschungsprojekt im Rah- Perspektive (Werlen, Weichhart, ziehen. Durch den Zuzug der EZB men des »Stadtteilatlas Ostend« Schlottmann) das Ostend als Pro- entstehende neue Problemlagen, entstanden, den Prof. Thorsten dukt symbolischer Aneignung − wie die Verdrängung alteingeses- Bürklin und Prof. Michael Peterek sogenannter signifi kativer Regio- sener, sozial schwächerer Gruppen von der Fachhochschule Frankfurt nalisierung − und sozialräumlicher (Gentrifi cation) sowie Identitäts- am Main planen. Der Stadtteilatlas Bindungsprozesse zu rekonstru- und Bindungsverluste und daraus soll über einen längeren Zeitraum ieren. So soll untersucht werden, resultierende soziale Konfl iktherde die Transformation des Viertels aus welche emotionalen Bezüge von können erfasst werden. Teil des Pro- unterschiedlichen Blickwinkeln do- welchen Gruppen hergestellt wer- jekts wird auch sein, die Zielgruppe kumentieren und dabei neue Wege den, ob es eine Gruppenidentität im bei einer Kreativwerkstatt zum The- der Kartierung von sozialräumlichen Sinne eines Wir-Gefühls der »Ost- ma »unser Ostend« an Ergebnissen Sachverhalten beschreiten. Forscher Ender« gibt und wenn ja, wer oder und gestalterischen Empfehlungen der Fachhochschule Frankfurt und was dazugehört oder ausgegrenzt teilhaben zu lassen.  der Goethe-Universität analysieren wird. Trotz der aktuell stattfi nden- in dem interdisziplinär angelegten den Aufwertung des Ostends ist Die Autorinnen Projekt die städtebaulichen, archi- dabei davon auszugehen, dass auch tektonischen, sozialen, demografi - das Fremd-Image als Problemviertel Dr. Antje Schlottmann, 39, ist Juniorpro- fessorin für Geografi e und ihre Didaktik schen und ökonomischen Entwick- die Bindungsprozesse entscheidend am Institut für Humangeographie. Ihre lungen dieses Stadtteils. Die Er- mitbestimmt. Forschungsschwerpunkte liegen in den kenntnisse aus der Dokumentation Das Projekt soll eine Laufzeit Bereichen sozial- und kulturgeografi sche des Transformationsprozesses lassen von zwei Jahren haben. Eine mit Theoriebildung, mediale Konstitution sich einerseits planerisch verwerten, einem zeitlichen Abstand durch- raumbezogener Images und Identitäten andererseits können andere Städte geführte Folgestudie soll Hinweise sowie gesellschaftliche Naturverhält- mit vergleichbaren Großprojekten auf Image-Veränderungen in diesem nisse. www.geo.uni-frankfurt.de/ifh/Personen/ von den Erfahrungen profi tieren. dynamischen Frankfurter Stadtteil schlottmann liefern. Perspektivisch lassen sich Gibt es ein Wir-Gefühl aus den Untersuchungen Rück- Dr. Andrea Mösgen, 37, ist Akademische der »Ost-Ender«? schlüsse auf die Attraktivität des Rätin am Institut für Humangeographie. Die Arbeitsgruppe des Instituts Ostends als Wohnstandort, aber Ihre Forschungsschwerpunkte sind die städtische Sozialraumanalyse und die für Humangeographie befasst sich auch auf die bestehende Verbind- Verkehrsmodellierung mit Geographi- speziell mit dem »Ostend aus der lichkeit der Bewohner gegenüber schen Informationssystemen. Innensicht«. Ziel ist es, aus hu- »ihrem Quartier« und damit www.geo.uni-frankfurt.de/ifh/Personen/ mangeografi scher, praxiszentrierter einhergehende soziale Stabilität moesgen

»Ich bin ein Mann! Was willst du überhaupt?« Wie Frauen in Frankfurts offener Drogenszene die Hierarchie der Geschlechter erfahren

Die gesellschaftliche Wahrneh- geprägten Milieu zu explorieren, mung des Drogenproblems ist ge- wurde eine ethnografi sche Studie prägt durch öffentlich präsente im Frankfurter Bahnhofsviertel Drogenszenen und den dort statt- durchgeführt. Die Forschungsergeb- findenden sichtbaren Handel und nisse stützen sich auf 25 qualitati- Konsum illegaler Drogen in Verbin- ve themenzentrierte Interviews mit dung mit Beschaffungskriminalität Heroin- und Crackkonsumentinnen und Prostitution. Die Szeneange- sowie zahlreiche Feldbeobachtun- hörigen, die mit ihrer Lebenswei- gen, die zwischen 2003 und 2009 se jeder gesellschaftlichen Norm stattfanden. Die Interviewpartnerin- zu widersprechen scheinen, ver- nen wurden direkt auf der Straße körpern mit ihrer Präsenz an öf- im Bahnhofsviertel oder in Drogen- fentlichen Plätzen, ihrer sozialen hilfeeinrichtungen angesprochen. Desintegration und ihrer gesund- Um auch Aussagen über Genderdif- heitlichen Verelendung die be- ferenzen treffen zu können, wurden ängstigende Dramatik von Drogen- die Daten der »Szenestudie« des gebrauch und Abhängigkeit. an der Goethe-Universität angesie- Um die lebensweltliche Situation delten Centre for Drug Research, von Frauen in diesem patriarchal für die 50 weibliche und 100

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männliche Szeneangehörige befragt sind Frauen schon aufgrund ihrer Männer: So schätzt jede dritte Frau, Literatur wurden, einer Sekundärauswertung physischen Konstitution benach- jedoch weniger als jeder zehnte unterzogen. teiligt. Wie sehr die Geschlechter- Mann, den eigenen Gesundheits- Oliver Müller, hierarchie das Leben in der Szene zustand schlecht bis sehr schlecht Bernd Werse und Christiane Öffentliche Drogenszenen bestimmt, illustriert das Interview- ein. Über die Hälfte der Frauen, Bernard (2009) als »Angsträume« zitat »Ich bin ein Mann! Was willst aber nur ein Drittel der Männer MoSyD Szenestudie: Öffentliche Drogenszenen wer- du überhaupt?«. Die Geschlechter- berichten, unter Depressionen Die offene Drogen- den von Bürgerinnen und Bürgern – ordnung wird in Alltagssituationen zu leiden. Und auch von Gewalt szene in Frankfurt unabhängig von realen Gefahren – immer wieder hergestellt und gefes- sind Frauen häufi ger betroffen: Im am Main 2008 als »Angsträume« empfunden tigt, Konfl ikte werden gemäß der Ge- Durchschnitt erlebten die Frauen Johann Wolfgang und gemieden. Meist bilden sich schlechtszugehörigkeit entschieden. in einem Monat sechs, die Männer Goethe-Univer- sität, Centre for Szenen an belebten Orten mit guter Wie bewältigen Frauen unter die- drei Gewaltsituationen. Drug Research, Verkehrsanbindung und Einkaufs- sen Umständen den Szenealltag? Für die Entwicklung effektiver Frankfurt am möglichkeiten – wie im Frankfurter »Jeder muss hier seinen Kampf Hilfsangebote ist es unerlässlich, Main. Bahnhofsviertel, das als eigene kämpfen!« – so brachte es eine die besondere Problemlage von Dro- kleine Welt erscheint. In keinem Drogenkonsumentin in einem Inter- genkonsumentinnen in den Blick anderen Teil der Stadt existieren view auf den Punkt. Frauen erleben zu nehmen, um so zu erfahren, was so unterschiedliche Gesellschafts- die sozialen Beziehungen als von Frauen wollen könnten.  schichten nebeneinander, treffen gegenseitigem Misstrauen und Armut und Reichtum auf solch en- fehlender Solidarität geprägt. Viele Die Autorin gem Raum aufeinander: hier billige haben die Erfahrung gemacht, dass Christiane Bernard, 32, promoviert am Stundenhotels, Straßenprostituierte Freundschaften in diesem Umfeld Fachbereich Erziehungswissenschaften und Obdachlose, dort Bürohäuser, kaum möglich sind und bewegen der Universität Frankfurt über gender- Banken und geschäftige Pendler sich daher als Einzelgängerinnen spezifi sche Auswirkungen unterschied- auf dem Weg zum Arbeitsplatz. in der Szene – mit fatalen Folgen, licher Drogenpolitiken am Beispiel der USA und Deutschlands. Sie war von Zwischen Banken, Bars, Bordellen denn damit fehlen ihnen auch die 2003 bis 2006 wissenschaftliche Mitar- und Geschäften vollzieht sich das unterstützenden und protektiven beiterin am Centre for Drug Research in alltägliche Leben der etwa 300 bis Sozialkontakte. Männer sind da- Frankfurt, von 2006 bis Juni 2009 Re- 500 Drogenkonsumierenden, die gegen eher in soziale Netzwerke search Scholar an der City University of sich regelmäßig und dauerhaft in eingebunden und schließen sich New York und ist seit 2008 Stipendiatin der Szene aufhalten; etwa ein Vier- häufi ger zu kleineren Gruppen zu- des MainCampus-Stipendiatenwerks der tel von ihnen sind Frauen. sammen. Polytechnischen Gesellschaft; sie arbei- tete zudem zehn Jahre in der Frankfur- Viele sind obdachlos, und das Die Frauen in der Drogenszene ter Drogenhilfe und begleitete während Bahnhofsviertel ist ihr Lebensmit- sind gleich in doppelter Weise stig- ihres USA-Forschungsaufenthalts telpunkt. Die Frauen halten sich matisiert: Sie verstoßen nicht nur Streetworker in Harlem und Brooklyn. durchschnittlich neun Stunden gegen gesetzliche Normen, sondern [email protected] täglich dort auf, die Männer etwa auch gegen die gesellschaftlichen sieben. Heroin und Crack dominie- Normvorstellungen von Weiblich- ren die Drogenkonsummuster, dane- keit. Diese negative Bewertung ben nehmen auch Benzodiazepine haben sie internalisiert, was zudem einen wichtigen Stellenwert ein. dazu führt, dass sie sich unterein- Alkohol, Cannabis und Kokain wer- ander diskreditieren und abwerten. den dagegen in geringem Umfang Die Geringschätzung anderer »Sze- konsumiert. nefrauen« ist ein wichtiges Ele- ment der Identitätsarbeit, da sich Einzelgängerinnen in einer hiermit gleichzeitig die Aufwertung aggressiven Männerwelt der eigenen Person verbindet und Soziale Marginalisierung und die Drogenkonsumentinnen so ein der Kreislauf aus Finanzierung, annähernd positives Selbstbild auf- Beschaffung und Konsum illegaler rechterhalten können. Drogen kennzeichnen den Alltag in »Was die anderen Frauen ma- der Szene. Entscheidend wird das chen, wäre für mich unvorstellbar!« Leben in diesem Milieu von der Derartige abschätzende Bemer- Geschlechtszugehörigkeit geprägt; kungen über andere Frauen aus die Drogenszene ist eine »Männer- der Szene gehören zum Alltag und welt«. Physische Stärke, Aggres- erschweren es, sich solidarisch sionen und Gewalt erhalten unter füreinander einzusetzen. Die gegen- den Bedingungen der Illegalität seitige Diskreditierung verhindert, einen entscheidenden Stellenwert. dass die Frauen ein gemeinsames Damit herrschen männliche Nor- Schutz- und Unterstützungssystem men, die sich an den traditionellen aufbauen und macht sie im Szene- Geschlechterstereotypen orientieren alltag erheblich angreifbarer. und das »Recht des Stärkeren« Das Leben in der Drogenszene betonen: Wer sich körperlich durch- ist für Frauen psychisch und phy- setzen kann, hat das Sagen. Damit sisch deutlich belastender als für

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Ludwig Emil Grimms Radierung der 24-jährigen Bettine Brentano bildet das Frontispiz von Achim von Arnims Novellen sammlung »Der Wintergarten« (1809).

Autorin ohne Werk, Publizistin undercover, Dokumentaristin avant la lettre Zum 150. Todestag der Schriftstellerin Bettine von Arnim

von Wolfgang »Sie haben, verehrte Frau, die deutsche Literatur (…) konsternirt, und den Vortheil, den man davon geistig hat, Bunzel zu schreiben, ohne Schriftstellerin zu sein, denen die es sind, (…) frappant und demüthigend gemacht« – als die jungdeutschen Autoren Karl Gutzkow und Ludolf Wienbarg die von ihnen verehrte Bettine von Arnim mit die- sen Worten 1835 zur Mitarbeit an der geplanten Zeitschrift »Deutsche Revue« einluden, benannten sie nicht nur, was die zeitgenössische Öffentlichkeit an dieser Frau faszinierte, sondern charakterisierten auch die Beson- derheit ihres Schreibens sehr präzise. Denn Bettine von Arnim, die erst im Alter von 50 Jahren ihr erstes Buch veröffentlichte, ist streng genommen eine Autorin ohne Werk (darin am ehesten Rahel Varnhagen vergleichbar), die zeitlebens nur Briefe und Gespräche verfasste. Genau damit aber traf sie den Nerv der Zeit: Da sie die kano- nisierten Formen literarischen Ausdrucks mied, wirkten ihre Texte lebensnah, ursprünglich und unverbraucht; weil sie ihr Schreiben eng an die eigene Biografi e ankoppelte, schien es die von der Romantik geforderte Unge- schiedenheit von Leben und Werk einzulösen; und indem sie private Dokumente bedenkenlos öffentlich machte, verfuhr sie ähnlich wie ihre jungen Schriftstellerkollegen, die aus Gründen der Zensur ihre Stellungnahmen zur Zeitgeschichte als Zweckformen tarnen mussten.

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Fantasiebegabte Tochter Durch die Mitwirkung an diesem Werk rückte Bet- eines Frankfurter Kaufmanns tine faktisch in den Rang einer Schriftstellerin auf – Schon als junges Mädchen galt die 1785 in Frank- zumal die Schilderungen, die sie geliefert hatte, von furt am Main Geborene als Verkörperung romantischer ihr erheblich ausgeschmückt und mit hinzuerfunde- Naturpoesie. Dass sie als solche angesehen wurde, war nen Passagen angereichert worden waren. Bereits in freilich genau besehen das Ergebnis eines Fluchtverhal- den lebensweltlichen Briefen lassen sich also jene Ver- tens. Genau wie ihr sieben Jahre älterer Bruder Cle- fahrensweisen erkennen, die auch ihre Brief- und Ge- mens gehörte nämlich auch sie zu den Außenseitern sprächsbücher charakterisieren: Fakten werden, wenn im Familienverband jener insgesamt 20 Kinder, die der nötig, korrigiert und Neues wird hinzuerfunden, weil aus Italien stammende Vater Pietro Antonio Brentano, das Dargestellte nicht dem Zweck der Dokumentation, ein wohlhabender Großkaufmann, in drei Ehen zeug- sondern der produktiven Korrektur der Realität dient. te. Der vorzeitige Tod der Eltern machte Bettine früh zu einereiner VollwaiseVollwaise unundd lilieferteeferte ssieie dderer VVormundschaftormundschaft SiebenSieben KiKindernder llassenassen wenwenigig ZZeiteit der älteren Brüder aus,aus, die allesamt auf ökonomischen ffürür die KunstKunst Profi t und die Sicherung ihrer sozialen Stellung bedacht Bevor sie allerdings eigene Texte publizierte, verver-- waren undund mit derder künstlerischenkünstlerischen BegabungBegabung derder klei-klei- ging nocnochh ffastast ein VierteVierteljahrhundert.ljahrhundert. 1811 hheirateteeiratete nen SchwesterSchwester wenigwenig anfangenanfangen konnten.konnten. Das Kunst- sie AcAchimhim von Arnim, ddenen enengengen FreunFreundd iihreshres BrBru-u- programmprogramm der Romantik nun half erst Clemens und ders ClemensClemens,, und führte fortan ein Leben als EhEhe-e- unter seinem Einfl uss dann auch Bettine, die Gering-Gering- gattin und als Mutter von insgesamt sieben Kindern. schätzungschätzung durchdurch diedie AngehörigenAngehörigen undund dasdas darausdaraus resul-resul- Der UnterscUnterschiedhied zu iihremhrem vorangegangenen LeLebens-bens- tierendetierende VereinsamungsgefühlVereinsamungsgefühl zu kompensieren.kompensieren. BeideBeide aabschnittbschnitt aalsls weitgeweitgehendhend ungeungebundenebundene unundd üüberwie-berwie- entdeckten die Literatur als Ersatzwelt und die ImaImagi-gi- ggendend intellektuell tätitätige,ge, mit Lesen, Briefe schreiben, nation als Weg,Weg, um der nüchternen und als bedrückend SSingen,ingen, Musizieren, KomKomponieren,ponieren, Zeichnen und MaMa-- empfundenenempfundenen AlltagsrealitätAlltagsrealität zu entkommen.entkommen. llenen bbeschäftigteeschäftigte Frau kkönnteönnte nicnichtht grögrößerßer sein. Nun Bettine hielt letztlich zeitlebens an der ÜberzeugungÜberzeugung hhatteatte Bettine kkaumaum nocnochh ZeitZeit,, ihreihre Kreativität auszule-auszule- fest, dass nur mithilfe der Fantasie die Beschränkungen ben und führte, nicht zuletzt durch die schlechte Ver- der prosaischen Lebenswirklichkeit überwunden wer- sorgungslage in den Jahren der Befreiungskriege be- den können, und räumte deshalb dem »Geist« und sei- dingt, ein zuweilen recht entbehrungsreiches Leben: nen Ausdrucksformen Vorrang vor allem anderen ein. Unter weitgehender Hintanstellung persönlicher Be- Ihre Haltung war freilich nicht Ausdruck von Eskapis- dürfnisse widmete sie sich intensiv der Erziehung ihrer mus, sondern entsprang der Überzeugung, dass Lite- vier Söhne und drei Töchter, die sie förderte, wo im- ratur und Kunst Vehikel zur Veränderung der gesell- mer sie konnte. Die Entscheidung für diese Existenz- schaftlichen Verhältnisse sind. Auf diese Weise gelang form war eine, deren Konsequenzen sie zwar wohl es ihr, den universalpoetischen Ansatz der Frühroman- nicht zur Gänze vorausgesehen hatte, die von ihr letzt- tik in die Vormärz-Zeit hinüberzuretten und ihn dort lich aber bewusst getroffen und auch bejaht wurde. Im zum Ansatzpunkt für eine scharfe Kritik am Status quo Gegensatz zu früher widmete sich Bettine von Arnim und die Forderung nach sozialen und politischen Re- jetzt intensiv der Bewältigung des Alltags, erst auf dem formen zu machen. arnimschen Landgut Wiepersdorf, später in Berlin. Erst Zentrale Voraussetzung für ihr späteres Wirken war die während dieser Zeit gemachten Erfahrungen mach- eine virtuos betriebene Selbstinszenierung. Schon in ten ihr die Mühen von Haushaltsführung und Kinder- ihrer Kindheit eignete sich Bettine Brentano die Fertig- erziehung fühlbar und sensibilisierten die reiche Kauf- keit an, in eine fremde Haut zu schlüpfen und so zeit- mannstochter, die trotz manch fi nanzieller Nöte und weilig zu einer anderen Person zu werden. Das uner- gelegentlicher Versorgungsengpässe doch ein privile- ziehbare, aber kreative androgyne Naturkind Mignon aus Goethes Roman »Wilhelm Meisters Lehrjahre« etwa imitierte sie so überzeugend, dass Zeitgenossen Mit »Goethe’s den Eindruck bekamen, der Weimarer Autor habe sei- Briefwechsel mit ne Figur nach ihr entworfen und nicht umgekehrt. einem Kinde« Überhaupt wurde Goethe zu einer zentralen Bezugs- (1835), ihrer ersten Buchpubli- instanz ihres Lebens. Gezielt nahm sie als junge Frau kation, wurde im Alter von 21 Jahren Kontakt zu Goethes Mutter Bettine von Arnim Catharina Elisabeth auf und wurde bald zu einer guten im Alter von Freundin der betagten Frau Rat. Über sie kam sie in 50 Jahren zu einer briefl ichen und schließlich auch persönlichen Kontakt gefeierten Autorin. mit dem berühmten Dichter. Zwar bewahrte er ihr ge- genüber lange eine gewisse Distanz, doch wusste Bet- tine ihn sich durch zahlreiche Gefälligkeiten gewogen zu machen. Im Jahr 1810, nachdem Goethe mit der Abfassung seiner Autobiografi e begonnen hatte, fun- gierte sie sogar als Materiallieferantin für ihn. In meh- reren Briefen berichtete sie ihm Anekdoten aus seiner Kindheit und Jugend, die ihr weiland seine 1808 ge- storbene Mutter erzählt hatte. Einiges davon nahm er in den ersten Band von »Dichtung und Wahrheit« auf, anderes sparte er für spätere Kapitel auf.

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Auf Ludwig Emil sageabsichten entsprach. Zu ihren Zielen gehörte es, Grimms Radierung ein differenziertes Bild des Weimarer Dichters zu ent- aus dem Jahr werfen. Während die Goethe-Rezeption in den dreißi- 1838 ist die auf ger Jahren des 19. Jahrhunderts in zwei Lager gespal- Anhieb berühmt ten war – meist unkritische Verehrer auf der einen und gewordene Bettine von Arnim vor ei- erbitterte Gegner auf der anderen Seite –, mischen sich nem Modell ihres in Bettine von Arnims Goethe-Buch Lob und Kritik Goethe-Denkmals auf raffi nierte Weise. So kann die Autorin Goethe für abgebildet. seine überragende kreative Potenz loben, ihm aber zu- gleich Ich-Zentriertheit und Politikferne vorwerfen. Im Ergebnis entsteht so ein überaus kontrastreiches Goe- the-Bild, das zwischen Apologie und Polemik vermit- telt und die kulturelle Vorbildfunktion dieses Reprä- sentanten deutschen Geisteslebens betont.

Sozialpolitisch engagierte Fürstenerzieherin Doch »Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde« geht in der Funktion einer differenzierten Stimme im vormärzlichen Meinungsstreit um die Bewertung Goe- thes und seiner Werke beileibe nicht auf. Der Korres- pondenzpartner Goethe dient Bettine von Arnim näm- lich dazu, um in der Auseinandersetzung mit ihm die eigene Selbstwerdung darzustellen. Im Lauf der mit ihm gewechselten Briefe aus den Jahren 1807 bis 1811 vollzieht sich ein Reifungsprozess, in dem die jun- ge Bettine zu einer eigenständigen Persönlichkeit, ei- giertes Leben führen konnte, für soziale Belange. Als ner politisch denkenden und sozial engagierten Frau 1831 in Berlin die Cholera ausbrach, blieb sie anders wird. Anders gesagt: Die Schriftstellerin Bettine von als viele nicht nur in der Stadt, sondern leistete Kran- Arnim gestaltet literarisch ihre eigene Emanzipati- ken und Bedürftigen auch vielfältige Hilfe. Im selben Jahr starb Achim von Arnim, und mit dem Witwenstand begann abermals ein neuer Abschnitt in Bettines Leben. Schon während der zwanziger Jahre hatte sie damit begonnen, wieder stärker am kulturel- len Leben teilzunehmen. So arbeitete sie im Jahr 1824, nachdem sie während eines Besuchs in ihrer Heimat- stadt das Modell eines von einem bekannten Bildhauer konzipierten Denkmals für Goethe gesehen hatte, das ihr überhaupt nicht gefi el, einen Gegenentwurf aus, der breite Zustimmung fand. Das auf dieser Grundla- ge angefertigte Miniaturmodell wurde seinerzeit so- gar im Städelschen Kunstinstitut ausgestellt, was der bildkünstlerischen Autodidaktin schlagartig vor Augen führte, wie leicht sich selbst für eine Frau Öffentlich- keitswirkung erzielen ließ, wenn man sie nur entschie- den genug anstrebte. Die hier gemachte Erfahrung be- reitete Bettine von Arnims Pläne vor, schriftstellerisch tätig zu werden.

Die Fünfzigjährige debütiert als Bildhauerin und Literatin Der Tod Goethes war dann der entscheidende Im- puls dafür, das Vorhaben in die Tat umzusetzen. Unmit- telbar nachdem sie die Nachricht von Goethes Ableben erreicht hatte, forderte sie dessen Nachlassverwalter auf, ihr die mit dem Verstorbenen gewechselten Briefe zurückzuerstatten, was auch geschah. Auf der Grund- lage dieses Materialfundus erarbeitete sie schließlich »Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde« (1835), eine Publikation, die auf den ersten Blick eine Sammlung der eigenen, mit dem berühmten Dichter geführten Carl Funkes nach einer eigenhändigen Zeichnung Bettine von Arnims entstandene Radierung zeigt den Entwurf ihres – Korrespondenz zu sein scheint, in Wirklichkeit aber ursprünglich für Frankfurt vorgesehenen – Goethe-Denkmals. eine denkbar freie Bearbeitung der Originaldokumen- Die Künstlerin hat sich dabei in der mythologischen Figur der te darstellt. Bettine von Arnim formte nämlich das ihr Psyche, die in die Saiten greift, selbst dargestellt und zum zugrunde liegende Material so um, dass es ihren Aus- Zentrum des Werks gemacht.

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onsgeschichte, innerhalb der Goethe als zentraler Bil- dungsfaktor fungiert, wobei die Nachzeichnung ihres Entwicklungsgangs zum Vorbild für die junge, nach- wachsende Generation insgesamt werden soll. In den beiden ähnlich strukturierten Briefbüchern »Die Gün- derode« (1840) und »Clemens Brentano’s Frühlings- kranz« (1844) wird dann die in »Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde« zum Abschluss kommende Entwick- lung der eigenen Persönlichkeit bis in die Kindheit zu- rück verlängert, so dass alle drei Texte zusammenge- nommen so etwas wie eine Werktrilogie bilden, die als weiblicher Bildungsroman angesehen werden kann. Da für Bettine von Arnim Geistesfreiheit und politi- sche Unabhängigkeit zusammengehören, ist ihr Kampf um individuelle Autonomie immer auch ein Modell politischer Emanzipation. Im Grunde hat sie sich, seit sie an die Öffentlichkeit getreten ist, als politische Au- torin begriffen. Die mithilfe des Goethe-Buchs errunge- ne Berühmtheit nutzte sie ab Ende der dreißiger Jahre dann konsequent dazu, um Einfl uss auf politische Ent- scheidungen zu nehmen. So setzte sie sich beim preu- ßischen Kronprinzen, der ab 1840 den Thron bestieg und fortan als Friedrich Wilhelm IV. regierte, mit Nach- druck für die Berufung der aus ihren Ämtern gejag- ten Brüder Jacob und Wilhelm Grimm ein. Überhaupt konzentrierte sie ihre Einfl ussnahme auf den preußi- schen Regenten, suchte parallel dazu aber auch an- Bettine von Arnim hat mit zahlreichen hochgestellten Persön- dere gekrönte Häupter und potenzielle Thronfolger – lichkeiten korrespondiert; hier wendet sie sich an Prinz Carl darunter Karl von Württemberg, Carl Alexander von Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (1846).

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Sachsen-Weimar und Ludwig I. von Bayern – zu poli- tisch verantwortlichem Handeln anzuleiten. Ihren Hö- hepunkt fand das ambitionierte Projekt einer Fürsten- erziehung, das sie verfolgte, in »Dies Buch gehört dem König« (1843), einer Art von offenem Brief an Fried- rich Wilhelm IV. Von besonderer Brisanz ist der Anhang des Buches, der in schmuckloser Sprache das Elend der Bewohner einer Armenkolonie vor den Toren schildert und an einem konkreten Beispiel die von der zunehmenden Industrialisierung bewirkte Massenver- elendung dokumentiert. Dieser Text kann als die ers- te Sozialreportage der deutschen Literatur angesehen werden. Was Bettine von Arnim im »Königsbuch« begon- nen hatte, wollte sie schließlich in ihrem Armenbuch- Projekt konsequent fortführen. In einem Artikel in der »Magdeburgischen Zeitung« rief sie »Alle, welche über den Zustand des Armenwesens in Gemeinden, Kreisen, Bezirken, Provinzen u.s.w. des gesammten Deutschen Vaterlandes genaue Auskunft zu geben vermögen« dazu auf, man möge ihr »getreue Berichte« über die Situation der ärmsten Bevölkerungsschichten zusen- den. Daraufhin erhielt sie aus vielen Regionen Preu- ßens, vor allem aber aus Schlesien detaillierte Listen, in denen die Lebensumstände der Betroffenen nüch- tern protokolliert waren. Da solch detaillierte Informa- Am 15. Mai 1844 erschien in der »Magdeburgischen Zeitung« tionen nirgendwo sonst vorlagen – auch bei den staat- ein Artikel, in dem Bettine von Arnim dazu aufrief, man möge lichen Behörden nicht –, avancierte Bettine von Arnim ihr »getreue Berichte« über die Armut zusenden. Mitte der vierziger Jahre faktisch zu einer privaten Do- kumentationszentrale des Pauperismus in Preußen. Briefpolitik einer Publizistin undercover Genau damit aber wurde sie für die Regierung zu ei- Sie kämpfte indes unermüdlich weiter für ihre po- ner ernst zu nehmenden Gefahr. Auf Druck der preu- litischen Ziele und nutzte dabei nun zunehmend pub- ßischen Behörden musste sie deshalb ihr ambitonier- lizistische Mittel zu ihrer Durchsetzung. Beispielswei- testes Vorhaben abbrechen. se lancierte sie vertrauliche Privatbriefe an die Presse oder belieferte befreundete Schriftsteller mit Materi- al, das diese dann journalistisch verwerteten. Sehr bald schon beherrschte sie virtuos die unterschiedlichsten Der Autor Techniken, Einfluss auf die öffentliche Meinung zu Privatdozent Dr. Wolfgang Bunzel, 48, leitet die Brentano- nehmen und wirkte vielfach als Publizistin undercover. Redaktion im Freien Deutschen Hochstift in Frankfurt am Im Grunde variierte sie hier aber nur den operativen Main, die die historisch-kritische Ausgabe sämtlicher Wer- Umgang mit Informationen und Dokumenten, den sie ke und Briefe Clemens Brentanos betreut, und ist daneben bereits in ihren Brief- und Gesprächsbüchern erprobt Lehrbeauftragter an der Goethe-Universität. Er studierte an und zur Virtuosität entwickelt hatte. Rückblickend er- den Universitäten Regensburg und München (Promotion weist sie sich jedenfalls als die herausragende epistola- 1992, Habilitation 2003) und war als wissenschaftlicher As- re Strategin des 19. Jahrhunderts, die die Gestaltungs- sistent an der Technischen Universität Dresden tätig. Sein Forschungsgebiet ist die Literatur-, Kultur- und Medienge- und Wirkmöglichkeiten der Textsorte Brief so virtuos schichte seit der Mitte des 18. Jahrhunderts, wobei die Literatur der Romantik zu nutzen verstand wie wohl kaum eine andere. Die einen besonderen Schwerpunkt seiner Arbeit bildet. Wolfgang Bunzel hat 1987 Textsorte Brief fungiert bei ihr nicht nur als zentrales den Forschungspreis der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft erhalten und gibt seit Gestaltungsmittel in ihrem literarischen Werk, sondern 1993 das »Internationale Jahrbuch der Bettina-von-Arnim-Gesellschaft« heraus. stellt auch ein unverzichtbares Element ihres außer- literarischen Engagements dar. Was die Autorin mit- [email protected] hin breitfl ächig und nachgerade systematisch betrieben www.goethehaus-frankfurt.de/ hat, ist Brief-Politik. 

Literatur Bettine von Ar- Konstanze Bäu- (Ost): Verlag der stift / Frankfurter on, Utopie Düssel- University Press Ulrike Landfester nim Werke und mer / Hartwig Nation 1986. Goethe-Museum, dorf / Köln: Diede- 1995. Selbstsorge als Briefe in vier Schultz Bettina von 20. Januar – 5. Ap- richs 1969. Staatskunst. Bänden Hrsg. Arnim Stuttgart / Wolfgang Bunzel ril 2009) Frank- Helmut Hirsch Bettine von Arnims Walter Schmitz Weimar 1995. »Die Welt umwäl- furt a. M.: Freies Bettina Brentano Bettine von Arnim. politisches Werk und Sibylle von zen«. Bettine von Deutsches Hoch- von Arnim Gender Mit Selbstzeugnis- Würzburg: Steinsdorff. Fritz Böttger Arnim geb. Brenta- stift 2009. and politics Ed. by sen und Bilddoku- Königshausen & Frankfurt am Bettina von Arnim. no (1785 –1859) Elke P. Frederik- menten Reinbek: Neumann 2000. Main: Deutscher Ein Leben zwi- (Katalog zur Aus- Ingeborg Drewitz sen and Katherine Rowohlt Taschen- Klassiker Verlag schen Tag und stellung im Freien Bettine von Arnim. R. Goodman. Det- buch Verlag 1987. 1986 – 2004. Traum Berlin Deutschen Hoch- Romantik, Revoluti- roit: Wayne State

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Vergessen und erinnern – rekonstruieren und neu bauen Ein soziologischer Blick auf die Frankfurter Altstadt

Die Rekonstruktion historischer Bauten wie der Frankfurter Altstadthäuser, des Berliner von Marianne Rodenstein Schlosses oder der Dresdner Frauenkirche wird oft als Identitätssuche in der Vergangenheit und als Rückwärtsgewandtheit bewertet. Doch jahrzehntelange Auseinandersetzungen zwi- schen Frankfurter Bürgern, deren Geschmack sich deshalb an Erinnerungen orientiert, weil Aktuelle Stadtan- ihnen häufi g die neue Architektur missfällt, und Experten, deren Sichtweise sich an professi- sicht: Neubauten, Wiedererrichtetes onellen Kriterien der Moderne ausrichtet, belegen: Es geht sowohl um das Erinnern als auch und wenige alte um das Vergessen der verlorenen Altstadt und damit um ästhetische und planerische Alter- Gebäude bestim- men das heutige nativen in einem schwierigen Erneuerungsprozess. Bild.

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Bürgerproteste, die auf die Ästhetik der spätmittelal- terlichen Altstadt pochten, in der Kommunalpolitik an Boden. Wie kam es aber von der Expertendominanz in der Altstadtplanung zu mehr bürgerschaftlichem Ein- fl uss auf das Altstadtbild, und welche politischen Moti- vationen standen dahinter?

Wie vergessen wurde Den Bomben und ihrer Zerstörung folgte die Trüm- merverwertungsgesellschaft. 1945 beschloss die dama- lige Stadtregierung die Beschlagnahme der Trümmer und ihre Verwertung durch eine Gesellschaft, an der die Stadt 51 Prozent Anteil hatte, die übrigen 49 Pro- zent hielten Degussa und die beiden Bauunternehmen Hochtief und Philipp Holzmann. Wenn Häuser zu 70 Prozent zerstört waren, konnten auch noch bestehende Gebäudeteile abgerissen werden. Da man die Trümmer dringend zum Wohnungsneubau benötigte, wurde aus der Altstadt mehr abgeräumt, als es heute unter denk- malschützerischen Gesichtspunkten geschehen würde. Begleitet wurde dies von einem Bauverbot für die So sah es vor dem Krieg zwischen Dom und Römer aus – eine Aufnahme aus dem Altstadt. Denn Frankfurt machte sich 1948 berechtigte Jahr 1929. Hoffnung, neue provisorische Hauptstadt Westdeutsch- lands zu werden. Dieses Areal hielten die Stadtpoliti- ker zunächst für Regierungsbauten frei und erregten damit den Widerstand jener, die sich für die Wieder- ansiedlung der früheren Bewohner einsetzten und das alte Straßennetz sowie die kleinteiligen Parzellen beibehalten wollten. Als der Deutsche Bundestag am 11. November 1949 für Bonn als Sitz der provisori- schen Hauptstadt stimmte, verlor das Altstadtareal als Symbol der Wahl- und Krönungsstadt der Kaiser und Hauptstadt des Deutschen Bundes sowie als Fläche für neue Hauptstadtbauten seine überregionale Bedeu- tung. Frankfurt defi nierte sich neu als Stadt der Wirt- schaft mit Rückgriff auf seine ehemalige Bedeutung als Handels-, Banken- und Industrieplatz. Zwei vorgelegte Pläne zum Wiederaufbau der Alt- stadt bewahrten das bekannte Bild noch annähernd. Doch die Stadtverwaltung ging davon aus, dass die his- torische Altstadt zerstört sei und die ehemaligen, meist verarmten Hauseigentümer nicht in der Lage seien, ihre Gebäude wieder aufzubauen. Ein Wettbewerb zum Wiederaufbau von 1950 endete damit, einen Wohn- und Geschäftsbereich nach Gesichtspunkten der Mo- derne zu bebauen, doch den nun als einzig geschichts- Die Altstadt wurde eit 2005 gibt es in Frankfurt einen öffentlichen trächtig defi nierten Bereich zwischen Dom und Römer im Stil der Moder- SStreit darüber, ob anstelle des Technischen Rat- zunächst liegen zu lassen, da der Wettbewerb keine be- ne in Zeilenbau- hauses zwischen Dom und Römer die Altstadtbe- friedigende Lösung erbrachte. Die Frankfurter Stadtpo- weise erbaut, wäh- bauung, die im März 1944 durch Bombenangriffe in litiker blieben uneinig und unsicher, so dass der Raum rend sich für das Gebiet zwischen Schutt und Asche versank, rekonstruiert oder ob zeit- zwischen Dom und Römer in den 1950er und 1960er Dom und Römer genössisch gebaut werden sollte. Von Architekten, Pla- Jahren zum Parkplatz verkam. bis 1970 keine nern und Denkmalschützern wurde der populäre Ge- 1963 wurde ein neuer Wettbewerb ausgeschrieben. Lösung fand. schmack der Bürgerinnen und Bürger als nicht legitim Den ersten Preis bekam eine Architektengruppe, die und rückschrittlich bezeichnet. Umgekehrt vermissten erst sieben Jahre später den Auftrag erhielt, das Tech- die Bürger eine emotionale Bindung an die zeitgenös- nische Rathaus für die Bau- und Planungsverwaltung sische Architektur. Der Streit, bei dem es kein Richtig zu bauen und auch die Tiefgarage und den U-Bahn- oder Falsch gibt, hatte seine Funktion vor allem darin, Tunnel mit einzubeziehen. Im Unterschied zu dem Einfl uss auf die Entscheidung der Kommunalpolitik zu Wettbewerbsentwurf zeigten die neuen Pläne ein Tech- nehmen, die bisher mit Hilfe von Investoren versucht, nisches Rathaus mit drei Türmen direkt vor dem goti- das Stadtbild zu bestimmen. Betrachtet man Frankfurts schen Dom; das schürte ebenso wie die enorme Bau- Umgang mit diesem Kernstück der Altstadt in den ver- masse den Protest der Bürgerinnen und Bürger, die gangenen 65 Jahren aus soziologischer Sicht, so hat sich allerdings in dieser Phase nicht mehr für den Wie- zunächst der Einfl uss der Architekturmoderne das Ver- deraufbau und die Erinnerung an das Vergangene stark gessen der Altstadt gefördert, doch dann gewannen machten. Die von der SPD dominierte Stadtpolitik un-

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terstützte die zeitgenössische Ästhetik des Technischen den, das abgerufen werden konnte, wenn es benötigt Rathauses, doch aufgrund der Bürgerproteste wurden wurde. Wenn es nun Gruppen gibt, die Gründe oder die Türme schließlich nur bis zur Höhe des Domschif- Motive haben, diese gespeicherten Erinnerungen zu fes erlaubt und der Bau 1974 abgeschlossen. nutzen, erhalten sie einen Bezug zur Gegenwart und Den Übergang von der lebendigen persönlichen Er- werden für die Lösung aktueller Fragestellungen he- innerung an die spätmittelalterliche Altstadt zu ihrem rangezogen. In diesem Sinne wurde 1975 erstmals die offi ziellen Vergessen vollzog sich, als die Stadt von dem Erinnerung an einen Teil der früheren Altstadt auf die jährlichen Glockengeläut und Fahnenhissen, das am politische Bühne gebracht. Die Stadtpolitik wünschte 22. März an die Zerstörung der Altstadt erinnerte, Ab- ein Bild der Vergangenheit als Alternative zur zeitge- stand nahm und die Altstadt 1978 symbolisch beerdig- nössischen Bebauung. Denn die politischen Kämpfe um te, indem vor dem Technischen Rathaus eine Erinne- die Bürohochhäuser im Westend, die bereits 1971 den rungstafel in den Boden eingelassen wurde, über die SPD-Stadtplanungsdezernenten zum Rücktritt zwan- viele – meist ohne sie zu bemerken – hinweggehen. gen, wirkten destabilisierend auf die politische Macht, welche die SPD in der Stadt seit dem Krieg innehatte. Das wiederbelebte Gedächtnis Die Stadt galt als hässlich und wenig attraktiv für und die Zukunftsorientierung Arbeitskräfte, die vor allem im damals wachsenden Das Gedächtnis von der Frankfurter Altstadt hatte Finanz- und Dienstleistungsbereich benötigt wurden. sich längst in die Museen und Archive verfl üchtigt, wo Deshalb schlug der damalige Oberbürgermeister Rudi es lange unbeachtet, ja vergessen, überdauerte. Es war Arndt (SPD) – übrigens der erste Oberbürgermeister in der Diktion der Konstanzer Kulturwissenschaftlerin nach dem Zweiten Weltkrieg, der in Frankfurt aufge- Aleida Assmann zu einem Speichergedächtnis gewor- wachsen war – vor, die Ostzeile des Römerbergs histo-

Das Technische Rathaus wurde Ende der 1960er / Anfang der 1970er Jahre als Symbol für die Anmaßung der Stadtplanung verstanden, die damals im Westend Wohnhäuser zugunsten von Bürohochhäusern abreißen ließ. Sowohl gegen den Stand- ort als auch gegen die zunächst geplanten hohen Türme vor dem Dom wurde protestiert – mit dem Erfolg, dass zumindest die Türme nicht in der geplanten Höhe gebaut wurden. Inzwi- schen ist das Technischem Rathaus, das 1974 fertig gestellt wurde, wegen baulicher Mängel zum Abriss freigegeben. Dies war der Anlass für den Wettbewerb 2005 und die bis heute anhaltende Diskussion um die Altstadt.

»Dialektisch« nannten die Architekturexperten die Verbindung zwischen der historischen Fassade der Ostzeile des Römer- bergs und der postmodernen Schirn als Kunst- und Ausstel- lungshalle. Im Zeichen der Postmoderne konnte sich die his- torische Ostzeile als legitimes Zitat einfügen.

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Ostzeile und postmoderne Kulturschirn) am gleichen Ort. Nach fast 40 Jahren erwies sich der nun wieder als Platz erkennbare Römerberg mit seinen Fachwerkhäu- sern als ein neuer Anziehungspunkt in der Stadt.

»Sowohl als auch« – Das neue Muster politischer Kompromisse Die Politik des Sowohl-als-auch hatte dafür gesorgt, dass beide Richtungen berücksichtigt wurden: der po- puläre, sich an der kleinteiligen Fachwerkstruktur er- freuende Geschmack der Bürger als auch der zeitgenös- sische professionelle, an den Normen der Postmoderne orientierte Anspruch der Architekten. Dieses Muster des politischen Kompromisses in ästhetischen Fragen, bei dem beide streitenden Gruppen sich nicht einigen mussten, sondern jeweils ihr Recht erhielten, blieb auch im Konfl ikt von 2005 bestimmend. Die politisch nicht aufgelösten Widersprüche in der Gesellschaft las- sen sich deutlich am Frankfurter Stadtbild ablesen. Der wegen baulicher Mängel als notwendig erkann- te Abriss des Technischen Rathauses führte bereits in den 1990er Jahren zu Überlegungen, wie dieses zent- rale Areal anders genutzt werden könnte. Schließlich wurde 2005 ein Wettbewerb ausgeschrieben. Die Stadt- planung wollte damit den Bereich zwischen Dom und Römer mit einer Büro- und Geschäftsnutzung ökono- misch aufwerten. Der Siegerentwurf des städtebau- lichen Wettbewerbs vom Büro KSP Engel und Zim- mermann wurde bereits öffentlich kritisiert – unter anderem wegen der Art der Wiederherstellung des Krö- nungsweges –, als diese Kritik eine völlig unerwartete, überraschend neue Stoßrichtung erhielt: Denn als Al- ternative zur zeitgenössischen Bebauung gelangte das Beim städtebaulichen Ideenwettbewerb »Technisches Rathaus« wurde der Entwurf Modell der circa 50 Altstadthäuser, die bis März 1944 des Büros »Entscheidung KSP Engel und Zimmermann Architekten« 2005 mit dem an der Stelle des Technischen Rathauses gestanden hat- ersten Preis ausgezeichnet. Nach einer Überarbeitung sollte dieser Entwurf (oben ten, in die Öffentlichkeit. Das Modell, Diplomarbeit des ein Ausschnitt: Die Straße im Vordergrund ist die Braubachstraße auf Höhe Zollamt / Ingenieurs Dominik Mangelmann, fand sogleich politi- Kruggasse) realisiert werden. Doch als das Modell der Altstadthäuser (unten), das der Bauingenieur-Student Dominik Mangelmann nach Archivunterlagen als Diplom- sche Unterstützung der Jungen Union Sachsenhausen. arbeit angefertig hatte, publik wurde, begann eine stadtweite öffentliche Diskussion, Die Rekonstruktion der Altstadthäuser wurde bald in die den preisgekrönten Entwurf in Frage stellte. der Stadtverordnetenversammlung diskutiert. Die meisten Frankfurter waren zunächst völlig über- risch wieder aufzubauen. Die SPD glaubte so, das mo- rascht, denn das Bild der im Krieg verlorenen Altstadt derne, von vielen als wenig ansprechend empfundene schien trotz des Wiederaufbaus der Ostzeile am Römer- Gesicht der Stadt zu verschönern. Sie verlor jedoch die berg aus dem Stadtgedächtnis gelöscht zu sein. Es setz- Wahl 1977; die CDU nahm das Konzept auf. 1979/80 te nun ein kollektiver Prozess des Sich-Erinnerns an die wurde ein weiterer Wettbewerb für den Dom-Römer- vergangene Altstadt ein, so in den drei Frankfurter Zei- Bereich ausgelobt. Das Ergebnis war ein Kompromiss: tungen und in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen, Die Ostzeile des Römerbergs wurde nach Fotos als in dem auch die Namen einzelner bekannter Häuser der Fachwerkbauten mit Sichtfachwerk aufgebaut, das bei verlorenen Altstadt wie die »Goldene Waage« wieder der Zerstörung 1944 jedoch unter Schindeln verbor- in die Diskussion kamen und Schmuckelemente frühe- gen gewesen war, während gegenüber dem Techni- rer Altstadthäuser in den Museen wiederentdeckt wur- schen Rathaus mit der Schirn ein ähnlich groß dimen- den. Die Meinungen polarisierten sich. Es organisierten sioniertes Gebäude als Kunst- und Ausstellungshalle sich zwei konkurrierende Gruppierungen mit Vereins- im postmodernen Stil konzipiert wurde. gründungen, die mit unterschiedlichem sozialem Hinter- Das Preisgericht nannte diese Verbindung zwischen grund und Werthaltungen jeweils eigene selektive Kon- Ostzeile des Römerbergs und Schirn »dialektisch«; struktionen der vergangenen Altstadt betrieben und für auch sah es die historische Fassade der Ostzeile mit die künftige Gestaltung ins Gedächtnis zurückholten. zeitgenössischen Parallelbauten auf der Rückseite als Zu der ersten Gruppe, die eine möglichst weitge- hinreichend verfremdet zu einem neuen Objekt an, so hende Rekonstruktion von Altstadthäusern durchset- dass es nicht als Plagiat der alten Bebauung gelten kön- zen wollte, gehörten jüngere wie auch ältere Bürger ne. Im Zeichen der Postmoderne konnte sich die histo- sowie eine Bürgerinitiative, die sich für diese Erinne- rische Ostzeile als legitimes Zitat einfügen. Mit dieser rung an die Altstadt als Wohnort einsetzten, und der Argumentation rechtfertigten die Experten den Wider- Verein der »Freunde Frankfurts«. Sie wünschten sich spruch zwischen dem populären (Fachwerk der Ostzei- für die Zukunft nicht nur die circa 50 Fachwerkhäu- le) und dem professionellen Geschmack (Rückseite der ser, sondern auch das Raumgefühl der vergangenen

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Altstadt zurück, die Wohnort der einfachen Leute ge- der historischen Altstadt eine Möglichkeit, sich mit wesen war. Der sozialen Herkunft nach gehört diese dieser »amerikanischen Stadt« identifi zieren zu kön- Gruppe zu den mittleren Schichten, darunter sind bo- nen. Die Stadt sollte »wieder ein Gesicht« bekommen. denständige Einheimische, Geschäftsleute der Altstadt, Aus dieser Gruppe gab es bereits Interessenten für den aber auch Menschen, die aufgrund ihrer Mobilitäts- Bau und die geschäftliche Nutzung rekonstruierter Alt- erfahrungen die Bedeutung von identitätsstiftenden stadthäuser. historischen Stadträumen schätzen. In meiner Befra- Die zweite Gruppe, zu der Architekten, Planer, In- gung von einzelnen Personen dieser Gruppe wurde die tellektuelle, aber auch Teile der lokalen Medien und Ablehnung der Hochhäuser deutlich, mit denen sich der Parteien gehörten, vertrat die professionelle zeitge- Frankfurt heute international nicht von anderen Städ- nössische Ästhetik und konstruierte ein nicht bildhaf- ten unterscheide. Sie sahen in der Wiedergewinnung tes Gedächtnis der Altstadt: Zwar wollten sie alte Stra-

Frankfurt ist rastlos dabei, sich selbst zu fi nden – Vom Selbstverständnis der Stadt im Wandel

rankfurt war seit 1356 Wahl- und che Siedlungswohnungsprogramm aus, Die Position des Frankfurter Finanz- Fseit 1562 auch Krönungsort der das Frankfurt dezidiert zu einer Stadt der sektors ist jedoch mehr denn je von den deutschen Kaiser des Heiligen Römi- Moderne an der Peripherie machte – als Unwägbarkeiten der globalen Konkur- schen Reiches Deutscher Nation, zu Kontrapunkt zur spätmittelalterlichen renz bestimmt. Wahrscheinlich deshalb den Feierlichkeiten versammelte man Altstadt im Zentrum, welches die Erin- stellt die Stadt so wenig Gelassenheit sich zu jener Zeit bereits im Römer und nerung an die bedeutende Geschichte zur Schau. Frankfurt ist rastlos dabei, Dom. Als Reichsstadt war Frankfurt re- der Stadt baulich bewahrte. Dennoch sich selbst zu fi nden. Kein Schlagwort, lativ selbstständig. Diesen Status konnte wird in dieser Zeit deutlich, dass die Alt- das als Selbstbeschreibung ausgelassen die Stadt auch nach 1815 wahren, da stadt mit ihren kleinteiligen Armenquar- wird: Metropole, Global City, Stiftungs- Frankfurt als »Freie Stadt« mit eigener tieren und den engen Straßen immer hauptstadt; kein Ranking, das die Stadt Staatlichkeit in den Deutschen Bund weniger zum Selbstverständnis Frank- nicht umtreibt. Dabei wird deutlich, aufgenommen wurde, der seine Bun- furts als einer erfolgreichen Stadt der dass das Verständnis der Stadt von sich desversammlung im Palais Thurn und Moderne und der Industrie passt. selbst wenig stabil ist und immer wieder Taxis abhielt. Im Kampf zwischen Ös- Als 1944 Bomben die Altstadt mit ih- neu errungen werden muss. Das an den terreich und Preußen um die Vorherr- ren circa 2000 Häusern und etwa 22 000 Wirtschaftserfolg gekoppelte funktio- schaft in Deutschland wurde Frankfurt Bewohnern weitgehend zerstörten und nale Selbstverständnis der Stadt hat es 1866 von Preußen erobert und zu einer der Bombardierung über 5000 Men- schwer, zum positiven Bezugspunkt des preußischen Provinzstadt degradiert. schen zum Opfer fi elen, war auch das Denkens, Handelns und Fühlens der Be- Das, worauf sich das Selbstverständnis Bild der alten kaiserlichen Reichsstadt völkerung zu werden. Auf Banken kann der Stadt gegründet hatte, nämlich zen- Frankfurt und späteren Freien Stadt man nicht stolz sein oder sie sogar lie- traler politischer Versammlungsort in des Deutschen Bundes vernichtet. Nach ben. Deshalb wird nun – wie anderswo Deutschland zu sein und die führende dem 1949 gescheiterten Versuch, neue auch – die Geschichte der Stadt wieder- Position im Geldhandel zu haben, war Hauptstadt Westdeutschlands zu wer- entdeckt und baulich sichtbar gemacht. verloren und an Berlin übergegangen. den, knüpfte sich das Selbstverständnis Der Altstadtbereich zwischen Dom und Die Industrie fasste unter preußischen der Stadt allein an den Wirtschaftserfolg Römer bildet den Kern eines historisch Oberbürgermeistern Fuß in der Stadt. und im Baulichen an die Moderne. Die fundierten Selbstverständnisses und zeigt Doch blieb mit der engen, spätmittelal- Stadt steht seitdem unter permanentem das Lokalspezifi sche, das die Stadt im terlichen Altstadt noch die Erinnerung Modernisierungszwang. globalen Wettbewerb ebenfalls benötigt. an eine traditionsreiche Vergangen- heit lebendig. Zwar wurden um 1900 gotische Häuser für einen Straßen- durchbruch und für die historistische Erweiterung des Römers abgerissen, doch gleichzeitig kaufte die Stadt histo- risch bedeutsame Bauten der Altstadt wie den Saalhof, das Palais Thurn und Taxis sowie die »Goldene Waage«, ein bedeutendes Fachwerkhaus, um zu ver- hindern, »dass diese Erinnerungsstätten aus der großen Vergangenheit pietätlos umgestaltet werden könnten« (Bothe). Als die Stadt nach dem Ersten Welt- krieg eine demokratisch gewählte Führung erhielt, verlagerte sich die Ausrichtung der Politik noch stärker auf die Industrie und legitimierte sich durch den Bezug auf die Interessen der Arbei- terschaft und deren Lebensverhältnisse. Ihre Wohnungsnot löst das umfangrei- Impressionen einer rastlosen Stadt.

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Die Goldene Waage ist eines der sieben Um den öffentlichen Streit zu schlichten, bildete die Fachwerkhäuser, die nach Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zunächst einen Sonder- Stadtverordneten von 2007 »originalge- ausschuss. Die oppositionelle SPD stimmte für eine Bür- treu« wiederaufgebaut werden sollen. gerbefragung, während die Mehrheit der Stadtverordne- Die Goldene Waage stammt vermutlich von 1624, wurde 1899 von der Stadt ten sich – erstmals in Frankfurt – auf die Durchführung gekauft und damals so saniert, dass das einer Planungswerkstatt mit Beteiligung von circa 60 Schmuckfachwerk freigelegt wurde. Bürgerinnen und Bürgern einigen konnte, die Entschei- (Bild um 1930). dung über das Altstadtbild aber nicht aus der Hand ge- ben wollte. Die Planungswerkstatt fand zwar nicht – wie ßengrundrisse und Parzellengrößen erhofft – zu einem Kompromiss, doch es ergaben sich einbeziehen, doch sollte entspre- Anregungen für das Stadtplanungsamt, die ihren Nie- chend ihrer ästhetischen Normen derschlag in einer neuen Vorlage fanden. Auf dieser Ba- das Neue als Neues erkennbar sein; sis beschloss die Stadtverordnetenversammlung dann im denn jede Zeit müsse mit ihren Herbst 2007, dass im Bereich zwischen Dom und Römer Mitteln die Zukunft gestalten. Um bis zu sieben repräsentative Altstadthäuser aus verschie- dies zu legitimieren, verwiesen sie denen Epochen wie die »Goldene Waage« wieder auf- auf diskreditierende Erinnerungen zubauen seien. Sie sollen mit zeitgenössischen Bauten an die Altstadt als Ort nationalso- gemischt werden. Genaue Vorstellungen dazu, wie der zialistischer Machtdemonstration. Bereich zwischen Dom und Römer im Einzelnen aus- Der Römerberg war Aufmarsch- sehen soll, gibt es vorerst noch nicht. Ein Wettbewerb platz und Ort der Bücherverbren- zur Überbauung des Archäologischen Gartens muss zu- nung. nächst abgeschlossen werden. Eine städtische Projekt- Zwischen diesen beiden Positio- gesellschaft zur Entwicklung und Vermarktung der Erb- nen vermittelte schließlich eine dritte Gruppe, die nur pachtgrundstücke wurde gegründet. Das Technische repräsentative Altstadtbauten und den Krönungsweg Rathaus soll 2010 abgerissen werden. rekonstruieren wollte und damit die Realität der her- untergekommenen Altstadt, Wohnort der armen Leu- Die globale Aufmerksamkeit und das Lokalspezifi sche te im 19. und 20. Jahrhundert, ausblendete. Sie be- Diese Sowohl-als-auch-Lösung dient der histori- vorzugte eine Mischung von Alt und Neu. Zu ihnen schen Aufwertung der Stadt, indem sie an Highlights gehörten Stadtverordnete von CDU und Grünen, die der Frankfurter Geschichte als Wahl- und Krönungs- damit sowohl dem populären wie dem professionellen stadt der Kaiser anknüpft. Der Kampf der Stadt um glo- Geschmack entgegenkamen. bale Aufmerksamkeit ist mit Bürohochhäusern allein

Es reizt, aber beruhigt nicht – Vom Nebeneinander von Hochhäusern und historischen Bauten

ltes muss in Frankfurt neu gebaut traten. Nun aber rücken das spätmittelal- Awerden, jedoch nicht nur wegen der terliche Wohnhaus, das Barockpalais und Kriegszerstörungen, sondern auch, weil die Hochhäuser eng zusammen. die Politik noch in der Nachkriegszeit Daran, dass in Frankfurt fast alles historische Bauten aus ökonomischen geht, lesen die einen Disharmonie, Un- Gründen Neubauten geopfert hatte. Die ordnung und Unentschlossenheit ab, Folgekosten dieser auf Investoren orien- andere wiederum schließen auf die Li- tierten Stadtpolitik zeigen sich nicht nur beralität und Toleranz in dieser Stadt. am Streit um die Altstadt. Das repräsen- Aber man könnte es auch als Ergebnis tative Moment im Stadtbild, das Hoch- des politischen Lavierens zwischen den häuser nicht bieten können, das aber verschiedenen Interessen deuten. Dieses gerade vom Finanzsektor nachgefragt Lavieren ist nötig, weil es Frankfurt an wird und als Aushängeschild im globalen einem gemeinsamen Band mangelt, über Wettbewerb der Städte eine Rolle spielt, das sich manche Widersprüche in einer wird nun unter anderem durch Inves- demokratischen Stadt aufl ösen und zu toren neu geschaffen. So verband ein einem gemeinsamen Interesse und zum Frankfurter Projektmanager den Antrag Konsens formen lassen. Diese Politik für einen Mischnutzungskomplex mit führt nicht nur dazu, dass Konträres ne- vier Hochhäusern an zentraler Stelle der beneinander zu besichtigen ist, sie prägt Stadt, an der Zeil, mit der Wiederherstel- auch die Atmosphäre und erzeugt ein lungen des historischen Palais Thurn und spannungsgeladenes Lebensgefühl, das Taxis . Über diese »Geschenke« wurde in an zentralen Stellen von einer Gegen- der Stadt nicht öffentlich gestritten. Die sätzlichkeit geprägt ist, die kurzfristige Die Politik des Sowohl-als-auch produziert äs- thetische Kontraste: Das im historischen Stil Politik des Sowohl-als-auch produziert Anspannung und Reiz bringt. Altes und wiedererstandene Palais Thurn und Taxis und ästhetische Kontraste, die in den 1920er Neues beeinträchtigt sich in Frankfurt in die neuen Hochhäuser werden von einem In- Jahren noch in der räumlichen Differenz der Wirkung gegenseitig. Es reizt, aber vestor geschaffen. zwischen Zentrum und Peripherie auf- beruhigt nicht.

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Krönungsweg: Bei Kaiserwahl und Krönung schritten die Kaiser nicht zu gewinnen, sondern er bedarf des Lokalspezi- vom Römer zum Dom und zurück über den Alten Markt. Es war fi schen. Dass dies im Baulichen sichtbare Geschichte ein schmaler gewundener Weg, den das Bild links um 1900 am ist, demonstriert – wie viele andere Städte – nun auch ehesten wiedergibt; daneben die heutige Situation und rechts Frankfurt und baut das Alte neu. die Neukonstruktion des Krönungswegs mit Perspektive auf den Dom-Turm, wie ihn der Wettbewerbssieger »KSP Engel und Dabei zeigt das politische Vorgehen in ersten An- Zim mermann Architekten« 2005 entworfen hatte. sätzen, wie sich das Verhältnis von Staat und Zivilge- sellschaft wandelt: weg vom hierarchisch steuernden Staat, hin zu einem kooperierenden, aktivierenden Staat, der auf der lokalen Ebene vermehrt auf Dia- Die Autorin log und bürgerschaftliche Mitgestaltung setzt. So wer- Prof. Dr. Marianne Rodenstein, 67, stu- den ästhetische Entscheidungen über den öffentlichen dierte in München und Berlin Sozio- Raum demokratisiert. Der Wunsch nach Altstadtäs- logie. Als Stipendiatin am Max-Planck- thetik, dem sich auch die Politik in Teilen anschloss, Institut zur Erforschung der Le bens- entwickelte sich aus der Kritik an der als unzulänglich bedingungen der wissenschaft lich- empfundenen zeitgenössischen Architektur. Insofern technischen Welt in Starnberg schrieb ist die Forderung nach Rekonstruktion auch eine He- sie ihre Dissertation über Bürger- rausforderung an die zeitgenössische Architektur und initiativen; an der Technischen Uni ver-  sität Berlin habilitierte sie sich mit dem keineswegs »rückwärtsgewandt«. Thema »Gesundheitskonzepte im Städtebau seit 1750«. Von 1988 bis zu ihrer Pensionierung 2007 war sie als Professorin für Soziologie mit dem Schwerpunkt Stadt-, Literatur Regional- und Gemeindeforschung am Fachbereich Ge- Assmann, A. Frankfurt am Frankfurt / New Frankfurter Altstadt sellschaftswissenschaften tätig. Ihre Forschungsfelder (2006) Der lange Main. York. In: Bodenschatz, sind Stadtplanung, Kommunalpolitik sowie Frauen- und Schatten der Ver- H., Schultheiß, H. Geschlechterforschung und bezogen sich auf Städte in gangenheit. Durth, W., Gut- Rodenstein, M. (Hrsg.) Die Zukunft den USA, England und Deutschland. Aktuelle Forschun- Erinnerungskul- schow, N. (1988) (2008) Die Eigen- der alten Stadt. Die gen seit der Pensionierung betreffen Städtevergleiche, tur und Ge- Träume in Trüm- art der Städte. alte Stadt Heft 1, um die Eigenart der Städte herauszuarbeiten (Frankfurt schichtspolitik mern. Planungen Frankfurt und S. 45 – 58. und Hamburg), städtische Konfl ikte, Baukultur und Ge- München. zum Wiederaufbau Hamburg im Ver- schlechtergerechtigkeit sowie im Rahmen der Internati- zerstörter Städte im gleich In: Berking, Rodenstein, M. onalen Bauausstellung Stadtumbau Sachsen-Anhalt das Balser, F. (1995) Westen Deutsch- H., Löw, M. (im Erscheinen) Thema »Stadt als Familie«. Rodenstein gründete 1991 Aus Trümmern zu lands 1940 – 1950 (Hrsg.) Die Eigen- Forgetting and Re- »FOPA Rhein-Main e. V.«, eine Organisation, die die Er- einem europäischen 2 Bände, Wiesba- logik der Städte membering: gebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung in Pla- Zentrum. Geschichte den. Frankfurt/New Frankfurt’s Altstadt nung und Architektur umzusetzen sucht, und ist im Beirat der Stadt Frankfurt York S. 261 – 312. after World War II der »Frankfurter Stiftung Maecenia für Frauen in Wissen- am Main 1945 – Müller-Raemisch, In: Fenster, T., schaft und Kunst« tätig. 1989 Sigmaringen. H.-R. (1996) Rodenstein, M. Yacobi, H. (ed.) Stadtentwicklung (2009) Vergessen Remembering, [email protected] Bothe, F. (1913) und Planungsge- und Erinnern der Forgetting and www.gesellschaftswissenschaften.uni-frankfurt.de/ Geschichte der Stadt schichte seit 1945 im Zweiten Welt- Citybuilders, Farn- mrodenstein Frankfurt am Main krieg zerstörten ham.

