<<

L E T I P Die Geschichte der 5 SAARBRÜCKER ZEITUNG A K

5/01 5/02 L E

T Die Geschichte der I P

A 5

K SAARBRÜCKER ZEITUNG

1. Die Saarbrücker Zeitung ist 250 Jahre alt ...... Seite 5/04

2. Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung ...... Seite 5/06

3. Die Geschichte des Landes im Spiegel der SZ ...... Seite 5/13

4. Die Weltgeschichte im Spiegel der SZ ...... Seite 5/20

5/03 1. DIE SAARBRÜCKER ZEITUNG 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IST 250 JAHRE ALT

Entwicklung Vom kleinen „Wochen-Blat“ zur großen Regionalzeitung

Modernisierung Wie die SZ Jahre zum modernen Medienhaus wurde

Zukunft Ein breit aufgestelltes Kommunikations-Unternehmen

MONTAG, 30. MAI 2011 250 JUBILÄUMSBEILAGE 1

1761 – 2011 Die ungewöhnliche Geschichte der SZ

5/04 1. DIE SAARBRÜCKER ZEITUNG

5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IST 250 JAHRE ALT

Die SZ-Chronik

5/05 2. DIE GESCHICHTE DER 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG SAARBRÜCKER-ZEITUNG

5/06 2. DIE GESCHICHTE DER 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG SAARBRÜCKER-ZEITUNG

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Die Zeitungsgründung 1761 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG ist eine der ältesten Zeitungen in Deutschland. Wilhelm Heinrich von Nassau-Saarbrücken, der von 1718 bis 1768 in Saarbrücken lebte, gründet 1761 „Des Nassau-Saarbrückischen Wochen-Blats“. Das Blatt ist keine Zeitung im heutigen Stil. Nachrichten und Neuigkeiten über das regionale, nationale oder weltweite Geschehen sucht der Leser vergebens. Das „Wochen-Blat“ ist ein Anzeigenheftchen, ein so genanntes Frag- und Anzeigenblatt. „Blättert man in den frühesten noch erhaltenen Exemplaren des Nassau-Saarbrückischen Wochen-Blats, wird eine gewisse Enttäuschung nicht ausbleiben: Während Preußen und Rußland einen Beistandspakt schließen, bietet auf Seite 1 Herr Knobloch, Gastwirth zum Schwanen in Forbach, „büchene“ Holzkohle an, mit präziser Ortsangabe: „Einen Büchsenschuß vom Zollstock gegen Forbach zu.“ Ja, selbst lokale Aktualitäten wie der Tod des Fürsten Wilhelm Heinrich (der doch das Blatt gegründet hat) finden in den Ausgaben von 1768 keine Beachtung. Statt dessen fordert das Fürstliche Oberamt alle Schuldner eines Bürgers auf, sich zu melden, da ein „Concursus“ drohe.“ (Dieses Zitat und die weiteren Informationen stammen aus dem Buch „Saarbrücker Zeitung, Begleiter der saarländischen Geschichte“).

Die Intention zur Zeitungsgründung diktiert der Fürst dem Kanzleischreiber Vogt am 24. Januar 1761: „Alle Vortheile und Bequemlichkeiten, welche man anderswo von den Frag- und Anzeigblättern hat“, will der Fürst seinen Untertanen zugute kommen lassen. „Wer Geld und andere Sachen zu lehnen oder zu verlehnen begehrt, wer etwas kaufen oder verkaufen, miethen oder vermiethen will“, der könne dies in das neue Blättchen setzen lassen, aber auch, „wer etwas verloren hat, und es gerne wieder hätte, wem etwas gestohlen worden ist, und so weiter“, der könne sich nun „viel mühsames Herumfragen von Hauß zu Hauß, ja oft von Ort zu Ort, erspahren.“ Auch „Personen, die gerne mit ihrer Arbeit in der Stille auf ehrliche Art sich etwas verdienen wollen, können durch dieses Mittel, ohne öffentlich genannt zu werden, auf die bequemste Art sich anbieten.

Der Fürst will die Menschen nicht aufklären, sondern das Wirtschaftsleben in seinem Fürstentum unterstützen. Verleger wird der Hofbuchdrucker Bernhard Gottfried Hofer. Die einzelne Zeitung kostet ein Kreuzer, das Abonnement 20 Kreuzer im Jahr. Ab Ostern 1761 erscheint das Blatt wöchentlich unter dem Titel „Nassau-Saarbrückisches Wochen-Blat“. Die Auflage wird einige hundert Exemplare betragen haben. Von den ersten drei Jahrgängen gibt es allerdings keine mehr, das älteste bekannte Blatt stammt vom 25. September 1764. Gedruckt wird das Wochenblatt auf einer hölzernen Handpresse. Pro Stunde entstehen so etwa 100 Exemplare.

5/07 2. DIE GESCHICHTE DER

5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG SAARBRÜCKER-ZEITUNG

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Die Zeitungsgründung 1761 Der karge Inhalt des Wochenblattes mit Kauf- und Verkaufsangeboten, Verlustmeldungen, Wochenmarkt- preisen und Bekanntmachungen der fürstlichen Regierung ändert sich in den folgenden drei Jahrzehnten kaum. Trotzdem spiegelt sich in den Veröffentlichungen auch ein wenig das Leben in Saarbrücken wieder.

Einige Beispiele: Da wird ein „halbes Hauß in der Vorstadt dahier angeboten, solches besteht in einer Stub, Stubenkammer, helle Küche, ein Kammer im dritten Stock, einem halben Speicher, verschlossenem Keller, ein Stall, und über dem Stall der Heustock, Platz für Dung zu legen.“ „Bei des Weinhändlers Herrmann seiner Frau ist rechter guter frischer pfälzer rother Kleesamen zu holen.“ Da wird eine Magd gesucht, „von guter Aufführung und Sitte, die auch etwas kochen und spinnen kann.“ Da musste jeder, der zum ersten Mal „Heurathen“ wollte, zum beweise, dass er „sich ehrlich ernähren“ könne, eine Probe im Schreiben ablegen, oder drei Gulden ans Hospital bezahlen.

Die ersten richtigen Nachrichten: Saarbrücker Wochenblatt 1792 marschieren die französischen Revolutionstruppen in Saarbrücken ein. Ungerührt vermeldet das Nassau-Saarbrückische Wochen-Blat, dass „ein fast noch neuer blecherner schöner Luneviller Stuben- Ofen mit Zierrathen“ zu haben sei. Dies war vermutlich die letzte Ausgabe. Zwei Jahre später, 1794, soll Hofer erneut das Blatt herausgegeben haben. Bis heute wurde aber kein Exemplar gefunden. Der Titel lautete damals „Saarbrücker Wochenblatt“. Erste Ausgaben des Saarbrücker Wochenblattes sind seit April 1802 erhalten. In diesem gibt es auch erste politische Nachrichten. So erfährt der Leser, dass ein Frieden zwischen England und Frankreich bevorstehe. Dieser Friede von Amiens war schon vier Wochen vor der Veröffentlichung geschlossen worden. Ein Beispiel für die Langsamkeit der Nachrichtenüber- tragung in jener Zeit. In den folgenden Jahren werden die Leser Woche für Woche mit knappen politischen Nachrichten aus Europa versorgt. Allgemeine Themen kommen nun auch hinzu: „Krankheiten des Rindviehs“ oder „Vom Beschneiden der Fruchtbäume“.

5/08 2. DIE GESCHICHTE DER 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG SAARBRÜCKER-ZEITUNG

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Das Saarbrücker Intelligenz-Blatt Seit 1809 nennt sich die Zeitung „Saarbrücker Intelligenz-Blatt“. Ende 1815 kommt Saarbrücken zu Preußen. Damit ändern sich auch Stil und Inhalt des Intelligenz-Blattes. Viele amtliche Nachrichten der preußischen Regierung werden veröffentlicht. Das Blatt erscheint immer noch einmal in der Woche mit vier Seiten. Die Zeitung hat auch einen hohen Nutzwert. Denn sie veröffentlicht Umrechnungstabellen. Maße, Gewichte und Münzen aus der Franzosenzeit werden durch preußische ersetzt. Die Umrechnungs- tabellen im Intelligenz-Blatt sind unentbehrlich. Ein Beispiel: Wer Steinkohle nach Fudern zu kaufen gewohnt war, erfährt aus der Zeitung, dass das Königlich Preußische Bergamt nun Berliner Centner einführt, nach folgender Umrechnungsregel: ein altes Fuder = 29 Centner, elf Pfund kostet nun ein Reichstaler, zwei Groschen und sechs Pfennig.

Um 1816 gibt es erste Anfänge eines Feuilletons. Das Blatt beginnt eine Folge von Fortsetzungsberichten über landesgeschichtliche Themen, den Anfang macht die Geschichte der Alten Brücke.

1820 stirbt Christian Hofer nach dreißigjähriger Tätigkeit als Verleger und Drucker. Noch unter Fürst Ludwig hatte er das Blatt übernommen. In den folgenden 20 Jahren führt nun„Wittwe Hofer“ das Blatt. Lange Zeit muss die Witwe Hofer den staatlichen Zensoren Woche für Woche ein Exemplar ihres unpolitischen Blättchens vorlegen und mit ihrer Unterschrift für den Inhalt bürgen.

Saarbrücker Anzeiger Am 23. September 1836 erfährt der Leser, dass Witwe Hofer, „um dem Wunsche vieler Abonennten zu entsprechen“, Format und Inhalt erweitern und das Blatt unter dem Titel „Saarbrücker Anzeiger“ nun zwei Mal wöchentlich herausgeben will. Mit der Meldung, dass in Quierschied sechs Feldarbeiter vom Blitz erschlagen wurden, findet zum ersten Mal eine regionale Nachricht Aufnahme. Dennoch erschöpft sich die neue Initiative noch längere Zeit in landwirtschaftlichen Aufsätzen, Anekdoten, Gedichten und einem Kalenderspruch. 1838, nachdem die Zensurbehörden die Aufnahme politischer Artikel erlaubten, druckt das Blatt Auszüge aus anderen Zeitungen ab. Eine „Kronik des Tages“ kommt hinzu, Fortsetzungsromane, Beschauliches und Rätsel. Der Lesestoff wächst.

5/09 2. DIE GESCHICHTE DER 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG SAARBRÜCKER-ZEITUNG

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Saarbrücker Anzeiger Am 20. November 1839 übernimmt Anton Traugott Hofer Verlag und Druckerei von seiner Mutter. Erscheinungsbild und Aktualität des Blattes verbessern sich, die Informationen werden reichhaltiger. Vor allem: Zum ersten Mal wird eine eigene redaktionelle Meinung erkennbar. Äußeres Anzeichen hierfür ist, dass vom 21. Mai 1846 an zur deutlichen Abgrenzung der Nachrichten vom Inseratenteil der Name eines Redakteurs genannt wird. Es ist Johann Wilhelm Elsermann, Mathematik- und Naturwissenschaftslehrer am Saarbrücker Gymnasium. In den folgenden Jahren bietet der Anzeiger schon das einer „richtigen“ Zeitung: großes Format, ausführliche Berichte über drei Spalten, viele Nachrichten aus aller Welt. Allerdings fehlen noch die Schlagzeilen. Auch ist die Informations - beschaffung nicht einfach. Bei manchen Meldungen heißt es noch: Soeben durch Estafette (reitender Eilbote) eingetroffen. 1848 gibt es die erste telegraphische Depesche. Aber manches Mal auch noch den einfachen Postweg. Ein Beispiel: „Ein Privatbrief aus Metz von heute meldet: Gestern abend um sieben Uhr wurde in die Republik proklamiert.“

Die Saar-Zeitung Vom 22. September 1848 an heißt das Blatt “Saar-Zeitung” und erscheint vier Mal in der Woche. Und zwar nachmittags, „um den verehrlichen Lesern die Berliner und die französischen Begebenheiten noch am Tage ihres Eintreffens mitteilen zu können.“

Saarbrücker Zeitung 1861, hundert Jahre nach der Gründung, ändert die Zeitung erneut ihren Namen. Sie heißt nun bis heute Saarbrücker Zeitung. „Vernunft, Bildung und Humanität“ nennt die Zeitung bei dieser Gelegenheit als ihre Leitbegriffe. Die Belagerung von Paris 1870 beschert der Saarbrücker Zeitung einen außergewöhnlichen Rekord, sie veröffentlicht die erste Luft- postmeldung der Zeitungsgeschichte. Eine Information, die mit Hilfe eines Ballons übermittellt wurde.

5/10 2. DIE GESCHICHTE DER 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG SAARBRÜCKER-ZEITUNG

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Saarbrücker Zeitung 1894 hat die SZ eine Auflage von 1900 Exemplaren, 1900 schon 12 000, 1910 sind es 26 500 Exemplare täglich. Der Umfang wächst auf 16 bis 24 Seiten, zehn bis 15 davon sind Anzeigenseiten. 1912 werden zwei Rotationsmaschinen in Betrieb genommen, die Mitarbeiterzahl ist bei 200 angelangt. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges steigt die Auflage auf 40 000 an, der Umfang beträgt häufig 30 Seiten.

Während des Krieges ist die SZ die führende Informationsquelle im Land. Dies belegt auch die Auflagen - steigerung auf 58 000 Exemplare. Neben dem damals üblichen Hurra-Patriotismus („Der König ruft“, „Ein ewig Volk“) zitiert die SZ auch immer wieder Reden und Publikationen der Gegner und veröffent - licht auch fremde Heeresberichte. Oft genug zeigen weiße Flecke, dass bestimmte Passagen der Zensur nicht gefielen. 1917 erreicht die Auflage 70 000 Exemplare, eine Zeit lang sogar 130 000.

Nach Ende des Krieges 1918 erlebt auch die SZ schwere Zeiten: Papiermangel, Ausfall der Energiever - sorgung, Abonnentenschwund durch die Isolation des Saargebietes, Beschlagnahmungen. Ein großes Problem ist die Absicht der Franzosen, die Zeitung für ihre Propaganda einzuspannen. Harte Strafen drohen für Meldungen, die der Zensurstelle missfallen. Im Februar 1920 wird die SZ für acht Tage verboten. Auslöser waren ein Artikel über die katastrophale wirtschaftliche Lage weiter Bevölkerungs - kreise und auch das Eintreffen der Völkerbundskommission in jenen Tagen.

Das unbequeme Blatt wird für eine Zeitlang mundtot gemacht. Schon im August 1920 wird die SZ für vier Wochen verboten, weil sie Kundgebungen der streikenden Beamtenschaft veröffentlicht hatte. Verleger und Redakteure fliehen vor der Verhaftung, als gefährliche Elemente wird ihnen die Ausweisung nachgeschickt. Ein Vierteljahr lang wird die Zeitung von einer Rumpf-Redaktion in Saarbrücken mit Hilfe von Kollegen in hergestellt.

Verleger Richard Hofer resigniert in dieser Situation. Er verkauft seinen 60-prozentigen Anteil an die Konkordia GmbH, eine Treuhandgesellschaft mit Rückendeckung durch deutsche Regierungsstellen. Im Dezember darf die Redaktion wieder an ihren Arbeitsplatz zurück. 1921 werden Druckerei und Verlag in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, deren Anteile von der Konkordia und einer Gruppe saarländischer Industrieller gehalten werden.

5/11 2. DIE GESCHICHTE DER 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG SAARBRÜCKER-ZEITUNG

Die Geschichte der Saarbrücker Zeitung

Saarbrücker Zeitung 1935 votieren 90 Prozent der Saarländer für den Anschluss an Deutschland, das damals schon fest in Nazi-Hand war. Nach der Machtübernahme durch die Nazis werden auch SZ-Redakteure entlassen. Der Wirtschaftsredakteur Ludwig Kreutz wird sogar vier Wochen eingesperrt. Sein „Vergehen“: Er hat sachlich über den Prozess gegen einen jüdischen Brauereibesitzer berichtet. Die SZ wird von den Nazis gleichgeschaltet.

Am 27. August 1945 erscheint die erste Ausgabe der „Neue Saarbrücker Zeitung“. Die Leitung haben zunächst Journalisten der zugelassenen Parteien, dann, unter der Verwaltung der französischen Besatzungsmacht, ein neu gegründeter Presseverlag. 1946 wird stillschweigend wieder der alte Titel “Saarbrücker Zeitung” eingeführt.

Als Folge des Referendums vom 23. Oktober 1955 schließen Frankreich und Deutschland einen Vertrag zur Regelung der Saarfrage. Hierzu gehört auch die Rückführung der Saarbrücker Zeitung in deutsche Hände.

1956 übernimmt die saarländische Regierung die französischen Anteile an der „Presseverlag Saarbrücker Zeitung GmbH“ und übergibt diese zur treuhänderischen Verwaltung einem Bankenkonsortium.

1961, im Jahre ihres 200-jährigen Bestehens, ist die Mitarbeiterzahl der SZ auf mehr als 600 angewachsen, liegt die Auflage bei 150 000 Exemplaren, liefert eine neue Rotationsmaschine 50 000 Exemplare pro Stunde. 1970 wird die SZ reprivatisiert. Der Verleger Georg von Holtzbrinck übernimmt 49 Prozent der Gesellschaft, 26 Prozent gehen an Stiftungen der Parteien CDU, SPD und FDP, 15 Prozent an die Belegschaft, der Rest an drei Banken. Zum 1. August 2012 hat die Gesellschaft für staatsbürgerliche Bildung Saar (GSB) von der Verlagsgruppe Holtzbrinck einen großen Anteil übernommen und ihre Beteiligung an der SZ-Zeitungsgruppe von 26 auf 46,9 % erhöht. Geplant war, dass die GSB in einem zweiten Schritt den gesamten Anteil des Holtzbrinck-Konzernes von insgesamt 52,3 % übernimmt. Gesellschafter der GSB sind drei saarländische Stiftungen.

Verhandlungen der GSB über einen Verkauf der SZ-Gruppe an einen Zeitungsverlag führen schon im September 2012 zu einem Ergebnis. Die Rheinisch-Bergische Verlagsgruppe erwirbt die Mehrheit an der SZ und wird zum Januar 2013 neuer Mehrheitsgesellschafter. Ab Januar 2013 hält die Rheinische Post Mediengruppe 56 Prozent an der SZ, die Gesellschaft für staatsbürgerliche Bildung 28 Prozent und die SZ-Beteiligungsgesellschaft 16 Prozent.

Quelle: “Saarbrücker Zeitung: Begleiter der saarländischen Geschichte”. Konzeption und Text der Chronik, aus der hier zitiert wurde, stammen von Hans Bünte.

