Geschichte Der Landesärztekammer Hessen Von 1876 Bis 1956: Einblicke in Ein Forschungsprojekt
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Geschichte der Landesärztekammer Hessen von 1876 bis 1956: Einblicke in ein Forschungsprojekt Vorwort den ersten Jahren nach der Befreiung Ru- stürzendes hervor. Mitte 2016 wird die fe laut geworden, nun „endlich“ einen Untersuchung abgeschlossen sein. Der Auf Antrag von mehreren Delegierten Schlussstrich zu ziehen und sich wichtige- Deutsche Ärztetag 2015 in Hessen, in wurde auf der Delegiertenversammlung ren Themen, der Zukunft, zu zuwenden. Frankfurt am Main, ist Anlass, erste Zwi- am 15. März 2013 beschlossen, ein For- Diese Auffassung ist auch heute noch schenergebnisse vorzustellen. Die Zu- schungsprojekt zur „Darstellung der Ge- verbreitet. Ohne die Geschichte zu ken- sammenarbeit mit dem Forscherteam – schichte der Landesärztekammer Hes- nen, sind wir bei aktuellen Entscheidun- Prof. Benno Hafeneger, Marcus Velke sen vor dem Jahr 1956“ durchzuführen. gen oft hilflos und die Geschichte ist der (M.A.) und Lucas Frings (B.A.) – von der Im März 2014 genehmigte die Delegier- Schlüssel zum Verstehen der Gegenwart. Philipps-Universität Marburg ist kon- tenversammlung auf Antrag des Präsidi- Ohne das Wissen um die Vergangenheit struktiv und partnerschaftlich, sie ist ein ums die erforderlichen Mittel. wären die Art und die Ergebnisse der ak- Gewinn für die Beteiligten. Die Zeit der Vorgeschichte der Landes- tuellen Diskussionen in der deutschen Wir hoffen, dass diese Forschungsarbeit ärztekammer Hessen, die weit in das 19. Öffentlichkeit zum Beispiel über die Wür- für die Ärztekammer Hessen erfolgreich Jahrhundert zurückreicht, die vielen un- de des Menschen, über Sterbehilfe oder verläuft und vielleicht Beispiel und Anlass geklärten Fragen über die Zeit zwischen die Menschenrechte nicht denkbar. ist, in anderen Institutionen ähnliche Vor- 1933 und 1945 und dann der Zeit bis Die Landesärztekammer Hessen ist die haben zu initiieren. 1956 – dem Jahr der Gründung als „Kör- erste Kammer, die sich im Rahmen einer perschaft des Öffentlichen Rechts“ – wissenschaftlichen Studie mit ihrer Ver- Dr. med. Siegmund Drexler, wurden bisher nicht wissenschaftlich un- gangenheit befasst. Die ersten Ergebnis- Vorsitzender des Beirats des tersucht. Insbesondere für die Zeit zwi- se sind sehr ermutigend; sie bringen Forschungsprojektes „Geschichte der schen 1933 und 1945 waren bereits in Überraschendes, Irritierendes und Be- Landesärztekammer Hessen“ Hessisches Ärzteblatt 5/2015 | 1 Sonderdruck Die Landesärztekammer Hessen erforscht ihre Vergangenheit Die Landesärztekammer Hessen (LÄKH) Eine lange Geschichte seit 1876 sche Informationen wurden über den untersucht ihre Geschichte und hat eine „Reichsmedizinalkalender“ veröffentlicht. Forschungsgruppe der Philipps-Universi- Die Geschichte der organisierten Ärzte- tät Marburg mit diesem Vorhaben beauf- schaft, der Standesorganisationen und Ver- Ärztekammer und Ärzteblatt tragt. Das Projekt befasst sich zunächst tretung der ärztlichen Interessen sowie der Vor dem Hintergrund landesrechtlicher mit der langen Vorgeschichte der organi- Gesetzgebung – und damit auch der Ärz- Zuständigkeit erfolgte in der Weimarer sierten