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01 UNI S018_000 2009_03.indd 29 24.11.2009 15:05:39 Uhr Forschung intensiv Immobilienmärkte Leerstände und Bauboom – Büroimmobilien nur noch ein Anlageprodukt? Über die Folgen der Verfl echtung von Finanz- und Immobilienmärkten

von Der europäische Finanzplatz Frankfurt ist stärker als andere deutsche Städte von den Schwankungen des Büro- Susanne Heeg markts betroffen. Die Liberalisierung der Finanzmärkte führte in der Mainmetropole zu erheblichen Ausschlägen und Sabine Dörry nach oben wie unten. Wie sind die Wechselwirkungen zwischen den beiden Märkten zu erklären? Welchen Ein- fl uss hat die Deregulierung im Finanzsektor auf diese Prozesse? Und wie reagieren die Stadtplaner und Kommu- nalpolitiker auf die Herausforderung?

ine Vielzahl von unternehmensorientierten Dienst- Eleistungen wie Banken, Consulting-Firmen und Rechtsanwaltsunternehmen haben sich in den ver- gangenen Jahren am Finanzplatz Frankfurt ange- siedelt und damit eine stabile Nachfrage nach hoch- wertigem und -preisigem Büroraum garantiert. Dies machte Frankfurt als Investitionsziel für viele Im- mobilienanleger sehr attraktiv. Warum aber sind die Schwankungen in Büroangebot und -nachfrage in Fi- nanzzentren wie Frankfurt und London deutlich aus- geprägter als in anderen Städten? 1

Immobilien als handelbares Produkt zur Finanzanlage Susan Strange, eine der einfl ussreichsten britischen Wissenschaftlerinnen im Bereich der politischen Öko- nomie, entwickelte in ihrem 1996 erschienenen Buch »Casino Capitalism« Thesen, die heute – in erweiter- ter Form – als Konzept der »Finanzialisierung« in die wissenschaftliche Debatte Einzug gehalten haben. Im Kern geht es um die zunehmende Bedeutung des Fi- nanzsektors gegenüber dem produktiven Sektor. Able- sen lässt sich dies besonders eindrucksvoll an Verände- rungsprozessen bei Immobilieninvestitionen, die sich in den letzten 30 Jahren rasant von der lokalen auf die globale Ebene verlagert haben. Vor der Liberalisierung der Finanzmärkte war die enorme Kapitalintensität der Immobilieninvestitionen ein fundamentales Problem: Die meist über Bankkredi- te fi nanzierten Immobilien banden große Summen auf lange Sicht, ihre Erträge hingen von schwer vorhersag- baren Faktoren wie der lokalen Wirtschaftsentwicklung oder der Arbeitsplatzentwicklung im Dienstleistungssek- tor ab. Die Finanzierungsrisiken bündelten sich an zwei

Nach dem Commerzbank Tower ist der Messeturm mit 257 Me- tern das zweithöchste Gebäude in Frankfurt. Aufgrund seiner Architektur ist er ein Wahrzeichen Frankfurts. Nichtsdestotrotz wird in der Presse über den Leerstand der Immobilie speku- liert. Der Messeturm stellt den äußersten Rand der etablierten Innenstadtlage für Büroimmobilien dar.

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% Fondsvermögen der deutschen offenen Immobilienfonds in Mio.€ 25 120 000

20 100 000

10 80 000

60 000 5

40 000 0 20 000 1990 1995 2000 2005 2006 2007 Hamburg Düsseldorf Köln 0 Frankfurt Stuttgart München 1980 1984 1988 1992 1996 2000 2004 2008 Berlin

1 Leerstand von Büroimmobilien in ausgewählten deutschen 2 Zur Entwicklung des Fondsvermögens offener Immo-Fonds in Deutschland: Offene Städten im Vergleich: Der Frankfurter Immobilienmarkt ist Immobilienfonds stellen eine Erfolgsgeschichte dar, die mit den Finanzmarktförde- durch deutlich stärkere Schwankungen im Leerstand geprägt. rungsgesetzen möglich wurde. Die Entwicklung des Fondsvermögens offener Immobili- Daten der »Gesellschaft für immobilienwirtschaftliche For- enfonds von 1980 bis 2008 (auf der Basis der Kapitalmarktstatistik der Deutschen schung« belegen, dass sich der Leerstand in Frankfurt zwar Bundesbank) zeigt, dass der Boom dieser Fondsform mit dem ersten Finanzmarktför- analog dem von weiteren wichtigen deutschen Immobilien- derungsgesetz begann, als Investitionen innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums standorten entwickelt, aber mit stärkeren Ausschlägen nach erlaubt wurden. Der stetige Anstieg im Fondsvermögen wurde jeweils nur durch besse- oben und unten. re Aussichten in anderen Anlagekategorien (Dotcom-Blase Anfang 2000, erstarktes Vertrauen in Aktienmärkte 2006) unterbrochen, um in der Folge weiter anzusteigen.

Stellen: beim Eigentümer, der auf stabile Erträge ange- wiesen war, um seine Kredite zu bedienen, und bei der % 16,5 kreditgebenden Bank, die das Ausfallrisiko trug. Die- se Situation änderte sich durch Finanzinnovationen wie 16,0 offene und geschlossene Immobilienfonds, Immobilien- 15,5 AGs oder Real Estate Private Equity Fonds. Das Kapital 15,0 wird über diese Fonds auf dem freien Kapitalmarkt be- sorgt, indem private und institutionelle Investoren Geld 14,5 anlegen. 2 Auf diese Weise verlagert sich auch das Risi- 14,0 ko des Kapitalverleihs von der kreditgebenden Bank auf 13,5 den Anleger, und Immobilien wandeln sich zu handel- baren und im optimalen Fall kurzfristig liquidierbaren 13,0 Finanzanlageprodukten mit klaren Renditeanforderun- gen. Zentrale Akteure sind institutionelle Investoren wie 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Investmentfonds und Pensionskassen, deren Aufstieg 3 Entwicklung der Beschäftigtenanteile im Finanz- und fi nanznahen Dienstleistungs- durch die Liberalisierung der Finanzmärkte auf der na- sektor in Frankfurt am Main: Der Anteil der sozialversicherungspfl ichtig Beschäftig- tionalen und EU-Ebene forciert wurde [Information zur ten in den Wirtschaftsbereichen »Kredit- und Versicherungsgewerbe« sowie »Grund- Liberalisierung, Seite 34]. Sie sind heute mächtige Akteu- stücks- und Wohnungswirtschaft, Vermietung beweglicher Sachen und Dienstleistungen überwiegend für Unternehmen« stieg – gemessen an der Summe der sozialversiche- re auf den weltweiten städtischen Immobilienmärkten. rungspfl ichtig Beschäftigten der Stadt Frankfurt – über die Jahre kontinuierlich an. Un- Zur Finanzierung von Immobilien haben sich zwei terbrochen wurde der Aufschwung durch den Einbruch der Beschäftigtenzahl zwischen Formen durchgesetzt: Investitionen können mit Wert- 2002 und 2005 unter anderem in Folge des Platzens der Dotcom-Blase. Über diesen papieren unterlegt werden, indem von entsprechenden Zeitraum hinaus fand ebenso eine Konsolidierung in der Kreditwirtschaft statt. [Quel- Unternehmen Anleihen ausgegeben oder Unternehmen len: Statistische Jahrbücher der Stadt Frankfurt am Main (2004: 71, 2008: 95)] an die Börse gebracht werden. Eine andere Möglichkeit der Finanzierung sind nicht börsennotierte indirekte An- und Nachfrage nach Büroimmobilien auf dem lokalen lageformen wie Fonds. Diese Fonds haben die Funktion, Markt entkoppeln (vgl. Beitel 2000; LaPier 1998; Mo- anlagesuchendes Kapital zu sammeln und einer rendi- ricz / Murphy 1997). Wenn der Immobilienzyklus an- teträchtigen Investition zuzuführen. Von Kapitalanlage- zieht, weil aufgrund von professionellen Marktanaly- gesellschaften wie Banken oder Versicherungen werden sen der Eindruck entsteht, diese Investments seien eine solche Fonds aufgelegt, an denen Privatpersonen und sichere Geldanlage (Dörry/Heeg 2009), lässt sich Kapi- institutionelle Anleger Anteile erwerben können. Dies tal für Immobilientransaktionen und -projekte ohne markiert den entscheidenden Übergang von der Investi- größere Probleme akquirieren, und Vorvermietungen – tionsfi nanzierung durch Banken zu Finanzinvestments im Regelfall wichtige Sicherheiten – werden vernach- institutioneller Investoren (Huffschmid 2002). lässigt. Dadurch lassen sich zwar komplexe Bauprojek- te realisieren. Gleichzeitig steigt jedoch der Leerstand: Auf dem lokalen Markt entkoppelt: Die enge Verschränkung der Finanz- und Immobili- Angebot und Nachfrage nach Büroimmobilien enmärkte führt zur Entkoppelung von Angebot und Die Vielzahl neuer Möglichkeiten zur Finanzierung Nachfrage nach Büroraum. führte in attraktiven Immobilienmärkten wie Frankfurt Frankfurt und London weisen als Finanzzentren dazu, dass sich insbesondere in Boomphasen Angebot von internationaler Bedeutung eine hohe Nachfra-

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Frankfurt als bedeutendes Finanzzentrum in Europa ist zugleich der wichtigste Frankfurt und London im Vergleich deutsche Büroimmobilienmarkt. Von den vielen hier ansässigen unternehmensorien- Interessant ist, dass die Zyklizität in den letzten tierten Dienstleistern und Finanzdienstleistern geht eine starke Nachfrage nach 20 Jahren zunahm und dass dieser Prozess in Frank- Büroraum aus. Die dynamische Vermietungssituation trägt dazu bei, dass eine Viel- furt deutlich später als in London einsetzte. Warum? zahl von institutionellen Investoren in Büroimmobilien anlegt. Im Ergebnis beför- dern diese Faktoren aber auch eine höhere Volatilität des städtischen Büroimmobili- In beiden Märkten erhöhten sich die globalen Inves- enmarktes. Die prägende Hochhausarchitektur in den teuren innerstädtischen Lagen titionen: Im Unterschied zu Deutschland, wo ein er- – die typische Skyline Frankfurts – hat hohen gesellschaftlichen Symbolwert und re- heblicher Anstieg im Zuge der »nachholenden Moder- präsentiert die Wirtschaftskraft der Stadt. nisierung« (Windolf 2005) erst in den 1990er Jahren zu verzeichnen war, erfolgte er in Großbritannien be- ge nach Büroraum auf. Aufgrund ihrer beachtlichen reits in den 1980er Jahren. Dies hängt eng mit dem Transparenz – geschaffen unter anderem durch die in- Zeitpunkt der Liberalisierung der Finanzmärkte in den ternational agierenden Immobilienberatungen – gel- beiden Ländern zusammen. Zentrale Marktindikatoren ten diese Märkte als wenig risikoreich. Beide Städte sind die großen Schwankungen von Umsatz und Leer- sind wichtige Märkte, auf denen alle großen interna- stand. 4 5 tionalen Immobilienberatungen tätig sind und seit vie- Wie andere wichtige Finanzzentren der Welt durch- len Jahren den Markt analysieren. Dennoch ist der Er- lief der Londoner Büromarkt einen sehr dynamischen folg von Investments heute keineswegs kalkulierbarer. Zyklus zum Ende der 1980er und zu Beginn der 1990er Beispielsweise waren die aktuellen Entwicklungen auf Jahre. Der Grund lag in dem starken Wachstum des den Büroimmobilienmärkten infolge der Finanzmarkt- FIRE-Sektors (»Finance, Insurance and Real Estate«). krise trotz guter Informationsbasis nicht vorhersehbar. Un ternehmen dieser Branchen stellten 1989 bereits Ein Problem der Markt- und Risikoanalyse beruht dar- 75 Prozent sämtlicher Jobs in der Londoner City. Bü- auf, dass auf der Basis von »Expost«-Daten zukünftige romärkte mit diesem Nachfrageprofi l entwickelten sich Entwicklungen projiziert werden. schnell zum attraktiven Tätigkeitsfeld externer Immobi- Ein weiteres Problem liegt darin, dass die spekulati- lienakteure. London wurde als lukrativer Anlagemarkt ven Tendenzen, die bei den Immobilienanlagen wie bei empfohlen, und die extreme Nachfrage nach Bürofl äche anderen Finanzprodukten auftreten, in den ökonome- ließ die Mietpreise hochschnellen. Die Deregulierungen trischen Modellen keine Berücksichtigung fi nden. Zu- im Gefolge des »Big Bang«, der großen Börsenreform dem folgten die Marktteilnehmer einem Herdentrieb. von 1986, sowie das durch die Steuerreform von 1988 Kaum jemand wollte zuerst auf die Gewinnmitnah- vereinfachte britische Steuersystem erhöhten die At- men im sich drehenden Roulette kurz vor dem Zusam- traktivität des Landes für ausländische Direktinvestitio- menbruch verzichten: 2007 galten London und Frank- nen und machten London zum wichtigsten Büroinvest- furt noch als sehr sichere Märkte (DEGI 2008: 50). Ein mentmarkt in Großbritannien. Gebremst wurde diese Jahr später erwies sich dies als Fehleinschätzung, bei- Phase von der Ende der 1980er Jahre einsetzenden Re- de Orte waren von der Krise deutlich stärker betroffen zession: Das Beschäftigungswachstum im FIRE-Sektor als andere Immobilienmärkte in Großbritannien und stagnierte, die Nachfrage nach Bürofl ächen kühlte sich Deutschland. merklich ab, und neue Bauvorhaben wurden mangels

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Das architektonische Wahrzeichen in der Londoner City ist das Hochhaus »The Gherkin«. Ende 2007 wurde der Wert der Im- in 1000 qm mobilie, die dem geschlossenen Immobilienfonds Euro Select 2000 14 der Immobiliengesellschaft IVG gehört, auf 605 Millionen Leerstand 1800 Pfund taxiert; im April 2009 wurde der Wert mit nur noch 470 Flächenumsatz Millionen. Pfund angesetzt. Darunter leiden die überwiegend 1600 vermögenden Privatanleger des Fonds. Dennoch ist das Gebäu- de voll vermietet, unter anderem an den Hauptmieter Swiss Re. 1400 1200 4 5 Büromärkte von Frankfurt und London im Vergleich: Der 1000 über die Jahre jeweils steigende Flächenumsatz in Frankfurt und London verdeutlicht die Zunahme der Büroarbeitsplätze in 800 den zentralen Lagen beider Märkte. Dagegen zeigt der teils 600 enorme Leerstand die hohe Spekulation bei der Errichtung neu- er Bürogebäude und die weitgehende Entkopplung von der be- 400 stehenden Nachfrage in den beiden City-Lagen. Hoher Leer- 200 stand relativiert jedoch auch die zu erzielenden (Spitzen-) Mieten am Markt. Die Zeitverzögerung bei den Ausschlägen in 0 Frankfurt gegenüber London ist auf den unterschiedlichen Zeit-

punkt der Liberalisierung in beiden Märkte zurückzuführen. Al- 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 lerdings sind die Daten selbst auch mit Vorsicht zu genießen: Jahr In Frankfurt ist beispielsweise erst in diesem Jahr eine Unter- 4 Büromarkt Frankfurt-City. [Quelle: PMA] suchung zum Abschluss gekommen, bei der erstmals unter Ein- bezug namhafter Makler (Immobilienberatungen) und anderer Immobilienakteure die gesamte zur Verfügung stehende Büro- fl äche der Stadt ermittelt wurde. Die relativen Leerstandsdaten in 1000 qm fußten bisher lediglich auf Schätzungen. 1200 Leerstand 1000 Investoren kaum in Angriff genommen. Erst ab 1997 Flächenumsatz lag der Flächenumsatz wieder über der Leerstandsrate. 800 Allerdings blieb die Erholung kurz: Anfang der 2000er 600 Jahre wiederholte sich das Flächenüberangebot und 400 fror geplante Investitionen erneut ein. 200 Wie in London konzentrieren sich auch in Frankfurt die Bürohäuser in bestimmten Stadtvierteln. Das Ban- 0 kenviertel und das Westend bilden derzeit die wich- 1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 tigsten Front-Offi ce-Bürostandorte der wissensinten- Jahr siven und fi nanznahen Dienstleistungsunternehmen. Wie aber verlief die Entwicklung in der Mainmetro- 5 Büromarkt London-City. [Quelle: PMA]

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Der Tower 185 ist ein im Bau befi ndliches Bürohochhaus im Europaviertel, das ein städtebauliches Erweiterungsvorhaben im Westen der bisherigen 1A-Büroimmobilienlage darstellt. Bereits 1998 beschloss die Stadt Frankfurt, dass die Gebäude der ehemaligen Zentrale der Deutschen Bahn an der Fried- rich-Ebert-Anlage einem neuen Bürogebäude weichen dürfen. Erst Anfang 2007 wurden die alten Gebäude abgerissen, da- nach lag das Gelände bis Ende Mai 2008 brach. Grund dafür waren Unstimmigkeiten zwischen dem Projektentwickler Vivi- co und dem Eigentümer des benachbarten Grundstücks, dem Land Hessen.

Mit dem 109 Me- ter hohen Westha- fen Tower wurde eine neue Büroim- mobilienlage in Frankfurt etab- pole? Die vergleichsweise moderate Immobiliendyna- liert. Das ver- gleichsweise nied- mik in den 1980er Jahren lässt sich auf den bis dato rige Hochhaus noch weitgehend regulierten nationalen Finanzmarkt besitzt eine rau- und die im Unterschied zur Zentralstaatlichkeit Frank- tenförmig gestal- reichs (Paris) oder Großbritanniens (London) föderale tete Außenfassa- und multizentrale Struktur Deutschlands zurückfüh- de, die an ein ren, die viele wichtige Immobilienmärkte hervorbrach- Apfelweinglas te. In dieser Zeit überwog überdies die Selbstnutzung (»Geripptes«) erin- nert. Die prägnan- von Büroimmobilien, die Gebrauchswerte und keine te Gestaltung ist Finanzvermögen darstellten. ein Mittel, um Der Umfang des Bürovermietungsmarktes stieg eine Lage bekannt durch die hohe Nachfrage zu Beginn der 1990er Jah- zu machen und re erheblich, was insbesondere auf Unternehmens- auf die immobili- reorganisationen, den Wirtschaftsboom der Wieder- enwirtschaftliche vereinigung und die dynamische Entwicklung des Landkarte zu setzen. Finanzstandortes Frankfurt zurückzuführen war. Ein starker Vermietungsmarkt befeuert in der Regel jedoch auch den Investmentmarkt. Dies trifft insbesondere auf dynamische Immobilienmärkte in den Finanzzentren wie Frankfurt mit vielen Beschäftigten 3 im FIRE-Be- reich zu. Die Mitte der 1990er Jahre einsetzenden Fol-

Liberalisierung der Finanzmärkte

ach dem Zusammenbruch des Bret- nanzmärkte (1. März 1990), erweiterte für Emittenten und unterstützte die Nton-Woods-Systems 1973 mit seinen unter anderem die Geschäftsmöglich- Gründung des Neuen Marktes. Es ließ festen Wechselkursen wurde der Finanz- keiten von Kapitalanlagegesellschaften, neue Fondstypen wie Altersvorsorge- sektor schrittweise zu einem zentralen schuf Investitionsmöglichkeiten für of- Sondervermögen-Fonds, Dach-Fonds, Träger wirtschaftlicher Veränderungen. fene Immobilienfonds innerhalb des Eu- Index-Fonds und Anlagemöglichkeiten Viele Regierungen gaben die Kontrolle ropäischen Wirtschafsraums (EWR) und in bestimmten Terminprodukten für Ka- der Kapitalbewegungen zugunsten eines hob die Börsenumsatzsteuer ab 1991 so- pitalgesellschaften zu und erweiterte die marktregulierten Systems auf, in dem wie die Wechselsteuer (Kapitalverkehrs- bestehenden Investitionsmöglichkeiten die internationalen Kapitalfl üsse freige- teuer) ab 1992 auf. für offene Immobilienfonds im (vor al- geben wurden. Als Vorreiter der Dere- Das Zweite FMFG, Gesetz über den lem europäischen) Ausland. gulierung versprachen sich die USA und Wertpapierhandel und zur Änderung Das Vierte FMFG, Gesetz zur weite- Großbritannien Wettbewerbsvorteile börsenrechtlicher und wertpapierrechtli- ren Fortentwicklung des Finanzplatzes und setzten damit andere Staaten – ana- cher Vorschriften (1. Januar 1995), refor- Deutschland (1. Juli 2002), novellierte log der Dynamik eines »(de-)regulativen mierte die Rechtsgrundlage für Wertpa- unter anderem das Investmentrecht und ›Schneeballs‹« (Lütz 2008) – unter An- pierhandel und bewirkte (in Umsetzung öffnete die Investitionsmöglichkeiten passungsdruck. der Insider-Richtlinie der EU) das Verbot für offene Immobilienfonds weltweit: In Deutschland konzentrierte sich die des Insiderhandels sowie die Errichtung Seitdem können Fonds ihre Gelder un- Liberalisierung auf die Förderung des hei- eines Bundesaufsichtsamtes für den begrenzt außerhalb des Europäischen mischen Kapitalmarkts, insbesondere mit- Wertpapierhandel mit Sitz in Frankfurt. Wirtschaftsraums (außerhalb der 15 hilfe von vier Finanzmarktförderungsge- Das Dritte FMFG, Gesetz zur weite- EU-Länder sowie Norwegen, Island und setzen (FMFG) zwischen 1990 und 2002: ren Fortentwicklung des Finanzplatzes Liechtenstein) anlegen; bisher lag die Das Erste FMFG, Gesetz zur Verbesse- Deutschland (1. April 1998), regelte ins- Anlagegrenze bei nur 20 Prozent der rung der Rahmenbedingungen der Fi- besondere die Veröffentlichungspfl ichten Mittel außerhalb der EWR.

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gen der Deregulierung des deutschen Finanzmarktes Frankfurter Hochhausentwicklungsplan von 1998, markierten den Beginn einer deutlichen Zunahme der dem Expansionsdrang von Bürohochhäusern Einhalt Volatilität. 4 Erst im Jahr 1998 überstieg der Flächen- zu gebieten beziehungsweise ihren Einfluss auf das umsatz erstmals wieder den Leerstand. Um die Jahr- Stadtbild zu regulieren. Wechselnde Koalitionen im tausendwende führten die gute Wirtschaftskonjunktur Stadtparlament, aber auch sich stetig ändernde Stand- und der New-Economy-Boom zu einer hohen Nach- ortpräferenzen der Wirtschaft verhinderten allerdings frage nach Bürofl ächen. In dieser Zeit stieg die Nach- kontinuierliche Planungen. Vielmehr nährte die pla- frage auch nach den Back Offi ces in den Frankfurter nerische Aufwertung des Bodens für mögliche Hoch- Bürostädten Niederrad oder Mertonviertel. Back-Of- hausnutzung noch die Spekulationserwartungen ver- fi ce-Flächen fi nden sich im Vergleich zu den teuren, schiedener Investoren. 1998 wurde in Frankfurt eine zentral gelegenen und repräsentativen Front-Offi ces in neue Phase eingeläutet, die sich durch die Konzentra- peripheren, preiswerten Bürolagen und werden von fl ächenintensiveren Tätigkeiten wie IT-Diensten oder dem Rechnungswesen genutzt. Ähnlich wie der Westhafen Tower im Westen soll Büroimmobilien galten nun erneut als rentable An- der Umbau der Großmarkthalle zum Hauptsitz der lageprodukte. Doch der Bauboom schlug sich schnell Europäischen Zentralbank (EZB) eine Initialzün- dung für die östliche Immobilienlage in Frankfurt wieder in einem Überangebot an Bürofl äche nieder, das sein. Aus gehend von der innenstadtnahen Lage an trotz nachlassender Bautätigkeit bis 2008 nur gering- der Hanauer Landstraße, wo sich wichtige Institu- fügig abgebaut werden konnte. Warum lassen sich die tionen wie die Frankfurt School of Finance & Ma- zu verzeichnenden Schwankungen jedoch nicht besser nagement sowie weitere öffentliche und private ausgleichen? Die gegenwärtige Krise beruht auf Speku- Organisationen an gesiedelt haben, wird mit der lation. Ihr liegt ein alles Bisherige übertreffender Boom Umwandlung der Großmarkthalle das Ostend aller des Finanzsektors zugrunde. Insofern haben Produkti- Voraussicht nach aufgewertet werden. on und Zirkulation von verbrieften Wertpapieren und Immobilienanteilen, also das Immobilieninvestmentge- schäft, dazu geführt, dass sich die Folgen der Krise be- sonders in den Finanzzentren verstärken konnten. Un- ternehmen des FIRE-Sektors bauten Arbeitsplätze ab, reduzierten Bürofl äche und verschärften auf diese Wei- se die Situation auf dem Büromietmarkt alias der Fi- nanzanlagen in den Büchern vieler Fonds.

Lenkungsspielräume der Stadtpolitik? Es scheint, frei nach Goethe, dass die Finanzzentren die gerufenen Geister nun nicht mehr loswerden. Die städtischen Ökonomien stehen in immer größerer Ab- hängigkeit von globalen Investoren und der schwan- Die Autorinnen kenden Verfügbarkeit des von ihnen bereitgestellten Prof. Dr. Susanne Heeg, 42, ist seit 2006 Kapitals. Doch wieweit sind ökonomische Entwicklun- Professorin für Geographische Stadtfor- gen von politischem Handeln beeinfl ussbar? Eine gan- schung am Institut für Humangeographie. ze Reihe von Planwerken versuchte spätestens mit dem Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in der Untersuchung, wie Normen und standardisierte Formate in der Immobili- Literatur enwirtschaft global formuliert und durch- gesetzt werden, welche Folgen sie für Beitel, K. (2000) Huffschmid, J. Moricz, Z.; Mur- lokale Immobilienmärkte und städtische Financial cycles and (2002) Politische phy, L. (1997) Planung haben. Im September 2008 organisierte Heeg gemeinsam mit Dörry die building booms: a Ökonomie der Fi- Space Traders: Rere- erste International Summer School »Real Estate Market Research«, zu der 45 supply side account nanzmärkte Ham- gulation, Property Studierende sowie 26 Referentinnen und Referenten renommierter Wirtschafts- Environment and burg: VSA-Verlag. Companies and unternehmen und Wissenschaftsinstitute für zwei Wochen zusammenkamen, um Planning A 32, Auckland’s Offi ce aktuelle immobilienwirtschaftliche und regionalgeografi sche Analysemethoden S. 2113–2132. LaPier, T. (1998) Market, 1975–94 zu üben und zu diskutieren. Competition, Growth International DEGI (2008) Glo- Strategies and the Journal of Urban Dr. Sabine Dörry, 32, lehrt und forscht seit 2004 als wissenschaftliche Mitarbei- bal Values. Immobi- Globaliza tion of and Regional terin am Institut für Humangeographie der Goethe-Universität. Ihre Forschungs- lieninvestments Services. Real Estate Research 21, interessen liegen vor allem in den Bereichen der räumlichen Vernetzung von Un- 2007/2008. Advisory Services in S. 165–79. ternehmen, der Geografi e von Dienstleistungen sowie der politischen Ökonomie Japan, Europe and von Finanz- und Immobilienmärkten. Sie studierte an der Technischen Universi- Dörry, S.; Heeg, S. the United States Windolf, P. tät Dresden Wirtschafts- und Sozialgeografi e, Betriebs- und Volkswirtschaftsleh- (2009) Intermediä- London, New (2005a) Die neuen re. Ihre im Rahmen eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem re und Standards in York: Routledge. Eigentümer In: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) der Immobilienwirt- Windolf, P. (Hrsg.) fi nanzierten Forschungsprojektes erstellte Dissertation schloss sie im Februar schaft: Zum Prob- Lütz, S. (2008) Fi- Finanzmarkt- 2008 ab. Darin untersuchte sie anhand von Pauschalreisen aus Deutschland nach lem der Transparenz nanzmärkte In: Kapitalismus Jordanien die Koordination von touristischen Wertschöpfungsketten und ging spe- in Büromärkten von Maurer, A. (Hrsg.) Wiesbaden: VS ziell der Frage nach, wie im »rechtsfreien Raum« Handel koordiniert wird. Finanzzentren. Zeit- Handbuch der Wirt- Verlag, S. 8–19. schrift für Wirt- schaftssoziologie [email protected] schaftsgeographie Wiesbaden: VS [email protected] 53, S. 172 – 190. Verlag, S.341–360.

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Zürich-Haus und Opernturm – Beispiele für spekulationsgetriebene Planung

as Zürich-Haus und der an selber nanzkrise zögern Kaufi nteressenten, und bau eines schlanken, 168 Meter hohen DStelle entstandene Opernturm sind der Opernturm trägt gegenwärtig erneut Turms vor. Im Gegenzug sollte der öf- anschauliche Beispiele für spekulations- zu einer Zunahme des Leerstandes bei fentlich zugängliche Rothschildpark um getriebene Bauentwicklung und eine [siehe auch Markus Dauss »Opernturm 5500 Quadratmeter vergrößert und neu spannungsgeladene Stadtplanung. Güns- statt Zürich-Haus: Hochhausdebatten im gestaltet werden. tige Aussichten auf dem Frankfurter Frankfurt der Gegenwart«, Seite 57]. 2002 wurde das Zürich-Haus ab- Immobilienmarkt haben zu Abriss und Zur Chronologie: Mitte der 1950er gerissen, bis 2006 lag das Grundstück Neubau geführt, wobei sich die hoch- Jahre erwarb die Zürich Versicherung aufgrund wirtschaftlicher Probleme der gesteckten Erwartungen der Investoren von den Erben der Familie Rothschild Zürich-Versicherung brach. Dann wurde zurzeit nicht erfüllen: Aufgrund der Fi- das Grundstück an der Bockenheimer das Grundstück an den US-amerikani- Landstraße 2 – 4 in unmittelbarer Nähe schen Projektentwickler Tishman Speyer zur Alten Oper. Die Fläche hatte zuvor veräußert, der seit Ende 2006 die Reali- zum Rothschildpark gehört. Im Herbst sierung des Opernturms betreibt und in 1959 begann der Bau des Hochhauses, Frankfurt noch eine Reihe großer Im- im November 1960 wurde der Neu- mobilienentwicklungen verantwortet(e), bau bezogen. Rund 1000 Arbeitsplätze unter anderem den Messeturm und das verteilten sich auf eine Bürofl äche von Westend Carrée. Die Fertigstellung des 14000 Quadratmetern. Zu den Erstmie- Opernturms ist für Ende 2009 geplant. tern zählten das Schweizerische Gene- Hauptmieter wird die Schweizer Groß- ralkonsulat, Procter & Gamble, Merrill bank UBS sein. Lynch, Morgan Guaranty, Crédit Lyon- Der Verkauf des Opernturms an den nais, Alitalia, Siemens und Lurgi. Die offenen Immobilienfonds KanAm im Baukosten betrugen damals etwa 20 Mil- Jahr 2008 schlug indes fehl. KanAm be- lionen DM. gründete seine Entscheidung offi ziell mit Mit dem Bau des Zürich-Hauses be- dem geplanten Hauptmieter UBS und gann eine kritische Phase für die Frank- die durch die aktuelle Finanzkrise »noch furter Stadtentwicklung: In seiner Eröff- nicht absehbaren Auswirkungen auf nungsrede kündigte Oberbürgermeister den Bankensektor« (IZ aktuell, 15. Ok- Werner Bockelmann das Westend als tober 2008). Inoffi ziell hieß es dagegen, neues Büro-Erweiterungsgebiet für die dass KanAm die neuerdings gesetzlich beengte Frankfurter Innenstadt an. Die vorgeschriebene Höhe des Eigenka- in den Folgejahren beginnende Bauspe- pitals von fünf Prozent für den Kauf kulation im Westend gipfelte schließlich des Opernturms nicht erfüllen konnte. Anfang der 1970er Jahre im Frankfurter Anleger hatten – verunsichert durch Häuserkampf und verdeutlicht die über- die Finanzkrise – kurzfristig Ersparnisse aus investorenfreundliche und nachgie- in Milliardenhöhe abgezogen; KanAm bige Haltung der Stadt Frankfurt. musste seinen offenen Fonds vorüberge- 1998 plante der Eigentümer den Ab- hend schließen. Letztlich führten eigene riss des Zürich-Hauses, seine Klage gegen Liquiditätsprobleme des Investors Kan- den Denkmalschutz endete mit einem Am zur Aufgabe des Opernturm-Kaufs. Vergleich. An die Stelle des Zürich- Dadurch setzte sich das Domino-Spiel Hauses sollte ein 90 Meter hoher Neubau aber fort: Tishman Speyer, der Projekt- nach Entwürfen von Christoph Mäckler entwickler, hat bis heute den Turm nicht mit 2000 Arbeitsplätzen treten. Nach verkaufen können, was ihn nun selbst in Auseinandersetzungen mit der Stadt, die Liquiditätsprobleme mit Blick auf seine den breiten und gedrungenen Entwurf laufenden (und noch zu beginnenden) ablehnte, schlug der Architekt den Neu- Projekte bringt.

tion der Hochhausentwicklung auf wenige räumliche rungspolitiken vor allem in den 1980er Jahren weit- Cluster sowie durch das weitgehende politische Ein- gehend aufgab. Indem die Stadt ausgedehnte Grund- vernehmen von der Vergangenheit unterscheidet. stücksflächen zunehmend Großinvestoren überlässt Immobilien sind standortgebunden und prägen mit und immer weniger über die Ressource Boden verfügen dem Wert eines direkt oder durch Nachbarschaft indirekt kann, gestaltet sich dieses Vorhaben äußerst schwierig. betroffenen Grundstücks die städtische Bodennutzung. Einen Versuch, die Immobilieninvestitionen stärker zu Aufwertungen können schnell zu sozialen Verdrän- lenken und sozial verträglicher zu gestalten, machte die gungsprozessen und darüber zu sozialen Spannungen Stadt 1998 mit dem ersten Hochhausentwicklungsplan führen, wie der »Häuserkampf« der frühen 1970er Jah- sowie mit städtebaulichen Aufl agen, dass für jeden Bü- re im Frankfurter Westend belegt. Es bleibt auch weiter- robau auch eine vereinbarte Anzahl an Wohnungen zu hin unklar, wie sich die Stadt den Gestaltungsspielraum errichten ist. Ob und wie eine solche Strategie langfris- zurückholen will, den sie über praktizierte Liberalisie- tig erfolgreich sein kann, bleibt jedoch abzuwarten. 

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Herausforderung Integration Wie ein Monitoringsystem die Eingliederung von Migranten in Arbeitsmarkt und Bildungssystem unterstützen kann

Migranten sind in Deutschland weniger in den Arbeitsmarkt integriert als ihre deutschen Mitbürger; daran haben von Christa Larsen, auch Integrationsprogramme der vergangenen Jahre wenig geändert. Warum schlagen diese so häufi g fehl? Es Vera Neisen und mangelt politischen Entscheidern und kommunalen Verwaltungen oft an passgenau aufbereiteten Hintergrundin- Alfons Schmid formationen, um Fördermaßnahmen erfolgreich umsetzen zu können. Der »Hessische Monitor Arbeitsmarkt und Migration« (HeMonA), entwickelt vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK), setzt an diesem Punkt an, sorgt mit seinem webbasierten nutzerorientierten Informationssystem für mehr Transparenz zur Situation von Migranten auf kommunalen Arbeitsmärkten und hilft damit, deren Integration zu verbessern.

ls mit der Anwerbung von Gastarbeitern in den maßgeblich zur Pluralisierung der Gesellschaft beitrug A1960er und 1970er Jahren Migranten aus Italien, (Worbs / Friedrich, 2008). Heute haben 15 Prozent der Spanien, Portugal, Griechenland und später auch aus Bevölkerung in Deutschland einen Migrationshinter- der Türkei nach Deutschland kamen, war den wenigs- grund, sind also entweder selbst Zuwanderer oder in ten politisch Verantwortlichen bewusst, wie nachhal- Deutschland geborene Nachkommen. In Ballungsräu- tig sich die Gesellschaft durch die Zuwanderung verän- men wie im Rhein-Main-Gebiet liegen die Anteile so- dern sollte. Schien es erst so, als kämen ausländische gar deutlich über 30 Prozent. 1 2 In der Altersklasse Arbeitskräfte nur für kurze Zeit, verlagerten viele bald der 5- bis unter 20-Jährigen haben bundesweit bereits ihren Lebensmittelpunkt dauerhaft nach Deutschland 27 Prozent einen Migrationshintergrund (Statistisches und holten auch ihre Familien nach. In den 1990er Bundesamt 2009). Jahren gab es eine weitere starke Zuwanderung von Trotz dieser Veränderungen in der Bevölkerungs- Flüchtlingen, Aussiedlern und Arbeitsmigranten, was struktur ist die Integration der Migranten erst seit we-

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1 Anteile der Bevölkerungsanteil mit Migrations- Migranten an der hintergrund in deutschen Städten in % Wetteraukreis Gesamtbevölke- 1 Frankfurt 38 % Frankfurt rung: Auf Platz 1 Maintaunus-Kreis Hoch- am Main 2 Stuttgart 36 % taunus- der größten deut- 3 Nürnberg 32 % Kreis Main-Kinzig- schen Städte liegt 4 München 31 % Rheingau- Offenbach Kreis Frankfurt (38 Pro- 5 Düsseldorf 29 % Taunus- am Main zent), dicht ge- 6 Hannover 29 % Kreis folgt von Stuttgart 7 Köln 29 % Unter 10% (36 Prozent); am 8 Wuppertal 29 % Kreis Offenbach 10% bis unter 15% Ende der Skala 9 Bielefeld 27 % Wiesbaden Kreis die sächsischen 15% bis unter 20% 10 Bonn 27 % Groß- Kreis Städte Dresden 11 Dortmund 26 % Gerau Darmstadt- 20% bis unter 25% und Leipzig. 12 Bremen 25 % Dieburg 25% und mehr [Quelle: Woellert, 13 Duisburg 25 % Darmstadt Franziska u. a. 14 Hamburg 24 % Odenwald- 2009] 15 Berlin 22 % Landkreis Kreis 16 Bochum / Herne 22 % Bergstraße 17 Heidelberg / Mannheim 20 % 18 Essen 18 % 19 Dresden 10 % 20 Leipzig 9 %

nigen Jahren stärker in den Fokus von Politik und 2 Das Rhein-Main-Gebiet zählt zu den Regionen in Deutsch- Öffentlichkeit gerückt. Zwar haben viele der Zuge- land, in denen in den vergangenen Jahrzehnten die höchste wanderten und ihre Nachkommen längst ihren Platz Zuwanderung zu verzeichnen war. Fast jeder vierte Bürger in in unserer Gesellschaft gefunden; gleichwohl sind die Frankfurt hat einen ausländischen Pass. Weitere 13 Prozent, und damit rund 38 Prozent insgesamt, haben die deutsche Integrationsprobleme in den zurückliegenden Jahren Staatsangehörigkeit und einen Migrationshintergrund, sind zum Teil größer geworden. Insbesondere in der zwei- also entweder selbst zugewandert oder ihre Eltern. Auch die ten und dritten Generation der Zuwandererfamilien umliegenden Kreise und kreisfreien Städte im Rhein-Main- besteht ein erheblicher nachzuholender Integrations- Gebiet sind geprägt von einem hohen Migrantenanteil. Die bedarf. So ist die Abhängigkeit des Bildungserfolges Stadt Offenbach weist einen Ausländeranteil von über 25 Pro- von sozialer Herkunft und Migrationshintergrund in zent auf. Auch in ländlicher geprägten Kreisen, wie dem Kreis Deutschland im OECD-Vergleich besonders ausgeprägt. Offenbach, sind die Anteile mit 12,4 Prozent hoch. [Quelle: Hessisches Statistisches Landesamt 2009] Überdurchschnittlich viele Jugendliche mit Migrations- hintergrund verlassen die Schule ohne Abschluss; auf Gymnasien und Universitäten sind sie nur unterdurch- Jahren eine ganze Reihe von Aktivitäten und Förder- schnittlich vertreten (Böhmer et al. 2009). Diese Zah- programmen angestoßen, und in vielen Städten, Ge- len schlagen sich auch in der Arbeitsmarktsituation von meinden und Kreisen des Rhein-Main-Gebiets hat die Migranten nieder. Ihre Arbeitslosenquote liegt in der Frage, wie Migranten in den Arbeitsmarkt und das Bil- Regel deutlich über, ihre Erwerbsbeteiligung dagegen dungssystem der jeweiligen Kommune integriert wer- unter der der einheimischen Bevölkerung. 3 Migran- den können, inzwischen eine hohe politische Priorität. ten sind im Rhein-Main-Gebiet außerdem überdurch- Diese besteht gerade vor dem Hintergrund, dass die In- schnittlich häufi g in Niedriglohn-Branchen beschäftigt, tegration in den Arbeitsmarkt die soziale und politische etwa im Gastgewerbe, wo fast 30 Prozent der Beschäf- Integration nach sich zieht und sich Arbeitsmarktinteg- tigten einen Migrationshintergrund haben. 4 ration somit als Motor der Integration erweist. Um die Situation von Migranten vor allem auf dem Die Arbeitsmarktzahlen belegen, dass noch erhebli- Arbeitsmarkt zu verbessern, wurde in den vergangenen che Anstrengungen erforderlich sind. Zentrale Bedeu- tung kommt vor allem arbeitsmarktpolitischen Maß- nahmen zu, die die Situation der Migranten vor Ort % Arbeitslosenquote effi zient verbessern. Ein markantes Defi zit besteht da- 20 insgesamt 19% Ausländer rin, dass die Datenlage, über die die meisten Kommu- 18 18% nen bisher verfügen, keinen systematischen und um- fassenden Überblick über die Situation der Migranten 16 15% 15% auf dem jeweiligen kommunalen Arbeitsmarkt geben. 14 14% 12% So sind beispielsweise weder die Qualifi kationen der 12 Migranten bekannt, noch die Antwort auf die Frage, 10 9% welche Qualifi kationen auf dem Arbeitsmarkt nach- 8% 8 7% gefragt werden, ob also Nachfrage und Angebot über- 6% 6 einstimmen oder ein Mismatch zwischen Angebot und Nachfrage besteht. 4 2 3 Nur rund 11 Prozent aller Beschäftigten im Rhein-Main-Ge- biet sind Migranten. Ihre Arbeitslosenquote liegt in der Regel 0 Frankfurt Kreis Stadt Wiesbaden Main- über der der einheimischen Bevölkerung, wie Arbeitslosenquoten Offenbach Offenbach Kinzig- aus dem Jahr 2008 aus einigen Kreisen und kreisfreien Städ- Kreis ten des Rhein-Main-Gebietes zeigen. [Quelle: Baden, Christi- an/Schmid, Alfons 2009; Bundesagentur für Arbeit 2009]

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Verarbeitendes Gewerbe 11,2% Baugewerbe 11,4% 8,2% Handel 29,7% Gastgewerbe

Verkehr und Nachrichten 12,2%

Dienstleistungen für Unternehmen 13,3%

Kreditinstitute und Versicherungen 2,8%

Öffentliche Verwaltung, Verteidigung, Sozialversicherung 2,4%

Erziehung und Unterricht 6,4%

Gesundheits-, Veterinär- und Sozialwesen 11,9%

Sonstige Dienstleistungen 7,8% gesamt 10,5%

0% 5% 10% 15% 20% 25% 30%

Unspezifi sche Daten 4 Migranten sind überdurchschnittlich häufi g in Niedriglohn- erschweren Kommunen Orientierung Branchen vertreten, etwa im Gastgewerbe, wo fast 30 Prozent Typische Datenprobleme entstehen zum Beispiel da- der Beschäftigten einen Migrationshintergrund haben. Im Öf- durch, dass die Mikrozensusdaten des Hessischen Sta- fentlichen Dienst liegen ihre Anteile dagegen unter 3 Prozent. Rund 40 Prozent aller beschäftigten Migranten in der Region tistischen Landesamtes (1-prozentige Haushaltsstich- Rhein-Main verfügen über keine abgeschlossene Berufsausbil- probe) zwar ausweisen, über welche Qualifi kationen dung und haben damit ein höheres Risiko, in die Arbeitslosig- Personen mit Migrationshintergrund verfügen und keit abzudriften. In dieser Grafi k wird der Anteil der beschäftig- auch in welchen Branchen sie besonders gute Einmün- ten Migranten in der Region Rhein-Main 2008 nach Wirtschafts- dungschancen haben, jedoch nur auf Landesebene. Für zweigen dargestellt. [Baden, Christian / Schmid, Alfons 2009] die Kommunen bleibt damit die Frage unbeantwortet, inwieweit sich die Landesergebnisse auf ihren Bereich Diese Informations- und Datenprobleme bezüglich übertragen lassen. Nicht eingeschätzt werden kann zu- adäquater Informationen über die kommunale Arbeits- dem, wie viele Migranten über die einzelnen Qualifi - marktsituation von Migranten werden durch ein regio- kationen verfügen und wie viele Unternehmen vor Ort nales oder kommunales Zielgruppenmonitoring syste- gute Beschäftigungschancen für Migranten bieten. Da- matisch verbessert. Monitoring ist dabei ein Verfahren, mit liefern die Mikrozensusdaten keine adäquate Pla- mit dem für die Akteure vor Ort solide Planungsda- nungsgrundlage für kommunale Integrationsmaßnah- ten erzeugt und kontinuierlich fortgeschrieben wer- Fast 30 Prozent men. Das Hessische Statistische Landesamt bietet zwar den. Somit können sie nicht nur adäquate Maßnah- der Kinder und kommunale Sonderauswertungen zu ausländischen Ju- men planen, sondern auch im Zeitverlauf verfolgen, ob Jugendlichen in gendlichen im Übergang von Schule und Beruf an. Al- ihre Maßnahmen tatsächlich greifen. Deutschland ha- lerdings stehen in den meisten Kommunen keine zeit- ben einen Migrati- lichen, personellen und materiellen Ressourcen zur Zielgruppenmonitoring: Mehr Transparenz onshintergrund. In der Rhein-Main- auf kommunalen Arbeits- und Bildungsmärkten Verfügung, um regelmäßig solche Sonderauswertungen Region sind es in zu beauftragen und anschließend zu interpretieren und Regionales und kommunales Zielgruppenmonito- manchen Schulen in die kommunalen Informationskanäle einzuspeisen. ring ist ein innovatives Instrumentarium, das vom In- mehr als 80 Pro- Auch von der Bundesagentur für Arbeit können stitut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) an der zent der Schüler. die Kommunen Daten erhalten, die sich ausschließ- lich auf ihre Kommune beziehen und damit die Ar- beitsmarktsituation vor Ort abbilden. Schwierig ist bei diesen Daten, dass sie nicht spezifi sch zwischen Deut- schen und Ausländern unterscheiden und damit auch keine soliden Kenntnisse über die spezifi sche Arbeits- marktsituation von Migranten vermitteln können. Die Bundesagentur für Arbeit bietet Sonderauswer- tungen zur Beschäftigung, zur Arbeitslosigkeit und zu arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen an. Aber auch hier verhindern die Ressourcenbeschränkungen ei- nen kontinuierlichen Rückgriff auf solche Daten. Die wenigen Kommunen, die bisher punktuell auf solche Sonderauswertungen zurückgegriffen haben, sehen sich zudem damit konfrontiert, dass es statistisch-me- thodischer Kenntnisse bedarf, um verschiedene Daten- bestände miteinander zu verknüpfen, die dann eine solide kommunale Planungsgrundlage darstellen.

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Goethe-Universität und Partnern aus dem European Network of Regional Labour Market Monitoring seit 2006 konzeptionell und statistisch entwickelt sowie in Deutschland, den Niederlanden, Österreich und in Tschechien erprobt wurde. Die wesentliche Funktion des Monitorings ist es, Transparenz zu schaffen, indem passgenaue Daten beziehungsweise Informationen er- zeugt und an die Akteure vor Ort kommuniziert wer- den. Passgenau sind Daten dann, wenn sie tatsächlich jene Informationsbereiche abdecken, die die Akteure vor Ort benötigen und wenn zudem auf diese Daten di- rekt von den Nutzern, wann immer sie diese brauchen, zugegriffen werden kann, ohne dass dies einen wesent- lichen Mehraufwand innerhalb der regulären Arbeits- Wer einen Ausbil- prozesse bedeutet. Solch eine Spezifi kation des Monito- dungsplatz be- rings, bei der die kommunalen Informationsnutzer und kommt, hat gute deren Bedarfe im Zentrum stehen, wird in den aktuel- Chancen, sich zu len Monitoringsdiskursen im Bereich der empirischen integrieren. Vor- aussetzung ist Arbeitsmarkt- und Bildungsforschung als wesentliche allerdings ein er- Innovation betrachtet (vgl. Larsen et al. 2009). folgreicher Schul- Durch die Nutzer- und Nachfrageorientierung wird abschluss. die immer noch verbreitete Angebotsausrichtung we-

sentlich infrage gestellt. Denn konzeptionell und in der Folge auch in der Praxis wird von Relevanz sein, wie Informationsangebote (beispielsweise wissenschaftli- che Studien, Expertisen und Datenreporte) tatsächlich von Akteuren in der Praxis genutzt werden (können). Dabei ist nicht nur die inhaltliche Passung zwischen den angebotenen Informationen und den Informati- onsbedürfnissen der Nutzer wichtig, sondern auch, wie Informationen tatsächlich die Nutzer erreichen. Diese Fragestellungen sind wesentliche Grundlagen für ei- nen Prozess des Umdenkens von einer angebots- zu ei- ner nachfrageorientierten Informationserzeugung, die für das Feld der empirischen Forschung und der sozi- alwissenschaftlichen Politikberatung von zunehmend großer Bedeutung sein wird. Kommunale Monitoringansätze können inhaltlich auf verschiedene Bereiche wie Arbeitsmarkt, Bildungs- system oder Wirtschaft ausgerichtet sein, oder es ste-

Das »European Network of Regional Labour Market Monitoring«

m Frühjahr 2006 wurde das European Regionales Arbeitsmarktmonitoring internationalen Kooperation im Netz- INetwork of Regional Labour Market erzeugt und verbreitet Informationen, werk. Monitoring von circa 30 Wissenschaft- um die Wissens- und Handlungsbasis re- Innerhalb des Netzwerkes wurde lern, Vertretern aus Verwaltungen und gionaler Arbeitsmarktakteure zu verbes- 2008 ein europäisches Forschungskon- Beratern aus zehn europäischen Staaten sern. Dadurch können diese zielgerichtet sortium gegründet, das gemeinsame an der Universität Frankfurt gegründet. entscheiden und handeln, wodurch sich Programme zur wissenschaftlichen Inzwischen gehören dem Netzwerk 400 die Effi zienz und Effektivität regionaler Zusammenarbeit in diesem Feld entwi- Einzelpersonen aus 20 europäischen Arbeitsmärkte und Arbeitsmarktpolitik ckelt. Beteiligt sind Wissenschaftler aus Ländern an. Die Koordination des Netz- erhöht. Im Netzwerk werden Konzepte der Universita di Roma La Sapienza, der werks liegt derzeit beim Institut für und Methoden entwickelt und empirisch University of Lodz, der Napier University Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK), erprobt. Zielsetzung aller Aktivitäten ist in Edinburgh, der Université de Caen, einem Zentrum für anwendungsbezoge- es, Konzepte und Instrumente zu spe- der Paul-Lazarsfeld-Gesellschaft Wien ne Forschung und wissenschaftliche Po- zifi zieren, die europaweit genutzt wer- und der Universität Frankfurt. litikberatung an der Goethe-Universität. den können. Der im Projekt »Hessischer Projekte innerhalb des Netzwerkes wer- Mo nitor Arbeitsmarkt und Migration« den mit Mitteln der europäischen Union (HeMonA) verfolgte Projektansatz ist www.iwak-frankfurt.de gefördert. beispielsweise ein Produkt einer solchen www.regionallabourmarketmonitoring.net

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hen einzelne sozial- und arbeitsmarktpolitisch rele- vante Zielgruppen wie Migranten, Ältere, Frauen oder Behinderte im Fokus. Je nach Thematik sind vor Ort Bewertung eines strategischen Nutzers unterschiedliche Informationsnutzer auszumachen. Der Kreisbeigeordnete Carsten Müller aus dem Kreis Offenbach Derzeit liegen gut erprobte Konzepte zum Branchen- gehört zu den strategischen Nutzern des »Hessischen Mo nitor monitoring vor. Jüngeren Datums ist der Ansatz des Arbeitsmarkt und Integration« (HeMonA). Den Nutzen des Inst- Zielgruppenmonitorings. Dieser wurde in den vergan- ruments für seinen Kreis beschreibt er so: »Das Monitoringsys- genen Jahren in von der EU geförderten Projekten auf tem bringt uns vor Ort Klarheit darüber, wer, wann, wie geför- die arbeitsmarkt- und bildungspolitisch relevante Ziel- dert und vermittelt werden kann. Die Datenbasis gibt uns gruppe Migranten hin konzipiert. Das Institut für Wirt- beispielsweise die Möglichkeit, genauer als bisher über Erforder- nisse und die Anzahl von Kursen zur Förderung von Migranten schaft, Arbeit und Kultur (IWAK) war wesentlich in zu entscheiden. Wir wissen exakt, wo Schwachstellen liegen diese Entwicklung eingebunden und soll nun in Hes- und wo Fort- und Weiterbildungsbedarf besteht. Wir können sen, orientiert an diesem Ansatz, ein kommunal orien- also Angebot und Maßnahmen gezielt auf die speziellen Gegebenheiten vor Ort tiertes Intergrationsmonitoring aufbauen. abstimmen. Das spart Zeit und Kosten. Wir wissen nämlich, dass wir beispielswei- se bei der Sprachförderung für Frauen mehr Kurse anbieten müssen und auf ei- Das Pilotprojekt: Hessischer Monitor nem anderen Gebiet weniger.« Auch die operative Seite hat laut Carsten Müller Arbeitsmarkt und Integration (HeMonA) viel von dem System: »Unser Arbeitgeberservice nutzt das Monitoringsystem. Es macht Stärken und Nachholbedarf konkret und gibt uns die Möglichkeiten, gezielt Seit Sommer 2008 hat das IWAK im Auftrag des Arbeitgeber anzusprechen, die Arbeitnehmer mit den bei den Menschen mit Mig- Hessischen Ministeriums für Arbeit, Familie und Ge- rationshintergrund vorhandenen Stärken, beispielsweise deren Mehrsprachigkeit, sundheit die Entwicklungsarbeiten für ein kommu- zu schätzen wissen. Das Monitoringsystem ist also ein konkretes Hilfsmittel zur nal orientiertes Integrationsmonitoring im Landkreis Justierung von Angebot und Nachfrage bei Fort-, Weiterbildung und bei der Ver- Offenbach aufgenommen. Ziel ist es zunächst, in die- mittlung von Menschen mit Migrationshintergrund in den ersten Arbeitsmarkt, und ser hessischen Pilotregion ein nutzer- und nachfrage- wir schaffen damit letztlich bessere Chancen für gesellschaftliche Teilhabe!« orientiertes Monitoring für die Zielgruppe Migranten zu entwickeln und bis Ende 2009 in den Dauerbetrieb zu überführen. Das Projekt hat den Titel »Hessischer Diese unterschiedlichen Akteure haben einen spezi- Monitor Arbeitsmarkt und Integration« (HeMonA). fi schen Informationsbedarf, der mit moderierten Grup- Vorgesehen ist, solch ein Zielgruppenmonitoring an- pendiskussionen eruiert wurde. Solche Diskussionen schließend auf andere hessische Kreise und kreisfreie haben sich als geeignetes Instrument erwiesen, da viele Städte zu übertragen und idealerweise bis Ende 2010 der potenziellen Nutzer zunächst ihre genauen Infor- fl ächendeckend in Hessen zu implementieren. Damit mationsbedarfe nicht benennen konnten (Larsen, Christa / wäre Hessen das erste Bundesland mit einem fl ächen- Mevius, Marco / Schmid, Alfons, 2009; Larsen, Christa / deckenden kommunalen Zielgruppenmonitoring. Neisen, Vera / Mathejczyk, Waldemar /Schmid, Alfons Langjährige Erfahrungen des Instituts für Wirtschaft, 2009; Larsen, Christa / Mathejzyk, Waldemar /Kipper, Arbeit und Kultur (IWAK) mit dem Aufbau und der Jenny / Schmid, Alfons 2008). Erst im Diskurs über die Implementation von Monitoringsystemen haben ge- jeweiligen Handlungsfelder und Entscheidungssituatio- zeigt, dass sich internetbasierte Informationssysteme nen kristallisierten sich Einzelthemen heraus: Beschäf- zur Durchführung von Monitoring sehr gut eignen. Ne- tigungssituation, Arbeitslosigkeit, jugendliche Migran- ben der systematischen Nutzerperspektive ist der Rück- ten (spezifi sche Situationen beim Übergang von Schule griff auf ausschließlich elektronische Daten ein weiteres ins Erwerbsleben), nachgefragte und vorhandene Qua- innovatives Element in diesem Projekt. Damit die in- lifi kationen, Migrantenunternehmen (Beschäftigungs- ternetbasierte Entwicklung und Umsetzung eines Ziel- möglichkeiten und arbeitsmarktpolitische Fördermaß- gruppenmonitorings mit hohen Qualitätsstandards in nahmen). Hessen durchgeführt werden kann, kooperiert das Insti- tut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) mit einem Das Institut für Wirtschaft, Arbeit der in Deutschland führenden Entwickler von Monito- ring-Applikationen, dem Forschungszentrum Informa- und Kultur (IWAK) tik (FZI) an der Technischen Universität Karlsruhe. Am Beginn der Spezifi kation steht die Frage nach as Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) ist ein Zen- den potenziellen Informationsnutzern vor Ort. Dabei Dtrum für angewandte Forschung und wissenschaftliche Politik- kommt eine Reihe von strategischen und operativen beratung der Goethe-Universität. Sein Ziel ist die Nutzung wissen- Akteuren in den Blick, die in den Kommunen die In- schaftlicher Erkenntnisse und Methoden, um Fragestellungen aus tegration von Migranten direkt beeinfl ussen. Die stra- den Bereichen Arbeitsmarkt und regionale Wirtschaftsentwicklung tegischen Akteure entscheiden in ihren Funktionen zu lösen und praxisrelevante Entwicklungen und Probleme in den als Politiker, als Leitungen von Verwaltungseinheiten, wissenschaftlichen Diskurs rückzukoppeln. Das IWAK forscht inter- disziplinär und partizipativ, bindet also die Akteure aus Politik und aber auch als Verbandsvertreter (Industrie- und Han- Wirtschaft und deren Bedürfnisse stark in seine Arbeit ein. delskammern, Gewerkschaften, Migrantenorganisa- Zwölf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus unter- tionen) über die kommunalen Rahmenbedingungen schiedlichen Disziplinen der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften für den Arbeitsmarkt; dazu gehören auch Fördermaß- kooperieren mit nationalen Partnern wie dem Bundesinstitut für nahmen, Informationskampagnen und gezielte Bera- berufl iche Bildung (BIBB) und dem Institut für Arbeitsmarkt- und tungsangebote. Demgegenüber agieren die operativen Berufsforschung (IAB) und beteiligen sich an internationalen Ko- Akteure direkt auf dem kommunalen oder regionalen operationen wie dem 2006 gegründeten »European Network of Re- Arbeits- und Bildungsmarkt – etwa als Arbeitsvermitt- gional Labour Market Monitoring«. ler, Bildungsanbieter, Schulleiter und Lehrer, Eltern, Schüler, Arbeitslose oder Unternehmensvertreter.