5/12 3. DIE GESCHICHTE DES 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG LANDES IM SPIEGEL DER SZ

Märchenprinz Ein Fürst gründete den Vorläufer der Saarbrücker Zeitung

Schwarzes Gold Wie die Saar-Kohle Jahre Arbeitsplätze schuf und vernichtete

4:0 gegen Real Madrid Als der FCS zur europäischen Spitzenmannschaft wurde

DIENSTAG, 31. MAI 2011 250 JUBILÄUMSBEILAGE 2

Die Geschichte des Saarlandes im Spiegel der SZ

5/13 3. DIE GESCHICHTE DES 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG LANDES IM SPIEGEL DER SZ

Das Saarbrücker Schloss im 18. Jahrhundert. FOTO: SZ-ARCHIV

Der „Mir gefällt die Saarbrücker Zeitung, weil sie damals wie heute Märchenprinz nah an ihren Lesern und nah am Leben in unserer Region ist.“ von der Saar Peter Müller, Ministerpräsident des Saarlandes Landesfürst wird der kaum 23-jäh- der Städte erbaut und durch die ex- rige Wilhelm Heinrich (er selbst klusive Krahnengesellschaft mo- schrieb sich Henrich). Was er am nopolartig betrieben, fördert die Hofe Ludwigs XV. in Versailles an Wirtschaft. 1741 haben in beiden höfischer Pracht und architektoni- Städten etwa 2300 Einwohner ge- scher Schönheit kennengelernt lebt. 1766 ist diese Zahl auf 4150 ge- Wilhelm Heinrich hat, überträgt er nun ab 1741 auf wachsen, also um 80 Prozent. Der Fürst und die seine Residenz – „in einem kleinen, Handwerker werden benötigt, für aber dem Ganzen entsprechenden die bisher kein Bedarf war: Gold- SZ-Geschichte Maßstab“, wie Goethe bald konsta- und Silberschmiede, Büchsen- und tieren wird. Und das ist nicht mehr Uhrmacher, aber auch Zuckerbä- Im Jahr 1741 übernahm Fürst nur die frühere Grafschaft Saarbrü- cker, Weinhändler und Perücken- Wilhelm Heinrich die Regent- cken, sondern durch Vereinigung macher. Ja, nun braucht man sogar schaft in Nassau-Saarbrü- mit der Grafschaft Ottweiler das Seifensieder. . . „Ich geh’ zweihun- cken, 20 Jahre später gründe- Fürstentum Nassau-Saarbrücken. dert Jahr und länger durch die Bo- te er ein „Wochen-Blat“, des- Als erstes führt Wilhelm Heinrich gen / Es war noch nie so hell auf sen „Vortheile und Bequem- eine Bauordnung ein und errichtet meinen Wasserwogen!“, lässt ein lichkeiten“ er sich anderswo ein Polizeiamt. Er holt den 24 Jahre begeisterter Untertan damals die abgeschaut hatte. Nebenste- älteren Baumeister Friedrich Joa- Saar sprechen. Und das ist mehr als hender Artikel beschreibt die chim Stengel aus Usingen nach Lobhudelei. damalige Zeit, die Saarbrü- Saarbrücken, der alles besichtigt Doch wenn der Fürst eine neue cken zu wirklich fürstlichem Von SZ-Mitarbeiter Der Gründervater Bürger verhallen ungehört. Und es und über das Schloss berichtet, er Verordnung bekanntmachen will Glanze verhalf – der im Zuge Hans Bünte der SZ: Fürst gibt viele Beschwerden: Alles kos- habe den Nordflügel „in gäntzln oder loyale Bürger 1742 dem Lan- der französischen Revolution Wilhelm Heinrich tet Gebühren: Salz, Tabak, Brannt- verfall des Daches und gantzen ein- desherrn zur Vermählung mit der leider unter Schutt und Asche r hat etwas Märchen- setzte in seinem wein, ja sogar der Gang über die Al- gebäudes angetroffen“. Stengel er- noch nicht 17-jährigen Gräfin So- begraben wurde. haftes an sich, dieser Fürstentum te Brücke. Eine „Fräuleinsteuer“ richtet ein neues Schloss, ein Rat- phie von Erbach ein Huldigungsge- Gleichwohl, dem Fürsten Augenblick, als Fürst landwirtschaftliche zur Ausstattung heiratslustiger haus, das Erbprinzenpalais, die dicht überreichen wollen, aber und seinem Baumeister Sten- Wilhelm Heinrich und industrielle Grafentöchter wird erhoben, ob- heutige Friedenskirche für die re- auch wenn der neue Wirt vom gel haben wir noch heute seine Regierung an Reformen durch. Ein wohl es gar keine adligen Fräuleins formierte und die Basilika St. Jo- „Goldenen Stiefel“ auf seinen sichtbare barocke Pracht zu Eder Saar antritt. Ja, Großteil der dadurch auszustatten gibt. Wenn der Ober- hann für die katholische Minder- frisch eingetroffenen Niersteiner verdanken – und die Saarbrü- fast wagt man, die Bibel zu zitieren: gewonnenen forstmeister wöchentlich mehr- heit; er baut eine Schule, das heute Wein aufmerksam machen will – cker Zeitung. Diese war im „Und im Anfang war die Erde wüst Mehreinnahmen der mals nicht nur Wölfe, sondern auch noch bestehende Ludwigsgymnasi- dann fehlt eine Druckerei. Bis nach Gründungsjahr 1761 nur ein und leer. . .“ Das ist durchaus rea- Staatskasse Füchse und Hasen zu jagen um; Lustschlösser entstehen auf Zweibrücken müssen die Saarbrü- kleines Anzeigenblatt, mehr listisch. Denn in jenem Jahr 1741 verwendete er für wünscht, werden die Bürger nach dem Ludwigs- und dem Halberg. cker reisen, um dort beim Hof- nicht. Doch es wurde eine hat die Saarregion ein Jahrhundert prunkvolle Bauten. Plaisir als Helfer einbefohlen und Krönung wird die heutige Ludwigs- buchdrucker ihr Gedicht in Auftrag große Erfolgsgeschichte, auch der Kriege, Truppendurchzüge, FOTO: SAARLANDMUSEUM bei Nichterscheinen bestraft. kirche samt Platz und umliegenden zu geben. Das kann so nicht weiter- wenn es noch nahezu 100 Plünderungen und Misshandlun- Beim Stadtgericht geht es „lau- Palais. Private Bauwillige werden gehen, mag der Fürst gedacht ha- Jahre dauern sollte, bis daraus gen hinter sich. Immer wieder ha- licht“ zu, es wird „das Gerichts- durch Vergünstigungen gewonnen: ben. Sollte man nicht jenen Zwei- eine „richtige“ Tageszeitung ben die Bürger Einquartierungen ambts mehr vor ein schümpfliches „Zehen Jahre lang Freyheit von al- brücker Drucker namens Johann wurde, die inzwischen zu ei- erlebt, die ihre letzten Vorräte ver- alß Ehrenambte angesehen“. Kein len Abgaben – den Platz zum Bau Mengert für Saarbrücken gewin- nem der modernsten Medien- zehrten, das Vieh schlachteten und Wunder, dass niemand die Maße ohnentgeltlich – und das Bau- nen? Um es vorwegzunehmen: häuser Deutschlands gedie- sogar das Saatgetreide beschlag- und Gewichte der Bäcker und Holtz ebenfalls frey“. Insgesamt Mengert wird sich tatsächlich in hen ist. nahmten. Dächer wurden abge- Metzger kontrolliert und bei den entsteht „ein lichter Punkt in ei- Saarbrücken niederlassen und zum deckt, um den Truppen Feuerholz Zünften vieles im Argen liegt. Jeder nem so felsig-waldigen Lande. . .“ Mitbegründer der Saarbrücker Zei- zu bieten. Und sind die einen abge- buddelt ohne Plan und Aufsicht (auch dies ein Goethe-Zitat). tung werden. zogen, kommen die nächsten und Kohle aus dem Boden, und statt die Wilhelm Heinrich verstaatlicht fordern dasselbe. Äcker flurweise zu bebauen, tut die Steinkohlengruben und lässt sie Kein Wunder, dass innerhalb der dies jedermann „separatim und bergmännisch ausbeuten; Rußhüt- Saarbrücken Stadtmauern noch überall rußge- konfus“. Weitere deutliche Zeichen ten, Alaunsiedereien (Rohstoff zur zur Zeit des schwärzte Ruinen und leere Flä- für den erschreckenden Verfall der Farbherstellung, Gerbemittel und Fürsten chen vom großen Stadtbrand zu se- Sitten: Die Torwächter hocken nur Konservierungsstoff) und andere Wilhelm hen sind, obwohl der doch bereits noch in der warmen Wachstube, chemische Fabriken entstehen, Heinrich 70 Jahre zurückliegt. Das Renais- und im herrschaftlichen Garten hat neue Glashütten, Eisenschmelzen mit dem im sanceschloss ist verfallen; an man- der Pächter eine Kegelbahn einge- und Hammerwerke beginnen ihre 18. Jahrhundert chen Stellen werden tiefe Risse mit richtet. Produktion. Der Holzhandel flo- errichteten eisernen Ankern notdürftig zusam- Und dann . . . Und dann kommt riert. Ein „Krahnen“, von der ein- Saar-Kran. mengehalten. Und niemand da, der plötzlich wie im Märchen der flussreichen Kaufmannschaft bei- FOTO: SZ-ARCHIV etwas ändert. Mit dem Tode des Prinz, und alles wird anders. Jeden- Friedrich Ludwig von Ottweiler im falls fast. Es beginnt damit, dass Jahre 1728 sind die Idsteiner, Ott- 1735, als die Fürstin ihre Lande un- weiler und Saarbrücker Linien des ter ihren beiden Söhnen Karl und Hauses Nassau ausgestorben. Er- Wilhelm Heinrich aufteilt, die bin ist Fürstin Charlotte Amalie Saarregion das große Los zieht: Ihr von Nassau-Usingen (1680-1738), doch sie lebt im fernen Usingen (Taunus) – die Beschwerden der

5/14 3. DIE GESCHICHTE DES 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG LANDES IM SPIEGEL DER SZ

S

Von SZ-Redakteur Preußische Gerhard Franz Infanteristen stürmen die n jenem Sommer, als der von französi- Deutsch-Französische schen Trup- Krieg von 1870/71 in der pen gehalte- Pfalz und an der Saar losge- nen Spicherer hen sollte, waren hierzu- Höhen bei Ilande die Wunderheiler Saarbrücken. noch groß im Geschäft. So erfuhren FOTO: NP die Leser der Saarbrücker Zeitung am 14. Juli 1870, als die Franzosen in den Häfen von Brest, Cherbourg und L’Orient ihre 14 schweren Pan- zerschiffe für den Krieg schon flott machten, dass Dr. O. Killisch aus – so seine entsprechende Anzeige – bereits über 100 Men- schen von der Fallsucht oder der Epilepsie geheilt habe. Nunmehr heile der gute Arzt diese heimtücki- sche Krankheit bereits brieflich. Man brauche ihn nur in Berlin, Louisenstraße 45, anzuschreiben. Und wie zum Beweis, dass solche Wunderheilungen auch tatsächlich funktionierten, erschien an jenem Tag auch eine Danksagungs-Anzei- ge von drei Männern aus Gerswei- „Oh jo, Herr ler mit folgendem Inhalt: „Die Un- terzeichneten fühlen sich ver- Leitnant, die pflichtet, dem Herrn Theodor Krier ihren innigsten Dank für die schieße jo nit menschenfreundliche, uneigen- uff mich.“ nützige Behandlung und Befreiung von der so fürchterlichen Krank- Schultze Kathrin, heit der Epilepsie (Fallsucht), wo- nachdem sie von ran wir seit Jahren litten, auszu- einem Offizier auf sprechen.“ das Gewehrfeuer Doch bereits zwei Tage später, der Franzosen am 16. Juli, wurde den Saarbrü- aufmerksam ckern klar, dass es nun mit dem be- gemacht wurde. schaulichen Leben in der Provinz vorerst vorbei sei. Denn da stand auf der ersten Seite ihrer Zeitung in dicken Buchstaben zu lesen, dass in den deutschen Landen die Mobil- machung befohlen sei, und dass Frankreich in zwei Depeschen vom 15. Juli dem Königreich Preußen den Krieg erklärt habe. Das er- weckte den Eindruck, dass die Preußen mit ihrer Mobilmachung erst auf die Kriegserklärung der Franzosen reagiert hätten. Einen Tag später korrigierte unsere Zei- das Wirken der Schultze Kathrin tung die Meldung dahingehend, Eine Dienstmagd im gewürdigt wurde: „Katharina eilte dass ihr jetzt erst die offizielle Er- herbei und half, den Soldaten in ein klärung der französischen Regie- Nachbarhaus zu tragen. Als der rung vorliege, und schrieb: „Es ist Sterbende nach einem Priester ver- daraus nicht ersichtlich, dass der langte, machte sie sich auf, um in Krieg schon erklärt ist, wie der Te- St. Johann auf der anderen Seite legraph voreilig berichtet hat.“ Kugelhagel von Spichern der Saar den geistlichen Beistand Doch da war der Kriegsbrand schon zu holen. Trotz des Beschusses der am Lodern. Am 17. Juli machte die Brücke und der umliegenden Stra- Saarbrücker Zeitung ihre Leser da- ßen durch die Franzosen gelangte rauf aufmerksam, dass das Blatt Schultze Kathrin und die Kriegsberichte der SZ von 1870 sie unversehrt mit dem Priester „wegen der nach allen Seite hin un- wieder nach Saarbrücken zurück.“ terbrochenen Verbindungen“ nicht Allerdings sollte es noch vier Ta- mehr in der bisherigen Weise er- ge dauern, bis die Schlacht auf den scheinen könne. Höhen über Saarbrücken tobte und die Dienstmagd zu ihrem helden- Erste Gefechte am Stadtrand haften Einsatz kam. Sie war – wie Am 22. Juli wird bereits von ersten viele andere – dem Aufruf an die Kriegshandlungen in der Region Bewohner der Stadt gefolgt, mit berichtet: „Soeben wird von einem Fuhrwerken zum Kampfplatz zu Vorpostengefecht bei Perl gemel- fahren, um die Verwundeten zu det. 1500 Franzosen seien in den versorgen und zu bergen. Uner- Ort eingefallen.“ Doch auch diese müdlich eilte sie mit einem Was- Meldung entpuppte sich gerade serbottich auf dem Kopf über das mal einen Tag später als Ente, wo- Schlachtfeld, auf dem die zerfetz- bei nunmehr darauf verwiesen ten Leiber der Getöteten und die wurde, dass einzelne Schusswech- von Granaten und Kugeln Verwun- sel entlang der Grenze am Stadt- deten in großer Zahl herumlagen. rand von Saarbrücken bereits erste Legendär jener Wortwechsel mit Opfer gefordert hätten. Mit der einem preußischen Offizier, der das Schilderung der Scharmützel, die Vordringen der Dienstmagd bis zur sich vom St. Arnualer Stiftswald bis Feuerlinie verhindern wollte: zur Bellevue und zum großen Exer- „Weib, machen Sie, dass Sie fort- zierplatz fast täglich ereigneten kommen. Sehen Sie denn nicht, und deren Schüsse bis nach St. Jo- dass hier geschossen wird?“ Dazu hann zu vernehmen waren, blieb Kathrin: „Oh jo, Herr Leitnant, die die Zeitung in den nächsten Tagen Titelseite der SZ aus der Zeit des Deutsch-Französischen Krieges. „An Frankreich kommt kein Zoll schieße jo nit uff mich.“ auf der sicheren Seite. Dabei wurde breit deutscher Erde!“, fordert König Wilhelm. FOTO: SZ-ARCHIV Ein Jahr später, als der Krieg be- für den 28. Juli der erste Tote auf reits lange zu Gunsten der Preußen deutscher Seite vermeldet: „Gegen entschieden war, wurde Schultze sieben Uhr gerieten unsere Vorpos- tung, die sich angesichts der erwar- viele Privathäuser getroffen, Brän- im Kugelhagel der auf Kathrin zusammen mit weiteren ten wieder mit dem Feinde ins Ge- teten Schlachten über die Errich- de entstehen, in Saarbrücken und der Höhe verschanz- 50 Mädchen und Frauen aus Mal- plänkel, wobei ein Mann vom 7. tung von Not-Lazaretten für ver- St. Johann herrschen Angst und ten Franzosen und statt, St. Johann und Saarbrücken Ulanen-Regiment (Ulanen sind be- wundete Soldaten Gedanken Chaos. Französische Infanterie der von unten vorrü- für ihren selbstlosen Einsatz bei rittene Lanzenträger) tödlich ge- macht, eher dürftig. Hier eine Pas- fällt plündernd in St. Arnual ein, ckenden Preußen der Versorgung der verwundeten troffen ward.“ Am selben Tag ließ sage vom 1. August: „Auf der Vor- überall dringt der Feind unter dem verwundeten Solda- Soldaten mit einem Orden geehrt. Bürgermeister Rumschöttel eine posten-Linie ist im Laufe des gest- anhaltenden Beschuss aus Geweh- ten geholfen, ihnen Von Kaiser-Gattin Augusta war „Allerhöchste Cabinets-Ordre“ als rigen Tages, abgesehen von Plänke- ren in Städte und Dörfer an der Wasser gebracht analog zum Eisernen Kreuz eigens Anzeige veröffentlichen, mit der leien, wobei unserer 40er Füsiliere Saar vor. Die preußische Kavallerie, und für die Linde- ein „Verdienstkreuz für Frauen und der Kriegszustand für die gesamte (mit Gewehren bewaffnete Infan- so steht es in der Zeitung, habe sich rung der Schmerzen Jungfrauen“ geschaffen worden, Region erklärt wurde. Das hatte terie) hin und wieder einen feindli- unverzüglich aus dem Staub ge- gesorgt. Doch zu- „die sich bei der Pflege der im Krieg auch strafrechtliche Konsequen- chen Chasseur (mit Gewehren be- macht. Und gegen 16 Uhr sei auch rück zum 2. August. gegen Frankreich Verwundeten zen; so wurde die Verbreitung fal- waffnete Kavallerie) vom Pferd die Infanterie zum Rückzug aufge- Da wurde am Nach- und Erkrankten (. . .) ausgezeich- scher Behauptungen über militäri- schießen, nichts Erhebliches vor- fordert worden. Kurz danach rückt mittag am Saarbrü- net haben“. sche Operationen der Franzosen gefallen.“ der französische General Frossard cker Schlossberg in Genau 16 Jahre nach der Schlacht unter strenge Strafe gestellt. Mit ei- Doch dann bricht über Saarbrü- in die beiden Städte ein, um sich die der Nähe des von Spichern, am 6. August 1886, ner Gefängnisstrafe bis zu einem cken und St. Johann am 2. August Schäden anzusehen. Schultzschen starb Katharina Weißgerber völlig Jahr habe zu rechnen, so hieß es da, ohne weitere Vorwarnung ein In- Hauses, in dem mittellos in Saarbrücken. In einer Heldin der Spicherer Höhen „wer in Beziehung auf die Zahl, die ferno herein. Ab zehn Uhr werden Kathrin als Zeitungsnotiz zu ihrem Ableben Marschrichtung oder auf angebli- der Bahnhof von St. Johann und Dieser kriegerische Dienstag war Magd beschäf- heißt es: „Sie verschied gestern, in che Siege der Feinde wissentlich das zweite Bataillon des 40. Füsi- der erste große Tag der Katharina tigt war, ein einem Ruhesessel sitzend. Ich lege falsche Gerüchte ausstreut, welche lier-Regiments von den Franzosen Weißgerber, einer aus Schwarzen- preußischer Sol- mich in kein Bett, sprach sie, die geeignet sind, die Zivil- oder Mili- für sechs Stunden unter heftiges holz stammenden Dienstmagd, die dat schwer ver- Kathrin will sitzend sterben.“ tärbehörden hinsichtlich ihrer Artilleriefeuer genommen. Da eine später als Schultze Kathrin in die wundet. Dazu Maßregeln irre zu führen“. Reihe von Granaten ihr Ziel, den Annalen einging und als Heldin der hieß es in einer Ehrenmal für die heldenhafte An den nächsten Tagen sind die am Ende schwer beschädigten Spicherer Höhen verehrt wurde. Serie unserer Dienstmagd Katharina Weißgerber Frontberichte der Saarbrücker Zei- Bahnhof, verfehlen, werden auch Denn sie hatte am 6. August 1870 Zeitung, mit der in Schwarzenholz. FOTO: RUPPENTHAL

5/15 3. DIE GESCHICHTE DES 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG LANDES IM SPIEGEL DER SZ

Mit Begeisterung in den Tod

Von Spionen, Soldaten und Arbeiterräten: Wie die SZ über den Ersten Weltkrieg berichtete

Französische Soldaten kämpfen sich bei Verdun durch das bombardierte Gelände. Von Februar bis Dezember 1916 tobte diese Schlacht. FOTO: AFP

Von SZ-Redakteur Stadt kommt, muss deshalb für die- Löhne sind in jedem Falle weiter zu Jörg Wingertszahn jenigen ausschließlich verwendet zahlen.“ Und: „Mit Beginn der De- werden, für die sie unentbehrlich mobilisation tritt die achtstündige ill man sich im ist: für unsere jungen Mitbürger in Arbeitszeit in Kraft.“ Nachhinein den beiden ersten Lebensjahren.“ An „die gesamte Bevölkerung der über den All- Das Land wurde zum Aufmarsch- Landkreise“ wandte sich der Rat tag im Ersten gebiet, und so wurde der neue mit folgenden Worten: „Landwirte! Weltkrieg in Fahrplan, der gerade mal ab 1. Mai Bauern! In erster Linie steht die Wder Region in- galt, außer Kraft gesetzt und am 4. Versorgung der gesamten Bevölke- formieren, lohnt grundsätzlich ein August durch einen neuen Fahr- Die Titelseite der Saarbrücker Zeitung vom 11. August 1914 meldete rung. Im Interesse der Aufrechter- Blick in die Rubrik „Aus Stadt und plan ersetzt. Ab diesem Zeitpunkt erste Kriegserfolge im Elsass. FOTO: SZ-ARCHIV haltung der Ruhe und Ordnung Land Saarbrücken – Rheinprovinz, fand die Beförderung von Privat- ordnen wir an, dass alle notwendi- Pfalz, Reichsland“. Meist standen personen „nur noch nach Maßgabe gen Nahrungsmittel restlos abge- solche Nachrichten auf Seite 2 oder des vorhandenen Raumes statt“ – politischen Forderungen des Ar- übernehmen“. Und die sahen zum liefert werden. Verstöße werden 3 der Saarbrücker Zeitung, die Seite „Der König Militärtransporte hatten Vorrang. beiter- und Soldatenrates in Saar- Beispiel so aus: „Entlassung von streng bestraft.“ 1 war damals in der Regel der gro- Durch die Grenzlage – und damit brücken, der die SZ gezwungen Arbeitskräften hat nur mit Zustim- Es half jedoch nicht viel: Der ßen Weltpolitik vorbehalten. ruft, die Nähe zum Feind – schlug die hatte, „die Funktion eines amtli- mung der Lohnkommission zu ge- Krieg war zu Ende, doch die Men- Wie viele andere Blätter stimmte patriotische Begeisterung auch chen Veröffentlichungsblattes zu schehen.“ Oder: „Die bisherigen schen hungerten weiter. die SZ in den allgemeinen Freuden- und alle, alle schon mal in Hysterie um, so dass taumel ein, glaubte man doch, man kamen.“ sich der Königliche Polizeidirektor habe es mit einem zeitlich wie per Bekanntmachung zum Ein- räumlich begrenzten Krieg zu tun Saarbrücker schreiten genötigt sah: „Es sind Anzeige wie in der Vergangenheit. Die Sie- Zeitung vom gestern mehrere harmlose Passan- gesgewissheit war groß. 3. August 1914 ten als angebliche Spione von grö- „Mobil!“ hieß es am Montag, dem ßeren Menschenmengen erheblich 3. August, zwei Tage nach Kriegsbe- verletzt worden. (. . .) Wenn ich ginn. „Dieser Kriegsruf wirkte am auch nicht verkenne, dass patrioti- Sonderfl ug Samstag in der hiesigen Bevölke- sche Gefühle neben neugieriger rung in der unerträglichen Span- Schaulust die Triebfeder dieser nung der letzten Tage wie eine Be- Handlungen sind, so können diese freiung von dumpfem Druck, der nicht länger geduldet werden.“ mit der Junkers JU52 sich beängstigend über alle Kreise Der Krieg nahm seinen Lauf und gelegt hatte. Mobil! Der Aufruf zu erreichte mit der Schlacht um Ver- den Waffen flog in Windeseile von dun 1916 einen weiteren blutigen Am 27. Juli 2011 um 12.15 Uhr, 14.30 Uhr oder 15.45 Uhr Mund zu Mund und löste überall Höhepunkt. Die Zeitung berichtete eine tiefe, patriotische Begeiste- von dem monatelangen Feldzug rung aus. (. . .) Tausende von Men- mit einer fast täglich erscheinen- Haben Sie eigentlich Ihre Heimat schon mal aus der Luft gesehen? Jetzt bieten wir Ihnen schen standen am Samstag (Tag des den Rubrik „Kämpfe vor Verdun“. die Gelegenheit dazu! Gehen Sie mit uns in die Luft! Erfüllen Sie sich einen Traum und fl iegen Kriegsbeginns) vor unserem Ge- Ausführliche Details der Erstür- Sie mit der legendären Junkers JU52. schäftslokal. Aufregende Gerüchte mung des Forts Douaumont erfuhr schwirrten durch die Menge. Da der Leser am 26. Februar 1916 auf traf um halb sechs die Meldung von Seite 2 in einer Mitteilung der Liebevoll von erfahrenen -Mechanikern wurde die JU52 restauriert und auf den der Mobilmachung ein. Als wir Obersten Heeresleitung. Dort be- neusten Stand der Technik gebracht. Wir möchten Ihnen die Gelegenheit geben mit diesem kurz vor viertel vor sechs den An- schrieb das Oberkommando, wie historischen Flugzeug das Abenteuer und die Faszination des Fliegens in den Gründerjahren schlag vollzogen, wurde die Nach- das Brandenburgische Infanterie- der Luftfahrt zu erleben. richt zunächst mit ernstem Regiment Nr. 24 in einem Hand- Schweigen aufgenommen. Dann streich die Festung eroberte. Die Preis pro Person Buchung und Beratung in Ihrem brauste aber ein erlösendes drei- federführenden Offiziere wurden fach Hoch auf Deutschland durch namentlich erwähnt und belobigt. Karstadt Reisebüro Saarbrücken, die Luft, eine Begeisterung auslö- Die Front erstarrte jedoch, die Bahnhofstr. 15 send, die ordentlich befreiend Erfolge wurden weniger. Dafür Tel.: (0681) 30 17- 570 199.– [email protected] wirkte. (. . .) Mag kommen, was da nahmen die Fliegerangriffe auf kommen mag, der König ruft, und Saarbrücken und Umgebung zu – alle, alle kamen.“ ein Umstand, dem man mit Ver- Aller Begeisterung zum Trotz dunkelung begegnete. Die „abend- blieb die Mobilmachung nicht ohne liche und nächtliche Straßenbe- unmittelbare Folgen für die Bevöl- leuchtung“ wurde „auf das notwen- kerung an der Saar. So ließ der digste eingeschränkt“. Oberbürgermeister in der Saarbrü- Die Lage des Deutschen Reiches cker Zeitung mitteilen: „Durch die wurde aussichtsloser. Eine Wende Mobilmachung und die Militär- versprach man sich vom uneinge- transporte der Eisenbahn ist die schränkten U-Boot-Krieg. „Der Einfuhr von Milch zeitweise einge- Zeitpunkt ist gekommen, wo alle schränkt. Alle Milch, welche in die Rücksichten zu schweigen haben. Wir wollen siegen, denn wir wollen am Leben bleiben“, kommentierte die Zeitung am 1. Februar 1917. Die Übermacht der Entente-Mächte und besonders der USA, die im sel- ben Jahr in den Krieg eintraten, war jedoch zu groß. Das Reich fiel auseinander, und die Novemberrevolution erfasste auch das Land an der Saar. Wie vie- lerorts wurden auch in Saarbrü- cken Räte gegründet. Am 10. No- vember 1918, einen Tag vor der Un- terzeichnung des Waffenstillstands in einem Eisenbahnwaggon im französischen Compiègne, veröf- 1 9

