Deutscher Protokoll Nr. 17/42 17. Wahlperiode

Ausschuss für Gesundheit Wortprotokoll 42. Sitzung

Berlin, den 25.05.2011, 14:00 Uhr Sitzungsort: Marie-Elisabeth-Lüders-Haus Adele-Schreiber-Krieger-Straße 1, 10557 Berlin Sitzungssaal: Anhörungssaal 3 101

Vorsitz: Dr. Carola Reimann, MdB

TAGESORDNUNG:

Öffentliche Anhörung zum a) Gesetzentwurf der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, , Pascal Kober, , Dr. h.c. , und weitere Abge- ordnete

Entwurf eines Gesetzes zum Verbot der Präimplantationsdiagnostik BT-Drucksache 17/5450 b) Gesetzentwurf der Abgeordneten Ulrike Flach, , Dr. Carola Reimann, Dr. , , Heinz Lanfermann und weiterer Abgeordneter

Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz -PräimpG) BT-Drucksache 17/5451 c) Gesetzentwurf der Abgeordneten René Röspel, Priska Hinz (Herborn), Patrick Mein- hardt, Dr. , und weitere Abgeordnete

Entwurf eines Gesetzes zur begrenzten Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (Präimplantationsdiagnostikgesetz - PräimpG) BT-Drucksache 17/5452 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011

Anwesenheitsliste*

Mitglieder des Ausschusses

Ordentliche Mitglieder des Ausschusses Stellv. Mitglieder des Ausschusses

CDU/CSU Henke, Rudolf Bär, Dorothee Hennrich, Michael Bilger, Steffen Koschorrek, Rolf, Dr. Brehmer, Heike Maag, Karin Gerig, Alois Michalk, Maria Heinrich, Frank Monstadt, Dietrich Ludwig, Daniela Riebsamen, Lothar Luther, Michael, Dr. Rüddel, Erwin Middelberg, Mathias, Dr. Spahn, Jens Philipp, Beatrix Stracke, Stephan Rief, Josef Straubinger, Max Selle, Johannes Vogelsang, Stefanie Singhammer, Johannes Zöller, Wolfgang Tauber, Peter, Dr. Zylajew, Willi Zimmer, Matthias, Dr.

SPD Bas, Bärbel Ernstberger, Petra Franke, Edgar, Dr. Ferner, Elke Graf, Angelika Gerdes, Michael Lauterbach, Karl, Dr. Gleicke, Iris Lemme, Steffen-Claudio Kramme, Anette Mattheis, Hilde Meßmer, Ullrich Rawert, Mechthild Schmidt, Silvia Reimann, Carola, Dr. Schurer, Ewald Volkmer, Marlies, Dr. Tack, Kerstin

FDP Ackermann, Jens Dyckmans, Mechthild Aschenberg-Dugnus, Christine Kauch, Michael Lanfermann, Heinz Knopek, Lutz, Dr. Lindemann, Lars Kolb, Heinrich L., Dr. Lotter, Erwin, Dr. Luksic, Oliver Molitor, Gabriele

DIE LINKE. Bunge, Martina, Dr. Binder, Karin Senger-Schäfer, Kathrin Höger, Inge Vogler, Kathrin Möhring, Cornelia Weinberg, Harald Tempel, Frank

BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bender, Birgitt Göring-Eckardt, Katrin Klein-Schmeink, Maria Kekeritz, Uwe Scharfenberg, Elisabeth Kuhn, Fritz Terpe, Harald, Dr. Kurth, Markus ______*) Der Urschrift des Protokolls ist die Liste der Unterschriften beigefügt. 2 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011