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5 Über die Menüpunkte der dargestellten Themenbereiche Wichtig für die Akzeptanz und Nutzung der bereit- Beschäftigung, Arbeitslosigkeit, Jugendliche, Migrantenunter- gestellten Informationen sind die Informationsforma- nehmen und Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen gelangt man te, denn Nutzer greifen erfahrungsgemäß nur dann auf zu den nach Merkmalen wie Geschlecht, Alter oder Bildungs- Monitoringinformationen zurück, wenn diese schnell niveau differenzierten Daten. Nutzer können die Tabellen und Grafi ken als pdf- oder Excel-Dokumente herunterladen, diese und im richtigen Zuschnitt zur Hand sind. Umfangrei- unverändert in eigene Dokumente integrieren oder sogar selbst che Tabellenbände, andere Printmedien oder komplexe bearbeiten. Die verfügbaren Indizes stellen den Anteil der Mi- Datenbanken gelten als wenig fl exibel und schwer zu- granten in einem Themenbereich – beispielsweise Beschäfti- gänglich. Elektronische Informationen, die über das In- gung – ins Verhältnis zum Anteil der Migranten an der Gesamt- ternet orts- und zeitunabhängig abrufbar sind, erweisen bevölkerung eines Kreises. Im dargestellten Beispiel aus dem sich als passfähiger. Je geringer der Aufwand, desto hö- Themenbereich Beschäftigung liegt der Index-Wert für die so- her ist die Akzeptanz und damit die Nutzungsfrequenz. zialversicherungspfl ichtig Beschäftigten Migranten im Kreis Offenbach unter 0 – die Gruppe der Migranten insgesamt ist Die Oberfl äche der Internetplattform »HeMonA« ist in diesem Bereich also unterrepräsentiert und damit schlech- nutzerfreundlich gestaltet, so dass eine einfache und ter integriert. Differenziert nach Geschlecht schneiden die idealerweise intuitive Orientierung erfolgen kann. Um männlichen Migranten allerdings deutlich besser ab als die dies zu ermöglichen, wurde zunächst ein Prototyp ge- weiblichen. baut, der mit potenziellen Nutzern getestet und an- schließend gemäß ihrer Bedürfnisse modifi ziert wurde. Einblicke in die Die Daten, die auf der Internetplattform für die Nut- Berufswelt: Ein zer vorgehalten werden, stammen aus Sonderauswer- Praktikum wäh- tungen. Dabei werden die Daten mit Merkmalen wie rend der Schulzeit erleichtert oft die Geschlecht, Alter, Bildungsniveau kombiniert, wie sie Suche nach einer bisher sonst nicht öffentlich und kostenfrei zugänglich Lehrstelle. sind. 5 Die Daten werden thematisch gebündelt und statistisch harmonisiert, so dass die Nutzer einfach inter- pretierbare Informationen erhalten. Für einen schnel- len Überblick ist jeder Themenbereich durch einen zen- tralen Index dargestellt, an dem sich ablesen lässt, ob die Gruppe der Migranten in diesem Bereich gut integ- riert ist oder nicht. In der langjährigen Betrachtung las- sen sich daran einfach Entwicklungstrends ablesen. Nach dem Ende der Pilotphase wird das System in die Verantwortung des Kreises übergeleitet. Dieser bringt es in Dauerbetrieb und sorgt für regelmäßige Datenup- dates. Da das System modular aufgebaut ist, kann der Kreis Offenbach weitere Themen wie soziale und politi- sche Partizipation in sein Monitoringssytem integrieren und zu einem umfassenden kommunalen Integrations- monitoring ausbauen. Auch wenn sich die Informati-

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onsbedarfe zu den Themen Arbeitsmarkt und Bildung Literatur zukünftig verändern sollten, können entsprechende Baden, Christian / konzept zur Arbeits- Neisen, Vera krozensus 2007 Modifi kationen einfach vorgenommen werden. Schmid, Alfons marktintegration (2008) A Web- Fachserie 1, Rei- (2009) Beschäfti- von Migrantinnen Based Information he 2.2. Perspektive – webbasiertes gung von Migranten und Migranten für Platform as Means Integrationsmonitoring in der Region europäische Regio- for Communicating Woellert, Franzis- in hessischen Kommunen Rhein-Main nen und seine Um- Information in the ka u. a. (2009) Das in Hessen entwickelte webbasierte kommuna- IWAK-Betriebsbe- setzung im Kreis Process of Target Ungenutzte Potenzi- le Integrationsmonitoring erweitert die in den letzten fragung im Herbst Offenbach. Ein For- Group Monitoring ale. Zur Lage der 2008. schungsprojekt für In: Larsen, Chris- Integration in Jahren auf Bundesebene und in einzelnen Bundes- die Praxis Frank- ta / Mathejzyk, Deutschland Ber- ländern entwickelten Integrationsmonitoringansät- Böhmer, Maria furt am Main. Waldemar/Kipper, lin-Institut für ze um zwei wesentliche Aspekte. Zum einen kann u. a. (Hrsg.) Jenny / Schmid, Bevölkerung und Monitoring für alle und mit allen Kommunen eines (2009) Herausfor- Larsen, Christa / Alfons (Hrsg.) Entwicklung. Bundeslandes betrieben werden, so dass über Aggre- derung Integration Mathejzyk, Wal- (2008) Target Berlin. gation gleichzeitig Informationen auf Landesebene Redemanuskript demar / Kipper, Group Monitoring vorliegen. Dies ist bisher in keinem Bundesland ge- zur Veranstal- Jenny / Schmid, in European Re- Worbs, Susanne, tungsreihe der Alfons (Eds.) gions Empirical Friedrichs, Lena geben, insoweit ist Hessen auch hier Vorreiter. Zum Konrad-Adenau- (2008) Target Findings and (2008) Integrati- anderen wird durch den Rückgriff auf den im euro- er-Stiftung, Berlin. Group Monitoring Conceptual onsberichterstattung päischen Kontext entwickelten Zielgruppen-Monito- in European Approaches, in Deutschland. ringansatz das erste nachfrage- und nutzerorientiert Larsen, Christa/ Regions. Empirical S. 96–99. Eine Bestandsauf- ausgerichtete Integrationsmonitoring in Deutsch- Mevius, Marco/ Findings and Con- nahme In: Sozial- land implementiert. Von den Rückmeldungen der Kipper, Jenny/ ceptual Approaches Siegert, Manuel wissenschaften Kommunen, wie sie mit diesem Montoring arbeiten, Schmid, Alfons München. (2006) Integrati- und Berufspraxis, (Eds.) (2009) onsmonitoring – 02 / 2008, werden in den kommenden Jahren wesentliche in- I nformationsystems Neisen, Vera State of the Art in S. 250 – 269. haltliche Impulse für die Weiterentwicklung der In- for Regional Labour (2009) In der Pilot- internationaler Per- tegrationsberichterstattung und des Integrations- Markets State of phase: Das Projekt spektive Studie im monitorings des Bundes und anderer Bundesländer the Art and HeMonA – Hessi- Auftrag des Bun- erwartet. In Hessen wird die fl ächendeckende Ein- Perspectives. scher Monitor Ar- desamtes für Mig- führung dieses nutzerorientierten Integrationsmoni- München. beitsmarkt und Mi- ration und Flücht- torings in Kreisen und kreisfreien Städten Transpa- gration. Umsetzung linge (Bamf). Larsen, Christa / eines Monitoring- Nürnberg. renz schaffen, die hilft, Maßnahmen und Strategien Neisen, konzepts im Kreis Statistisches Bun- effi zienter einzusetzen, als dies in der Vergangenheit Vera / Mathejczyk, Offenbach In: Mig- desamt (2009) Be- möglich war. Damit dürfte eine wesentliche Voraus- Waldemar / ration und Soziale völkerung mit Mig- setzung erfüllt sein, um die Integration von Migran- Schmid, Alfons Arbeit Im Erschei- rationshintergrund ten in den Arbeitsmarkt zu verbessern.  (2009) Monitoring- nen. – Ergebnisse des Mi-

Die Autoren

Dr. Christa Larsen, 47, studierte Soziologie, Politische Wis- senschaften und Volkswirtschaftslehre in Deutschland und den USA. Sie beschäftigt sich wissenschaftlich intensiv mit komplexen statistischen Verfahren und Modellen (beispiels- weise Strukturgleichungsmodelle und Mehrebenen modelle). Seit vielen Jahren ist sie darüber hinaus in der empirischen Forschung tätig und verfügt über umfangreiche internationa- le Expertise im Bereich allgemeine und berufl iche Bildung, Sozialisation, Geschlechterverhältnisse und Gesundheitswirt- schaft. Sie initiiert nationale und internationale Forschungs- und Arbeitszusammenhänge, berät Politik in Fragen des re- gionalen Arbeitsmarktmonitorings und der Pfl ege. Seit 2008 ist sie Geschäftsführerin des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK). Prof. Dr. Alfons Schmid, 66, seit 1981 Professor für Wirtschaft Vera Neisen, 28, studierte Humangeografi e sowie Soziologie am Fachbereich Gesellschaftswissenschaften und wissen- und Betriebswirtschaftslehre im Nebenfach an der Universität schaftlicher Direktor des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Trier, Universidad Complutense de Madrid und Humboldt- Kultur (IWAK) der Goethe-Universität. Seine Arbeits- und Universität zu Berlin mit den Schwerpunkten Stadt- und So- Forschungschwerpunkte sind Arbeitsmarkt, inbesondere Ar- zialgeografi e. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut beitsmarktsegmentation, technischer Wandel und Beschäf- für Humangeographie der Goethe-Universität hat sie an der tigung, regionale Wirtschafts- und Arbeitmarktentwicklung Erstellung des ersten Creative Industries Reports für die Stadt (regionale Monitoringsysteme), regionale Wettbewerbsfähig- Frankfurt mitgearbeitet. Seit 2008 ist sie am IWAK bei der keit, betriebliche Aus- und Weiterbildung sowie Einstellun- Entwicklung von regionalen Monitoringsystemen beteiligt und gen zum Sozialstaat. Er ist Mitglied in verschiedenen wis- forscht und berät zu den Themen Integration von Migrantin- senschaftlichen Vereinen und Koordinator des »European nen und Migranten und Integrationsmonitoring. Network of Regional Labour Market Monitoring«.

[email protected] [email protected] [email protected] www.iwak-frankfurt.de

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Proben für den Ernstfall: In Versuchen an Modellen testen Physiker, ob die geplante Beschleuniger-Architektur funktio- niert. Hier werden aus Kupfer angefertigte Komponenten des Modells zusammengesetzt und justiert. Durch die Mitte wird der Teilchenstrahl gehen. Den Geheimnissen der Materie auf der Spur Neue Denkfabrik für physikalische Grundlagenforschung

von Ingo Bei Darmstadt entsteht FAIR, eines der größten inter- Fröhlich, Marcus nationalen Forschungszentren für Physik. Durch das Bleicher und Gabriela Meyer von der Landesregierung geförderte Exzellenzzentrum »HIC for FAIR« erhält die Forschung in Hessen die einmalige Chance, sich direkt an globaler Spitzenfor- schung zu beteiligen: auf der Suche nach den letzten Geheimnissen der Materie.

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ie Durchführung von Experimenten kann sehr Welt so geworden ist, wie sie heute ist. Der Beschleu- Dlangwierig und komplex sein, wenn es um Grund- nigerkomplex ist dabei ähnlich aufgebaut wie beim be- lagenforschung über die innersten Bausteine der Ma- kannten Kernforschungszentrum CERN bei Genf in terie geht. Zu Zeiten von Galileo Galilei genügten noch der Schweiz: In unterirdischen Tunnels laufen die Be- einige Holzbretter und eine Kugel, um die Schwerkraft schleuniger, Wissenschaftler aus aller Welt nutzen die zu entdecken, eine der vier fundamentalen Kräfte des Anlagen und die Experimentiereinrichtungen, erfor- Weltalls. Der geniale Gelehrte besaß noch nicht ein- schen hier Dinge, die sie sonst nirgendwo auf der Erde mal eine Uhr, die genau genug war, um die Beschleu- erkunden können. Rund 3000 Forscher werden hier nigung der Kugel auf der schiefen Ebene zu messen. ständig arbeiten, zahlreiche Wissenschaftler für einige Wenn Physiker heute grundlegende Fragen über Monate oder immer wieder zu Gast sein. FAIR wird ein den Aufbau des Weltalls und der Materie klären wol- internationaler Fokus der Wissenschaft, der vielen Wis- len, dann brauchen sie dazu riesige, komplexe Anla- senschaftlern zu neuen Erkenntnissen verhelfen wird. gen, dann arbeiten an jedem Experiment Dutzende Solch ein Forschungsmagnet der Physik in Hessen von Forschern mit Hunderten von Technikern zusam- ist keine Vision mehr, sondern eine sich entwickeln- men, suchen die schnellsten Computer in gewaltigen de Realität, die schon begonnen hat. Fünfzehn Staa- Datenmengen nach seltenen, interessanten Ereignis- ten haben Ende 2007 den Vertrag zu Bau und Finan- sen, aus denen sich die Wissenschaftler ihre Antwor- zierung von FAIR unterzeichnet, die Bundesrepublik ten erhoffen. Selbst vor kleinen Entdeckungen steht und das Land Hessen selbst übernehmen 75 Prozent ein Berg von wissenschaftlicher Arbeit: theoretische der Kosten von insgesamt 1,2 Milliarden Euro. In fünf Vorüberlegungen, umfangreiche Planungen, Manage- Jahren soll der Beschleuniger in Betrieb gehen. Inzwi- ment von großen Teams, Simulationen der möglichen schen haben die Forscher mit den notwendigen Vorbe- Ergebnisse, Entwicklung und Optimierung von Hard- reitungen für die komplexen Experimente begonnen. ware und Software. Tausende von offenen wissenschaftlichen Detailfra- gen sind zu lösen, wenn schwere Ionen (elektrisch ge- Die Geheimnisse von Masse, Materie und Urknall ladene Atomkerne) und Wasserstoff-Atomkerne aus Am Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung Antimaterie in der unterirdischen Anlage nahezu auf GSI in Darmstadt ist man auf der Jagd nach neuen, Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und in den Spei- fundamentalen Geheimnissen der Materie. Hier ent- cherringen gesammelt, sortiert, neue Teilchen erzeugt steht in den kommenden Jahren eine der größten Ein- und schließlich in einem fokussierten Teilchenstrahl richtungen für physikalische Grundlagenforschung den Experimenten zugeführt werden sollen. Es gilt, weltweit, die internationale Anlage für Antiproton- das Versprechen von FAIR einzulösen: die beste Strahl- und Ionenforschung FAIR (Facility for Antiproton and qualität und die höchste Intensität weltweit für die Ex- Ion Research). Das ist eine komplexe Beschleuniger- perimente zu liefern. anlage mit mehreren Großexperimenten, von der sich Wissenschaftler Antworten auf Fragen erhoffen, etwa Eine Chance für die Region warum die Materie eine Masse hat, warum wir und Ein solches Großprojekt in Hessen, für das so vie- unsere ganze Welt überhaupt aus Materie bestehen, le wissenschaftliche Fragen zu lösen sind, ist eine rie- oder was genau beim Urknall passierte, dass unsere sige Chance für die physikalische Forschung in der

Gemeinsam international an der Spitze

it dem Helmholtz International Gegründet: Juli 2008 im Rahmen der MCenter for FAIR entsteht unter hessischen LOEWE-Initiative Koordination durch die Goethe-Uni- Fördersumme (derzeit): versität Frankfurt eine Ideenschmiede 15,5 Millionen Euro für das größte Forschungsprojekt Eu- ropas in der kommenden Dekade auf Charakteristika: dem Gebiet der physikalischen Grund- – Interdisziplinäre und interinstituti- lagenforschung, das neue Beschleu- onelle Vernetzung hessischer For- nigerzentrum für Antiprotonen- und schungseinrichtungen und internati- Ionen-Forschung. onaler Expertise; – Über 30 neue Professoren in Hessen Partnerinstitutionen sind: bis 2011; – Goethe-Universität Frankfurt – Exzellente Ausbildungsbedingungen (federführend), für Nachwuchsforscher; – Technische Universität Darmstadt, – Attraktives Gastwissenschaftler-Pro- – Justus-Liebig-Universität Gießen, gramm; – Frankfurt Institute for Advanced – Aufbau eines Höchstleistungsrech- Studies (FIAS), ners in Hessen; – GSI Helmholtzzentrum für – Aktive Frauenförderung; Das HADES-Spektrometer, das heute schon beim Schwerionenforschung, – Ein neues Gebäude für HIC for FAIR GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung – Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher ist auf dem Campus Riedberg der dem Geheimnis dichter Kernmaterie auf der Spur Forschungszentren. Goethe-Universität vorgesehen. ist, wird für das FAIR-Experiment aufgerüstet.

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Endkontrolle einer Bau der einmaligen Anlage geleistet werden, wo drei fertig ausgeschnit- Hochschulen des Landes und das FIAS an vorderster tenen Stütze, die Front die physikalischen Experimente vorantreiben später eine Drift- werden und zugleich Nachwuchsphysiker die Gelegen- röhre für den Teil- heit bekommen, sich inmitten internationaler Spitzen- chenstrahl des Modells beherber- forschung zu etablieren. gen wird. Florian In dieser Denkfabrik haben sich die Goethe-Univer- Dziuba und die sität Frankfurt, die Technische Universität Darmstadt, Mitarbeiter in der die Justus-Liebig-Universität Gießen sowie das Frank- feinmechanischen furt Institute for Advanced Studies (FIAS), das Helm- Werkstatt des Phy- holtzzentrum für Schwerionenforschung (GSI) und die sik-Instituts mon- Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren tieren jeweils vier Rippen auf eine zusammengeschlossen. HIC for FAIR schafft das opti- Stütze. male Umfeld zur Beteiligung all dieser Institutionen an einer international einzigartigen Anlage zur Erfor- schung der sogenannten Starken Wechselwirkung der

Ist alles in Ord- nung? Hier kali- brieren die Mit- arbeiter die Maschine und kontrollieren die Koordinaten an- hand des Kon- struktionsplans. Die CNC-Maschi- ne schneidet aus einem Aluminium- block einen Teil des Standfußes aus, auf dem das Modell sicher montiert werden kann.

Region. Um sie zu nutzen, hat das Hessische Ministe- Materie. Daneben gilt es, technische Kompetenzen auf rium für Wissenschaft und Kunst im Sommer 2008 in höchstem Niveau einzubringen: etwa in der Teilchen- der LOEWE-Initiative (Landes-Offensive zur Entwick- beschleunigung, der schnellen Mustererkennung oder lung wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz) die des Hochleistungsrechnens zur Simulation und für die Gründung eines neuartigen Zentrums, dem »Helm- Datenauswertung der geplanten Experimente. Außer- holtz International Center for FAIR« (HIC for FAIR) dem sind bei den Experimenten gigantische Daten- mit 15,5 Millionen Euro ermöglicht – als Denkfabrik mengen zu verarbeiten. Die dafür notwendige Compu- für das Forschungszentrum FAIR, wo Konzepte entwi- ter-Infrastruktur mit einigen zehntausend Prozessoren ckelt und unterstützende Forschungsarbeiten für den muss rechtzeitig entwickelt und verfügbar sein. Die Idee hinter HIC for FAIR ist, den Zugang zu die- sen Schlüsseltechnologien für die Partnerinstitutionen Exzellenz mit LOEWE sicherzustellen und Know-how zu bündeln. So werden in den nächsten Jahren mehr als 30 zusätzliche Profes- it der Landes-Offensive zur Entwicklung wissenschaftlich-ökono- suren eingerichtet, die sich einzig auf FAIR-relevante Mmischer Exzellenz, kurz »LOEWE«, legte Hessen im Sommer 2008 Physik und Technologie konzentrieren. Fünf Professu- erstmals ein eigenständiges Forschungsförderungsprogramm auf. Die- ren konnten bereits mit hochkarätigen Wissenschaft- ses wissenschaftspolitische Signal soll der hessischen Forschungsland- lern besetzt werden. Zudem lädt HIC for FAIR inter- schaft zukunftsweisende Impulse geben und sie so nachhaltig stärken. national renommierte Wissenschaftler ein, ihr Wissen Dabei werden die im Rahmen des Programms initiierten Kooperatio- als Gastprofessoren mit den Kollegen und mit den jun- nen zwischen den Hochschulen und den vom Land institutionell geför- gen Forschern in Hessen zu teilen. Bereits heute fi nden derten Forschungseinrichtungen dauerhaft verankert. Das unterschei- viele internationale Konferenzen im Rahmen von HIC det die Initiative von der üblichen Projektförderungspraxis. for FAIR statt, die den Austausch von Ergebnissen er- Die zu vergebenden Mittel sind eine Anschubfi nanzierung zur möglichen und die Zusammenarbeit der Forscher för- Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der hessischen Hochschulen und dern. Forschungseinrichtungen. In Zusammenarbeit und in Abstimmung mit den großen Forschungsorganisationen werden darüber hinaus die Internationale Expedition Voraussetzungen für die Ansiedlung weiterer Forschungseinrichtungen in wissenschaftliches Neuland geschaffen. Hand in Hand mit der Schaffung neuer Forschungsinfra- Dies stärkt wiederum die weltweite Zusammenar- struktur wird ein deutlicher Anstieg bei der Einwerbung von Forschungs- beit zwischen Experimentatoren, Entwicklern der Be- geldern anvisiert. schleunigeranlagen und theoretischen Physikern aus Hessen. Aber es geht nicht nur um die Wissenschaft-

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ler von heute, sondern auch um die besten Köpfe von a) morgen: HIC for FAIR ist auch an der Gründung der Helmholtz Graduate School for Hadron and Ion Re- search (HGS-HIRe for FAIR) beteiligt, die jungen Wis- senschaftlern auf dem Gebiet der FAIR-relevanten Physik eine strukturierte, interdisziplinäre Doktoran- denausbildung bietet. Die Graduierten erhalten die Möglichkeit, an Projekten mitzuarbeiten, die wissen- schaftlich an vorderster Front angesiedelt sind. Nukleonen Das ist auch notwendig, denn die Experimente an FAIR werden an die Wissenschaftler besondere Her- ausforderungen stellen. Wenn nämlich die Baustei- b) ne der Atomkerne bei derartigen Temperaturen und Druckverhältnissen zusammengepresst werden wie in den Experimentieranlagen in Darmstadt, entspricht dieser Materiezustand etwa den Verhältnissen wenige Augenblicke nach dem Urknall oder aber in Neutro- nensternen.

Feuerball und Asche Wie können die Eigenschaften solch extremer For- Hadronische Materie men von Materie untersucht werden? Zunächst einmal schießt man zwei Atomkerne mit c) hoher Energie aufeinander (Bild a). Dabei entsteht durch die Kollision kurzzeitig entweder ein sehr hei- ßer oder ein sehr dichter Kernmaterie-Zustand, je nach gewähltem Strahl und dessen Energie. Die Kernmate- rie, also die Bestandteile von Protonen und Neutronen, wird dabei derart stark zusammengedrückt, wie dies heute nur noch in Neutronensternen vorkommt. Es entsteht sogenannte »Hadronische Materie« (Bild b). Dieser extrem dichte Zustand (der »Feuer- Kurzlebige Teilchen ball«) besteht jedoch nur äußerst kurze Zeit, genauer gesagt etwa 10 – 23 Sekunden. Zum Vergleich: Im Ver- hältnis zur Dauer einer Sekunde ist das so wenig, wie = engl. Klebstoff) zusammengehalten werden, doch bis eine zehntausendstel Sekunde im Verhältnis zum Alter heute wurden nie einzelne Quarks oder Gluonen be- des Universums. Denn dann expandiert das verdichte- obachtet. Gelänge es, Protonen oder Neutronen aufzu- te System wieder und kühlt dabei ab. schmelzen, entstünde ein neuer Zustand der Materie Während des Abkühlvorganges entstehen Fragmen- aus freien Quarks und Gluonen. Physiker nennen ihn te und kurzlebige Teilchen, sozusagen die »Asche« des das Quark-Gluon-Plasma. Es existierte vielleicht Se- Feuerballs (Bild c). Im Detektor gilt es, den Weg die- kundenbruchteile nach dem Urknall oder im Inneren ser Teilchen aufzuzeichnen und möglichst vollständig von Neutronensternen, konnte bisher aber in Experi- ihre Sorte und Energie zu bestimmen. Aus diesem Bild menten noch nie eindeutig nachgewiesen werden. wird mithilfe theoretischer Modelle rekonstruiert, wel- Doch wie kann man mit Messgeräten nachweisen, che Eigenschaften die extrem verdichtete Materie hat- dass sich ein Quark-Gluon-Plasma gebildet hat? Ext- te und welche kurzlebigen Teilchen in dem Feuerball reme Zustände wie diese existieren nur für Milliardstel existiert haben könnten. Sekunden oder weniger, die Flugstrecke von typischen Ein Beispiel ist dabei der schon heute mit dem Teilchen, an denen man das gesuchte Quark-Gluon- HADES-Spektrometer untersuchte hochenergetische Plasma erkennen könnte, beträgt auch bei Lichtge- »Lichtblitz«. Diese sogenannten »virtuellen Photonen«, schwindigkeit nicht mehr als die Dicke eines Haares, die gleich wieder in Elektronen und deren Antiteilchen bevor sie wieder zerfallen. Zudem ist allen Experimen- (Positronen) zerfallen, erlauben einen direkten Blick ten an FAIR gemeinsam, dass sie nach noch selteneren in das Zentrum der Kernmaterie. Allerdings treten die- Ereignissen suchen, die nicht nur alle 100 000 Kollisio- se virtuellen Photonen grundsätzlich sehr selten auf: nen auftreten, sondern vielleicht nur in einem von vie- Selbst bei Raten von hunderttausend Kollisionen pro len Millionen Ereignissen zu fi nden sein werden. Da- Sekunde gibt es nur etwa alle zehn Sekunden ein inter- her müssen die Wissenschaftler sehr lange messen oder essantes Ereignis. Am FAIR-Beschleuniger können die- die Intensität des Strahls stark erhöhen, um noch mehr se mit sehr viel höheren Raten erzeugt werden. Reaktionen pro Sekunde zu erzeugen. Derartig anspruchsvolle Experimentierbedingungen »Nackte Quarks« hat noch niemand gesehen erhöhen die Anforderungen an die Konstruktion der Be- Besonders neugierig sind die Forscher beispielsweise schleunigeranlagen und der Experimente. Die typischen darauf, ob die Bausteine der Atomkerne, die Protonen Erscheinungen, die bei einem Quark-Gluonen-Plasma und Neutronen, unter dem hohen Druck aufbrechen auftreten, lassen sich nur auf einer Strecke von einem werden. Die Physik weiß zwar heute, dass sie aus so- zehntel Millimeter messen. Dies muss der FAIR-Detektor genannten Quarks bestehen, die durch Gluonen (glue »Compressed Baryonic Matter« (CBM) leisten.

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Per Digitalkamera zum Quark-Gluon-Plasma Das Konzept der Messung von Lichtblitzen »virtuel- ler Photonen« wird auch vom FAIR-Experiment CBM weiterverfolgt werden. Allerdings steht CBM bei FAIR noch eine weitaus höhere Energie zur Verfügung: Bei der Kollision von Atomkernen materialisieren sich bei hinreichend hoher Strahlenenergie auch Paare der sehr schweren Charm-Quarks. Dabei bilden sich auch gebundene Zustände aus einem Charm- und einem Anti-Charm-Quark. Diese nennt man Charmonium. Im Quark-Gluon-Plasma können diese Charmonium- Zustände schmelzen. Wenn sich ein Quark-Gluon-Plasma bildet, wäre das Resultat, dass weniger Charmonium-Zustände den Feuerball verlassen. Die Überbleibsel des Charmoniums verbinden sich mit jeweils einem normalen Quark zu Eine Filmkamera für Billionen Kernkollisionen in drei Dimen- sogenannten Open-Charm-Mesonen. Diese wiederum sionen: Das Modell des CBM-Experiments bei FAIR, für das an zerfallen nach einer Wegstrecke von weniger als einem der Universität Frankfurt die Vorarbeiten geleistet werden. zehntel Millimeter, gerade die Dicke eines menschli- chen Haares. Und dennoch muss der geplante CBM- Um also die seltenen Ereignisse mit sogenannten Detektor dies erkennen – in drei Dimensionen. »Open-Charm«-Mesonen von dem Untergrund Zig- tausender anderer Spuren zu trennen, müssen alle Teilchen zunächst gemessen und ihre Flugbahnen re- konstruiert werden. Das Hauptproblem besteht dabei darin, dass dicke Sensoren die Flugbahn so stark stö- ren, dass die Bahn nicht mehr sauber erkannt werden kann. Das 3D-Bild verliert dadurch an »Tiefenschär- fe«. Für CBM mussten deshalb besonders dünne De- tektoren entwickelt werden (Bild links). Dies gelang durch umfangreiche Überarbeitung der von Digital- kameras bekannten Sensoren, wobei ihre Geschwin- digkeit auf 100 000 Bilder pro Sekunde gesteigert wurde. Inzwischen haben die Forscher damit begonnen, die neuen Sensoren zu einem sogenannten Vertexdetektor zusammenzusetzen, einer besonders dünnen Superka- mera mit 400 Megapixeln Aufl ösung (Bild oben). Diese wird im CBM-Experiment einen monatelangen »drei- dimensionalen Film« von etwa einer Billionen Kern- kollisionen drehen. So sollen genügend Open-Charm- Teilchen gefunden werden. Mit der Entwicklung eines ersten Prototyps konnte dank HIC for FAIR vor weni- Superkamera mit 400 Megapixeln Aufl ösung: Die ersten Silizi- gen Monaten begonnen werden. umsensoren für den Vertexdetektor des »Compressed Baryonic Das erfordert jahrelange Vorarbeit an vielen Stel- Matter«-Experiments bei FAIR. len. Am Institut für Kernphysik der Goethe-Universi-

Die FAIR-Beschleunigeranlage

er neue Beschleunigerkomplex FAIR ein großer Doppelringbeschleuniger mit Dwird Ionen- und Antiprotonenstrah- 1100 Metern Umfang, der in 24 Meter len in bisher unerreichter Intensität und Tiefe unterirdisch verläuft. Eine techni- Qualität liefern. Damit werden Experi- sche Besonderheit in Darmstadt wird die mente durchführbar, die sonst nirgendwo sogenannte Kühlung der Teilchenstrahlen auf der Welt möglich sind: So kann die sein. Sie bedeutet, dass die Atomteilchen Starke Wechselwirkung – eine der vier mit nahezu gleicher Energie und Ge- fundamentalen Kräfte, die das Verhalten schwindigkeit fl iegen, so dass besonders des Universums bestimmen – unter vie- exakte Messungen möglich sind. Die In- len neuen Gesichtspunkten untersucht tensität der Teilchenstrahlen wird bis zu werden. 10000-fach höher sein als bei irgendei- Luftbild-Simulation von FAIR Als Quelle der Teilchen dient der nem anderen Beschleuniger weltweit. bisher für das GSI-Forschungszentrum FAIR wird rund 3000 Wissenschaft- lichkeiten bieten. Mehrere Hundert Dok- verwendete Beschleuniger UNILAC. lern, davon etwa die Hälfte aus dem toranden werden für FAIR-Forschung Das Herzstück der neuen Anlage bildet Ausland, einzigartige Forschungsmög- ausgebildet.

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Erster Prototyp eines CMOS-Sensors für das geplante »Com- Funktioniert der Sensor wie geplant? Um das herauszufi nden, pressed Baryonic Matter«-Experiment bei FAIR. Im Hinter- testen die Physiker am Institut für Kernphysik, hier Christian grund sieht man die im Mikroskop vergrößerten Mikrostruktu- Müntz, unter dem Mikroskop die Mikrostrukturen mit compu- ren auf der Oberfl äche. tergesteuerten Nadeln.

tät zum Beispiel wird das HADES-Spektrometer [siehe Damit hat die moderne Physik doch etwas mit Ga- »Gemeinsam international an der Spitze«, Seite 45], lileo Galilei gemeinsam: Er brauchte zwar keine gro- das bisher an der GSI lief, an die Rahmenbedingun- ßen Anlagen für seine fundamentale Entdeckung der gen von FAIR angepasst, so dass es als »kleiner Bru- Schwerkraft, aber auch er hatte jahrelang über Bewe- der« das CBM-Experiment vervollständigen kann. Im gung und Beschleunigung nachgedacht, bevor er sei- Institut für Angewandte Physik in Frankfurt werden ne Kugel über die schiefe Ebene aus Holz laufen ließ. Komponenten für die Beschleunigertechnik aufgebaut Insofern hat sich in der modernen Wissenschaft eines und getestet. noch nicht verändert: Eine gründliche Vorbereitung ist die beste Voraussetzung für großartige Ergebnisse.  Beschleuniger nicht von der Stange zu kaufen In den Beschleunigern und den Experimentierzo- nen von FAIR herrschen weltweit einmalige Bedingun- gen. Die Anlagen für die Experimente kann man daher Die Autoren auch nicht bei Spezialisten kaufen. Viele der benötig- Dr. Ingo Fröhlich, 37, studierte Physik ten Hightech-Komponenten müssen eigens entwickelt an der Justus-Liebig-Universität Gie- und angefertigt werden. Unter anderem an dieser Stel- ßen, wo er 2002 promovierte. Hier le unterstützt der Fachbereich Physik der Goethe-Uni- war er mit der Durchführung von Ex- versität die am FAIR-Projekt mitwirkenden Kollegen perimenten am Saturne-Beschleuniger am GSI Helmholzzentrum für Schwerionenforschung (Saclay, Frankreich) und an der GSI in Darmstadt. beteiligt, Letzteres mit dem »HADES«- Spektrometer, und an den Vorarbeiten Auch die theoretischen Physiker der Universität zum FAIR-Experiment »PANDA«. Seit Frankfurt stehen vor großen Herausforderungen, sind 2005 hat er seine wissenschaftliche viele von ihnen doch schon seit vielen Jahren auf die Heimat am Institut für Kernphysik der Erscheinungen extrem dichter Materie spezialisiert. Universität Frankfurt, wo er seitdem Für FAIR müssen sie neue Methoden entwickeln, um auch für die Vorbereitung des »CBM«- die Eigenschaften der Quark-Gluon-Materie bei bis- Experimentes mitverantwortlich ist. her nie erreichten hohen Dichten aus allgemeinen, Privatdozent Dr. Marcus Bleicher, 38, fundamentalen Gleichungen zu berechnen. Sie brau- studierte Physik und Geophysik an der Universität Frankfurt, wo er 1999 am Insti- chen zudem Computerprogramme zur Simulation von tut für Theoretische Physik promovierte. 1999 bis 2000 war er Feodor Lynen Fellow Schwerionenreaktionen in dem neuen Energiebereich. am Lawrence Berkeley National Laboratory in Berkeley, USA, und 2001 bis 2002 Gastwissenschaftler am Laboratoire de Physique Subatomique et des Technologies Und schließlich wollen sie die gewonnenen Ergebnis- Associées des CNRS, Nantes, Frankreich. Von 2003 bis 2009 war er Juniorprofes- se überprüfen, etwa indem sie die Resultate zur Op- sor für Theoretische Astroteilchenphysik an der Universität Frankfurt. Seit 2009 ist timierung ihrer Modelle von Supernova-Explosionen er Wissenschaftler am Frankfurt Institute for Advanced Studies. Seit August 2008 verwenden. ist er Scientifi c Coordinator des Helmholtz International Center for FAIR. Das neue Beschleunigerzentrum FAIR bietet schon Gabriela Meyer, 46, ist seit August 2008 Geschäftsführerin des Helmholtz Interna- im Vorfeld jede Menge Herausforderungen für die Wis- tional Center for FAIR. Sie ist diplomierte Übersetzerin für die englische und fran- senschaftler, aber auch die Chance, von dem weltwei- zösische Sprache und arbeitete zuvor im Fremdsprachendienst an verschiedenen ten Interesse der besten Physiker an den neuen experi- deutschen Universitäten, zuletzt am Institut für Theoretische Physik der Goethe- mentellen Möglichkeiten in Darmstadt zu profi tieren. Universität. Zwei einjährige Aufenthalte in Paris und Miami. Neben ihrer Beschäfti- Mit HIC for FAIR ist unter der Führung der hessischen gung hat sie über die Jahre hinweg Vorlesungen, Seminare, Praktika und Exkursio- Universitäten ein institutioneller Zugang zu FAIR ge- nen im Diplomstudiengang Geologie / Paläontologie erfolgreich abgeschlossen. schaffen worden. Freilich: Spektakuläre Ergebnisse [email protected] www.hicforfair.de darf man erst erwarten, nachdem FAIR seinen Betrieb [email protected] www.gsi.de aufgenommen hat. Bis dahin stehen Denken, Planen [email protected] www.gsi.de/fair und Aufbauen im Vordergrund.

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»Die Stadt so grau wie die Gesichter…?« Frankfurt als Impulsgeber zweier zeitgenössischer Romane

von Maren Illinger essestadt, Goethe-Haus, Verlagszentrum, Krimiku- fremde, bekannte und vergessene, verdichten sich als Mlisse – zwischen Frankfurt und der Literatur lassen Inschrift auf den Seiten ihrer Tage. »Ich hatte mich in sich bekanntlich einige Brücken bauen. Aber Frankfurt den letzten Jahren ohne Absicht zu einem Stadt-, wenn selbst als das zentrale Thema eines zeitgenössischen Ro- nicht gar zu einem Heimatkundler entwickelt«, gesteht mans? Eine solch schmeichelhafte Zuschreibung bringt Genazinos Protagonist seine absichtslose lokale Passi- man sonst eher mit den »echten« Metropolen, etwa dem on, während Altenburgs Erzähler die Obsession zum Paris eines Baudelaire, dem New York eines Dos Passos, Beruf macht und sich gelegentlich als Touristenführer dem Buenos Aires eines Borges oder dem Tokio eines verdingt. Murakami, in Verbindung. Und doch hat sie sich auf die Gehen, Sehen und Denken verschmelzen für die- Bühne geschlichen, die widerborstige Stadt am Main, se beiden sommerlichen »Stadtstreicher« in eins. Die und, getarnt als realistisches Durchschnittssetting mit Orte der Stadt, die verschiedenen Lebensbedürfnis- Lokalkolorit, ein paar verschrobenen Romanhelden die sen Raum geben – seien es die Berger Straße oder die Existenzgrundlage geliefert. So in zwei zeitgenössischen Zeil, die Konstabler Wache oder der Südfriedhof, der Romanen von Frankfurter Autoren: »Die Kassiererin- Elektro Conrad oder die Nicolaikirche, die Nizzagär- nen« des Büchner-Preisträgers Wilhelm Genazino und ten oder der Osthafen, der Alleenring oder der Gün- »Landschaft mit Wölfen« des mittlerweile auch als Kri- thersburgpark – werden zu Denkräumen, zu Topoi im miautor unter dem Pseudonym Jan Seghers bekannten ursprünglichen Sinn des Wortes, an denen sich lokale Matthias Altenburg. und materielle mit semantischen Elementen zu einem Beide Texte entfalten eine ganz ähnliche Situation: Assoziationsgefl echt verzweigen. Auf ihren städtischen Ein männlicher Erzähler, nicht mehr jung und noch Expeditionen erleben die Erzähler »ihr« Frankfurt nicht alt, zieht durch seine Heimatstadt Frankfurt. Es vor allem als einen Ort der Kontraste, der durch eine ist das Ende der 1990er Jahre, Hochsommer, in den schwer erträgliche Diskrepanz zwischen Reichtum und staubigen Straßen steht die Hitze, mehr als sonst fi ndet Fülle auf der einen, Arbeitslosigkeit, Armut, Isolation, das Leben im Freien statt; die beste Zeit für einen Sinn- Vereinzelung und Entfremdung auf der anderen Seite sucher, um umherzustreifen und zu beobachten, aus- geprägt ist und als Hoffnungsträger seiner Bewohner getretene Wege zu gehen und unbekanntes Terrain zu ausgedient zu haben scheint: »Die Stadt ist grau wie erschließen, auf Fremde und alte Bekannte zu treffen, die Gesichter. Schattenlos versickert der Tag in einem Vertrautes zu hinterfragen und sich auf Rätselhaftes ei- Abend ohne Kühle. Aus den Hauseingängen riecht es nen Reim zu machen. nach Urin. Alte Frauen lehnen in den Fenstern und Je länger man diesen Flaneuren auf ihren Wegen warten auf nichts als auf die nächste Müdigkeit. An folgt, umso deutlicher wird: Die beiden Romane spielen den Mauerecken hat man gelbes Rattengift gestreut. nicht nur in Frankfurt, sie handeln vor allen Dingen Überall hängen leuchtende Zettel, daß man die Kinder von Frankfurt. Die nicht unbedingt vielseitigen Prota- fernhalten soll.« (»Landschaft mit Wölfen«) gonisten beschäftigt in erster Linie eines: Die sie um- gebende Stadt als Instanz, die direkt oder indirekt alle Zerrissenheit zwischen wolkenkratzenden Ambitionen Bereiche ihres Lebens strukturiert. Straßen und Plätze, und dem Boden der Tatsachen Häuser und Fenster, Tauben und Hunde, Bettler und Es ist sicher kein Zufall, dass beide Autoren mit Jogger, Beton, Glas und Stahl, Abgase, Schmutz und ihrem Wohnort gerade die Stadt inszenieren, die die Staub, und immer wieder Menschen, junge und alte, Ideale der 68er und die Kritische Theorie mithervor-

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gebracht und wieder vergessen hat. Über den vorran- einst ein Riese vorbeigelaufen, der ein paar verschie- gig negativ konnotierten Bedeutungsträger Frankfurt den große Kartons fallen ließ, aus denen dann langsam genau in der – womöglich nicht nur lokalen – Mitte Frankfurt wurde.« (Wilhelm Genazino, »Die Vernich- Deutschlands eröffnen die Texte einen Anschauungs- tung der Sorgen«, 1978)« raum der Grenzen und Möglichkeiten urbanen Lebens zehn Jahre nach der Wiedervereinigung. »Draußen Der Flaneur und sein notwendiger Widerpart rauschte Frankfurt vorbei. Überhaupt wusste ich nicht, In Anbetracht der Eigendynamik ihrer Stadt, in und was man in dieser Stadt soll«, charakterisiert Pop-Au- mit der sie zwar leben, an deren objektiver Gestaltung tor Christian Kracht auf seiner Deutschlandreise »Fa- sie jedoch keinen Anteil haben, werden die Erzähler serland« Frankfurt als Ort der Orientierungslosigkeit. auf ihren Stadtgängen von »Fremdheitsanmutungen« Insofern ist Frankfurt mehr als die Kulisse einer – oder begleitet. Gerade inmitten dieser Fremdheit jedoch pas- der – deutschen Geschichte. Die Stadt selbst liefert siert etwas: Der tägliche Kampf mit der Stadt gibt einen Stoff, Thematik und Symbolik zu Illustration und Be- Anstoß, setzt etwas frei. Was wäre der Flaneur auf dem standsaufnahme der Interaktion menschlicher Bedürf- Land? Die Stadt ist sein notwendiger Widerpart. An ihr nisse und urbaner Existenzbedingungen am Ende des reibt er sich, um sie kreist sein kritisches Denken, ihr 20. Jahrhunderts. will er entkommen – allerdings nur rhetorisch. Denn In der Auseinandersetzung mit ihrer Heimatstadt an ihr entzünden sich seine Ideen, sein Antrieb, seine Frankfurt und deren immer wieder konstatierten »Un- Lebensenergie. wirtlichkeit« veranschaulichen die Romane nicht zu- Frankfurt biedert sich nicht an, Frankfurt will be- letzt den Konfl ikt von Natur und Zivilisation, Mensch zwungen werden, so scheint es. Die Erzählerfi guren und Kultur, der das Kernproblem des kulturphiloso- Altenburgs und Genazinos versuchen auf ihre Weise, phischen Diskurses präsentiert. Bereits das Frankfurter den entfremdeten Lebensraum zurückzuerobern. Nicht Stadtbild scheint die markanten Merkmale des Lebens- umsonst durchwandern sie ihre Stadt. Gehen mag ana- gefühls Großstadt zu visualisieren, das der Zerrissen- chronistisch wirken; ist jedoch elementar. Der Gehende heit zwischen Tradition und Moderne, wolkenkrat- berührt mit seinen Sohlen den Boden, atmet Blüten- zenden Ambitionen und dem Boden der Tatsachen, staub und Autoabgase, kann den Putz der Hauswän- Weltläufi gkeit und Provinzialität, Börsenspekulanten de berühren, mit Passanten zusammenstoßen, Hunde und »grünen Spießern« Rechnung trägt. streicheln und Vogelmist auf den Kopf bekommen. Zentral ist bei beiden Autoren das Verständnis, dass Der Gehende liefert sich aus. Er verlässt die schützen- die Bedingungen moderner Urbanität direkten Einfl uss de Zelle seiner Wohnung und seines Verkehrsmittels. auf die Selbstdefi nition und Lebensperspektiven des Die zweckmäßige Struktur der Stadt – hier schlafen, städtischen Bewohners nehmen und die spezifi schen da kaufen, dort arbeiten – wird aufgebrochen, indem Merkmale des Lebensraums als Identitätsträger begrif- die Fortbewegung im Raum ziel- und absichtslos statt- fen werden können. Genazino spricht in seinen Frank- fi ndet oder an ästhetische Erlebnisse und menschliche furter Poetikvorlesungen von »Stadtinnenräumen als Begegnungen gekoppelt ist. Unter solchen Bedingun- Außenhüllen, in denen sich Identitäten bilden«, oder, gen entfaltet sich womöglich eine unerwartete Harmo- wie der Autor befürchtet, oft nicht mehr bilden kön- nie zwischen Mensch, Natur und Urbanität: »Der Wind nen. Insbesondere der Innenstadtbereich, der unter- trieb mit mir in die Stadt.« (»Die Kassiererinnen«) schiedlichen Formen sozialer Begegnungen Raum ge- Wer auf ein Ereignis hofft, muss die ausgetretenen ben und in einem offenen Dialog mit den Bedürfnissen Pfade verlassen. So sind es gerade die Abstecher, die be- seiner Bewohner stehen sollte, erscheint den beiden sondere Kleinode des Alltags gewähren: »Wir nahmen Frankfurter Erzählern als eine Anhäufung fremdgestal- einen Umweg durch die Humboldt- und die Zähringer- teter Zweckbauten, die wenig Identifi kationspotenzial straße«, heißt es in »Die Kassiererinnen«. »An deren bieten. »Jener gesichtslose Ort, der aussah, als wäre Ende stießen wir in die stille Dorotheenstraße«, wo

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ein zufälliges Arrangement zu Reflexionen über die Kurzbiografi en Kunst anregt. Der Text spiegelt das Prinzip dieser Ab- schweifung wider, aus der Realität führt der Umweg Wilhelm Genazino wurde 1943 in in die Fiktion: Der Frankfurter Stadtplan kennt zwar Mannheim geboren, arbeitete zu- eine Humboldtstraße, nicht aber eine Zähringer- oder nächst als Journalist, später als Re- Dorotheenstraße. Eine der Realität entlehnte Topogra- dakteur und Hörspielautor. Als Ro- fi e wird unversehens um einen fi ktiven Schlenker er- manautor wurde er 1977 mit gänzt. seiner »Abschaffel«-Trilogie be- kannt und gehört seither zu den »Tote Winkel« – Rückzugsqualität wichtigsten deutschen Gegen- für rastlose Streuner wartsautoren. Für sein umfangrei- Während die Frankfurter City negativ besetzt ist, ches Werk wurde er mit zahlrei- bergen die »toten Winkel« der Stadt besondere Rück- chen Preisen geehrt, unter zugsqualität für die rastlosen Streuner, die bewusst die anderem erhielt er 2004 den Büch- glatten Fassaden der Betriebsamkeit meiden und die ner-Preis. Im Wintersemester Symbiose von Mensch und Raum dort suchen, wo sie 2005 / 06 hatte Genazino die Stif- noch möglich scheint. Es sind die Hinterzimmer der tungsgastdozentur Poetik an der Stadt, die Schrebergärten, Vorstadtstraßen und Park- Universität Frankfurt inne, in sei- anlagen, die Friedhöfe und Krankenhäuser, die in den nen Vorlesungen nahm er unter Romanen Altenburgs und Genazinos eine besondere dem Motto »Die Belebung der to- Anziehungskraft ausüben. ten Winkel« das Zusammenspiel von Literatur und Lebensraum in den Nach Jahren in Frankfurt verfügen die Erzähler über BBlick.lic Zentral ist in seinen Betrachtungen die Fra- einen individuellen kognitiven Stadtplan, auf dem sich gge,e, wie sich innerhalb der »Gesamtmerkwürdig- verschiedene Fixpunkte gebildet haben. »In der Brau- kkeiteit des Lebens« Heimatgefühle erzeugen lassen: bachstraße gab es einen Zeitungsverkäufer, der dicht »»InIn der leicht rauschhaften Ich-Erfahrung, die am Bordstein stand und die Hand nach vorüberfahren- ddieie Versenkung in einen Gegenstand zurück- den Autos ausstreckte«, beschreibt Genazinos Erzäh- llässt,äs wird ursprüngliche Fremdheit umgedeutet ler einen seiner präferierten Attraktoren im ansonsten in ein Moment plötzlicher Zugehörigkeit. Diese undifferenzierten Raum. Hier realisiert sich also auf PePeripetie ist der Höhepunkt einer Transzendenz, privater Ebene eine als zeitgenössisch einzuschätzen- ddiei aus der Fremdheit eine Hingabe macht.« de Tendenz zur Erzeugung bedeutungsvoller Orte und ((WilhelmW Genazino, »Die Belebung der toten fl üchtiger emotionaler Ankerplätze. WWinkel«). Genazino lebt heute als freier SSchriftsteller in Frankfurt. Eine Art Heimatroman im Zeitalter der jettenden Business-Menschen Betrachtungen über die Verhältnisse von Urbani- tät können, wie bereits der Soziologe Georg Simmel zu Beginn des 20. Jahrhunderts konstatierte, immer Matthias Altenburg , gebo-- auch als Schlüssel ihres »Geisteslebens« funktionie- ren 1958 in Fulda, ren. Wie ist es zu bewerten, dass Wilhelm Genazino arbeitete zunächst alss und Matthias Altenburg ausgerechnet im Zeitalter der Lektor für Film und hin- und herjettenden Business-Menschen und Kul- Fernsehen und ist turnomaden eine Art Heimatroman geschrieben ha- seit 1996 als freier ben – und das auch noch in Deutschlands bewegtester Schriftsteller und Transit-Stadt? Essayist tätig. Unter Die Autoren beschreiben ein Frankfurt jenseits der dem Pseudonym spiegelnden Fassaden der Weltbanken; einen über- Jan Seghers schreibt eerr seseitit schaubaren Kiez mit festen Wegen, bekannten Straßen, 2004 Kriminalromane, füfür dden AAutor nach h ei- i ruhigen Plätzen und immer wiederkehrenden Perso- gener Aussage eine Möglichkeit, »unbelasteter nen. Den Konsequenzen für individuelle und kollekti- von den Gesetzen der modernen Literatur zu schreiben. Der Krimi ist ve Identitäten, die sich zunehmend von geografi schen ein Vehikel dafür, einen Gesellschaftsroman zu erzählen.« Matthias Al- und sozialen Orten und Räumen ablösen, steuern sie tenburg lebt in Frankfurt. durch eine bewusste Auseinandersetzung mit den Be- sonderheiten ihrer Umgebung entgegen. Gut kommt die Stadt dabei nicht immer weg. Wer Die Autorin auf behagliche Lokallektüre zum Feierabend-Äppler hofft, wird enttäuscht. Wer jedoch Frankfurt in sei- Maren Illinger, 27, studierte Germanistik und Komparatistik ner Gespaltenheit sehen will – als Ort, der den Wider- an der Universität Frankfurt und untersuchte in ihrer Magis- spruch als Lebensgefühl visualisiert und zugleich als ter-Arbeit, die von Prof. Dr. Heinz Drügh betreut wurde, das Motor und Katalysator urbaner Emotionen fungiert, Verhältnis von Kulturkritik und ästhetischer Wahrnehmung der als Spiegelbild der Entfremdung gelten kann und in Texten von Wilhelm Genazino und Matthias Altenburg, deren gekoppelte Lektüre aufgrund der thematischen und zugleich immer neue Versuche der Aneignung provo- lokalen Nähe besonders reizvoll erschien. ziert –, der darf mit diesen Büchern in der Tasche auf neue Impulse für sein persönliches »Krieg und Frie- [email protected] den« mit Frankfurt hoffen. 

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02 UNI S000_00 2009_03.indd 52 24.11.2009 13:14:49 Uhr Forschung aktuell Frankfurt im Spätmittelalter und die Dominanz der Patrizier Wie urbane Planung und Architektur das soziale Gefüge bestimmen

Ausschnitt aus dem Merianplan von 1628: Die Entstehung des Römers und der Ausbau der Doms sind Ergebnis ei- ner Entzerrung des sozialen Rau- mes, die die Grundlagen des modernen Frank- furts schuf.

rankfurts Architekturgeschichte im Spätmittelalter zahlreichen anderen Städten der Zeit übereingehen, von Christian Fbietet ein gutes Beispiel dafür, wie die architekto- aber eben in bezeichnender Weise auch heute noch Freigang nische Markierung des städtischen Raums Hand in Hand zu markant unterschiedlichen Identitäten jeder dieser geht mit Umgestaltungen des sozialen Raums. Denn seit Städte beitragen. Das »Image« von Frankfurt wurde der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts lässt sich eine ra- seit dem späten 14. Jahrhundert geprägt, und dazu tru- dikale Veränderung der Frankfurter Stadtstruktur und gen in hohem Maße gerade auch architektonische und ihrer Hauptmonumente feststellen. Dabei geht es nicht städtebauliche Momente bei. allein um die schiere Vergrößerung des Stadtgebietes, das 1333 bis 1428 mit einer neuen Ummauerung ge- Der Domturm und seine überregionale Besonderheit sichert wird und in dem zahlreiche Neubauten – allen Dies gilt zunächst für den Turm der Stifts- und Pfarr- voran der Domturm – entstehen. In einem tiefer ge- kirche St. Bartholomäus (des heutigen Doms) als dem henden Sinn erhält der öffentlich-städtische Raum eine wichtigsten Akzent der mittelalterlichen Skyline. Er neue kommunikative Fähigkeit, die im unmittelbaren ist auch heute noch das Wahrzeichen der Stadt – in Zusammenhang mit der nachhaltigen Etablierung ei- bezeichnender Weise ergänzt durch die Bankenhoch- ner oligarchisch die Geschäfte der Stadt bestimmenden häuser. 1415 begonnen unter dem Stadt- und Pfarr- Patrizierschicht steht. baumeister Madern Gerthener, stellt der Turm eine Die Stadt wird gleichsam die Bühne, auf der die kul- anspruchsvolle und vor allem frühe Realisierung jener turelle Hoheit einiger eng miteinander verfl ochtener, kühnen, zumeist städtisch initiierten Bauunterneh- gleichwohl auf Exklusivität insistierender Geschlechter mungen des Spätmittelalters dar. Unmittelbar nach inszeniert wird. Diese werden bis weit in die Neuzeit den schon zeitgenössisch hochberühmten Türmen des die Geschicke Frankfurts bestimmen, man denke nur Ulmer und des Straßburger Münsters gestartet, erleb- an die Namen derer von Holzhausen, von Glauburg te der Frankfurter Turm 1514 fast seine Vollendung, und anderer. Zu den wesentlichen Momenten dieser wurde aber 1867 bei einem Brand schwer beschädigt Selbstdarstellung gehören die öffentliche Präsentation und anschließend nach mittelalterlichen Plänen zu sei- von christlicher Frömmigkeit und sozialer Exklusivität, ner heutigen Form gebracht. Es ist durchaus erhellend, von Anciennität (der angeblich weit in die Vergangen- den Turm mit seinen Vorgaben zu vergleichen: Als heit zurückreichenden Abstammung) und Unterneh- markanter Einzelturm, der sich baulich etwas getrennt mungsgeist sowie einer besonderen städtisch-patrizi- vom eigentlichen Kirchenbau erhebt, tritt er in eine schen Identität –, aber auch das Ausgrenzen von als Tradition ein, die mit dem Freiburger Münsterturm um bedrohlich empfundenen Fremden, insbesondere den 1280 eingesetzt und mit den Turmprojekten für das Ul- Juden. Die Stiftung von anspruchsvollen Privatkapel- mer Münster 1399 sowie insbesondere bereits für den len, die Förderung einer städtischen Chronistik und die Wiener Stephansdom seit 1359 überhohe Ansprüche allgegenwärtige Evokation von namhaften Stadtgrün- etabliert hatte. Bezeichnend dabei ist vor allem, dass dern bilden einige der Faktoren, die in der Tendenz mit Gerthener gegen Ende des 14. Jahrhunderts offenbar

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1 Der Frankfurter sind hier Innovationen im Bereich des Architektoni- Domturm, eines schen vorgeführt, die sich anschließend über ein Jahr- der frühen kühnen hundert lang auch an vielen anderen Bauwerken der Turmprojekte des Gerthener-Schule nachweisen lassen und den Ruhm Spätmittelalters, ist Ausweis für Frankfurts als architektonisches Zentrum begründe- den rapiden Auf- ten. Gerthener, hoch bezahlt und so berühmt, dass er stieg der Stadt zu 1419 als Gutachter nach Straßburg entsandt wurde, einem überregio- vermittelte offenbar ein neues, bislang in Frankfurt nalen Architektur- vollständig unbekanntes »Image« der Reichsstadt als zentrum. architektonisch-handwerkliches Innovationszentrum. Dieses wurde vor allem durch die patrizischen Schich- ten als den eigentlichen Stadtherren aktiviert: Denn es sind eben diese, die den Turmbau betreiben und dies inschriftlich und chronikalisch in Erinnerung halten. Zu dieser Zeit wurden generell neue Ansprüche in der architektonischen Repräsentation der Stadt entwi- ckelt. Zum einen ist um 1400 eine Reihe von städte- baulichen Maßnahmen des Rates bezeugt (Verbot von Vorkragungen, Straßenpflasterung, Hygiene). Zum anderen entstanden im Profanbau neben den übli- chen Fachwerkhäusern seit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts zwei markante Typen von Steinbau- ten. Neben dem giebelständigen mehrstöckigen Haus mit Treppengiebel, von denen die Westbebauung des Römers die bekanntesten Beispiele bereithält, ist vor allem ein anderer, ursprünglich recht weit verbreite- ter Typus mit hochrechteckigen mehrgeschossigen Fassaden zu nennen, die oben mit Ecktürmchen und bisweilen einem Zinnenkranz abgeschlossen waren. Das einzige in der äußeren Hülle erhaltene derartige Gebäude ist das Steinerne Haus von 1464. Die Häu- ser dieses Typs dienten nicht etwa als Privatresidenzen, gezielt nach Wien geschickt worden war, um dort sein sondern als Handelskontore und repräsentative Mes- technisches Know-how zu verbessern. Beim Wiener seunterkünfte, prägten somit das architektonische Bild wie auch beim Prager Dom prägten Mitglieder der der Gesamtheit der Stadt mit ihrer exklusiven, aber im Baumeisterfamilie der Parler, die vor allem eine ausge- hohen Maße öffentlich wirksamen Elite. klügelte Gewölbetechnik sowie neue Maßwerkkonfi - gurationen als Ausweis technischer und gestalterischer Das Ende des Nebeneinanders: Meisterschaft einsetzten, zum ersten Mal in der nord- Judenpogrom und Ghettobildung alpinen Architektur einen international bekannten Eine derartige stadträumliche Gliederung und Mar- »Markennamen«. Gerthener agierte in exakt denselben kierung drückt sich aber auch in einer energischen so- Kategorien: Die technische Kühnheit des Domturms zialen Regelung von Integration und Ausschluss aus, wird nämlich dadurch ergänzt, dass partiell an bezeich- wie dies vor allem anhand der Ausbildung öffentlicher nenden Stellen äußerst innovative Formen eingefügt Plätze einerseits und der Ausgrenzung insbesondere wurden: In der Nordportalvorhalle des Turms, die ehe- der Juden andererseits zu zeigen ist. In Frankfurt lag mals zu dem vor allem als patrizische Grablege genutz- das Judenviertel seit dem 13. Jahrhundert entlang des ten Kreuzgang führte, fi nden sich kompliziert konzi- Mains, südlich der Stifts- und Pfarrkirche. Christen und pierte Maßwerke, die an Astruten erinnern, sowie ein Juden wohnten hier in teilweise ansehnlichen Häusern Gewölbe mit gekrümmten Rippenführungen. Gezielt nebeneinander. Eben dies wird im Zuge des Judenpo- groms und der zeitweisen Vertreibung der Juden 1349 zum Skandalon. Angebliche Angriffe der Juden gegen Architekturgeschichte und der soziale Raum die Kirche und das Rathaus – damals noch unmittel- bar westlich der Kirche – bildeten die Rechtfertigung rchitekturgeschichte steht am Grenzbereich zwischen Historischen für den Mord an über 600 Juden und den Abriss ih- AWissenschaften und Soziologie, Architektur ist zweifellos die sozi- rer Häuser. Es entstand kurzfristig eine innerstädtische alste aller Künste. Ihre Gegenstände, vom Einzelhaus bis hin zu urba- Wüstung, deren Territorium offenbar sehr begehrt war, nistischen Planungen, sind insofern in historischer Perspektive als Me- denn als die Augustinerchorherren 1356 versuchten, dien der symbolischen Kommunikation wie auch als Generatoren des auf dem Terrain einen Konvent zu errichten, war der sozialen Raumes zu befragen. Da die Objekte der Architekturgeschichte Platz bereits vergeben. Auch das Querhaus der Pfarr- zumeist unbeweglich sind, also unverrückt am Ort ihrer historischen kirche, 1346 begonnen, übergriff mit seinem Südteil Wirklichkeit stehen, stellen sie geschichtliche Quellen allerersten Ran- nun den ehemaligen Judenfriedhof. Der Stiftsbezirk ges dar – ein Sachverhalt, der insbesondere der Denkmalpfl ege ihre Le- wurde um mehrere Meter nach Süden verschoben und gitimation als Teil der Geschichtswissenschaft und keineswegs als bloße mit einer Mauer vom alten Judenviertel abgegrenzt. In Konservierungsinstanz kommerzialisierbarer Stadt-Bilder verleiht. der Überbauung des jüdischen Friedhofs mit einem Dreikönigsportal wurde zudem auch ein unmissver-

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ständlich antijüdischer Gehalt vermittelt, indem auf 2 3 Die Ruten- diejenigen biblischen Herrscher abgehoben wurde, die maßwerke sowie als erste den Erlöser des Neuen Bundes erkannt haben die Maßwerk- sollen und die nunmehr »in effi gie« über das alte Ju- gewölbe in der Turmvorhalle denviertel wachten. Wie in anderen Städten des Reichs des Frankfurter war das Pogrom übrigens von langer Hand vorbereitet, Doms führen und zwar als Teil einer Kompensationspolitik ehemali- bautech nische ger Gegner durch Kaiser Karl IV. und -künstlerische Zeitlich parallel zu der Neustrukturierung des Stifts- Innovationen vor. umfeldes wurde aber auch der Samstagsberg, heute Römerberg genannt, zum Hauptplatz der Stadt ausge- baut. Er liegt etwa 200 Meter westlich des Doms und entwickelte sich aus der ehemaligen staufi schen Befes- tigung der Pfalzanlage. Bis in das 14. Jahrhundert dien- te der sukzessive freigelegte Platz neben dem Markt- treiben vor allem königlichen Zeremonien. Bald zogen in die angrenzende Bebauung ehemalige Ministerialen als aufsteigende Patrizier ein, vor allem auch in den drei mittleren Häusern, die bald die Rathausgruppe bilden sollten. Um 1342 bereits war die charakteristi- sche Giebelgruppe angelegt. Das mittlere Haus dieser Gruppe wurde 1401 vom Rat erworben und bald zum Hauptgebäude des Platzes ausgebaut. Damit setzte sich die weitgehende Umgestaltung des Römerbergs als Zentrum der Stadt fort. Die ehemalige Pfalzkapelle St. Nikolai im Süden des gekrümmten Platzes wurde Rats- kapelle, als Pendant dazu fungierte am anderen Platz- ausgang das Steinerne Haus.

Patrizische Stadtidentität und antijüdische Politik Im Gegensatz etwa zu Nürnberg, Köln, Würzburg und anderen Städten entstand also in Frankfurt der städtische Hauptplatz nicht dadurch, dass er im Zu- sammenhang der Judenpogrome um 1349 den Bau- platz der geschleiften Synagoge ersetzte. Vielmehr ist seine Entstehung als das Ergebnis einer Entzerrung und Neuordnung des Stadtgebietes zu beschreiben, die bestimmten Gruppen erlaubte, visuell im Stadtraum präsent zu sein, während sie dies anderen Gruppen verweigerte. Als die Juden um 1360 nach Frankfurt zurückkehrten, ließen sie sich zwar wieder im alten Viertel nieder, konnten nunmehr als Mieter aber kaum mehr architektonisch-optisch in Erscheinung treten. Seit 1430 wurde im Rat die Umsiedlung der Juden in ein Ghetto im Osten der Stadt debattiert. Das Argu- ment war nun bezeichnenderweise, dass schon allein der Blick von Juden auf christliche Kultbauten, wie es ja in der Nähe der Pfarrkirche unvermeidlich war, als schädlich abgewendet werden müsse. Den Juden war das Betreten des Römerplatzes verboten, der mit sei-

Der Autor

Prof. Dr. Christian Freigang, 50, ist Kunst- und Architektur- historiker und untersucht neben der modernen Architektur die Semantik, Wahrnehmung und soziale Funktion des Bauens im Mittelalter. Er hat zahlreiche Studien zur goti- schen Architektur sowie zur modernen Architekturtheorie und -debatte, vor allem in Frankreich, verfasst. Seit seiner Berufung 2003 beschäftigt er sich auch intensiv mit der Kunstgeschichte der Stadt Frankfurt. Im Wintersemester 2008 / 09 organisierte er die erste Bürgervorlesung der 4 Das Steinerne Haus (Mitte 15. Jahrhunderts) vertritt als Goethe-Universität zum Thema der Innovationen innerhalb letztes erhaltenes Beispiel eines Patrizierhauses einen Typus, der Kunst- und Architekturgeschichte Frankfurts. der auch für andere Bauaufgaben, zum Beispiel das Lein- wandhaus aufgegriffen wurde. [email protected]

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5 Das Südportal des Doms mit der Anbetung der Heiligen Drei Könige verweist nicht allein auf Karl den Großen als zweitem Patron der Kirche. Das Thema enthält auch eine deutlich antijüdische Note, zumal das Portal über ehemaligem jüdischem Grundbesitz errichtet wurde.

nen Sichtachsen zu Main, Liebfrauenkirche und bald städtebaulich konzentriert und visuell kaum klar von- auch zu Pfarrkirche im Westen die Altstadt neu ord- einander differenziert waren. nete. Patrizische Stadtidentität und antijüdische Poli- Erst im Zusammenhang der Pogrome setzte in der tik sind also aufeinander bezogen: Die neue visuelle zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eine neue Politik Kultur, die mit Images von handwerklich-technischer der Bilder und eben auch der Räume ein. Die Anlage Innovation, Anciennität und Initiativgeist operierte, von neuen städtischen Plätzen mit der Funktion einer hatte ihr Gegenbild in der seit dieser Zeit markant sti- städtebaulichen Vernetzung folgte dabei auch – nicht lisierten Gefahr der jüdischen Verschwörung, die an- ausschließlich – antijüdischen Denkfi guren: Denn die geblich nicht einsehbar im Geheimen und Dunklen Topik von legitimer Macht und Pracht versus Verschwö- vorbereitet wurde, um die christliche Heilserwartung rung und Unheimlichkeit, von klarer Heilsgewissheit zu zerstören. Vor 1349 war das noch anders gewesen, versus Verdammnis drang eben auch in die städtebauli- als Pfarr- und Stiftskirche, Rathaus und Judenviertel che Neuordnung der Städte des Spätmittelalters ein. 