fentlichte die Saarbrücker Zeitung 6 Reisebüro 2 1 auf Seite 1 die Bedingungen der 1 5 Die Schlacht von Verdun forderte 320 000 Opfer. Die Grab- Waffenruhe. Direkt daneben stan- 0 felder erinnern an die schrecklichen Kämpfe. FOTO: VISUM den im „Amtlichen Teil“ die sozial-

5/16 3. DIE GESCHICHTE DES 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG LANDES IM SPIEGEL DER SZ

hatte. Weshalb in diesen Jahren die Funktion des „Sitzredakteurs“ er- funden wurde: Ein Kollege aus der Redaktion verbüßte die gelegent- lich gegenüber seiner Zeitung aus- Mit gestrecktem gesprochenen Gefängnisstrafen. Dass der Urnengang vom 13. Ja- nuar frei und unabhängig gewesen sein könnte, glaubt kein Mensch, Arm „heim der die SZ vom Vortag der Abstim- mung je in Augenschein genom- men hat. Auf der Titelseite des in- zwischen faktisch gleichgeschalte- ten Blattes ist nur das Bild eines rechts-gescheitel- ins Reich“ ten Mannes zu se- Mit dem Hit- hen, dessen lergruß ma- Schnauzbart in Hö- Nach der enttäuschenden Völkerbund-Zeit chen Völklin- he der Nasenflügel ger Bergleute gestutzt ist: Hitler stimmen die Saarländer 1935 für deutlich, wie blickt mit ernster sie am 13. Ja- Miene nach rechts nuar 1935 ab- aus dem Bild. Da- den Anschluss an Hitler-Deutschland stimmen wol- runter steht in gro- len. FOTO: DPA ßen Buchstaben: „Weder kann das Reich Verzicht leis- Von SZ-Redakteur heute ein Kind des Völkerbundes ten auf Euch, noch könnt Ihr Ver- Gerhard Franz geworden. Und wir geben der Hoff- zicht leisten auf Deutschland.“ nung Ausdruck, dass es durch seine Wen diese Breitseite des Appells an u Beginn des Jahres Intelligenz und Arbeitskraft unter die nationale Verantwortung noch 1920 begann eine Epo- einer einsichtsvollen Regierung nicht erreicht haben sollte, der che der Einschrän- bald die Leiden des Krieges über- konnte sich kaum der überborden- kung von Grundrech- winden möge. Diese Hoffnung auf den Deutschtümelei in der gesam- ten für die Saar-Regi- eine wohlwollende Regierung ten Ausgabe entziehen. Auf Seite 2 Zon. Denn an diesem schöpfen wir aus dem Friedensver- wurde unter der Überschrift „Das Tag trat das Statut des Völkerbun- trag, in dem in Aussicht gestellt Erbe der Väter mahnt“ aus den des in Kraft. Der Vorläufer der Ver- wird, die Rechte und das Wohl der „Reden an die deutsche Nation“ einten Nationen mit Sitz in Genf Bevölkerung zu sichern.“ Doch die von Johann Gottlieb Fichte zitiert. übernahm die Regierungsverant- Hoffnung erfüllte sich nicht. Dafür Daneben stand eine ganzseitige wortung für das Saargebiet, wo verantwortlich waren sowohl die Anzeige der Reichsbank, in der ihr man weiterhin deutsch dachte und rigorose Politik der Franzosen als Präsident Hjalmar Schacht sich deutsch empfand. Tatsächlich aber auch die von der Bevölkerung nicht handschriftlich an die Saar-Bevöl- waren die „Kohlengruben im Saar- akzeptierte Kommission des Völ- kerung wandte: „Deutsch ist die becken“ im Versailler Vertrag von kerbunds unter ihrem Präsidenten Saar, und ich kann mir keinen 1919 den Franzosen als „Wieder- Viktor Rault, einem Franzosen. Deutschen in der Saar vorstellen, gutmachung von Kriegsschäden“ Den ersten Eklat erlebte das der sein Deutschtum am 13. Januar zur Ausbeutung überlassen wor- Saargebiet schon 1920. Es kam zu den. Die Inkraftsetzung des Ver- heftigen Auseinandersetzungen sailler Vertrages zum 10. Januar über die Pressefreiheit, in deren takt dieser härtesten Tarifausei- gestiegen seien, habe der Kurs des 1920 wurde in der SZ mit einem Verlauf auch die Saarbrücker Zei- nandersetzung, die die Saar-Region Franken nicht in gleichem Maße Leitartikel unter der Überschrift tung zeitweise verboten wurde. je erlebt hat, lieferte die SZ am 8. zugelegt: „Der Franken ist entwer- „Friede!“ gewürdigt. Darin zeigte Kurz danach riefen die Beamten ei- Januar die Erklärung für die hohen tet, und zwar so sehr, dass die Berg- die Redaktion, dass sie sich den nen Streik über acht Tage aus. Lohnforderungen der Bergleute arbeiter, die bisher im Saargebiet neuen Herausforderungen aufge- Turbulent wurde es 1923, nach- mit einem Hinweis auf die extreme ein recht gutes Auskommen hatten, schlossen und zuversichtlich stel- dem die Bergleute in einen 100-Ta- Inflationsrate. Während die Preise mit ihren Valutalöhnen nicht mehr len wollte: „So ist das Saargebiet ge-Streik getreten waren. Zum Auf- an der Saar 1922 um das 41-fache zufrieden sind.“ Am 13. März, mitten im Streik der Bergleute, überraschte die SZ mit der Veröffentlichung einer „Not- Anzeige verordnung zu Aufrechterhaltung der Ordnung und Sicherheit im Saargebiet“. Darin wurden harte Strafen (bis zu fünf Jahre Gefäng- So berichtete die verleugnet.“ Danach folgte eine nis) für jeden festgelegt, der sich faktisch gleichge- Seite mit der Überschrift „Wir wol- „verächtlich“ über den Friedens- schaltete SZ am len keine fremde Regierung mehr“. vertrag von Versailles äußert oder 16. Januar 1935 Das deutliche Abstimmungser- den Völkerbund „beschimpft oder über die Saarab- gebnis war in erster Linie ein Erfolg verleumdet“. Zugleich wurde Zei- stimmung. der Deutschen Front, die sich im tungen und Zeitschriften ein Er- FOTO: SZ-ARCHIV Juli 1933 unter Auflösung der bis- scheinungsverbot von bis zu sechs herigen Parteien wie NSDAP und Monaten angedroht. Im Sommer Zentrum, Wirtschaftspartei oder 1923, nachdem sich unter anderem Deutsch-Nationale Volkspartei ge- der Landesrat und der Verein der bildet hatte. Zur Erinnerung an den Saarpresse wegen der Zustände an 70. Jahrestag der Volksabstim- der Saar direkt an den Völkerbund „Das mung lieferte das Landesarchiv in in Genf gewandt hatten, wollten die der SZ vom 11. Januar 2005 die Er- Briten eine Untersuchungskom- Saarvolk klärung für die politischen Realitä- mission zur Klärung der Unruhe im ten im früheren Saargebiet: „Der Saar-Revier einrichten. Allerdings zerschlägt Deutschen Front traten neben den scheiterte „Der englische Schritt in eine einstigen Parteien auch Gewerk- der Saarfrage“, den die SZ am 1. Ju- schaften, Vereine und Presseorga- ni als Aufmacher brachte, am Veto Weltlüge.“ ne bei. Sie mobilisierte Menschen- der Franzosen. massen in bisher unvorstellbarem In der zweiten Hälfte der 1920er SZ-Überschrift Ausmaß und erzeugte ein nationa- Gründungsversammlung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages Jahre verlor Frankreich die Hoff- nach der les Abstimmungsfieber, das von ih- nung, die Saar-Bevölkerung im Volksabstimmung ren Gegnern nicht zu Unrecht als Hinblick auf die Volksabstimmung 1935 Einschüchterung und Bedrohung 1935 für einen pro-französischen empfunden wurde, ihre Anhänger Kurs zu gewinnen. Paris sah den jedoch zu einer Art politischem 150 Jahre DIHK: Von Anfang an für negativen Ausgang des Referen- Kreuzzug zusammenschweißte. dums als sicher voraus und erspar- Für die Mehrheit an der Saar war te sich weitere Anstrengungen. es, als ob ein lang gehegter Traum Freiheit und Wettbewerb Und so kam es: Der deutsch-na- in Erfüllung ging: der Traum von tionale Triumph war überwälti- der wahren Volksgemeinschaft.“ gend. Kein Wunder, dass die SZ Allerdings gab es auch Gegner. So nach der Abstimmung vom 13. Ja- hatte in den letzten Monaten vor nuar 1935 unter der Überschrift der Abstimmung eine Einheits- „Deutschland über alles!“ das ko- front aus Sozialdemokraten und lossale Ergebnis von über 90 Pro- Kommunisten für die Beibehaltung Wir stehen für zent auf der Titelseite würdigte. des Status quo bis zum Ende der Von 528 005 abgegebenen Stim- Nazi-Herrschaft in Deutschland Ihre Interessen men waren 477 119 auf die Rück- gekämpft. Nach der Machtergrei- kehr „heim ins Reich“ – so das Mot- fung Hitlers 1933 war das Saarge- ein. In Brüssel, to der ganzen Abstimmungskam- biet zum Sammelbecken all jener pagne – entfallen. In der Unterzeile geworden, die sich mit den Nazis jenes Artikels kam die Revanche nicht abfinden wollten oder bereits Berlin und im für Versailles und den als Schmach verfolgt wurden. Aus ihrer Sicht empfundenen Friedensvertrag voll sollte an der Saar, wo es viele In- DIH Saarland. K-Präsident zum Ausdruck: „Das Saarvolk zer- Mit Plakaten wie dustriearbeiter gab, ein demokrati- Hans Heinrich Driftmann zu Gast beim IHK-Forum schlägt eine Weltlüge“. Darunter diesem warb die sches Bollwerk gegen Hitler aufge- 2011 war die Dankesrede von Hitler ab- Anti-Hitler-Front baut werden. Doch der Versuch war gedruckt: „Um so größer ist unser für den Status quo. zum Scheitern verurteilt. Die Anti- Stolz, dass nach fünfzehnjähriger FOTO: EBERT-STIFTUNG faschisten hatten gegen die Mei- Vergewaltigung die Stimme des nungsmache und die Einschüchte- Blutes am 13. Januar ihr machtvol- rungsversuche der Deutschen les Bekenntnis aussprach.“ Front keine Chance. Nach Darstel- Unter 0681 9520 - 0 sind wir gerne für Sie da! Der Ausgang der Abstimmung lung der Stiftung Demokratie Saar- war im Grunde seit Jahren pro- land wurde das Bündnis der rechts- grammiert. Zu groß war die Enttäu- konservativen Parteien und der schung über die Kommission des NSDAP schon damals vom Propa- www.saarland.ihk.de www.dihk.de Völkerbundes, die unter anderem gandaministerium von Joseph die Pressefreiheit eingeschränkt Goebbels unterstützt.

5/17 3. DIE GESCHICHTE DES 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG LANDES IM SPIEGEL DER SZ

Propaganda statt Information Wie die SZ nach dem Bombenangriff auf Saarbrücken am 5. Oktober 1944 Durchhalteparolen ausgab

Von SZ-Redakteur der saarländischen Tageszeitung. Martin Rolshausen Und dann wird erklärt: „Der Rück- halt der Front ist nicht schwächer s ist gespenstisch. Es geworden, weil feindliche Bomber ist, als lege sich beim das Verderben auf uns losließen. Lesen eine kalte Wer kein Gepäck mehr trägt, Hand ums Herz. Die schreitet schneller voran, und wer Zeitungsseiten sind um Menschen trauert, kennt keine Evergilbt, an einigen Gnade. So bleibt unsere grenznahe Stellen schon brüchig, aber es steht Stadt auch dann in der Festung eine da: „Fest auch im Feuersturm“. Die uneinnehmbare Position, wenn die Saarbrücker Zeitung druckt am 7. Mauern rauchgeschwärzt und die Oktober 1944 eine Durchhaltepa- Straßen schuttverengt sind.“ role, nationalsozialistische Propa- Nach der Saarabstimmung am 13. ganda – und das nach der Januar 1935 hatte die SZ seitenwei- schlimmsten Nacht der Saarbrü- se Fotos mit feiernden Menschen cker Stadtgeschichte. In jener und Hakenkreuzfahnen gedruckt. Nacht, am 5. Oktober 1944, griffen „Das Hakenkreuz auf saarländi- 325 englische Bomber in zwei Wel- schen Staatsgebäuden“ wird in len Saarbrücken an und warfen Überschriften gefeiert und mit Fo- 350 000 Brandbomben ab. 361 tos dokumentiert. Von „Saarbrü- Menschen starben – nach offiziel- cken im Siegesjubel“ wird berich- len Angaben – im Bombenhagel, sie tet. „Der Saarbrücker freut sich“, erstickten in den Luftschutzkel- heißt es. Und „nachdem eine große lern, verbrannten in ihren Häusern Schlacht mit friedlichen Waffen ge- oder wurden von Bomben zerfetzt. schlagen“ worden sei (gemeint ist Die Zahl der Verletzten ist bis heu- die Saarabstimmung), ehren die te unbekannt. Fast drei Viertel des Saarbrücker auf dem Nussberg Stadtgebiets sind zerstört. erstmal die Helden des Ersten In der Saarbrücker Zeitung wird Weltkriegs. Neuneinhalb Jahre das Ausmaß des Schadens nicht be- später verzichtet die SZ zwar nicht Schwere Bomben- Überschriften der Saarbrücker Zei- schrieben. Auch die Zahl der Toten auf Pathos, aber auf Fotos. Das Aus- angriffe hinterlie- tung aber schon früher. Am 7. Juni wird nicht genannt. Aber die er- maß der Zerstörung wird nicht ge- ßen 1944 in Saar- 1944 wird zum Beispiel von einer wähnt auch der Saarbrücker Poli- zeigt. Dass ausgerechnet dieser Tag brücken große „Kundgebung der Zuversicht“ und zeipräsident in seiner ,,abschlie- mit Tod und Verwüstung enden Schäden. Teile der von Adolf Hitler als einem „Mann, ßenden Schadensmeldung“ vom 9. würde, konnte niemand wissen. Bahnhofstraße der nie kapituliert“ und dem man Oktober 1944 nicht. Es geht in die- Aber bereits am Morgen des 5. Ok- wurden unter „Treue ohne Einschränkung“ ser Phase des Krieges nicht um In- tober 1944 werden die Saarbrücker Schutt und Asche schulde, berichtet. Und über die formation – auch nicht in der Saar- bei der Lektüre ihrer Zeitung da- begraben (Foto). Hinrichtung der Offiziere, deren brücker Zeitung. „Einen Großan- rauf vorbereitet, dass des Die Titelseite der Attentat auf Adolf Hitler am 20. Ju- griff haben wir in der vergangenen Jubels vorbei ist. SZ vom 7. Oktober li scheiterte, schreibt die SZ am 9. Nacht erlebt, ohne dass die Front Die Saarbrücker Zeitung berich- 1944 berichtet August 1944: „Schimpflichster Tod von der Mosel her uns näher ge- tet an diesem Tag über die Beiset- über den Kriegs- für schimpflichste Tat – Die Schan- rückt wäre“, schreibt die Saarbrü- zung der Nazi-Größe Josef Bür- Lothringen zuständig. „Wir müs- Reichspropagandaministers Jo- verlauf. FOTO: de ist gelöscht“. cker Zeitung. Der Feind sei heimtü- ckel. Der Gauleiter war „Reichs- sen stark sein“, lautet die Botschaft, seph Goebbels im Rheinland. „Je- KORN, SZ-ARCHIV Die Saarbrücker Bombennacht ckisch, anstatt an der Front zu kommissar für die Rückgliederung die die Nazi-Propaganda von der des Haus wird eine Festung sein“, ist nicht zu löschen. Aber schon am kämpfen, greife er die Zivilbevölke- des Saarlands“ und bis zu seinem Beerdigung aussendet. lautet die Schlagzeile der Saarbrü- Tag danach versucht die SZ es mit rung an. „Es war brutaler Terror, es Tod von Neustadt an der Weinstra- Eine weitere Nachricht dieses cker Zeitung dazu. Normalität: Sie berichtet unter der war ein Anschlag auf die Einwoh- ße aus für die so genannte West- Tages lässt nichts Gutes ahnen. Die Die Durchhalteparolen der Na- Rubrik Saarbrücken über „Pilzken- ner Saarbrückens“, steht auf Seite 1 mark und die Zivilverwaltung in SZ berichtet von einem Auftritt des tionalsozialisten finden sich in den ner“. Es ist gespenstisch.

Anzeige MAN SIEHT IHR DAS ALTER GAR NICHT AN!

Der Saarbrücker Zeitung alle guten Wünsche zum 250. Geburtstag!