Sprechregister

Abg. (CDU/CSU) ______45 Abg. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ______31, 48 Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ______29, 50 Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD)______24, 48 Abg. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.) ______24, 47 Abg. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)______26 Abg. Johannes Singhammer (CDU/CSU) ______27 Abg. Jörn Wunderlich (DIE LINKE.) ______35 Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE.) ______30, 48 Abg. (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)______40 Abg. (CDU/CSU) ______46 Abg. (SPD)______38 Abg. (CDU/CSU) ______42 Abg. Pascal Kober (FDP) ______28 Abg. Peter Hintze (CDU/CSU) ______21, 49 Abg. René Röspel (SPD)______34, 36, 48 Abg. (CDU/CSU) ______39, 49 Abg. (SPD) ______32 Abg. Ulrike Flach (FDP) ______20 Die Vorsitzende ______5, 6, 20, 27, 33, 37, 45, 47, 56 Die Vorsitzende, Abg. Dr. Carola Reimann (SPD)______5 SV Bischof Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Huber ______11, 29, 42, 50 SV Bischof Prof. Dr. Dr. Wolfgang Huber ______42, 50 SV Dr. Peter Radtke______14, 33 SV Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Böckenförde______15, 27, 28, 43, 45, 55 SV Prof. Dr. Klaus Diedrich ______8, 24, 25, 38, 41, 47, 53 SV Prof. Dr. Matthias Herdegen ______5, 20, 26, 38, 43, 45 SV Prof. Dr. Richard Schröder ______6, 22, 52, 53, 54 SVe Dr. Dr. Sigrid Graumann ______17, 31, 34, 36, 37 SVe Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert______9, 23, 25, 41, 52 SVe Prof. Dr. Hille Haker ______18, 34, 35, 36, 37, 40 SVe Prof. Dr. Regine Kollek______13, 30, 31, 32, 33, 39, 46, 54