Literatur

Brockhoff, Eve- tische Aspekte In: Essen 2006 (= Theodor Der (Reprint Glashüt- Weltliche Bauten. lyn / Matthäus, Ludolf Pelizaeus Antisemitismus: Frankfurter Kaiser- ten/Ts. 1970). Frankfurt / M. Michael (Hrsg.) (Hrsg.) Wahl und Geschichte und dom. Geschichte, 1898. Die Kaisermacher. Krönung in Zei- Strukturen, Architektur, Kunst Monnet, Pierre Frankfurt am Main ten des Umbruchs Bd. 3). Regensburg 2006 Führungseliten und Wolff, Carl Der und die Goldene Frankfurt/M., (= Große Kunst- Bewußtsein sozialer Kaiserdom in Bulle 1356 – 1806 Berlin usw. 2008 Heil, Johannes führer, Bd. 217). Distinktion in Frankfurt am Ausstellungskata- (= Mainzer Studi- Vorgeschichte und Frankfurt am Main Main. Eine bauge- log. Frankfurt en zur Neueren Hintergründe des Kriegk, Georg (14. und 15. Jahr- schichtliche Darstel- 2006, Aufsatz- Geschichte, Bd. Frankfurter Juden- Ludwig Frankfur- hundert) In: Ar- lung Frankfurt / M. band, Frank- 23), S. 131 – 156. pogroms von 1349 ter Bürgerzwiste chiv für Frank- 1892. furt / M. 2006. In: Hessisches und Zustände im furts Geschichte Heil, Johannes Jahrbuch für Lan- Mittelalter. Ein auf und Kunst 66/ Wolff, Carl / Jung, Freigang, Christi- »Gottesfeinde« – desgeschichte urkundlichen For- 2000, S. 12 – 78. Rudolf Baudenk- an Der Frankfurter »Menschenfeinde«. 41 / 1989, schungen beruhen- mäler in Frankfurt Dom als Wahlort Die Vorstellung von S. 105 – 151. der Beitrag zur Wolff, Carl/Jung, am Main Bd. II: der deutschen Köni- jüdischer Weltver- Geschichte des deut- Rudolf Baudenk- Weltliche Bauten ge. Architektonische, schwörung (13. bis Heuser, August / schen Bürger thums mäler in Frankfurt Frankfurt / M. liturgische und poli- 16. Jahrhundert) Kloft, Matthias Frankfurt / M. 1862 am Main Bd. II: 1898.

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02 UNI S000_00 2009_03.indd 56 24.11.2009 13:14:57 Uhr Forschung aktuell Die Revolution frisst ihre eignen Kinder: Opernturm statt Zürich-Haus Hochhausdebatten im Frankfurt der Gegenwart

er aus der historischen Perspektive aktuelle De- se im Diskurs, die die erste Hochhausgeneration »alt von Markus Wbatten zum Stadtumbau beobachtet, kann sich aussehen« lassen und zeitdiagnostisch aussagekräftig Dauss den Luxus leisten, eine größere Distanz einzunehmen sind: Die ehemals als Traditionsbruch wahrgenomme- als die Akteure der Auseinandersetzung; die Genese ne Innovation des Hochhausbaus muss sich nun selbst von »Frontverläufen« und der Wechsel von Positionen verstärkt nicht mehr nur gegen Modernisierungspro- treten dabei deutlicher hervor. Im Folgenden werden jekte behaupten, die nur ökonomisch motiviert wären. exemplarisch Struktur und Verlauf einer für »Mainhat- Der mehr oder weniger starke Funktionalismus der tan« signifi kanten Teildebatte um das Stadtbild rekonst- frühen Hochhausbauten wird nun auch im Wider- ruiert/1/: der Prozess der Destruktion einer historischen spruch zu »ästhetischen« Maßnahmen gesehen, die als Hochhausarchitektur, des Zürich-Hauses, und dessen Er- innovative »Stadtreparatur« etikettiert werden, dabei setzung durch einen höheren Neubau, den Opernturm. aber traditionalistisch und vielfach auch nostalgisch Die ursprüngliche Bebauungsschicht aus der Vor- unterlegt sind. Im Gegensatz zu diesen sogenannten kriegszeit ist an diesem Ort indirekter präsent als bei Heilungsmaßnahmen werden die »alten« Hochhäuser den meisten Innenstadt- und Rekonstruktionsdebat- der ersten Nachkriegsgeneration nun mit dem Verdikt ten. Dennoch ist die Emotionalisierung ähnlich hoch des Unhistorischen belegt. Abrisskritiker avancieren zu wie bei Fällen mit einer größeren zeitlichen Tiefendi- geschichtsbewussten Erbwaltern einer klassischen, in- mension. Die Virulenz von Hochhausdebatten begann ternationalen Moderne, die ursprünglich im Fokus der in Deutschland schon früh: Die teilweise euphorische Rationalismuskritik gestanden hatte, jetzt aber ihrer- Rezeption der überseeischen Hochhausarchitektur seits als von einer globalisierten Nostalgie des »heilen« in den 1920er Jahren hatte bereits große öffentliche Lokalen (»glocalization«) bedroht wird. Skepsis hervorgerufen./2/ Hochhäuser waren und sind stets Nuklei von Kämpfen um Deutungshoheiten in- nerhalb des architektonischen und urbanistischen Dis- kurses.

Hochhäuser mit Alterswert Besonders gut lässt sich in Frankfurt nachvollziehen, wie die Entstehung, neuerdings aber eben auch das Verschwinden von Hochhaustürmen, immer wieder Wellen schlägt./3/ Vielen Debattenteilnehmern ist klar geworden, dass traditionelle Frontstellungen zwischen den euphorischen Anhängern »Mainhattans« und den polemischen Anklägern eines »Bankfurt« oder »Krank- furt« in Bewegung geraten sind. Da zunehmend eine differenzierte Sicht möglich, ja geboten scheint, kann sich nun auch die Kunstgeschichte mit der Skyline beschäftigen – sie hatte sie übrigens schon früh zum Gegenstand erkoren, indem sie sie als hochwertiges Gesamtkunstwerk kanonisiert hatte./4/ Entscheidend für eine neue Lageeinschätzung ist, dass die Architektur des Wiederaufbaus im Frankfurt der Nachkriegszeit, die man bis in die 1970er Jahre hinein datieren kann, heute bereits einen Alterswert zu reklamieren vermag, der neuerdings mit Neubau- projekten kollidiert. Die Hochhausrevolution frisst nun ihre eignen Kinder, und das just in dem Moment, in dem diese erstmals potenziell denkmalwürdig wer- den. Diese Spannung scheint zunächst nur Folge ei- nes »natürlichen« Alterns der ehemals so modernen Hochhausbauten zu sein, das auch vor den architek- tonischen Riesen nicht haltmacht. Aber es gibt auch ganz spezifi sche Faktoren im Prozess beziehungswei-

Das Verschwinden historischer Hochhausarchitektur: Das denkmalwürdige Zürich-Haus, 1958 bis 1962 von den Archi- tekten Werner Stücheli (Schweiz) und Udo von Schauroth (Frankfurt) erbaute, wurde ab 2001/2002 abgerissen.

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Opernturm als hausgegner – zum architektonischen Märtyrer mutie- wichtiges Element ren. der »Stadtrepara- Aber zunächst einige allgemeine stadtgeschichtliche tur«, so jedenfalls Hintergrundinformationen: Frankfurt war nach dem sieht es der Frank- furter Architekt Zweiten Weltkrieg schnell zur Handels- und Wirt- Christoph Mäckler, schaftsmetropole der Westzone aufgestiegen. Schon der den Entwurf in dieser Zeit waren, an die vereinzelten Ansätze der für den Neubau 1920er Jahre wie das IG-Farben-Gebäude anknüp- schuf. fend, einige Hochhäuser erbaut worden. Das schwere, neoklassizistische Erbe der auftrumpfenden, überwie- gend erdverbundenen NS-Repräsentationsarchitektur galt als gründlich diskreditiert. Die betont schlicht ge- haltenen Hochhäuser dieser ersten Generation aber legten eine betont »sachliche« Haltung und eine ru- hige Geste an den Tag, die kollektivpsychologisch er- wünscht waren. Durch eine Mischung, die moderne Parameter mit Anklängen an vertraute Muster zu- sammenbrachte, konnten die Nachkriegsbauten zur perfekten Inkarnation der zeittypischen »konservati- ven Modernisierung« avancieren./5/ So gemahnte die gesamte Gliederung der 1950er-Jahre-Hochhäuser in eine Sockelzone – wenn schon aufgelockert –, einen eigentlichen Baukörper und schließlich eine obere Abschlusszone in Form einer modernen Attika oder eines auf schmalen Pfeilern lastenden Kragdachs noch an die klassische architektonische Geschosseinteilung oder den Säulenkanon.

Widerstand gegen die »Büroschachtel« und ihren provokanten Standort Das Hochhaus, das der Schweizer Zürich-Versiche- rungskonzern durch die Architekten Werner Stücheli (Schweiz) und Udo von Schauroth (Frankfurt) errichten ließ, scherte aus diesem Konsens aus. Hier wurde eine »Büroschachtel« geschaffen, deren obere Ausklangszo- Für die Sicht auf den Abriss (2001) des Hochhau- ne ganz wegfi el. Kennzeichen des Stahlbetonskelettbaus ses der Zürich-Versicherung, das durch den Opernturm war eine besonders dünne, leichte und platzsparende, Die auf den (seit 2007 im Bau) ersetzt wird, gilt diese neuartige mehrschichtige »Haut«, eine Sandwichfassade./6/ Nicht Opernplatz geöff- Umkehrung ganz besonders. Das in direkter Nachbar- nur die ungewohnte, amerikanisch wirkende Ästhetik neten Arkaden der schaft des Opernplatzes ab 1958 erbaute Zürich-Haus des Turms mit seiner Curtain-Wall-Fassade war aufse- Randbebauung sollen das klassi- stand seit 1989 unter Denkmalschutz. Diese Protektion henerregend. Provokanter war der Standort des En- sche Platzensem- wurde schrittweise aufgehoben. Dies ließ eine häufi g sembles. Es markierte die Westseite des Opernplatzes, ble wieder erste- als »Ikone des Wiederaufbaus« wahrgenommene Ar- auf dem das Opernhaus, noch ruinös, einer neuen Be- hen lassen. chitektur in den Augen vieler – auch ehemaliger Hoch- stimmung harrte. Damit drang erstmals ein Hochhaus vom Rande her in das Wohnviertel Westend ein, und das planerische Auftaktsignal für die bauwirtschaftliche Erschließung zugunsten des Ter tiärsektors war gege- ben. Der Höhenakzent von knapp 70 Meter war zwar an sich moderat – er übertraf den Domturm mit seinen 95 Metern Höhe nicht –, aber erste, noch relativ mode- rate Proteste artikulierten sich. Auch die Befreiung von den Vorgaben des Bebauungsplanes wurde als äußerst beunruhigend wahrgenommen. Nach der Einweihung des Zürich-Hauses 1962 glät- teten sich trotz des aufkeimenden bürgerlichen Wi- derstandes zunächst die Wogen in Öffentlichkeit und Presse./7/ Trotzdem: Der Bau und seine Wahrnehmung waren ein Präjudiz für die Verhärtung der Fronten zwi- schen Stadtpolitik – im Verbund mit Investoren – und Bewohnern./8/ Durch den Fingerplan ab 1968 sollte das Zürich-Haus als eine Art Handwurzel für die Ver- drängung der Wohnquartiere im Westend, vor allem entlang der Bockenheimer Landstraße, funktionalisiert werden. Der Widerstand der dort wohnenden Bevöl- kerung, von in Bockenheim ansässigen Studenten und

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der linken Hausbesetzerszene, nahm rapide zu./9/ Aber Auch ehemalige Hochhausgegner wie die Bürgeriniti- relativ unbenommen davon konnte sich der Zürich- ative »Aktionsgemeinschaft Westend« wurden nun zu Bau auch zu einem recht populären Verdichtungspunkt Anwälten des »Status quo«. Zwar korrespondiert diese des urbanen Lebens mit Anbindung an die innere In- Sicht mit einer allgemein positiveren Perspektive der nenstadt und die Grünoase des Rothschildparks entwi- Frankfurter Bürger auf Hochhäuser und Skyline [sie- ckeln. Aufgrund seiner Lage wurde der Bau mit seiner he auch Rodenstein »Rekonstruieren und neu bauen Uhr, die den Rhythmus des städtischen Lebens wie – Ein soziologischer Blick auf die Frankfurter Altstadt«, eine Kirchturmuhr vorgab, mit positiven Attributen Seite 23]. Sie macht dennoch einen Sonderfall aus, da identifi ziert. das alte Hochhaus nun auch von ursprünglichen Skep- tikern des modernen Hochhausbaus verteidigt wurde. Gegen Abriss: Hochhausgegner Aber vergeblich: Das Zürich-Haus wurde ab August werden zu Anwälten des »Status quo« 2001 abgebrochen. Der Denkmalschutz, den das hessische Landesamt Nicht weniger kontrovers als der Abriss des Ensem- für Denkmalpflege dem Komplex zugebilligt hatte, bles war die Entwicklung eines Nachfolgeprojektes für wurde 1991 aufgehoben. Nachdem der Eigentümer das prominente Grundstück in bester City-Lage. Die 1995 erstmals seinen Abrisswillen bekundet hatte, wur- Debatten um den 168 Meter hohen Opernturm des de dies 1998 von der Stadt abgenickt, weil der Besitzer Frankfurter Architekten Christoph Mäckler, der mit ei- abzuwandern drohte. Die öffentlichen Proteste dage- ner begleitenden Blockrandbebauung den Opernplatz gen waren enorm. Entscheidend ist, dass sich die histo- westlich abschließen, urbanistisch »fassen« soll, ziehen rische Konstellation der Entstehungszeit des Baus und sich bis in die Gegenwart des Jahres 2009. Die starke vor allem der nachfolgenden Kämpfe nun umdrehte. Verfl echtung von Hochhausbau und wirtschaftlicher

Nach Abriss der »Ikone des Wie- deraufbaus« lag das Grundstück am Opernplatz fünf Jahre lang brach.

Aufgestockt: Aus ursprünglich 90 Metern wurden 170 Meter – damit stieg die Emotio- nalisierung der Debatte.

Anmerkungen

/1/ Mein Beitrag zur »Skyline als stadtsozio logische /6/ Sie war ein /8/ Detlef Janik S. 176 – 201. Der beruht vor allem Markenzeichen« – Dimension fokus- Materialverbund Wie die Hochhäuser Band bietet viele auf einer syste- die steile Karriere siert. – der allerdings nach Frankfurt ka- weiterführende matischen Aus- der Hochhäuser in immense thermi- men In: ders. Hintergrundinfor- wertung der Frankfurt am /4/ Ulf Jonak Die sche Probleme 1995, S. 9 – 12. mationen, siehe thematisch ein- Main In: dies. Frankfurter Skyli- mit sich bringen auch den Beitrag schlägigen Bei- (Hrsg.) Hochhäuser ne. Eine Stadt gerät sollte. Dazu: Ernst /9/ Zu dieser Pha- von Roland Bur- träge (Artikel, in Deutschland. aus den Fugen und Wegener Beginn se: Richard Her- gard (Frankfurts Leserbriefe, Kom- Zukunft oder Ruin gewinnt an Gestalt der »Entwicklung ding Der Westend- Hochhäuser, mentare etc.) in der Städte? Stutt- Frankfurt / New der City ins West- Konfl ikt als Kampffmeyer und der FAZ und der gart 2000, York 1992. end« – das Zürich- öffentlicher Lern- die Folgen, FR von 1994 bzw. S. 15 – 70. Die Haus am Opern- prozess. Vom Ab- S. 139 – 175). 1998 bis heute. Frankfurter So- /5/ Enrico Santi- platz In: Detlef bruch zur Erhal- ziologin bietet ei- faller Steht das Janik Hochhäuser tung, vom /2/ Rainer Stom- nen solide Zürich-Haus schief? in Frankfurt. Wett- ökonomischen zum me/Dieter recherchierten, In: Dieter Bartetz- lauf zu den Wolken ökologischen Stadt- Mayer-Gürr klaren Überblick ko (Hrsg.) Frankfurt am bild In: Martin Hochhaus. Der Be- über die Ge- Sprung in die Mo- Main 1995, S. 36. Wenz (Hrsg.) ginn in Deutschland schich te der derne. Frankfurt Hans Kampffmeyer. Marburg 2002. Hochhausarchi- am Main. Die Stadt /7/ Enrico Santi- Planungsdezernent tektur in Frank- der 50er Jahre faller Steht das Zü- in Frankfurt am /3/ Marianne Ro- furt, der vor allem Frankfurt am rich-Haus schief In: Main 1956–72 denstein Von der die planungs- Main/New York Bartetzko 1994, Frankfurt am »Hochhausseuche« politische und 1994, S. 80 – 99. S. 80 – 99. Main 2000,

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Konjunktur führte dabei zu immensen Stockungen. mentalsten Ebene, der reinen Bauhöhe, vorbei: Von Die Neubebauung des Zürich-Grundstückes entwi- der Lobbyarbeit des Architekten vorbereitet, wurde im ckelte sich zu einer nervenaufreibenden Geduldspro- Jahre 2001 eine Aufstockung von ursprünglich 90 auf be für kommunale Entscheidungsträger sowie für die fast 170 Meter beschlossen. Proportional dazu stieg die Öffentlichkeit [siehe auch Heeg / Dörry »Zürich-Haus Emotionalisierung der Debatte. und Opernturm – Beispiele für spekulationsgetriebene Der kritische Nah-Blick auf das weit sichtbare »Aus- Planung«, Seite 36]. Stocken und Fortgang des Opern- rufezeichen« stellte dabei Fragen nach Denkmalschutz turms avancierten so in der öffentlichen Wahrneh- und Stadtbildkontinuität. Denn in Höhe und Gestal- mung zu einem bauwirtschaftlichen und gesamtkon- tung wurde das Neubauprojekt daraufhin untersucht, junkturellen Stimmungsbarometer für den Standort wie es sich zum Traditionsensemble des Opernplatzes Frankfurt. verhält. Im Hochhausrahmenplan von 1998 war eine derartig hohe Neubebauung nicht vorgesehen. Gegner Opernturm: »Stadtreparatur«? befürchteten, der unerwartet hohe Turm werde ein So ist das Nachfolgeprojekt des Zürich-Hochhauses Präjudiz für andere, nicht ausgewiesene Hochhaus- an die häufi g affektiv geführte Frankfurter Hochhaus- Standorte sein. Der Architekt hingegen bemühte sich, und auch Stadtbilddebatte angebunden. Dabei geht es den Neubau als wichtiges Element einer »Stadtrepa- auch um das Verhältnis von »innovativen« Hochhäu- ratur« vorzustellen. Die steinsichtige Fassade wie die sern und »traditionellen« Räumen wie dem Römer, kommerziell genutzten, auf den Opernplatz geöffne- außerdem um die Probleme einer Konzentration der ten Arkaden der Randbebauung sollen zur Wiederer- Stelen des Tertiärsektors im Innenstadtbereich. Spezi- schaffung eines klassischen Platzensembles beitragen, ell die Hochhausdiskussion kommt nie an der funda- ebenso wie die Verschlankung und Aufstockung des Turms sich zugunsten von mehr Grünfl äche auswir- ken sollen. Feindbild ist für den engagiert argumentie- renden »Baumeister« vor allem die funktionalistische, formalistische Moderne. Sie gilt ihm, der sich auch an anderen Orten der Innenstadt für ein Sichtbarmachen verschütteter oder überbauter Geschichts-Schichten starkmacht, als Vertreter einer kalten, gesichtslosen Ortlosigkeit und eines mangelnden Materialbewusst- seins. Als Berater für den Campus Westend der Goe- the-Universität hat der Architekt sich auch dort für eine ähnliche, einheitsstiftende Materialregie als Trä- gerin einer Ensemblewirkung stark machen können. Projektgegner und Kritiker des Architekten haben seine Traditionsorientierung als nostalgisch bezeichnet sowie seine stadtsoziologisch fragwürdig erscheinen- den Prämissen kritisiert: Das harmonierorientierte und materialästhetische Emotionskonzept sei unterkom- plex und die soziale Exklusivität abzulehnen. Vor allem aber ist das vom Architekten vorgeschlagene Konzept einer Gestaltungssatzung, die ihm zufolge Harmonie und Kontinuität des Stadtbildes durch formale und materielle Normen festschreiben soll, von den Kriti- kern mit einem Hauptargument abgelehnt worden: Effektiver als jede Gestaltungssatzung sei schließlich ein wirkungsvoll durchgesetzter Denkmalschutz – man verweist dabei eben gerade auf den Abriss des Zürich- Hauses. 

Das Verhältnis von »innovativen Hochhäusern« und »traditio- nellen Räumen« prägt die Stadtbilddebatte seit den 1990er Jahren. »Erschlägt« der neue Turm die Oper und ihren Vor- platz?

Der Autor

Dr. Markus Dauss, 35, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Universität; seine Arbeitsschwerpunkte sind: komparative Architekturge- schichte (Deutschland – Frankreich), allgemeine Architek- turgeschichte und -theorie vom 18. bis 20. Jahrhundert, deren methodische Öffnung auf soziologische Fragen, politische Ikonologie des Denkmals und der Architektur, Probleme der Intermedialität.

[email protected] www.kunst.uni-frankfurt.de/mitarbeiter/dauss/dauss_frame.htm

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02 UNI S000_00 2009_03.indd 60 24.11.2009 13:15:07 Uhr Forschung aktuell Die Holbein-Madonna im Wandel Neues zur Entstehung des berühmten Gemäldes – Infrarot-Refl ektografi e erhellt die Hintergründe

it der Madonna des Jacob Meyer zum Hasen von Jochen Mvon Hans Holbein dem Jüngeren beherbergt das Sander Frankfurter Städel Museum seit einigen Jahren ei- nes der Hauptwerke der deutschen Renaissancemale- rei. 1 Kunsthistoriker haben dieses Gemälde im Laufe der Jahrzehnte immer wieder in den Blick und unter die Lupe genommen. Vieles über seine Entstehungsge- schichte ist bekannt, doch einiges lag im Verborgenen. Mithilfe der Infrarot-Refl ektografi e ließ sich jetzt zeigen, dass der Künstler das Gemälde – auf Wunsch seines Auf- traggebers – mehrfach verändert hat. Im Typus einer Schutzmantelmadonna zeigt das berühmte Gemälde die Familie des vormaligen Basler Bürgermeisters zu Füßen der Gottesmutter mit dem Kind. Auf der vom Betrachter aus gesehen linken Seite kniet Meyer selbst, begleitet von einem Knaben (viel- leicht seinem Namenspatron, dem heiligen Jakobus), der seinerseits den als Kleinkind dargestellten Johan- nes den Täufer stützt. Auf der Gegenseite fi nden sich die weiblichen Mitglieder der Stifterfamilie: der Ma- donna am nächsten die zum Zeitpunkt der Bildentste- hung schon lange verstorbene erste Frau Meyers, da- vor seine zweite Gattin Dorothea Kannengießer und die gemeinsame Tochter Anna. Dieses letzte »katholi- sche« Bild, das Holbein in Basel malte, entstand nur kurz vor seiner ersten Englandreise 1525 / 26 und nur wenige Jahre vor dem protestantischen Basler Bilder- sturm, dem eine Vielzahl altgläubiger Werke, darunter auch Arbeiten von Holbein selbst, zum Opfer fi elen.

Veränderungen an den Frauenporträts: »Jungfernschapel« für die Tochter Wie schon seit Langem bekannt – da auch ohne tech nische Hilfsmittel dank des alterungsbedingten Deckkraftverlusts der Malschicht heute schemenhaft erkennbar – hatte Holbein das Gemälde nach seiner Rückkehr nach Basel 1528/29 nochmals in der Werk- 1 Hans Holbeins Madonnenbild ist neben Albrecht Dürers statt: Der statusbewusste Auftraggeber ließ den Maler »Vier Aposteln« das bedeutendste Gemälde der deutschen Re- die veränderte soziale Stellung seiner Tochter Anna naissancemalerei. Der idealisierten »Italianità« der Heiligenfi - nachträglich im Bild korrigieren. War sie zunächst als guren steht der grandiose, an altniederländischer Malerei ge- schulte Realismus der Porträts der Auftraggeber gegenüber. junges, unverheiratetes Mädchen mit offenen, lang [Hans Holbein d. J., Madonna des Jacob Meyer zum Hasen, über die Schultern herabhängenden Haaren dargestellt Frankfurt, Städel Museum (Leihgabe der Hessischen Hausstif- gewesen (so zeigt sie übrigens auch Holbeins vorberei- tung)] tende Porträtzeichnung, die heute im Basler Kupfer- stichkabinett aufbewahrt wird 2), so hatte der Bürger- sich übrigens auch von der Mutter eine vorbereitende meister seine Tochter inzwischen verlobt. Dies wurde Porträtzeichnung in Basel erhalten, die diese noch mit nun mit der Übermalung der offenen Haare durch das der altertümlicheren Haube zeigt und die als Vorlage »Jungfernschapel«, einen kostbaren, mit Nelken be- für das gemalte Bildnis genutzt wurde. steckten textilen Kopfputz, der die Haare weitgehend verbirgt, verdeutlicht. Mehrschichtig: Doch auch Annas Mutter Dorothea, die im Bild Etappen der Bildentstehung aufgedeckt unmittelbar hinter ihrer Tochter dargestellt ist, nutzte Hatten sich wichtige Etappen der Bildentstehung die Gunst der Stunde und ließ ihre anfänglich darge- schon mit bloßem Auge schemenhaft ablesen lassen, so stellte Haube, die mit einem Kinnband sogar die un- werden diese dank der kürzlich angefertigten Aufnah- tere Gesichtshälfte verdeckt hatte, durch eine deutlich me mit dem OSIRIS-Infrarot-Bildaufnahmegerät [siehe modischere Haube übermalen, die nun sehr viel mehr auch »Zerstörungsfreier Blick auf die ›Alten Meister‹«, Gesicht zeigte. Ähnlich wie im Falle der Tochter hat Seite 64] nun in allen Einzelheiten erkennbar. Doch

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Doch die gemäldetechnologischen Befunde verraten einen anderen, komplexeren Entstehungsprozess. Of- fenbar war der Auftraggeber mit der ersten Darstellung seiner Frau und seiner Tochter nicht zufrieden und wies den Maler an, das bereits farbig angelegte Gemäl- de in diesen Partien zu überarbeiten. Erst jetzt fertigte Holbein die im Basler Kupferstichkabinett erhaltenen Bildniszeichnungen an, die im Vergleich zu seinen üb- rigen Bildniszeichnungen auffallend detailreich, fast bildmäßig ausgeführt sind. Nach der mutmaßlichen Genehmigung durch den Auftraggeber übertrug er die neuen Bildnisköpfe durch ein Pausverfahren auf das bereits farbig angelegte Bild und führte sie entspre- chend aus.

Altarbild aus der Matthäuskirche: Stifterfamilie in Position gebracht Eine solche vom ausführenden Maler selbst durch- geführte, nachträgliche »Aktualisierung« ist in der Ma- lerei der frühen Neuzeit nichts Ungewöhnliches, wie ein zweites Beispiel zeigen kann. Seit fast einem Jahr- hundert befi ndet sich ein bedeutendes niederländisches Altarbild aus dem ersten Drittel des 16. Jahrhunderts im Besitz der evangelischen Matthäuskirche in Frankfurt, wo es allerdings ein von der kunsthistorischen For- schung gänzlich unbeachtetes Schattendasein fristete. 4 Um dringend notwendige konservatorische Maßnah- men durchzuführen, befi ndet sich das Altarbild gegen- wärtig in der Gemälde-Restaurierungswerkstatt des Stä- 2 Als ersten Schritt zur Herstellung eines Porträts fertigte Hans Holbein üblicherweise eine Bildniszeichnung an, die an- schließend mechanisch auf das grundierte Tafelbild übertragen wurde. Im Falle der Tochter des Basler Bürgermeisters Meyer entstand die in Basel erhaltene Zeichnung allerdings erst im Zuge eines Korrekturwunsches des Auftraggebers, nachdem der Maler das Gemälde einschließlich der Porträts bereits be- gonnen hatte. [Hans Holbein d. J., Bildniszeichnung der Anna Meyer, Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett]

mehr noch – die Infrarot-Aufnahme belegt, dass die Entstehungsgeschichte der Stifterbildnisse in Holbeins Schutzmantelmadonna zum Teil noch verwickelter war als bislang angenommen. Denn die Aufnahme der Frauenköpfe zeigt eine erste unterzeichnete Bild- anlage, die weder mit den Basler Porträtzeichnungen noch mit dem heutigen Oberfl ächenbild etwas zu tun hat. 3 Besonders interessant ist in diesem Zusammen- hang der Kopf der Dorothea. Denn hier zeigt sich, dass Holbein das Gesicht von Annas Mutter zunächst stär- ker dem Betrachter zugewandt unterzeichnet hatte, so dass sie in dessen Richtung aus dem Bild herausblick- te. Diese erste Figurenkonzeption, die gegenüber dem heute sichtbaren Kopf um Nasenbreite nach rechts ver- schoben war, wurde bereits in einer ersten Farbanlage ausgeführt, wie der Helligkeitsunterschied der beiden gegeneinander verschobenen Gesichter verdeutlicht. Besonders spannend ist dieser Befund, weil man bisher angenommen hatte, dass Holbein auch bei der Ausfüh- rung dieses Hauptwerks seiner Basler Schaffenszeit von den Porträtzeichnungen ausgegangen sei, die er dann 3 Der Infrarot-Befund zeigt vor allem am mehrfach veränder- mithilfe eines mechanischen Übertragungsverfahrens ten Kopf der Dorothea Kannengießer deutlich die verschiede- (einer Art Kohlepapier) mechanisch auf den grundier- nen Stadien der Bildentstehung: Der Kopf war zunächst weiter rechts und weniger stark ins Profi l gedreht zu sehen, wurde ten Bildträger übertragen habe. Zahlreiche erhaltene dann an seinen heutigen Bildort versetzt, wo anschließend die Bildniszeichnungen, so auch die Basler Blätter, zeigen Haubenform und die Kinnbinde zweifach verändert wurde. die Spuren dieser mechanischen Übertragungen ebenso [Hans Holbein d. J., Madonna des Jacob Meyer zum Hasen, In- wie die anschließend ausgeführten gemalten Bildnisse. frarot-Refl ektografi e, Ausschnitt]

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4 Dieses bisher selbst Fachleuten kaum bekannte holländische Triptychon befi ndet sich als Leihgabe der Evangelischen Matthäuskirchengemeinde im Städel Museum, wo es gegenwärtig dringend notwendigen Reinigungs- und Restaurierungsarbeiten unterzogen wird. [Holländischer Künstler um 1530, Kreuzigungstriptychon, Frank- furt, Städel Museum (Leihgabe der Evangelischen Matthäuskirche, Frankfurt)]

5 Einige Mitglieder der umfangreichen Stifterfamilie waren nicht von Anfang an zur Darstellung auf dem linken Flügel des Triptychons vorgesehen; sie wurden erst nachträglich in das bereits farbig ausgeführte Gemälde eingefügt. Doch auch bei den übrigen Bildnisfi guren wurden während der Farbausführung zahlreiche Verände- rungen ausgeführt. [Holländischer Künstler um 1530, Kreuzigungstriptychon, linker Flügel, Infrarot-Refl ektografi e, Ausschnitt]

del Museums. Nach Abschluss der Restaurierung wird die Frauen auf dem rangniederen rechten Flügel dar- es als Dauerleihgabe der Matthäuskirchengemeinde in gestellt. Des Weiteren erscheinen die zum Zeitpunkt die Gemäldegalerie des Städel einziehen und die dor- der Ausführung des Altarbildes noch lebenden Kinder tige hochkarätige Sammlung niederländischer Malerei in einem deutlich größeren Figurenmaßstab als die be- des 15. und 16. Jahrhunderts verstärken. reits verstorbenen. Während das Mittelbild die Kreuzigung Christi viel- Wie die Infrarot-Aufnahme zeigt, sind nicht alle fi gurig vor einem weiten Landschaftspanorama entfal- Figuren von Anfang an in ihrer heutigen Position im tet, zeigen die Flügelinnenseiten die männlichen bezie- Bild vorgesehen gewesen, ja, einige Figuren sind so- hungsweise die weiblichen Mitglieder der Stifterfamilie gar erst nachträglich ins Bild gesetzt worden. 5 Dies in der Obhut von Heiligen. Dank der auf den Flügel- betrifft den heutigen Kopf des alten Hallincq ebenso außenseiten dargestellten Namenspatrone der Stifter, wie den Kopf des rechts in der zweiten Reihe posi- Johannes des Täufers und Elisabeth von Thüringen, tionierten Sohnes, der sich durch seine Tonsur als vor allem aber wegen der hier wiedergegebenen Fami- Geistlicher zu erkennen gibt. Wie Archivforschungen lienwappen, ist erst kürzlich die Identifi kation der Stif- in Dordrecht ergeben haben, hatte Jan Hallincq sie- terfamilie gelungen. Es handelt sich um die aus dem ben Söhne, die das Erwachsenenalter erreichten, doch Patriziat der südholländischen Stadt Dordrecht stam- nicht alle von ihnen waren in der Erstkonzeption des menden Eheleute Jan Hallincq und Elisabeth Booga- Stifterflügels vorgesehen. Selbst bei den anfänglich erd mit ihren männlichen und weiblichen Nachkom- geplanten Figuren gibt es deutliche Unterschiede in men. Den Konventionen der Zeit entsprechend sind der Art der Unterzeichnung – so fi nden sich nur bei die Männer auf dem ranghöheren linken Flügel (zur zwei Köpfen am linken Bildrand die markanten zick- Rechten des gekreuzigten Christus auf der Mitteltafel), zackartig ausgeführten Schraffuren, die die Schatten-

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Mit dem mobilen Infrarot-Bildaufnahmesystem: Zerstörungsfreier Blick auf die »Alten Meister«

it der Einrichtung der Städel-Kooperationspro- mefällen selbstständige, vorbereitende Zeichnun- Mfessur am Kunstgeschichtlichen Institut der gen, Studien oder Farbskizzen, die die Entstehung Goethe-Universität konnte kürzlich ein mobiles In- der Bildidee Schritt für Schritt nachvollziehbar frarot-Bildaufnahmesystem erworben werden, das machen. Umso wichtiger ist also für die Forschung der objektbezogenen kunsthistorischen Forschung in zu den Bildkünsten in Deutschland und den Nieder- Frankfurt vollkommen neue Perspektiven eröffnet: landen zwischen Spätgotik und Barock die Mög- »Osiris A-1«, ein langjährig an der National Gallery lichkeit, diese Informationen zur Bildgenese der er- in London entwickeltes Untersuchungsgerät, ermög- haltenen Werke auf zerstörungsfreiem Wege zu licht den zerstörungsfreien Blick in die Bildentste- erhalten, um sie zur Grundlage weitergehender Fra- hung und nachfolgende Bildgeschichte von mobilen gen nutzen zu können. Tafelbildern und ortsfesten Wandmalereien. So kön- Die Infrarot-Refl ektografi e ist eine in den späten nen nicht nur die erste zeichnerische Ideenskizze auf 1960er Jahren entwickelte und seither stetig verfei- dem grundierten Bildträger und die im Detail aus- nerte gemäldetechnologische Untersuchungsmetho- geführte, vorbereitende Unterzeichnung sowie die de, die einen zerstörungsfreien Blick unter die Mal- anschließende sukzessive malerische Ausführung schicht ermöglicht. Sie nutzt den Umstand, dass das durch den Künstler selbst nachvollzogen und doku- langwellige Licht aus dem nahen Infrarotbereich die mentiert werden. Gleiches gilt für nachträgliche Ver- Farbschicht bis auf die Grundierung eines Gemäldes änderungen, seien sie einem späteren Funktions- durchdringt und dort refl ektiert wird. Dieses refl ek- oder Geschmackswandel oder aber zustandsbedingt tierte langwellige Licht ist für das menschliche Auge ausgeführten Restaurierungen geschuldet. zwar unsichtbar, es kann aber fotografi sch aufge- Gerade im Bereich der »Alten Meister« ist diese nommen werden. Der jeweilige Grad der Durch- Untersuchungsform von besonderer Bedeutung, da dringbarkeit der Malschichten hängt von der Dicke vielfach nur eine Handvoll Werke von einem dieser Schichten ebenso ab wie von ihrer Zusam- Künstler erhalten sind. Anders als im 19. und mensetzung, die in der Mischung von Pigment und 20. Jahrhundert gibt es nur in glücklichen Ausnah- Bindemittel von Fall zu Fall variieren kann.

zonen markieren sollen. Die am Infrarot-Befund so Der Autor klar nachvollziehbare sukzessive Einfügung weiterer Stifterfi guren verdeutlicht eindrücklich die Memorial- Prof. Dr. Jochen Sander, 51, hat seit 2008 die Städel-Kooperati- onsprofessur inne, die die Goethe-Universität und das Frankfur- funktion, die das Altarbild am Begräbnisort der Sippe ter Städel Museum gemeinsam eingerichtet haben. Die in ihrer erfüllen sollte; die Bildnisse sollten sicherstellen, dass Art deutschlandweit einzigartige Professur verbindet das Kunst- die Dargestellten ins liturgische Totengedächtnis ein- historische Universitätsinstitut mit einem der renommiertesten geschlossen wurden. Museen Europas. Die »kooptative« Berufung einer Persönlich- Das jetzt verfügbare Infrarot-Bildaufnahmesystem keit, die bereits in leitender Position an einer außeruniversitären OSIRIS wird in Zukunft intensiv für Forschungsprojek- Einrichtung tätig ist, wurde erst mit der neuen Autonomie der te am Kunstgeschichtlichen Institut der Goethe-Uni- Stiftungsuniversität möglich. Jochen Sander ist Sammlungsleiter für Deutsche und Niederländische Malerei vor 1800 und seit versität eingesetzt werden. Ein Schwerpunkt wird die 2007 stellvertretender Direktor des Städel. Der Kunsthistoriker spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Malerei am wurde 1987 mit einer Arbeit zur »Stilentwicklung und Chronolo- Mittelrhein und in den angrenzenden Kunstlandschaf- gie des Hugo van der Goes« an der Universität Bochum promo- ten sein, die durch das mobile Infrarotgerät nunmehr viert. Unmittelbar nach der Promotion holte ihn das Städelsche am jeweiligen Aufbewahrungsort in Kirchen und Mu- Kunstinstitut nach Frankfurt. Parallel zu seiner Museumsarbeit seen untersucht werden kann. Eine intensive Zusam- verfasste Sander seine Habilitationsschrift über »Hans Holbein menarbeit besteht derzeit bereits mit dem Landesamt d. J., Tafelmaler in Basel, 1515 – 32«. für Denkmalpfl ege in Wiesbaden und dem Hessischen [email protected] Landesmuseum Darmstadt.  www.staedelmuseum.de

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Die Dorfl inde war ein beliebter Treffpunkt, wie dieses Bild vom Feierabend im Allgäu aus dem Jahr 1957 zeigt. Hier tauschte man nicht nur aktuelle Nachrichten aus, sondern erzählte sich auch Geschichten von früher. Diese Erzählkultur, die durch Fernsehen und Internet im Schwinden ist, will das Café Sagenhaft wiederbeleben.

oderne Technologien wie Fernsehen und Internet Mhaben die jahrhundertealte Tradition des Geschich- tenerzählens in den Hintergrund gedrängt, obgleich sie bis heute nichts von ihrer Faszination eingebüßt hat. Märchen, Sagen und zeitgeschichtliche Berichte halten Erinnerungen wach, ranken sich um historische Persön- lichkeiten, erklären Ortsnamen und geologische Forma- tionen aus fernen Welten oder der Heimat. Erst durch Erzählungen wird eine Region für unsere Kinder leben- dig erhalten und das Wissen von einer Generation an die nächste weitergegeben. Das Projekt »Café Sagenhaft« sammelt »Geschich- ten aus Frankfurt und der großen weiten Welt« auf einer innovativen Internetplattform. Adressaten sind Pädagogen aus unterschiedlichen Segmenten des Bil- dungssystems: Grundschullehrerinnen und -lehrer, Erzieherinnen und Erzieher fi nden hier künftig regi- onale und internationale Geschichten für Kinder di- daktisch sinnvoll aufbereitet und mit vielen Tipps und Anregungen für die Unterrichts- und Freizeitgestaltung versehen. Doch fi ndet nicht nur eine Verzahnung des vorschulischen mit dem schulischen Bildungsbereich, sondern auch eine Integration der Seniorenkulturar- beit statt. Für ältere Menschen mit Erzähltalent bietet das Café Sagenhaft nämlich die Möglichkeit des bürger- schaftlichen Engagements, indem sie als Experten ihrer eigenen Lebensgeschichten oder als Erzähler schriftlich kodifi zierter Geschichten auftreten können. Entwickelt von einem Projektteam unter Leitung von Prof. Dieter

Geschichtenerzählen im »Café Sagenhaft« Eine Internetplattform rückt die jahrhundertealte Tradition in den Mittelpunkt

Nittel am Institut für Sozialpädagogik und Erwachse- halten Einzug in deutsche Kinderzimmer. Das zentrale von Dieter Nittel, nenbildung wird das virtuelle Café ab Februar 2010 on- Bindemittel traditioneller Lebensformen, die Vis-a-vis- Elke Wehrs und line gehen und unter der Domain www.cafesagenhaft. Kommunikation wird immer häufi ger durch das simu- Daniela Bruckmann de von der Stadtbibliothek weiterbetrieben werden. lierte Gespräch am Computer ersetzt. Interagiert wird mit fi ktionalen Helden und Treffen beziehungsweise Vom Verlust der alltäglichen Erzählkultur gegenseitiges Kennenlernen fi ndet im Chatroom statt. Zu den elementaren kulturellen Handlungsformen Dagegen gelten die Erfahrungen und das Wissen der des Menschen gehört das Erzählen. In alten Schulfi beln Alten immer mehr als antiquiert. fi nden wir Bilder von älteren und jüngeren Menschen, die sich unter der Dorfl inde versammeln und einander Erzählen ist mehr als bloße Mitteilung Geschichten erzählen. Dabei konnten die Jungen von Konrad Ehlich versteht unter dem Begriff »Erzäh- den Alten sehr viel über Traditionen, Werte und Nor- len« den Transfer von Erfahrung und Wissen in Spra- men erfahren, die durch das Erzählen von Geschichten che. Erzählen ist für ihn mehr als nur triviale Mittei- von Generation zu Generation weitergegeben wurden. lung und Verstehen, vielmehr »… eine Tätigkeit, die Verwoben mit persönlichen Erinnerungen handelten vom partikularen Erlebniswissen (…) bis hin zu kom- die Geschichten von Liebe und Treue, von Bewäh- plexen, aber als Geschichte geradezu sinnlich wahrge- rungsproben, Barmherzigkeit, Demut und Überlebens- nommenen Ereignissen und Zusammenhängen, Erfah- strategien. Doch seit circa 30 bis 40 Jahren unterliegt rung kommunikativ vermittelt. Erzählen überwindet die Gesellschaft diesbezüglich einem Wandel. Traditi- Isolation und konstituiert gemeinsame Teilnahme an onelle Lebensmilieus lösen sich auf, die Drei-Genera- Diskurswissen, mit dessen Hilfe die gesellschaftliche tionen-Familie wird seltener; Fernsehen und Internet Praxis realisiert wird.« (Ehlich 1980, 20)

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Die Forderung der akademischen Erwachsenen- Frankfurter Per- bildung, das Erzählen als alltägliche kulturelle Praktik sönlichkeiten wie gleichsam zu reanimieren, weil dadurch die Selbstre- die Schirmherrin fl exivität, Bestätigung, Identifi zierung und Abgrenzung des »Café Sagen- haft«, Dr. Frolinde ermöglicht wird, verknüpft Jürgen Habermas (1980) zu Balser, seit 1989 einem zentralen Anliegen in seiner Theorie des kom- Stadtälteste in munikativen Handelns. Gerade weil inzwischen das All- Frankfurt, erzäh- tagsleben durch Zwang zur fortlaufenden Herstellung len als Zeitzeugen lebensgeschichtlicher Sinnzusammenhänge gekenn- besondere Bege- zeichnet ist, braucht der Einzelne feste Bezugspunkte, benheiten aus der damit er »im Wechsel biografi scher Zustände und über Frankfurter Stadt- geschichte. Die die verschiedenen Positionen im sozialen Raum hinweg Videoaufnahmen Kontinuität und Konsistenz sichern« kann (Döbert/Ha- sind auf der Inter- bermas/Nunner-Winkler, G., 1980, 9). net-Plattform ab- Das Erzählen als wesentlicher Bestandteil der Iden- rufbar. titätsbildung versteht die Kulturanthropologin Ina-Ma-

Hermann Vornoff ist preisgekrönter Vorlesepate der Stiftung „Lesen“ und zugleich Kooperationspartner des »Café Sagen- haft«. Hier liest er beim Welttag des Buches am 23. April 2009 in einer Postkutsche aus dem Museum für Kommunikation. Die Fahrt führte am Main entlang. Zuhörer sind Schüler aus dem 5. Schuljahr.

gemeinsam mit einem mittlerweile auf sechs Perso- nen angewachsenen Team zwei Jahre später wieder aufgenommen, wobei die Stadt Frankfurt ein dezi- diertes Interesse bekundete, das »Café Sagenhaft« zu übernehmen und sogar zu institutionalisieren. In dem generationsübergreifenden Projekt werden die pädagogischen Handlungsfelder wie Kindergärten, Grundschulen miteinander verbunden, und gleich- zeitig dient das Erzählcafé als Kontaktstelle für die Vermittlung von älteren Menschen mit Erzähltalent. Der pädagogische Ansatz zielt darauf ab, den Kindern im Vor- und Grundschulalter durch Erzählungen Fra- ria Greverus im Kontext von Intersubjektivität. Leicht gen nach dem »Woher komme ich?« »Wohin gehe kann sich aus dem Nichtverstehen ein kultureller Kon- ich?« »Wo ist meine Heimat?« zu beantworten und flikt entwickeln. Menschen aus verschiedenen Län- damit ein Gefühl für die eigene Identität zu vermit- dern und verschiedenen Zeiten können unterschiedli- teln. Ältere Menschen, die den jungen Zuhörern ihre che symbolische Bedeutungen für den formal gleichen Geschichte erzählen, tragen dazu bei, das kommuni- Ausdruck internalisiert haben: Der Lindenbaum ist für kative Gedächtnis am Leben zu halten, indem sie Wis- den Großvater Erinnerung an den »Brunnen vor dem sen von einer Generation an die nächste weitergeben. Tore«, kann für den Forstwirtschaftler mit dem Bor- Für Kinder aus unterschiedlichen Nationen kann über kenkäfer, den Psychoanalytiker mit dem Traum und das Erzählen von Geschichten sprachlicher Common für das Kind mit magischem Denken verbunden sein Sense gefunden werden, denn Wünsche, Sehnsüchte (vgl. Greverus 1987, 64). und Erfahrungen der Menschen, die in Erzählungen deutlich werden, gleichen einander. Mündliches Erzählen und Innerhalb des »Café Sagenhaft« sollen auf die Stadt neue Medien kombinieren Frankfurt am Main und die Region Südhessen bezoge- ImI Rahmen einer projektförmigen ne Geschichten sowie internationale Sagen und Mär- LLehrveranstaltung zum Thema E- chen für Kinder im Vor- und Grundschulalter mittels LLearning entwickelten Studierende Online-Technologie gespeichert werden. Auf diese erstmalig die Idee, die alte Erzähl- Geschichten können Erzieher und Grundschullehrer ttradition mithilfe des World Wide bei ihrer täglichen Unterrichtsvorbereitung schnell WWeb wieder stärker in den Mittel- und unbürokratisch zugreifen. Die Besonderheit liegt ppunkt zu rücken: Ausgerechnet zudem darin, dass Geschichten nicht nur präsentiert, das Medium Internet, welchem sondern auch didaktische Tipps zur richtigen Vor- und nnachgesagt wird, »erzählfeindlich« Nachbereitung des Materials gegeben werden. zzu sein, wird genutzt, um das Er- Ältere Menschen mit bürgerschaftlichem Engage- zzählen wieder populär zu machen. ment, die Freude am Erzählen haben, können ihre 2006 entstand der Grundgedanke, Geschichten den Kindern mitteilen. Dazu nehmen sie ein virtuelles Erzählcafé namens Kontakt zu Vereinen, Verbänden oder Erzählcafés auf. »Café Sagenhaft« zu schaffen. Deren Adressen werden auf der Onlineplattform im PProf. Dieter Nittel hat diese Idee sogenannten »Erzählerpool« gespeichert. Benötigt ein

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Pädagoge für seinen Unterricht einen präsenten Zeit- zeugen, so klickt er einfach auf diese Adresse, und ein potenzieller Erzähler wird ihm angezeigt.

Die integrative und identitätsstiftende Kraft des Erzählens Geschichten und didaktisches Material im »Café Sagenhaft« haben das Ziel, die Lehrvorbereitung zu optimieren, weil zahlreiche Anregungen für Geschich- ten zu bestimmten Themenbereichen gegeben werden wie die besondere Beziehung zwischen Alt und Jung oder zwischen Kindern unterschiedlicher Kulturen im täglichen Zusammenleben. Es wird eine »Frankfurtkis- te« und eine »Hessenecke« mit Führern und Karten zur Sachkunde geben, Geschichten in Mundart oder mehrsprachige Texte, die zu den Themen »Fremd- sein«, »Integration« oder »Miteinander leben« wich- tige Bezüge liefern. Grundschullehrer oder Erzieher können nachlesen, ob sich eine Geschichte besser zum Vorlesen oder Erzählen eignet und sich darüber auch untereinander »online« austauschen. Dazu wird ein Forum erstellt, ein virtueller Raum, in dem Interessier- te miteinander kommunizieren können. Die Informa-

Märchenstunde im Die Autoren Kindergarten Diet- zenbach mit der Prof. Dr. Dieter Nittel, 55, ist Professor für Erziehungswis- Märchenfee Erika senschaft im Institut für Sozialpädagogik und Erwachse- Hohmann. nenbildung an der Goethe-Universität. Seine Schwerpunkte sind die Erziehungswissenschaftliche Professions- und Organisationstheorie, qualitative Bildungsforschung unter besonderer Berücksichtigung narrationsspezifi scher Ansät- ze. Seine aktuellen, von der Deutschen Forschungsgemein- schaft geförderten Projekte sind: »Pädagogische Erwerbs- tionstechnologie basiert auf einer wissenschaftlichen arbeit im System des lebenslangen Lernens. Berufl iche Selbstbeschreibungen und wechselseitige Funktions- und Lernplattform, einem sogenannten »Learning Content Aufgabenzuschreibungen« und »Lebenslanges Lernen im Management System« (LCMS), einem internetbasier- Kontext lebensbedrohlicher Erkrankungen. Die Anwendung ten Softwaresystem, in dem Lerninhalte bereitgestellt der biographischen Perspektive auf Herzinfarkt- und Brust- und Lernvorgänge organisiert werden können. Es bie- krebspatienten«. Einen Anknüpfungspunkt zur Medienpäd- tet die Vorteile der »Multimodalität«, indem verschie- agogik bietet das bis Ende 2009 laufende Projekt »Café Sa- genhaft – Geschichten aus Frankfurt und der großen weiten dene Codesysteme wie Schrift, gesprochene Sprache, Literatur Bilder, Grafi ken und Musik zusammenwirken und so Welt« für die Stadt Frankfurt. mehrere Sinne gleichzeitig ansprechen. Dr. Elke Wehrs, 58, ist Mitglied im Forum Alterswissenschaft Ehlich, K. (Hrsg.) Das »Café Sagenhaft« hat viele Förderer wie etwa in Frankfurt und arbeitet als freie wissenschaftliche Mitar- 1980 Erzählen im die Wilhelmine-Thoß-Stiftung oder die Polytechni- beiterin im Projekt »Café Sagenhaft«. Sie studierte Kultur- Alltag Frankfurt am Main. sche Gesellschaft gefunden. Zu den zahlreichen Ko- anthropologie und Europäische Ethnologie und Erziehungs- operationspartnern, die wertvolle Anregungen geben, wissenschaften mit Schwerpunkt Psychoanalyse an der Universität Frankfurt und promovierte 2005 im Fachbereich Döbert, R. / Haber- gehören in Frankfurt unter anderem das Institut für Erziehungswissenschaften. Die Dissertation »Verstehen an mas, J. / Nummer- Stadtgeschichte, das Historische Museum, die Zent- der Grenze. Erinnerungsverlust und Selbsterhaltung von Winkler,G. (Hrsg.) rale Kinder- und Jugendbibliothek der Stadtbücherei Menschen mit dementiellen Veränderungen« erschien im 1980 Entwicklung Frankfurt, das Mehrgenerationenhaus »Kinder im Jahr 2006 bei den »Frankfurter Beiträgen zur Erziehungs- des Ichs König- Zentrum Gallus«. Weitere Kooperationspartner tra- wissenschaft« in der Reihe Monographien. Heute unterrich- stein. gen mit guten Tipps zum Themenbereich »Interkul- tet die Autorin an der Universität des dritten Lebensalters zu Themenbereichen der sozialen Gerontologie. Greverus, I.-M. turalität« bei: der »Arbeitskreis Schule und Museum 1987 Kultur und Dietzenbach«, die Stadtbücherei und die Städtische Diplom-Pädagogin Daniela Bruckmann, 27, arbeitet als freie Alltagswelt. Eine Seniorenarbeit in Dietzenbach sowie die Leitstelle wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt »Café Sagen- Einführung in »Älterwerden« und das Integrationsbüro des Kreises haft«. Sie studierte Erziehungswissenschaften mit Schwer- Fragen der Kultur- Offenbach. Das »Café Sagenhaft« ist ein gutes Beispiel punkt Erwachsenenbildung / Weiterbildung an der Goethe- anthropologie Insti- für die Fähigkeit unserer Universität, die Gabe des stu- Universität und schreibt derzeit an ihrer Dissertation im tut für Kulturan- Rahmen eines DFG-Forschungsprojektes. thropologie und dentischen Querdenkens aufzugreifen, ernst zu neh- Europäische Eth- men und als Scharnier gegenüber den Innovationsin- [email protected] nologie der Uni- teressen öffentlicher Institutionen (in diesem Fall die [email protected] versität Frankfurt Stadtbücherei) zu fungieren.  www.cafesagenhaft.de am Main, Bd. 26.

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02 UNI S000_00 2009_03.indd 67 24.11.2009 13:15:19 Uhr Forschung aktuell Deutsche Sprache, schwere Sprache? Einsichten aus Spracherwerbsforschung und Sprachförderung

Giovanni Trapattoni, verärger- von Ulrich n der Alltagssprache des multikulturellen Frankfurt ter Meistertrainer auf der wohl Labonté, Isind Äußerungen wie diese nicht sel- kürzesten Bundesliga-Presse- Angela Grimm, ten. Sie lassen darauf schließen, konferenz beim FC Bayern Anja Kersten, dass die Sprecher eine nichtdeut- München im März 1998. Barbara sche Muttersprache haben. Doch »Ich habe fertig!« Kleissendorf, während beim Star-Trainer Tra- Geeske Strecker, pattoni das so genannte Ausländer- »Fahrrad so machen« Petra Schulz deutsch als liebenswertes Attribut geradezu seinen Starruhm mehrt, ist dies bei den beiden Realschülern Furkan (4 Jahre) bei dem Versuch, einem Freund einen Fahr- und bei dem Kindergartenkind ganz anders. radunfall zu beschreiben. Bei Trappatoni käme niemand auf die Idee, aus seiner mangelnden Beherrschung der deut- schen Grammatik Rückschlüsse auf seine »Ej, lassma chillen!« fachliche Kompetenz oder seine intellektu- ellen Fähigkeiten zu ziehen oder daraus gar Prognosen für seine weitere Karriere abzuleiten. Aylin Aylin (15 Jahre) und Mustafa und Mustafa und auch Furkan dagegen werden, allein »Ne, man, (16 Jahre) auf aufgrund ihrer mangelnden Deutschkenntnisse, inner- dem Schulhof halb des deutschen Bildungssystems in der Regel nicht isch geh Aldi!« einer Frankfurter als zukünftige Bildungselite wahrgenommen. Und das, Realschule.

obwohl in einer Stadt wie Frankfurt am Main Men- schen mit Migrationshintergrund aus 170 verschiede- nen Nationen, das heißt mit über 100 verschiedenen Erstsprachen, zu Hause sind. Sie machen insgesamt 40 Prozent der Einwohner aus und innerhalb der Gruppe der 10- bis 14-Jährigen sogar fast 50 Prozent. Damit nimmt Frankfurt, gemessen an dem Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund, einen Spitzen- platz als »Multikulti«-Stadt ein [Siehe »Herausforde- rung Integration«, Seite 38]. Jugendliche wie Aylin und Mustafa gelten – trotz ihres Potenzials als Vermittler kultureller und sprach- licher Vielfalt – generell als schwierig zu beschulende und dann schwer auf dem Arbeitsmarkt zu vermit- telnde Klientel. Der Arbeitsemigrant Trappatoni zieht als Trainer, zurzeit der irischen Nationalelf, berufl ich erfolgreich weiter durch Europa. Aylin, Mustafa und Furkan dagegen werden vermutlich in Deutschland bleiben. Ob sie eine Berufsausbildung abschließen werden, scheint angesichts der Tatsache, dass momen- tan 30 Prozent der zweiten Generation von Migran- tinnen und Migranten ohne Berufsausbildung bleiben, fraglich. Gesellschaft wie Politik haben (zu) spät zur Kenntnis genommen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Mit PISA haben die verantwortlichen Bildungsin- stanzen akzeptiert, dass Chancengleichheit für Mig- ranten erst hergestellt werden muss. Um Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund – unabhän- gig von sozialem Status und ethnischer Herkunft – in ihrer Bildungskarriere zu fördern, benötigt man zum einen die Fähigkeit, deren Talente, die oftmals hinter mangelnden Deutschkenntnissen verborgen bleiben, überhaupt zu entdecken. Zum Zweiten gilt es, die Bil- dungsbenachteiligung zu verringern, die sich durch Wie lernen Kinder mit Migrationshintergrund Deutsch? Kinder die faktisch vorhandene mangelnde Beherrschung wie dieses Mädchen in einer Frankfurter Kita können uns dar- der deutschen Standardsprache, sowohl mündlich auf Antwort geben. wie schriftlich, ergibt: Hier sind Konzepte für die Dia-

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gnose und Förderung der Sprachfähigkeiten im Deut- schen gefragt. Schließlich gilt es, die Wissenslücken zu schließen, die vor allem in der Erforschung des frühen Zweitspracherwerbs existieren. Die Entdeckung von Fähigkeiten ist Alltag pädago- gischer Fachkräfte und sollte ein zentraler Gegenstand der Bildungspolitik sein. Doch wie lässt sich die Beherr- schung einer Sprache diagnostizieren, so dass eine ange- messene Sprachförderung möglich ist? Wie funktioniert der Spracherwerb bei Muttersprachlern und Zweit- sprachlern? Hier setzt die Arbeitseinheit Deutsch als Zweitsprache unter der Leitung von Prof. Petra Schulz an. In mehreren Forschungsprojekten untersuchen sie und ihre Mitarbeiter mit Methoden der experimentellen Psycholinguistik die Spracherwerbsprozesse von Kin- dern und Jugendlichen mit Deutsch als Zweitsprache und mit Deutsch als Muttersprache. In Praxisprojekten werden Konzepte für die Sprachstandsdiagnose und Sprachförderung dieser Lerner entwickelt und erprobt. Die dreijährige Zoe lacht über das Krokodil, das nicht einmal Frankfurt am Main und das Umland bieten für diese weiß, was ein Skateboard ist. Gemeinsam mit der studentischen Forschungen wie für den Wissenstransfer zwischen For- Mitarbeiterin Adriane Castrinakis schaut sie sich Bilder am Lap- top an und beantwortet verschiedene Fragen, die das Krokodil schung und Praxis aufgrund der multikulturellen Bevöl- stellt. So wird in der Längsschnittstudie MILA der kindliche Wort- kerung und der hohen Dichte an Bildungseinrichtungen schatz miterfasst, aber vor allem auch untersucht, in welchem für alle Altersstufen ein ideales Umfeld. Alter ein Kind verschiedene Arten von Fragen richtig versteht.

Spracherwerb im Kindergarten send charakterisiert werden, besonders im Hinblick auf MILA gehört zu dem interdisziplinären Projekt- das Sprachverstehen. Zum anderen sollen Merkmale verbund IDeA, einem von momentan fünf vom Land des gestörten Zweitspracherwerbs durch den Vergleich Hessen geförderten LOEWE-Zentren. In diesem For- mit dem gestörten und ungestörten monolingualen schungszentrum, das im Sommer 2008 seine Arbeit Spracherwerb bestimmt werden. aufgenommen hat, kooperiert unter der Leitung von In der ersten Projektphase wurden zusammen mit Prof. Marcus Hasselhorn ein Team aus Psychologen, dem Teilprojekt ErStMal viele städtische und kirchli- Pädagogen, Linguisten und Mathematikdidaktikern, che Kindertagesstätten sowie logopädische Praxen und um Ursachen für Lernschwierigkeiten genauer zu er- Sprachheilschulen in Frankfurt und Umgebung kontak- forschen. MILA untersucht den Spracherwerb von Kin- tiert. Nach ausführlichen Telefoninterviews mit Eltern dern, die im Alter von drei bis sieben Jahren Deutsch wurden aus den mehr als 600 Zusagen schließlich 160 als Zweitsprache erlernen, im Vergleich mit dem Spra- Kinder aus 40 Frankfurter Kitas und 10 logopädischen cherwerb von monolingualen Kindern. Über einen Praxen ausgewählt. Ergebnisse dieser ersten Erhebungs- Zeitraum von zunächst drei Jahren werden dafür 120 Kinder in verschiedenen Frankfurter Einrichtungen in einem kombinierten Längs- und Querschnittsdesign bei ihrer sprachlichen Entwicklung begleitet. Die Forscher erhoffen sich Aufschluss darüber, welche Sprachstruk- turen sich Zweitsprachlerner im Vergleich zu mono- lingualen Kindern besonders schnell aneignen und in welchen Bereichen Schwierigkeiten auftreten. Um Par- allelen und Unterschiede zum gestörten Entwicklungs- verlauf feststellen zu können, schließt die Studie auch Kinder mit Spezifi schen Sprachentwicklungsstörungen ein. In zwei von der EU unterstützten Kooperations- projekten mit 25 europäischen Partnern wird parallel untersucht, inwiefern die Ergebnisse zum Deutschen auch sprachübergreifend Gültigkeit besitzen. Im Projekt MILA wird erstmals eine große Anzahl von Kindern mit Deutsch als Zweitsprache und 27 verschiedenen Herkunftssprachen längsschnittlich un- tersucht. Große Bedeutung wird der Entwicklung des Sprachverstehens zugemessen, die im frühen Zweit- spracherwerb anders als der Syntaxerwerb kaum Ge- genstand der Forschung war. Sprachverstehen macht, neben der bisher vor allem untersuchten Sprachpro- »Guck mal, was ich da habe!« – Die studentischen Mitarbeite- rinnen von MILA sind geschult darin, mit Kindern zu interagieren duktion, einen zentralen Bestandteil der menschlichen und sie spielerisch zum Sprechen und Erzählen zu motivieren. Sprachkompetenz aus. MILA verfolgt zwei Ziele: Zum So entsteht in MILA ein großes Korpus an Spontansprachauf- einen sollen der Verlauf des Erwerbs und die verschie- nahmen von Kindern mit verschiedenen Sprachbiografi en, die denen Lernwege im frühen Zweitspracherwerb umfas- dann nach linguistischen Merkmalen analysiert werden.