Er gehört zum Leben www.volksfreund.de

5/18 3. DIE GESCHICHTE DES 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG LANDES IM SPIEGEL DER SZ

S

September 1945 in einem langen Artikel auf Seite 1. Der Mann, der später erster Ministerpräsident des Saarlandes werden sollte, ließ sei- nen Emotionen freien Lauf: „O Heimat, was ist aus dir geworden!“ Aber trotz enormer Sorgen und Probleme, es ging aufwärts an der Saar. Am 3. Oktober 1945 kam der französische Präsident zu Besuch, um sich über die Lage zu informie- ren, was die SZ mit einer großen Schlagzeile würdigte: „General de Gaulle besucht Saarbrücken“. Am 5. Februar 1946 klagte die SZ zwar über „Die Wohnungsnot in Saar- brücken“ (für nunmehr 80 000 Menschen standen nur 8000 Woh- nungen zur Verfügung), doch wur- den zugleich „Fortschritte im Fern- sprechverkehr“ festgestellt. Und – Ausdruck der Normalisierung des Lebens – es wurde wieder gefeiert: Am 6. Juli 1959 wurden die Zollmarkierungen an der Grenze zwischen dem Saarland und der Bundesrepublik entfernt (linkes Foto) – in einer Zeit, in der Am 22. Juli 1946 fand am Saarbrü- es in Deutschland aufwärts ging und die Kinder wieder unbeschwerter spielen konnten. FOTOS: AP, OETTINGER cker Staden ein „Großes Strand- fest“ mit 20 000 Besuchern statt. Und bald stand auch in der SZ: „Der Karneval lebt wieder auf!“ Das Schlimmste, so schien es, war über- standen. Der Aufschwung wurde auch an den Wirtschaftsdaten deutlich. Am 14. April 1951 schrieb die SZ: „Die Auftrags- und Absatzlage bessert sich in nahezu allen Wirtschafts- „Mir gefällt zweigen von Woche zu Woche.“ Die die Saarbrücker Schornsteine rauchten wieder, und dass sich die Saarländer auch wie- Zeitung, weil der unbeschwert entspannen konnten, zeigte sich am Besuch des sie mit der Vielfalt Schwimmbads in Dudweiler am ihrer Themen und hochsommerlichen 8. Juli 1952, in dem die Leute dicht gedrängt „Wie ihren Kommentaren die Heringe. . .“ (so die SZ-Über- die Herzen der schrift) lagen und planschten. Und man sah es am Kinoprogramm: Am Menschen, die hier 11. Juli 1952 inserierten die Kinos leben, trifft. Das im Saarland eine ganze Seite in der macht den Erfolg SZ mit den neuesten Filmen. Apro- pos Inserate: Am rasant steigenden dieser Zeitung aus, Aufkommen der Werbe-Anzeigen die weit über in der SZ ließ sich besonders gut ablesen, wie es mit der Wirtschaft die Grenzen im Saarland bergauf ging. des Saarlandes Chance auf europäischen Glanz Anerkennung findet.“ Auch politisch blieb es heiß. Bei- Luitwin Gisbert von Boch, spielhaft dafür steht die Schlagzeile Ehrenmitglied in der SZ am 25. Juli 1952: „Saar- des V&B-Aufsichtsrates brücken endgültiger Sitz“ – es ging um nichts Geringeres als den Standort für die „Schumanplan- Behörden“ (die geplanten Montan- Behörden, benannt nach dem fran- zösischen Außenminister Robert Schuman), also die Vorläufer der heutigen europäischen Institutio- nen. „Wenn Bonn und Paris sich über die Saar-Frage einigen“, so der damalige italienische Ministerprä- Ein Blick auf die Völklinger Hütte Ende der 1950er Jahre. Die qualmenden Schornsteine und das Auto im Vordergrund veranschaulichen die boomende sident Alcide de Gasperi, sollte die Wirtschaft. Heute ist die Hütte Weltkulturerbe. FOTO: OETTINGER/LANDESARCHIV saarländische Hauptstadt Sitz der Behörden werden. Das muss man sich mal vor Augen halten: Saar- brücken hatte tatsächlich die Chance, das zu werden, was heute Brüssel und Straßburg sind! Eine Heimat, was ist aus dir geworden! pulsierende Stadt mit internatio- nalem Flair, und ebenso hochquali- fizierten wie gut bezahlten Arbeits- Von der Stunde Null bis zur kleinen Wiedervereinigung: die Nachkriegszeit im Spiegel der SZ plätzen. Doch dazu kam es nicht, auch weil die Saarländer – die seit 1947 mit eigener Verfassung „auto- Von SZ-Redakteur nom“ waren – sich nun mal als Bernard Bernarding Deutsche fühlten und kein Interes- se an einer neutralen Lösung hat- ach der Stunde Null ten. Die Menschen aus Saarlouis begann auch im und Homburg, Wadern und St. Saarland eine neue Wendel wollten (zum zweiten Mal Zeit. Vor allem die nach 1935) „heim ins Reich“. Am Hauptstadt Saar- 23. Oktober 1955 stimmten sie Nbrücken war zu gro- schließlich mit klarer Zweidrittel- ßen Teilen zerstört, nach dem Mehrheit für den Beitritt zur Bun- Krieg lebten noch 60 000 Men- desrepublik, und die SZ titelte tags „Die Auftrags- schen in der Stadt. Diese hatten darauf (merkwürdig sachlich): Hunger und Durst, und sie brauch- „Saarstatut wurde abgelehnt“. und ten ein Dach über dem Kopf. Kein Ab dem 1. Januar 1957 war das Wunder, dass die „Neue Saarbrü- Saarland damit Teil Deutschlands, Absatzlage cker Zeitung“, die am 27. August 18 Monate später, am „Tag X“ (6. bessert sich in 1945 erstmals (wieder) auf den Juli 1959), wurde auch die Wäh- Markt kam, in ihrer dritten Ausga- rung von Francs auf Mark umge- nahezu allen be am 4. September 1945 einen lan- „Wohin das Auge stellt. Das Abenteuer Sonderweg gen Artikel auf Seite 1 „Zur Ernäh- war zu Ende – und das Abenteuer Wirtschafts- rungsfrage“ veröffentlichte. schweift, Tod und Bundesrepublik begann. Und wie: zweigen Die Rechnung, die Chefredakteur Deutschland erlebte gerade sein Peter Zimmer dabei aufmachte, Vernichtung!“ „Wirtschaftswunder“, die Kon- von Woche verdeutlichte das Problem: „Bei ei- Diesen Satz schrieb junktur brummte. Daran wollten zu Woche.“ ner Fleischration von 50 Gramm Johannes Hoffmann in der SZ die Saarländer natürlich teilhaben, wöchentlich (pro Person) benötigt vom 29. September 1945 nach doch am Anfang knirschte es ge- SZ vom 14. April 1951 die Stadt wöchentlich 3000 Kilo- seiner Rückkehr aus dem waltig: Die saarländische Wirt- gramm Fleisch, also 15 bis 20 Stück brasilianischen Exil; schaft war der potenten Konkur- Schlachtvieh.“ Und für Brot, Sinn- 1947 wurde Hoffmann renz aus dem „Reich“ mit deren rie- bild des Überlebens, brauchte man erster Ministerpräsident sigem Warensortiment nicht ge- jede Woche „60 Tonnen Mehl“, al- im Saarland wachsen. Manche kleine Firma lein für die Saarbrücker. Doch wo- musste kapitulieren und der freien her nehmen in Zeiten ärgster Not? Marktwirtschaft Tribut zollen. In Wie schlimm es damals um das einigen Städten kam es gar zu De- Saarland stand, beschrieb der Jour- monstrationen über den neuen nalist Johannes Hoffmann, der „Preiswucher“. Und immer öfter nach zehn Jahren aus dem brasilia- war schon im Sommer 1959 in der nischen Asyl zurückgekehrt war: Schon Ende der 40er Jahre gab es wieder Kino in Saarbrücken: Die Bran- SZ ein Wort zu lesen, das die Saar- „Wohin das Auge schweift, Tod und che warb in der SZ ganzseitig um Kunden – die Saarländer konnten sich länder noch 50 Jahre lang beschäf- Vernichtung!“, schrieb er am 29. nach schwerer Zeit wieder vergnügen. FOTO: SZ-ARCHIV; KARIKATUR: STIGULINSZKY tigen sollte: „Kohlekrise“.

5/19 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

Blutiger Weg ins Kaiserreich Wie die SZ über den Deutsch-Französischen Krieg berichtete

Das Wunder von Bern 1954 gelingt Deutschland Jahre die „Fußball-Sensation des Jahrhunderts“

Sternstunde der Menschheit Als alle Welt über die ersten Menschen auf dem Mond staunte

MITTWOCH/DONNERSTAG, 1./2. JUNI 2011 250 JUBILÄUMSBEILAGE 3

Die Weltgeschichte im Spiegel der SZ

5/20 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

Mit dem Sturm auf die Bastille begann 1789 die Französische Revo- lution: Das Ereignis fand in der SZ nicht statt, Weltpolitik spielte zunächst keine Rolle. Das änderte sich Mitte des 19. Jahrhun- derts. Aus dieser Zeit stammt auch das Foto eines der ersten Fir- menfahrzeuge. Falsch ist jedoch die Auf- schrift „gegr. 1760“. FOTOS: HOFER, KEYSTONE Ein Fest an der Saar wie nirgends auf der Welt

Als die SZ gegründet wurde, herrschte in Preußen der „Alte Fritz“, fing Mozart an zu komponieren – und 1848 feierte man in Saarbrücken die Einweihung eines Briefkastens

Von SZ-Redakteur Quacksalber konnte noch viel Bernard Bernarding mehr: „Auch ist er ein künstlicher Zahnarzt“, der folgende Techniken an schrieb da- beherrsche: „Zähneausnehmen, selbst den 24. Zähnbutzen, Zähnplumbieren, Juli anno 1768, Zähne festmachen, die locker sind“, als Wilhelm zudem könne er „falsche Zähne „Intelligenzblatt von Saarbrü- Heinrich von einsetzen, die so gut dienen wie na- cken“. Die Zeitung wurde zuneh- MNassau-Saar- türliche Zähne“. Der gute Mann lo- mend politischer, am 17. Mai 1816 brücken, Gründer des „Allgemei- giere im „Weißen Roß“. stand (nach)geschrieben, verfasst nen Wochen-Blats“, für immer die Ein Blatt dieses Inhalts, das sich von der Verwaltung der preußi- fürstlichen Augen schloss. Indes, durch „gänzlichen Mangel an poli- schen Staaten in Berlin: „Ein jeder der Tod des „Landes-Vatters“ war tischen Nachrichten“ (so die SZ da- Bürger ist schuldig, öffentliche dem Anzeigenblatt keine Zeile zu im Jahre 1910) auszeichnete, Stadtämter zu übernehmen, und wert. Auch was sonst so geschah auf konnte die intellektuellen Ansprü- solche womit kein Diensteinkom- Gottes weiter Erde, fand in der che der gebildeten Kreise von Saar- men verbunden ist, unentgeldlich Saarbrücker Presse (noch) nicht brücken natürlich nicht befriedi- zu entrichten“. Fürwahr eine sehr statt – kein Wunder: Damals waren gen. Und so abonnierten sie, man moderne Form der Aufforderung Kommunikations- glaubt es kaum, schon des Staates an die (männlichen) möglichkeiten von vor 230 Jahren eine Bürger, sich ehrenamtlich zu betä- heute unvorstellbar, Zeitung von weither, tigen. Und, gewiss erstaunlich, kam allenfalls mal ein um in Erfahrung zu schon zu dieser Zeit gab es selbst- Reisender vorbei wie bringen, warum „hin- verständlich Spesen, denn „der Be- im Jahre 1770 der 21- ten weit in der Türkei trag der dabei vorfallenden Kosten jährige Johann Wolf- die Völker aufeinan- (wird) von der Gemeinde vergütet gang Goethe, der Saar- derschlagen“. Schon werden“. brücken als „lichten 1780, so heißt es in ei- Der Fortschritt hält Einzug Punkt in einem felsig- ner Quittung des Post- waldigen Lande“ ent- meisters Kieso in Auf jeden Fall wurde die SZ, die im deckte. Ansonsten Saarbrücken, hätten Revolutionsjahr 1848 dann „Saar- konnte man sich im Fünf Jahre älter als die Bürger die „Hambur- brücker Anzeiger“ hieß, immer po- „Wochen-Blat“ ledig- SZ: Wolfgang Amadeus ger Zeitung“ bezogen, litischer und brachte regelmäßig lich informieren über Mozart. FOTO: INTERFOTO wo solche Nachrichten „Tages-Neuigkeiten“ aus Deutsch- „Sachen, die man ver- veröffentlicht wurden! land (meist Berlin), der Schweiz, kaufen / verlehnen will“ oder den Die Zeitung sei gemeinschaftlich Frankreich, Italien oder England. „Wochen-Preiß der Lebens-Mittel“ von den Herren Hofrat Röchling, Damals keimte der Traum von ei- in Erfahrung bringen. Forstrat Stichling, Regierungsrat nem Nationalstaat, und der Anzei- Bei Gründung der SZ 1761 war Dern, Hofgerichtsadvokat Lautz, ger schrieb am 28. März 1848 im Friedrich Schiller zwei Jahre alt. Rentmeister Rebenack und ande- seinerzeit üblichen Pathos, das Mozart war süße fünf und begann ren gehalten worden, die sich die Volk müsse „zusammenhalten, um schon, die Welt mit seinen Melo- Kosten teilten. Wie lange der Ver- die Einheit Deutschlands zu befes- dien zu entzücken. In Berlin, bezie- trieb des Blattes vom fernen Ham- tigen, die Macht, Größe und den hungsweise Potsdam, regierte der burg nach Saarbrücken dauerte, ist Ruhm unseres theutschen Vater- „Alte Fritz“, Friedrich II., der sich nicht überliefert. landes zu vermehren“. Aus Frank- mit seinem Brieffreund, dem fran- Die politische Dürre änderte sich reich wurde berichtet, dass die zösischen Philosophen Voltaire, Anfang des 19. Jahrhunderts, als Schwester des Königs „an den Fol- zerstritten hatte. Und Deutschland sich das Anzeigblatt aus Saar- gen der Grippe“ gestorben sei, aus war noch ein zerfasertes Gebilde brücken langsam in ein Mit- Italien kam die Nachricht, dass in aus Königreichen, Fürsten- und teilungsblatt verwandelte Neapel Unruhen ausgebrochen sei- Herzogtümern sowie Grafschaften. und Verleger Hofer seine en. Die Leute hätten gerufen: „Es Man reiste mit der Postkutsche, ein Zeitung nun „Saarbrücker lebe die Unabhängigkeit Italiens! ebenso langwieriges wie anstren- Intelligenzblatt“ nannte. Es lebe Pius IX!“, und nach einem gendes Vergnügen, über Stock und Auch die „Franzosenzeit“ blutigen Gefecht zwischen Trup- Stein. Und so dauerte es seine na- (1792 bis 1815) trug dazu bei, pen und dem Volk seien „viele Tod- türliche Zeit, bis sich Neuigkeiten denn als am 31. Oktober 1792 te und Verwundete geblieben“. herumgesprochen hatten. eine französische Heeres- Was die Menschen an der Saar truppe von 10 000 Mann in damals aber mehr bewegte, ist aus Quacksalber statt Weltpolitik Saarbrücken einmar- heutiger Sicht eher lustig. Der Saar- Dabei war die Welt schon damals schierte, war es mit der brücker Anzeiger veröffentlichte ähnlich spannend wie heute. An Fürstenherrlichkeit plötz- Anfang 1848 folgende Meldung, in vielen Orten führten die royalen lich vorbei, und die Franzosen der „die Männer von St. Johann, Herrschaften wie üblich ihre „predigten das Evangelium von welche stets dem Fortschritt, mag Schlachten und Scharmützel, am Freiheit, Gleichheit und Brü- er auch noch so unbedeutend „Siebenjährigen Krieg“ von 1756 derlichkeit“ – ohne sich scheinen, huldigen“, das Publikum bis 1763 etwa war gleich halb Euro- selbst daran zu halten, wie höflichst einluden, „sich künftigen pa (Preußen, England, Österreich, ein Chronist bissig vermerk- Donnerstag den 6. Januar 1848 im Frankreich, Russland, Portugal) te. In der Folgezeit wurden die Gasthof zum Bären einzufinden, und sogar Nordamerika und Indien Schlösser und barocken Bauten an um der feierlichen Enthüllung des beteiligt. Es ging, wie immer, um der Saar jedenfalls von Franzosen, unserer Stadt bewilligten Briefkas- Gebiets- und Machtansprüche. Jakobinern und auch frustrierten tens beizuwohnen“. Offenbar war Wichtig für die „Province de la Bauern in Schutt und Asche gelegt, dies ein Anlass wie Weihnachten Saare“, wie unser kleines Land bis und das „Intelligenzblatt“ musste und Karneval zusammen, denn zur Fürstenzeit Mitte des 18. Jahr- plötzlich Napoleon feiern, etwa dies sei „ein so wichtiges Fest, wie hunderts hieß, war aber vor allem „zum Jahrgedächtnis der Krönung gewiß in der ganzen Welt noch kein die Französische Revolution von Sr. Maj. Des Kaisers“, das mit ei- ähnliches begangen worden ist, – 1789 mit all ihren Folgewirkungen. ner „Salve aus grobem Geschütz und auch sicher für uns nie wieder- Im fürstlichen Wochenblatt stand und durch Läutung aller Glo- kehren wird“. Und deshalb, mein- aber nichts davon geschrieben. Die cken“ sowie einem „großen Ball, ten die Männer von St. Johann, große Weltpolitik ging damals an der bis spät in die Nacht dauer- werde „Herr Briefkastenhalter Pil- den einfachen Menschen vorbei. te“, begangen wurde. gram aus reinem Patriotismus zur Dafür gab es Köstlichkeiten aus Schon vor Napoleons Ende Verherrlichung dieses für unsere dem ganz normalen Leben, wie sich bei Waterloo zogen Ende 1814 Stadt unvergesslichen Tages ein in einer Anzeige vom 11. März 1788 Vortruppen der preußischen Briefkastenessen veranstalten. . .“ ablesen lässt: „Es ist angekommen Armee in Saarbrücken ein – Jud Bunzel aus Prag, welcher die und ab dem 22. Mai 1818 Der „Alte Fritz“ regierte in Preußen, Hühneraugen ausnimmt ohne schwebte dann der preußi- als in Saarbrücken das „Wochen- Schmerzen“. Aber der reisende sche Adler über dem Titel Blat“ geboren wurde. FOTO: IMAGO