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Bundesregierung

Bundesrat

Fraktionen und Gruppen

4 Die Vorsitzende, Abg. Dr. Carola Reimann noch zwei Erläuterungen anfügen. Ich (SPD): Sehr geehrte Damen und Herren, möchte Sie bitten, die Mikrofone zu be- ich möchte Sie alle ganz herzlich begrü- nutzen und Ihren Namen zu nennen, da- ßen, namentlich die Vertreter der Bun- mit Ihr Wortbeitrag auf dem Bandmitt- desregierung, die geladenen Sachverstän- schnitt identifiziert werden kann. Außer- digen, die Vertreter der Medien, die Kol- dem ich bitte alle Anwesenden, ihre Mo- leginnen und Kollegen sowie alle interes- bilfunktelefone möglichst auszuschalten sierten Zuhörerinnen und Zuhörer. Vorab oder zumindest leise zu stellen, um einen möchte ich Ihnen das Verfahren erläutern, störungsfreien Ablauf der Sitzung zu ge- das wir für die heutige Sitzung gewählt währleisten. Ich erteile nun Herrn Prof. haben. Wir befinden uns in einer Sonder- Herdegen als erstem das Wort für ein situation, weil uns als Beratungsgegen- Statement. stände Gruppenanträge vorliegen, die je- weils von Kolleginnen und Kollegen ver- schiedener Fraktionen getragen werden. SV Prof. Dr. Matthias Herdegen: Jede Es soll sowohl allen Unterzeichnern der Unkenntnis im Hinblick auf genetische Gruppenanträge als auch den Abgeordne- Dispositionen vor der Implantation greift ten, die sich bislang nicht für einen der in die Grundrechte der potenziellen Eltern Anträge haben entscheiden können, Ge- ein, in das Elterngrundrecht, das Selbst- legenheit gegeben werden, Fragen an die bestimmungsrecht der Frau sowie in das Sachverständigen zu stellen. Zunächst allgemeine Persönlichkeitsrecht von Mann sollen aber alle Sachverständigen die und Frau. Jedes Paar ist aus verfassungs- Möglichkeit haben, ein Eingangsstatement rechtlicher Sicht im Hinblick auf die abzugeben. Dieses Statement sollte die Verwirklichung eines Kinderwunsches Dauer von fünf Minuten nicht über- und im Hinblick auf die Bedingungen schreiten. Im Anschluss folgt eine erste einer Schwangerschaft grundsätzlich frei. Fragerunde mit einer Dauer von 75 Minu- Dazu gehört auch das Recht, diese Ent- ten, die auf die drei Gruppen gemäß der scheidung als eine wissende zu treffen. ungefähren Zahl der Unterzeichner im Die Frage, die sich zunächst stellt, ergibt Verhältnis 30:30:15 Minuten aufgeteilt sich aus der Achtung der Menschenwürde. wird. Wir beginnen mit der Gruppe der Es geht darum, eine tragfähige Rechtferti- Unterzeichner des Gesetzesentwurfs auf gung für ein weitreichendes oder völliges der Drucksache 17/5451 und fahren dann Verbot des Rechts zu finden, die mit den Gruppen der Unterzeichner der Schwangerschaftsentscheidung als eine Gesetzentwürfe auf den Drucksachen wissende zu treffen. Ab wann menschli- 17/5450 und 17/5452 fort. Im dritten Teil ches Leben den Schutz der Menschen- der Anhörung werden dann alle anwe- würde genießt, ab der Geburt, ab der Ein- senden Abgeordneten Gelegenheit haben, nistung oder schon ab der Befruchtung, ist Fragen zu stellen. Dieser Teil ist zeitlich in der Staatsrechtslehre völlig umstritten. unbefristet. Ich werde die Abgeordneten in Nach der von mir vertretenen Ansicht der Reihenfolge der Wortmeldungen auf- beginnt dieser Schutz zum rufen. Für den Fall, dass ich eine Wort- frühstmöglichen Zeitpunkt, nämlich mit meldung übersehe, bitte ich Sie, sich an der Verschmelzung von Ei- und Samen- das Sekretariat zu wenden. Wir haben zelle. Ich wiederhole aber noch einmal, ferner vereinbart, dass ich dann, wenn die dass dies eine außerordentlich umstrittene Anwesenheit der Kolleginnen und Kolle- Position ist. Denn selbst nach dieser gen unter eine bestimmte Grenze absinkt, weitgehenden Auffassung bildet die Im- im Einvernehmen mit den Obleuten über plantation als Schwelle zum ungehinder- eine Beendigung der Sitzung entscheiden ten Heranreifen des Embryos eine qualita- werde. Alle Abgeordneten werden gebe- tive Zäsur, weil nämlich eine Pflicht der ten, höchstens zwei Fragen an höchstens Frau zur Implantation des Embryos in zwei Sachverständige zu richten. Ferner vitro nicht besteht. Deswegen überzeugt möchte ich für alle Teilnehmer, die zum auch