Ärzteschaft in Hessen und dann tekammern – reichen in die zweite Hälfte Republik in Hessen mit dem Gesetz vom im Schwerpunkt mit der Zeit des Natio- des 19. Jahrhunderts zurück. Zwei ausge- 15. Januar 1924 am 9. Juli 1924 die Grün- nalsozialismus und dem Zeitraum von wählte Zeiträume zeigen für Hessen wich- dung der „Hessischen Ärztekammer“ als 1945 bis zur Gründung der LÄKH im Jahr tige Etappen bis zum Ende der Weimarer öffentlich-rechtliche Berufsvertretung 1956. Republik. der hessischen Ärzte. Die Ärztekammer Die LÄKH ist die erste Kammer, die ihre hatte 20 gewählte Mitglieder. Erster Vor- Geschichte untersuchen und diesen Be- Ärztevereine und Zentralausschuss sitzender war bis 1928 der Geheime Sani- reich der Ärztepolitik, zu dem es bisher Vom 17. bis 19. Jahrhundert bestanden tätsrat Dr. med. Karl Habicht, ihm folgte kaum vergleichbare Studien gibt, auf- „Medizinalordnungen“, die als eine Mi- 1928 der Sanitätsrat Dr. med. Karl Brü- klären lässt. Die Laufzeit des For- schung aus Berufs- und Ärzteordnung an- ning. Der 1. Hessische Ärztetag fand vom schungsvorhabens ist auf zwei Jahre (1. gesehen werden können. Die Gründungs- 11. bis 13. September 1926 in Bad Nau- April 2014 bis 31. März 2016) angelegt zeit der ersten regionalen Ärztekammern heim statt. und mit ihm sind Prof. Dr. Benno Hafe- fällt in die zweite Hälfte des 19. Jahrhun- Im Volksstaat Hessen gab es im Jahr 1925 neger, Marcus Velke (M.A.) und Lucas derts; der „Deutsche Ärztevereinsbund“ 16 ärztliche Kreisvereine, die sich im Frings (B.A.) befasst. Ein Beirat bei der wurde im Juli 1872 in Leipzig gegründet. In „Aerztlichen Landesverein“ zusammenge- LÄKH begleitet unter Federführung von der Literatur finden sich gleichzeitig Hin- schlossen hatten. Dieser war mit der Ärz- Dr. med. Siegmund Drexler das Vorha- weise, dass dieser am 17. September 1873 tekammer eng verwoben, der Landesver- ben. in Wiesbaden gegründet worden sei. Mit ein hatte Vertreter bei den Ärztetagen und Die Forschungsgruppe sichtet umfängli- der Reform der staatlichen Medizinalorga- Habicht war zugleich Vorsitzender des ches historisches Quellenmaterial und nisation im Großherzogtum Hessen setzte „Hessischen ärztlichen Landesvereins“. die vorliegenden Publikationen und Be- auch in anderen Provinzen, wie in der preu- Im Jahr 1926 erschien das erste „Hessi- funde zur Medizin- und Ärztepolitik. Es ßischen Provinz Hessen-Nassau, der Pro- sche Ärzteblatt“ als offizielles Organ der ist eine produktive „Puzzlearbeit“, weil zess der Neuordnung ein. In der zweiten „Hessischen Ärztekammer“ und der ärztli- kein geschlossener Archivbestand vor- Hälfte des 19. Jahrhunderts konstituierte chen Standesvereine und ärztlichen wirt- liegt und vorliegende Quellenmaterialien sich im Jahr 1876 der „Hessische ärztliche schaftlichen Verbände im Volksstaat Hes- bisher kaum erschlossen sind. In den fol- Zentralausschuß“ – eine Art Vorläufer der sen. Die Schriftleitung hatte zunächst Sa- genden Beiträgen werden einige ausge- heutigen Landesärztekammer. Die Wahl nitätsrat Dr. med. Karl Heil, ihm folgte Sa- wählte Befunde zu sieben Themenberei- der Delegierten bzw. Mitglieder erfolgte nitätsrat Dr. med. Friedrich Wilhelm Vogel chen kurz vorgestellt. Sie geben erste dafür bereits