5/21 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

S

Von SZ-Mitarbeiter Hans Bünte

eder Krieg schreibt sei- ne Geschichten. Am 3. August des Jahres 1870 erhielt der Bürgermeis- ter von Saarbrücken ei- Jne Depesche vom Batail- lons-Kommandeur der Franzosen. Der Krieg zwischen Die gut gemeinte Einladung zum Frühstück hat indes einen Haken – oder vielmehr zwei. Der erste: Der Deutschen und französische Offizier bittet den Saarländer, alles fürs Frühstück Franzosen 1870/71 selber mitzubringen. Der zweite Haken: Seit drei Wochen herrscht spielte in Krieg zwischen Frankreich und Deutschland. Die salomonische Saarbrücken eine Lösung des Saarbrücker Bürger- meisters: Er schickt einen Koch mit besondere Rolle – den feinsten Delikatessen ins feindliche Lager – und lässt sich Am Ende des selbst wegen „dringender Amtsge- schäfte“ entschuldigen. Konflikts wird der Dieser Krieg hat weniger höflich begonnen. Auf der Suche nach ei- nem geeigneten Kandidaten als Preuße Wilhelm I. neuem König von Spanien ist 1868 ein Hohenzollern-Prinz ins Ge- ausgerechnet in spräch gekommen. Als Frankreich protestiert, ziehen der preußische Versailles zum König und der Thronkandidat die Bewerbung zurück. Frankreich for- Deutschen Kaiser dert darüber hinaus kategorisch ei- ne Entschuldigung und weitere Ga- ausgerufen rantien. Der preußische Minister- präsident Bismarck veröffentlicht diese Forderung, mit der der fran- zösische Botschafter auf der Kur- promenade von Bad Ems König Wilhelm förmlich bedrängt hat, in so verkürzter Form („Emser Depe- sche“), dass beide Staaten dies als Provokation und Kriegsgrund auf- fassen müssen. Tatsächlich erklärt Am 18. Januar 1871 wird Wilhelm I. von Preußen im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Kuriosum Frankreich Preußen am 19. Juli am Rande: Das Gemälde von Anton von Werner zeigt auch einen Saarländer: Links vorne mit Säbel ist nach Recherchen des Historischen 1870 den Krieg und steht damit, wie Vereins Gresaubach Johann Schedler („Meddelschd Schaken“) zu sehen, einer der berühmtesten Söhne des Ortes. FOTO: INTERFOTO von Bismarck beabsichtigt, vor der Welt als Aggressor da. Statt wie ursprünglich geplant über Trier ins Rheinland vorzusto- gen, welche die Verwundeten von ßen, besetzen die Franzosen Saar- dem Schlachtfeld in unsere beiden brücken, das strategisch eher iso- Städte befördern.“ Mindestens liert und nur von wenigen preußi- Der 3000 Verwundete muss die Dop- schen Truppen geschützt ist. Am pelstadt unterbringen. Lazarett 28. Juli beschießen die Batterien und Hospital sind rasch überfüllt; auf dem Spicherer Berg den Klei- Kasernen und Schulen, Baracken nen Exerzierplatz und die Bellevue. und die Schlafhäuser der Gruben Am 2. August gehen die Franzosen blutige Weg werden eiligst hergerichtet. Immer gegen das 40. Regiment vor. „Wäh- neue Truppen rücken nach; vier rend des Kampfes pfeifen die Chas- Armeekorps passieren die Stadt, sepotkugeln von den Trillergärten 500 französische Gefangene müs- um die Hofersche Druckerei und ins Deutsche sen untergebracht werden. Schon prasseln auf das höher gelegene am 6. September schlägt unser Dach des benachbarten Gymnasi- Blatt vor, das Mockental, die Be- ums“, liest man in unserem Blatt. gräbnisstätte der Gefallenen, in „Bald wimmelt es in den Saarbrü- „Ehrental“ umzubenennen. Hier cker Straßen von roten Hosen“, al- Kaiserreich wird später auch Katharina Weiß- so französischen Uniformen. Kai- gerber beigesetzt, als „Schultze ser Napoleon III. beobachtet den Kathrin“ bis heute bekannt. Kampf mit seinem 15-jährigen Wenige Wochen später stehen Am 15. August 1870 berichtet eine Sohn Louis Bonaparte („Lulu“) die vereinigten deutschen Truppen „Extra-Beilage“ der SZ von ein Ge- vom späteren Lulustein aus und vor Paris, wo sich eine Revolte ab- fecht zwischen Preußen und Franzo- berichtet seiner Gattin von der „be- spielt: Die Regierung von Kaiser sen nahe Metz. FOTO: SZ-ARCHIV wundernswürdigen Kaltblütigkeit“ Napoleon III. wird abgesetzt (er des Prinzen angesichts des kra- selber ist in deutscher Gefangen- Ersten Weltkrieg zur größten Bin- chenden Schusswechsels. schaft) und die Dritte Republik nenvolkswirtschaft der Welt. Für ausgerufen, die den Krieg weiter- die Saarstädte bringen der Wegfall „Bitte! Bitte! Bitte!“ führt, während das übrige Frank- der Grenze und die Erschließung Nachschubmängel der Franzosen – reich am 2. September 1870 kapitu- Lothringens neue Märkte. Auch daher die Frühstückseinladung an liert. Erst jetzt versiegen die Nach- Saarbrücken profitiert; die Ein- den Bürgermeister – und deren richten unseres Partners, der Pari- wohnerzahl wächst zwischen 1860 enttäuschte Hoffnung, die süd- ser Havas-Agentur. und 1910 von rund 15 700 auf deutschen Staaten würden wenige 105 000. Am 15. März 1871 wird der Luftpostmeldung aus Paris Jahre nach der eigenen Niederlage frisch gebackene Kaiser in Saarbrü- gegen Preußen zumindest neutral Der findige Korrespondent in Paris cken auch von einem schwungvol- bleiben, sorgen dafür, dass die nutzt einen der 55 nicht lenkbaren len Poem unseres Redakteurs be- Franzosen über Saarbrücken nicht Ballons, die damals 2,5 Millionen grüßt: „Hell strahlt ein jedes Aug’ in hinausgehen und sich am 5. August Briefe, aber auch Brieftauben (für Glück und Freude / Und Jubel tönt wieder nach Spichern zurückzie- die Rückantwort), Hunde und so- durch’s stille Thal der Saar . . .“ Die Reichskanzler hen. Die inzwischen eingetroffene gar Menschen hinausbeförderten. Saarbrücker Zeitung feiert die Bismarck mit preußische Verstärkung rückt Sein erster Bericht mit Auszügen Reichsgründung auf ihre Weise: dem gefange- nach, das Gefecht beginnt. Am 7. der Pariser Presse geht am 14. Ok- Nach 30 Jahren „Am Löwen“ wird nen französi- August bringt unser Blatt Genaue- tober 1870 um 17 Uhr ab, trifft nach das neu erbaute eigene Verlagsge- schen Kaiser res: „Als wir gestern gegen 5 Uhr Umwegen am 19. nachmittags in bäude in der Eisenbahnstraße be- Napoleon III. unsere Zeitung zur Presse gaben, Der Saarlouiser Traditionsverein „Die Dreissiger“ erin- Saarbrücken ein und wird erst am zogen. FOTO: DPA waren die Spicherer Höhen durch nert in historischen Uniformen regelmäßig an die Ereig- 22. in unserem Blatt veröffentlicht die braven preußischen Truppen nisse der Kriegsjahre 1870/71. FOTO: JENAL – die Zensur braucht schließlich genommen (. . .) Der Kampf ent- auch ihre Zeit. . . spann sich etwa gegen zwölf Uhr Am 18. Januar 1871 lässt sich Wil- mittags und dauerte ununterbro- gibt es „Lazareth-Gegenstände“. durchschreiten mussten, wird die helm I. auf Betreiben Bismarcks im chen, bis es Nacht geworden war. Das Schmunzeln vergeht einem je- Erstürmung dieser noch dazu Spiegelsaal von Versailles zum (. . .) Die Franzosen schlugen sich doch, wenn man die Suchanzeigen kunstvoll befestigten Stellung für Kaiser proklamieren, und die nicht minder brav als die Unsrigen, liest, von denen die Zeitung nach ein Ding der Unmöglichkeit hal- Königreiche Bayern und ihre Schusswaffen sind den preußi- der Schlacht überquillt: „Bitte! Bit- ten.“ Und: „Warum müssen sie Württemberg sowie die Groß- schen wenigstens gleich, und dabei te! Bitte! Wer irgendeine Auskunft auch geraden Weges auf den Berg herzogtümer Hessen und befanden sie sich in verschanzter, über den Schwerverwundeten Ru- losstürmen und den Stier bei den Baden werden gemeinsam schwer zu nehmender Stellung.“ dolf Cäsar aus Idar geben kann . . . Hörnern fassen? Wie gut könnten mit den Staaten des Nord- Mehrmals müssen die Deutschen Witwe Christian Cäsar“. Womit sie den kleinen Umweg über St. Ar- deutschen Bundes unter den ersten eroberten Hügel wieder wieder einmal die doppelte Funkti- nual machen, dort in aller Ruhe den der Führung Preußens räumen, dann bei glühender Au- on einer Zeitung deutlich wird: Stiftswald ersteigen und die Fran- zum neu gegründeten gust-Hitze mühsam Kanonen hi- heute als aktuelle Informations- zosen auf gleichem Boden in der Deutschen Reich ver- naufschaffen. quelle, morgen als Dokument von Flanke fassen!“ einigt, zu dem auch Krieg herrscht auch im Insera- historischer Qualität. Hinterher ist gut reden. Die Elsass und Lothrin- tenteil unseres Blattes. „Special- Der Saar-Chronist Ruppersberg, Preußen siegen, aber unter schwe- gen als „Reichslan- karten vom Kriegsschauplatz“ wer- dessen Berichte vom damals übli- ren Verlusten auf beiden Seiten: de“ gehören. Frank- den angeboten, „Helme, Tornister chen Hurra-Patriotismus infiziert 320 Tote und 1660 Verwundete bei reich muss eine ho- und Portepées“. „Wer angesichts sind, wagt hier unverblümte Kritik: den Franzosen, 850 Tote und 4000 he Kriegsentschädigung der gegenwärtigen Verhältnisse“ „Wer nur als Fußgänger diesen stei- Verwundete bei den Preußen. „Den zahlen, die im Deutschen Wertsachen verstecken will, kann len Berg erstiegen hat und, atemlos ganzen gestrigen Abend und die Reich zunächst eine Wirt- „Schatz-Kessel aus verzinktem Ei- oben angekommen, das Blachfeld ganze Nacht hindurch bis elf Uhr schaftsblüte auslöst. Das sen“ erwerben, und für Realisten vor sich sieht, dass die Preußen vormittags reiht Wagen sich an Wa- Deutsche Reich wächst bis zum

5/22 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

Von SZ-Redakteur Jörg Wingertszahn

ie Ereignisse um den Kriegseintritt des Deutschen Kai- serreichs am 1. Au- gust 1914 erfuhren Ddie Leser der Saar- brücker Zeitung erst am 3. August – der 2. August war nämlich ein Sonntag, und da erschien damals wie heute keine Zeitung. Die Bot- schaft der Zeit war klar und die SZ machte sie zum Titel auf Seite 1: „Der König ruft!“, war da zu lesen. Dann folgte in der Unterzeile „Rus- sischer Verrat“ – eine solche Wer- tung in einer Nachricht wäre aus heutiger Sicht eine Ungeheuerlich- keit. Die SZ gab unverhohlen dem vaterländischen Gefühl nach, an- ders als heute, wo zum Beispiel der Krieg in Afghanistan Befürworter und Gegner hat und die Distanz zum Geschehen viel größer ist. Die eigentliche Hauptnachricht des Tages findet man an diesem 3. August am Ende der Unterzeile „Beginn des Krieges“. So lapidar leitete die SZ den Krieg ein, der bis dahin zum blutigsten aller Zeiten „Auf in den Kampf, mir juckt die Säbelspitze“: Siegessicher ziehen deutsche Soldaten 1914 in den Krieg. Viele sollten ihre Heimat nie wieder sehen. FOTO: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG werden sollte. Schätzungen zufolge starben zehn Millionen Soldaten und sieben Millionen Zivilisten. 20 Millionen Soldaten wurden teils schwerst verwundet. Die Schuld sah man ausschließlich bei den anderen: „Russische Vorwärts mit Gott Machtgelüste haben einen Welten- brand entfacht, der in Neid und Hatz vernichten möchte, was deut- sche Tüchtigkeit in den letzten Jahrzehnten geschaffen hat. Der für Kaiser und Vaterland Zar hätte den Krieg verhindern können, er wollte es nicht. (. . .) In gleicher Weise sind die Franzosen Voller Euphorie feierte die SZ den Beginn des Ersten Weltkrieges dafür verantwortlich, die seit Jahr- zehnten stets bereit waren, Russ- land mit Geldmitteln zu unterstüt- „Gestern vormittag versuchten formen, aber auch den Lehm des zen, einzig zu dem Zwecke, den Re- achtzig französische Offiziere in Schützengrabens. Das französische vanchegedanken durchführen zu preußischer Uniform in Lastkraft- Publikum hält sich etwas zurück. helfen. Es gilt für unsere Feinde, wagen die preußische Grenze west- Es fühlte sich nicht recht behaglich das Germanentum zu vernichten, lich von Geldern zu überschreiten. in dem Waffengrau. Aber die Da- ein frevelhafter Wunsche, der uns Der Versuch misslang.“ Noch war men, namentlich diejenigen mit das Schwert in die Hand drückt.“ die Begeisterung groß, von Kampf- der dicken Schicht Schminke, kön- Und so machte die Saarbrücker Zei- handlungen gab es noch relativ we- nen es sich doch nicht versagen, tung ihrerseits mobil: „Vorwärts nig zu berichten. „Deutsche Begeis- dem Konzert zuzuhören. (. . .) Hier mit Gott!“, forderte der Leitartik- terung“ hieß es am 8. August aus und da begrüßen sich Bekannte, die ler. „Das Volk steht auf, der Sturm Koblenz: „Die 30 Oberprimaner sich sonst selten sehen, weil sie in bricht los! Vorwärts mit Gut und des Friedrich-Wilhelm-Realgym- verschiedenen Schützengräben lie- Blut für Kaiser und Reich!“ nasiums, die sämtlich ihre Reife- gen. Die Engländer, die in den letz- prüfung bestanden, erklärten sich ten Tagen besonders eifrig am Fun- Nach der Reifeprüfung in den Krieg mit Begeisterung bereit, sofort in ken sind, ballern mit einer Energie, Am 4. August titelte die Zeitung das Heer einzutreten“ – wobei die „Hurra, es geht in den Krieg“ – der Ausbruch des Ersten als ob sie wieder eine frische Muni- „Deutschlands Kampf an zwei Worte „sofort in das Heer“ im Ver- Weltkriegs wurde im Deutschen Reich bejubelt. FOTO: DPA tionssendung aus Amerika bekom- Fronten. Wie die Russen, so haben gleich zum anderen Text auffallend men haben. Aber das Platzen der auch die Franzosen unter Bruch groß gedruckt waren. Schrapnells, der unheimlich knat- des Völkerrechts ohne Kriegserklä- Kriegserfolge wurden zunächst „Das Volk Hauptquartier“: „Die Panzerfeste ternde Ton, regt längst keinen son- rung den Kampf begonnen“. Einen überschwänglich gefeiert, an der Douaumont, der nordöstliche Eck- derlich mehr auf. Man ist derlei Tag später lautete die Schlagzeile Überlegenheit der deutschen Sa- steht auf, der pfeiler der permanenten Hauptbe- längst gewohnt.“ „Mir gefällt „Das perfide Albion“ (England, che ließ man keinen Zweifel. Anlass festigungslinie der Festung Ver- Spätestens nach dem Kriegsein- die Saarbrücker Anm. d. Red.). Und nicht selten war zur Freude hätte eigentlich die Sturm bricht dun, wurde gestern nachmittag tritt der USA 1917 auf Seiten der Al- in diesen ersten Kriegstagen zu le- überraschende Einnahme des los! Vorwärts durch das Brandenburgische In- liierten wendete sich das Blatt. Zeitung, weil sen von der „russischen Treulosig- Forts Douaumont bei Verdun am fanterie-Regiment Nr. 24 erstürmt Schlagzeilen zu schlechten Nach- keit“ und der englischen „Hinter- 26. Februar 1916 sein müssen. Doch mit Gut und und ist in unserer Hand.“ Absen- richten sind aber selten, sie werden ich mich über gute hältigkeit“. Die Titelseite war ge- die SZ blieb in ihrem Ton viel nüch- der: Oberste Heeresleitung. eher im Kleingedrucktem ver- Recherche in unserer spickt von Propaganda, die interna- terner und nachrichtlicher als in Blut für Douaumont galt damals als eine steckt. Das Deutsche Reich war der tionalen Kriegsnachrichten las den ersten Kriegsjahren. So titelte Kaiser und der modernsten Befestigungsana- Allianz nicht mehr gewachsen. Im Region freue, man auf Seite 2, die regional bezo- man auf Seite 1: „Die Panzerfeste lagen. Meterdicke Wände und De- September 1918 forderte die Obers- widersprüchliche genen auf Seite 3 – Nachrichten, Douaumont bei Verdun erstürmt“, Reich!“ cken sollten feindlichem Beschuss te Heeresleitung angesichts der de- die aus heutiger Sicht befremden. begleitet von einer „Kartenskizze standhalten – und taten es auch. saströsen Lage von der politischen Kommentare für eine Einige Beispiele: Am 8. August ver- von der Front im Westen“, verse- Zitat aus einem Mit brachialer Gewalt war die Feste Führung Verhandlungen über ei- Bereicherung halte SZ-Kommentar meldete die Saarbrücker Zeitung in hen mit dem Zusatz „Zum Aufbe- nicht einzunehmen. Da entdeckte nen Waffenstillstand. und mich manchmal der Nachrichtenspalte unter der wahren“. Zum Ereignis an sich zum Kriegsbeginn der Unteroffizier Kunze einen „Der Kaiser hat abgedankt!“ Überschrift „Verhaftete Spione“ die druckte die Zeitung auf Seite 2 Schacht, der ins Innere des Forts herzerfrischend ärgern Festnahme ausländischer Spione. nach der Ortsmarke „Großes führte. Im Handstreich überwan- Am 9. November veröffentlichte kann, wenn mir den er und rund 20 andere deut- die SZ die entsprechenden Bedin- sche Soldaten die 67 französischen gungen auf Seite 1. Insgesamt 18 eine Berichterstattung Unverhohlen Verteidiger, ohne dass ein Schuss Punkte umfasste der Auszug aus gegen den Strich geht.“ patriotisch fiel. Zehn Monate später war Dou- den Waffenstillstandsbedingun- zog die SZ am aumont wieder in französischer gen. Eine Auswahl: „2. Sofortige Hajo Hoffmann, 3. August 1914 mit Räumung Belgiens, Frankreichs ehemaliger Oberbürgermeister Hand, ohne dass sich der Grenzver- von Saarbrücken und in den Krieg und lauf wesentlich geändert hatte. Die und Elsaß-Lothringens binnen 14 früherer Wirtschaftsminister berichtete über die Verluste indes waren enorm: Tagen. Was von Truppen nach die- im Saarland Mobilmachung Schätzungen zufolge starben auf ser Zeit übrig bleibt, interniert oder (oben). Am 10. No- beiden Seiten 100 000 Mann. kriegsgefangen. 3. Abzugeben 5000 vember 1918 war al- Es gab aber auch noch andere Ge- Kanonen, zunächst schwere, les vorbei: Der Kai- schichten aus dem Krieg zu berich- 30 000 Maschinengewehre, 3000 ser hatte abgedankt, ten, wie diese „von einem Mitarbei- Minenwerfer, 2000 Flugzeuge. 4. in Saarbrücken bil- ter aus dem Felde“ vom Februar Räumung des linken Rheinufers. dete sich ein Arbei- 1916, der einen „Sonntagnachmit- Mainz, Koblenz und Köln besetzt ter- und Soldatenrat. tag in Lille“ beschreibt: „Ein herr- vom Feinde auf Radius von 30 Kilo- FOTOS: SZ-ARCHIV, RUP licher Frühlingssonntag verlockt meter Tiefe. 7. 5000 Lokomotiven, mich zu einem Spaziergang durch 150 000 Waggons, 10 000 Fracht- Lille. Wie ich durch die Rue natio- wagen abzugeben.“ Am 10. Novem- nale gehe, höre ich von weitem ber meldet die Zeitung: „Der Kaiser Konzertmusik. Die Hauptstraßen, hat abgedankt!“. Einen Tag später die auf den Platz einmünden, wie wird der Waffenstillstand unter- auch der Platz selbst, sind belebt zeichnet. Mit dem Versailler Ver- von zahlreichen Zuhörern, die trag von 1919 wird der Erste Welt- meist allerdings in Feldgrau geklei- krieg offiziell beendet. In Kraft tritt det sind. Man sieht Sonntagsuni- er am 10. Januar 1920.

5/23 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

Von SZ-Mitarbeiter Klaus Kalsch

s wird wohl ein Re- kord für die Ewigkeit bleiben: Innerhalb von einer halben Stunde läuft ein EMensch die 100 Me- ter zwei Mal in blanken zehn Se- kunden. Armin Hary, geboren am 22. März 1937 in Quierschied, hat das am 21. Juni 1960 beim Leicht- Der Saarländer Armin Hary lief athletiksportfest im Letzigrund als erster Mensch die 100 Meter von Zürich geschafft. Ein Saarlän- in 10,0 Sekunden. 1960 gewann der ist der „schnellste Mann der Der er bei den Olympischen Spielen Welt“. Die Saarbrücker Zeitung in Rom zwei Mal Gold. FOTOS: DPA reagiert am Morgen danach mit ei- ner Meldung über den „phantasti- schen Weltrekord“ auf der Titelsei- schnellste te. Für sie kommt Hary jedoch aus nern bei den Spielen von Rom die , weil er für den FSV star- Show. Zusammen mit Bernd Cull- tet. Am 23. Juni prangt dann sein mann, Walter Mahlendorf und Konterfei auf der SZ-Titelseite. Mann Martin Lauer gewinnt der Sprin- Auch bei der Darstellung von Ha- terkönig auch die 4x100-Meter- rys Werdegang im Sportteil des Staffel in der neuen Weltrekordzeit gleichen Tages taucht Quierschied von 39,5 Sekunden. Der Schluss- nur in Klammern auf – wieder ist läufer der Amerikaner stürmt zwar der damals 23 Jahre alte der Welt als Erster durchs Ziel, doch wird „Quierschder Bub“ ein Frankfurter. das US-Quartett später wegen ei- Doch den Weltrekord nimmt ihm nes Wechselfehlers disqualifiziert. niemand mehr. Obwohl es ein har- „Gold für Armin Hary“ – Armin Hary gewinnt sein zweites tes Stück Arbeit war, bis er die alte Gold „und die Wogen der Begeiste- Bestmarke geknackt hatte. Die Ju- Ein junger Mann rung schlugen über Deutschlands ry erkannte beim ersten Lauf nach- Weltklasseläufern zusammen“, träglich auf Fehlstart, obwohl der schreibt die SZ. Auch weil „der 100- Starter das Feld nicht zurückge- aus Quierschied Meter-Olympiasieger im Riesen- schossen hatte. Harry trat zusam- tempo über die Bahn jagte und sei- men mit drei weiteren Läufern zur rennt 1960 in Rom ne Füße kaum noch den Boden zu Wiederholung an, und wieder blieb berühren schienen“. Das nach Rom die Stoppuhr für ihn bei der Welt- zum Olympiasieg entsandte SZ-Redaktionsmitglied rekordzeit von exakt 10,0 Sekun- Hansgünther Adam war offensicht- den stehen. Nach dieser Maßarbeit lich komplett begeistert vom Auf- zählte Hary auch für die Saarbrü- tritt des Landsmannes. cker Zeitung zu den „größten deut- kunden aus den Büchern“ und Fehlstart, als er das pfeifende Pub- Großes Kapital kann Hary aller- schen Hoffnungen bei den Olympi- „brach die seit 1932 andauernde likum mit dem Finger auf den dings nicht aus dem Doppel-Erfolg schen Spielen in Rom“. Dort bestä- Vorherrschaft der Amerikaner“ auf Mund legend mahnte“, schilderte von Rom ziehen. Denn schon ein tigt Hary die Vorschusslorbeeren der kurzen Sprintstrecke, berichtet der namenlose Autor in der SZ die Jahr später beendet er, gerade mal eindrucksvoll, und lässt von Beginn die SZ am 1. September 1960. Um letzten Sekunden vor dem Start. 24 Jahre alt, nach Differenzen mit an keinen Zweifel daran, ein ganz einen Tag später in weißer Schrift „Dann fliegt Hary aus den Blöcken dem Deutschen Leichtathletik- heißer Kandidat auf die Goldme- im roten Balken den „schnellsten und liegt deutlich wahrnehmbar Verband wegen einer unkorrekten daille über die 100 Meter zu sein. Sprinter der Welt“ als ersten saar- vor dem geschlossenen übrigen Spesenabrechnung (es ging um 70 Schon als Zwischenlaufsieger ländischen Olympiasieger über- Feld“. Der Sieg – doch: Keiner der Mark) frustriert seine Karriere. hatte er in 10,2 Sekunden einen haupt zu feiern. Doch leicht wurde geschlagenen Amerikaner hält es Und bestätigt damit, was schon ein neuen Olympischen Rekord aufge- es Hary nicht gemacht. Denn erst für nötig, „den Deutschen zu sei- Jahr vorher in der SZ stand: Dass stellt. „Damit löschte er die seit der dritte Start des Endlaufs klapp- nem Erfolg zu beglückwünschen“. nämlich „der Umgang mit ihm we- 1932 gültige und danach einige Ma- te. „Die ganze Kaltblütigkeit Armin Noch einmal stiehlt Armin Hary Roter Balken und Titelbild: So berichtete die SZ am 2. Sep- gen seiner Eigenwilligkeit nicht le eingestellte Bestzeit von 10,3 Se- Harys zeigt sich nach dem zweiten den erfolgsverwöhnten Amerika- tember 1960 über Harys Olympiasieg. FOTO: SZ-ARCHIV immer einfach ist“.