die gewissermaßen lebensbejahende ersten Mal an einer Anhörung teilnehmen, Einordnung der PID durch den Bundesge- Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 richtshof als Schritt hin zur Schwanger- bei schwerwiegenden Erbkrankheiten. Bei schaft. Eine auf schwere Erbkrankheiten einer Beschränkung der PID in dieser und das Risiko einer Totgeburt be- Hinsicht käme es zu einem Wertungswi- schränkte Diagnostik hat nichts verächt- derspruch, der sich nicht auflösen lässt. lich Machendes, sie hat nichts sonst Ent- Auch die Rücksicht auf die besondere würdigendes, was den personalen Acht- Konfliktlage der schwangeren Mutter ungsanspruch in Frage stellen würde. Dies bringt hier keine tragfähige Differenzie- ist herrschende Meinung in der deutschen rung, denn gerade das Verbot der Diagnose Staatsrechtslehre. Die Durchführung der schwerer Erbkrankheiten vor der Implan- PID muss wiederum in den Gesamtzu- tation führt die Frau in diese Konfliktlage sammenhang der Erfüllung des Kinder- hinein. Ich komme zum Schluss. Die we- wunsches gestellt werden. Der Ausschluss nigen Staatsrechtslehrer, die für ein völ- schwerer Erbkrankheiten schafft erst die liges Verbot der PID plädieren, argumen- Grundlage für die Entscheidung zugunsten tieren durchaus konsequent damit, dass der Implantation und für das Heranreifen man zur Herstellung des Wertungsgleich- des Embryos im Mutterleib und steht da- klanges auch das Abtreibungsrecht erheb- mit im Dienste der gewünschten lich verschärfen müsste. Aber diesen Weg Schwangerschaft. Auch dies ist die Per- versperrt die Verfassung mit der gebotenen spektive des Bundesgerichtshofs. Wie das Rücksichtnahme auf das Selbstbestim- Bundesverfassungsgericht deutlich ge- mungsrecht der Frau. Daher kommen wir macht hat, verlangt dabei die Menschen- zu dem Ergebnis, das ein völliges Verbot würde nichts Unzumutbares. Die Rück- der PID mit dem Grundgesetz nicht zu sicht auf schwerwiegende Erkrankungen vereinbaren wäre. Die Verfassungsord- des Kindes setzt unter eben diesem Ge- nung hindert ein Verbot der PID im Hin- sichtspunkt der Unzumutbarkeit auch blick auf schwere Erbkrankheiten. Dies ist einer Pflicht zum Austragen des Kindes das Ergebnis, dass wir im Übrigen auch Grenzen. Der Gesetzgeber hat sich eben- aus der Europäischen Menschenrechts- falls wiederholt und klar gegen eine Deu- konvention gewinnen würden. tung der Menschenwürde gestellt, die einen strikten Zwang zur Unwissenheit begründen würde. Ich erinnere nur an die Die Vorsitzende: Ich möchte darauf hin- Möglichkeit der Geschlechtswahl nach § 3 weisen, dass hierzu auch eine schriftliche des Embryonenschutzgesetzes sowie an Stellungnahme von Prof. Herdegen vor- die Möglichkeiten der Pränataldiagnostik, liegt. insbesondere im § 15 Absatz 2 des Gendiagnostikgesetzes. Diese gesetzliche Wertung ist für die gebotene Systemge- SV Prof. Dr. Richard Schröder: Ich will rechtigkeit unserer Rechtsordnung und zunächst auf eine Frage eingehen, die hier damit die Ausgestaltung des PID-Regimes im Raum wahrscheinlich niemand stellt, von zentraler Bedeutung. Denn nur bei die ich aber in den Zeitungen gelesen ha- Vorliegen einer Systemgerechtigkeit im be. Warum soll PID grundsätzlich verboten Verhältnis zur Pränataldiagnostik und sein und nicht überhaupt frei? Dazu ein zum Abtreibungsrecht entspricht eine Fallbeispiel. Ein Paar erblich Gehörloser Beschränkung der PID den Geboten der verlangt den Einsatz von PID, damit ihnen Verhältnismäßigkeit und einer sachlich ein erblich gehörloses Kind garantiert tragfähigen Differenzierung. Vor allem die wird, dass zu ihnen passt. Dem darf Zulässigkeit der Abtreibung aus Gründen selbstverständlich nicht stattgegeben der Unzumutbarkeit bei schwerwiegenden werden, weil Eltern nicht das Recht haben, Erkrankungen des Nasciturus unter dem ihr Kind eines Sinnesorgans zu berauben. Gesichtspunkt einer Gefährdung der Ge- Das wollte ich in diese Richtung gesagt sundheit der Mutter zwingt im Interesse haben. Selbstbestimmung heißt nicht, dass der Folgerichtigkeit und der gebotenen wir überhaupt nichts zu verbieten brau- Systemgerechtigkeit zur Freigabe der PID chen. Im Gegenteil, wir müssen verbieten.