ab 1874 aus regionalen ärztli- und ab 1930 (mit dem Heft Nr. 4) Dr. Einblicke in mittlerweile umfassend re- chen Vereinen im Auftrag der damaligen med. Carl Oelemann. Zu den Themen ge- cherchiertes und vorliegendes Material, Obermedizinaldirektion. Ein Kernstück der hörten u. a. der „Kampf dem Alkohol“, die das in der abschließenden Publikation neuen Medizinalorganisation war die Grün- Bekämpfung von Geschlechtskrankhei- ausführlich aufgenommen und ausge- dung von ärztlichen Vereinen. Mit der Re- ten, die Impfdebatte; dann die Notverord- wertet wird. Die Beiträge beruhen im form und den ärztlichen Kreis- und Stadt- nungen am Ende der Weimarer Republik. Wesentlichen auf dem Nachlass von Dr. vereinen war die Absicht verbunden, die Beklagt wurden die „Not der Ärzte“ und med. Carl Oelemann, den Beständen des Mitwirkung der Ärzte beim öffentlichen die große Zahl der (arbeitslosen) Jungärz- Hessischen Staatsarchivs Darmstadt, Gesundheitsdienst – der „öffentlichen Ge- te aufgrund von zu vielen Medizin-Studi- weiter den Presseorganen der hessi- sundheitspflege“ – durchzusetzen und ihr enplätzen. Weitere Themen waren die schen Ärztekammern: dem „Hessischen eine Organisationsform zu geben. „Volksgesundheitspflege“ und die „deut- Ärzteblatt“ (1926–1933), der „West- Im Jahr 1891 erschien das „Korrespon- sche Sozial- und Rassenhygiene“. Neben deutschen Ärzte-Zeitung“ (1919–1933) denzblatt der ärztlichen Vereine des dem „Hessischen Ärzteblatt“ war die und dem „Ärzteblatt für Hessen“ Großherzogtums Hessen“, das bis 1920 1919 gegründete und bis 1933 erschei- (1934–1941). Wir verwenden die männ- zentrales Informationsorgan der hessi- nende „Westdeutsche Ärztezeitung für liche Schreibweise, weil die hier genann- schen Ärzteschaft war und dann einge- Standesfragen und soziale Medizin“ (als ten Akteure ausschließlich Ärzte waren; stellt wurde. Weiter wurden auf der Ebene Nachfolgeorgan der „Frankfurter Ärzte- wenn im Artikel die gesamte Ärzteschaft der Regierungsbezirke zahlreiche (jährli- Correspondenz“, die es ab 1910 gab) ein gemeint ist, sind Ärztinnen gleicherma- che) Mitgliederverzeichnisse der Ärzte- wichtiges Mitteilungs- und Informations- ßen eingeschlossen. vereine angelegt; ärztliche und medizini- organ der hessischen Ärzteschaft und 2 | Hessisches Ärzteblatt 5/2015 Sonderdruck auch der „Ärztekammer für die Provinz Hessen-Nassau“. Die Ärztekammern in Hessen im Jahr 1933 Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 voll- zogen die hessischen Ärztekammern eine grundlegende Umstrukturierung, moti- viert durch eine Mischung aus vorausei- lendem Gehorsam, Verteidigung der ärzt- lichen Standesinteressen, deutsch-völki- schen Überzeugungen und Anbiederung an den Nationalsozialismus. 1933 bestanden auf dem Gebiet des heuti- gen Bundeslandes Hessen zwei ärztliche Standesorganisationen, territorial aufge- teilt entsprechend dem Gebiet der preußi- schen Provinz Hessen-Nassau und des Volksstaates Hessen. Die „Ärztekammer für die Provinz Hessen-Nassau“ hatte ihren Sitz in Frankfurt/M. unter Vorsitz und Ge- schäftsführung von Dr. med. August de Die neu formierte Ärztekammer für den Volksstaat Hessen im Herbst 1933 (Quelle: Weckruf zum Bary, während die „Hessische Ärztekam- Volksgesundheitsdienst, Jg.