Von SZ-Redakteur Dietmar Klostermann Die Mauer ein, Deutschland war kurz vor dem Mauerbau ab dem 13. August 1961 nicht zum Scherzen Nzumute. Die Saar- zerschneidet brücker Zeitung veröffentlichte am 12. August einen Bericht über die Dreharbeiten zu Billy Wilders Film „Eins, zwei, drei“ in Berlin. „Coca Cola contra Chruschtschow, das das Leben soll in Verkennung der Wirklich- keit nicht als Bloßstellung einer empfindlichen Schwäche des Wes- tens gezeichnet werden, sondern als Ideal der freien Welt. Ob uns der Berliner Deutschen dabei nicht das Lachen im Halse stecken bleibt?“, fragte sich der Autor Vitus B. Dröscher. Und er sollte Recht behalten: Erst Am 13. August 1961 riegelten DDR-Truppen alle Zugänge 20 Jahre später wurde der Wilder- Streifen zur Legende, die Deut- nach West-Berlin ab – Ulbricht hatte kurz zuvor gelogen: schen konnten die bitterböse Iro- nie verstehen und auch über sich „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ selber lachen. Während Wilder das Branden- burger Tor aus Pappmaché für 200 000 Mark am Set nachbauen Die „Aktivisten“ machen dann in Ulbricht noch am 15. Juni 1961 auf ließ, durch das „Hotte“ Buchholz der Nacht zum 13. August ernst. die Frage einer Korrespondentin auf dem Motorroller mit einer „Kommunistische Truppen riegeln der „Frankfurter Rundschau“ ge- Sechserkiste Coca Cola im Gepäck Ostberlin ab“, titelt die SZ am Mon- antwortet hatte, dass niemand die brauste, spielten sich am realen tag, 14. August. Die Schwarz-Weiß- Absicht habe, eine Mauer zu errich- Berliner Wahrzeichen erschüttern- Fotos auf der ersten Seite erinnern ten, beginnen kurz nach der Abrie- de Szenen ab. Die DDR-Grenztrup- an den Krieg: Sie zeigen Soldaten gelung der Sektorengrenze die pen drangsalierten und schicka- und Panzer. „Ostberlin glich am Maurerbrigaden ihr Werk im nierten auf Geheiß von oben die Sonntagmittag einem Heerlager“, Schutz von Panzern. Berliner, die alltäglich noch zwi- heißt es im Drahtbericht der Nach- Der Alltag von Hunderttausen- schen West und Ost wechselten. richtenagentur UPI. Und der na- den wird zerschnitten, auf Ver- Die zigtausend Ostberliner, die im menlose SZ-Kommentator nennt wandtschaftsbeziehungen, Liebes- Westen etwa bei Siemens & Halske die Ursache: „Eine Sperrkette von Sprung in die Freiheit: paare oder Arbeitsstellen keine arbeiten, werden als „Verräter an Panzern, schwer bewaffneten Sol- Der DDR-Grenzsoldat Rücksicht genommen. Beide Seiten der Arbeiterklasse“ diffamiert. Die daten und Vopos riegelt seit ges- Conrad Schumann richten sich pragmatisch ein mit Berliner SZ-Korrespondentin Re- tern alle Zugänge nach Westberlin überwindet am dem scheinbar Unabänderlichen. nate Marbach schreibt in der Sams- ab, um die Fluchtwege zu kontrol- 15. August 1961 den Im „Tränenpalast“ an der U- und S- tagsausgabe vom 12. August: „Die lieren, auf denen sich in den letzten Stacheldraht in Berlin. Das Bahnstation Friedrichstraße in Familienmitglieder eingerechnet Wochen Zehntausende von Ein- Foto wird weltberühmt. Ostberlin werden sich über Jahr- treffen die SED-Schikanen mehr wohnern der Zone dem wachsen- zehnte ergreifende Szenen abspie- als zehn Prozent aller Ostberliner. den Terror der kommunistischen len, wenn die Besucher aus dem Sie treffen sogar Kinder, denen der Diktatur entzogen haben.“ Westen um 24 Uhr spätestens wie- Lehrer in der Schule erzählt, ihr Der Massen-Exodus aus der „Zo- der in die Freiheit gehen dürfen Vater handele unmoralisch, wenn ne“, wie die DDR von den meisten und ihre Verwandten und Freunde er in Westberlin arbeite statt als westdeutschen Presseorganen An- hinter der Mauer zurücklassen Aktivist in einem Betrieb unserer fang der 60er Jahre genannt wird, müssen. Erst ein Zettel, den der Republik, die Arbeit für alle hat. Neuer Berliner Alltag im Spätsommer des Jahres 1961: Die Mauer steht, war der Hauptgrund für das SED- SED-Obere Günter Schabowski am Knirpse kommen weinend heim: drei Frauen sitzen auf der Westseite unterm Sonnenschirm, unterhalten Regime unter Walter Ulbricht, die 9. November 1989 hervorzieht und Vati, warum bist du kein Aktivist?“ sich und stricken. FOTOS: KEYSTONE Grenzen dicht zu machen. Obwohl vorliest, beendet das Elend .

5/24 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

des Attentats gewesen sein könnte. Obwohl die SZ bereits am Tag nach dem Attentat von einem „Schock in der ganzen Welt“ berichtet, ver- säumt sie es nicht, darauf hinzu- weisen, dass Kennedy im eigenen Land längst an Strahlkraft verloren hatte: „Der Präsident war nach Te- xas gekommen, um seine schwin- dende Popularität in diesem für die nächsten Präsidentschaftswahlen wichtigen Staat aufzufrischen.“ Dann überschlagen sich die Er- eignisse. Als die SZ am Montag die Berichterstattung über das Kenne- dy-Attentat fortsetzt, ist der mut- Fans in aller Welt maßliche Mörder nicht nur gefun- den – er ist bereits tot. Die SZ zeigt trauern um John Lennon ein Foto von Lee Harvey Oswald, al- so des Mannes, der die drei Schüsse „Dann zog der Mann einen Revol- auf den Präsidenten abgegeben ha- ver und gab fünf Schüsse auf den ben soll. Sie titelt: „Der mutmaßli- berühmten Musiker ab“, berichtete che Täter erschossen“. Am 24. No- die SZ am 9. Dezember 1980. „In vember 1963 gegen 11.20 Uhr hatte Brust, Arm und Kopf getroffen, der Nachtclubbesitzer Jack Ruby in brach John Lennon stark blutend der Garage im Tiefgeschoss des Po- zusammen.“ Auf dem Nachhause- So berichtete die SZ am 23. November 1963 auf der Titelseite über das Attentat auf Kennedy. FOTOS: SZ-ARCHIV lizeihauptquartiers auf Oswald ge- weg von einem Tonstudio war „der schossen. Oswald sollte von dort Kopf der Beatles“ von dem exzen- aus ins Bezirksgefängnis von Dallas trischen Fan Mark David Chapman überstellt werden. Vor laufenden erschossen worden. „Fans in aller Kameras rief Ruby „Du hast mei- Welt trauern um Ex-Beatle John nen Präsidenten getötet, du Ratte“ Lennon“, hieß es auf der Titelseite. – und schoss Oswald in den Bauch. Die SZ würdigte das Werk Lennons: Drei Schüsse töten „Seine Texte waren nicht selten „Der Fall ist nicht abgeschlossen“ persönliche Glaubensbekenntnisse Dass Jack Ruby Kontakte zur Mafia mit einem gewissen Sendungsbe- gehabt haben soll, nährte die Ver- wußtsein.“ Und: „Der Mythos der schwörungstheorien. Die Mafia ha- Beatles erfährt durch diesen sinn- Amerikas Hoffnung be Kennedy aus dem Weg räumen losen Mord eine weitere, diesmal lassen, weil er ihre Geschäfte stör- tragische Dimension.“ fre/tho te, lautet eine dieser Theorien. Bis heute sorgt der Mord an John F. Kennedy für wilde Spekulationen Wahlweise schieben die Verschwö- rungstheoretiker das Attentats- Komplott aber auch unter anderem dem amerikanischen Geheim- dienst, Kennedys Nachfolger John- son, der kubanischen Regierung oder auch der Rüstungsindustrie zu. Alle diese Theorien haben zwei Dinge gemeinsam: Die Geschichte vom 25-jährigen Marxisten Os- wald, der mehrere Jahre in der Sowjetunion gelebt hat und schon früher durch Drohbriefe aufgefal- len war, ist ihnen zu einfach. Und dadurch, dass Oswald aus dem Weg geräumt wurde, konnten die ech- ten Spuren verwischt werden. Abscheu über das Attentat Bereits am Tag vier nach dem At- tentat greift die SZ das mulmige auf den Heiligen Vater Gefühl auf, das sicher viele ihrer Leser nach dem Tod des Attentä- „Schreie, Schüsse, Panik, Men- ters haben. Sie schreibt: „In den schen stroben auseinander. Der Vereinigten Staaten herrscht eine Fahrer des Jeeps raste zurück in die gewisse Unruhe darüber, dass schützenden Mauern des Vati- durch den tödlichen Pistolenan- kans.“ So beschrieb die SZ die Er- schlag auf Oswald eine wesentliche eignisse des 13. Mai 1981. Der türki- Frage für alle Zeiten ungelöst blei- sche Extremist Mehmet Ali Agca ben wird, dass die Welt nie mehr hatte auf dem Petersplatz das Feu- mit letzter Sicherheit erfahren er auf Papst Johannes Paul II. er- wird, ob Oswald der Mörder Präsi- öffnet, während dieser gerade zwei dent Kennedys war.“ Polizei und Kinder segnete. Eine Not-Operati- 22. November 1963, 12.30 Uhr: Die letzten Minuten des John F. Kennedy. Während der Fahrt durch Dallas treffen Staatsanwaltschaft seien sich si- on rettete das Leben des Kirchen- den US-Präsidenten drei Schüsse. Seine Frau Jackie kümmert sich sofort um ihn. FOTOS: KEYSTONE, SÜDDEUTSCHE ZEITUNG cher: „Er war es“, hieß es in der SZ oberhaupts. „Was bleibt sind Ab- am 25. November, obwohl Oswald scheu, Entsetzen und Fassungslo- bis zuletzt versicherte: „Ich habe sigkeit über Tat und Täter. Und die Kennedy nicht getötet.“ Am Tag da- Hoffnung, daß Karol Woityla wie- rauf zitiert die SZ allerdings einen der bald und völlig genesen möge“, Sprecher der amerikanischen Bun- kommentierte die SZ. Johannes despolizei FBI mit dem Satz: „Der Paul II. führte die Kirche tatsäch- Fall ist nicht abgeschlossen.“ lich noch 24 Jahre an. fre/tho „Ich bin ein Berliner“ Zunächst berichtet die SZ aber über die Beerdigung Kennedys und die weltweite Trauer. Der mit dem Sternenbanner bedeckte Sarg, die Staatsgäste aus aller Welt werden gezeigt. Und ein Foto aus Berlin. Vor dem Schöneberger Rathaus versammelten sich 260 000 Men- schen – also dort, wo Kennedy knapp fünf Monate vor seinem Tod gesagt hatte: „ Ich bin ein Berliner“. Nicht nur dieser Satz wird den Deutschen bleiben. Auch die Spe- kulationen um den Tod des Man- nes, der ihn ausgesprochen hat, be- gleiten sie weiter. So berichtet die „Man kann nur hoffen SZ zum Beispiel am 21. Februar 2007 über einen „bislang unveröf- und auch beten“ fentlichten Film, der die letzten Se- kunden John F. Kennedys vor dem „Die Frau im weißen Kleid hatte ei- Attentat 1963 zeigt“. Dieser Film, nen Blumenstrauß und ein Buch Von SZ-Redakteur „Präsident J. F. Kennedy erschos- trauernden Menschen vor dem schreibt die SZ, „widerlegt eine der bei sich, das sie angeblich signieren Martin Rolshausen sen“, titelte die Saarbrücker Zei- Krankenhaus. Sie berichtet darü- populärsten Verschwörungstheo- lassen wollte. Lafontaine beugte tung in ihrer Wochenendausgabe ber, dass die Tatwaffe, „ein automa- rien“. Und erklärt: „Sie beruhte da- sich zu ihr – und da stach die Atten- gal, was nach dem 22. vom 23./24. November 1963. „Auf tisches Gewehr“, gefunden wurde. rauf, dass die Einschusslöcher auf täterin mehrmals zu.“ Am 26. April November 1963 in der der Fahrt durch Dallas wurde er Davon, dass Vizepräsident Lyndon dem Sakko nicht mit denen auf der 1990 berichtete die SZ über das Zeitung stand, in der durch Schüsse aus einer automati- B. Johnson als 36. US-Präsident Leiche übereinstimmten. Die Auf- „feige Attentat“ auf Oskar Lafon- Saarbrücker Zeitung schen Waffe niedergestreckt. Noch vereidigt wurde. Der Name Lee nahmen eines Hobbyfilmers zei- taine, damals Ministerpräsident an oder in einer anderen bei Bewusstsein wurden er und der Harvey Oswald fällt nicht. gen: Kennedys Anzug war hochge- der Saar und Kanzlerkandidat der Eirgendwo auf der Welt Gouverneur von Texas, John Con- Zu diesem Zeitpunkt wird noch rutscht.“ Und am 19. Mai 2007 SPD. Bei einem Wahlkampfauftritt – es gibt Menschen, die werden nie nally, in das nächste Krankenhaus über „erste Spuren von Attentä- heißt es in der SZ: Die Ermordung in Köln-Mülheim war Lafontaine glauben, dass Lee Harvey Oswald gefahren“, schreibt die SZ. Gegen tern“, also über mehrere Täter, spe- Kennedys sei „laut einer neuen von der psychisch kranken Adel- John F. Kennedy, den 35. Präsiden- 12.30 Uhr fielen drei Schüsse. Im kuliert. Auch über deren Motive Studie offenbar nicht das Werk ei- heid Streidel mit einem Messer- ten der Vereinigten Staaten von Krankenhaus starb Kennedy kurz gibt es nur Spekulationen. „Noch nes Einzeltäters gewesen“. Denn: stich nahe der Halsschlagader le- Amerika, erschossen hat. Um kaum nach seiner Einlieferung. Gegen 13 ist das Motiv der Attentäter nicht „Neue ballistische Untersuchun- bensgefährlich verletzt worden. ein Ereignis der Weltgeschichte Uhr wurde er für tot erklärt. bekannt“, schreibt die SZ. Es werde gen unter Rückgriff auf moderne Die Bundesrepublik war geschockt. ranken sich nämlich so viele Ver- Die SZ berichtet von der unver- jedoch vermutet, „dass die Rassen- Methoden der Statistik und der „Man kann nur hoffen und auch be- schwörungstheorien wie um das letzten, „äußerlich beherrschten“ politik des Präsidenten, die ihm in chemischen Analyse zeigten, dass ten, daß der Ministerpräsident den Attentat auf John F. Kennedy an je- Präsidentengattin Jackie Kennedy, den Südstaaten der USA viele erbit- Lee Harvey Oswald damals nicht Anschlag überlebt“, kommentierte nem 22. November 1963 in Dallas. von einem weinenden Senator und terte Feinde brachte“, Hintergrund der einzige Schütze gewesen sei.“ die SZ auf der Titelseite. fre/tho

5/25 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

„Eine Das historische Ereignis füllte am 21. Juli 1969 nahezu die ge- Sternstunde samte Titelseite unserer Zeitung. FOTO: SZ-ARCHIV blick bereits fast ihren gesamten Treibstoff verfeuert. Neil Arm- strong behielt in dieser Situation einen kühlen Kopf, schaltete die der Menschheit“ automatische Steuerung der Fähre ab und landete von Hand mit der letzten Treibstoffreserve einige Fasziniert und detailliert berichtet die SZ hundert Meter entfernt. Die Analy- se der Nasa ergab später, dass die im Juli 1969 über die Mondlandung Tanks eine halbe Minute später leer gewesen wären. Die weltweite Begeisterung über das Apollo-Projekt – 600 Millionen Von SZ-Redakteur banten. Dass die US-Astronauten Menschen auf dem gesamten Glo- Peter Bylda überhaupt in der Lage waren, auf bus verfolgten die ersten Schritte einem atmosphärelosen Himmels- der Astronauten auf dem Mond – it zwei einfa- körper herumzuspazieren und spä- hat bekanntlich nicht lange vorge- chen Mitteln ter im typischen Känguru-Schritt halten. Schon an den Starttermin können Journa- herumzuhopsen, verdankten sie ei- von Apollo 12 (14. November 1969) listen ihren Le- nem Wunderwerk der Technik: ih- können sich heute nur noch Raum- sern die Bedeu- rem Raumanzug. Unter der Über- „Furcht ist fahrt-Enthusiasten erinnern. Und Mtung eines Er- schrift „16 Schichten schützen ihr mit Apollo 17 endete das Nasa- eignisses vor Augen führen, ohne Leben“ erfuhren die Leser der SZ- uns kein Mondprogramm schließlich im auch nur eine einzige Zeile ge- Ausgabe vom 21. Juli 1969, es war Jahr 1972 vorzeitig. schrieben zu haben: Die Platzie- ein Montag, alles über den Aufbau unbekanntes Nur zum 40. Jahrestag der rung einer Nachricht und die Grö- dieser Weltraumpanzerung. Gefühl.“ Mondlandung im Jahr 2009 geriet ße ihrer Überschrift verraten alles. Das 65-Kilogramm-Monstrum Apollo 11 noch einmal in die Schlag- Das Wichtigste des Tages steht auf wog auf dem Mond wegen der ge- Neil Armstrong zeilen. Auslöser war die „Enthül- der Seite 1 und je wichtiger es ist, ringeren Schwerkraft zwar nur ein wenige Tage lung“ einer Traueransprache des desto größer wird es dort präsen- Sechstel, schränkte jedoch die Be- vor dem Flug damaligen US-Präsidenten Ri- tiert. An diesem Maßstab gemessen wegungsfähigkeit der Raumfahrer zum Mond chard Nixon für den Fall des ist das Ereignis, über das die Re- arg ein. Tiefer als 55 Zentimeter schlimmsten anzunehmenden Un- daktion der Saarbrücker Zeitung in konnte sich der Astronaut nicht bü- falls auf dem Mond. Dies wäre nach der Ausgabe vom 21. Juli 1969 be- cken, fiel er hin, durfte er keines- Ansicht der amerikanischen richtete, von wahrhaft einmaliger falls auf dem Rücken liegenbleiben. Raumfahrtplaner nicht der Absturz Bedeutung. Über die gesamten Aufstehen war nur aus der Bauch- der Landefähre auf dem Erdtra- Breite der Titelseite erstreckte sich lage möglich. Deshalb war Vorsicht banten gewesen, bei dem die Astro- in dieser Ausgabe auf sechs Spalten bei der ersten Mondlandung obers- nauten in Sekundenbruchteilen Breite in fast drei Zentimetern ho- tes Gebot. Von der Landschaft in ums Leben gekommen wären. Als hen Riesenlettern die Überschrift der fünf mal 13 Kilometer großen weit schlimmer galt eine Panne am „Zum erstenmal Menschen auf ovalen Landezone sahen die beiden Wiederaufstiegsmotor ihrer Lan- dem Mond“. Es war der Tag der ers- Astronauten wenig. Sie durften defähre, die den Rückflug verhin- ten Mondlandung von Apollo 11, ei- sich maximal 90 Meter von ihrer dert und die Raumfahrer zu einem ne „Sternstunde der Menschheit“, Landefähre Eagle entfernen. Im langsamen Tod auf dem Erdtraban- wie die Kollegen der SZ-Redaktion Gegensatz zu späteren Apollo-Mis- ten verurteilt hätte. vor über 40 Jahren in ihrem Leit- sionen, bei denen die Astronauten „Erfolg oder Katastrophe“ artikel schrieben. mehrere Mondspaziergänge unter- Millionen Menschen weltweit nahmen, mehrere Tage auf dem Solche vermeintlich „sensationel- hatten an diesem Morgen bereits Mond verbrachten und Ausflüge len“ Enthüllungen aus der Welt des die Beinahe-Liveübertragung des von über 20 Stunden Länge unter- Internets spielen jedoch vor allem Ausstiegs von Neil Armstrong und nahmen, stattete Apollo 11 dem mit dem kurzen Gedächtnis der Edwin Aldrin – Funksignale benö- Erdtrabanten eher eine Stippvisite „Nur Sand, heutigen Generation Online. Die tigen über eine Sekunde vom Mond ab. Nur zweieinhalb Stunden blie- Erinnerung an die Apollo-Pioniere zur Erde – an den Bildschirmen ben den Astronauten, um gut 21 Ki- Mondstaub, ist bei den jungen Menschen mitt- verfolgt. Doch zu erkennen war auf lo Mondgestein einzusammeln. lerweile so dünn geworden, dass im den unscharfen Schwarz-Weiß-Bil- keine Farbe. 21. Jahrhundert sogar jeder dritte „Nervöse Anspannung“ dern so wenig, wie für deutsche Oh- Irgendwie Amerikaner bezweifelt, dass jemals ren in der verrauschten Tonüber- „Furcht ist uns kein unbekanntes Astronauten über den Erdtraban- tragung die heute weltberühmten Gefühl“, hatte die SZ-Redaktion eine ten spazierten. Der potenzielle Worte des ersten Menschen auf ei- am 16. Juli Neil Armstrong, den Schwachpunkt der Mondlandefäh- nem fremden Himmelskörper zu ersten Mann auf dem Mond, zitiert prächtige re und das Risiko eines technischen verstehen waren: „That’s one small und weiter berichtet, er habe bei Einsamkeit.“ Versagens waren nicht nur den step for a man, one giant leap for diesem Interview „eine gewisse Raumfahrtplanern und Astronau- mankind.“ „Das ist ein kleiner nervöse Anspannung“ gezeigt. Was Edwin Aldrin nach ten bekannt, selbst die Zeitungsle- Schritt für einen Menschen, aber die Kollegen der SZ-Redaktion am seiner Rückkehr ser des Jahres 1969 waren bereits ein großer Sprung für die Mensch- Tag der Mondlandung nicht be- auf die Erde in allen Details informiert. Unter heit“, hatte Neil Armstrong kurz richteten – diese Details wurden der Überschrift „Mondlandefähre nach dem Ausstieg aus der Mond- von der amerikanischen Raum- Adler hat keinen Ersatzmotor“ be- fähre erklärt. fahrtagentur Nasa viel später ver- richtete die SZ am 21. Juli 1969 Schon in den Tagen zuvor hatte öffentlicht – war, mit welcher Geis- über die „wirklich entscheidende die SZ-Redaktion immer wieder in tesgegenwart Armstrong die Apol- Sekunde“, den Moment, der über großer Aufmachung über die Apol- lo-11-Mission vor einer Katastro- „Erfolg oder Katastrophe des Pio- lo-11-Mission berichtet. Am Tag phe bewahrte. Beim Endanflug der nierfluges zum Mond“ entscheiden der Landung, der Ausstieg der Ast- Raumfähre Eagle erkannten die werde. Der Wiederaufstiegsmotor ronauten aus der Landefähre be- Astronauten, dass der Landeplatz der Landefähre war das Bauteil des gann am 21. Juli gegen drei Uhr im Mare tranquilitatis ein mit Fel- Apollo-Konzepts, das nie zuvor un- morgens Mitteleuropäischer Zeit, sen übersäter Krater und fürs Auf- ter Mondbedingungen hatte getes- erklärte sie noch einmal detailliert setzen völlig ungeeignet war. Es tet werden können. „Dieser Motor unter der Überschrift „Eine sehr war der denkbar schlechteste Mo- muss funktionieren, für ihn gibt es sanfte Landung“ alle Details des ment für diese Erkenntnis, denn Beginn der historischen Reise: Am 16. Juli 1969 startete die Saturn-V- keinen Ersatz“, erfuhren die SZ- Abstiegsmanövers auf den Erdtra- die Eagle hatte in diesem Augen- Rakete mit der Apollo-11-Mannschaft Richtung Mond. FOTO: IMAGO Leser. „Für Neil Armstrong und Edwin Aldrin würde es keine Ret- tung geben, wenn sie nicht zurück- HINTERGRUND starten können.“ ...... Dieses Schreckensszenario ist zum Glück Theorie geblieben – die Die Raumfahrt-Geschichte ist nicht nur von großartigen Erfol- Apollo-11-Pioniere schrieben Welt- gen, sondern auch von schweren Rückschlägen geprägt. „Raum- geschichte. Und während die SZ- flug-Katastrophe: ,Challenger’ mit siebenköpfiger Besatzung ex- Leser noch einmal alle Details der plodiert“, titelte die SZ am 29. Januar 1986. Am Tag zuvor hatte geglückten Mondlandung und des sich die „drei Milliarden DM teure Raumfähre“ nur 75 Sekunden Arbeitsprogramms der Astronau- nach dem Start in einen „riesigen Feuerball“ verwandelt, wie ten auf dem Erdtrabanten studier- dem großen Aufmacher auf der Titelseite zu entnehmen ist. ten, starteten die beiden Mond- Noch 45 Minuten nach der Explosion seien Trümmer in den At- Pioniere bereits wieder zum Rück- lantik gefallen, hieß es. Die sieben Astronauten, unter ihnen flug zu ihrem Mutterschiff, in dem zwei Frauen, hätten „keinerlei Überlebenschance“ gehabt, zi- der dritte Mann der Apollo-11- tierte die SZ die Raumfahrtbehörde Nasa. Die Weltöffentlich- Mannschaft auf sie wartete. Für 21 keit, die das Unglück live am Fernseher verfolgte, war geschockt. Stunden und 36 Minuten war der Als Grund für die Explosion wurde später ein fehlerhafter Dich- Astronaut Michael Collins an die- tungsring ermittelt. Am 1. Februar 2003 verlor die Nasa beim sem 21. Juli 1969 der einsamste Armstrong und Aldrin hissen die US-Flagge auf dem Mond. FOTOS: DPA, NASA Absturz der „Columbia“ erneut sieben Astronauten. fre/tho Mensch im Weltall gewesen.