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Das Sprachverstehen von Vorschulkindern mit Deutsch als Ibo hilft dem Hund aus der Tonne. Zweitsprache wird häufi g überschätzt. Das fällt besonders im Er ist eingesperrt und kann nicht allein raus. Bereich der Informationsfragen auf. Die Frage »Wem hilft Ibo aus der Tonne?« verlangt mehr als ein »Ja« oder »Nein« als Antwort. Hier kreuzten Lehrkräfte in zwei Drittel der Fälle in dem Fragebogen an: »Die Frage versteht das Kind«, obgleich die Kinder, legte man ihnen Bild und passende Frage selbst vor, nicht richtig antworten konnten. Aus: Linguistische Sprachstandserhebung – Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ) von Schulz & Tracy (in Vorb.). LiSe- DaZ ist ein gemeinsames Projekt von Prof. Petra Schulz und Prof. Rosemarie Tracy (Universität Mannheim) im Auftrag der Landesstiftung Baden-Württemberg.

runde, die im Juni 2009 abgeschlossen wurde, bestäti- gen bisherige Einzelfallbeobachtungen, wonach Kinder mit Deutsch als Zweitsprache einen ähnlichen Spra- Wem hilft Ibo aus der Tonne? Dem Hund. cherwerbsverlauf aufweisen wie monolinguale Kinder, wenn sie früh – zwischen dem zweiten und vierten Ge- burtstag – mit der Zweitsprache beginnen. Zudem zeigt sich, dass die Kontaktdauer zum Deutschen einen wich- Deutsch als Zweitsprache (DaZ) tigen Faktor für den Lernerfolg darstellt. Unterstützt durch eine Mitarbeiterin, die eigens für er Erwerb der deutschen Sprache beginnt zeit- den Wissenstransfer eingestellt wurde, halten die Pro- Dversetzt nach dem Erwerb einer anderen Erst- jektmitarbeiterinnen engen Kontakt mit den beteiligten sprache in einer deutschsprachigen Umgebung, Einrichtungen und den Eltern. Sie bieten Elternabende oft in Alltagssituationen. und Workshops für die pädagogischen Fachkräfte an, Je nach Beginn des Zweitspracherwerbs unter- in denen diese sich über das Projekt, aber auch über scheidet man zwischen frühem und spätem Themen wie Mehrsprachigkeit und Sprachschwierig- Zweitspracherwerb. Dabei ist der frühe DaZ-Er- keiten informieren können. werb ein verhältnismäßig neues Forschungsge- biet, für das vor allem Studien zur Syntax vorlie- Vor der Schule den Förderbedarf feststellen gen. Setzt der Deutscherwerb im Alter von circa In der Theorie ist das Zusammenspiel von Sprach- zwei bis drei Jahren ein, das heißt früh, scheinen standserhebung und Sprachförderung einfach: Um die Kinder das Deutsche ähnlich wie monolingua- den Spracherwerb optimal zu fördern, knüpft man le Kinder zu erwerben und auch die gleichen Ent- an die bereits erworbenen sprachlichen Fähigkeiten wicklungsphasen zu durchlaufen. Einfl üsse der eines Kindes an. Doch die Praxis sieht anders aus. In Erstsprache scheinen minimal. Setzt der Deut- den hessenweit eingeführten Vorlaufkursen, in denen scherwerb dagegen erst mit sechs Jahren oder Grundschullehrkräfte Kinder mit Sprachdefi ziten ein noch später ein, zeigen sich wesentliche Unter- Jahr vor der Schule sprachlich fördern, werden häufi g schiede zum Erstspracherwerb. Diese Kinder äh- keine systematischen Sprachstandserhebungen ein- neln in ihren Erwerbswegen eher den Lernern, gesetzt. Es existiert nur wenig sprachwissenschaftlich die Deutsch als Erwachsene erworben haben. Sie fundierte Forschung zu Verfahren, mit denen man den fallen durch inkorrekte Verbstellung auf und be- Sprachstand von Kindern mit Deutsch als Zweitspra- nötigen oft länger für den Erwerb; Charakteristika che (DaZ) adäquat beurteilen kann. Zudem ist nicht der Erstsprache machen sich in der Zweitsprache klar, ob Grundschullehrerinnen und -lehrer in den Be- bemerkbar. reichen Sprachdiagnostik und Sprachförderung hinrei- chend ausgebildet sind.

Literatur

Knapp, Werner terdam: John Schulz, Petra, Schulz, Petra / Schulz, Petra / Thoma, Dieter/ (1999) Verdeckte Benjamins, Kersten, Anja & Tracy, Rosemarie / Tracy, Rosemarie Tracy, Rosemarie Sprachschwierigkei- S. 91 – 113. Kleissendorf, Bar- Wenzel, Ramona (in Vorb.) Linguis- (2006) Deutsch als ten In: Die Grund- bara (2009) Zwi- (2008) Linguisti- tische Sprachstands- frühe Zweitsprache: schule 5, 99, Schulz, Petra schen Spracher- sche Sprachstands- erhebung – Deutsch zweite Erstsprache? S. 30 – 33. (2007) Erstsprach- werbsforschung und erhebung – Deutsch als Zweitsprache In: Ahrenholz, B. erwerb Deutsch: Bildungspolitik: als Zweitsprache (LiSe- DaZ) Hogre- (Hrsg.) Kinder mit Rothweiler, Sprachliche Fähig- Sprachdiagnostik in (LiSe-DaZ): Theo- fe. Migrationshinter- Monika (2006) keiten von Eins bis der frühen Kindheit retische Grundlagen grund: Spracher- The Acquisition of Zehn In: Graf, U./ Zeitschrift für und erste Ergebnisse Tracy, Rosemarie werb und Förder- V2 and subordinate Moser Opitz, E. Soziologie der In: Ahrenholz, B. (22008) Wie Kin- möglichkeiten clauses in early (Hrsg.) Diagnostik Erziehung und (Hrsg.) Zweit- der Sprachen ler- Freiburg: Filli- successive acquisition am Schulanfang Sozialisation, 29, sprach erwerb – nen. Und wie man bach, S. 58 – 79. of German In: Baltmannsweiler: 122 – 140. Diagnosen, Verläu- sie dabei unterstüt- Lléo, C. (ed.): Schneider, fe, Voraussetzungen zen kann Tübin- Interfaces in Multi- S. 67 – 86. Freiburg: Filli- gen: Francke. lingualism Ams- bach. (S. 17 – 41).

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Seit Mai 2008 werden daher im Rahmen einer von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung und dem Zentrum Vorlaufkurs für Lehrerbildung und Schul- und Unterrichtsforschung (ZLF) unterstützten Promotionsstudie die Vorlaufkurse eit 2002 werden in Hessen Kinder und ihre an knapp 50 Schulen im Hinblick auf Sprachdiagnose SEltern bereits ein Jahr vor der Einschulung und Sprachförderung untersucht. Die ersten Ergebnisse zum Anmeldegespräch gebeten. Ziel ist es, die zeigen, dass der Bereich Syntax nur an 62 Prozent der Kinder zu erkennen, die keine ausreichenden beteiligten Schulen zu Beginn der Sprachförderung in deutschen Sprachkenntnisse haben. In den Vor- einer Sprachstandserhebung erfasst wird – und das, ob- laufkursen, an denen jeweils 10 bis 15 Kinder wohl sich dieser Bereich in der Zweitspracherwerbsfor- teilnehmen, können sie dann bis zum Schulbe- schung als einer der zentralen Parameter herauskristal- ginn ihre deutschen Sprachkenntnisse verbes- lisiert hat. Auch wird die Sprachstands einschätzung zu sern. Jedes Jahr besuchen über 6000 hessische Beginn selten dazu genutzt, direkte Konsequenzen für Vorschulkinder diese Deutsch-Frühförderung, die anschließende Förderung zu ziehen. Als ein Grund die vom Hessischen Kultusministerium fi nanziert wird genannt, dass die Vorlaufkurse kaum Raum für die wird. Gefördert wird in der Grundschule oder Arbeit in Kleingruppen mit spezifi schen Förderschwer- der Kindertagesstätte für circa zehn Stunden punkten zulassen. pro Woche. Ein erster Vergleich der Einschätzung der Sprach- kompetenz der Vorlaufkurskinder durch die Lehrkräfte mit den direkt erhobenen Sprachleistungen ergab, dass die sprachlichen Äußerungen der Kinder im Bereich Syntax eher unterschätzt wurden. Die Sprachverste- hensleistungen wurden jedoch überschätzt. Sollten sich diese empirischen Befunde in weiteren Analysen bestätigen, lassen sich auf dieser Basis auch spezifi sche Vorschläge für zukünftige Fortbildungsmo- dule entwickeln. Es könnte beispielsweise das bekann- te Phänomen der »verdeckten Sprachschwierigkeiten« an Einzelfällen aus dem Förderalltag veranschaulicht werden. Ebenso wäre es möglich, anhand von Beispie- len aus den eigenen Fördergruppen zu erarbeiten, wie sich die Erfassung des Ist-Zustandes nutzen lässt, um Ziele und Inhalte für die Sprachförderung und gegebe- nenfalls auch Kriterien für die Zusammenstellung der Fördergruppen zu erarbeiten.

»Verdeckte Sprachschwierigkeiten« in der Oberstufe Duygu Taybara studiert an der Goethe-Universität im 6.Semester Deutsch und Politikwissenschaft für das Lehramt an Haupt- und Realschulen. Ihre Mutterspra- che ist Türkisch, ihre Zweitsprache Deutsch. Ihr Schü- ler heißt Dean Thura Aung und besucht die 13. Klasse der Max-Beckmann-Schule in Frankfurt-Bockenheim. Er spricht Burmesisch und als Zweitsprache Deutsch. Beide sitzen mit drei weiteren Oberstufenschülern in Miteinander lernen im Förderunterricht für Jugendliche mit Migrationshintergrund einem der Unterrichtsräume von FJM, dem Förder- (FJM) – Schülerin Manuela Nzali erklärt Mitschüler Lian Chen die Wortarten. unterricht für Jugendliche mit Migrationshintergrund in der Georg-Voigt-Straße. Heute geht es um das Le- einer stark unterrepräsentierten Gruppe, obwohl der sen und Verstehen von Fachtexten. Dean Thura Aung Bildungsbericht 2006 feststellte, dass Abiturienten mit möchte wie seine studentische Förderlehrerin später Migrationshintergrund überdurchschnittlich häufig studieren. Die Lehrerin und ihr Schüler gehören zu ein Studium aufnehmen. Es wäre wünschenswert, noch mehr Schülerinnen und Schüler mit Migrati- onshintergrund zum Abitur zu führen. Das ist das Ziel Verdeckte Sprachschwierigkeiten dieses von der Stiftung Mercator getragenen Projekts, das im Juni 2008 seine Arbeit aufgenommen hat. Das erschiedene Beobachtungen deuten darauf hin, ZLF unterstützt mit einem Promotionsstipendium die Vdass Kinder mit Deutsch als Zweitsprache häu- wissenschaftliche Begleitung und Evaluation dieses fi g so genannte »verdeckte Sprachschwierigkeiten« Förderprojektes. Aktuell werden 125 Oberstufenschü- (Knapp 1999) aufweisen. Aufgrund von Vermei- ler aus sechs Frankfurter Gymnasien von rund 30 dungsstrategien werden Kinder in ihrer mündli- FJM-Förderlehrern unterrichtet. Diese Studierenden chen Kompetenz überschätzt. Zu den Vermeidungs- werden in einem Seminar der Arbeitseinheit Deutsch strategien gehören die Verwendung einfacher als Zweitsprache am »Institut für Psycholinguistik und Wörter, formelhafte Ausdrücke, Schweigen und Didaktik der deutschen Sprache« auf ihre Tätigkeit die Orientierung am Verhalten anderer Kinder. vorbereitet und in regelmäßigen Teamtreffen bei ihrer Lehrtätigkeit unterstützt.

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Von Außenstehenden wird die Förderung von Deutsch als Zweitsprache (DaZ) in der Oberstufe häu- fi g noch als Luxusproblem angesehen; daher fehlen für die Sekundarstufe II Forschungen zu Zweitspracher- werb fast völlig. Im Gegensatz zum Bereich Deutsch als Fremdsprache liegen keine Diagnoseinstrumente vor. Ebenso fehlen spezifi sche Förderkonzepte für Schüler wie Dean Thura, dessen Deutschkenntnisse gut genug sind, um es bis in die Oberstufe geschafft zu haben, dessen Deutschnoten jedoch darunter leiden, dass er kein Muttersprachler ist. Im Projekt FJM werden die sprachlichen Schwie- rigkeiten von Oberstufenschülern mit Migrationshin- tergrund im mündlichen und schriftlichen Deutsch er- forscht. Unterscheiden sich diese in Abhängigkeit von dem Zeitpunkt, zu dem die Zweitsprache erworben wurde? Das Interesse der Frankfurter Gymnasien, am Pro- jekt FJM teilzunehmen, ist sehr groß. Angesichts des prognostizierten steigenden Anteils von in Deutsch- land geborenen Jugendlichen mit Deutsch als Zweit- sprache und des gleichbleibenden Anteils an Seiten- einsteigern, die erst später in ihrem Leben Deutsch lernen, scheint es daher geboten, den Förderbedarf der DaZ-Lerner als Faktum auch in der gymnasialen

Nachfragen erwünscht – Die FJM-Lehre- rin Seyna-Maria Dirani im Gespräch mit FJM-Förderschülerinnen und -schülern Nasreen Ahmadi, Derya Aslitürk und Destiny Bazemore.

Auszug aus einem Vergleichsaufsatz einer in Deutsch- land geborenen Schülerin mit Migrationshinter- grund. Die Schü- lerin besucht die 12. Klasse des Gymnasiums.

Glossar

Deutsch als Fremdsprache (DaF) Unter- Pragmatik Beziehung zwischen sprachli- rungen erklärbar ist; nach einem verspä- richtlich gesteuerter Erwerb des Deut- chen Ausdrücken und verschiedenen teten Sprechbeginn gravierende Proble- schen, in der Regel außerhalb von Verwendungssituationen. me in Sprachproduktion (zum Beispiel Deutschland; die Vermittlung folgt einer Seiteneinsteiger (auch Quereinsteiger) Verbstellung) und Sprachverstehen (zum systematischen Progression. Schüler, die nicht von der 1. Klasse an Beispiel Informationsfragen); betrifft circa Kontaktdauer / Kontaktmonat Dauer des im deutschen Schulsystem beschult 6 bis 8 Prozent eines Jahrgangs. intensiven, regelmäßigen Kontaktes wurden. In der Regel sind sie in ihrem Sprachstandserhebung Erfassung des mit dem Deutschen (zum Beispiel Heimatland zur Schule gegangen und Sprachentwicklungsstandes zu einem durch den Eintritt in eine Kindertages- wurden dort in ihrer Muttersprache al- bestimmten Zeitpunkt; unterschieden stätte), üblicherweise gemessen in Mo- phabetisiert. werden unsystematische Einschätzver- naten. Semantik Bedeutung sprachlicher Aus- fahren und systematische Verfahren (in- Morphologie Forminventar von Wörtern; drücke und ihrer Beziehung zueinander; formelle Tests, standardisierte Tests, beinhaltet die Wortbildung und die Beu- umfasst Wortsemantik und Satzsemantik. Screenings). gungsformen einer Sprache. Spezifi sche Spracherwerbsstörung (SSES) Syntax Satzbau; System von Regeln, die Phonologie Lautsystem einer Sprache; Andauernde Beeinträchtigung des Spra- beschreiben, wie aus Grund elementen umfasst die Lautstruktur sowie melodi- cherwerbs, die nicht durch neurologische (Wörtern) wohlgeformte Sätze gebildet sche und rhythmische Eigenschaften. Ursachen oder andere Entwicklungsstö- werden.

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Landschaft zu akzeptieren. Die Kompetenzbereiche, in Sprachstandsverfahren und Sprachförderung. Auch denen die Oberstufenschülerinnen und -schüler ihre Einzelfallberatungen gehören zu dem Angebot, das un- Deutschkenntnisse selbst als besonders defi zitär emp- ter dem Dach der Arbeitseinheit Deutsch als Zweitspra- fi nden, sind »Schreiben von Aufsätzen«, »Rechtschrei- che entwickelt wurde. Zu den Teilnehmern zählten im bung« und »Grammatik«. Dieses Ergebnis ist durchaus ersten Jahr Fachkräfte aus städtischen Kindertagesstät- brisant, da der gymnasiale Lehrplan mit der expliziten ten und des Projektes »frühstart« der Gemeinnützigen Behandlung der Themenbereiche »Rechtschreibung« Hertie-Stiftung, Grundschullehrerinnen und -lehrer und »Grammatik« bereits in Klasse 8 beziehungsweise und Lehramtsanwärter im Schulamtsbezirk Frankfurt 9 abschließt. sowie Dozenten des Dudenverlags Berlin. Eine Ma- Eine erste Analyse von Aufsätzen der FJM-Schüler terialstelle für Diagnostik und Sprachförderung kann ergab, dass sich der Spracherwerbstyp auf die Art der von Interessierten vor Ort genutzt werden. Praxiskräf- sprachlichen Schwierigkeiten auswirkt. Die Aufsät- te wurden außerdem bei dem Einsatz eines konkreten ze der in Deutschland geborenen Schülerinnen und Sprachstandsverfahrens, der Förderdiagnostik LiSe- Schüler mit Migrationshintergrund zeigen, dass die DaZ, in Schulen und Kindertageseinrichtungen bera- »verdeckten Sprachschwierigkeiten« bis in die Ober- ten und begleitet. stufe bestehen bleiben. Oft werden die Anforderungen an die Textsorte nicht genug beachtet, und auch im Von der Forschung zur Praxis Bereich Satzbau treten Auffälligkeiten auf, die typisch Ausgehend von den bisherigen Aktivitäten im Vor- für den mündlichen Sprachgebrauch sind. Die Aufsät- schul- und Grundschulbereich planen Prof. Schulz ze der Seiteneinsteiger hingegen zeichnen sich zwar und ihre Mitarbeiterinnen die Ausweitung der Fort- durch einen komplexeren Satzbau aus, enthalten aber bildungs- und Beratungsangebote für Lehrkräfte ver- Grammatikfehler, zum Beispiel im Bereich der Wort- schiedener Schulformen und für pädagogische Praxis- stellung, die für Lernende von Deutsch als Fremdspra- kräfte sowie für Fachkräfte in Bildungsinstitutionen. che typisch sind. Deshalb wird im FJM-Projekt auch In enger Kooperation mit anderen Partnern soll ein der Frage nachgegangen, ob die Methodik und Didak- »Hessisches Koordinationszentrum Deutsch als Zweit- tik aus dem Bereich Deutsch als Fremdsprache vor al- sprache« entstehen, das die Bereiche Fortbildung, Be- lem für Seiteneinsteiger geeignet ist, während für die ratung und Koordination bündelt. Damit würde für in Deutschland geborenen Schüler Anleihen bei den den Bereich Deutsch als Zweitsprache in Frankfurt und Ansätzen aus dem DaZ-Bereich für die früheren Schul- Hessen erstmals ein kontinuierlicher Wissenstransfer stufen gemacht werden können. zwischen universitärer Forschung und der pädagogi- schen Praxis ermöglicht. Aktuelle Erkenntnisse der Informations- und Forschungsstelle Deutsch als Spracherwerbsforschung könnten damit dazu beitra- Zweitsprache (Info-DaZ) gen, Mythen über vermeintliche Risiken und Nachteile Ziel der im Sommer 2008 eröffneten Informations- der Mehrsprachigkeit zu überwinden und die Chancen und Forschungsstelle Deutsch als Zweitsprache ist es, einer mehrsprachigen Gesellschaft zu erkennen. Wissen aus der Forschung in die Praxis zu übersetzen Zweitsprachlernern wie Dean, Aylin, Mustafa und und konkretes Handlungswissen für den pädagogi- Furkan ist zu wünschen, dass ihr Resümee über das schen Alltag zu vermitteln. Fortbildungen und Infor- Deutsche und Deutschland einst nicht resigniert lau- mationsvorträge beschäftigen sich mit Themen wie ten wird »Ich habe fertig«, sondern optimistisch »Ich Sprachvarietäten des Deutschen, Mehrsprachigkeit, habe eine Zukunft«. 

Die Autoren

Prof. Dr. Petra Schulz, 45, studierte Allgemeine Sprachwissen- Frankfurt. Seit 2008 ist sie Postdoktorandin im Forschungs- schaft, Psychologie, Informatik, Pädagogik und Deutsch an projekt MILA. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die unge- den Universitäten Heidelberg, Wien, Tübingen und Massachu- störte und gestörte Entwicklung der Phonologie sowie der setts, USA, und lehrt seit 2006 Deutsch als Zweitsprache an Erwerb und die Verarbeitung von Schriftsprache. der Universität Frankfurt. Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind Syntax und Semantik im Erst- und Zweitspracherwerb, Anja Kersten, 30, studierte Förderschullehramt für die Förder- Spezifi sche Sprachentwicklungsstörungen und Sprachdiagnos- schwerpunkte Sprache und Hören sowie Deutsch an der tik. In dem EU-Kooperations-Projekt »Language Impairment Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist Lehrerin in Frankfurt in a Multilingual Society« leitet sie die Arbeitsgruppe „Syntax und Mitarbeiterin der Informations- und Forschungsstelle and Interfaces with Semantics“. Deutsch als Zweitsprache der Goethe-Universität.

Ulrich Labonté, 58, studierte an der Goethe-Universität Germa- Barbara Kleissendorf, 26, studierte Klinische Linguistik an nistik und Politik für das Lehramt an Gymnasien. 1980 bis der Universität Bielefeld und promoviert seit 2008 mit 1992 lehrte er am Abendgymnasium Frankfurt und war dann einem Stipendium der Hertie-Stiftung in der Arbeitseinheit acht Jahre Fachleiter und Fortbildungsbeauftragter im Aus- Deutsch als Zweitsprache an der Goethe-Universität. landsschulwesen in Buenos Aires. Ab 2000 unterrichtete er in der Ernst-Reuter-Schule Frankfurt . Seit 2004 ist er Pädagogi- Geeske Strecker, 31, studierte Deutsch und Englisch für scher Mitarbeiter in der Germanistik. Seine Forschungsschwer- das Lehramt an Gymnasien und Deutsch als Fremdsprache punkte sind Deutsch als Zweitsprache und als Fremdsprache an Universitäten in Berlin, Braunschweig und Manchester. sowie didaktisch-methodische Fragen der Sekundarstufe. Sie lehrte Deutsch als Zweitsprache an der Freien Univer- sität und der Humboldt-Universität zu Berlin. Seit 2008 Angela Grimm, 38, studierte Diplom-Patholinguistik an der ist sie Promotionsstipendiatin des Zentrums für Lehrerbil- Universität Potsdam. Sie war wissenschaftliche Mitarbeite- dung und Schul- und Unterrichtsforschung der Goethe- rin an den Universitäten Osnabrück, Groningen, Potsdam und Universität.

[email protected] www.uni-frankfurt.de/fb/fb10/inst_psychling/daz www.lise-daz.de www.idea-frankfurt.de

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02 UNI S000_00 2009_03.indd 73 24.11.2009 13:15:27 Uhr Forschung aktuell Das Industrielabor zwischen Kreativität und Ökonomie von Michael C. Wie gestaltete sich im 20. Jahrhundert Schneider die wissenschaftliche Forschungsarbeit in der chemischen Industrie?

Wissenschaft- eit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts war die leitet sich aus dem Umstand ab, dass wissenschaftli- liches Labor der Schemische Industrie zunehmend auf wissenschaft- che Forschung gänzlich anderen Imperativen, Ratio- Farbenfabriken liche Grundlagenforschung angewiesen, um ihre Pro- nalitätskriterien und Erfolgsbedingungen unterliegt Bayer, Saal 2 duktpalette – zunächst in erster Linie Farbstoffe, dann als die erfolgreiche Führung eines Unternehmens. So (1908). Nachdem auch Pharmazeutika und anderes mehr – auszuweiten bedarf wissenschaftliche Arbeit beispielsweise des un- die Kontakte zwischen Universi- und auf neue Gebiete vorzustoßen. Unterschiedlich gehinderten Austausches von erworbenem Wissen tätsforschung und rasch etablierten die Unternehmen dann auch eigene über institutionelle Grenzen hinweg, wie er durch Farbenherstellern Forschungslaboratorien und wurden so unabhängiger ein ausdifferenziertes Publikationswesen sichergestellt seit den 1880er von der Universitätsforschung, mit der sie gleichwohl wird, während es im wirtschaftlichen Interesse eines Jahren zuneh- stets verbunden blieben. Regelrecht industrialisiert Unternehmens liegen muss, solches Wissen möglichst mend enger ge- wurde die Forschung zuerst bei den Farbenfabriken exklusiv nutzen zu können. Hinzu kommt das von worden waren, vorm. Fried. Bayer & Co., deren Leitung sich 1889 ent- Peter Weingart formulierte Kontrolldilemma, welches entschloß sich die Bayer AG am schied, ein eigenes Hauptlaboratorium einzurichten für Firmen darin besteht, »einerseits die Kreativität Ende dieses und die in den Folgejahren eine zunehmend komplexe der Forschung erhalten zu müssen, andererseits die Jahrzehnts, ein Forschungsinfrastruktur aufbaute, sie basierte auf ei- Kontrolle darüber nicht verlieren zu dürfen, dass die eigenes wissen- ner stark arbeitsteiligen Forschungsorganisation. Dass Forschungsabteilungen auch das tun, was im Interesse schaftliches Unternehmen nicht nur der chemischen Industrie wis- des Konzerns liegt« (Weingart 2003). Dennoch wurde Hauptlaboratorium senschaftliche Forschung in ihre Organisation inkorpo- und wird wissenschaftliche Forschung innerhalb von einzurichten. rieren, Wissenschaft somit nutzbar machen für die Ent- Unternehmen erfolgreich organisiert, so dass sich aus wicklung marktgängiger Produkte, erscheint seither in unternehmenshistorischer Perspektive die Frage stellt, der wissenschafts- und wirtschaftspolitischen Diskussi- wie dies möglich ist. on gleichermaßen notwendig wie unproblematisch. Für ein solches unternehmenshistorisches For- schungsvorhaben bietet Frankfurt am Main hervorra- Wissenschaft im Unternehmen unterliegt gende Voraussetzungen, befi nden sich doch hier und eigenen Regeln in der näheren Umgebung eine Reihe jener Unterneh- Das am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialge- men der chemischen Industrie sowie deren Archive, schichte der Goethe-Universität angebundene For- deren Namen weltweit für die wissenschaftsbasierte schungsvorhaben geht umgekehrt davon aus, dass die chemische und pharmazeutische Industrie stehen: In erfolgreiche Organisation von wissenschaftlicher For- und bei Frankfurt selbst die Deutsche Gold- und Silber- schung in Unternehmen zunächst ein unwahrscheinli- Scheideanstalt (Degussa) (heute aufgegangen in der ches Ereignis ist. Diese heuristische Ausgangsannahme Evonik Industries AG) und die Hoechst AG (heute auf-

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gegangen in der französischen sanofi -aventis S. A.), in welche Parameter angelegt wurden, um den Erfolg der Darmstadt die Merck KGaA (die nach 2004 organisa- Forschungsabteilungen zu messen und sicherzustellen. torische Veränderungen erfahren hat) sowie die BASF Dabei besteht das faszinierende Forschungsproblem in Ludwigshafen. Sich allerdings ausschließlich auf die nicht so sehr in der Frage, wie beispielsweise erfolg- heute noch bestehenden Unternehmen und ihre Ge- reiche Medikamente im Unternehmenslabor entdeckt schichte zu konzentrieren, würde der wechselvollen wurden, sondern eher darin, zu klären, weshalb die und vielfältigen Geschichte der Forschung in der che- eine Forschungsrichtung weiterverfolgt wurde, die an- mischen Industrie nicht gerecht: Das würde bedeuten, dere jedoch nicht – gaben hier wissenschaftliche Beur- alle Unternehmen auszusparen, die nur kurze Zeit be- teilungen der Laboratoriumsleitungen den Ausschlag, standen und den Markt entweder wegen geringer Er- oder waren es ökonomische Kriterien? Und welche folge verließen oder von anderen Unternehmen über- Kriterien waren dies im Einzelnen? Inwieweit konn- nommen wurden. Bei einem solchen »Erfolgs-Bias« te eine einmal institutionalisierte Forschungsabteilung wäre es nicht möglich, ein umfassendes Bild über die eine Eigendynamik entwickeln, die es ihr bis zu einem Forschung in der chemischen Industrie zu gewinnen. gewissen Grade erlaubte, eigene, wissenschaftliche Kriterien an die eigene Tätigkeit anzulegen? Wo ist Patente als Indikatoren für Forschungsaktivitäten jeweils – abhängig von Forschungsfeld, Unternehmen Ein erstes zentrales Ziel des Projekts ist es daher, ei- und Zeitumständen – der Punkt zu lokalisieren, an dem nen systematischen Überblick über jene Unternehmen andere Gründe den Ausschlag darüber gaben, ob ein zu erlangen, die bis in die 1970er Jahre wissenschaft- bestimmtes Forschungsproblem weiterverfolgt wur- liche Forschung betrieben haben. Zu diesem Zweck de? Wie wurde bei Firmenzusammenschlüssen wird zunächst die Erteilung von Patenten als Indikator – hier ist beispielsweise an die Gründung der I.G. dafür gewertet, dass ein Unternehmen überhaupt wis- Farbenindustrie AG Ende 1925 zu denken – die senschaftsbasierte Forschung betrieben hat – zweifellos Forschungsarbeit der beteiligten Unternehmen ein nicht ganz leicht zu handhabender Indikator, wur- koordiniert? Schon weil es Hinweise darauf gibt, den doch bei Weitem nicht alle Erfi ndungen patentiert dass sich auch die Forschungskulturen zwischen und gingen nicht alle Patente auf genuin wissenschaft- den Unternehmen unterschieden, verdient die liche Forschung zurück. Aber kein anderer Indikator Frage nach den Erfolgen beziehungsweise Miss- bietet das Potenzial, systematisch wissenschaftsbasier- erfolgen bei der Zusammenlegung auch der For- te Unternehmen zu identifi zieren. Der nächste Schritt schungsabteilungen besondere Beachtung. bestand somit darin, eine Datenbank zu erstellen, um systematisch eine Grundgesamtheit jener Unterneh- Wie eng waren die Kontakte men zu identifi zieren, von denen angenommen wer- zur akademischen Forschung? den kann, dass sie kontinuierlich wissenschaftliche Ein zweiter Sinn der systematischen Patent- chemische Forschung betrieben haben. erfassung liegt in dem zweiten Ziel der Unter- Nimmt man die Patentklasse 12 der bis 1974 gül- suchung, die Stärke der Verbindung zwischen tigen deutschen Patentklassifikation als Grundlage, industrieller und akademischer Forschung aus- so sind an wesentlich mehr Unternehmen der chemi- schen Industrie in größerem Umfang Patente erteilt Einen reißenden Absatz fand das Perborat der Degussa in dem Bleichmittel Persil, worden, als dies die wenigen großen und bekannten das die Firma Henkel aus Perborat und Silikat herstellte. Es ersetzte die bis dahin Namen nahelegen könnten: Schon eine in 5-Jahres- übliche und umständliche »Rasenbleiche«, bei der man die weiße Wäsche nach Schritten erhobene Stichprobe aus dem »Verzeichnis dem Waschen auf dem Rasen in die Sonne legte. Aus Wasser und Sauerstoff ent- der von dem Kaiserlichen Patentamt / Reichspatent- standen unter der Einwirkung des Sonnenlichts kleine Mengen des Bleichmittels Wasserstoffperoxid. Das Bild zeigt die erste Persilpackung aus dem Jahr 1907. amt im Jahre … ertheilten Patente« zeigt, dass allein 48 verschiedene Unternehmen dieser Stichprobe zwi- schen 1880 und 1940 zehn und mehr Patente erhalten Literatur haben (gegenüber 576 Unternehmen, die in diesem Zeitraum überhaupt ein Patent erhalten haben). Dazu H. v. d. Belt / A. und Erfi nder der (2002), Nr. 1, N. Rosenberg Why Rip The Nelson- Degussa Frankfurt S. 4 – 129. do fi rms do basic re- gehören dann auch Unternehmen wie die Chemische Winter-Dosi Model a. M. 1998, search (with their Fabrik von Heyden AG in Radebeul bei Dresden, die and Synthetic Dye S. 54 – 75. J. P. Murmann own money)? In: nach 1945 verstaatlicht worden ist. Indem auf diese Chemistry In: W. E. E. Homburg The Knowledge and Research Policy Weise ein exogenes Kriterium für die Auswahl der nä- Bijker u. a. (Hrsg.) Emergence of Re- Competitive Advan- 19 (1990), her zu untersuchenden Unternehmen herangezogen The social construc- search Laboratories tage. The Coevolu- S. 165 –174. wird, kann besser abgeschätzt werden, inwiefern sie tion of technological in the Dyestuffs In- tion of Firms, Tech- für die unternehmensbasierte Forschungslandschaft system. New direc- dustry, 1870 – 1900 nology, and G. Meyer-Thurow tions in the sociology In: British Journal National Institu- The Industrializa- repräsentativ sind. and history of tech- for the History of tions Cambridge tion of Invention. A nology Cambridge/ Science 25 2003. Case Study from the Kriterien für den Kurs der Forschungsabteilung Mass 1987, (1992), S. German Chemical rekonstruieren S. 134 – 158. 91 – 111. C. Reinhardt For- Industry In: Isis 73 Nachdem die Grundgesamtheit der infrage kom- schung in der che- (1982), menden Unternehmen umrissen sein wird, werden B. Bertsch-Frank R. Metz / O. Watte- mischen Industrie. S. 363 – 381. jene von ihnen, die noch über schriftliche Überliefe- Eine etwas unge- ler Historische In- Die Entwicklung wöhnliche Karriere: novationsindikato- synthetischer Farb- P. Weingart Wis- rung verfügen, näher daraufhin untersucht, wie die Otto Liebknecht In: ren. Ergebnisse stoffe bei BASF und senschaftssoziologie wissenschaftliche Forschung jeweils in den Unterneh- Degussa AG einer Pilotstudie In: Hoechst, 1863 bis Bielefeld 2003. menskontext organisatorisch eingebunden war, wel- (Hrsg.) Immer eine Historical Social 1914 Freiberg chen Veränderungen diese Organisation unterlag und Idee besser. Forscher Research 27 1997.

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Das Laborbuch Otto Liebknecht, Sohn des Sozial- schaftlichen chemischen Literatur zu prüfen und auf Otto Liebknechts demokraten Wilhelm Liebknecht diese Weise den Grad der Verbundenheit industrieller aus dem Jahr und Bruder Karl Liebknechts, des chemischer Forschung mit dem akademischen Repu- 1902 / 1903. Lieb- Gründers des kommunistischen tationssystem zu messen. Denn aus verschiedenen knecht trat am Spartakusbundes, war ein ausge- Gründen und in unterschiedlichem Ausmaß blieben 1. Juli 1900 bei zeichneter Chemiker. Bei der der Degussa ein Degussa in Frankfurt entwickelte in Unternehmenslaboratorien beschäftigte Chemiker und beschäftigte er ein Herstellungsverfahren für der akademischen Welt verbunden: Erstens, weil dies sich unter ande- Natriumperborat aus Natriumper- ihrem Selbstverständnis als Wissenschaftler entsprach rem mit der Dar- oxyd, das zum Patent angemeldet und zweitens, weil es auch im Interesse der Unterneh- stellung und Rei- wurde. men lag, dass der Kontakt zu innovativer Hochschul- nigung des forschung nicht abriss. Wenngleich sich in der Literatur Farbstoffs Indigo- Blau. Zwischen zumessen. Da es ab 1936 vorgeschrieben war, bei den zu Unternehmen der chemischen Industrie verstreut 1904 und 1924 Patentanmeldungen den Namen des beteiligten Erfi n- immer wieder Hinweise auf derartige Vernetzungen wurden einige sei- ders auf dessen Wunsch hin zu nennen (zuvor wurden fi nden, so liegt doch deren tatsächliches Ausmaß und ner Entwicklungen auch schon Namen genannt, aber nicht regelmäßig, auch ihre Veränderung im Verlauf des 20. Jahrhunderts auf dem Cyange- sondern in unterschiedlichem Ausmaß, je nach Praxis weitgehend im Dunkeln. biet patentiert. des Unternehmens), bietet sich die Möglichkeit, diese Einzelne Karrieren, die auf eine Verbindung zwi- Die Eintragungen Namen wiederum auf ihr Erscheinen in der wissen- schen industrieller Forschung und universitärer Wis- auf der abgebilde- ten Seite beziehen senschaft hindeuten, sind dokumentiert: So etwa der Fall Otto Liebknechts (ein Sohn des Sozialdemokraten sich auf die Cyan- Der Autor forschung. Wilhelm Liebknecht und Bruder Karl Liebknechts), der Dr. Michael C. Schneider, 41, studierte Neuere Geschichte für die Degussa seit 1900 forschte und nicht nur an ei- und Wirtschaftsgeschichte an den Universitäten München, ner Reihe von wichtigen Patenterteilungen mitwirkte, Berlin und London. Er war wissenschaftlicher Mitarbeiter sondern auch etliche Zeitschriftenpublikationen vorzu- am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung e. V. weisen hatte, beispielsweise in der »Zeitschrift für an- an der Technischen Universität Dresden (1998 – 2001), gewandte Chemie« und den »Berichten der Deutschen am Lehrstuhl für Zeitgeschichte der TU Dresden Chemischen Gesellschaft«. Nach seinem Ausscheiden (2002 – 2003), am Institut für Geschichte der Medizin aus der Degussa 1925 wechselte Liebknecht zur Per- der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (2003 – 2007) und am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der mutit AG in Berlin, wo er zugleich zwischen 1931 und Georg-August-Universität Göttingen (2007 – 2008). Seine 1935 einen Lehrauftrag an der Berliner Universität Forschungsschwerpunkte sind Unternehmensgeschichte, wahrnahm, ebenfalls ein Beleg für die mitunter enge Wissenschaftsgeschichte sowie Geschichte der amtlichen Verzahnung von Industrieforschung und akademischer Statistik. Seit Juli 2008 ist Michael Schneider wissen- Welt. Wie ausgeprägt diese beiden Sphären tatsächlich schaftlicher Mitarbeiter bei der Professur für Wirtschafts- aber miteinander verbunden waren, und wie sich diese und Sozialgeschichte der Goethe-Universität im Rahmen Verbindung im Verlauf des 20. Jahrhunderts veränderte, eines Dilthey-Fellowships der Volkswagenstiftung (Initiative »Pro Geisteswissenschaften«). ist noch weitgehend unerforscht. Dies aufzuhellen und damit eine wesentliche Signatur des 20. Jahrhunderts [email protected] – die Verwissenschaftlichung weiter Lebensbereiche – www.geschichte.uni-frankfurt.de/mng/WSG/mitarbeiter/ transparenter zu machen, ist ein wesentliches Anliegen Schneider/index.html dieser Forschung. 

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02 UNI S000_00 2009_03.indd 76 24.11.2009 13:15:28 Uhr Forschung aktuell Krebs: Bewegung tut gut Leichter Sport fördert körperliches und psychisches Wohlbefi nden

von Winfried Banzer und Elke Jäger

ährlich erkranken etwa 425 000 Menschen in Deutsch- Jland an Krebs. Die Tendenz ist steigend: Experten ge- hen davon aus, dass die Zahl der Neuerkrankungen bis zum Jahr 2030 um 50 Prozent zunehmen wird. Doch zu dieser schlechten Nachricht gibt es auch eine gute: Körperliche Aktivität und Sport können das allgemei- ne Risiko, an bestimmten Krebsformen zu erkranken, vermindern. Dazu zählen vor allem Darmkrebs sowie der nach den Wechseljahren auftretende Brust- und Gebärmutterschleimhautkrebs./1/ Aber auch wer schon erkrankt ist, kann sein Wohlbefi nden und Selbstver- trauen durch spezielle Bewegungsprogramme, wie sie an der Goethe-Universität entwickelt werden, steigern. Selbst die Leiden von Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen lassen sich auf diese Weise lin- dern. Denn Bewegung beeinfl usst nicht nur die unmit- telbar tumorbedingten Symptome, sondern auch the- rapiebedingte Nebenwirkungen, insbesondere die der Chemotherapie.

Schon während der Therapiephase aktiv werden Die häufi gste und mitunter gravierende Nebenwir- Bewegungsthera- Aktuelle wissenschaftliche Daten belegen, dass sich kung der Chemotherapie in der palliativen Versorgung pie während einer bei zahlreichen Krebsformen die physische und psychi- von Krebspatienten ist die multifaktorielle Erschöpft- Krebsbehandlung sche Gesundheit der Patienten verbessern lässt, wenn heit oder »Fatigue-Syndrom«, von dem mehr als 60 lindert die Neben- /2/ wirkungen der sie im Anschluss an die Akutphase der Behandlung Prozent der Behandelten betroffen sind. Sport- und Chemotherapie mit Bewegungstherapien beginnen. Speziell in der frü- bewegungstherapeutische Programme scheinen dieses und stärkt das hen Therapiephase verhindern klassisch strukturier- Syndrom besonders effektiv beeinfl ussen zu können, Selbstvertrauen te Bewegungsinterventionen bei vielen Patienten die wie aktuelle Untersuchungen der Frankfurter Arbeits- der Patienten. Be- Abnahme der Leistungsfähigkeit und verkürzen ihren gruppe »Sport und Krebs« belegen: Nach 4 und 16 Wo- sonders wirkungs- Krankenhausaufenthalt. chen zeigt sich eindrucksvoll, dass leichtes körperliches voll ist Sport in ei- Training den Verarbeitungsprozess von Nebenwirkun- ner Gruppe , weil der soziale Aus- gen der Chemotherapie günstig zu beeinfl ussen ver- Funktions Fatigue- tausch bestärkt Skala (%) Skala (%) mag: Aber nicht nur die Fatigue-Symptomatik nimmt und über Motivati- 100 100 ab – auch die Ausdauerleistungsfähigkeit verbessert onstiefs hinweg- sich. Die Betroffenen berichten über eine Steigerung hilft. der Lebensqualität und können ihren Alltag leichter 75 75 bewältigen. Nach drei Monaten lässt sich darüber hi- naus eine verbesserte Anpassungsfähigkeit des Herz- Kreislauf-Systems nachweisen./3/ 50 50 Diese ermutigenden Beobachtungen bestätigen auch die Forschungsarbeiten anderer Autoren bei Patientin- nen mit Brustkrebs oder Tumorpatienten nach einer 25 25 Hochdosis-Chemotherapie./4/ Zusätzlich kann Bewe- gung in der Akutphase der Krebstherapie Patienten die Angst vor Überforderung nehmen und damit ihrer kör- 0 0 Vor 4–6 16–20 perlichen Inaktivität vorbeugen. So wird bereits in der Training Wochen Wochen frühen Therapiephase einer Abnahme der Leistungsfä- Signifikante Differenz Physische Funktionalität higkeit, möglichem Muskelschwund, psychischer Be- (p < 05) zur Vortrainingsphase Fatigue lastung und Erschöpftheit effektiv entgegengesteuert. Soziale Funktionalität Nach der Therapiephase: am Ball bleiben Durch Bewegungstherapie lässt sich die soziale und physische In der onkologischen Nachsorge ist körperliche Funktionalität von Krebspatienten nach der Akutphase der Be- handlung steigern (obere Messwerte). Gleichzeitig nimmt die Aktivität bereits ein fester Bestandteil der Rehabilita- als Nebenwirkung der Chemotherapie auftretende Erschöp- tion. Als positive Wirkungen sind hier vor allem die fung (Fatigue) im Laufe der Zeit durch sportliche Betätigung Verbesserungen des Allgemeinzustandes und der kör- ab (untere Messwerte). perlichen Fitness hervorzuheben. Die körperliche Aus-

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Am Anfang jeder Bewegungstherapie steht eine ausführliche Beratung. Gerade für Patienten, die sich vor ihrer Erkrankung wenig bewegt haben, ist es wichtig, mit leichten Übungen ein- zusteigen. Ein maßgeschneidertes Trainingsprogramm, das Therapie begleitend angepasst wird, senkt die Abbrecherquo- te. Empfohlen werden Trainingseinheiten mit moderater Inten- sität von 30 Minuten Dauer an drei Tagen pro Woche.

dauer (aerobe Kapazität) der Patienten nimmt zu, und sie fühlen sich subjektiv wohler./5/ In dieser Phase ist es wichtig, nachhaltig zu motivieren und eine positive Einstellung zum Sport zu etablieren, damit die Patien- ten auch langfristig aktiv bleiben. Dies ist umso wich- tiger, als bewegungstherapeutische Maßnahmen auch das Risiko eines Rückfalls (Rezidivs) mindern. Patien- ten mit kolorektalem Tumor, einem bösartigen Darm- tumor, weisen beispielsweise eine um 50 bis 60 Prozent den Rahmen des Sportprogramms zu defi nieren. Das niedrigere Rezidivrate beziehungsweise Mortalität im Trainieren in der Gruppe bietet sozialen Rückhalt, An- Vergleich zu inaktiven Patienten auf./6/ erkennung und Freude an der Bewegung. Dennoch gibt es gerade bei längerfristig orientierten Maßgeschneiderte Programme Programmen hohe Abbrecherquoten. Ersten Frank- senken Abbrecherquote furter Ergebnissen zufolge benötigen insbesondere on- Diese Befunde lieferten die wissenschaftliche Grund- kologische Patienten, die bereits bei der Eingangsun- lage für zunehmende Sport- und Bewegungsangebote tersuchung unterdurchschnittliche Ausdauer zeigten, als unterstützende Maßnahme während und unmit- kontinuierliche Unterstützung, etwa über sportmedi- telbar nach der onkologischen Behandlung. Modera- zinische Beratungsangebote. Für sie müssen spezielle tes Ausdauer- und Krafttraining unter professioneller Bewegungsprogramme mit niedriger Einstiegshürde Anleitung kann Tumorpatienten empfohlen werden, und einer als wenig belastend empfundenen Aktivität solange keine absoluten oder relativen Kontraindikati- konzipiert werden. Die individuelle Bewegungs- und onen vorliegen. Um dies beurteilen zu können, bedarf Sportberatung, wie sie in Frankfurt entwickelt wurde, es einer engen Abstimmung zwischen Onkologen und bietet daher zusätzlich zu den strukturierten Daueran- Sportmedizinern. Günstig erscheinen Trainingseinhei- geboten auch zeitliche und räumliche Unabhängigkeit, ten mit moderater Intensität von 30 Minuten Dauer verbunden mit einer individualisierten Übungs- und an drei Tagen pro Woche. Eine sportmedizinische Ein- Trainingsplanung. Im Verlauf ausführlicher Einzelbe- gangsuntersuchung ist unbedingt zu empfehlen, um ratungsgespräche erarbeiten Sportwissenschaftler ge- meinsam mit den Patienten individuelle Strategien zur Um ein geeignetes Steigerung der körperlichen Aktivität im Alltag und Trainingsprogramm erstellen einen persönlichen Trainingsplan. Grundla- aufstellen zu kön- ge der fortlaufend aktualisierten Bewegungsempfeh- nen, ist es wichtig, lungen sowie der individualisierten Gestaltung und die Leistungsfähig- Anpassung der Trainingspläne bilden auf der einen keit der Patienten richtig einzuschät- Seite regelmäßige sportmedizinische Eingangs- und zen. Dazu gehört Verlaufsuntersuchungen. Auf der anderen Seite gilt auch die Erfassung es, den Verlauf der Krebserkrankung und die aktuell der maximalen notwendigen Therapieschritte zu berücksichtigen. Die Sauerstoffaufnah- Patienten empfinden die persönliche Betreuung als me während einer zusätzliche Motivationsstütze, körperlich aktiv zu blei- körperlichen Belas- ben. Die selbst herbeigeführte, messbare Steigerung tung mithilfe der Spiroergometrie. von Leistungsfähigkeit und Lebensqualität unterstützt folglich die Motivation und Nachhaltigkeit der Aktivi- tät.

Literatur

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Drei Viertel der Teilnehmer berichten, dass sie auch Neben Ausdauer- nach Abschluss der persönlichen Betreuung ihr Trai- training ist auch ningsprogramm beibehalten. ein leichtes Kraft- Bei der Krebsnachsorge für Kinder gewinnen neben training empfeh- lenswert. Fort- strukturierten und offenen Bewegungsangeboten spezi- schritte lassen elle erlebnispädagogisch orientierte Maßnahmen zuneh- sich beispielswei- mend an Bedeutung. Erste Studien über Freizeit- und se über die Mes- Bewegungscamps für junge Tumorpatienten deuten auf sung der Hand- eine entsprechende therapeutische Wirksamkeit dieser kraft erfassen. Ferienfreizeiten hin, die in einer eigenen Geschwister- studie bestätigt wurde. So zeigten sowohl Geschwister- kinder als auch die jungen Patienten nach Besuch des »Waldpiraten«-Camps der Deutschen Kinderkrebsstif- tung eine Steigerung des psychischen Wohlbefi ndens und der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. lauf einer sportmedizinischen Eingangsuntersuchung, Sportangebote für Krebspatienten zu wenig bekannt die jeder Trainingsaufnahme vorausgehen sollte, muss Die wenigsten Tumorpatienten wissen über die die Trainingsintensität an den aktuellen Zustand des nachweisbaren Effekte körperlicher Aktivität bei Krebs Patienten und an die vorgesehenen Behandlungs- und entsprechende Bewegungsprogramme Bescheid. schritte angepasst werden. Wettkampf- und Kontakt- Eine eigene Befragung über den Wissensstand von sport sind weniger geeignet. hessischen Patienten ergab, dass nur 10 Prozent sehr Die positiven Wirkungen von Sport und Bewegung gut über Nutzen und Möglichkeiten unterstützender in der Prävention und Behandlung wie auch in der Re- bewegungstherapeutischer Programme informiert wa- habilitation und Nachsorge bösartiger Neubildungen ren. Sportangebote waren 69 Prozent der Befragten sind wissenschaftlich gut belegt. Körperliche Aktivität nicht bekannt. Zwei Drittel der 317 Befragten wünsch- sollte nach der Diagnosestellung »Krebs« so früh wie ten sich mehr Informationen, insbesondere durch die möglich aufgenommen werden. Der Ausbau fl ächen- behandelnden Ärzte. Auch sind die bestehenden An- deckender Angebote und deren Vermittlung an die Pa- gebote bei einem Großteil der Patienten nicht bekannt. tienten stehen im Mittelpunkt.  Über die Vorzüge körperlicher Aktivität müsste auch das medizinische Umfeld besser aufgeklärt werden. Die Autoren Gleichzeitig sollte die Versorgung mit Bewegungsange- boten fl ächendeckend ausgebaut werden. Prof. Dr. Dr. Winfried Banzer, 56, hat seit 1995 die Professur für Sportmedizin an der Während in der Brustkrebsnachsorge bundesweit Universität Frankfurt inne. Er ist Facharzt für Allgemeinmedizin und Sportmedizin- circa 800 Sportgruppen bestehen, fehlen adäquate An- Chirotherapie, außerdem hat er sich als Ernährungsmediziner und im Bereich der Akupunktur weiterqualifi ziert. In seiner Forschung, die in über 100 Publikationen gebote für Patienten mit anderen Tumorarten oder in ihren Niederschlag gefunden hat, beschäftigt er sich unter anderem mit präventiver anderen Krankheitsstadien. Diese Lücke soll durch ein und rehabilitativer Sportmedizin, gesundem Altern sowie integrativen Ansätzen in von der Wiesbadener Stiftung »Leben mit Krebs« ge- der Sportmedizin. Prof. Banzer ist im Vorstand der Bundesvereinigung für Prävention fördertes Projekt geschlossen werden. Die ersten Sport- und Gesundheitsförderung, Beauftragter des Präsidiums der Deutschen Gesellschaft gruppen wurden bereits 2005 in der Onkologischen für Prävention und Sportmedizin und im Beirat »Sportentwicklung« des Deutschen Klinik im Krankenhaus Nordwest gegründet. Seit Mai Olympischen Sportbunds sowie Gesundheitssportbeauftragter des Landessportbun- dieses Jahres existiert in der Abteilung Sportmedizin des Hessen. Auf europäischer Ebene ist er Mitglied der »Steering committee of the European Network for the promotion of health-enhancing physical activity« (HEPA/ der Goethe-Universität eine von Sporttherapeuten be- WHO) und Mitglied der »EU Platform on Diet, Physical Activity and Health«. treute Trainingsgruppe für alle Krebspatienten unab- hängig von der jeweiligen Behandlungsphase. Weitere Prof. Dr. Elke Jäger leitet seit 2003 als Chefärztin und Ärztliche Direktorin die Kli- Sportangebote sind bereits in der Planung und werden nik für Onkologie und Hämatologie am Krankenhaus Nordwest. Darüber hinaus ist noch in diesem Jahr beginnen. Diese Sportgruppen sie Direktorin des Clinical Trial Centers, das vom amerikanischen Ludwig Institute for Cancer Research am Krankenhaus Nordwest gefördert wird, und leitet das werden von der Abteilung Sportmedizin betreut und Klinisch-Immunologische Forschungslabor der Klinik. Seit 2007 ist sie Inhaberin unter anderem mit Unterstützung der Stiftung »Leben des Lehrstuhls für Interdisziplinäre Onkologie an der Goethe-Universität. Zu ihrem mit Krebs« evaluiert. Tätigkeitsspektrum gehören die Behandlung von soliden Tumoren und Erkrankungen des Blutes, die Chemotherapie, die kombinierte Chemo- und Strahlentherapie sowie Risiken körperlicher Aktivität die Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzelltransplantation. Die Entwicklung von während der Krebstherapie Impfungen gegen Krebs (Immuntherapie), die klinische Erprobung von sogenann- Zu intensives Training kann in seltenen Fällen zu ten »Targeted Therapies«, die sich gezielt gegen bestimmte Merkmale auf einer Krebszelle richten, und das große Gebiet der Palliativmedizin sind ihre besonderen Überbelastungen führen und sich in Schlafstörungen Schwerpunkte. Zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten mit fortgeschrit- nach den Trainingstagen niederschlagen. Die Folge ist tenen Krebserkrankungen setzt sich Prof. Jäger für die Entwicklung sportmedizini- ein allgemeines Erschöpfungssyndrom mit Zunahme scher Begleitprogramme ein. Nach Gründung der Stiftung Leben mit Krebs 2005 des Fatigue-Syndroms, das sich negativ auf die Motiva- konnten zahlreiche Initiativen zur Sporttherapie bei Krebserkrankungen in Frankfurt tion der Patienten auswirkt. In den ersten 24 Stunden und im Rhein-Main-Gebiet umgesetzt werden. Die Ergebnisse der bisherigen Un- nach einer Chemotherapie sollte man sich, wenn über- tersuchungen in Kooperation mit dem Institut der Sportmedizin und der Klinik für haupt, nur leicht körperlich betätigen./7/ Das Gleiche Psychosomatik der Goethe Universität bestätigen die positiven Auswirkungen. gilt derzeit für Patienten, die eine Ganzkörperbestrah- [email protected] [email protected] lung erhalten. Demgegenüber kann während einer http://www.sportmedizin.uni-frankfurt.de/index.html Chemotherapie, die aus mehreren Zyklen besteht, an http://www.onkologie-rheinmain.de/patientenangebote.html den behandlungsfreien Tagen trainiert werden. Im Ver- http://www.stiftung-leben-mit-krebs.de

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Was Frankfurt ist Über die Schwierigkeiten, sich im Europa der Metropolregionen zurechtzufi nden

von Matthias as man alles über Metropolen Arning Wgesagt hat. Laboratorien der Moderne seien sie. Eben avantgar- distisch, weil sich in diesen Städten früher zeige, was später sein wer- de. In ihren Räumen vermessen wir die Zeit, ist der Kulturwissenschaft- ler Karl Schlögl über zeugt. Die ei- gene Zeit, wohlgemerkt. Allein – ist Frankfurt eine Metropole? Ist sie. Zumindest dann, wenn im Städel Picasso neben Bacon hängt und sich die Ausstellungsmacher somit um pointierte Kontextualisie- rungen bemühen. Und dann, wenn informative Daten online zwischen Montepellier und Moskau den Weg über die Stadt am Main nehmen. Gerade dann, wenn Europa seinen logistischen Mittelpunkt sucht, den man Frankfurter Kreuz nennt. Vor allem aber ist die Stadt mit Einwoh- nerzahlen weit unter Köln und München eine Metropole, wenn sie sich ihrer Potenziale vergewissert: In der Mitte Europas – das Frankfurter Kreuz ist das Sinnbild für den Knotenpunkt Die Kommune, die einzig wirkliche Frankfurt. Wobei Knotenpunkt nicht allein auf Mobilität zielt. In Frankfurt entschei- Global City in der Bundesrepublik, det sich auch die Bedeutung des gesamten Ballungsraums in Europa, wenngleich wächst in den kommenden Jahren die Vorstellung, Mittelpunkt und Entscheidungszentrum einer Metropolregion zu sein, sich noch nicht durchgesetzt hat. weiter und genießt bei Bildungs- hungrigen einen guten Ruf; vor al- lem junge Familien fl üchten nicht mann-Josef Lamberti vor zwei Jah- auch der Stadtplaner Albert Speer mehr auf das Land; der Zugang ren Schluss machen. Die Zeiten anhören, als er im Februar 2009 zum Wasser wirkt auf die Stadt- augenblicklicher Schockstarre eine Denkschrift präsentierte, die landschaft; die Oper fi ndet interna- müssten endlich vorbei sein, dach- Speer selbst als Wegmarkierung für tionale Resonanz und der energie- ten sich die beiden Protagonisten »Frankfurt 2030« verstand. Eigent- effi ziente Umbau der Stadt ist in der Wirtschaftsinitiative Frankfurt / lich auch bis heute versteht, wenn- vollem Gange. Rhein-Main. Betonung auf: Rhein- gleich sich der international tätige Main. Denn so würde es nicht wei- Architekt besser nichts vormachen Leitlinien-Suche: tergehen können, das Abwerben will: Noch ist es nicht so, dass Von Wirtschaftsinitiativen der Börse, die nach Eschborn zieht, städtische Behörden sich an sei- und Denkschriften galt in diesem Zusammenhang nur nem Memorandum einem Master- Metropolen aber leben nicht als Höhepunkt einer durch das plan gleich orientieren würden. al lein von ihren Möglichkeiten. Ringen um Gewerbesteuer geleite- Ganz anders als in Köln: Dort stellt Me tropolen sind vielmehr wohl- ten Entwicklung, die nicht zum sich die Industrie- und Handels- überlegt pragmatisch, so dass ihre Wohle des Ballungsraums ist. Die kam-mer hinter die Überlegungen Gestalter die nächsten zwei Jahr- beiden Manager machten sich auf des Frankfurter Architekten und zehnte in den Blick nehmen, um in »Themenwelten«, die PR-Leute machte der Verwaltung deutlich, Leitlinien jeder weiteren Entwick- erfunden hatten und die Hinweise dass nun etwas passieren sollte. lung zu skizzieren. Weil dabei frü- auf das Gemeinsame der Stadt und Speer liefert viele Hinweise auf her stets ganz viele Gestalter mit - der Region liefern sollten. Dann das, was sein könnte: »Handlungs- re den wollten, mangelte es in der ging es um Logistik, Wissenschaft perspektiven für die Internationale Kommune nicht selten an Priori- und Freizeit, alles das eben, was ei- Bürgerstadt Frankfurt am Main« täten. nen Standort für gute Leute attrak- will er skizzieren, um deutlich zu Damit wollten der damalige Fra- tiv machen könnte. machen: Wenn sich Frankfurt in port-Chef Wilhelm Bender und Allein diese Arbeitsnomaden im internationaler Konkurrenz be- Deutsche-Bank-Vorstand Her- Blick zu haben, das musste sich haupten will, muss die Stadt

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Wohngebiete entwickeln, etwas für und deswegen nicht als Ignoranz heit schöpfen können, dass man ihre Künstler tun, die Bedeutung oder Versagen zu bewerten ist. Und ihre Vorstellungen nicht leichtfer- des Sports nicht unterschätzen, doch sind die Stadtplaner gefordert, tig behandelt. Nach ersten Zusam- sich zu einer Green City entwi- wenn Bockenheim nach dem Ab- menkünften der in Praunheim wie ckeln und den Bildungsstandort riss des Juridicums ein neues Ent- in Niederrad lebenden Bürger stärken. Vor allem letzteren beiden rée aus Richtung Stadt braucht, das muss man sagen: Foren dieser Art, Themen schenken Speer und auch sich gegen die Wucht behaupten an denen Anwohner wie selbstver- sein Co-Autor Klaus Ring, einst kann, die die Gebäude der Kredit- ständlich mitwirken, wenn sie die Präsident der Goethe-Universität anstalt für Wiederaufbau jetzt be- Möglichkeit der Einfl ussnahme se- und später mit der Gründung der reits entlang Senckenberganlage hen, dürften Experimentierfelder Stiftung Polytechnische Gesell- und Bockenheimer Landstraße ent- künftiger Partizipation werden. schaft betraut, große Bedeutung. falten. Man kann das getrost eine Das dürfte in größer wirkenden Für Ring gibt es keinen Zweifel da- städtebauliche Herausforderung Räumen eines Europas, das nach ran, was in Frankfurt mehr zusam- nennen, die einen ganzen Pla- dem Fall der Mauer sicherlich menfi nden muss: Erst wenn die nungsdezernenten fordern würde. nicht übersichtlicher geworden ist, Studenten, die nach ein paar Jah- hilfreich sein. ren die Stadt wieder verlassen, Green City – Experimentier- über dieses Gemeinwesen freund- felder für Partizipation Elastische Kräfte jenseits lich in aller Welt berichten und Nicht anders die andere große der kommunalen Grenzen ihre Zeit am Main als gute Zeit dar- Leitlinie, an der sich lokale Politik Es ist das Europa der Metropol- stellen, dann sei es mit der Stadt zu orientieren hat. Das Zauberwort regionen. Frankfurt ist keine Met- ein Stück vorangegangen. heißt: Green City. Die will Frank- ropole, wohl aber der Kern einer furt genauso werden, wie Freiburg Metropolregion. Metropolregionen Quartierwechsel: Die West- wegen der Solarzellen-Dichte die sind Gebilde, die die Europäische ender und Senckenberger Sun City ist. Die Stadt treibt seit Union entworfen hat. Früher ein- Heute hat die Stadt gute Chan- Jahren den Passivhausbau voran mal, im Zuge der Gebietsreform in cen, sich in Sachen Bildung zu und wagt sich jetzt daran, den Um- Westdeutschland, dachte man über In der Mitte der einer richtigen europäischen Met- bau der Siedlungen aus den 1970er das Rhein-Main-Gebiet nach, das Stadt – junge ropole zu wandeln. In diesem Zu- Jahren anzugehen. Ein Vorhaben sich wie eine Regionalstadt zwi- Familien kehren sammenhang ist die Entscheidung von geradezu paradigmatischer schen Bad Homburg und Rüssels- Frankfurt inzwi- des Landes, »die neue Goethe« um Qualität: Wenn der Umbau der heim entwickeln könnte. Davon ist schen nicht mehr das IG-Farben-Haus zu formieren, Heinrich-Lübke-Siedlung gelingt, heute keine Rede mehr, weil es mit dem Ziel Wet- ein wirklicher Glücksfall. Denn diese Formation der 1960er Jahre, nicht um die allmähliche Aufl ö- terau den Rücken. nach den Erfahrungen, die Gene- dürfte sich die Republik im Frank- sung kommunaler Grenzen geht, Sie bleiben viel- mehr in der Stadt, rationen von Studenten nach dem furter Stadtteil Praunheim anse- sondern um vor allem ökonomisch die mit dem Grün- Krieg im AfE-Turm und im Juridi- hen, was sich für Energieeffi zienz und logistisch gefügte Räume. Er- gürtel viel Freizeit- cum machen mussten, weiß man alles machen lässt. Wenngleich das folgreiche Ballungsräume gruppie- wert zu bieten hat, heute: Es geht auch anders. Dabei Projekt nicht allein deshalb große ren sich gegenwärtig um Mün- und siedeln nicht ist der Schlusspunkt mit den bei- Aufmerksamkeit verdient: Ob beim chen, Stuttgart und Mannheim selten in einem den neuen Campi Westend und Umbau der Lübke-Siedlung oder und bemühen sich darum, ihre Re- der vielen Neu- Riedberg längst nicht gesetzt: In im ebenfalls in die Jahre gekom- gion auch mit Kultur in einen Zu- baugebiete, die auf Konversions- Bockenheim ließe sich rund um menen Mainfeld in Niederrad, im- sammenhang zu setzen. Selbst fl ächen nach dem das Depot nach einem Abriss der mer geht es auch darum, wie die wenn sich Eschborn jetzt an der Abzug der US- Universitätsbibliothek darüber Umbauer mit den Bewohnern um- Erweiterung des Städels beteiligt Armee entstanden nachdenken, ob dieses Quartier gehen und die Bewohner Gewiss- und der über Stadtgrenzen hinaus- sind. entlang der Senckenberganlage die Künste ballen sollte, Tänzer, Cho- reografen und Sänger nicht am besten aus verschiedenen Richtun- gen der Stadt Kurs auf Bocken- heim nehmen sollten. Zumal die Senckenberger mit ihrem Quartier ja ebenfalls große Pläne haben: Zwischen Senckenberganlage und Gräfstraße würde ein Viertel ent- stehen, das allein den Paläontolo- gen und Klimaforschern vorbehal- ten bliebe. Und selbstredend den Kindern, die fortan das Museum von zwei Eingängen aus erreichen könnten. Zukunftsmusik, aber kei- ne Fantasterei. Die Stadt selbst hat damit nicht viel zu tun. Was mit politischen Kompetenzzuweisungen zu tun hat

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weisende Kulturfonds das Projekt Expressionismus verfolgt – elasti- sche Kräfte, die aus einem Ballungs- raum eine Metropolregion machen würden, haben sich in Rhein-Main bis heute nicht ausgebildet. Dafür wäre die Internationale Bauausstellung vielleicht ein Pro- jekt gewesen, das sich wie ein Fo- rum hätte nutzen lassen. Es ist ge- scheitert. Zumindest vorerst. Weil die Landesregierung nicht wollte, da es die Befürchtung gab, ein sol- ches Vorhaben könnte Nordhessen zum Nachteil werden. Im Sinne ei- nes neuen Europas, das sich im Wesentlichen als Ansammlung von Metropolregionen gruppiert, dürfte das wohl kaum gewesen sein. Aber aus der Sicht der Landesregierung ging es im Grunde um alles: Ein In der Mitte der Moderne – was in den 1970er Jahre als zeitgemäß galt, zählt heute zu den Sanierungsfäl- Europa der Regionen ist mit föde- len. Siedlungen wie das nach dem früheren Bundespräsidenten Heinrich Lübke benannte Wohngebiet ral strukturierten Republiken nur entlang der Ludwig-Landmann-Straße in Praunheim sollen demnächst umgebaut werden – mit dem An- schwer zu machen. Perspektivisch spruch, ein Modellprojekt für energieeffi ziente Sanierungen schaffen zu können. aber orientiert sich der Bürger am Strom des Wirtschaftens. Da muss Anzeige sich der Föderalismus dann was einfallen lassen. Die Debatte darüber, was Frank- furt eigentlich ist, steckt in den An- fängen. Kann schon sein, dass der gegenwärtig angestrebte Paradig- menwechsel in der Integrationspo- litik später einmal als Wegweisung erscheint. Schließlich könnte sich die Stadtgesellschaft von der Fo- kussierung darauf, woher einer kommt, abwenden, um fortan die Frage zu stellen, was einer denn eigentlich will – in dieser internati- onalsten Stadt der Republik. Das Panorama der Stadt ist vielfältig. Damit hat sie im Grunde schon al- les, was eine richtige Metropole braucht. 