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Ob PID ausnahmslos verboten oder in schen gleichstellt, ist zu dem Satz ge- Ausnahmefällen erlaubt sein soll, ent- zwungen: „Die meisten Menschen werden scheidet sich nach meiner Ansicht in zwei nicht geboren.“ So haben wir das Wort Fragenkomplexen, erstens bei der Frage Mensch bisher nicht verstanden. Was ich nach dem Status des frühen Embryos vor noch wichtiger finde: Er gewöhnt uns da- Beginn der Schwangerschaft und zweitens ran, dass es überzählige Menschen gibt. an der Beurteilung von Dammbruchargu- Eben dies wollte Artikel 1 des Grundge- menten. Auf beides bin ich in meiner setzes ausschließen, denn auch bei der schriftlichen Stellungnahme ausführlicher künstlichen Befruchtung und nicht erst eingegangen, als ich es jetzt tun werde. bei der PID entstehen überzählige Emb- Zum Ersten: Menschen kommen in drei ryonen. Wenn Lebensschutz verlangt Schritten auf die Welt: durch die Ver- wird, wo Leben gar nicht geschützt wer- schmelzung von Ei- und Samenzelle, den kann, nämlich bei den überzähligen durch die Einnistung des Embryos im Embryonen, auch wenn erbkranken Eltern Uterus und durch die Geburt. Die Unter- statt der PID der Verzicht auf ein Kind scheidung zwischen dem ersten und dem empfohlen wird, ist der Ausdruck Le- zweiten Schritt ist noch nicht sehr alt. bensschutz irreführend, denn es ist ein Früher hat man beides zugleich unter dem Votum für Nichtentstehen gemeint. Neben Ausdruck Empfängnis verstanden. Ein- dem Schutz der Träger der Menschen- nistung und Geburt sind nicht nur ein würde ist es auch unsere Aufgabe, den Ortswechsel. Mit ihnen ändert sich auch Sinn des Wortes Menschenwürde zu die Verfassung dieser Lebewesen und ihr schützen. Zum zweiten Punkt: Damm- Status. Durch den Gebrauch des Wortes bruchargumente sind Prognosen über un- Embryo für das menschliche Wesen so- ser, unserer Mitmenschen und Nach- wohl vor Beginn der Schwangerschaft als kommen zukünftiges Urteilsverhalten, auch danach werden wichtige Unter- und zwar zumeist pessimistische. „Wenn schiede verwischt. Während ein Fötus im der Staat nicht jetzt mittels Strafgesetzen dritten Monat mit einer nahe bei 100 Pro- einen Riegel vorschiebt, dann gehen die zent liegenden Wahrscheinlichkeit bis zur humanen Maßstäbe in unserer Gesell- Geburt gelangt, wenn nicht eingegriffen schaft verloren“. So lautet der Tenor vieler wird, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass Dammbruchargumente. Wenn die huma- eine befruchtete Eizelle zu einer Schwan- nen Maßstäbe aber wirklich nur auf gerschaft führt, nur bei circa 30 Prozent. Strafgesetzen beruhen würden, stünde es Ungefähr 70 Prozent der Eizellen gehen schon jetzt schlecht um sie. Hüten wir uns auf natürlichem Wege verloren, sogar ohne vor einer latenten Verachtung der nächs- dass die Frau es merkt. In der Petrischale ten Generation beim leichtfertigen Um- kann sich die befruchtete Eizelle in einer gang mit Dammbruchargumenten. Ein geeigneten Nährlösung nur bis zur Dammbruch ist zu befürchten, wenn es Plastozyste entwickeln, weiter nicht. Ich plausibel erscheint, dass das, was für A sage dies deshalb, weil ich bei verschie- gilt, auch für B gelten soll. „Wenn über- denen Vorträgen erlebt habe, dass viele zählige Embryonen vernichtet werden Menschen dem Satz zustimmen: „Jeder dürfen, dann dürfen irgendwann auch Embryo kann geboren werden, wenn wir geborene Menschen vernichtet werden“, nicht eingreifen.“ Dies ist aber ein Satz, lautet eine Horrorprognose. Der Analo- der nur für die stabile Schwangerschaft gieschluss von A auf B ist nicht zu be- gilt und nicht für den Embryo vor fürchten, wenn der Unterschied zwischen Schwangerschaftsbeginn. Auch Definiti- A und B auch intuitiv evident ist. Das ist onen sind Handlungen, deren Folgen wir zweifellos der Fall in Bezug auf die Un- zu bedenken haben. Wer menschliche terscheidung zwischen der Blastozyste Embryonen, zumal vor Beginn der und der menschgestaltigen Leibesfrucht, Schwangerschaft, in embryonale Men- die wir durch Ultraschall heute sehen schen umdefiniert, also bereits die be- können, von geborenen Menschen ganz zu fruchtete Eizelle einem geborenen Men- schweigen. Viele Dammbruchargumente