5/26 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

Als die RAF dem Staat den Krieg erklärte

„Die Mörder sind unter uns“: Der Terror der „Baader-Meinhof-Bande“ versetzt Deutschland in den Siebziger Jahren in Angst und Schrecken

Von SZ-Redakteur zu versetzen“. Gleichzeitig warnt Die „Baader/Meinhof- Thomas Schäfer der Autor: „Wir haben nach der Bande“ auf einem Verhaftung der Baader-Meinhof- Fahndungsplakat aus ie Bullen sind Bande manches zu überdenken, um dem Jahr 1972. Ganz Schweine (. . .) und zu verhindern, dass Selbstgerech- oben auf der Verbre- natürlich kann ge- tigkeit weitere Meinhof-Nachfol- cherliste stehen Ulri- schossen werden.“ ger gebiert.“ ke Meinhof, Andreas Im Juni 1970 er- Genau dies passiert: Die „Mein- Baader und Gudrun Dklärt Ulrike Mein- hof-Nachfolger“ treten ins Ram- Ensslin. FOTO: DPA hof Deutschland den Krieg. 28 Jah- penlicht. Und die zweite Generati- re dauert der Amoklauf der „Roten on der RAF geht noch skrupelloser Armee Fraktion“. Ihrem „bewaff- vor. Am 24. April 1975 wird die neten Kampf“ gegen das „imperia- deutsche Botschaft in Stockholm listische System“ fallen mehr als 30 mit dem Ziel überfallen, 26 inhaf- Menschen zum Opfer. Kaum ein tierte RAF-Mitglieder freizupres- Thema füllte in jener Zeit so häufig sen. Vier Menschen sterben. „Ver- die Titelseiten der SZ. Gefangener der RAF: Arbeitgeber- brecher, Mörder“, heißt der SZ- 1968 geht es los. Obwohl die RAF präsident Hanns-Martin Schleyer Kommentar am 25. April. Einen noch gar nicht existiert, schafft sie Tage vor seinem Tod. FOTO: DPA Tag später sagt FDP-Generalsekre- es bereits auf Seite 1. „Brandstifter tär Martin Bangemann als SZ-Re- richten Millionenschaden an“, daktionsgast: „Dieser Terrorismus heißt es dort am 4. April. Berichtet ist eine Form von moderner Pest.“ wird über „unbekannte Täter“, die Und der Terror setzt sich fort, Feuer in den Frankfurter Kaufhäu- heftiger denn je zuvor, auch nach sern „Schneider“ und „Kaufhof“ dem Selbstmord von Ulrike Mein- gelegt haben. Schnell kommt die hof, den die SZ am 11. Mai 1976 so Polizei den Verbrechern auf die kommentiert: „Die Hoffnung ist so Spur, unter ihnen sind Gudrun gut wie auszuschließen, dass mit Ensslin und Andreas Baader. Und ihrem Tod die Aktivitäten jener ebenso schnell ist klar: Es handelt Terrorbanden in absehbarer Zeit sich um einen politischen Rache- „Die Ermordung von aufhören, die sich unter ihre ideo- akt. Die Brandstifter wollten gegen logische Führung stellten.“ Ein den „Völkermord in Vietnam“ pro- Hanns-Martin knappes Jahr dauert es danach testieren. Jetzt müssen sie für drei noch, bis der Mord an Generalbun- Jahre „ins Zuchthaus“. Doch Baa- Schleyer ist die desanwalt Siegfried Buback „Ab- der und Ensslin tauchen unter, Untat von Bestien, scheu und Empörung“ auslöst. Die Baader aber geht der Polizei am 4. SZ spricht an Ostern 1977 vom April 1970 wieder ins Netz. denen man die „schwersten Attentat der Nach- kriegszeit“ und „schlimmsten An- Die Geburtsstunde der RAF Qualität Mensch nur schlag auf unseren Rechtsstaat“. Meinhof und Ensslin, die sich seit zögernd zugesteht. Chefredakteur Hans Peter Sommer dem Brandstifter-Prozess kennen, nennt den „feigen Meuchelmord“ Schlagzeilen aus dem planen sofort die Befreiung Baa- Dieser Mord den „schrecklichen Höhepunkt in blutigen „Deutschen ders: Es wird die Geburtsstunde einer langen Reihe von Terroran- Herbst“ des Jahres der RAF. Unter dem Vorwand eines darf nicht schlägen“. Wenn Buback, Symbolfi- 1977: Die SZ-Titelsei- Buchprojekts sorgt die seinerzeit ungesühnt bleiben.“ gur im Kampf gegen den Terror, ten nach dem Mord bundesweit bekannte Journalistin nicht sicher war vor den Mörderku- an Hanns-Martin Meinhof dafür, dass sie sich mit SZ-Chefredakteur geln, schreibt Sommer, „wer ist Schleyer (oben) und Baader im Deutschen Zentralinsti- Hans Peter Sommer dann in unserem Staat überhaupt nach der Erstürmung tut für Soziale Fragen in Berlin- am 20. Oktober 1977 noch sicher?“ Zugleich kritisiert er der Lufthansa-Ma- Dahlem treffen kann. Mit dramati- das Vorgehen der Polizei im Saar- schine „Landshut“ mit schen Folgen. „Kaufhaus-Brand- land. Nichts sei nach dem Buback- 86 Geiseln an Bord. stifter Baader von Maskierten mit Mord von verschärften Kontrollen Waffen befreit“, schreibt die SZ am nen „in den Metropolen der Bun- zu spüren gewesen, vielmehr hatte 15. Mai 1970 und spricht vom „bru- desrepublik“ an: „Der bewaffnete die SZ auf Nachfrage zur Antwort talsten Fall von Häftlingsbefreiung Kampf hat begonnen, kein Ausbeu- bekommen: „Glauben Sie denn, seit Kriegsende“. Vier Wochen spä- ter darf mehr ungestraft bleiben“, dass die Terroristen ausgerechnet ter folgt die Kriegserklärung Mein- zitiert die SZ am 26. Mai aus einem ins Saarland kommen?“ Sommer Am 17. Juni 1972 hofs mit der Ankündigung „die Ro- Drohschreiben. nennt das einen „Skandal“. Und er- verkündete die SZ te Armee aufzubauen“. Dann aber schlägt die Polizei zu, innert daran, dass „eine Ulrike die Verhaftung der Die Politik ist nach Baaders Be- wie die SZ am 3. Juni 1972 berich- Meinhof in Saarbrücken erholsame „RAF-Chefin“ freiung in höchster Alarmbereit- tet: „Nach der Festnahme der zum Stunden beim Zahnarzt verbringen Ulrike Meinhof. schaft. Berlins Regierender Bür- harten Kern der Baader-Meinhof- konnte und die Grenze nach Frank- FOTOS: SZ-ARCHIV germeister Schütz kehrt vorzeitig Bande gehörenden Männer And- reich in Terroristenkreisen als gute mit einem Sonderflugzeug vom reas Baader, Holger Meins und Durchschlupfmöglichkeit galt“. SPD-Parteitag in Saarbrücken zu- Jan-Carl Raspe läuft die Großfahn- „Dies ist ein Krieg“ rück. „Man berät, wie organisierter dung nach weiteren Anhängern der Terror jetzt in Berlin wirksamer Anarchistengruppe in der gesam- Die blutige Gewalt steuert jetzt auf bekämpft werden könne“, erklärt ten Bundesrepublik weiter auf ihren Höhepunkt zu. „Attentat auf die SZ. Am 16. Mai erfahren die Le- Hochtouren“. Ganz oben auf der Schleyer: Vier Tote“, titelt die SZ ser, dass es „noch keine Spur von Fahndungsliste stünden Meinhof am 6. September 1977. Einen Tag Baader und Ulrike Meinhof“ gibt – und Ensslin. Meldungen, dass später kommentiert SZ-Chefre- trotz über 40 Hinweisen. Die SZ Meinhof ins Saarland geflüchtet dakteur Sommer unter der Über- kommentiert: „Das Verbrechen sei, fanden keine Bestätigung, heißt schrift „Die Mörder sind unter sen“ verlangen. Am Tag darauf be- SZ überdies die Selbstmorde der wurde von Leuten verübt, die be- es. Doch die Polizei lässt nicht lo- uns“: „Dies ist ein Krieg. Wir, die richtet unsere Zeitung seitenweise RAF-Mitglieder Baader, Raspe und wusst Terror und Gewalt gegen cker. „Gudrun Ensslin wurde in Bürger dieses Staates, haben jetzt über die „dramatische Zuspitzung Ensslin im Gefängnis Stuttgart- Personen als Mittel zum politi- verhaftet“, schreibt un- zu fordern, nachdrücklich und im- im Entführungsfall Schleyer“, der Stammheim. Doch der Schrecken schen Zweck einsetzen. Es kommt sere Zeitung am 8. Juni 1972 und mer wieder: Die uneingeschränkte nunmehr seit 40 Tagen in der Hand ist noch nicht vorbei. „Schleyer er- ihnen dabei auf Menschenleben nennt die Aktion einen „neuen ent- Verteidigung dieses Staates und von Terroristen ist. mordet“, titelt die SZ am 20. Okto- nicht an.“ Bundesinnenminister scheidenden Schlag gegen die seiner Menschen. (. . .) Dies ist ein Tage des Bangens und Hoffens ber, „Bestien“ ist der nebenstehen- Genscher macht klar: „Wir werden Anarchistenbande“. Am 17. Juni Krieg, die Bande von Kriminellen beginnen. „Unverminderter Kampf de Kommentar überschrieben. Ei- nicht dulden, dass Polizeibeamte dann der „letzte entscheidende hat es uns mit ihrem Namen Rote- um das Leben der Entführten“, nen Tag später werden auf fünf Sei- und andere unbeteiligte Bürger Schlag gegen den harten Kern der Armee-Fraktion längst angekün- heißt der Aufmacher am 17. Okto- ten alle Facetten der schrecklichen zum Freiwild für Terrorakte wer- Baader-Meinhof-Bande“: Ulrike digt. Wir haben uns darauf einzu- ber. „Lufthansa-Jet gestürmt“, Tat und der europaweiten Groß- den.“ Er sollte sich schwer irren. Meinhof, „Chefin der RAF“ und stellen, auf zehn, fünfzehn Jahre steht am Tag danach in übergroßen fahndung nach den Schleyer-Mör- „ideologischer Kopf der Gruppe“, der Auseinandersetzungen blutigs- Buchstaben auf der Titelseite. Die dern geschildert. Meinhof im Saarland? wird festgenommen. „Baader- ter Art. Alles andere ist Illusion.“ Unterzeile klärt auf: „Deutsche Der blutige „Deutsche Herbst“ Denn der Terror geht erst los. Der Meinhof-Bande ist jetzt führungs- Nicht Jahre, aber Wochen hält Spezialeinheit befreit alle 86 Gei- geht damit zu Ende, nicht aber der 39 Jahre alte US-Offizier Paul A. los“, lautet die Schlagzeile. „Die die Schleyer-Entführung die Nati- seln – Drei Terroristen nach Feuer- Terror in Deutschland. Die RAF tö- Bloomquist ist am 11. Mai 1972 der Jagd scheint zu Ende“, heißt es in on in Atem, kein Tag vergeht ohne gefecht getötet“. Von „Freude, tet weiter, 1989 Deutsche-Bank- erste Bombentote der RAF. Tage einem Kommentar, in dem die Fra- eine Terror-Nachricht auf der Ti- Trauer und Sorge“ schreibt die SZ Chef Alfred Herrhausen, 1991 den später setzt sich das Grauen fort. ge gestellt wird, warum es „eine telseite. Und am 14. Oktober wird am 19. Oktober, da die Geiseln wie- Treuhand-Vorsitzenden Detlev „Drei Tote bei Attentat auf Heidel- Handvoll Leute fertig brachte, ei- es ernst: „Boeing mit 91 Menschen der zu Hause sind, der Tod des Karsten Rohwedder. Sieben Jahre berger Hauptquartier“, titelt die SZ nen der mächtigsten Industriestaa- entführt – Luftpiraten drohten mit Lufthansa-Piloten Jürgen Schu- später erklärt die RAF dann ihr En- am 25. Mai 1972. Es war der sechste ten der Erde, ein Land ohne große Sprengung der Lufthansa-Maschi- mann zu beklagen ist und es weiter de, nachzulesen in einer zweispal- schwere Sprengstoffanschlag in- soziale Spannungen und eine im- ne“, titelt die SZ und erklärt, dass kein Lebenszeichen von Schleyer tigen Meldung auf der Titelseite nerhalb von zwei Wochen. Und die mer noch beneidenswert prospe- die Entführer die Freilassung der in gibt. Mit der Zeile „Der harte Kern der SZ: „Die Stadtguerilla in Form RAF kündigt weitere Terroraktio- rierende Gesellschaft in Aufregung Deutschland inhaftierten „Genos- löste sich selbst auf“ verkündet die der RAF ist nun Geschichte.“

5/27 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

Über Monate berichtete unsere Zeitung 1989 von den spannenden Entwicklungen in der DDR. Hier zu sehen sind die Titelseiten vom 9. Oktober sowie vom 10. und 11. November 1989. FOTOS: SZ-ARCHIV

Am 9. November 1989 wird das Unglaubliche wahr: Die DDR öffnet ihre Grenzen und lässt die Bürger ausreisen. Ein Paar in einem Trabi wird von fröhlichen Menschen mit Beifall in der Freiheit begrüßt. FOTO: IMO Grenzenlose Freude, Tränen des Glücks Kaum ein Ereignis hat die SZ so ausführlich dokumentiert wie den Fall der Mauer – „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“

Von SZ-Mitarbeiter offenbar selbst den Weg zur Ausrei- unverzüglich“). Im Aufmachertext henden deutschen Staaten unter- Wulf Wein se frei gegeben habe. „Bankrott auf heißt es: „Die Nachricht platzte im zeichnet. In der SZ ist dazu am 19./ Deutsch“ nennt diese Vorgänge der Bundestag mitten in die Debatte 20. Mai zu lesen: „Der erste Schritt elbst mehr als 20 Jahre SZ-Leitartikler. über steuerlich als gemeinnützig zur Einheit“ – und etwas kleiner: nach der Wiedergewin- In der DDR gibt es erstmals seit anerkannte Vereine. Anhaltender „Ab 1. Juli DM in DDR“. Berichte nung der deutschen 1953 größere Proteste gegen die Applaus brandete auf.“ über Freudenfeste in der DDR gibt Einheit mutet das, was Führung und Zusammenstöße von Am nächsten Tag begriff wohl es in der SZ vom 2. Juli. Die Schlag- damals in nur einem Demonstranten und Polizisten. auch der Letzte, was im (noch) ge- zeile lautet: „Die deutsche Einheit SJahr geschah, unwirk- „Was läuft falsch?“, fragt sich nicht teilten Land ablief. Auf der SZ-Ti- ist praktisch schon vollzogen“. Ein lich an. Aber es ist tatsächlich pas- nur der dortige SZ-Korrespondent. telseite ist ein sehr großes Bild zu SZ-Kommentator sieht „das Ende siert. In den SZ-Ausgaben von Mit- Fast prophetisch schreibt ein SZ- sehen, dass Mauerkraxler zeigt. der DDR“ gekommen. Am 24. Au- te 1989 bis Ende 1990 kann man es Kommentator in der Ausgabe vom Auch die Überschrift auf Seite 1 ist gust beschließen die Abgeordneten nachlesen. Das ist – ehrlich gesagt – 7./8. Oktober über Honecker: dementsprechend groß. Sie heißt: der DDR-Volkskammer das Aus für heute noch eine hoch spannende „Manch einer ist politisch bereits „Schlag auf Schlag: Die Mauer in ihren Staat. Die SZ berichtet: Lektüre. Da wird sozusagen von Deutschland bricht auf – DDR- „Deutsche Teilung endet in sechs Tag zu Tag dokumentiert, wie ein Führung verspricht bald freie und Wochen – Beitritt am 3. Oktober – Kapitel für das Buch der Weltge- „Manch einer geheime Wahlen“. Dem Anlass ent- Kohl: Tag der Freude für alle Deut- schichte in atemberaubendem sprechend gibt es weitere Artikel Vater der Einheit: „Der Bundestag sagt ja zur deut- schen“. Gleichzeitig wird darauf Tempo geschrieben wurde. ist politisch und Bilder auf den Seiten 2, 3, 4 und Kanzler Helmut schen Einheit“. Nur die Grünen hingewiesen, dass der SPD-Vorsit- Erste Risse im einst „Eisernen 5. Chefredakteur Rudolph Bern- Kohl mit Frau Han- seien noch für eine Politik der zende Oskar Lafontaine „schwere Vorhang“ zwischen dem Ostblock bereits tot. hard fragt in einem Leitartikel: nelore sowie Au- Zweistaatlichkeit ohne jedes Wenn Fehler des Kanzlers“ sieht. und dem restlichen Europa waren „Vor uns die Wiedervereinigung?“ ßenminister Gen- und Aber. Das ändert am einge- Er weiß es nur „Ein blühendes Land“ bereits im Mai 1989 zu erkennen. Und Altkanzler for- scher (links) und schlagenen Kurs der Verantwortli- Die Ungarn begannen, die Sperran- noch nicht.“ muliert seinen berühmten Satz: Bundespräsident chen nichts. Am 18. März gibt es die Doch es wird weiter Geschichte ge- lagen an der Grenze zu Österreich „Jetzt wächst zusammen, was zu- von Weizsäcker ersten (und letzten) freien Wahlen macht. Am 12. September vermel- abzubauen. Das hatte gravierende Zitat aus einem SZ-Kommentar sammengehört.“ Am 13. November am 3. Oktober zur DDR-Volkskammer. Die SZ det die SZ unter der Überschrift Folgen. Immer mehr DDR-Bürger vom 7. Oktober 1989 meldet die SZ: „Deutsche feiern 1990 vor dem Ber- schreibt vom „Ende der Revoluti- „Heute erhält Deutschland die vol- versuchten, ihrem Staat durch die- über DDR-Staatschef millionenfach das Wiedersehen“ – liner Reichstag. on“ und hält fest: „Die Existenz des le Souveränität von den Sieger- ses potenzielle Schlupfloch zu ent- und berichtet, dass der „Schießbe- Das untere Bild Landes neigt sich dem Ende zu.“ mächten“, dass die Außenminister kommen. Ende August waren fehl aufgehoben“ wurde. vom 10. November Am 19. März vermeldet die SZ ei- der USA, der Sowjetunion, von schon Zehntausende in Ungarn. Nun bemüht sich die Bundesre- 1989 zeigt nen „sensationellen Wahl-Sieg der Frankreich und Großbritannien Das Land wurde der Flüchtlings- tot. Er weiß es nur noch nicht.“ Am gierung intensiv, die Dinge weiter feiernde Men- konservativen Allianz“. den Zwei-plus-Vier-Vertrag in massen nicht mehr Herr. Dann ging 9. Oktober folgt dann eine erschre- voranzutreiben. Am 28. November schen auf und vor Im Mai wird der Staatsvertrag Moskau unterzeichnen. Fast schon es Schlag auf Schlag. ckende Schlagzeile: „DDR: Blutige stellt Kanzler Kohl seinen Zehn- der Mauer am über die geplante Währungs-, geschäftsmäßig erscheint die SZ- Am 31. August lautet die Aufma- Gewalt gegen friedliche Proteste“. Punkte-Plan zur Vereinigung vor. Brandenburger Wirtschafts- und Sozialunion der Berichterstattung darüber am cher-Überschrift der SZ: „Tausende In Ost-Berlin, , Die SZ berichtet am Tag darauf: Tor. FOTOS: DPA beiden noch für kurze Zeit beste- nächsten Tag: „Die vier Sieger- von DDR-Flüchtlingen erwartet“. und anderen Städten war es anläss- mächte entlassen die Deutschen in Und in einem Kommentar ist mit lich des 40. Jahrestages der Repub- die Einheit“, heißt die Schlagzeile. Blick auf die DDR-Führung von ei- lik bei Demos zu Übergriffen der Am 3. Oktober 1990 wird die Ein- ner „angeschlagenen Staatsmacht“ Polizei gekommen. Über die Mon- heit vollzogen. Allen Skeptikern zu lesen. Kurz darauf mahnt Bun- tagsdemonstration in Leipzig am 9. zum Trotz ist die Spaltung deskanzler (CDU), Oktober schreibt die SZ am nächs- Deutschlands beendet. Die SZ ti- man müsse die „Übersiedler als ten Tag: „50 000 demonstrierten in telt: „Nach Jahrzehnten der Tren- Landsleute aufnehmen“. Am 11. Leipziger Innenstadt“ – diesmal nung: Die deutsche Einheit“. Es ist September titelt die SZ: „Ungarn ohne Zwischenfälle. Am 12. Okto- weiter die Rede davon, dass Bun- läßt DDR-Bürger ausreisen“. Der ber hält ein SZ-Redakteur in einem deskanzler Kohl einen „Aufbruch SZ-Kommentator hält fest, dass für Kommentar fest: „Erich Honecker in ein blühendes Land“ sieht und die DDR ein Ausweg kaum noch am Ende“. Tatsächlich wird dieser den Neuanfang im Osten mit dem möglich erscheint und fragt: „Wie am 18. Oktober gestürzt. Wiederaufbau nach dem Zweiten lange kann dies noch gutgehen?“ Wer geglaubt hatte, die Situation Weltkrieg vergleicht. Am 4. Okto- Am nächsten Tag berichtet SZ-Kor- würde sich beruhigen, wurde rasch ber heißt es im SZ-Leitartikel: „Das respondent Werner Kern aus der eines Besseren belehrt. „DDR öff- Zusammenwachsen beginnt“. Der DDR und meint: „Die Lähmung in net Grenze zur Bundesrepublik – Autor meint: „Der Prozeß wird Ost-Berlin scheint perfekt.“ Ausreise und Besuche ab sofort zweifelsohne schwierig werden, Ende September kampieren auf möglich“ – so lautet die SZ-Schlag- und er wird auch lange dauern.“ Er dem Gelände der bundesdeutschen zeile am 10. November. Am Vor- sollte Recht behalten. Aus heutiger Botschaften in Prag und Warschau abend hatte SED-Politbüromit- Sicht bleibt allerdings festzuhalten, Tausende von DDR-Flüchtlingen. glied Günter Schabowski die ent- das die Wiedervereinigung eine Er- Die SZ meldet am 2. Oktober: „Er- sprechende, weltberühmt gewor- folgsgeschichte war. Für Millionen leichterung: 6300 Flüchtlinge im dene Erklärung vor Medienvertre- von Deutschen wurde dadurch ein Westen“. Weiter heißt es, dass tern abgegeben („Das tritt nach Traum, der fast schon ausgeträumt DDR-Staatschef Erich Honecker meiner Kenntnis . . . ist das sofort, zu sein schien, doch noch wahr.