Der Autor

Familie K. Dr. Matthias Arning Immobilien-Neubesitzer | Kunden seit 1993 , 46, studierte Poli- tikwissenschaft in Frankfurt und Ber- lin. Seine Promotion über die Idee des Fortschritts bei Condorcet ent- Unser Leben, unser Spielraum, stand bei Prof. Dr. Herfried Münkler an der Humboldt-Universität zu Ber- unsere Frankfurter Sparkasse lin. Nach dem Volontariat arbeitete Arning bei der Frankfurter Rundschau „Ein Haus mit eigenem Garten: unbezahlbar! Aber finanzierbar. als Politik-Redakteur. Anfang 2007 Sogar spielend, wenn man wie wir den richtigen Finanzpartner hat.“ wechselte er ins Lokalressort Frank- Die Sparkassen-BauFinanzierung der Frankfurter Sparkasse bietet furt und leitet seitdem diese Redakti- Raum für Ihre Wünsche. on. Eine persönliche Wegweisung, die für das Berufsleben von außerordent- licher Bedeutung gewesen ist, denn das Leben des 21. Jahrhunderts ist ein Leben in Metropolen. Und so be- müht sich Arning darum, die Debatte über das Städtische anzuspornen.

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03 UNI S000_000 2009_03.indd 82 24.11.2009 14:35:37 Uhr Perspektiven »Die Universität – ein Nukleus für eine Belebung des kulturellen und intellektuellen Lebens der Region«

Frankfurt und seine Potenziale – Wo wird die Main-Metropole im Jahre 2030 stehen?

? Wie kommt es, dass Frankfurt ? Die Goethe-Uni befi ndet sich immer noch das Image anhängt, derzeit im größten Wandlungs- eine raue Wirtschaftsmetropole zu prozess ihrer Geschichte. Herr sein? Herr Professor Speer, was Prof. Müller-Esterl, was kann sie macht Frankfurt falsch? Stadt und Region geben, was diese noch nicht haben? Speer: Es gelingt uns nicht, die Stärken Frankfurts wirklich zu Müller-Esterl: Herr Ring hat ja zeigen. Die Stadt ist auch eine eben schon den historischen Hin- Kultur- und Wissenschaftsmetro- tergrund beleuchtet. Es gab einen pole. Graben zwischen der Stadt und ih- rer Universität – ausgehoben von ? Warum tut sich Frankfurt beiden Seiten. Es ist in den letzten schwer, die Potenziale der Goethe- Jahren zunehmend gelungen, die- Universität richtig wahrzunehmen, sen Graben zu schließen. Ich er- wie Sie, Herr Professor Ring, es fahre in vielen Begegnungen und feststellen? Gesprächen, dass Frankfurt und die Region Rhein-Main zuneh- Ring: Historisch ist das überra- mend auch als Wissenschaftsstand- schend. Denn die Goethe-Univer- ort wahrgenommen wird. Es gibt ja einzigartig in Deutschland. Aus der Im Gespräch: sität wurde ja von Bürgern ge- nicht nur die Goethe-Universität. Universitätsentwicklung ergeben Prof. Albert Speer, gründet. Mit der Gründung der Um uns herum liegt ja eine große sich auch für Frankfurt zwei Rie- Dr. Olaf Kalten- Universität 1914 wurde ein bedeu- Zahl von Universitäten, mehr als in senchancen. Die Goethe-Universi- born, Prof. Klaus Ring und Prof. tender Standortfaktor geschaffen. Berlin. Als eine der forschungs- tät stärkt das Image von Stadt und Werner Müller- An der Spitze der Bewegung stan- stärksten Universitäten Deutsch- Region, indem sie offensiv sagt: Esterl. den zwei Personen: Oberbürger- lands verstehen wir uns als intel- Wir werden eine neue Universität. meister Adickes und Wilhelm lektuelles Zentrum der Region, Und das Zweite ist: Auf dem frei Merton, ein ungewöhnlich aufge- und dazu gehören auch die außer- werdenden Bockenheimer Areal schlossener und kreativer Unter- universitären Institute – Leibniz, besteht – zehn Minuten vom nehmer; dazu kamen Bildungsbür- Max-Planck, Helmholtz. Diese Hauptbahnhof entfernt – die Chan- ger aus der Stadt, auch und gerade Konzentration von Wissenschafts- ce, ein Stück nachhaltige Innen- aus der jüdischen Bevölkerung. einrichtungen um die Goethe-Uni- stadt zu entwickeln mit Wohnen, Der Grundgedanke war: Wir brau- versität herum wird das Image von Arbeiten und Freizeit. chen einen neuen Geist in dieser Stadt und Region künftig mitprä- Stadt, und diesen neuen Geist kön- gen und sollte in öffentlichen Dar- ? In der Studie »Frankfurt für nen wir am besten schaffen durch stellungen auch offensiv beworben alle« haben Sie, Herr Professor eine Universität. Im Zuge späterer werden. Ring, und Herr Dr. Kaehlbrandt Entwicklungen haben sich die sich auch Gedanken gemacht über Stadt, die Kommunalpolitik und ? Tut die Goethe-Universität be- die Rolle der Goethe-Universität im Übrigen auch viele der Bürger reits genug, um dem Anspruch ei- als Bürgeruniversität. Welche Mög- von der Wissenschaft entfernt. Ihre nes intellektuellen Zentrums für lichkeiten sehen Sie hier für die Komplexität ließ sich immer die Region gerecht zu werden? weitere Entwicklung? schwerer vermitteln. Dazu kam der Krieg, die Vertreibung auch der Speer: Ich sehe, dass vonseiten Ring: Das Fantastische ist doch, vielen jüdischen Lehrer hier, die der Goethe-Universität in den letz- dass historisch betrachtet Frankfurt der Universität ein Gepräge gege- ten Jahren große Anstrengungen für einen neuen Typus einer mo- ben hatten. Schließlich hat auch unternommen werden, mehr in dernen Universität steht, die in be- die 68er-Entwicklung zur Entfrem- der Öffentlichkeit präsent zu sein sonderer Weise mit ihrer Stadt und dung zwischen Bürgerschaft, Poli- und die Bürger mit einzubeziehen. ihrem Bürgertum verbunden ist. tik und Universität beigetragen. Für entscheidend halte ich den Die Frankfurter Universität ist von Umso wichtiger ist es, dass man Campus-Neubau im Westend. Die ihrer Gründung her eine Einrich- begonnen hat, diese Entfremdung Goethe-Universität erhält einen tung der Bürger. Auch wenn diese zu überwinden. Campus, der seinesgleichen sucht – Stellung im Verlauf der letzten

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Aber das ist ja nicht alles. Die Uni- und nötigsten sind. Eine solche versität Frankfurt genießt als Stif- Entwicklung ist in einer Stiftungs- tungsuniversität inzwischen eine universität viel besser zu handha- Art Vorbildcharakter in der Region, ben als in einer Universität traditi- im Land Hessen, aber auch bun- oneller Struktur. Als in meiner desweit. Die Entwicklung unseres Amtszeit Bruno Schubert der Uni- Modells wird genau beobachtet. versität eine Stiftungsprofessur für Wo immer ich auch hinkomme, Umweltforschung stiftete, habe ich sprechen mich die Menschen dar- eineinhalb Jahre gebraucht, um auf an. Auch das ist eine neue dem Ministerpräsidenten die Zu- Qua li tät, die es früher so nicht gab. stimmung abzuringen. Aber sie Wir haben also in zweierlei Hin- war ihm sehr schwer gefallen. sicht Modellcharakter, der vorbild- lich sein kann auch für alle Hoch- Müller-Esterl: Die Zeiten haben schulentwicklungen in Deutsch- sich grundlegend gewandelt. land. Speer: Genau, sie haben sich Speer: Da möchte ich kurz ein- grundlegend gewandelt. Diese Uni- Prof. Dr. Albert Speer, 75, gilt international als einer der renom- haken. Es ist ja so, dass Frankfurt versität hat mit der Qualität der miertesten Stadtplaner und Architekten. Nach seinen Plänen die einzige Universität in Deutsch- Architektur hier im Westend nicht wurden nicht nur in Frankfurt eindrucksvolle Gebäude errich- land ist, die sich in diesem Umfang nur interessante Gebäude geschaf- tet und städtebauliche Entwicklungen vorangetrieben; beson- baulich völlig neu aufstellt. Aber fen, sondern sie zeigt Studierenden ders aktiv war er mit seinen mehr als 100 Mitarbeitern in den draußen weiß das kaum einer. Wir wie Lehrenden Tag für Tag, wie vergangenen Jahren neben Projekten in anderen deutschen bauen hier eine riesige neue Uni- schön es sein kann, sich in einer Großstädten auch in Saudi-Arabien und China. 2003 erhielt versität mit hoher Qualität, und Universität aufzuhalten. Früher Speer, der bis zu seiner Emeritierung auch eine Professur an der Technischen Universität Kaiserslautern innehatte, die auf den internationalen Messen in versuchte man, so schnell wie Goethe-Plakette der Stadt Frankfurt – mit der Begründung, Cannes oder in München präsen- möglich wieder aus Frankfurt weg- sein »Einfl uss auf die städtebauliche Entwicklung Frankfurts tiert die Stadt nicht mal ein Modell zukommen … kann nicht hoch genug eingeschätzt werden«. Es sei ihm zu davon. Warum? Weil die Stadt verdanken, dass die Stadt eine neue Identität gefunden habe. Frankfurt sagt, das bauen ja nicht ? … Herr Professor Ring, Sie wir, das baut das Land. Und das haben es, glaube ich, nur ein Jahr Jahrzehnte etwas verloren gegan- Land sagt, wir sind ja auf diesen ausgehalten in Frankfurt, oder …? gen ist, so kann sie meines Erach- Messen gar nicht vertreten, also tens wiederbelebt werden. Ich können wir auch nichts präsentie- Ring: … als Student – nach ei- glaube, in den Bürgerschaften der ren. Was mich ärgert, ist dieses nem Semester bin ich wieder weg. Städte, aber ganz besonders in klein karierte Kompetenzgerangel. Ich wollte nie mehr nach Frank- Frankfurt mit seiner Weltoffenheit furt. Jetzt endlich ist die Goethe- und der großen pragmatischen Er- Müller-Esterl: Da möchte ich Universität ein Ort geworden, der fahrung, gibt es sehr viel zu entde- nicht widersprechen. Die Goethe- zeigt: Es lohnt sich, in Frankfurt zu cken an Kompetenzen, die in der Universität selbst unternimmt je- sein und zu bleiben. Für Frankfurt Bürgerschaft angelegt sind. Darü- doch inzwischen erhebliche An- muss gelten: Die 50 000 Studieren- ber ist nie groß gesprochen wor- strengungen, die Qualität ihres den sind in der Stadt willkommen! den. In Frankfurt schaut man im- Campus öffentlich zu machen, Das sind Bürger, und als Bürger mer lieber nach außen als nach wenn Sie zum Beispiel an den Bei- kommen sie an die Hochschulen, innen. Unsere Denkschrift »Frank- trag von Dieter Bartetzko vor eini- um hier die nötigen Qualifi katio- furt für alle« entwickelt Grundsätze ger Zeit im bundesweiten Feuille- nen für ihr Berufsleben zu erwer- einer modernen Stadtentwicklung ton der FAZ denken. Das war ja ben, aber auch, um hier zu leben. – auch vor dem Hintergrund eines schon fast eine Hymne auf die Sie kommen als Suchende, als globalen Wettbewerbs um die bes- Westend-Campus-Architektur. Kundschafter, als Scouts, und sie ten Köpfe. Eine bedeutende, at- gehen als Botschafter, als Botschaf- traktive Universität ist dabei unver- Ring: Die Rückkehr zur Stif- ter für die Universität, für die ein- zichtbar – als geistiges, als kreatives, tungsuniversität ist in ihrer sym- zelnen Institute, für die Stadt. Als als intellektuelles Zentrum von bolischen Bedeutung gar nicht Botschafter gehen sie mit guten Stadt und Region. Wer sonst sollte hoch genug einzuschätzen. Viele oder mit schlechten Erfahrungen. diese Aufgaben übernehmen? haben noch gar nicht begriffen, Die schlechten Botschaften gehen was für Chancen daraus entstehen durch das Internet und die Globali- Müller-Esterl: Ich möchte einen können. Nehmen sie die rund 50 tät der Wissenschaft im Nu um den Gedanken von Herrn Speer auf- Stiftungsprofessuren. Die spiegeln ganzen Erdball. Sie lassen sich greifen, der den Vorzeigecharakter direkt die Einschätzung der Ent- dann nicht mehr korrigieren. Die der Campusareale hervorhob. Wir wicklung einzelner Fächer wider. Stadt aber braucht positive Bot- setzen hier nicht nur mit dem Stifter investieren nicht in Ent- schaften. Cam pus Westend, sondern auch wicklungen von vorgestern, son- auf dem Riedberg städtebauliche dern wollen die Entwicklung der ? Herr Professor Müller-Esterl, Akzente mit großer Reichweite für Universität dort fördern, wo Inno- glauben Sie, dass die Goethe-Uni- die gesamte Stadtentwicklung. vationen am wahrscheinlichsten versität sogar so eine Art Nukleus

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Prof. Dr. Werner Müller-Esterl, 61, leitet die Goethe-Universität seit Januar 2009; im Oktober 2008 wurde er als Präsident der Stiftungsuniversität zum Nachfolger von Prof. Dr. gewählt. Die stärkere Vernetzung der Universität mit den Forschungseinrichtungen im Rhein- Main-Gebiet hat er sich ebenso zum Ziel gesetzt wie Intensivierung der vielfältigen Angebote für die Bürger der Stadt Frank- furt und der Region. Seit 1999 lehrt er Biochemie an der Universität Frankfurt. 1999 wechselte der Biochemiker und Mediziner von Mainz nach Frankfurt: Er wurde Direktor des Instituts für Bioche- mie II und des Gustav-Embden-Zentrums für Biologische Chemie am Fachbereich Medizin. Wissenschaftlich beschäftigt er sich mit den molekularen Mechanismen, die das kardiovaskuläre System steuern. Bis zur Übernahme des Präsidentenamtes war er Sprecher des Frankfurter Exzellenz- Clusters »Makromolekulare Komplexe«.

eines neuen kommunalen bürger- Ring: Wir brauchen neue Ver- Müller-Esterl: Ich möchte noch schaftlichen Bewusstseins bilden mittlungsformen. Wissenschaft mal an die Worte von Herrn Ring könnte? muss auf die Menschen zugehen. anknüpfen. Ich fi nde, dass Frank- Nehmen Sie zum Beispiel das Sen- furt beispielsweise mit dem Muse- Müller-Esterl: Das ist vielleicht ckenberg Museum, das mit großem umsufer eine hervorragende Prä- ein bisschen hoch gegriffen. Aber Erfolg naturwissenschaftliche Aus- sentation seiner kulturellen Schätze ich kann mir durchaus eine stärkere stellungen organisiert. Ich komme bietet. Das Senckenberg Museum Interaktion zwischen Bürgerschaft hier sonntags öfter vorbei. Da ste- ist das bekannteste naturkundliche und Wissenschaft vorstellen. Dabei hen oft ganz lange Schlangen, Fa- Museum Deutschlands – auch dank denke ich zum Beispiel auch an die milien, die dort hinein wollen. Da- seiner außerordentlich gut besuch- Rolle, die einige unsere Wirtschafts- bei sollte es aber nicht bleiben. Für wissenschaftler in der Finanzkrise die Bevölkerung »erlebbare« Wis- als Politikberater spielen. Herr senschaft muss noch in anderer Krahnen, Herr Wieland, Herr Issing Weise vermittelt werden, bis hin- sind ja Experten, die wirklich ge- ein in die realen Lebenswelten, fragt sind. Denken Sie bitte auch an zum Beispiel die moderne Medizin. unsere Verknüpfung mit den städti- Erprobte Vorbilder gibt es. Das sind schen Institutionen, Städel, Haus die Science Center. Für die Goethe- am Dom, Freies Hochstift, Zoo, Universität wäre ein solches Senckenberg. Denken Sie an Herrn Science Center eine große Chance. Mosbrugger, der als Direktor des Senckenberg Museums gleichzeitig Speer: Ja, das halte ich auch für ein hervorragender Wissenschaftler ganz wichtig. ist, der sich an unserer Universität in der Leitung einer Graduierten- Ring: Es braucht aber noch mehr. schule engagiert. Denken Sie an Durch den Zustrom quali fi zierter das neu gewonnene Habermas-Ar- Menschen, häufi g und immer mehr chiv und die künftige wissenschaft- aus dem Ausland, entstehen hohe liche Kooperation mit dem Deut- Bildungs- und Kulturansprüche, schen Literaturarchiv Marbach. vor allem hinsichtlich der Ausbil- Damit zeigen wir nach innen wie dung der Kinder. Diese hohen An- nach außen, dass wir diesen Kon- forderungen müssen befriedigt takt, diese Einbindung städtischer, werden, dazu braucht es ein diffe- Prof. Dr. Klaus Ring, 75, ist Vorsitzender des Stiftungsrats der Stiftung Polytechnische Gesellschaft Frankfurt. Deren Grün- kultureller Institutionen wünschen. renziertes System an Angeboten, so dung im Jahre 2005 und Zielsetzung, Frankfurt zu einem Mo- Umgekehrt werden diese Wünsche dass die Menschen in Frankfurt dell für eine moderne, bürgernahe Stadtgesellschaft zu entwi- auch von außen an uns herange- auch gerne bleiben. ckeln, sind maßgeblich seinem Engagement zu verdanken. tragen. In diesem Sinne kann die Von 1986 bis 1994 war Ring Präsident der Goethe-Universi- Universität tatsächlich einen Nuk- Speer: Deshalb haben wir in tät, von 1971 bis zu seiner Wahl zum Präsidenten der größten leus bilden für eine Belebung des »Frankfurt für alle« versucht, das hessischen Hochschule hatte er die Professur für Mikrobiolo- kulturellen und intellektuellen Le- gemeinsam zusammenzufassen gische Chemie im Fachbereich Medizin der Universität Frank- furt inne. Ob als Hochschullehrer, Universitätspräsident, Ge- bens der Region. und der Politik an die Hand zu ge- schäftsführer und wissenschaftlicher Direktor der Stiftung ben. Jetzt müssen alle darauf drän- Lesen (1994 – 2005) oder nun als »Senior-Chef« der Polytech- ? Wie gelingt es noch besser, gen, dass die Politik auch etwas da- nischen Stiftung – immer gilt sein besonderes Augenmerk jun- die Bevölkerung für das Thema raus macht. gen Menschen und der Entwicklung ihrer Fähigkeiten. Wissenschaft zu begeistern?

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ten Sonderausstellungen. Alles das ? Was macht denn eigentlich anderem dazu führt, dass sich im- sind sehr gute Entwicklungen. das Reizklima an der Goethe-Uni- mer weniger Menschen in der Aber etwas fehlt noch, nämlich ein versität aus? Wie kommt es zu die- Kommunalpolitik engagieren. Die Science Museum. Wir sind gerne sem neuen Magnetismus? wollen nicht jeden Abend in ir- bereit, über ein solches Museum gendwelchen Ausschüssen sitzen. auf unserem Campus Riedberg Müller-Esterl: Es herrscht echte Was man also wirklich besser ma- konkret nachzudenken. Ein Muse- Aufbruchsstimmung. Wir haben chen kann, ist, dass man die Dinge um neuen Typs könnte entstehen. natürlich enorm profi tiert durch besser strukturiert und koordi- Eines, das die Transmission bietet die drei Exzellenzcluster, eines da- niert. zu Themen unserer aktuellen For- von zusammen mit der Universität schung. Es wäre ein dynamisches Gießen. Diese Aufbruchsstimmung ? Entspricht das auch Ihren Museum und damit eine Art Ge- ergreift mit dem Exzellenzcluster Erfahrungen mit Frankfurt, Herr genstück zu einem Deutschen Mu- »Normative Ordnungen« auch die Professor Ring? seum, das im Wesentlichen statisch Geistes- und Sozialwissenschaften. ist. Und noch ein anderer Punkt ist Allein hier ist es binnen Jahresfrist Ring: Ich würde nicht ganz so mir wichtig mit Blick auf das Image gelungen, neun neue Professoren weit gehen wie Herr Speer. Frank- Frankfurts. Das ist die Wirkung he- zu berufen, alle vom ersten Listen- furt war lange freie Reichsstadt, rausragender internationaler Beru- platz. Das bedeutet: Es ist uns neun war Stadt der Kaiserkrönungen, fungen für den gesamten Standort. Mal gelungen, die Besten zu ge- hat stets internationale Gäste be- Als Universität gelingt es uns zu- winnen und an Frankfurt zu bin- herbergt; die Messe hat Traditionen nehmend, herausragende Forscher den. Solche Signale brauchen wir! geschaffen bis weit ins Mittelalter aus dem Ausland anzuziehen, zum zurück. Die Stadt war insofern im- Teil von äußerst renommierten ? Man hat den Eindruck, dass mer fast schon zu Gastfreundschaft Einrichtungen wie der London wichtige Prozesse in Frankfurt verurteilt. Nach dem Krieg hat sie School of Economics oder Harvard. nicht selten parallel aneinander relativ schnell daran anknüpfen Diese Menschen beleben und be- vorbeilaufen. Herr Professor Speer, können: Denken Sie an die Buch- fruchten Frankfurt enorm. Sie sind was läuft hier aus Ihrer Sicht schief? messe, die Internationale Automo- der geistige Humus für wirkliche bilausstellung, den Friedenspreis in Internationalität. Speer: Die Verwaltungstradition der Paulskirche, den Flughafen. einer Kommune wie Frankfurt ist Das sind schon Highlights, die Mil- nicht vorbereitet auf die neuen He- lionen von Menschen aus der gan- rausforderungen, die durch Inter- zen Welt anziehen. Demgegenüber nationalisierung und Globalisie- muss das Thema »Forschung und rung auf sie zukommen. Dafür gibt Lehre in Frankfurt« noch mehr es viele Gründe. Ich will nur einige Beachtung fi nden. Dazu gibt es nennen: Parteienstruktur und star- Ansätze. Denken Sie an den Paul- re Zuständigkeiten in Dezernaten, Ehrlich- und Ludwig-Darmstädter- die nicht genügend über den Tel- Preis. Das ist so eine Art kleiner lerrand schauen und Dinge mitein- Nobelpreis. ander abstimmen und koordinie- ren. Und natürlich gibt es immer Müller-Esterl: Prä-Nobelpreis! wieder Eifersüchteleien. Das ist ge- wiss nicht nur ein Frankfurter Pro- Ring: Ja, ja. Prä-Nobelpreis. blem, es gibt bisher wenige Städte Nicht wenige Preisträger haben in Deutschland, die über ein or- später tatsächlich den Nobelpreis dentliches Stadtmanagement ver- bekommen. Und der Stiftungsrat fügen, wie das international üb- der Paul-Ehrlich-Stiftung ist mit Dr. Olaf Kaltenborn, 44, absolvierte 1992 Persönlichkeiten besetzt, die aus bis 1993 im Rahmen seines Journalistik- lich ist. Eine davon ist München studiums an der Universität Dortmund und die andere Hamburg. Aber der ganzen Welt kommen. Dem ein Volontariat bei der Berliner Zeitung, Hamburg ist Stadt-Staat in einer entspricht leider nicht immer die 2000 promovierte er an der Universität anderen Situation, kann selber Präsenz der politischen Spitzen bei Essen. Von 1997 bis 2003 schrieb er als Gesetze erlassen und ganz anders den Verleihungsfeiern. Autor für die Süddeutsche Zeitung und reagieren. die Neue Zürcher Zeitung. 2001 bis ? Meine Herren, bitte noch eine 2003 war er PR-Berater des Präsidenten der Universität Witten/Herdecke (UWH), ? Was wird denn dort besser Abschlussrunde. Im Titel der außerdem Gründungsmitglied des Master- gemacht? Denkschrift »Frankfurt für alle« studienganges »Architektur und Medien- fi ndet sich das magische Datum management« an der Fachhochschule Speer: Alles. Es ist einfach eine 2030. Wo sehen Sie Frankfurt Bochum. 2001 gründete er das Wissen- andere Verwaltungstradition. 2030? schaftsmagazin »Transfer – Wissenschaft Frankfurt, das habe ich schon öf- im Ruhrgebiet«. Von 2003 bis 2006 lei- ters gesagt, war immer eine Krä- Speer: An der Weltspitze (lacht). tete er die Abteilung Kommunikation der UWH und war Mitglied der erweiterten merstadt und damit im Denken re- Im Ernst, das kann keiner sagen. Universitätsleitung. Seit 2006 ist er Lei- lativ klein kariert. In der Politik ist Aber wir werden uns gegen eine ter der Abteilung Marketing und Kommu- das in den letzten Jahren noch deutlich stärkere internationale nikation der Goethe-Universität. schlimmer geworden, was unter Konkurrenz zu behaupten haben.

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Müller-Esterl: Ich glaube, dass die Goethe-Universität sich bis dahin als Spitzenuniversität etabliert hat. Und die Erträge unseres Stiftungs- kapitals tragen substanziell zur Fi- nanzierung bei. Sicher werden sich bis dahin auch Inhalte und Schwerpunkte weiter gewandelt haben. Ich setze auch auf intensive Kooperation mit außeruniversitä- ren Forschungseinrichtungen, von denen sich sicher noch mehr auf dem Campus Riedberg ansiedeln werden. Daraus werden interes- sante Kooperationsmodelle entste- hen. Und ich hoffe sehr auch auf Neugründungen im Bereich Phar- maforschung. Frankfurt könnte seine Bedeutung als ehemalige Apotheke der Welt wieder ein Stück zurückerobern.

Ring: Aufgrund der demografi - schen Entwicklung wird die Goe- the-Universität 2030 viel mehr in- ternationale Studierende anziehen Blick durch die Mitte: Aus dem Hörsaalzentrum auf Poelzigs Stadtkrone und die Frankfurter Skyline. müssen als heute. Wir brauchen sie, um diese große Universität auch wirklich füllen zu können mit sehr guten, kreativen Talen- Eine Campus-Universität ten – in allen Fächern. Frankfurt hat eine große Tradition; in den Naturwissenschaften, ebenso aber mit urbanen Qualitäten in den Geistes- und Sozialwissen- Anmerkungen zum städtebaulichen Masterplan – schaften. Das ist für Studierende ja nicht ohne Reiz. Für eine Stadtge- Die Ergänzung auf das Poelzig-Ensemble sellschaft auch nicht. Wissenschaft bringt immer wieder intellektuelle »Störenfriede«. Das mag zwar ge- ie Erweiterung des Campus dem 39 Hektar großen Areal zahl- von legentlich ärgern: Aber es ist gera- DWestend erschien mir von An- reiche weitere Gebäude für die Ferdinand Heide de das, was wir auch in Zukunft fang an als eine außergewöhnlich Universität: Insgesamt werden in brauchen … reizvolle Aufgabe. Das denkmalge- den kommenden Jahren über den schützte Poelzig-Ensemble, in das bereits realisierten ersten Bauab- Müller-Esterl: … gleichsam als die geisteswissenschaftlichen Insti- schnitt hinaus Neubauten – Insti- Salz in der Suppe … tute bereits 2001 einzogen, bot mit tuts- und Verwaltungsgebäude, Bi- seinem Genius Loci, der Qualität bliotheken, studentisches Wohnen, Ring: … ja, so ist es! der Gartenanlage und der Archi- Hörsäle, Mensa – mit 300 000 Qua- tektur selbst eine einzigartige Ins- dratmeter Fläche für circa 25 000 Speer: Ich möchte noch eine pirationsquelle. In meinem städte- Studierende geschaffen. Kleinigkeit ergänzen, von der ich baulichen Masterplan, der 2002 in glaube, dass sie ganz wichtig ist. einem internationalen Wettbewerb Das Konzept des zentralen Auch im Jahre 2030 wird Frank- unter fast 200 Entwürfen ausge- Bandes und seine Anbindung furt eine kleine Stadt sein, im wählt wurde, fi nden sich die Frei- an den städtischen Raum Weltmaßstab, und das ist der große raumqualitäten in einem Park Der Ausbau dieses Universitäts- Vorteil, Überschaubarkeit, Nähe, wieder, in dem die neuen Universi- standortes bietet die Möglichkeit, die Stadt wird in dieser Größen- tätsgebäude so angeordnet werden, die Institute auf einem parkartigen ordnung und nicht mehr nach dass sie als städtebauliche Struktur Gelände um eine zentrale Mitte – außen wachsen, und darin liegt auf das Poelzig-Ensemble antwor- einen Campus – anzuordnen. In eine der großen Stärken auch in ten. Architektur und städtebauli- dessen Mitte befi ndet sich in Ver- der internationalen Konkurrenz. che Figur schaffen einen besonde- längerung des Casinos ein urbanes Dass wir eben kein Moloch wer- ren Ort, der der Goethe-Universität Band mit den zentralen Einrichtun- den. eine räumliche und bauliche Iden- gen, dem Hörsaalzentrum und der tität verleiht. Mensa. Die neuen Institutsgebäude ! Meine Herren, ich danke In Ergänzung zu dem vorhande- liegen am Rand und bilden im Nor- Ihnen für das Gespräch.  nen IG-Farben-Haus entstehen auf den und Osten eine Kante zur

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Urbane Qualitäten folgen den seitlichen Fluchtlinien inmitten eines des IG-Farben-Hochhauses und Parks: Der Campus treffen sich in einem imaginären Westend der Goe- Punkt. An diesem imaginären Ort – the-Universität. der Mitte des gesamten Areals – be- fi nden sich die zentralen Funk tio- nen Hörsaalgebäude und Campus- platz. Das Konzept des zentralen Bandes lehnt sich an die Planung von Poelzig und seinem Land- schaftsarchitekten Mattern an, in Freiraum in der der schon Achsialität und parallele zentralen Mitte: Weiterentwicklung vorgedacht wa- Der großzügige Campusplatz zwi- ren. Die Parkgestaltung folgt dem schen Hörsaal- Leitbild eines Landschaftsgartens: zentrum und Baumgruppen aus bestehenden und Mensa. neu angepfl anzten Bäumen auf

Stadt. Auch der Grüneburgpark – als angrenzende öffentliche Park- anlage – wird durch die Gestaltung der Freifl ächen und das neue Wegenetz in den Campus Westend einbezogen und fortgeschrieben. In meinem städtebaulichen Ent- wurf behält das IG-Farben-Hoch- haus in der Komposition der Bau- körper seine zentrale Bedeutung: Die denkmalgeschützte, achsiale Freianlage, in deren Mitte sich das Casino befi ndet, wird über zwei »Grünspangen« und über das zent- rale Band nach Norden fortgesetzt. Klare Baukörper im spannungsvollen Verhältnis: Das Gebäude der Rechts- und Wirt- Dabei bleibt das IG-Farben-Hoch- schaftswissenschaften und ein Ausschnitt des Hörsaalzentrums. haus auch in der Höhenentwick- lung die Dominante und Stadt- nem spannungsvollen Verhältnis weiträumigen Rasenfl ächen glie- krone im Sinn seines Architekten zueinander stehen, erzeugen Urba- dern den Raum und ermöglichen Hans Poelzig. Architektur und nität und Dichte. Neue Mensa und Blickbeziehungen. Struktur der Gebäude sind geprägt Hörsaalgebäude sind an einem Das Universitätsgelände wird von der Idee der Hochschule als Platz gelegen, der als Pendant zum von der Stadtseite und vom Park, Ort der Kommunikation und des zentralen Wasserbecken der unte- begrenzt von den Institutsgebäu- Austausches. Die klare, städte- ren Ebene die neue Mitte des obe- den, an wenigen, aber prägnanten bauliche Ordnung schafft einen ren Plateaus darstellt. Stellen erschlossen. Nur zum Grüne- Campus mit integrativer und ganz- Die Freifl ächengestaltung orien- burgpark wird zwischen den Bau- heitlicher Qualität. Alle Institutsge- tiert sich an der historischen Anla- ten eine großzügige Öffnung ge- bäude haben eine einheitliche ge: Die Wege der vorhandenen Gar- schaffen: Die stark ansteigende Höhe. Klare Baukörper, die in ei- tenanlage in Nord-Süd-Richtung Topografi e wird genutzt, um einen

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terrassenförmig zum Park abfallen- kompakte dreigeschossige Volu- erhalten die Häuser eine deutliche den Garten auszubilden. Die Er- men aufgesattelt, in denen jeweils Ausrichtung, Form und Struktur. schließung des Campus, das neue ein Fachbereich untergebracht ist. Hörsaalgebäude und Mensa verste- Wegenetz sowie die großzügigen Wie schon im städtebaulichen Rah- hen sich in diesem Ensemble als Eingangsbereiche im Norden und menplan vorgesehen, befi ndet sich analog gestaltete Bauten, die sich Süden verfl echten den Hochschul- im gemeinsamen Sockel die Fach- am Universitätsplatz gegenüberste- campus mit der Stadt. Die neue bereichsbibliothek. Das House of hen. Zentralbibliothek, deren Bau zum Finance (Architekten Kleihues + Die Architektur dieser Häuser 100-jährigen Bestehen der Univer- Kleihues) wendet sich gleicherma- folgt einer zentralen Idee. Sie re- sität 2014 abgeschlossen sein soll, ßen dem Poelzig-Bau, der Skylinie, agiert konzeptionell auf die Archi- bildet mit den Kunst- und Erzie- dem Campus und dem Grüneburg- tektur Poelzigs, aber in einer eige- hungswissenschaften den nördli- park zu. Kernstück ist eine großzü- nen, zeitgemäßen Interpretation: chen Stadt- und Universitätsein- gige Halle als Zentrum des neuen Große verglaste Öffnungen, die In- gang. Instituts. In seiner Architekturspra- nen und Außen miteinander ver- che orientiert sich das Gebäude zahnen, stehen im Wechsel mit ru- Die Ensemble-Idee: stark an den Bauten Poelzigs: Fas- higen geschlossenen Flächen. Im Dialog mit dem Poelzig-Bau sade und Baukörper sind klassisch Bedeutende Funktionen wie Foyer, Die bereits realisierten fünf Ge- gegliedert und von klarer Ord- Hörsäle oder Speisesaal zeichnen bäude des ersten Bauabschnittes nung. Die Studentenwohnheime sich durch besondere Öffnungen zeigen die Ensemble-Idee: Dem (Architekten Karl und Probst) sind nach außen ab und erzeugen ein städtebaulichen Konzept gemäß für das Leben auf dem Campus wechselvolles Spiel in den Fassa- stehen sie in einem räumlichen von ganz wesentlicher Bedeutung. den. Flächen, Volumen und Ein- Spannungsverhältnis zueinander In 400 Appartements wohnen in schnitte bilden eine Komposition. und in einem Dialog zu den Bau- insgesamt sieben Einzelhäusern, Sie wird unterstützt durch den ver- ten Poelzigs. Es entsteht eine Cam- die auf einem gemeinsamen Sockel wendeten toskanischen Travertin, pus-Universität mit urbanen Quali- angeordnet sind, die Studierenden der den äußeren Hüllfl ächen eine täten und Dimensionen. Die im Zentrum des Campus. lebendige, stark strukturierte Ober- Entwürfe der einzelnen Häuser fl äche verleiht und den nach innen tragen die individuellen Hand- Wie Skulpturen im Park – führenden tiefen Laibungen der schriften ihrer jeweiligen Architek- Hörsaalzentrum und Mensa Öffnungen eine scharfkantige Kon- ten, respektieren aber konsequent Bei Hörsaalzentrum und Mensa tur gibt. das städtebauliche Leitbild und die (Architekt Ferdinand Heide) wur- schon im städtebaulichen Entwurf de – wie schon im städtebaulichen Offenheit und Transparenz: formulierte Vorstellung von stei- Entwurf intendiert – auch im Rea- Hörsaalzentrum verkörpert nernen Gebäuden, die sich in ihrer lisierungswettbewerb das Konzept die Idee der Universität Materialität und Farbigkeit auf den von aufeinander abgestimmten, Galt bei der städtebaulichen goldgelben Travertin des Poelzig- aber eigenständigen Häusern wei- Planung besonderes Augenmerk Baus beziehen. terverfolgt. Es sind kraftvolle Bau- den Räumen zwischen den Häu- So bilden die Gebäude der körper, die in einem spannungsrei- sern, haben wir in der Realisie- Rechts- und Wirtschaftswissen- chen Verhältnis zueinander im rungsphase der einzelnen Gebäude schaften (Architekten Müller-Rei- Park platziert werden. Jedes Haus an der Verzahnung der Innenräu- Lichthell: Das Audimax mit mann) den Übergang zwischen ist wie eine Skulptur im Park – ein me mit dem Außenraum gearbei- 1200 Sitzplät- Campus und Grüneburgpark. Auf monolithischer Körper, aus dem tet. So haben das Foyer und alle zen – wie alle an- einem ausladenden, zweigeschossi- zur Akzentuierung Volumen her- Säle des Hörsaalzentrums Tageslicht deren 15 Hörsäle gen Sockelbaukörper sind zwei ausgeschnitten werden. Dadurch und eine Beziehung zum Park be- mit Tageslicht.

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ziehungsweise zum Platz. Der Bau- körper hat eine Ausrichtung nach allen Seiten bei gleichzeitiger Ak- zentuierung des zentralen Bandes. Die Hörsäle liegen sich paarweise gegenüber; dazwischen befi ndet sich ein über alle Geschosse offenes Foyer in Fortsetzung des Platzes. Mensaerweiterung und Hörsaal- zentrum sind eine Einheit und be- grenzen den Campus-Platz. Beide fungieren im zentralen Band als Bindeglied zwischen Alt und Neu sowie zwischen Nord und Süd. Das Hörsaalzentrum verkörpert als Gebäudetypus die Idee der Uni- versität. Es bildet das Zentrum der neuen Universität und ist der Ort, an dem zukünftig alle Studieren- den zusammenkommen und sich fachübergreifend austauschen. Gleichzeitig dienen die großen re- präsentativen Säle der Stadt als Veranstaltungsräume für Tagun- gen, Kongresse oder im Falle des Auditorium Maximum auch für Filmveranstaltungen oder Konzer- te. Zusätzliche Angebote wie ein öffentliches Restaurant und kleine Läden stärken die Urbanität. Die Neuplanung einer Universi- tät stellt eine außergewöhnliche Aufgabe dar. Der Campus Westend ist – schon in seiner heutigen Form – ein Glücksfall für Frankfurt. Mit der Universität entsteht hier ein Ort des Geistes. 2014 zum Wie Kunst am 100-jährigen Bestehen der Univer- Bau: Die Treppen- sität soll der neue Campus in seiner konstruktion im Gesamtheit fertiggestellt sein.  Hörsaalzentrum.

Der Autor Harmonische Ergänzung in Ferdinand Heide, 47, hat in Berlin und Materi alität und Darmstadt Architektur studiert und Farbigkeit: Der machte 1989 sein Diplom an der Hoch- goldgelbe Cann- schule der Künste Berlin. Seit 1991 ist stätter Travertin er als selbstständiger Architekt in Ber- des alten Casinos lin und Frankfurt tätig, in seinem Büro und der lebhafte arbeiten 15 Architekten. Heide gewann Toskana-Travertin 2001 den städtebaulichen Wettbewerb des Mensa-Anbaus. zur Erweiterung des Campus Westend, Beide Gebäude darüber hinaus konnte er sich 2004 mit stehen in einer seinen Entwürfen für die neue Mensa Flucht mit dem und das Hörsaalzentrum durchsetzen, Hörsaalzentrum. die dem Campus Westend wesentliche Akzente verleihen. Der Frankfurter Architekt wurde mit zahlreichen Archi- tekturpreisen für Realisierungen und Entwürfe ausgezeichnet. Einige seiner Projekte: Erweiterung der Universität Regensburg, Neubau der Mainbrücke Ost in Frankfurt, Ausstellungszentrum der Internationalen Bauausstellung Fürst-Pückler-Land in der Lausitz, Wie- landschule in Weimar.

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03 UNI S080_109 2009_03.indd 90 24.11.2009 15:25:03 Uhr Perspektiven Stadt im neoliberalen Zeitalter Wie globale Politikmodelle Einfl uss auf die lokale Gestaltung nehmen

Stadtpolitik greift immer häufi ger von Andrej auf »best practices« aus anderen Holm, Susanne Städten zurück und nutzt sie als Heeg und Blaupausen für ihre Entwicklungs- Robert Pütz konzepte. Doch was geschieht, wenn globalisierte Politikmodelle auf loka- le Gegebenheiten heruntergebrochen werden? Neue Fragestellungen für die Humangeografi e – die Frankfur- ter Wissenschaftler erforschen dies an konkreten Beispielen für die Main- metropole.

b es um die Förderung der OKreativwirtschaft geht, bei der die internationale Creative-City- Stadtentwicklung Debatte [siehe auch Seite 9] aufge- und Globalisie- griffen wird, oder um die Übertra- rung - mehr als gung amerikanischer Polizeikonzep- nur Bauprojekte te auf Frankfurter Kontexte; ob sich und Finanzplätze. städtische Verwaltungen weltweit am »new public management« ori- entieren oder Formen der Festivali- neuen Formen der Politik und des schiedener Handlungsorientierun- sierung migrantischer Kulturen Regierens zugrunde liegen. Ein gen getragen. Eingang in die Integrationspolitiken Schlüssel zum Verständnis der Neue Produktionsbeziehungen, fi nden: Lokale Politik ist heute »Neuordnungen des Städtischen« globale Wirtschaftskreisläufe, sozi- nicht mehr ohne globale Impulse ist die Beantwortung der Frage, ob alstrukturelle Umbrüche und Poli- und internationale Vorbilder denk- und wie eine lokale Adaption nach tikmuster haben die Städte verän- bar. Doch internationale Konzepte global verfügbaren Modellen, Leit- dert: Bereits seit geraumer Zeit werden nicht eins zu eins übertra- bildern und Strategien erfolgt. werden unter anderem eine neue gen, sondern im Prozess der lokalen Doch nicht nur die Prozesse der Urbanität in der Dienstleistungsge- Umsetzung modifi ziert, verändert Veränderung selbst, sondern auch sellschaft, eine Entwicklung von und ergänzt. Städtische Prozesse die spürbaren Effekte der neuen World City Networks, sozial ge- können daher weder aus sich her- Stadtpolitiken gilt es zu analysie- spaltene Städte und ein Übergang aus noch als reine Blaupause inter- ren. In öffentlichen und auch poli- des traditionellen Verwaltungs- nationaler Trends verstanden wer- tischen Debatten werden die ver- handelns zu Stadtpolitiken von den. Das Verhältnis von globalen änderten Politikmuster vielfach als Public Private Partnerships als As- Politikmodellen und lokalen Trans- Trends der Ökonomisierung, Libe- pekte dieser Prozesse diskutiert. formationsleistungen wird an der ralisierung und der Etablierung Seit Ende der 1990er Jahre wer- Goethe-Universität im Forschungs- neuer Wohlfahrtsregime beschrie- den diese Veränderungen vor al- verbund »Europäische Stadt- und ben und in dem Begriff »Neolibe- lem in der angloamerikanischen Regionalentwicklung« untersucht. ralismus« zusammengefasst. Auch Forschung unter dem Stichwort Beteiligt sind daran Forscherinnen in der internationalen Forschungs- »neoliberale Stadtentwicklung« und Forscher aus der Humangeo- literatur wird unter dem Schlag- zusammengefasst. Verstanden wird grafi e, Kulturanthro pologie, Polito- wort »neoliberale Stadtpolitik« die darunter vor allem ein Set von logie und Soziologie. zunehmende Ausrichtung der neuen Regeln, Regulationen, Pro- Städte und städtischer Politiken an grammen und Politiken, die darauf Neuordnung des Städtischen und ökonomischen Zielen und betriebs- ausgerichtet sind, die Städte in ers- Trends der Ökonomisierung wirtschaftlicher Effi zienz verstan- ter Linie an wirtschaftlichen Erfor- Zwar besteht Einigkeit darüber, den. Nicht alle Neuordnungs- dernissen auszurichten. Dabei geht dass sich die Städte, städtischen prozesse in Deutschland weisen es den Wissenschaftlern sowohl Rahmenbedingungen und Stadtpo- eindeutig Merkmale einer neo- darum, den Zustand neuer Ord- litiken verändert haben, jedoch liberalen Stadtentwicklung auf; nungen zu beschreiben als auch wurde bislang nur selten unter- Veränderungen der Stadtpolitik die Prozesse des Neuordnens zu sucht, welche Dynamiken den sind vielmehr von einem Mix ver- hinterfragen.

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Der Frankfurter Ansatz – Durchsetzung neoliberaler Politik- geografi sches Forschungsprojekt Forschen im Verbund muster nicht nur als Abbruch bis- beispielsweise die Einführung von In deutschsprachigen Debatten heriger Regulationsmodi, sondern »buisiness improvement districts« wurde der Begriff »neoliberale als Abfolge von Prozessen eines (BID) in Deutschland, wie Gebiete Stadtentwicklung« bisher nur zö- »roll back and roll out neolibera- bezeichnet werden, in denen gerlich aufgegriffen: Neben einigen lism« zu verstehen. Als »roll Grundeigentümer verpfl ichtet sind, Studien zu Einzelaspekten wie den back«-Phasen werden die grundle- eine Abgabe für eine private Orga- veränderten Sicherheitspolitiken, gende Infra gestellung und Ein- nisation zu leisten, die Programme neuen Wohlfahrtsarrangements schränkung vormaliger wohl- zur Attraktivitätssteigerung des und der verstärkten Einbeziehung fahrtsstaatlicher Instrumente der Gebiets durchführt. Durch die ge- nichtstaatlicher Akteure in die Stadtpolitik verstanden, als »roll setzlich legitimierte Übertragung Stadtentwicklung gibt es nur weni- out« hingegen die Entwicklung von Verantwortung für die Quar- ge Arbeiten, die versuchen, die und Durchsetzung neuer Regulati- tiersentwicklung von kommunalen Komplexität neoliberaler Politik- onsmodi bezeichnet. Neue städti- auf private Akteure können BID brüche aufzugreifen oder diese mit sche Politiken sind daher nicht als als paradigmatisch für neue Instru- empirischen Beobachtungen aus uniforme und lineare Prozesse zu mente der »unternehmerischen deutschen Städten zu verbinden. verstehen, sondern werden in ei- Stadt« angesehen werden. Das Im Rahmen des »Forschungs- nem Spannungsfeld lokaler und umstrittene Instrument wurde in schwerpunkts Europäische Stadt- überlokaler Bezüge ausgehandelt Kanada erfunden, in den USA weit und Regionalentwicklung (ESR)« und bringen widersprüchliche Er- verbreitet und breitete sich in den kooperieren Wissenschaftlerinnen gebnisse hervor. vergangenen zehn Jahren in vielen und Wissenschaftler verschiedener Orte / Räume / Städte werden Ländern der Welt aus. Auch die Disziplinen an der Goethe-Univer- deshalb als Ergebnis von gesell- Hessische Landesregierung hat im sität seit vielen Jahren fachüber- schaftlichen Machtstrategien, Dis- vergangenen Jahr die recht lichen greifend bei der Untersuchung ver- kursen und Auseinandersetzungen Möglichkeiten für solche Distrikts schiedener Phänomene der angesehen, die sowohl materiell als geschaffen. Die Wissenschaftler der Stadtentwicklung und versuchen, auch symbolisch vermittelt wer- Universität Frankfurt untersuchen diese Leerstellen in Lehre und For- den. Um sicherzustellen, dass Un- zurzeit, wie diese global verfügbare schung zu füllen. Gemeinsame tersuchungen nicht auf der seman- Blaupause im Rhein-Main-Gebiet Lehrveranstaltungen, drittmittel- tischen Ebene von Diskursen umgesetzt wird und wie lokale fi nanzierte Forschungsprojekte stehen bleiben, sondern auch prak- Modifi kationen in die globale Zir- und eine im kommenden Jahr ge- tische Auswirkungen ergründen, kulation von Ideen und Konzepten plante Tagung stehen für die Vita- erscheint eine Orientierung an drei zurückgespielt werden. Diese For- lität dieser Kooperation. zentralen Dimensionen der Raum- schungsarbeit verspricht einen auf- Neue Wege der Ein zentraler Fokus der gemein- produktion sinnvoll: Diskurse, schlussreichen Blick hinter die Ku- Polizeiarbeit. samen Diskussion ist es, die Strategien und Praktiken. lissen der Globalisierung. Als Diskurse werden dabei alle grundsätzlichen Debatten und New Yorker Polizeistrategien Aushandlungsprozesse verstanden, für Frankfurt? die einen Politikwechsel in einem In einem anderen Projekt ste- bestimmten Feld des Städtischen in hen die Adaptionen von New Yor- Form einer Durchsetzung neuer ker Polizeistrategien in Frankfurt hegemonialer Grundannahmen, im Mittelpunkt. Insbesondere die Legitimationsfi guren und Leitbilder Strukturreform der Frankfurter Po- begleiten. Strategien umfassen die lizei, aber auch die verschiedenen programmatische Gestaltung der Konzepte der polizeilichen All- technischen, administrativen und tagspraxis – wie etwa die verstärkte fi nanziellen Umsetzung der jewei- Präsenz auf der Straße – orientie- ligen städtischen Politik, insbeson- ren sich an den Erfahrungen der dere die Entwicklung von Plänen, US-amerikanischen Metropole. Das Programmen, Richtlinien und Inst- Projekt beschäftigt sich mit Fragen rumenten. Unter stadtpolitischen wie: Gibt es einen Import US-ame- Praktiken werden die Durchfüh- rikanischer Strategien städtischer rung, Umsetzung und Etablierung Polizeiarbeit nach Frankfurt am zuvor entwickelter Strategien in Main? Wie wird die Orientierung der Praxis verstanden. an diesen Vorbildern begründet? Welche konkreten Reformen Quartierentwicklung werden damit durchgesetzt, und und private Akteure in wiefern beeinfl ussen sie die Poli- Konkret analysiert werden Pro- zeipraxis? Über eine Dokumenten- zesse der Herstellung und Durch- analyse, Expertengespräche und setzung neuer stadtpolitischer Stra- die Begleitung von Polizeistreifen tegien vor dem Hintergrund von sollen nicht nur die Debatten, son- global-lokalen Aushandlungspro- dern vor allem die praktische Um- zessen. So untersucht ein human- setzung verdeutlicht werden. Ein

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Karneval der Kulturen: Immer mehr Events statt Integration?

Attraktionen wirken und das Image der Städte aufbessern. The- ma der Forschungsarbeit wird es auch sein, herauszufi nden, ob die- se neuen Formen der Integrations- politik tatsächlich eine Integration fördern. Wie diese Beispiele aus dem »Forschungsschwerpunkt Euro- päische Stadt- und Regionalent- wicklung (ESR)« zeigen, haben die vielfältigen global-lokalen Aushandlungsprozesse einen zunehmenden Einfl uss auf die

wesentlicher Aspekt der neuen Kulinarische Strategie ist es, mehr sichtbare und Kontakte. uniformierte Polizei auf die Straße zu bringen, um die subjektiven Sicherheitsgefühle zu stärken. Ob dadurch tatsächlich mehr Sicher- heit und verbesserte Aufklärungs- quoten erreicht werden können, ist eine der Fragen, die im Rahmen des Forschungsprojektes beantwor- tet werden sollen.

Was bringen Kulturfestivals für die Integrationspolitik? In einem stärker kulturwissen- schaftlichen Projekt beschäftigen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Kulturanthro- pologie mit der Festivalisierung mi- knappen Mittel inzwischen ver- aktuelle Stadtentwicklung. Ohne grantischer Kulturen. Es ist ein stärkt für sichtbare Integrations- das Wissen um die konkreten weltweiter Trend zu beobachten, events wie etwa den »Karneval der Wirkungsweisen und Dynamiken Alltagsleben der Migranten in den Kulturen« ein. Dies hat aus der von Globalisierungsprozessen Städten durch Kulturevents und Perspektive der Stadtpolitik auch werden die Herausforderungen der Volks- und Karnevalfeste zu reprä- den angestrebten Nebeneffekt, dass Städte in Zukunft nicht zu lösen sentieren. Die Forscher wollen solche Projekte als touristische sein.  klären, ob dies tatsächlich eine hilfreiche Strategie für eine Integ- Die Autoren rationspolitik sein kann und wie die globale Ausbreitung solcher Dr. Andrej Holm, 38, arbeitet seit 2008 im Rahmen des interdisziplinären For- Orientierungen erklärt werden schungsschwerpunktes »Europäische Stadt- und Regionalentwicklung« an der kann. Ethnisch- kulturelle Vielfalt Goethe-Universität. Als Koordinator unterstützt er den Aufbau des Forschungspro- ist in einer unternehmerisch aus- gramms »Neuordnungen des Städtischen im neoliberalen Zeitalter«. Er promo- gerichteten Stadtpolitik offensicht- vierte als Sozialwissenschaftler an der Berliner Humboldt-Universität zur »Re- strukturierung des Raumes« am Beispiel der Stadterneuerung. Seine lich eine geeignete Ressource, um Forschungsschwerpunkte sind der soziale Umstrukturierungsprozess eines Stadt- die Wettbewerbsfähigkeit zu stei- teils (Gentrifi kation), Wohnungspolitik im internationalen Vergleich und Europäi- gern. sche Stadtpolitik. Untersuchungen in Frankfurt und Berlin zeigen insbesondere, Prof. Dr. Robert Pütz, 43, lehrt und forscht seit 2004 als Professor für Humangeo- graphie in Frankfurt. Er beschäftigt sich besonders mit der sozial- und wirt- dass sich unter der Maßgabe von schaftsgeografi schen Metropolenforschung. Zuvor hat er als wissenschaftlicher sich verringernden Budgets die lo- Mitarbeiter an der Universität in Mainz promoviert und habilitiert, anschließend kalen Integrationspolitiken zuneh- war er Professor für Sozialgeografi e an der Universität Osnabrück. mend auf Projekte der kulturellen Inszenierung konzentrieren. Statt Prof. Dr. Susanne Heeg ist seit 2006 Professorin für Geographische Stadtforschung am Institut für Humangeographie [siehe Autoreninformation, Seite 35]. der traditionellen Ansätze von Be- ratung, Bildungsförderung und ar- [email protected] beitsmarktpolitischen Angeboten [email protected] setzen die Stadtverwaltungen die [email protected]

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03 UNI S000_000 2009_03.indd 93 24.11.2009 14:35:55 Uhr Perspektiven Innovationen »made in Frankfurt« Intelligente Vermarktung geistigen Eigentums der Goethe-Universität zum Wohle von Hochschule, Wirtschaft und Gesellschaft

Mit der von ihnen entwickelten Stamm- Das neue Therapeutikum be- zellen-Therapie haben der Kardiologe steht aus Stammzellen, die dem Prof. Andreas Zeiher und die Biologin Knochenmark des Patienten ent- Prof. Stefanie Dimmeler schon zahlrei- nommen werden. Diese werden chen Patienten nach einem Herzinfarkt geholfen. Mit den Erlösen aus dem nach einer besonderen Methode Start-up-Unternehmen t2cure wollen sie der Vorbehandlung, die von der weitere klinische Studien fi nanzieren. Goethe-Universität patentrechtlich geschützt wurde, mit einem Kathe- krankung. Das Herz hat zudem nur ter direkt in die Herzkranzgefäße eine begrenzte Fähigkeit zur Selbst- verabreicht. »Die noch notwendi- regeneration und kann somit die gen weiteren klinischen Studien an Konsequenzen des Infarktes nicht mindestens 1500 bis 3000 Patien- kompensieren. Es kommt zur Zer- ten verursachen hohe Kosten. Des- störung von Herzgewebe und mas- halb haben wir t2cure gegründet«, sivem Zellsterben, weil diese Region erläutert Stefanie Dimmeler. Das unter Sauerstoffmangel leidet. Start-up hat die Rechte zur Nut- von Manuela rankfurt – das ist mehr als Ban- Prof. Stefanie Dimmeler, Leiterin zung der Stammzellbehandlung Bremshey- Fken-Metropole oder Drehschei- des Instituts für kardiovaskuläre von der Goethe-Universität gekauft Wilhelm be des internationalen Flugver- Regeneration am Zentrum für Mo- und kann nun Investoren suchen, kehrs. An der Goethe-Universität, lekulare Medizin, und Prof. Zeiher mit deren Hilfe die nächsten Studi- dem Think Tank der Region for- haben sich dieses Problems ange- en fi nanziert werden können, die schen viele Wissenschaftler, die un- nommen. »Eigentlich wollte ich vor einer Zulassung als Therapeuti- bestritten auf ihrem Gebiet führend mich mit Zellalterung beschäfti- kum durch die Europäische Arz- sind. Einige Forschungsergebnisse gen«, berichtet die Biologin. Hier- neimittelagentur noch erforderlich haben zusätzlich ein hohes Anwen- bei experimentierte sie mit Stamm- sind. »Mit unserer Stammzellthe- dungspotenzial, sei es in der Medi- zellen aus dem Blut und stellte fest, rapie lassen sich auch andere ar- zin oder in den Naturwissenschaf- dass die Stammzellen von Patien- terielle Verschlusserkrankungen, ten. Viele der Erfi ndungen sind ten mit Herz-Kreislauf-Erkrankun- zum Beispiel solche in den Beinen, inzwischen über das universitäts - gen sich von denjenigen gesunder behandeln«, erläutert Prof. Zeiher. eigene Innovation-Dienstleistungs- Probanden unterscheiden: Sie sind Beide Wissenschaftler gehören seit unternehmen Innovectis zum Pa- gealtert. Behandelte sie diese Zellen Jahren international zu den Spit- tent angemeldet worden und jedoch vor, beobachtete sie im Tier- zenforschern auf dem Gebiet der werden erfolgreich lizenziert. Eini- experiment eine Besserung von Kardiologie, was nicht zuletzt ge Erfi ndungen haben zu Unter- Durchblutungsstörungen bei Mäu- durch die Verleihung zahlreicher nehmensgründungen, sogenannten sen. renommierter Preise, unter ihnen Spin-offs oder Start-ups, geführt, Zusammen mit dem Mediziner der Leibniz-Preis der Deutschen was den direkten Wissenstransfer Andreas Zeiher testete sie dann die Forschungsgemeinschaft und der aus der Hochschule in die Wirt- Wirkung am Menschen in einer Ernst-Jung-Preis für Medizin, ho- schaft und die Gesellschaft noch- klinischen Studie mit 200 Patien- noriert wurde. mals fördert. ten an 17 Herzkliniken in Deutsch- land und der Schweiz. Das For- Ökologische Revolution: Firmengründung t2cure: scherteam konnte nachweisen, Sprit aus Abfällen Frischzellenkur für das Herz dass die Funktion und Durchblu- »›Grün‹ im politischen Sinne »Am meisten leidet man als Me- tung des betroffenen Gewebes ver- bin ich nicht – es hat mich nur im- diziner, wenn man nichts für einen bessert werden, nachdem die Pati- mer schon gestört, dass es hun- Patienten tun kann, weil kein ge- enten vorbehandelte Stammzellen gernde Menschen auf der Welt gibt eignetes Medikament oder keine erhalten haben. Es setzt ein kör- und gleichzeitig andere Nationen geeignete Therapie vorhanden ist!«, pereigener Regenerationsprozess wertvolle Nahrungsmittel in Sprit seufzt Kardiologe Prof. Andreas ein, wodurch die Leistung des be- umwandeln«, erläutert Prof. Eck- M. Zeiher, Direktor der Medizini- reits insuffi zienten Herzens nicht hard Boles vom Institut für Mole- schen Klinik III. So geht es den Me- mehr weiter abnimmt. »Das ist kulare Biowissenschaften seine dizinern zurzeit auch bei Herzin- schon etwas Besonderes – endlich Motivation. Bio-Sprit, also Etha- farktpatienten, für die im akuten schaffen wir es, diesen Patienten nol, wird üblicherweise durch Fer- Fall zwar die Reperfusion und das wirklich zu helfen. Und zwar mentation von hochwertiger Glu- Stenting der betroffenen Herzkranz- durch das Auslösen einer echten cose aus Pfl anzen mittels Hefen gefäße sowie Anti-Thrombose-Mit- Funktionsverbesserung im Bereich hergestellt. Die dort ebenfalls vor- tel zur Verfügung stehen, aber der infarzierten Regionen im Her- handenen minderwertigeren Zu- nichts gegen die Spätfolgen der Er- zen«, betont Zeiher. cker Xylose und Arabinose kann

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die Hefe nicht verwerten. »Es gab re Patente angemeldet. Boles hat sogar ein zentrales wissenschaft- darüber hinaus zusammen mit Dr. Innovectis GmbH liches Paper, in dem klar festgestellt Gunter Festel aus der Schweiz die wurde, dass die Fermentation von »Butalco GmbH« gegründet. Diese ie Innovectis, das Tochter unternehmen der Goe- Arabinose prinzipiell unmöglich entwickelt Verfahren zur Um- Dthe-Universität für Innovations-Dienstleistun- sei«, sagt Boles. Und dennoch wag- wandlung von Pfl anzenabfällen zu gen, bildet eine wichtige Schnittstelle zwischen Uni- te er vor sieben Jahren das eigent- dem neuartigen Bio-Sprit Butanol. versität und Unternehmen, wobei insbesondere lich Unmögliche –, und zwar mit »Butanol hat nämlich gegenüber kleine und mittelständische Unternehmen die Kom- »evolutionary engineering«, also Ethanol gleich mehrere Vorteile«, petenz von Innovectis als Vertrags- und Verhand- mit gezielter Evolution. erläutert Boles, »Butanol bindet lungspartner schätzen. Eckhard Boles gab Hefen, die er weniger Wasser, ist damit weniger Die Goethe-Universität hat Innovectis mit dem mit allen Enzymen zum Vergären korrosiv und kann deshalb über Management und der Vermarktung von Patenten von Arabinose ausstattete, in ein vorhandene Pipelines transportiert und Know-how beauftragt. Innovectis berät und Nährmedium, dessen einzige Koh- werden. In Otto-Motoren kann es begleitet Erfi nderinnen und Erfi nder aus der Uni- lenhydrat-Quelle aus Arabinose dem Kraftstoff bis zu 100 Prozent versität und dem Universitätsklinikum von der Er- bestand. Über Monate wuchsen die beigemischt werden, ohne dass der fi ndungsbewertung bis zum Patent. Hierbei ent- Hefen aufgrund der unverdauli- Motor umgerüstet werden müsste. scheidet ein Expertengremium aus Vertretern der chen Nahrung nur sehr langsam. Und last but not least hat Butanol Universität und der Wirtschaft darüber, welche Er- Plötzlich allerdings begannen sie gegenüber Ethanol eine höhere fi ndung zum Patent angemeldet wird. sich im Kolben zu vermehren; Energiedichte.« Butalco wird nun Innovectis vermarktet erfolgreich technologi- durch Mutationen waren Hefen die Nutzungsrechte an den gene- sches Wissen aus der Universität. Mittelständische entstanden, die Arabinose besser tisch modifi zierten Hefen von der Unternehmen aus dem In- und Ausland suchen verarbeiten konnten. Diese wuch- Universität erwerben und sucht In- häufi g den Zugang zur Universität über die Inno- sen stärker als die übrigen Hefen vestoren, um das Herstellungsver- vectis. Von Vorteil für die Unternehmen sind eine und vermehrten sich schneller. fahren von Butanol weiter zu ver- individuelle Beratung und Vertragsgestaltung bei Weitere Mutationen führten zu bessern und in einer Pilotanlage Forschungskooperationen und Auftragsanalysen. einer noch besseren Nutzung der testen zu können. Ein erster Inves- Arabinose; eine evolutionäre Se- tor ist in der Volkswind GmbH be- Ansprechpartner sind Dr. Otmar Schöller und sein Team. www.innovectis.de lektion setzte ein. Durch eine Ge- reits gefunden worden. Bis der ers- nom-Analyse dieser mutierten te Biosprit aus Abfällen auf den Hefen fanden Boles und sein Team Markt kommt, werden nach Ein- die mutierten Gensequenzen, die schätzung von Boles aber noch schiedenen Herstellern für Peptid- zum Erfolg geführt haben. Auf etwa zwei bis drei Jahre vergehen. und Proteinanalytik in der Proteo- ähnliche Weise wurden die Hefen mik angeboten. an die Verwertung von Xylose an- Rasche Umsetzung in Innovation: Warum ist es so wichtig, die Ge- gepasst. Danach erfolgte »nur« MALDI-Massenspektrometrie samtheit der Proteine einer Spezies, noch der gezielte Nachbau des Ge- Die MALDI-Massenspektrome- das Proteom, zu analysieren? »Eine noms – fertig waren die Hefen, die trie steht für die zerstörungsfreie Kaulquappe und ein daraus hervor- nun auch den in Pfl anzenabfällen Untersuchung von Proteinen und gehender Frosch haben zwar genau vorhandenen minderwertigen Zu- zugleich auch für eine besonders das gleiche Genom, un terscheiden cker verwerten und zu Biosprit schnelle Umsetzung von Grundla- sich aber dennoch äußerlich auf- umwandeln können. Was übrig genforschung in innovative Tech- grund eines unterschiedlichen Pro- bleibt, wird verbrannt und liefert nologie. Prof. Michael Karas vom teoms erheblich voneinander«, sagt so einen Beitrag zur Energie, die Institut für Pharmazeutische Che- Michael Karas. Zur Erforschung für die einzelnen Verfahrensschrit- mie war maßgeblich an der Ent- und Behandlung vieler Krankhei- te benötigt wird. wicklung dieser Methode beteiligt. ten spielt die jeweils aktuell vorlie- Für das Verfahren hat die Uni- MALDI-Massenspektrometer wer- gende Gesamtheit der Proteine ei- versität über die Innovectis mehre- den bereits seit Jahren von ver- ner Zelle die zentrale Rolle. Deshalb wird MALDI von Biochemikern, Mit »evolutionary Medizinern, Biologen und Pharma- engineering« ist zeuten weltweit verwendet. es dem Molekular- Was ist das Außergewöhnliche biologen Prof. Eck- an MALDI? Normalerweise wer- hard Boles gelun- den im Massenspektrometer Mole- gen, Bierhefe zu küle elektrisch geladen, »ionisiert«, züchten, die min- derwertige Zucker, und dann in einem Massenanaly- Xylose und Arabi- sator nach ihrer Masse sortiert. Bei nose, zu Biosprit vergären kann. Die Autorin Die von ihm mit- begründete Firma Manuela Bremshey-Wilhelm, 50, ist Diplom-Biologin mit Butalco will das Erstem Staatsexamen in Chemie. Sie arbeitete zehn Jahre Verfahren nun im lang in der Unternehmenskommunikation der Chemisch- großen Maßstab in Pharmazeutischen Industrie und ist seit 1997 freie Wissen- einer Pilotanlage schaftsjournalistin in Neuss bei Düsseldorf. testen.