7 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 kreisen um das Thema Behinderung. Ich Beispiel, wenn das Kind ein Junge wird, habe in meiner schriftlichen Fassung zu 50 Prozent. Das muss man sich klar ma- verschiedenen Aspekten Stellung ge- chen. Natürlich wollen Eltern, bei denen nommen, und nehme hier nur zu einem der Risikofall bereits einmal eingetreten ist Stellung, nämlich zu der Behauptung, und die ein Kind mit dieser genetischen durch PID werde die gesellschaftliche Erkrankung haben, ein solches Risiko Akzeptanz Behinderter sinken. Man be- nicht noch einmal eingehen. Ferner kann kommt zunächst einen Schreck, wenn man auch die pränatale Diagnostik in man sich vorstellt, dass dies passieren Anspruch nehmen, die Fruchtwasserun- könnte; man übersieht dabei aber, dass tersuchung und/oder die Choreonbiopsie. dies ein wirklich schlimmes Argument ist, Solche Untersuchungen haben jedoch den weil es Behinderte für den Erhalt einer Nachteil, dass man im Falle eines un- gesellschaftlichen Norm instrumentali- günstigen Ergebnisses, also beim Nach- siert. Wenn wir die Querschnittslähmung weis der genetischen Erkrankung, über heilen könnten, würde die Zahl der Roll- einen Schwangerschaftsabbruch nach- stuhlfahrer zurückgehen. Aber deshalb denken muss. Dies ist in einer Situation, in darf doch die Therapie, wenn sie denn der ein Kinderwunsch besteht, eine sehr möglich ist, nicht verboten werden. Im schwere Entscheidung, wie wir wissen. Übrigen ist es widerlegbar, dass die Sen- Alternativ steht uns die Präimplantations- sibilität für Behinderte sinkt, wenn deren diagnostik zur Verfügung, die die Mög- Anteil sinkt. Die entsprechenden Belege lichkeit bietet, schon vor einer Schwan- finden Sie in den Ausarbeitungen des gerschaft den Embryo im Reagenzglas auf Nationalen Ethikrates zu PND und PID. die genetische Erkrankung hin zu unter- suchen und nur darauf. Um es vorweg zu sagen: Das Designerkind wird, kann und SV Prof. Dr. Klaus Diedrich: Ich möchte soll es nicht geben. Wir können nur den mich kurz vorstellen. Ich bin Direktor der Embryo durch Entnahme von zwei Ein- Universitätsfrauenklinik in Lübeck und zelzellen auf die genetische Erkrankung beschäftige mich seit vielen Jahren, teil- untersuchen, die in der Familie vorkommt weise frustran, wie Sie wissen, mit der – nichts anderes. Worin besteht die Indi- Präimplantationsdiagnostik. Zu uns in die kation für die Präimplantationsdiagnostik? frauenärztliche Klinik oder Praxis kom- Ich bin folgender Ansicht, die auch von men oft Paare, die durch die Geburt eines der Bundesärztekammer und der behinderten Kindes oder durch das Vor- Leopoldina (Nationale Akademie der kommen einer genetischen Erkrankung in Wissenschaften) – die ein Papier zur der Familie vorbelastet sind. Sie kommen Präimplantationsdiagnostik erarbeitet hat, zu uns mit der Frage: „Was können wir in dem dies klar umrissen ist –, geteilt jetzt tun? Wir haben einen Kinder- wird: Die Indikation sehe ich als Arzt nur wunsch.“ Es gibt verschiedene Möglich- dann als gegeben an, wenn es darum geht, keiten, über die schon vielfach gesprochen eine genetische Erkrankung, mit der eine worden ist. Man kann auf ein Kind ver- Familie bereits belastet ist, durch zichten – dies ist der konsequente Weg zur Präimplantationsdiagnostik auszuschlie- Vermeidung einer genetischen Erbkrank- ßen. Es geht nicht um die Geschlechtsbe- heit – oder man kann versuchen, ein Kind stimmung oder um andere Dinge. Hierge- zu adoptieren. Sie wissen, wie schwer das gen sprechen wir uns klar aus. Wer soll in Deutschland ist. Es stehen hier kaum entscheiden, ob eine PID durchgeführt Kinder zur Verfügung, und ins Ausland wird? Hierfür muss es Richtlinien geben, geht man für eine Adoption auch nicht so zuallererst natürlich den gesetzlichen gern. Man kann auch bewusst das Risiko Rahmen und dann die Richtlinien der einer genetischen Erkrankung des Kindes Bundesärztekammer, die wir schon erar- eingehen. Dieses Risiko liegt je nach Erb- beitet haben, die aber sozusagen auf Eis krankheit bei etwa 25 bis 50 Prozent. Bei liegen, wenngleich sie nach wie vor aktu- der Muskeldystrophie beträgt es zum ell sind. Sie können jederzeit aus dem