5/28 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

M

Von SZ-Redakteur statt, wo einer der Anführer, Mo- te Stimmen aus dem Land einho- Ulrich Brenner hammed Atta, studierte. len, überschlagen sich die Ereignis- Die Dramatik der Ereignisse des se weiter: Um 15.59 europäischer as Weltereignis 11. September lässt sich nachvoll- Zeit stürzt der Südturm des World kommt live in die ziehen, wenn man die Überschrif- Trade Centers ein, um 16.28 Uhr Redaktion. Ungläu- ten der Ticker-Meldungen der der Nordturm. Tausende, das ist big blicken die Deutschen Presse-Agentur (dpa) klar, werden hier begraben. Nachrichten-Re- betrachtet, die an diesem Nachmit- In der SZ-Ausgabe vom 12. Sep- Ddakteure der SZ auf tag über die Bildschirme der Re- tember nehmen die Anschläge die den kleinen Fernseher, der das Bild dakteure flimmern. Bis kurz vor 15 gesamte Seite 1 ein, mit Ausnahme eines brennenden Wolkenkratzers Uhr interessiert sich die deutsche einer kleinen Meldung über die zeigt. Ein Unglück, ein Anschlag? Öffentlichkeit für Themen wie den Fortschritte bei der Saarbahn. Die Was ist da wirklich passiert an die- Haushalt 2002 und die Zukunft Schlagzeile ist weiß auf einem sem strahlend blauen September- von Verteidigungsminister Rudolf schwarzen Balken – eine spontane Morgen 2001 in New York, wo ein Scharping, der unter anderem we- Neuerung, ein Versuch, der Drama- Flugzeug in den Nordturm des gen peinlicher Privatfotos unter tik gerecht zu werden. ,,Angst und World Trade Centers gerast ist. Als Druck steht. Die Bedeutung einer lähmendes Entsetzen“ – die Über- wenige Minuten später unter den kleinen Meldung über ein Attentat schrift setzt die Kenntnis des Er- Augen der TV-Zuschauer eine auf den Führer der Taliban-Gegner eignisses einfach voraus, gibt nur zweite Maschine auftaucht und in in Afghanistan, Ahmed Schah Mas- Stimmung wieder. Im Aufmacher- den Südturm des höchsten Gebäu- sud, erschließt sich am frühen Text benennt eine Expertin den Al- des der Stadt stürzt, herrscht auch Schon am Tag der An- Nachmittag noch nicht. Um 14.56 Qaida-Chef Osama bin Laden be- in der SZ-Redaktion stummes Ent- schläge wurde Osama Uhr dann meldet dpa: „Eil!!!! Flug- reits als möglichen Drahtzieher der setzen und die Gewissheit: Das ist bin Laden als Drahtzie- zeug ins World Trade Center abge- Anschläge, obwohl es drei Monate kein Unfall, hier hat der schlimms- her genannt. FOTO: DAPD stürzt“. Das läuft noch in der Rub- dauern wird, bis ein Bekenntnis des Top-Terroristen vorliegt. Von einer ,,Wahnsinnstat, deren Hintergrün- de restlos aufgeklärt werden müs- sen“, spricht Ministerpräsident Pe- ter Müller. Die Bilder auf den fol- genden Seiten, die alle den schwar- zen Balken tragen, machen das Ausmaß deutlich: die rauchenden Terror Türme, die in Staub gehüllten Stra- ßen Manhattens, die gespenstisch aus den Trümmern ragenden Reste der Verkleidung der Twin-Tower, gegen weinende New Yorker, eine Rauch- wolke, die kilomerterhoch über der US-Metropole steht. Für die SZ-Redakteure wird es ein langer Tag und eine kurze die freie Welt Nacht. Am späten Abend, als die ak- tuelle Ausgabe ins Druckhaus ge- Ein schwarzer Balken auf der Titelseite der SZ sollte am 12. September die schickt ist, treffen sie sich erneut historische Dimension der Terror-Anschläge vom Vortag verdeutlichen. 3000 Tote in New York: zur Konferenz: Chefredaktion und Verlag haben beschlossen, am kom- Die Anschläge vom 11. September 2001 menden Vormittag die Saarländer auf den Märkten mit einem kosten- losen Extrablatt über die neuesten Entwicklungen zu informieren. Noch in der Nacht beginnen Vorbe- reitungen, viele Redakteure sind dann schon morgens um sechs Uhr wieder in der Gutenbergstraße, beugen sich über ihre Tastaturen, um in zwei Stunden die vierseitige Sonderausgabe fertig zu machen – bevor die Arbeit an der nächsten regulären Ausgabe beginnt. „Ohnmächtiger Zorn“ ,,Bush droht: für den Terror“, lautet die Schlagzeile des Extrablatts. „Die schlimmste Ter- rorattacke aller Zeiten hat die Weltmacht USA unvorbereitet und mit voller Wucht ins Mark getrof- fen“, schreibt SZ-Korrespondent Thomas Spang in seinem Kom- mentar. Selbst der Vergleich mit „Pearl Harbor“, wo einst Japan die Pazifik-Flotte der USA dezimierte, fasse nicht, was sich an diesem 11. September ereignet habe. „Die Ter- roranschläge von New York, von Washington und Pennsylvania ha- ben die Seele Amerikas getroffen, die Ikonen seiner Macht.“ Für US- Präsident George W. Bush komme es nun darauf an, „klaren Kopf und eine ruhige Hand zu bewahren, oh- ne den ohnmächtigen Zorn einer ganzen Nation zu vernachlässi- gen“. Ein verbreiteter Wunsch ist das: Denn neben dem Mitgefühl, te Terror-Anschlag der jüngeren Als um 9.03 Ortszeit rik ,,Vermischtes“, wo sonst ,,nor- das etwa am Donnerstag für fünf Geschichte stattgefunden. „Selbst auch in den Südturm male“ Naturkatastrophen und Pro- Schweigeminuten das öffentliche in den Albträumen wagte man sich des World Trade Cen- mi-Klatsch fürs ,,Panorama“ ge- Leben auch im Saarland lahmlegt, das Geschehen von gestern nicht ters eine Maschine sendet werden. Auch die Meldung mischt sich schnell die Sorge einer Neben der regulären Ausgabe erschien am 12. September auch ein Extra- auszudenken“, schreibt SZ-Chefre- stürzte, war klar: Die über den zweiten Einschlag bleibt Überreaktion des in Europa unge- blatt, um am späten Vormittag über weitere Entwicklungen zu berichten. dakteur Friedhelm Fiedler am fol- Welt erlebt hier den um 15.09 Uhr bei dpa noch in dieser liebten Cowboys aus Texas. Die genden Tag und stellt schon die wohl größten Terror- Rubrik. Erst ab 15.36 Uhr ordnet Furcht, er werde durch einen über- Frage ,,Jetzt Krieg?“. Anschlag der Geschich- die Agentur die Ereignisse unter eilten Angriff auf ein muslimisches Die Details werden in den kom- te. FOTO: DPA „pl“, als Politik-Thema ein: ,,Eil!!!!! Land oder falsche Rhetorik einen menden Tagen schnell bekannt: Bush: Offenbar Terroranschlag auf Konflikt mit dem Islam vom Zaum Insgesamt 19 islamistische Terro- World Trade Center“. Dann um brechen – ganz im Sinne der Al Qai- risten des Netzwerks Al Qaida ha- 15.46 Uhr: „Eil Eil !!!!!!!!!! Großfeu- da. Beklemmende Indizien für ei- ben als reguläre Passagiere und nur er im Pentagon – Weißes Haus eva- nen solchen ,,Kampf der Kulturen“ mit Teppichmessern bewaffnet an kuiert“. Kurz darauf: ,,Alle Flughä- liefern Bilder von Palästinensern, der Ostküste der USA vier Linien- fen der USA geschlossen“. die über die Anschläge in New York maschinen bestiegen und sie kurz Es gibt Ereignisse, auch dramati- jubeln, und die zynischen Kom- nach dem Start in ihre Gewalt ge- sche, mit denen Journalisten nach mentare von Iraks Präsident Sad- bracht. Zwei Flugzeuge steuern die einigen Jahren im Job sehr nüch- dam Hussein. Dabei teilt das Gros Terroristen in die Twin Tower des tern umgehen, wie Ärzte mit der Muslime das Entsetzen über World Trade Centers, eines brin- schweren Operationen. Am 11. Sep- das Leid der Opfer, wie eine SZ- gen sie über dem US-Verteidi- tember sind wohl alle tief scho- Umfrage ergibt. Mehmet-Emin Si- gungsministerium in Washington ckiert, fühlen sich persönlich be- rin vom Verband islamischer Kul- zum Absturz, eine vierte Maschine troffen, ja bedroht. Doch für diese turzentren etwa spricht in der SZ zerschellt auf einem Feld in Penn- privaten Emotionen ist wenig Zeit. von einem ,,Verbrechen gegen die sylvania, weil sich Passagiere den Als die historische Dimension der Menschlichkeit“. Entführern widersetzen, die offen- Ereignisse feststeht, bleiben noch Die militärische Reaktion liegt bar das Weiße Haus zum Ziel ha- fünf Stunden, eine Ausgabe der SZ indes in der Luft. „Nato-Schlag ge- ben. Fast 3000 Menschen kamen zu erstellen, die ihr gerecht wird. gen die Terroristen?“, fragt die nach heutiger Kenntnis bei den An- Mehrere Redakteure, die eigentlich Schlagzeile der zweiten regulären Auf den Innenseiten der beiden Ausgaben vom 12. September wird das Aus- schlägen ums Leben. frei haben, kommen nach und nach SZ-Ausgabe nach den Anschlägen. maß der Zerstörung und des Leids deutlich. FOTOS: SZ-ARCHIV Die Attentäter waren zum Teil in die Nachrichten- und Politik-Re- Am Tag zuvor hat die Nato erstmals Monate vor dem Anschlag in die daktion im zweiten Stock des Pres- überhaupt den Bündnisfall ausge- USA eingereist, einige hatten dort Schockierte Menschen sehauses, um zu helfen. Und wäh- rufen – wohl auch, um die USA ein- in privaten Flugschulen das Steu- irrten im verwüsteten rend sie die gesamte Ausgabe um- zubinden, zu zügeln. Schon in der ern von Passagiermaschinen er- Manhatten durch einen werfen, allein für den Mantel der Freitag-Ausgabe titelt die SZ: lernt. Ein Teil der Vorbereitungen dichten Nebel aus SZ fünf Seiten über die Ereignisse „Bush erklärt Terroristen den des Attentats fand in Hamburg Schutt. FOTO: AFP layouten und bearbeiten sowie ers- Krieg“. Er dauert bis heute an.

5/29 4. DIE WELTGESCHICHTE 5 Die SAARBRÜCKER ZEITUNG IM SPIEGEL DER SZ

Von SZ-Redakteur Dieses Bild Jörg Wingertszahn ging 2005 um die Welt: ine Überraschung Joseph Ratzinger war es am Ende nicht als neuer Papst mehr, wohl aber eine Benedikt XVI. Sensation. „Neuer FOTOS: DPA Papst ein Deutscher“ Etitelte die Saarbrü- cker Zeitung in großen Buchstaben am 20. April 2005, dem Tag nach der Wahl Joseph Ratzingers zum Oberhaupt der Katholiken. Dane- ben stand ein Bild des neuen Paps- tes – schon mit weißen Pileolus –, wie er sich mit gefalteten Händen auf dem Balkon des Papstpalastes in Rom der Menge auf dem Peters- platz zuwendet. Vorausgegangen war eine Eil-Eil- Meldung der Nachrichtenagentur dpa: Ratzinger wird Papst. Kurz da- nach versammelte sich die gesamte Führungsetage unserer Zeitung im Newsroom, wo dann die eben ge- nannte Schlagzeile entstand. Die Nachricht von Ratzingers Wahl war so besonders, weil es bis zu diesem Zeitpunkt seit 482 Jah- ren kein Deutscher mehr auf den Papstthron geschafft hatte, zuletzt 1522 Hadrian VI. Darum entschied sich die Redaktion entgegen der Gewohnheit das Geschehen gleich mit mehreren Unterzeilen zu be- gleiten, und da hieß es: „Sensation in Rom – Konklave wählt Joseph Kardinal Ratzinger aus Bayern – Er nennt sich Benedikt XVI. – Jubel auf dem Petersplatz – Bundeskanz- ler Schröder: Eine große Ehre für Deutschland“. Ja, tatsächlich. Schröder war noch Bundeskanzler, die Ära Mer- kel sollte erst fast auf den Tag ge- nau sieben Monate später im No- Sensation in Rom: vember beginnen. An diesem 20. April berichtete die SZ erst einmal ausführlich über die genauen Um- stände der Papstwahl: „Gegen 17.50 Uhr war weißer Rauch aus dem Ein Deutscher wird Papst Schornstein der Sixtinischen Ka- pelle in Rom aufgestiegen, um die erfolgreiche Papstwahl anzuzeigen. Estévez (der Kardinal-Protodia- Die Resonanz weltweit und na- „Bescheidener die ganze Kirche ihn im Gebet Christentum. Dies wird auch die kon, Anm. der Red.) sprach die tra- türlich in Deutschland war enorm. stützt und begleitet.“ Die Wege von Bundesrepublik, die nach der Wahl ditionelle Formel ,Annuntio vobis Würdenträger der Kirche gratu- Arbeiter Marx und Ratzinger sollten sich des neuen Papstes stärker in den gaudium magnum, habemus Pa- lierten ebenso wie hochrangige Po- wenig später wieder kreuzen: Be- Fokus der Weltöffentlichkeit rückt, pam’ (Ich verkünde euch eine gro- litiker. Der damalige Bischof von im Weinberg nedikt XVI. hat Marx inzwischen nachhaltig verändern.“ Erinnert ße Freude, wir haben einen Papst). Trier, Reinhard Marx, sagte: „Ich nicht nur zum Bischof von Mün- wurde aber auch an die Kritik gera- Dann verkündete er Ratzingers Na- habe dem Heiligen Vater im Namen des Herrn“: chen und Freising gemacht, son- de der deutschen Katholiken, der men. Er sei ein ,einfacher und be- des ältesten Bistums Deutschlands dern auch zum Kardinal. Benedikt sich würde stellen müs- scheidener Arbeiter im Weinberg und auch ganz persönlich Gottes Die Wahl Der Speyerer Bischof Anton sen, „so in Fragen der Empfängnis- des Herrn’, sagte der Deutsche, als Segen gewünscht für sein Wirken Joseph Schlembach erklärte damals nach verhütung, des Schwangerschafts- „Mir gefällt die er auf dem Mittelbalkon des Pe- als Nachfolger des Apostels Petrus. der Wahl: „Wir sind Benedikt XVI. abbruchs und der Homosexuali- Saarbrücker Zeitung, weil tersdoms erschien.“ Er darf auch vertrauen darauf, dass dankbar, dass er bereit war, dieses tät“. Dies war verbunden mit der Ratzingers schwere Amt zu übernehmen, und Hoffnung, dass der neue Papst für sie für das Saarland zum Oberhaupt erbitten ihm Gottes Hilfe und Se- Überraschungen gut sei, wie nach wesentlich zur gen.“ Niemand sei besser geeignet seiner Wahl von Vertrauten verlau- der Katholiken als der neue Papst , für „die Bewah- tete, und schloss mit der Aussicht, Informations- und rung des christlichen Glaubens und dass Ratzinger vielleicht ein „Papst Meinungsbildung beiträgt. bestimmte im die Identität der Kirche Sorge zu der Herzen“ werden könnte. tragen“. Bundespräsident Horst Und da das Bistum Trier Papst blieb den Deutschen fremd April 2005 die Köhler wiederum gratulierte Rat- sich auch über fast das zinger „von Herzen“. Das ist er sechs Jahre nach seiner ganze Saarland erstreckt, Schlagzeilen Das Thema dominierte die Zei- Thronbesteigung in Deutschland tung auch in den Tagen danach. Die immer noch nicht geworden. In gehört die Saarbrücker vorderen Seiten widmeten sich fast vielen Beiträgen berichtete die SZ Zeitung auch in Trier ausschließlich dem neuen Papst. im Laufe der Zeit immer wieder Am 21. April erschien der erste von den Spannungen zwischen Va- zur Pflichtlektüre. Leitartikel zu Benedikt XVI. Bis tikan und katholischer Basis – lan- Den Machern wünsche ich heute sind es 14, die sich schwer- ge bevor der Missbrauchsskandal für die Zukunft alles Gute punktmäßig mit Ratzinger als ungeahnten Ausmaßes bekannt ge- Papst beschäftigten. Damals war worden war. Zwar wurde Benedikt und Gottes Segen!“ unter der Überschrift „Der streit- XVI. auf dem Weltjugendtag in Stephan Ackermann, bare Papst“ zu lesen: „Die histori- Köln 2006 begeistert empfangen, Bischof von Trier sche Dimension hat sich noch nicht doch den Deutschen blieb der allen erschlossen. (. . .) Seit Martin Theoretiker eher fremd. Vielleicht Luther hatte kein Landsmann ei- ändert sein Besuch im Herbst die- Die SZ-Titelseite mit der historischen Nachricht. FOTOS: SZ-ARCHIV, DAPD nen vergleichbaren Einfluss auf das ses Jahres etwas daran.

Anzeige

DIE ZEIT gratuliert der Saarbrücker Zeitung zu 250 Jahren Journalismus auf der Höhe der Zeit.

5/30