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dass es bei der plötzlichen Ablö- allem die schmerz auslösende Wir- sung des Molekülgemischs von der kung von Tetrahydrobiopterin (BH4) Metallplatte beim Übergang in die untersucht, da diese Substanz die Gasphase nicht auseinanderbricht. Steigerung der Stickstoffmonoxid- Daher resultiert auch der Name: synthese sowie den Calcium-Ein- »MALDI«; er bedeutet Matrix- strom in die Nervenzellen bewirkt. unterstützte Laser Desorption / Ioni- »Interessant war für uns, dass es sations-Massenspektrometrie. bestimmte Menschen gibt, die auf- Typische in der MALDI-Massen- grund von genetischer Variabilität spektrometrie verwendete Matrix- weniger Schmerzen haben oder Verbindungen sind Zimtsäure und besser auf operative Behandlung deren Derivate. Prof. Karas und bei neuropathischen Schmerzen seinem Mitarbeiter Torsten Jaskolla ansprechen oder auf Entzündungs- ist es kürzlich gelungen, neue Mat- schmerzen weniger reagieren«, rixsubstanzen herzustellen, welche sagt Irmgard Tegeder. Diese Gen- Seit 1985 dreht sich die Forschungsarbeit von Dr. Ute Bahr und eine mindestens 10-fach sensitive- Variabilität tritt bei circa einem Prof. Michael Karas um die MALDI-Massenspektrometrie, die re MALDI-MS-Analyse von Protei- Viertel der Bevölkerung auf und Karas damals mit Prof. Hans Hillenkamp entwickelt hat. Das nen er lauben. Eine entsprechende führt dazu, dass der Signalweg zur Verfahren wird inzwischen weltweit zur Massenbestimmung Patentanmeldung der Goethe-Uni- Synthese von BH4 weniger stark bei großen Proteinen genutzt. Die Firma Biospring, ein Spin- off der Universität, lässt in Prof. Karas’ Labors Auftragsanaly- versität wurde bereits vom Patent- aktiviert wird als bei anderen Per- sen durchführen, die wiederum die Forschung vorantreiben. amt erteilt und soll nun mithilfe sonen. Das ist eine Art genetischer von Innovectis vermarktet werden. Schutz. Prof. Tegeder hat aus ih- Proteinen funktioniert das nicht, Im Jahr 1997 hat sich die Firma rem Wissen zusammen mit Prof. weil sie beim Ionisieren und Über- Biospring als Spin-off der Universi- Jörn Lötsch einen diagnostischen führen in die Gasphase auseinan- tät gegründet. Biospring lässt in Schnelltest für diese Genvariante derbrechen. 1985 hat Michael Ka- Prof. Karas’ Labors Auftragsanaly- entwickelt, der patentrechtlich ras zusammen mit Prof. Franz sen durchführen. Dabei handelt es durch die Goethe-Universität ge- Hillenkamp, damals am Institut für sich zwar zunächst um Routine- schützt wurde. Dieser Test könnte Biophysik der Goethe-Universität, Analytik für die Qualitätskontrolle in Zukunft Ärzten dabei helfen, mit MALDI eine besonders raffi - der von Biospring verkauften syn- Patienten mit einem hohen nierte Technik gefunden, Proteine thetischen Oligonukleotide. Bei Schmerzrisiko frühzeitig zu identi- zerstörungsfrei in die Gasphase zu diesen Auftragsanalysen ergeben fi zieren und diesen schneller eine überführen. Man mischt hierbei ei- sich aber oft genug Fragestellun- intensivere Behandlung zukom- ner Lösung des zu untersuchenden gen, die Karas und sein Team wie- men zu lassen. Außerdem ist der Proteins ein kleines Molekül im der mit in die Grundlagenfor- Test hilfreich vor Operationen, die Überschuss zu. Ein kleines Volu- schung hineinnehmen und die mit einer potenziellen Nervenschä- men dieser Lösung wird auf einer ebenfalls zu zwei Patentanmeldun- digung einhergehen können oder Metallplatte aufgetragen, getrock- gen durch Innovectis geführt ha- auch vor der Behandlung mit net und anschließend im Vakuum ben. MALDI ist ein gutes Beispiel neurotoxischen Medikamenten. des Massenspektrometers mit La- dafür, dass aus Grundlagenfor- Derzeit verhandelt Innovectis serlicht im UV-Bereich bestrahlt. schung schnell Innovationen ent- die Auslizensierung dieser Techno- Das im Überschuss vorhandene stehen können, aus denen heraus logie an ein britisches Pharmaun- kleine Molekül absorbiert das La- sich dann wiederum neue Ansatz- ternehmen. serlicht und bildet so eine schüt- punkte für die Grundlagenfor- zende Matrix um das Protein, so schung ergeben. Ein Tropfen reicht: Infrarotspektroskopie für Indus- Screening-Test: Gen-Variante trie, Forschung und Medizin schützt vor Schmerzen Das Forschungsgebiet von Schmerzen gehören zum Alltag Prof. Werner Mäntele ist die Bio- des Menschen. Sie entstehen durch analytische Infrarotspektroskopie, traumatische, entzündliche oder mit deren Hilfe er bereits mehrere stoffwechselbedingte Schädigungen Methoden zur schnellen und pa- peripherer und zentraler Nerven. rallelen Bestimmung verschiedener Und oftmals sind sie schwer zu be- Inhaltsstoffe von Flüssigkeiten ent- handeln. Prof. Irmgard Tegeder vom wickelt hat. So hat er in einem von Institut für Klinische Pharmakolo- Innovectis gemanagten Kooperati- gie des Universitätsklinikums hat onsprojekt zusammen mit einem sich mit den Reaktionsbahnen bei Partner aus der Getränkeindustrie der Schmerzentstehung beschäftigt. den Liquilyzer® entwickelt. Dabei Eine Vielzahl von Faktoren hat beim handelt es sich um ein Gerät zur Menschen Einfl uss auf die Entste- gleichzeitigen Bestimmung aller Wie schmerzempfi ndlich ein Mensch ist, kann man an seinen Genen ablesen. Prof. Irmgard Tegeder hat zusammen mit hung von Schmerzen. Allerdings wichtigen Qualitätsparameter wie Prof. Jörn Lötsch einen diagnostischen Schnelltest entwickelt, gibt es einen Signalweg, der offen- zum Beispiel Zucker, Alkohol, der Ärzten künftig helfen könnte, Patienten mit einem hohen sichtlich von besonderer Bedeutung Kohlendioxid oder Proteine in al- Schmerzrisiko frühzeitig zu erkennen. ist. Tegeder und ihr Team haben vor koholhaltigen oder -freien Geträn-

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Ob Wein, Bier, Pipeline-Ummantelungen. Beim Blut oder Urin – Scannen wird zurzeit ein einzelner mit seiner Erfi n- voll elektronischer, tiefenaufl ösen- dung, der bioana- der Messkopf verwendet, um die lytischen Probe abzurastern. Das Erzeugen Infrarotspektros- kopie, kann der eines dreidimensionalen Bildes ei- Biophysiker ner etwa 0,5 Quadratmeter großen Prof. Werner Män- Probe dauert so nur etwa zehn Mi- tele in Sekunden- nuten. Das ist zwar Weltrekord, schnelle den Ge- aber für Anwendungen in industri- halt an Zucker, ellen Produktionsstraßen und in Alkohol, Kohlendi- der Sicherheitstechnik noch immer oxid oder Protei- nen bestimmen. zu langsam. Daher arbeitet Syn- View an einem 3D-Echtzeit-System auf Basis der Kopplung mehrerer einzelner Messköpfe. Die Messzeit ken – und das während der Pro- und sein Team arbeiten zurzeit an und die Kosten lassen sich aber duktion oder Abfüllung und ohne einer Infrarotbioanalytik für die Pa- durch den Einsatz der jetzt von jede Probenaufbereitung. Mit der tientenüberwachung in der Blut- Hartmut Roskos entwickelten Mul- ATR-Methode von Werner Mänte- wäsche und an einer in-Line-Kont- tipixelkamera stark verringern. Sie le (Abgeschwächte Total Refl exion) rolle in Biogasanlagen. profi tiert von der Technologie von können alle infrage kommenden Parameter auch noch in kleinsten Mit der Kamera durch dick und Konzentrationen mit hoher Ge- dünn im Dienste der Sicherheit nauigkeit ermittelt werden. Da die Ob Sicherheitskontrollen am Substanzen mehrere Absorptions- Flughafen, berührungsfreie Materi- banden in verschiedenen Spektral- alprüfung oder Medizintechnik – bereichen aufweisen, können auch Prof. Hartmut Roskos vom Physi- komplexe Substanzgemische er- kalischen Institut setzt hierzu fasst und die Einzelkomponenten Terahertz-Strahlung ein. Diese ist mithilfe einer Auswertematrix hoch ungefährlich und kann durch viele genau quantitativ bestimmt werden. elektrisch nicht leitende Substanzen Diese Art der reagenzfreien und hindurchgehen. Das heißt, man gleichzeitigen Messung verschiede- kann etwa durch Kleidung, Verpa- ner Inhaltsstoffe in wässrigen Lö- ckung oder Schutzummantelungen sungen wird auch auf die Untersu- hindurchsehen und dabei verborge- chung von Blut, Urin oder anderen ne Objekte detektieren und analy- Körperfl üssigkeiten angewandt. Die sieren. Besonders nützlich ist dies Methode ist schnell, präzise, benö- für die Personen- und Gepäckkont- tigt nur kleine Flüssigkeitsmengen rollen an Flughäfen, aber auch bei und ermöglicht einen hohen Pro- der Schadensanalyse von Propellern Computerchips und Videokameras, Mit Terahertz- bendurchsatz. Da das Infrarot- an Windkraftanlagen und mögli- nutzt aber bisher nicht verwendete Strahlung, einer Mess-System kompakt ist, sind cherweise für die Hautkrebsdiagno- physikalische Effekte von Halblei- langwelligen Ver- Messungen in Line, das heißt im se. Der Clou: Bei der Messung nutzt ter-Bauelementen, um diese für wandten der Rönt- genstrahlung, laufenden Prozess, beziehungswei- Roskos Unterschiede im Brechungs- Terahertz-Strahlung empfi ndlich kann der Physiker se am Krankenbett möglich. »Das index der verschiedenen Materiali- zu machen. Diese »Teracam« soll Prof. Hartmut Ros- Herzstück ist unsere Infrarot-Mess- en. Streuung und Beugung kom- nun zu einem Produkt weiterent- kos Kleidung, Ver- zelle. Der IR-Mess-Strahl durch- men hinzu. Im Labormaßstab wickelt werden. packung oder läuft einen Lichtleiterkristall und konnten zum Beispiel Material- Was ist als nächstes geplant? Schutzummante- wird an dessen Grenzfl ächen mehr- und Personen-Kontroll-Scanner be- »Mein Traum ist es, durch die wei- lungen durch- fach refl ektiert. Aus dem Kristall reits mit Erfolg gebaut und in Be- tere Optimierung der Terahertz- leuchten. Die Fir- ma SynView, ein dringen sogenannte evaneszente trieb genommen werden. Methodik ›Augen‹ für Roboter zu Spin-off der Uni- Wellen in die zu untersuchende Beim Transfer dieser Methode entwickeln. So könnten diese drei- versität, will die Flüssigkeit ein und werden je nach in die freie Wirtschaft allerdings dimensional ›sehen‹ und damit bes- »Teracam« nun so Inhaltsstoff abgeschwächt«, erläu- waren bisher die hohen Produkti- ser navigieren, aber dabei gleichzei- weiterentwickeln, tert Prof. Mäntele. Im Anschluss onskosten der Anlage ein Hemm- tig aus sicherer Entfernung den dass sie für Si- daran befi ndet sich der Detektor nis. Deshalb wurde ein Spin-off Inhalt von Paketen erkennen, was cherheitskontrol- mit der Auswerteeinheit. »Darin aus der Universität gegründet: die gut für den Logistik- und Lagersek- len am Flughafen, berührungsfreie enthalten ist der ›Schatz‹ unserer Firma SynView GmbH, Glashütten. tor wäre, was aber auch beim Auf- Materialprüfung Erfi ndung«, verrät Mäntele: »die Sie bietet Messgeräte an, mit de- fi nden von eventuellen Spreng- oder in der Medi- Datenbank mit den Kalibrierungs- nen Materialprüfungen via Tera- stofffallen in Postpaketen helfen zintechnik einge- daten, deren Erhebung und mathe- hertzstrahlung möglich sind – wie würde«, sagt Prof. Roskos. Und er setzt werden matische Aufbereitung nicht gerade zum Beispiel die Überprüfung von fügt hinzu: »Ich hoffe, dass ich das kann. trivial war«. Das nächste Projekt ist Verklebungen von Kunststoffteilen bis zu meiner Emeritierung ge- bereits in Arbeit: Der Biophysiker oder die Messung der Dichte von schafft haben werde.« 

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03 UNI S000_000 2009_03.indd 97 24.11.2009 14:36:03 Uhr Stifter und Sponsoren Mobilität verstehen und verändern

Stiftungsprofessor Martin Lanzendorf sucht nachhaltige Konzepte

Mobilitätsprofessor Martin Lanzendorf chen Mobilitätsforscher sozial- ist in Frankfurt gern mit dem Fahrrad wissenschaftliche Aspekte von unterwegs. Mobilität und Verkehr. Gefragt sind Psychologen, Ethnologen, Politik- stellt jeder Mensch an, wenn er ein wissenschaftler und Geografen wie Fortbewegungsmittel wählt – und Martin Lanzendorf. Diesen Ansatz die Entscheidungen fallen ganz un- bezeichnete Lanzendorf in seiner terschiedlich aus. »Das ist für mich Antrittsvorlesung als einen Para- das Faszinierende an der Mobili- digmenwechsel in der Forschung, tätsforschung«, erklärt Martin Lan- der allerdings noch längst nicht al- zendorf: »zu verstehen, welche lerorten vollzogen ist. Er sähe es Gründe und Umstände zur Nut- gern, wenn das Verkehrsministeri- zung eines bestimmten Verkehrs- um in ein »Mobilitätsministerium« mittels führen.« Das zu erforschen, mit den entsprechenden Aufgaben ist die Aufgabe der Stiftungsprofes- umgewandelt würde, »aber es wird sur für Mobilitätsforschung, die der wohl noch einige Zeit dauern, bis Rhein-Main-Verkehrsverbund die historisch gewachsenen Res- (RMV) und das ivm (Integriertes sorts ›Wasserwege‹, ›Straßen‹ und Verkehrs- und Mobilitätsmanage- ›Schienen‹ aufgebrochen bezie- artin Lanzendorf fährt gern ment Region Frankfurt Rhein- hungsweise unter dem Leitgedan- von Anne Hardy Mmit dem Fahrrad. Dass er Main) im vergangenen Jahr an der ken der Mobilität neu ausgerichtet dieses Verkehrsmittel für seine Mo- Goethe-Universität eingerichtet werden«, prognostiziert er. bilität in Frankfurt wählt, hat viele haben. Gründe: Das Fahrrad schont Res- Der Unterschied zwischen »Mo- Vom Mathematiker sourcen und verursacht keine Ab- bilitätsforschung« und »Verkehrs- zum Mobilitätsforscher gase. Es erspart ihm Wartezeiten forschung« ist Martin Lanzendorf Seine geistige Heimat hat der im Stau und die oft langwierige wichtig. Verkehr ist in erster Linie Mobilitätsforscher im Wuppertal- Suche nach einem Parkplatz. Dar- eine Wissenschaft der Transport- Institut für Klima, Umwelt und über hinaus ist er unabhängig von mittel und Infrastrukturen und da- Energie, wo sein Interesse an Um- In einigen deut- schen Städten, wie den Fahrplänen öffentlicher Ver- mit eine Angelegenheit von Inge- weltthemen geweckt wurde. Er hier in Köln-Nip- kehrsmittel und kann die kürzeste nieuren, Städteplanern und hatte zunächst Mathematik in pes, gibt es bereits Strecke zwischen zwei Punkten Logistikern. Sie organisieren die Bonn studiert und kurz vor dem Stadtteile, deren fahren. Und nicht zuletzt macht es Beförderung von Personen, Gütern Diplom noch das Fach Geografi e Bewohner sich für ihm Spaß, in die Pedale zu treten und Nachrichten, indem sie Schif- hinzugenommen. Bereits als Stu- autofreies Wohnen und sich den Fahrtwind um die fe, Bahnen, Autos und Flugzeuge dent war er in der Fachschaft aktiv entschieden ha- Nase wehen zu lassen. entwickeln, Wasserwege, Straßen und politisch interessiert: Die En- ben. Weitere Mo- dellsiedlungen fi n- Ähnliche Erwägungen in Bezug und Schienen anlegen sowie geeig- quete-Kommissionen des Bundes- den sich in auf Umweltfreundlichkeit, Nach- nete Routen planen. »Die Aufgabe tages zu Umweltthemen in den Freiburg und Ber- haltigkeit, Effi zienz, Bequemlich- der klassischen Verkehrsforschung 1990er Jahren verfolgte er auf- lin. keit und persönliche Neigungen ist es, genügend Kapazitäten für merksam. Am Wuppertal-Institut, die Verkehrsnachfrage bereitzustel- wo er an verschiedenen Projekten len,« sagt Lanzendorf, »dazu ge- der Verkehrsforschung mitarbeite- hört es ebenso, den reibungslosen te, ging sein politisches Engage- Verkehr in Großstädten zu ge- ment dann ganz in der Forschung währleisten wie abgelegene Orte zu Umweltthemen auf. Er gab sei- an das Verkehrsnetz anzubinden.« nen Plan, Lehrer zu werden, auf Viele Maßnahmen orientierten und begann eine Dissertation zum sich dabei am Verkehrsmittel Auto; Thema Freizeitmobilität. Die Arbeit etwa der Ausbau des Straßennet- mit dem Untertitel »Unterwegs in zes oder die »autogerechte« Pla- Sachen sozial-ökologischer Mobili- nung von Städten und Regionen. tätsforschung« schloss er 2000 mit Mobilitätsforschung geht darü- summa cum laude ab. Zu diesem ber hinaus: Sie sucht Antworten Zeitpunkt hatte der im Hunsrück auf drängende gesellschaftliche He- Aufgewachsene sein Auto schon rausforderungen, die sich durch längst wieder abgeschafft: »Als ich das gesteigerte Mobilitätsbedürfnis 18 wurde, machte ich – wie fast je- einer wachsenden Weltbevölke- der, der in einer ländlichen Gegend rung ergeben. Deshalb untersu- aufwächst – einen Führerschein.

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Aber während meines Studiums in tätsbiografi en analysiert. »Diese schäftsreisen ließen sich durch eine Bonn wohnte ich in einem dicht helfen uns zu verstehen, welche Videokonferenz oder die Übertra- besiedelten Stadtteil und da emp- Ereignisse im Leben eines Men- gung von Vorträgen ersetzen«, gibt fand ich das Auto als überfl üssig.« schen seine Mobilitätsgewohnhei- Lanzendorf zu bedenken. Ähnlich Im Anschluss an die Promotion ten verändern,« sagt er, »das sind kritisch könnte man fragen, ob Ur- ging Lanzendorf an das Urban typischerweise der 18. Geburtstag, laub und Erholung notwendiger- Research Centre der Universität der Berufseinstieg, der Umzug in weise mit einer Fernreise verbun- Utrecht. 2003 folgte eine gemein- eine andere Stadt, die Geburt eines den sein müssen. same Berufung der Universität Kindes oder der Eintritt ins Ren- Leipzig und des Helmholtz-Zen- tenalter.« Die »Radlust« fördern trums für Umweltforschung auf die Will man Mobilitätsgewohnhei- Für Verkehrsverbünde wie den Juniorprofessur »Nachhaltige Mo- ten ändern, insbesondere weg vom RMW geben Methodenstudien, bilität in urbanen Landschaften«. Auto und hin zum öffentlichen wie der Stiftungsprofessor sie be- So stellten sich Nach Frankfurt zog es den Mobili- Nahverkehr oder zum Fahrrad, ist treibt, Anhaltspunkte, wie sie ihre Frankfurter Bürger tätsforscher vor allem deshalb, weil es wichtig, die Bedürfnisse der Ak- Angebote den Wünschen ihrer bereits vor zehn die Vernetzung von Forschungs- teure in diesen Umbruchsituatio- Kunden besser anpassen können Jahren lebenswer- und Praxispartnern hier besonders nen zu kennen: »Im Gegensatz zu und wie sie neue Kunden gewin- tes Wohnen vor: gut ist. »Es herrscht eine große In- der verbreiteten Annahme, dass nen können. Auch Städteplaner Weniger Verkehr, novationsbereitschaft, nicht zuletzt Kinder in einem Haushalt unmit- profi tieren von diesen Erkenntnis- weniger Lärm und Abgase. Dafür aufgrund des großen Handlungs- telbar zu einer stärkeren Ausrich- sen, beispielsweise wenn es darum mehr Grün und drucks«, schildert er seinen Ein- tung auf das Auto führen, haben geht, den Fahrradverkehr zu för- Freizeitmöglich- druck. Denn Logistik und Mobilität wir durch Befragungen herausge- dern. »Auch da geht es nicht nur keiten direkt vor sind wichtige Standort- und Wirt- funden, dass einige Mütter sogar um den Ausbau von Fahrradwe- der Haustür. schaftsfaktoren der Rhein-Main- seltener Auto fuhren oder sowohl Region und Hessens. Die Stadt vor als auch nach der Geburt ihres Frankfurt ist vergleichbar mit der Kindes nur gelegentlich einen Spinne in einem Netz aus Auto- PKW benutzten«, fasst Lanzendorf bahnkreuzen, Schienensystemen, das Ergebnis einer kürzlich abge- dem größten europäischen Flugha- schlossenen Studie zusammen. Er fen und einem Binnenhafen. Um ist selbst Vater zweier Kinder und diesen Wettbewerbsvorteil zu si- hat während seiner Familienphase chern, werden derzeit zahlreiche noch kein Auto besessen. Nur Anstrengungen unternommen, die wenn er die Ferien mit seiner Fa- Aktivitäten unterschiedlicher Ak- milie auf dem Campingplatz ver- teure zu koordinieren. bringt, braucht er einen Wagen. Die Stiftungsprofessur Mobili- Der wird geliehen. tätsforschung ist ein wichtiger Bau- Der Ansatz, Mobilitätsgewohn- stein des Kompetenz Centrums Mo- heiten durch die Erforschung von bilität (kcm), und dies ist wiederum Nutzergewohnheiten und Bedürf- ein Teil des entstehenden »House of nissen zu verändern, unterscheidet Logistics and Mobility« (HOLM), sich grundlegend von dem, dies gen,« sagt Lanzendorf, »sondern das universitäres Wissen mit der durch erhöhte Kosten, wie etwa um die emotionale Besetzung des Praxis vernetzen will. Beteiligt sind eine Anhebung der Benzinsteuer, Fahrradfahrens.« Es sei wichtig, an der Gründungsinitiative des erreichen zu wollen. Gleichwohl die Attraktivität des Fahrradfah- HOLM neben der Goethe-Universi- fi ndet Lanzendorf, dass viele For- rens durch Image-Kampagnen zu tät die Technische Universität men der Mobilität noch zu billig fördern, wie die seines Trierer Kol- Darmstadt, die European Business sind, weil der Nutzer nicht für die legen Heiner Monheim. Mit Stu- School und die Fachhochschule entstehenden Umweltschäden zah- dierenden entwarf er Plakate zum Frankfurt sowie auf der Anwender- len muss. Dies wäre auch aus Thema »Radlust«. Diese Initiative seite beispielsweise der RMW, das Gründen der Gerechtigkeit zu for- sollte ein Gegengewicht zu der om- ivm, die Fraport AG und TraffIQ. dern, denn einer These zufolge nipräsenten und emotional beset- sind etwa 10 Prozent der Bürger in zen Werbung für Autos sein. Mobilitätsgewohnheiten westlichen Gesellschaften für Eine weitere Möglichkeit, das verändern – aber wie? 50 Prozent der verkehrsbezogenen Fahrrad als Verkehrsmittel zu för-

Lanzendorf kommt durch diese CO2-Emissionen verantwortlich – dern, sieht der Mobilitätsforscher Kooperationen nicht nur an Daten typischerweise Menschen, die be- im betrieblichen Mobilitätsma- aus der Praxis, sondern kann die rufl ich viel unterwegs sind. nagement. Er nennt das Beispiel Akzeptanz und Effi zienz der von Es gibt verschiedene Möglich- der in der Entwicklungshilfe enga- ihm vorgeschlagenen Maßnahmen keiten, eine freiwillige Entschä- testen. So gehen Daten, die seit digung für die durch Flüge ent- Die Autorin 2007 vom ivm im Rahmen des stehenden Umweltschäden zu Rhein-Main-Mobilitätspanels er- entrichten. Davon macht etwa die Dr. Anne Hardy, 44, studierte Physik (Diplom) und promovierte hoben werden, in Längsschnittstu- Bundesregierung Gebrauch. »Aber in Wissenschaftsgeschichte. Sie ist Referentin für Wissen- dien ein, mit denen Lanzendorf auch hier sollte man Gewohnhei- schaftskommunikation an der Goethe-Universität. beispielsweise individuelle Mobili- ten hinterfragen: Manche Ge-

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gierten Gesellschaft für technische Maßnahmen das Verkehrshandeln Für Lanzendorf ist das nicht nur Zusammenarbeit (gtz). Um auch von Menschen beeinfl ussen: »Die eine Herausforderung, die sich vor Ort einen Beitrag zum Um- klassischen Instrumente von Bau- durch Klimawandel und Ressour- weltschutz zu leisten, gestaltete sie en und Planen sind hier oft nicht cenknappheit ergibt, sondern auch das Radfahren für ihre Mitarbeiter zielführend genug.« So stellt er eine der Lebensqualität: weniger möglichst attraktiv. Die Firmenlei- sich beispielsweise die Frage, wie Lärm, bessere Luft und mehr tung sorgte für Duschen und Um- man in ländlichen Gebieten den Grünfl ächen. Die Realisierung kleiden am Arbeitsplatz, stellte Individualverkehr mit dem Auto hängt seiner Meinung nach zum Fahrradständer und Reparatur- reduzieren könnte, ohne die Mobi- großen Teil von der städtischen plätze zur Verfügung und ernannte lität zu beschneiden. Mit dem Mobilitätskultur ab. Städte wie einen Fahrradbeauftragten. 20 Pro- Odenwald-Kreis testet er derzeit Freiburg zeigten, dass autoredu- zent der Mitarbeiter fahren inzwi- die Möglichkeit, Mitfahrgelegen- ziertes Wohnen in Neubaugebieten schen mit dem Rad zur Arbeit. Und heiten in das öffentliche Verkehrs- möglich ist und von vielen Bür- davon profi tiert auch das Unter- system zu integrieren. »Wenn man gern als erstrebenswert angesehen nehmen: Es ist nicht nur gut für an einer Bushaltestelle auf der wird. Das Beispiel Münster de- das Image, sondern spart auch Flä- Landstraße wartet, dann kommen monstriert, wie eine fahrrad- che und Kosten für Parkplätze ein. meisten einige PKWs vorbei, bevor freundliche Städteplanung den Im Mai 2009 erhielt die gtz für ihr der nächste Bus eintrifft«, erklärt nicht motorisierten Verkehr för- Engagement den »bike and busi- er seine Idee. Ziel ist es, diese Mit- dert. »Man kann sich nicht darauf ness award«, der in diesem Jahr fahrgelegenheiten fl exibel und zurückziehen, dass die städtischen erstmals vom Planungsverband und zeitnah organisieren zu können, Strukturen historisch gewachsen dem Allgemeinen Deutschen Fahr- etwa über ein System, das über das sind und solche Ideen nur in Neu- radclub vergeben wurde. Handy Angebot und Nachfrage zu- baugegenden zu realisieren sind«, sammenbringt – eine Art organi- meint Lanzendorf, »es braucht Mobilität und Lebensqualität siertes Trampen. aber nicht nur politischen Gestal- vereinbaren Hinter allen Forschungsprojek- tungswillen – man muss auch das Projekte dieser Art interessieren ten steht schließlich die Frage: Nutzerverhalten kennen und das Lanzendorf, weil sich daran studie- »Wie lässt sich Mobilität mit weni- bürgerschaftliche Zusammenspiel ren lässt, wie nachfragebezogene ger Verkehrsaufwand realisieren?« in einer Stadt berücksichtigen.« 

»Ein Ort bundesweit beachteter Vorfälle« Einblicke in die bewegte Frankfurter Universitätsgeschichte zwischen 1946 und 1972.

Notker ? Herr Professor Hammerstein, Hammerstein 2010 erscheint der zweite Teil Ihrer im Interview Geschichte der Goethe-Universität. mit Anne Hardy Was erwartet uns?

Hammerstein: Der Band setzt mit dem Ende des Nationalsozialismus, dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein und reicht bis in die Phase der universitären Neuordnung um 1972. Diese Fortführung der Uni- versitätsgeschichte verdankt ihr Entstehen dem Interesse an der Sache selbst, aber auch vielfach ge- Bevor es nach dem Krieg mit äußerten Wünschen. Da im ersten dem Studium wei- Band die Schilderung der Zeit zwi- tergehen konnte, schen 1945 und 1948 eher kurso- musste erst ein- risch blieb, setzt der neue Band mal aufgeräumt nochmals mit 1945 ein. Ausführli- und wieder aufge- cher als zuvor schildert er die Wie- baut werden. Die dereröffnung der Universität und Studenten fassten mit an: Junge die Zeit des frühen Aufbaus. Die Frauen engagier- auf diese Jahre folgende Entwick- ten sich ebenso lung – vielfach paradigmatisch für wie Männer. die Bundesrepublik und ihre Uni-

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versitäten insgesamt – kann auf Franz Böhm war einer der Rektoren der diese Weise besser verstanden und Nachkriegszeit, die sich aktiv gegen die eingeordnet werden. nationalsozialistische Herrschaft gestellt hatten. In den 1930er Jahren trat der Jurist der Diskriminierung und Verfol- ? Welche Personen nehmen Sie gung jüdischer Bürger entgegen. Seine in den Blick? akademische Karriere endete abrupt mit dem Entzug der Lehrerlaubnis. Nur Hammerstein: Wie im ersten dank einer Namensverwechslung ent- Band stehen die Professoren – ging Böhm, der zum Freiburger Bon- Ordinarien und Extraordinarien – hoeffer-Kreis gehörte, der Verhaftung am im Mittelpunkt der Darstellung. Sie 20. Juli 1944. Nach dem Krieg erhielt er zunächst eine Professur an der Uni- prägten das Profi l der Institution, versität Freiburg und wurde dort Prorek- ihre geistige und wissenschaftliche tor; 1946 folgte er dann dem Ruf nach Bedeutung. Daneben erfahren na- Frankfurt. Auf diesem Bild ist sein Ge- türlich auch wichtige allgemeine sicht noch deutlich von den Strapazen Entwicklungen der Zeit, die für die des Krieges gezeichnet. Universität von Bedeutung waren, Berücksichtigung. In der Nach- kriegszeit stand vor allem der Auf- und Ausbau der zerstörten Hoch- eine gänzlich neue Universitätsver- sein, dass jedermann die ihn inter- schule im Vordergrund. Dazu fassung, die zu einer Aufl ösung der essierenden Personen und Dinge gehörten nicht nur der Wiederauf- Fakultäten und der Einrichtung von fi nden und nachschlagen kann. bau von Gebäuden, sondern auch Fachbereichen führte. neue Berufungen, die über die wis- ? Was ist das Besondere an senschaftliche Ausrichtung Aus- ? Welchen Schwierigkeiten be- Ihrer Darstellung? kunft geben. Der Band geht auf die gegneten Sie beim Schreiben? Verhandlungen mit Vertretern von Hammerstein: Bislang gibt es kei- Stadt und Land ein, die Ziele der Hammerstein: Bei so vielen Ge- ne Geschichte einer bundesrepub- Landesregierung sowie allgemeine genständen und vor allem bei der likanischen Universität zwischen politische Ereignisse, die in der Analyse der Berufungsfragen – kei- 1945 und 1972. Meine Darstellung Universität bemerkenswerte Reak- ner der Professoren sollte übergan- der Universität Frankfurt nimmt tionen hervorriefen, wie der Viet- gen werden, sollte eine solche Ge- daher eine Vorreiterrolle ein – zu namkrieg oder die Notstandsgeset- schichte zuverlässig über die Recht, denn die Goethe-Universität ze. Ebenso wichtig ist aber auch verantwortlichen Personen und die war zwischen 1946 und 1972 ein das Verhältnis von Professoren und Hauptereignisse Auskunft geben – Ort bundesweit beachteter Vorfälle, Studenten. Deren Wünsche, Über- ließ es sich nicht vermeiden, dass Ereignisse, Ideen und wissenschaft- legungen und Aktionen werden der Band streckenweise den Cha- lich charakteristischer Positionen. über die behandelten Jahre hin rakter einer Chronik annahm. Das Manche der geschilderten Vorgän- möglichst breit dargestellt. Nicht kommt der Lesbarkeit nicht immer ge, Pläne und Auseinandersetzun- immer ist das allerdings aufgrund entgegen. Dafür sollte garantiert gen sind von vielfach stilbildendem der Quellenlage zufriedenstellend möglich. Nach den schwa- chen Jahrgängen ? Was sind die wichtigsten uni- der Kriegszeit versitätsgeschichtlichen Fragen, wuchs die Studen- tenzahl nach denen Sie nachgehen? 1945 stark an. Sichtbarer Aus- Hammerstein: Das sind mentale druck dessen ist und institutionelle Veränderungen die Vergrößerung in der Universität, wie wir sie auch des Hauptein- heute erleben. Sie müssen im Kon- gangs des »Jügel- text der allgemeinen bundesrepub- hauses«, der nach den Plänen des likanischen Universitätspolitik gese- Bauhaus-Architek- hen werden. Wie wirkte sich diese ten Ferdinand auf die Personalpolitik aus? Wel- Kramer ausgeführt chen Einfl uss hatte sie auf Finanz- wurde. Theodor fragen? Wer entschied über die Adorno und Max bauliche Erweiterung, die mit einer Horkheimer, sei- ausgreifenden Baupolitik verbun- nerzeit Rektor der Universität, war den war? Auf rechtlichem Gebiet die sachliche Ge- waren einschneidende Ereignisse staltung ein Dorn der 1. Januar 1967, als die von der im Auge. Stadt getragene Stiftungsuniversität an das Land überging, zwei neue Hochschulgesetze und schließlich

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»Unter den Tala- gel an wissenschaftlichem zupassen, was aber nicht bedeute- ren, der Muff von Nachwuchs. Die Universitäten wa- te, dass sie ihre Eigentümlichkeiten tausend Jahren!«. ren vor Probleme gestellt, für die aufzugeben hatte. Im Großen Rat Ihren Unmut an sie in ihrer bisherigen Geschichte und im Kuratorium wirkten fast den traditionellen universitären kaum Lösungen oder hilfreiche über die ganze Zeit neben Vertre- Bräuchen drück- Beispiele fi nden konnten. Das tern von Stadt und Land und ge- ten die Studenten Quellenstudium zeigt aber, dass wählten Universitätsvertretern 1968 nicht nur man sich diesen Problemen in auch Vertreter der Stifter an der verbal aus, wie Frankfurt freudig und gern stellte. Leitung der Goethe-Universität dieses Bild eines Sie zu lösen, galt als lohnenswerte mit. Das war und blieb eine Eigen- aufgebrochenen Aufgabe; nach den düsteren Jah- art Frankfurts. Den Großen Rat und halb ausge- räumten Schranks ren des Naziregimes und des gab es bis 1970. Eine damit ver- mit Talaren zeigt. Krieges sollte es wieder aufwärts gleichbare Einrichtung gibt es heu- gehen. Dass zugleich manche Vor- te nicht mehr. urteile bestärkt und rückwärtsge- wandte Debatten geführt wurden, ? Kommen wir zur Mentalitäts- änderte nichts an der insgesamt geschichte: Die Studenten der liberalen und demokratiezuge- 1968er-Bewegung, die in Frankfurt wandten Grundeinstellung der und Berlin besonders ausgeprägt meisten Handelnden. war, kritisierten »Unter den Tala- ren, den Muff von tausend Jahren«. ? Inwieweit gelang es der Uni- Welche Strukturen und Ansichten versität nach dem Krieg, Personen empfanden die Studierenden als mit einer nationalsozialistischen rückwärtsgewandt? Und wie konn- Vergangenheit aus ihren Reihen zu ten diese den demokratischen Neu- entfernen? anfang der Nachkriegszeit über- dauern? Hammerstein: Für Frankfurt war es bezeichnend, dass in der unmit- Hammerstein: Nach 1946 über- telbaren Nachkriegszeit nicht nur wogen zunächst Gelehrte, die ihre untadelige Männer das Amt des Ausbildung während der Zeit der Rektors bekleideten, sondern dass Weimarer Republik erfahren hat- unter den frühen Rektoren auch ten, was mental oft ins Kaiserreich aus der Emigration zurückgekehrte zurückreichte. Dementsprechend ehemalige Angehörige der Univer- waren viele der damaligen Diskus- sität waren. Nach sionen und Themenstellungen und Franz Böhm amtierten, mit ei- noch von diesen Zeiten geprägt. Studentische Pro- Charakter gewesen und auch im nem Zwischenspiel Boris Rajews- Erst als Mitte der 1950er Jahre der vokation während Nachhinein von fast außerordent- kys, , Oskar Ganz Mangel an wissenschaftlichem der 1968er-Unru- licher Brisanz. Vieles, was hier ge- und Fritz Neumark. Anhänger des Nachwuchs behoben war, konnten hen: Das ordent- schah, prägte die intellektuelle, po- NS-Regimes, aber weitgehend die Wissenschaften ausgebaut und lich geschriebene Grafi tti mit den in- litische und wissenschaftliche auch sogenannte Mitläufer, waren konnte die Professorenschaft ver- frage gestellten Entwicklung der Bundesrepublik unter den Dozenten nach Wieder- jüngt werden. Diese neue Generati- deutschen Tugen- mit. eröffnung der Universität die Aus- on von Berufenen hatte meist den prangt an der nahme. Die neue freie, demokrati- mehrere Jahre am Krieg oder an Wand hinter dem ? Wie würden Sie die Zeit zwi- sche Verfasstheit der entstehenden anderen, von den NS-Machthabern Besprechungs- schen dem Ende des Zweiten Welt- Bundesrepublik wurde uneinge- eingeführten Einsätzen teilnehmen tisch im Büro des kriegs und der universitären Neu- schränkt bejaht und aktiv mitzuge- müssen. Sie agierte zielgerichtet, Rektors. ordnung in den 1970er Jahren stalten versucht, wie die vielen Re- war auf rasche Karriere aus, über- charakterisieren? formüberlegungen und Pläne der nahm anfänglich meist die wissen- frühen Jahre zeigen. Der unab- schaftlichen Anschauungen ihrer Hammerstein: Im Rückblick war dingbare Wiederaufbau – materiell Lehrer und ließ die frühen Refor- es eine Zeit enorm rascher und wie ideell – wurde als ein ge- manstrengungen versanden. positiver Entwicklungen für die schenkter Neuanfang begriffen, Erst in den 1960er Jahren ent- Bildungspolitik. Steigende Studen- den es zu gestalten galt. stand dadurch – und nicht nur auf tenzahlen, neue Professuren und Seite der Studenten – der Wunsch neue Disziplinen, verbesserte fi - ? Wie kam es zur Aufl ösung der nach einem Wandel der Ordinari- nanzielle Ausstattung, Neubauten – Stiftungsuniversität? en-Universität, einem Abbau der all das sticht ins Auge. Die Kehrsei- inzwischen steilen Hierarchisie- te dieses raschen Wachstums Hammerstein: Die Stadt Frankfurt rung, einer Demokratisierung der waren Raummangel, Überfüllung, konnte auf Dauer nicht mehr al- Universität. Auch hier ist es wich- zunehmende Anonymi sierung und lein die Last der Finanzierung tra- tig, das damalige politische Umfeld – bedingt durch Studienunterbre- gen. Die Stiftungsuniversität hatte in der Bundesrepublik und in der chungen im Krieg und die natio- sich mehr und mehr den anderen Welt zu betrachten – die Anti- nalsozialistische Politik – ein Man- hessischen Landesuniversitäten an- Atombewegung, der Vietnamkrieg,

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die Notstandsgesetze –, auf die der Assistenten und wissenschaftliche Zur Person linksintellektuelle Zeitgeist antwor- Mitarbeiter. Bis zum Ende des dar- tete: die Ostermärsche der Frie- gestellten Zeitraums bestimmten Prof. Dr. Notker Hammerstein, emeri- densbewegung, die Formierung ei- die Anhänger, Gegner, Aktivisten tierter Professor für neuere Ge- ner außerparlamentarischen und selbst die scheinbar Gleichgül- schichte am Historischen Seminar der Goethe-Universität, ist ein Opposition APO, die Gründung des tigen die Verhältnisse und Ausein- ausgewiesener Experte für die Ge- Sozialistischen Deutschen Studen- andersetzungen in der Universität. schichte der europäischen Univer- tenbunds SDS, die Herausgabe der Neben den unterschiedlichsten De- sitäten. Bereits in seiner Habilitati- Frankfurter Hefte, das Abendstudio monstrationen beherrschten unge- on beschäftigte er sich mit der des Hessischen Rundfunks, die mein kontroverse Diskussionen Geschichte des historischen Den- viel gefragte »Theorie«-Reihe des über die universitäre, aber auch kens an deutschen Universitäten. Suhrkamp Verlags und die Wieder- über die allgemein politische Situa- Er war Vizepräsident der »Commis- sion internationale pour l’Histoire des Universités«, gehört eröffnung des Instituts für Sozial- tion die Szenerie. Satzungsfragen, dem Herausgeberkreis eines von der internationalen Rekto- forschung sind nur einige Unter- diverse, höchst umstrittene Rekto- renkonferenz inaugurierten Handbuchs zur Geschichte der nehmungen, die diese Zeit charak- renwahlen, Fragen der Mitbestim- Universitäten in Europa an, wie auch der in Oxford erschei- terisieren. Sie führten fast folge- mung von Extraordinarien und nenden Zeitschrift »History of Universities«. Den ersten richtig zur 68er-Bewegung. Als der Studenten, Auseinandersetzungen Band zur Geschichte der Goethe-Universität zwischen 1914 Funke nach der Ermordung Benno mit Landesregierung und Landtag und 1950 legte er zum 75. Jubiläum 1989 vor, der zweite Ohnesorgs 1968 von Berlin nach über neue Hochschulgesetze, die Band ist im Manuskript abgeschlossen und erscheint 2010. Frankfurt übersprang, war hier be- Eingliederung der Hochschule für reits ein breites Feld für ungemein Erziehung (AfE) und anderes hiel- setzes im zweiten Gesetzeswerk vehemente Reaktionen, Aktionen ten Rektoren, Dekane, Professoren von 1970 zu einer neu verfassten und Diskussionen vorbereitet. – Senat und Konzil – sowie Großen und umstrukturierten Universität Rat, Kuratorium und AStA in Atem. führte. Das Gesetz schuf die Prä- ? Welche Auswirkungen hatte Die scheinbare nachkriegsbe- sidialuniversität, beseitigte die tra- die 1968er-Bewegung auf die wei- dingte Einheitlichkeit der Professo- ditionsreiche Fakultätseinteilung tere Entwicklung der Goethe-Uni- renschaft und ihr Zunftgeist lösten zugunsten einer Gliederung in versität und das Verhältnis von sich zunehmend auf, die inneruni- Fachbereiche, politisierte die Uni- Professoren, Studierenden und versitären Verhältnisse wurden un- versität hin zu vermeintlicher Mitarbeitern? übersichtlicher und variabler. Eine Demokratisierung, schuf neue Gre- vielschichtige und spannende Pha- mien und Verwaltungsstrukturen. Hammerstein: Die Bewegung er- se deutscher Universitätspolitik be- Das hatte weitreichende Folgen, fasste damals nicht nur Studenten, gann, die durch die Novellierung die teilweise noch bis heute spür- sondern auch manche Pro fessoren, des ersten hessischen Hochschulge- bar sind. 

Am Wasser mussten von Anna Leiss arme Frankfurter Bürger nie sparen Soziales Denken beherrschte die Tarifgestaltung im 19. Jahrhundert

Unser Schlachtfeld ist nicht Als der Ingenieur William Heer- 1 William Heer- »dasjenige der Soldaten mit ihren lein Lindley dieses Plädoyer für lein Lindley Tausenden von Toten und Verwun- eine saubere und gesunde Stadt (1853 – 1917) deten. Auf unserem Schlachtfeld 1906 auf einer Tagung in War- übernahm schon als 20-Jähriger zählen wir die Tausende vom Tode schau vortrug, verfügte er bereits während der Geretteter durch die Verbesserung über eine langjährige Erfahrung längeren Abwe- der gesundheitlichen Verhältnisse, mit den Kanalisationsarbeiten in Während Vater Lindley Kanalisa- senheiten seines die aus unseren Arbeiten hervor- Frankfurt am Main. Begonnen hat- tions- und Wasserprojekte in ganz Vaters die Bau- geht. Diese Tausende am Leben Er- te diese Arbeiten sein Vater Wil- Europa leitete, wurde William leitung bei der haltener bedeuten auch Tausende liam Lindley. Der englische Eisen- Heerlein Lindley in England erzo- Frankfurter Kana- von Krankheit Bewahrter, beson- bahningenieur hatte sich beim Bau gen und unterrichtet. Als Sech- lisation – zunächst ohne die Zustim- ders der ärmeren Bevölkerung, die der Kanalisation in Hamburg, der zehnjähriger immatrikulierte er sich mung der Stadt- Krankheiten am meisten ausge- ersten nach englischem Vorbild, ei- bereits an der Universität in Lon- väter. setzt ist. ( ) so bekommen wir ei- nen Namen gemacht und trug in don. Nach nur einem Jahr verließ nen Begriff von der Wichtigkeit der Folge zur Modernisierung zahl- er jedoch ohne Abschluss die Hoch- unserer Arbeit, (…)«/1/ reicher europäischer Städte bei. schule, um seinem Vater nach Bu-

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ter ab. Selbst das Angebot des Va- rung verbessern. In Frankfurt am ters, der Sohn könne unentgeltlich Main stieß er dabei auf offene arbeiten, ließ die Stadtväter ihre Ohren. Die Sorge um das Gemein- Meinung nicht ändern. Da William wohl nahm in Denken und Han- Lindley neben seiner Tätigkeit in deln der Frankfurter Stadtregie- Frankfurt viele weitere Bauaufträ- rung eine wichtige Stellung ein. ge europaweit annahm, war er oft Obwohl die Stadt in einer liberalen wochenlang abwesend. In dieser Tradition regiert wurde, sahen die Zeit übernahm sein Sohn auch Stadtväter kein Problem darin, die ohne Einverständnis der Stadt die Wasserver- und -entsorgung in Bauleitung und bewies sein techni- städtischer Hand zu führen. Das sches Geschick. 1875 revidierte die Eingreifen der öffentlichen Hand in Stadtregierung schließlich ihre den städtischen Wirtschaftsraum Meinung und ernannte den jungen nannte man gegen Ende des Lindley zum Assistenten im städti- 19. Jahrhunderts Munizipalsozialis- schen Kanalbüro. Nur drei Jahre mus. Er stellt eine Art lokales Pen- später trat er auch offi ziell die dant zum Staatssozialismus dar./3/ 2 Grundwasserleitung: Eine gute Wasserversorgung ließen Nachfolge seines Vaters an. 1882 /4/ Insbesondere bei der Tarifgestal- sich die Frankfurter Bürger gern etwas kosten. Neben dem legte die Stadt das Wasseramt, das tung orientierten sich die Frank- aufwendigen Bau einer Quellwasserleitung, die Wasser aus Kanalbüro und das städtische Inge- furter Liberalen an sozialen Denk- dem Vogelsberg lieferte, bohrte die Stadt auch nach Grund- nieurbüro zusammen und schuf weisen. Die Stadtväter verzichteten wasser im Stadtwald. Bedürftige Bürger erhielten das Wasser zu einem reduzierten Preis oder wurden kostenlos beliefert. das Tiefbauamt. William Heerlein jahrelang auf die Einführung von dapest zu folgen, wo dieser ein Wasserwerk errichten sollte. Dabei sammelte William Heerlein Lindley seine ersten praktischen Erfahrun- gen als Ingenieur. Sein Vater schätz- te ihn sehr, er erkannte sein Talent und vertraute ihm sogar den Posten des stellvertretenden Bauleiters an. Gleichzeitig leitete der Vater in Frankfurt am Main den Bau der Schwemmkanalisation. Als 1873 der Stellvertreter William Lindleys in Frankfurt aus dem Dienst aus- schied, holte der Vater seinen in- zwischen 20-jährigen Sohn, damit dieser die vakante Stelle ausfülle. Die Stadt Frankfurt lehnte den blutjungen Mann ohne akademi- 4 Düker-Rote-Hamm: Über Abwasserleitungen, Düker genannt, gelangte das Ab- schen Titel zunächst als Stellvertre- wasser von hibdebach nach dribdebach. Stadtbaurat William Heerlein Lindley (Drit- ter von links) überwachte 1884 persönlich die Versenkung der Düker im Main.

Lindley setzte sie als ersten Dezer- Wasseruhren, während in anderen nenten an die Spitze der neuen deutschen Städten diese Abrech- Behörde. Dass die Entscheidung, nungsform schon längst gang und einem Jungspund solche Verant- gäbe war. Bis 1924 gab es einen wortung zu geben, die richtige war, Pauschaltarif, der im Frankfurter zeigen die zahlreichen Errungen- Stadtgebiet zunächst bei 4 Prozent schaften, die Frankfurt William des Mietwertes lag. Dies gewähr- Heerlein Lindley verdankt./1/ /2/ leistete, dass Konsumenten unab- Das waren neben der Kanalisa- hängig von ihrer sozialen Stellung tion und Wasserversorgung aus nicht nur eine ausreichende Was- dem Stadtwald auch Hafen- und sermenge für hygienische Zwecke Kaianlagen für den Westhafen und zur Verfügung hatten, sondern das erste Elektrizitätswerk, um nur Wasser auch nach den persönli- die Wichtigsten zu nennen. chen Bedürfnissen verbrauchen konnten. Lediglich bei gewerbli- 3 Maschinenraum: Über drei Jahrzehnte leitete die Stadt Sauberes Wasser für alle chen und landwirtschaftlichen Be- Frankfurt ihre Abwässer ungeklärt in den Main, weil sie die Neben den technischen Errun- trieben mit großen Verbrauchs- damals üblichen Rieselfelder, auf denen die Abwässer land- wirtschaftlich verwertet wurden, nicht anlegen wollte. Von genschaften wollte der Ingenieur mengen wurde der Wasserpreis 1883 – 1887 baute die Stadt dann das erste europäische vor allem die hygienischen Ver- schon vor der fl ächendeckenden Klärwerk in Niederrad, dessen Maschinenraum auf dem Bild hältnisse und damit die Gesundheit Einführung der Wasseruhren an- zu sehen ist. der weniger bemittelten Bevölke- hand von Messgeräten errechnet.

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Immer wieder war der Wasserta- Wie günstig das Wasser in rif in Frankfurt Gegenstand von Frankfurt war, verdeutlicht ein Stadtteilhistoriker Debatten. Hauptsächlich stritten Vergleich mit anderen deutschen sich Parlament und Magistrat um Städten. Um 1880 verbrauchten ie 25 Stadtteilhistoriker sind die Einführung von Wasseruhren die Frankfurter im Durchschnitt DFrankfurter Bürger, die sich und die Staffelung des Pauschalta- 125 Liter pro Tag und Kopf, in Ber- ehrenamtlich ein Jahr lang mit rifes. Der Magistrat hatte schon lin hätte ein Frankfurter hierfür im selbst gewählten Themen der 1883 eine Revision der bestehen- Jahr circa 14 Mark Wasserzins zah- Frankfurter Stadt- und Stadt- den Gebrauchsordnung gefordert. len müssen und in der Nachbar- teilgeschichte befassen. Das Format, 1875 hatte die Stadt die in fi nanzi- stadt Darmstadt circa 10 Mark./6/ /7/ in dem sie ihre Untersuchungsergebnisse präsen- elle Not geratene Quellwasserlei- In der gleichen Preisklasse konnte tieren, ist freigestellt (zum Beispiel Aufsatz, Aus- tung AG übernommen. Der Betrieb ein Frankfurter für sich und seine stellung, Film). Die Stadtteilhistoriker werden mit der Leitung erwies sich als rentabel, Familie frei Wasser beziehen, wenn einem Förderbetrag durch die Stiftung Polytech- und so hielt der Magistrat eine Er- er in einer Wohnung mit einem nische Gesellschaft unterstützt, die Gerda Henkel mäßigung für Bedürftige für mög- Mietwert von unter 250 Mark Stiftung richtet zwei Werkstatt-Treffen zur fachli- lich. Die Stadtverordnetenver- wohnte. Günstige Wohnungen gab chen Qualifi zierung aus, und die Frankfurter sammlung ging einen Schritt weiter es zwar in Frankfurt um 1889 Neue Presse ist Medienpartner des Projekts. und forderte eine Befreiungsgrenze nicht viele, aber es wurden ge- für Arme; außerdem solle das Was- meinnützige Wohnungsbaugesell- sergeld nur die Kosten der Wasser- schaften gegründet, um diesen moderate Preise für die Benutzung versorgung decken, nicht aber Ge- Missstand zu beheben. Diese Ge- der Kanalisation. winne abwerfen. Dieser Gedanke sellschaften boten Arbeiterfamilien ist erst sechs Jahre später wieder 2- bis 3-Zimmer-Wohnungen zu Kanalgebühren erst ab 1904 aufgegriffen worden. Am 1. April erschwinglichen Preisen von 15 bis Als 1894 die Stadtverordneten 1889 trat schließlich ein neues 26 Mark monatlicher Miete an. erstmals über eine Benutzungsge- Ortsstatut in Kraft. Fortan konnten Laut Magistratsakten erhielten bühr für die Kanalisation spra- alle Mieter, die einen jährlichen zehn Jahre nach Einführung der chen, argumentierten einzelne Mietwert bis 250 Mark hatten, von Befreiungsgrenze 8002 von insge- städtische Vertreter, dass eine Ge- der Zahlung von Wassergeld befreit samt 46 701 mit Wasser belieferten bühr nur einzuführen sei, wenn werden. 1904 modifi zierte die Stadt Wohnungen eine Wassergeldbe- der Kanalbetrieb ein Haushaltsde- den Wassertarif und ermäßigte das freiung./8/ fi zit aufweise. Ein Fünftel des städ- Wassergeld für Wohnungen mit ei- Die Diskussionen über einen tischen Haushaltes fl oss damals nem jährlichen Mietwert von 251 angemessenen Wasserpreis sind in jährlich in den Kanalbau. Die Aus- bis 300 Mark auf 3 Prozent statt der Frankfurt bis heute nicht abgebro- gaben der neuen Städtetechnik be- herkömmlichen 4. Der 1888 poli- chen. 2007 strengte das hessische lasteten den Haushalt so stark, zeilich verordnete Anschlusszwang Wirtschaftsministerium ein Kartell- dass Frankfurt Kredite aufnehmen bewirkte die schnelle Ausdehnung verfahren gegen den Frankfurter musste. 1904 ließ sich aufgrund des Netzes auf alle Haushalte. Die Wasseranbieter Mainova wegen dieser Kosten eine Einführung Befürworter der sozialen Tarifpoli- missbräuchlich hoher Wasserpreise nicht mehr vermeiden. Um auch tik erreichten eine kostengünstige an. Das Gerichtsurteil ist bis heute diese Gebühren sozial verträglich beziehungsweise kostenlose Bereit- nicht gefällt. Anders sieht es bei zu gestalten, staffelte sich der Be- stellung von einwandfreiem Trink- der Frankfurter Stadtentwässerung trag ähnlich dem Wasserpreis und wasser auch für minderbemittelte aus: Die Satzung des städtischen orientierte sich ebenso am Miet- Personenkreise./5/ Eigenbetriebes verlangt noch heute wert der Immobilie. Bewohner mit

Literatur /1/ Zitat nach ei- Heft 49, Frankfurt Eine Einführung des Zentrum Main, Wassergeld senschaften, ner Rede von am Main 1965, Göttingen 1989. Technik und Ge- 1894 – 1913 Band Band 49), Göttin- William Heerlein S. 123 – 133. sellschaft der TU 3, Institut für gen 1993. Lindley, die er auf /5/ Die Gebrauchs- Berlin, Band 2), Stadtgeschichte, einer Feier in /3/ Roth, Ralf Ordnung und Stuttgart 2005. Signatur: T 1916. /10/ Bauer, Tho- Warschau 1906 Stadt und Bürger- Wassergeldtarif der mas, Im Bauch der vorgetragen hat. tum in Frankfurt Frankfurter Quell- /7/ Stippak, Mar- /9/ Münch, Peter Stadt. Kanalisation Nachlass William am Main. Ein be- wasserleitung zu cus Wasserversor- Stadthygiene im und Hygiene in Heerlein Lindley, sonderer Weg von Frankfurt am gung und Kanalisa- 19. und 20. Jahr- Frankfurt am Main Institut für Stadt- der ständischen zur Main, 1876 tion in Darmstadt hundert. Die Was- 16. – 19. Jahrhun- geschichte, Signa- modernen Bürger- Institut für Stadt- 1870 – 1914. Dis- serversorgung, dert (Studien zur tur: S1 – 186. gesellschaft geschichte, Signa- kussion, Einfüh- Abwasser- und Ab- Frankfurter Ge- 1760 – 1914 tur: S 3/Q 8247. rung, Entwicklung fallbeseitigung un- schichte, Band /2/ Lerner, Franz (Stadt und Bür- (Darmstädter ter besonderer Be- 41), Frankfurt am William Heerlein gertum, Band 7), /6/ Mohajeri, Schriften, rücksichtigung Main 1998. Lindley München 1996. Shahrooz Band 90), Darm- Münchens (Schrif- (1853 – 1917). Um- 100 Jahre Berliner stadt 2007. tenreihe der His- riß seines Lebens /4/ Krabbe, Wolf- Wasserversorgung torischen Kom- In: Archiv für gang Die deutsche und Abwasserent- /8/ Magistrat Acten mission bei der Frankfurts Ge- Stadt im 19. und sorgung 1840 – 1940 des Magistrats der Bayerischen Aka- schichte und Kunst 20. Jahrhundert. (Schriftenreihe Stadt Frankfurt am demie der Wis-

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einem jährlichen Mietzins von we- führung der Gebühren in Frankfurt lich bürgerlichen Persönlichkeiten niger als 300 Mark blieben sogar deutlich, dass die Stadtverwaltung wie William Heerlein Lindley zu von der Gebühr befreit. Bis Vermieter und Mieter nicht zusätz- verdanken, dass Frankfurt einen 400 Mark Miete betrug die Gebühr lich belasten wollte./6/ /9/ /10/ sozialen Weg in die Moderne ge- 12 Pfennig für jeweils 25 Mark Erst 1904, als die Kosten des wählt hat.  Miete. Lag die jährliche Miete über Kanalbaus und die Betriebskosten 400 Mark, erhöhte sich die Gebühr das städtische Budget stark belaste- Die Autorin auf 25 Pfennig. ten, sahen sich die städtischen Ver- Im Vergleich zu anderen deut- treter gezwungen, die Verbraucher Anna Leiss, 27, hat an der Goethe-Uni- schen Städten zeigen sich deut- zusätzlich in Anspruch zu nehmen. versität bis 2009 Mittlere und Neuere liche Unterschiede. In München lag Nichtsdestotrotz blieb die Stadt- Geschichte und Politologie studiert. die Gebühr bei 0,6 Prozent des hygiene ein Zuschussbetrieb. Die Seit Juni 2007 ist sie im Universitäts- Mietwertes, was 60 Pfennig auf Weigerung, Kosten für die Kanali- archiv tätig. Im Oktober 2008 wählte 100 Mark Miete entsprach und sation zu übernehmen, liegt sicher- die Stiftung Polytechnische Gesell- schaft sie für das Projekt »Stadtteil- demnach deutlich über den Frank- lich zum einen im Eigeninteresse historiker« aus und förderte ihre For- furter Verhältnissen lag. In Berlin der Stadtverordneten, die größten- schungen zum Thema »Soziale Tarife wurde die Kanalgebühr nach dem teils selbst Hauseigentümer waren. der Wasserver- und -entsorgung in Ertrag des Hausbesitzers festgelegt Die Einführung einer Befreiungs- Frankfurt am Main«. Aktuell arbeitet und lag bei 1,5 Prozent der Mietein- grenze zeigt allerdings, dass auch sie an ihrer Dissertation »Munizipalso- nahmen. Bei Mieteinnahmen von soziale Gesichtspunkte bei der Ge- zialismus in Frankfurt? Das Entstehen 100 Mark musste ein Berliner Ver- bührenerhebung eine wichtige der städtischen Leistungsverwaltung«, die von Prof. Andreas Fahrmeir, Pro- mieter 1,50 Mark Kanalnutzungs- Rolle spielten. Die städtische Tarif- fessur für Neuere Geschichte (Schwer- beitrag zahlen. Da die Nutzungsge- politik ist daher ein Indiz für die punkt 19. Jahrhundert), betreut wird. bühren letztendlich auf die Mieter munizipalsozialistische Ausrich- zurückfi elen, zeigt die späte Ein- tung in Frankfurt. Es ist letztend- [email protected]

Ehre, wem Ehre gebührt Ein Erinnern an Ehrenbürger und Ehrensenatoren

Die erste Ehren senatorin der Goethe- renplätzen bei Festlichkeiten, Ein- Universität: Renate von Metzler, 2005. reihung in die Es gratulierte Universitätspräsident Personalverzeichnisse an bevorzug- Prof. Dr. Rudolf Steinberg. ter Stelle usw. verbunden werden könne.« Diese ergänzende Ehrung siviert und so an die Tradition des sollte die Kritik an einer akademi- Mäzenatentums der frühen Jahre schen Auszeichnung für nichtwis- anknüpft. senschaftliche Leistungen verrin- Diese akademischen Würden gern, wie es sie an manchen wurden in Deutschland kreiert. Ehrenpromotionen gab. Es wurde Entscheidend war dafür die Initia- diese Würde sehr wahrscheinlich tive des Prorektors der Universität erstmals am 2. August 1919 zur Halle, Prof. Dr. Wilhelm Lütgert, 100-Jahr-Feier der Universität bei der siebten außeramtlichen Bonn verliehen, und zwar an acht deutschen Rektorenkonferenz im Männer und an eine Frau. Juni 1919 in Halle an der Saale. Unter dem Tagesordnungspunkt Finanzielle Not und »Einführung eines Ehrenbürger- die Einführung neuer Ehren briefes neben dem Ehrendoktorat« Die Einführung dieser neuen heißt es: »Lütgert … schlägt für Ehre ist im Umfeld der Gründun- itel und Würden gewähren solche Männer oder Frauen, die gen von Vereinigungen der Freun- von Gunter Tpsychosoziale Einblicke. Für sich in anderer als rein wissen- de und Förderer an Universitäten Stemmler solche Forschungen kann die Uni- schaftlicher Weise um die Universi- seit den letzten Kriegsjahren und versität selbst zum Objekt werden. täten verdient gemacht haben, ins- vor dem Hintergrund der fi nanziel- Ehrenbürger oder Ehrensenatoren besondere durch bedeutendere len Not nach dem Ersten Weltkrieg rücken an der Goethe-Universität materielle Zuwendungen, die Er- zu sehen. Eine pragmatische Sicht vermehrt ins Licht der Öffentlich- teilung eines von der gesamten beim Einsatz von Anerkennungen keit, da sie seit Anfang 2008 als Universität, nicht den einzelnen als »Mittel und Wege zur Förde- Stiftungsuniversität die Verbindung Fakultäten ausgehenden Ehren- rung der Wissenschaft« zeigte 1931 zu den Frankfurter Bürgern inten- bürgerbriefes vor, der etwa mit Eh- der Frankfurter Rektor Bernhard

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Fischer-Wasels. Er sah darin die Chance, dass der Staat »sehr viel sichtbarer Ausdruck der Würdi- Geld« sparen könne: »Die mensch- gung ist die prominente Platzie- liche Eitelkeit für das Wohl des ge- rung des Namens im Vorlesungs- samten Volkes kräftig auszunutzen, und Personenverzeichnis. Darüber halte ich nicht nur für eine erlaub- hinaus wurde eine Urkunde über- te, sondern sogar für eine ver- reicht und zeitweise auch eine Me- dienstvolle Ausbeutung.« Im Som- daille am Band übergeben, ohne mer 1921 begannen im Senat der dass es dafür ein festgeschriebenes Frankfurter Universität ernsthafte Protokoll gab. Der Kaufmann und Beratungen zu diesem Thema. Es Mäzen Karl Kotzenberg hatte die gab hier wie auf überregionaler erste Medaille 1922 gestiftet; die Ebene Debatten darüber, ob die zweite wurde 1954 eingeführt. Bezeichnung »Ehrenmitglied«, Eine dritte Fassung wurde nach »Ehrenbürger« oder »Ehrensena- langjähriger Beratung 1966 be- tor« verwendet werden sollte. Der schlossen, dann aber sehr wahr- Senat bestimmte die Auszeichnun- scheinlich nicht realisiert. gen »Ehrenbürger« und »Ehren- Bis zum Ende der 1970er Jahre senator«. galt die Praxis: »Der Ehrenbürger ist normalerweise die Vorstufe für Auf der Liste der Geehrten: die Ernennung zum Ehrensena- Noble Stifterinnen und Stifter tor.« Das Zahlenverhältnis der Eh- Als erste Persönlichkeit wurde renbürger zu den Ehrensenatoren die Stifterin Emma von Mumm im lag bis zum Ende der Weimarer Re- Oktober 1922 als Ehrenbürgerin publik bei 10 zu 1; in der NS-Zeit geehrt. Es folgten zeitgleich Maria- wurden nur Ehrenbürger ernannt. eine lückenhafte Aktenlage. Es Als erstes wurde Theresia Cornu-Kluckauf, Eduard Seit dem Ende des Zweiten Welt- wurde immer wieder im Senat be- eine Frau mit der Beit von Speyer, Fritz Rößler, Lud- kriegs ist das Verhältnis etwa 3 zu tont, dass die Auszeichnung ehe- Ehrenbürger-Wür- de ausgezeichnet: wig Schiff und Fanny Flersheim. 2. Zu Beginn dieser Untersuchung maliger Kollegen nicht erwünscht Emma von Später wurden die ersten Ehren- existierte keine einwandfreie Liste sei; trotzdem wurde dies von Fall Mumm, 1922. Sie bürgerinnen in Listen der Verwal- der Ehrenträger, sondern nur eini- zu Fall problemlos praktiziert. Im schrieb den Dank tung etwas nach hinten platziert. ge fehlerhafte und unvollständige Zeitraum um 1960 gab es mehr- auf dem Kranken- Auch jetzt verfügt die Universität Aufzählungen. Es bestehen weiter- fach Doppelehrungen, also die bett; es wurde über Trägerinnen dieser akademi- hin offene Fragen: So erweist sich gleichzeitige Vergabe der Würden zum Totenbett, schen Würden; es sind die Ehren- das scheinbar Einfache als sehr eines Ehrenbürgers und eines Eh- denn zwei Wochen später starb sie. bürgerin Wilhelmine Willkomm schwierig und arbeitsintensiv. Ich rensenators. Auch dies wurde von und die Ehrensenatorinnen Renate gehe gegenwärtig von 132 Frauen einigen nicht gern gesehen, aber von Metzler, Johanna Quandt, Ka- und Männern aus, die an der Uni- dennoch von den jeweils treiben- rin Giersch. Die ersten Ehrensena- versität Frankfurt zum Ehrenbür- den Kräften durchgesetzt. toren waren 1924 Leo Gans und ger oder zum Ehrensenator er- Es bestand zumeist ein Grund- Heinrich Oswalt. Anfangs zeichne- nannt wurden oder mit beiden konfl ikt zwischen denen, die ihre te der Senat vor allem Stifter aus, Würden geehrt wurden. Die Hin- Vorstellungen zu verwirklichen später folgten Kaufl eute wie Gus- tergründe vieler Entscheidungen wünschten und dafür bisweilen tav Gerst und insbesondere Che- sind kaum noch nachvollziehbar, ihre Vorschläge überraschend ein- miemanager wie der Unternehmer weil vieles mündlich verhandelt brachten, und denjenigen, die Arthur von Weinberg und schließ- oder nicht in Niederschriften fest- stattdessen für eine kontrollierte lich Bankdirektoren, so August gehalten wurde. Hinzu kommt Vergabe eintraten und sich hin und Oswalt und Hans Heinrich Hauck, dazu Führungskräfte der »Freunde Der Frankfurter und Förderer« wie Hans W. Ehrenbürger Ar- Schmidt-Polex. Außerdem wurden thur von Weinberg einige ehemalige Professoren als war zugleich Jubilare gewürdigt, zum Beispiel Ehrenbürger und Ehrensenator der Franz Volhard, sowie auch Ernen- Universität. nungen mit politischem Hinter- grund vollzogen – doch dazu unten mehr. Viele erhielten die Auszeich- nung im hohen Alter, so dass man vielleicht besser die Bezeichnung »Universitätsältester« gewählt hät- te. Ein Hinweis darauf, wie betagt viele der Ausgezeichneten waren, ist die Tatsache, dass manche bald nach der Verleihung starben, bei- spielsweise Emma von Mumm. Ein

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Aus dem Perso- gab, die relevante Rechtsfragen nalverzeichnis der hinreichend festlegte? In der Ver- Universität Frank- gabepraxis zeigen sich Usancen furt vom Sommer- und Formen der Selbstregulierung, semester 1931: Gleich vorn sind zum Beispiel die Beratung in zwei die Namen der »Lesungen«. Für ein pragmatisches lebenden und ver- Vorgehen fand man jedoch stets ei- storbenen Ehren- nen Handlungsspielraum. Es gibt träger aufgeführt. so gut wie keine Hinweise auf ein systematisches Vorgehen bei der Auswahl von Ehrenträgern oder auf Vergleiche ihrer Leistungen durch Senat und Fakultäten. Auch erscheinen teilweise die Übergänge zu anderen Ehrungen wie zur Ehrenpromotion, zum Honorar- professor oder zu einer Fakultäts- medaille fl ießend. Eine unter- schiedliche Wertschätzung ist erkennbar: Sie beginnt beim Hono- rarprofessor und nimmt ab über den Ehrendoktor, den Ehrensena- tor und den Ehrenbürger bis hin zum Träger einer Fakultätsmedail- le. Auffällig ist, dass bisweilen eine Person mit mehreren dieser Eh- rungen ausgezeichnet wurde. Auch daraus ergibt sich die Frage, welche Anerkennung man für wel- che Leistungen für angemessen hielt.

Zweifelhafte Auswahl von Ehren- trägern in den 1950er Jahren Bei der Verleihung der beiden akademischen Würden hat sich lo- kal – und vielleicht auch überregio- nal – keine anschauliche Tradition und damit auch kein prägnantes Image herausgebildet. Zu den Grün- den werden auch der gravierende Einschnitt der NS-Zeit und die Pha- se erheblicher Belastungen infolge der »Studentenrevolte« gehören. Der Umgang in der NS-Zeit mit früheren Ehrenträgern und nach dem Zweiten Weltkrieg mit den während des »Dritten Reiches« Geehrten war häufi g von Still- schweigen geprägt. Seit Mitte der 1950er Jahre erhielten auch Perso- nen diese akademischen Würden, wieder erfolgreich um eine zeit- mung verlieh dem Verhandlungs- die relevante Positionen in der NS- weilige Zurückstellung für eine geschick Einzelner eine übergroße Zeit innegehabt hatten und sich in Prüfung bemühten. In Fällen mit Bedeutung. Wenn es hingegen zur der Nachkriegsgesellschaft in ach- unterschiedlichen Ansichten er- Verlangsamung kam und damit zur tungsvollen Ämtern befanden. Zu wies sich die Rolle der Fakultäten Möglichkeit, nachdenken und Aus- diesem Kreis gehörten der für die als strittig, ob sie nämlich Einfl uss künfte einziehen zu können, wur- Universität zuständige Stadtrat Ru- besitzen sollen oder ob die Dekane de eine anstehende Entscheidung dolf Keller und der Stadtkämmerer eigenständig im Senat entscheiden vereinzelt verschoben oder aufge- Friedrich Lehmann, als versierte können. Es gab durch die selbst ge- geben. Kommunalpolitiker hatten sie von wählte Vorgabe von einstimmigen Erweist sich vielleicht eine rela- 1933 bis 1945 im Rahmen ihrer Beschlüssen vermutlich einen un- tiv geringe Bedeutung der beiden Ämter eine systemstabilisierende terschwelligen Gruppendruck. Der akademischen Würden darin, dass Funktion inne; dabei haben sie Wunsch nach allgemeiner Zustim- es keine festgeschriebene Satzung entsprechend Schuld auf sich gela-

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den und sich charakterlich zutiefst Der chinesische Gesandte Liu Chung- kompromittiert. Chieh: Exzellenz Liu wurde 1935 Ehren- Aber Keller und Lehmann wa- bürger der Universität und damit einer ren nach 1945 sehr gut vernetzt. der ersten Ausländer; sein Lebenslauf fi ndet sich in »Who’s Who in China« der Auch von der Universität wurden 1930er Jahre. sie in einer unglaublichen, der Ge- schichte hohnsprechenden Art und Weise Ende 1959 gewürdigt. So Unterdrückern Helden; diese schreibt die Universität in Kellers Lobeshymnen bedeuten ein Skan- Ehrenurkunde, dass sie »ihrer Be- dalon für Leidtragende und Be- wunderung und ihrem Dank dafür troffene sowie für eine junge, Ausdruck (gibt), dass Herr Stadtrat idealistische Generation. Solche Dr. Keller in der dunkelsten Zeit »Ehrungen« werden der Reputati- der deutschen Geschichte mit bei- on eines universitären Ehrenbür- spielhaftem Mut dem Unrecht ent- gers und Ehrensenators tiefgründig gegengetreten ist und die Idee der geschadet haben. Freiheit verteidigt hat.« Und zu Lehmanns Wirken in der NS-Zeit Das Verhältnis der Universität heißt es, er habe »es sich zu seiner zur Bürgerschaft vornehmsten Aufgabe gemacht, im Allgemein ist festzuhalten, dass Sinne des ciceronischen Humanis- bei den akademischen Würden zu mus Unrecht zu bekämpfen und erkennen ist, wie anziehend eine abzuwehren. Er hat damit ein Bei- Universität auf manchen wirkt, ob spiel hohen Mutes und unerschüt- er sich für wissenschaftliche Fragen terlicher Entschlossenheit gege- interessiert oder nicht, ob er zum ben.« So wurden zu Unrecht aus Umfeld einer Universität gehört oder eher zu den Außenstehen zu zählen ist. Die mit einer Universität verknüpfte hohe Reputation strahlt aus. Und die Aufnahme der Würde »Senator e. h.« in den Briefkopf ist für manche sehr attraktiv. Das Ver- hältnis einer Universität zur Bür- auch eine Zukunft haben. Ein er- gergesellschaft – dafür sind solche höhter Bekanntheitsgrad könnte Würdigungen nur ein Zeichen – dazu beitragen, vielleicht verbun- bleibt für die Entwicklung einer den mit angemessenen ritualisier- Universität, für die Hochschulpoli- ten Formen. Dabei ist an einen er- tik und für die Kommunalpolitik gänzenden sichtbaren Ausdruck von Interesse und ist zugleich als dieser Ehren zu denken, zum Bei- Porträt des jungen Goethe: Die Schweizer Forschungsthema relevant. Die spiel an einen Eintrag in ein Golde- Künstlerin Charlotte Germann-Jahn ent- akademischen Würden »Ehrenbür- nes Buch der Universität oder in warf 1966 diese Medaille; sie war für die ger« und »Ehrensenator« werden ein Goldenes Buch der Stifter der Ehrensenatoren bestimmt. nicht nur eine Geschichte, sondern Universität. 

Der Autor

Dr. Gunter Stemmler, 49, war während seines Geschichtsstudiums an der Uni- versität Hannover Wissenschaftliche Hilfskraft vor allem bei Prof. Dr. Brigide Schwarz und Prof. Dr. Otto Gerhard Oex- le. Er arbeitete von 1987 bis 1992 als Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fach- journalistik Geschichte an der Justus- Liebig-Universität Gießen. Berufl ich wirkte er ab 1993 als Persönlicher Re- ferent der Frankfurter Stadtverordneten- vorsteher; er ist seit 2002 Referent von Oberbürgermeisterin Petra Roth. Stemmler wurde 2001 an der Goethe- Universität promoviert mit dem Thema »Die Amtskette des Bürgermeisters. Ihre Geschichte sowie ihre historische Einordnung in Deutschland«; sein Doktor vater war Prof. Dr. Lothar Gall. Auszug aus dem aktuellen Vorlesungsverzeichnis Wintersemester 2009/10: Auch hier sind die Ehrensenatoren und Ehrenbürger an prominenter Stelle aufgeführt. [email protected]

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03 UNI S000_000 2009_03.indd 109 24.11.2009 14:36:24 Uhr Gute Bücher Zwischen Regimetreue und Distanz Frankfurter Wissenschaftler im Nationalsozialismus

s ist nicht leicht, Jubiläen ange- die in Frankfurt wirkten, herausge- zur selbstständigen ideologischen Emessen zu feiern. Besondere griffen, etwa Franz Weidenreich, wel- Missio nie rung (nicht nur) durch Schwierigkeiten machen Jahrestage cher der biologischen Rasseideologie den NS- Dozentenbund, im Zwang von Revolutionen sowie die Jubiläen des Nationalsozialismus einen eher zu einer bestimmten Rhetorik und von Institutionen, die sich als vorbild- environmentalistischen Stammbaum zu regimekompatiblen Ergebnissen. haft sehen, aber nicht immer vorbild- der Menschheit gegenüberstellte Wie kaum anders zu erwarten, teilen haft waren. Als die Feiern zum (Christine Hertler), Heinz Sauermann die Autorinnen und Autoren dieses 90. Geburtstag der Universität Frank- in der Wirtschafts- und Sozialwissen- Bandes, bei aller wissenschaftli- furt zu sehr in Selbstbeweihräuche- schaftlichen beziehungsweise Fried- chen Distanz und Differenzierung, rung auszuarten schienen, kam eine rich Giese in der Juristischen Fakul- die bisherigen Urteile darüber, wer Reihe jüngerer Wissenschaftlerinnen tät (Jan-Ottmar Hesse und Stefan dem Regime fernstand, kaum. In und Wissenschaftler zusammen, um Ruppert). Eher exemplarisch gera- der Wahl der Forschungsthemen durch eine Ringvorlesung die Jahre ten die Ausführungen über das Exil wie in den teils taktischen, teils aber zwischen 1933 und 1945 genauer Frankfurter Gelehrter (Jörn Kobes auch von Überzeugung getragenen zu beleuchten, deren Beiträge in die- beschäftigt sich vor allem mit der Lehrprogrammen war eine direkte sem Band publiziert sind. Auswanderung in die Türkei) sowie Distanzierung nur im Exil zu fi nden, Es ist klar, dass hier keine Institu- über die Universität als Ort der Inter- allenfalls wie im Fall Sauermanns tionengeschichte geboten werden aktion von Studierenden und Lehren- ein Aufsparen von Ideen für die Zeit soll oder kann – diese liegt mit der den (Michael Maaser). »danach«. Universitätsgeschichte von Notker Hammerstein bereits vor. Vielmehr ging es darum, in einer Reihe von Jörn Kobes / Jan-Otmar Hesse (Hrsg.) Fallstudien zu verschiedenen Fä- chern zu überprüfen, welche Spiel- Frankfurter Wissenschaftler 1933 bis 1945 räume Universitäts-, Fakultäts- und (Schriftenreihe des Frankfurter Universi- Institutsangehörige zwischen der tätsarchivs, Bd. 1.) Göttingen, Wallstein »Machtergreifung« und dem Zusam- 2008, menbruch des »Dritten Reichs« im 258 Seiten, wissenschaftlichen Bereich hatten 29 Euro und wie sie diese nutzten. Dabei bedienen sich die einzelnen Kapitel unterschiedlicher Methoden. Oft erweist sich das Format der Dop- pelbiografi e als besonders angemes- sen. So stellt der Beitrag zu den His- Schuld und Entlastung Es entsteht aber zugleich ein kom- torikern (von Carsten Kretschmann) neu bewertet plexeres Bild der Dimensionen von den Neuhistoriker und Rektor Walter Was fügt der Band dem ge- Regimetreue, als es immer noch in Platzhoff und dessen Reden im genwärtigen Kenntnisstand hinzu? vielen Darstellungen zu Universitäten Dienste des Regimes – bis hin zu sei- Zunächst einmal eine Fülle von im Dritten Reich zu fi nden ist. In aller nen Durchhalteparolen 1944 – dem Differenzierungen zu einzelnen Per- Regel nehmen die Autoren dieses Mediävisten Paul Kirn gegenüber. sonen und Institutionen, und zwar Bandes öffentliche Selbstdarstellung, Stellvertretend für die Neueren Philo- in Richtung auf stärkere Schuld wie Publikationstätigkeit und Lehre ge- logien werden der eher angepasste auf stärkere Entlastung. So rückt er trennt in den Blick, sodass die The- Germanist Frank Schultz und der die Selbstinszenierung des Instituts men, meist gestützt auf die Bestände eher distanzierte Romanist Erhard für Neurologie als Ort der Systemdi- des Universitätsarchivs, aus den Quel- Lommatzsch im Beitrag von Frank stanz ebenso zurecht wie umgekehrt len neu erarbeitet wurden. So ist ein Estelmann und Olaf Müller behan- die Annahme, der Germanist Frank ungewöhnlich kohärenter, im Detail delt. Oft würde dieses Muster aber zu Schultz habe sich mit Begeisterung wie im Ganzen untypisch spannender weit greifen – etwa im Fall der Orien- an der Frankfurter Bücherverbren- Sammelband entstanden, der viel- talistik, die nur durch einen Lehrstuhl nung 1933 beteiligt. Allgemein leicht im Rückblick als Highlight der vertreten war (Beitrag von Gudrun macht er den Preis deutlich, der Feiern des Jahres 2004 erscheinen Jäger) – oder zu eng bleiben, wie am für jede weitere wissenschaftliche wird. Es ist zu hoffen, dass selbstkriti- Neurologischen Institut oder am Insti- Betätigung im Nationalsozialismus sche Forschung bei allem Grund zum tut für Völkerkunde und dem gleich- zu zahlen war: in der Wahl der Feiern auch 2014 eine ähnlich promi- namigen Museum, wo komplexere Themen in kriegsrelevanten wie in nente Rolle spielen wird.  Personalkarussells aufzuarbeiten wa- nicht kriegsrelevanten Fächern, in ren (durch Gerald Kreft beziehungs- den bizarren Ritualen der Ideologie- Der Rezensent weise Katja Geisenhainer). Evaluation und der Bewertung von Prof. Andreas Fahrmeir ist Professor In anderen Disziplinen wurden »soft skills« wie Führungsstärke, für Neuere Geschichte an der Goethe- besonders prominente Fachvertreter, Begeisterungsfähigkeit und Fähigkeit Universität.

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04 UNI S000_000 2009_03.indd 110 24.11.2009 14:36:42 Uhr Gute Bücher Mainhattan oder Manhattan? 14 Biografi en, die beide Städte verbinden

er Titel überrascht – ein Vergleich in New York und englischsprachige Schluss des Buches, hinter denen Dvon Frankfurt am Main mit New in Frankfurt. Was ihnen gemeinsam sich Lokale, Geschäfte, Institutionen York? In ihrer Einleitung stellt die Au- ist, sind ihre ganz unterschiedlichen und so weiter verbergen – etwa: torin selbst die Frage, ob es sich da- Berufe und dass sie – wenn man von »Big Apple Greeter« = ehrenamtliche bei um »Hochmut und Größenwahn der Geschichte von Peter Drew ein- Stadtführer; »Blue Note« = hier kann – oder wahnsinnigen Mut handelt? mal absieht – erfolgreich zu sein man vielleicht Berühmtheiten treffen; Selbstbewusstsein oder Selbstüber- scheinen. »Circle Line« = Schiffsrundfahrten; schätzung? Anbiederung oder liebe- Fast liebevoll zeichnet die Autorin »Zabars« = Delikatessen …! Und für volles Kompliment? Oder einfach nur mit dem in ihren Gesprächen Erfah- Frankfurt fi ndet man unter anderem eine schöne Wortspielerei?« Ihre Ant- renen vierzehn »Porträts« derer, die die »Commerzbank Arena«, die wort: »Von allem ein bisschen, viel- ihr (mit Recht) vertrauten. Sie be- »Deutsche Bank Skyliners«, den leicht.« richteten von ihren Motiven, ins Aus- »Ebbelwei-Express« und die »Klein- Der erste Eindruck: ein schönes land zu gehen; von ihren Wegen und markthalle«. und liebevoll gemachtes Buch. Für Umwegen. Im wahrsten Sinne des die lebendige Grafi k sorgte Norbert Wortes bekommen diese Lebensbil- Fotos geben Hetkamp – Hardcover-Einband mit der »Farbe« durch die zahlreichen unlösbare Rätsel auf Fadenheftung – durchgehend ge- Fotos, welche die Foto grafen Anika druckt ist das Buch auf Kunstdruck- Kempf und Ahron Weiner aufgenom- Für Kenner von New York und /oder papier. Einladend ist auch der zwei- men haben. Es gelingt ihnen, die Frankfurt am Main stellen die zahl- geteilte Außentitel: Eine strahlende, Porträtierten in ihrer Umgebung zu reichen Fotos mit Ansichten und farbige Dame (mit Gitarre) vor einem zeigen und die Städte zu skizzieren, Perspektiven der beiden Städte ein Klavier und darunter ein ebenso in der sie eine »neue Heimat« fan- mehr oder weniger schwieriges Rate- sympathisch wirkender junger Mann den, den Ort, an dem ihnen neue spiel dar. Für die Leser, die weder in einer Häuserschlucht. Freunde begegneten und an dem sie die eine noch die andere Stadt ken- Im Buch erfahren wir mehr über sich zu Hause fühlen. Bemerkens- nen, ist diese Aufgabe in den meis- die beiden »Titelhelden«: Dass es wert: Viele betonen ausdrücklich, ten Fällen nicht lösbar. Mit anderen sich um die New Yorkerin Anita dass sie sich nach wie vor auch ihrer Worten: Ein Verzeichnis der Bilder Honis-Bohländer handelt, die vor »alten Heimat« verbunden fühlen. wäre sehr hilfreich! Jahrzehnten die Liebe nach Frank- furt am Main verschlug und die in Frankfurt-Sachsenhausen als Sänge- Ines Stickler rin und Club-Besitzerin des »Balalai- ka« tätig ist – einer Frankfurter Insti- »mainhattanmanhattan – tution! lebensgeschichten aus zwei metropolen« Näheres über den Herrn erfahren Grußworte: Petra Roth, Oberbürgermeisterin von wir unter der Überschrift »Martin Frankfurt am Main, und Dr. Hans-Jürgen Heim- Schoeller – ehrlich, jetzt«. Der gebo- soeth, Generalkonsul der Bundesrepublik Deutsch- land; Frankfurt, rene Münchener verbrachte den B3 Verlag 2008; Großteil seiner Jugend- und Schul- ISBN 978-3-938783-53-5, zeit in Frankfurt – dann zog er weiter 226 Seiten und zahlreiche Abbildungen, nach New York. Dort machte er sich 19,90 Euro. als Porträt-Fotograf einen Namen. Eindrucksvoll liest sich die Liste der Museumsufer oder Es bleibt die Frage, wem ich die- zahlreichen Berühmtheiten aus Museum of Modern Art? ses Buch schenken könnte? Sicher- Kunst und Politik, die seiner künstle- lich insbesondere den – wohl meist rischen Intuition vertrauen. Jedem der Interviewten werden am jungen – Leuten, die sich mit dem Schluss immer die gleichen zehn Gedanken tragen, zumindest einen Mut zum Sprung Fragen gestellt: »Hamburger mit Teil ihres Lebens im Ausland zu ver- Der Rezensent über den großen Teich Käse oder Handkäs mit Musik?«; bringen. Die einzelnen Biografi en zei- Dr. Horst Nising ist »Bahn oder Taxi?«; »Wolkenkratzer gen beispielhaft, wie spannend ein Kunsthistoriker Die Artikel dieser beiden stehen oder Fachwerkhäuser?«; »Museums- solcher Schritt sein kann – wenn und Theologe. Er beispielhaft für das Ziel dieses Bu- ufer oder Museum of Modern Art?«; man ihn denn wagt. Was dazu nötig lehrt unter ande- ches: Es geht um Menschen, die den »Steuben-Schurz-Gesellschaft e.V. = ist, sind – neben guten Sprach kennt- rem an der Uni- Mut besaßen (und besitzen), die ih- die älteste, 1948 in Frankfurt am nissen – vor allem gute Ideen und versität des Drit- nen vertraute Umgebung zu verlas- Main gegründete deutsch-amerikani- der Mut, sich auf Menschen in einer ten Lebensalters sen, um neue Erfahrungen in einer sche Freundschaftsorganisation« … anderen »Welt« einzulassen – bei- an der Goethe- Universität. Seit anderen »Welt« zu machen. Mit dem Keine so gute, sondern eher eine er- spielsweise als Sternekoch oder als fast 40 Jahren Blick auf dieses Ziel interviewte Ines müdende Idee! Das gilt in gleicher Angestellte der Vereinten Nationen, lebt und arbeitet Stickler mit Anteil nehmender Neu- Weise (man mag mir verzeihen) für als Basketballspieler oder Konditions- er in Frankfurt am gier Menschen – deutschsprachige ein »Lexikon« von Begriffen am trainer, als Model oder Musikerin.  Main.

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04 UNI S000_000 2009_03.indd 111 24.11.2009 14:36:42 Uhr Gute Bücher Frankfurter Traditionsunternehmen zwischen Aufschwung und Krise Die Geschichten der Messer Group und der Metallgesellschaft

er lokale wirtschaftsgeschichtli- ihrer Zeit, allein die Wege, die sie als Namensaktien auf einen engen Dche Bezug zu Frankfurt rückt beschritten, die Mittel, die sie zum Kreis von Geldgebern beschränkt zwei Unternehmen in den Blick, die eigenen Erhalt ins Werk setzten, ma- blieben. unterschiedlicher kaum sein könn- chen sie zu interessanten Gegen- ten: Jörg Lesczenski untersucht in ei- ständen historischer und wirtschafts- Die zentralen Männer ner kompakten Studie die Geschich- theoretischer Refl exion. der Familie Messer – te der Messer Group, während ein biografi scher Zugang Clemens Reichel sich in einer Disser- Familienunternehmen versus tation der Metallgesellschaft AG wid- Aktiengesellschaft Um die Geschichte des Unterneh- met. Auf der einen Seite steht also mens Messer nachzuzeichnen, wählt die Betrachtung eines beinahe klas- Zentrales Anliegen von Adolf der Frankfurter Historiker Jörg Les- sischen deutschen Familienunter- Messer und seinen Nachfahren war czenski, der am Lehrstuhl für Wirt- nehmens und auf der anderen dieje- es, so der von Lesczenski vermittelte schafts- und Sozialgeschichte der nige eines von seinen Anfängen an Grundtenor, Prosperität und Famili- Goethe-Universität tätig ist, einen an als Verbund, ungern als Konzern, engebundenheit des Unternehmens die zentralen Personen der Familie auch als Commonwealth identifi zier- zu wahren. Im Blick habe die Fami- und der Unternehmensgeschichte ten, gesellschafterischen Unterneh- lie dabei nicht allein die eigenen In- gebundenen Zugang. Er schreitet da- mens. teressen behalten, sondern auch rin pendelnd zwischen der Geschich- und gerade die Verantwortung ge- te des Unternehmens und den Bio- genüber den Mitarbeitern und der grafi en chronologisch voran, um deutschen Wirtschaft und Gesell- zugleich die Refl exe der Wirtschafts- Jörg Lesczenski schaft. geschichte und die Reaktionen der Die von Wilhelm Merton gegrün- Betriebs- und »Familienführung« 100 Prozent Messer. dete Metallgesellschaft erwuchs darzulegen. Indem er die drei Gene- Die Rückkehr des Familien- zwar auch aus dem Nukleus einer rationen überspannende Geschichte unternehmens 1898 bis heute familiären Unternehmung – der vä- des Unternehmens Messer durch die München 2007, Piper Verlag, terlichen Metallhandlung Phil. A. Co- zentralen Männer der Familie – Adolf ISBN 978-3-492-05085-2, hen –, war aber von ihrem Anbeginn Messer, den Gründer, Hans Messer, 271 Seiten, an als teilhaberisch organisierte Ge- den Weltunternehmer, und den gebunden, sellschaft angelegt, formuliert Cle- »Rückführer« Stefan Messer – er- 24,90 Euro. mens Reichel. Sie hatte sich dem schließt, folgt Lesczenski zugleich ökonomischen Ziel des Handels in dem eigenen wissenschaftlichen Inte- und der Fabrikation von Metallen resse: Lesczenski wurde 2006 mit ei- und Metalloxyden verschrieben. Im ner Arbeit über den Unternehmens- Mehr noch als ihre Frankfurter Mittelpunkt stand nicht die eigene gründer August Thyssen promoviert. Wurzeln jedoch verbinden die bei- Produktion und deren Vertrieb, son- Die Biografi en stehen sinnbildlich den so in den Fokus genommenen dern Merton griff auf eine schon be- für die drei von Lesczenski ausge- Wirtschaftsakteure die Herausfor- stehende »weitreichende Organisati- machten historischen Phasen der derungen, denen sie sich in ihrer on und ein lukratives Geschäft« Messer Group. Adolf Messer ist es, langjährigen Bestandszeit stellen zurück, um – wie er selbst akten- der ausgehend von seinem Studium mussten: Beide entwickelten sich kundig formulierte – neue wirtschaft- des Maschinenbaus in Darmstadt zunächst in prosperierenden Ver- liche Felder zu erschließen. Die das handwerklich-kleinbürgerliche hältnissen, waren aber schon bald Vermittlung zwischen Produzenten Milieu verlässt, indem er eigene Pa- weltweiter Rezession, dem Zusam- und Konsumenten sowie die Bereit- tente zu Beleuchtungen mit Acety- menbruch »normalen« wirtschaft- stellung von Know-how und Dienst- lengasen entwickelte und diese – zu- lichen Handels ausgesetzt; erlebten leistungen für beide Seiten wurden nächst noch in handwerklicher dann erneuten Aufschwung unter zu einem zentralen und beständig Produktion – herstellte, vertrieb und jedoch spätestens im Dritten Reich wachsenden Terrain wirtschaftlicher stetig verbesserte. Der so in Höchst völlig veränderten Bedingungen; be- Betätigung. Ziel und Mittel zugleich begründete Betrieb entwickelte sich währten sich dann in zunehmend war es, die fi nanzielle Unabhängig- rasch; bereits 1899 erfolgte die offener und kompetitiver werdender keit von Banken und »fremden« Übersiedlung nach Frankfurt. Eine weltweiten Wirtschaft. In der Nach- Aktionären zu wahren. Dabei war veränderte Nachfrage machte es nö- sicht meisterten sie all diese wech- das Unternehmen als Aktiengesell- tig, die Produktpalette zu variieren: selnden Konjunkturen erfolgreich. schaft angelegt, seine fi nanzielle Schweißen und Schneiden vermittels Die Zeitläufte teilen die beiden Un- Ausstattung basierte also auf äuße- industrieller Gase wurden zum zent- ternehmen naturgemäß mit allen üb- ren Investitionen, wenn auch die ralen Feld des Betriebs unter Adolf rigen Wirtschaftsunternehmungen Aktien zunächst und relativ lange Messer. Neben der beständigen Ex-

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pansion des eigenen Unternehmens, Lesczenskis Buch stellenweise gar dem Firmenbestehen. 1975 ist dann, die Umzüge und Ausweitungen der wie ein Wirtschaftskrimi, der sich in wie Reichel stringent darlegt, der Produktionsstätten in Frankfurt erfor- realiter wohl tatsächlich um die Akti- Übergang zum multidivisionalen Kon- derlich machte, widmete sich Adolf vitäten Herbert Rudolfs und Gil Ep- zern vollzogen, so dass die betrachte- Messer zugleich der Arbeit in ver- steins um den Jahrtausendwechsel te Zeitspanne hier enden kann. schiedenen Interessenverbänden entspann. Ein Mittel zur Sicherung seiner Branche, zeigte unternehmeri- des eigenen Bestands, so scheint die Clemens Reichel sche und gesellschaftliche Präsenz. Quintessenz nach der Lektüre von Nach dem Einbruch des Ersten Welt- Jörg Lesczenskis Buch zu lauten, Vom Verbund zum Konzern. kriegs führte Adolf Messer das Un- kann in der Besinnung auf die eige- Die Metallgesellschaft AG ternehmen zu alter Stärke zurück nen Traditionen gesehen werden. 1945 – 1975 und darüber hinaus. Als kriegswichti- Schriften zur hessischen ges Unternehmen prosperierte die Mit Multidivisionalität Wirtschafts- und Unterneh- mensgeschichte 8, Adolf Messer AG auch in den Zeiten zum Erfolg? Darmstadt 2008, der nationalsozialistischen Diktatur Hessisches Wirtschaftsarchiv, und im Zweiten Weltkrieg weiter und Einen völlig anderen, systema- ISBN 978-3-9804506-9-0, setzte auch Zwangsarbeiter ein. tisch formulierten und methodisch 332 Seiten, gebunden, erschlossenen Zugang wählt Cle- 32 Euro. Spannend wie ein mens Reichel in seiner Qualifi kati- Wirtschaftskrimi onsarbeit zur Geschichte der Metall- gesellschaft zwischen 1945 und Geschichte im Kontext Hans Messer steht nun in der 1975. Reichel formuliert zunächst der Weltwirtschaft Epochenbildung Lesczenskis für das die These, die Entwicklung der Welt- Aufstreben des Unternehmens zum wirtschaft nach dem Krieg habe – Reichels Ergebnis ist, dass die Me- Global Player. Unter seiner Führung zumindest im Westen – die Tendenz tallgesellschaft sich lange Zeit, dem etablierte es sich weltweit auf den befördert, dass Unternehmen, die allgemeinen Trend zur Divisionalisie- Märkten für Industriegase, für deren erfolgreich bleiben wollten, sich von rung entgegen, in ihren alten Struktu- Produktionsanlagen, für Schneid- funktional organisierten hin zu multi- ren bewährte, darin auch expandier- und Schweißbedarf. Er steht somit divisional ausgerichteten entwickeln te. Erst ab dem Ende der 1960er für den Schritt hinaus aus dem rein mussten. Reichel geht es nun dar- Jahre, nach dem Tod Petersens und familiär geführten Betrieb: Im Jahr um, diese Entwicklung von einem Mertons, habe sich die Überzeugung 1965 fusionierte die Adolf Messer Verbund relativ unabhängiger und der Konzernführung dahin gehend GmbH mit der Firma Knapsack Gries- durchaus selbstbewusst agierender geändert. Lange nachdem also ande- heim AG, die dem Hoechst-Konzern Einzelunternehmen hin zu einem re große Unternehmen längst eine angehörte. Anders, vermutet Les- streng geführten, stärker organisier- neue Organisationsform nach ameri- czenski, sei die weltweite Herausfor- ten und mit zentralen Kontrollorganen kanischem Vorbild angenommen hat- derung nicht zu bewältigen gewesen. ausgestatteten Konzern nachzuzeich- ten, habe man innerhalb der Metall- Unter der Führung von Hans Messer nen. Er macht dabei die Entwick- gesellschaft auf eine Zentralisierung expandierte das Unternehmen in be- lungsschritte klar kenntlich. So soll der Kontrollfunktionen und eine Diffe- achtlichem Maße, warf regelmäßige die formulierte These im Hinblick auf renzierung des Unternehmens nach hohe Gewinne ab, kurz: Es prospe- äußere Ursachen und innere Reakti- Geschäftsbereichen gesetzt. Anders rierte scheinbar unaufhaltsam. Indes onen überprüft werden. als bei Lesczenski stehen in der Be- die Umorientierung des Unterneh- Ergebnis dieses Ansatzes ist eine trachtung der Geschichte der Metall- mens auf allein profi torientierte Ziele detaillierte, wissenschaftlich interes- ge sell schaft die (welt)wirtschaftlichen im Fahrwasser des großen Konzerns sante Unternehmensgeschichte, de- und historischen Verläufe und ihre wie auch eine überhitzte Expansion ren Fokus Reichel auf die Zeitspanne Folgen für den Konzern im Zentrum, unter dem von der Hoechst AG ein- zwischen dem Ende des Zweiten nicht etwa die Biografi en einzelner gesetzten Herbert Rudolf brachten Weltkriegs und dem Jahr 1975 legt. Persönlichkeiten. das Unternehmen nach dem Aus- Die großbürgerlich-jüdischer Tradition Die Zugänge und Intentionen der scheiden Hans Messers an den Rand entstammende Metallgesellschaft Bücher Lesczenskis und Reichels der Krise, machten es gar zum Spiel- habe mit der »Arisierung« des Unter- sind sicher ebenso unterschiedlich ball fi nanziell potenter Investoren. nehmens im Dritten Reich ihren ei- wie ihre jeweiligen Studienobjekte. Nun ist es in Lesczenskis Analyse gentlichen Charakter verloren, der je- Gleichwohl verbindet die beiden Auto- Hans Messers Sohn Stefan, der sich doch nach dem Kriege und der ren nicht allein ihre Bindung an die diesen gefährlichen und in Teilen »Rückkehr« vormaliger Führungsper- Frankfurter Forschung, sondern mehr auch kriminellen Entwicklungen stellt sönlichkeiten wie Rudolf Euler, Alfred noch das Interesse an Ursachen und und in zähem Ringen mit dem über- Petersen und Richard Merton, dem Wirkungen wirtschaftlicher Beziehun- mächtigen Konzern, mit Investoren Sohn des Firmengründers Wilhelm gen und der Beständigkeit von Tradi- und auch der eigenen Familie den Merton, wiederhergestellt worden sei. tionsunternehmen – ein Interesse, Charakter des Familienunternehmens Die alten Strukturen und der Charak- das aktueller nicht sein könnte.  zurückerkämpfte und das Unterneh- ter des Unternehmens waren so de men – nach Gesundschrumpfung facto nach 1945 dieselben wie vor Der Rezensent und Konsolidierung – zurück ins ruhi- dem Krieg, so Reichel zur Wahl sei- Andreas Weidemann, 30, studierte Mittlere und Neuere gere Gewässer der eigenen Traditio- nes Untersuchungszeitraums; dieser Geschichte und Politik wissenschaften in Frankfurt und ist nen führte. In diesem Teil liest sich ist eben nicht deckungsgleich mit Mitarbeiter im Präsidium der Goethe-Universität.

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04 UNI S000_000 2009_03.indd 113 24.11.2009 14:36:44 Uhr Gute Bücher »Fasse Dich kurz!« Das Neue Frankfurt der 1920er Jahre war kein Stil, sondern eine soziale Haltung

or 80 Jahren, am 24. Oktober Rhein-Main-Gebiet mit seinen etwa Das zweite Kapitel entfaltet die V 1929, kamen auf Einladung der vier Millionen Einwohnern in Zukunft Stadterweiterungen, die im 19. Jahr- Stadt Frankfurt etwa 130 Fachleute weiter und bedarf angesichts der hundert begannen. Frankfurt wuchs, aus ganz Europa zu einer Architektur- wirtschaftlichen Entwicklung einer wie viele europäische Städte, um ein Tagung zusammen, die als CIAM II in weitsichtigen Planung. winziges Zentrum herum, wurde mit die Baugeschichte einging. Frankfurt Vor diesem Hintergrund zeigt das den Häfen und dem Bahnhof für die konnte sich deshalb als Gastgeber im August erschienene Buch mit Industriezeit vorbereitet und erhielt empfehlen, weil seine entschlossene etwa 250 aktuellen Fotografi en von durch die Eingemeindungen von Ort- Stadtverwaltung in der damals schon Uwe Dettmar und Elmar Lixenfeld schaften wie Bornheim oder Bocken- von Singles geprägten Mainmetropole die Stadt Frankfurt des Jahres 2009. heim und die Stadt Höchst einen ge- seit 1926 eine Lösung für die katast- Mit seinem suggestiven Umschlag- waltigen Flächenzuwachs. Ihrem rophale Wohnungsmisere vorantrieb: foto und dem schlichten Buchtitel Großbürgertum verdankt die Stadt Unter dem visionären Oberbürger- »Frankfurt am Main« wirkt es nahezu alle Parks, den Palmengar- meister Ludwig Landmann und sei- zunächst zwischen all den Frankfur- ten, die Museen, Krankenhäuser und nem Baudezernenten Ernst May wur- tensien wie ein anspruchsvoller Bild- Forschungseinrichtungen. Und nicht de in kaum fünf Jahren das größte band. Doch schon das Inhalts ver- zufällig wurden die Senckenbergi- Wohnungs- und Siedlungsprogramm zeichnis macht deutlich: Hier geht es schen Stiftungen und die Universität realisiert, das Frankfurt je erlebt hatte. um eine ungewöhnliche Zusammen- in Bockenheim gegründet. Die Konti- Niemand konnte damals ahnen, dass schau von Stadtgeschichte und Ge- nuität zieht sich bis zur Frankfurter ausgerechnet an jenem 24. Oktober genwart. Die Bildauswahl ist überra- Schule und zu den Hausbesetzun- 1929, dem Schwarzen Donnerstag, schend, sie hinterfragt die vielen gen der frühen 1970er Jahre im die Weltwirtschaftskrise begann, die oberfl ächlichen Klischees dieser Westend, durch welche die staatliche nicht nur den hoffnungsvollen Anfän- Stadt. Der Grafi ker Lixenfeld, der Fo- Denkmalpfl ege rückblickend ganz gen des Neuen Bauens ein brutales tograf Dettmar und die Bauhistorike- wichtige Impulse erhielt. Ende bereiten sollte. rin Angela Pfotenhauer weisen an Das dritte Kapitel widmet sich exemplarischen Stellen im Stadt- dem Leben in der Stadt des 20. und raum – an bekannten Wahrzeichen 21. Jahrhunderts. Frankfurt hat den Angela Pfotenhauer, ebenso wie an von Kunsthistorikern unschätzbaren topografi schen Vorteil, Elmar Lixenfeld, Uwe Dettmar meist übersehenen Siedlungshäu- seine Lage am Fluss, mit dem Kon- sern – darauf hin, welch große städ- zept des kilometerlangen Grüngürtels Frankfurt am Main tebauliche Qualitäten die oft geschol- weiterentwickelt, hat mit dem Muse- Verlag und Herausgeber tene Bankenmetropole besitzt. In der umsufer auf die Fehlplanungen des Deutsche Stiftung Denkmal- Tat begreift man schon bei fl üchtiger Wirtschaftswunders reagiert und schutz, Durchsicht der Seiten, dass die aus konnte die Siedlungsprogramme des Monumente-Publikationen, fast 40 Dörfern und Stadtteilen zu- Neuen Frankfurt im Niddatal durch Bonn 2009, 144 Seiten, sammengesetzte Handelsstadt im- Großprojekte wie etwa den Riedberg ISBN 978-3-86795-009-1 mer schon eine durch und durch in zeitgenössischer Gestalt fortsetzen. (Paperback), 14,80 Euro, vom Bürgertum geprägte Stadt ist. Neue Wohn- und Arbeitskonzepte re- ISBN 978-3-86795-008-4 Im ersten der drei Kapitel über vitalisieren die alten innerstädtischen (Festeinband), 19,80 Euro. das Zentrum dürften selbst alteinge- Industriehäfen am Main. Und nicht sessene Frankfurter von etlichen zuletzt beginnen viele Frankfurter, die Genau 80 Jahre später, am Perspektiven überrascht sein. Die lange übersehene Menge avantgar- 23. Oktober 2009, diskutieren aus Bildauswahl hat wenig mit dem dis- distischer Architektur der klassischen Anlass des CIAM-Jubiläums Archi- tanzierten akademischen Blick auf Moderne in Frankfurt zu entdecken. tekten, Kunsthistoriker und Stadtpla- Architektur zu tun; sie illustriert im- Eines sagt dieses Buch in aller Deut- ner über das gleiche Thema – dieses mer exemplarisch einen Bedeu- lichkeit: Was das Bauhaus unter Wal- Mal in der Goethe-Universität mit tungszusammenhang, den die wohl- ter Gropius von Dessau ausgehend Beteiligung ihrer Wissenschaftler. durchdachte Einheit von Text und gefordert hatte, wurde in den 1920er Der jüngste Bankencrash ist ein Jahr Bildfolgen vermittelt. Dabei ist der Jahren in Frankfurt in großem Stile in her. Wie in den 1920er Jahren Text wohltuend voraussetzungslos, die Praxis umgesetzt. Deshalb stand reagiert das Stadtplanungsamt mit was das Buch auch für fächerüber- über Ernst Mays Schreibtisch im einem weitsichtigen Bauprogramm – greifende Schulprojekte in Geschich- Frankfurter Hochbauamt 1926: jetzt unter dem Namen te und Kunst empfi ehlt. Fachbegriffe »Fasse Dich kurz!«  »2009 – 2013« – auf die Notwendig- wie das Neue Bauen oder die Neue keit, bezahlbare, senioren- und be- Frankfurter Schule werden im Zu- Die Rezensentin hindertengerechte Wohnungen zu sammenhang erklärt, Stilbegriffe Ulrike Jaspers, 53, ist Referentin für schaffen. Denn während andere Re- möglichst zugunsten einer klaren Wissenschaftskommunikation an der gionen schrumpfen, wächst das Beschreibung vermieden. Goethe-Universität.

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04 UNI S000_000 2009_03.indd 114 24.11.2009 14:36:44 Uhr Das nächste Mal

Die nächste Ausgabe von »Forschung Frankfurt« erscheint im Mai 2010 Blut ist ein ganz besonderer Saft

as wusste schon Mephisto in Goethes »Faust«. Von engagierten Men- Dschen heißt es, sie ließen viel Herzblut in ihre Arbeit fl ießen. Intuitiv halten wir Kinder mit geröteten Wangen für vitaler als Blasse und Blutar- me. Das spiegelt die Tatsache, dass Krankheiten des Blutes lebensbedrohli- che Formen annehmen können. Denken wir an die Bluterkrankheit, Blut- krebs oder Defekte der weißen Blutkörperchen des Immunsystems. Alle diese Krankheiten sind auf Gendefekte zurückzuführen und treten oft schon in der frühen Kindheit auf. An der Goethe-Universität gibt es ein weit verzweigtes und international verfl ochtenes Netz von Forschungs- kooperationen. Sie haben sich der Erforschung, Diagnostik und Therapie dieser Krankheiten verschrieben. In der nächsten Ausgabe von Forschung Frankfurt werfen wir einige Schlaglichter auf ihre Arbeiten und versu- chen, die Faszination für den besonderen „Saft“ zu vermitteln, der unse- ren Organismus über ein fein verästeltes Netz aus Venen und Arterien am Leben erhält.

Wissenschaftsmagazin der Goethe-Universität Forschung intensiv – Literaturgeschichte: Seite 18 bis 22: Fotos Freies Deutsches Hochstift Frankfurt am Main; Seite 22: Autorenfoto von Dettmar. Impressum Forschung intensiv – Stadtsoziologie: Seite 23: Foto von Dettmar; Seite 24: Foto oben Herausgeber: Der Präsident der Goethe-Universität Frankfurt am Main vom Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main; Seite 24: Foto unten von dpa V.i.S.d.P. Dr. Olaf Kaltenborn, Leiter der Abteilung Marketing und Kommunikation Picture-Alliance, Frankfurt; Seite 25: Fotos von Dettmar; Seite 26: Modell oben von KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt am Main; Seite 26: Modell unten von Redaktion: Ulrike Jaspers, Diplom-Journalistin, Referentin für Wissenschafts- Dominik Mangelmann, Offenbach; Seite 27 und 28 unten: Fotos von Dettmar; Sei- kommunikation (Geistes- und Sozialwissenschaften), te 28: Foto oben vom Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main; Seite 29: Senckenberganlage 31, Raum 1059, 60054 Frankfurt am Main, Foto links vom Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main; Seite 29: Foto Mit- Telefon (069)798-23266, Telefax (069) 798-28530 te von Dettmar; Seite 29: Foto rechts von KSP Jürgen Engel Architekten, Frankfurt E-Mail: [email protected] am Main; Seite 29: Autorenfoto von Dettmar. Dr. phil. Anne Hardy, Diplom-Physikerin, Referentin für Wissenschafts- kommunikation (Naturwissenschaften und Medizin), Forschung intensiv – Immoblienmärkte: Seite 30: Foto von Dettmar; Seite 32: Foto Senckenberganlage 31, Raum 1059, 60054 Frankfurt am Main, von Dettmar; Seite 33: Fotos von dpa Picture-Alliance; Seite 31 bis 33: alle Grafi- Telefon (069)798-28626, Telefax (069) 798-28530 ken von schreiberVIS nach von Vorlagen Heeg/Dörry; Seite 34 bis 36: alle Fotos E-Mail: [email protected] von Dettmar.

Vertrieb: Helga Ott, Senckenberganlage 31, Raum 1052, 60054 Frankfurt am Forschung intensiv – Arbeitsmarktforschung: Seite 37: Foto von ullstein bild, Berlin; Main, Telefon (069) 798-22472, E-Mail: [email protected] Seite 38 bis 42 alle Grafiken von Schreiber nach Vorlagen Larsen/Neisen; Seite 39: Foto von Dettmar; Seite 40: Fotos oben von dpa Picture-Alliance, Foto unten Forschung Frankfurt im Internet ullstein bild; Seite 41: Foto von Müller (privat); Seite 42: Foto ullstein bild; Seite www.muk.uni-frankfurt.de / Publikationen / FFFM / index.html 43: Autorenfoto von Dettmar

Anzeigenvermarktung: Zeitungsanzeigengesellschaft RheinMainMedia mbH, Forschung intensiv – Teilchenphysik: Seite 44: Foto von Dettmar, Seite 45: GSI Darm- Frankenallee 71 – 81, 60327 Frankfurt, www.rheinmainmedia.de stadt, Seite 46: Fotos von Dettmar, Seite 47: Grafiken von schreiberVIS nach ei- Ansprechpartner: Reinhold Dussmann, Telefon: 069 7501 4183, nem Entwurf von Fröhlich, Seite 48: Foto Mitte: Mathieu Goffe (IPHC, Straßburg), E-Mail [email protected] und Holger Kranz, Tel: 069 7501 4179, Foto unten GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung, Seite 49: alle Fotos E-Mail [email protected]. von Dettmar.

Druck: Societätsdruck, Westdeutsche Verlags- und Druckerei GmbH, Forschung aktuell: Seite 50 und 51: alle Fotos von Dettmar; Seite 52: Foto oben Kurhessenstraße 4 – 6, 64546 Mörfelden-Walldorf von Brigitte Friedrich, Köln; Seite 52: Foto unten aus Wikipedia; Seite 53 bis 55: fast alle Abbildungen und Fotos von Freigang, Frankfurt; Seite 55: Foto unten von Illustrationen, Layout und Herstellung: schreiberVIS, Joachim Schreiber, Dettmar; Seite 57 bis 60: alle Fotos von Dettmar; Seite 61 bis 63: alle Abbildun- Villastraße 9A, 64342 Seeheim, Tel. (06257) 962131, Fax (06257) 962132, gen von Sander (Quellenangabe beim Bild); Seite 65: Foto von Hans Retzlaff, ull- E-Mail: [email protected], Internet: www.schreibervis.de stein bild, Berlin; Seite 66: Foto oben von Rolf Oeser, Frankfurt, Foto Mitte von Fernando Baptista, Buchcover unten: Die schönsten Kinderspiele in Dietzenbach Grafisches Konzept: Elmar Lixenfeld, Büro für Redaktion und Gestaltung, (Von früher – für heute), Dietzenbach, August 2002, AK Schule und Museum, Sei- Werrastraße 2, 60486 Frankfurt am Main, Telefon (069) 7075828 te 67: Fotos von Dettmar; Seite 68 und 69 oben: Fotos von IDeA; Seite 68: Sta- E-Mail: [email protected] tisktik unten nach Zahlen des statistischen Bundesamts, Stand 2005; Seite 69 unten: Zeichnung aus LiSe-DaZ von Schulz & Tracy (in Vorbereitung); Seite 71 bis Bezugsbedingungen: »Forschung Frankfurt« kann gegen eine jährliche Gebühr von 73: Fotos von Dettmar; Seite 74: Foto von Bayer Business Services GmbH, Corpo- 15 Euro abonniert werden. Das einzelheft kostet 5 Euro. einzelverkauf u. a. im rate History & Archives; Seite 75 und 76: Bilder von Evonik Industries AG, Konzer- Buch- und Zeit schriftenhandel in Uni-Nähe und beim Vertrieb. narchiv Frankfurt am Main; Seite 77: Foto von Anja Lungwitz, Seite 78 oben: Foto Für Mitglieder der Vereinigung von Freunden und Förderern der Johann Wolfgang von Anna Stenik, Seite 78 unten und Seite 79: Fotos von Anja Lungwitz Goethe-Universität Frankfurt am Main e. V. sind die Abonnementgebühren für »Forschung Frankfurt« im Mitgliedsbeitrag enthalten. Perspektiven: Seite 80: Foto von dpa Picture-Alliance; Seite 81 und 82: Fotos von Hinweis für Bezieher von »Forschung Frankfurt« Dettmar; Seite 83 bis 86: alle Fotos von Dettmar; Seite 87 und 88: Foto von Dett- (gem. Hess. Datenschutzgesetz): Für Vertrieb und Abonnementverwaltung von mar; Seite 89 und 90: Fotos vom Architekturbüro Ferdinand Heide; Seite 91: Foto »Forschung Frankfurt« werden die erforderlichen Daten der Bezieher in einer auto- von Dettmar; Seite 92: Foto von dpa Picture-Alliance; Seite 93: Foto oben ullstein matisierten Datei gespeichert, die folgende Angaben enthält: Name, Vorname, An- bild, Berlin; Seite 93: Foto Mitte: von dpa Picture-Alliance; Seite 94 bis 97: alle schrift, Bezugszeitraum und – bei Teilnahme am Abbuchungsverfahren – die Bank- Fotos von Dettmar. verbindung. Die Daten werden nach Beendigung des Bezugs gelöscht. Die Beiträge geben die Meinung der Autoren wieder. Der Nachdruck von Beiträgen Stifter und Sponsoren: Seite 98 oben: Foto von Dettmar, unten Foto von Hans-Georg ist nach Absprache möglich. Kleinmann, Frankfurt.

Bildnachweis Stadt- und Universitätsgeschichte: Seite 100 bis 102 und Seite 103 oben: Universi- tätsarchiv der Goethe Universität Frankfurt am Main, Seite 103 unten: Institut für Titelbild: Foto von Uwe Dettmar, Frankfurt. Stadtgeschichte Frankfurt am Main, Seite 104: Fotos aus dem Historischen Muse- um Frankfurt am Main; Seite 106: Foto unten von Uwe Dettmar; Seite 107 und Editorial: Foto von Jérôme Gravenstein, Frankfurt. 108: Dokumente aus Universitätsarchiv der Goethe Universität Frankfurt am Main; Seite 107: Foto Privatbesitz Peter-Janus Graf von Monteglas; Seite 109: Medaille Inhalt: Hinweise bei den jeweiligen Beiträgen. aus Universitätsarchiv der Goethe Universität Frankfurt am Main; Seite 109 oben: aus Who‘s Who in China. Biographies of Chinese Leaders. Shanghai: The China Kompakt: Seite 4: Foto von Dettmar; Seite 6: Foto aus dem Uwe-Johnson-Archiv, Weekly Review, 1936 (5.Aufl.), Titel und S. 165. Frankfurt; Seite 7: Foto Dettmar; Seite 9: Foto von Dettmar; Seite 11: Fotos von Alexander Heimann, Frankfurt; Seite 12: Foto von Stefan Feder, Frankfurt; Seite 14: Foto von Tina Kühr, Frankfurt; Seite 15: Fotos von Dettmar; Seite 16 und 17: Fotos von Antje Langer, Frankfurt.

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