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Schreibtisch geholt werden. In diesen könnte daher die Untersuchung des Emb- Richtlinien wird klar definiert, unter ryos auf chromosomale Störungen bei welchen Bedingungen die PID durchge- Patientinnen, die älter als 37 Jahre sind, führt werden soll, wer dies tun dürfen und unterlassen. Zumindest ist dies die offizi- welche Art der Beratung stattfinden soll. elle Empfehlung der Europäischen Ge- Dies ist ein ganz wichtiger Aspekt in die- sellschaft. Somit entfällt diese Indikation, sem Papier: Ein Paar, das einen Kinder- die in dem letzten Register immerhin 61 wunsch hat, muss wissen, worauf es sich Prozent der Fälle ausgemacht hat. Wichtig einlässt, und vor allem auch, welchen ist schließlich die Frage, wie es den Kin- Belastungen es bei der mühsamen dern geht. Auch dies lässt sich dem Re- In-vitro-Fertilisation ausgesetzt ist, um zu gister entnehmen. Die Fehlbildungs- und dem Ergebnis durch Präimplantations- die Abortrate sind genauso niedrig wie in diagnostik zu gelangen. Es muss auch über den übrigen Fällen von die Risiken der Behandlung informiert In-vitro-Fertilisation, sodass von daher werden. Wie ist im Hinblick auf die PID keine Bedenken bestehen. Die Ergebnisse der Stand in Europa? Wir leben hier zu- sind auch wissenschaftlich korrekt. Es sammen mit Österreich sozusagen auf sind nur wenige Fehlbestimmungen be- einer einsamen ethischen Insel. Das heißt, kannt. um uns herum ist die PID erlaubt, wenn auch mit unterschiedlich strenger Indika- tionsstellung. Ich persönlich bin für eine SVe Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert: Ich strenge Indikationsstellung. Wir hoffen, spreche heute zu Ihnen als Sachver- dass das Urteil des Bundesgerichtshofs ständige auf dem Gebiet der Medizin- einen Anstoß gegeben hat, der den Bun- ethik. Ich habe den Lehrstuhl für Medi- destag veranlasst, zu einer positiven Ent- zinethik an der Universität Münster in- scheidung zu kommen und ein Gesetz zu ne. Wir alle wissen, dass es in Fragen verabschieden. Wie ist der Stand der des ethisch Richtigen und Falschen nur Präimplantationsdiagnostik in Europa? Es eine Art oberflächlicher Expertise gibt, gibt hier das sogenannte Konsortium der erwachsen aus einer intensiven Be- Präimplantationsdiagnostik der Europäi- schäftigung mit diesen Fragen, die aber schen Gesellschaft für Reproduktionsme- letztlich keine normative Autorität ver- dizin, kurz ESHRE genannt, das jedes Jahr leiht. Insofern argumentiere ich hier auf die Daten sammelt, die weltweit im Rah- der Basis meines persönlichen morali- men der PID anfallen, und das einen ent- schen Urteilsvermögens. Mein Urteil sprechenden Bericht herausgibt. Es hat in fällt dezidiert zugunsten des Gesetz- den letzten zehn Jahren etwa 27.000 Fälle entwurfs, der eine begrenzte Zulassung gegeben, und es sind ungefähr 5.000 Kin- der PID vorsieht, aus. Ich möchte dies der geboren worden. Die Indikationen sind mit einer Reihe von Argumenten be- eindeutig festgelegt. Es sind meist gründen. Ob die Aussicht, ein Kind mit chromosomale Erkrankungen oder mono- einer schweren Behinderung oder Er- genetische Erbkrankheiten, wegen derer krankung zu bekommen, eher als eine eine PID durchgeführt wurde. Ferner Herausforderung bzw. Aufgabe oder als möchte ich auf das sogenannte Aneuploi- Bedrohung empfunden wird, hängt ge- die-Screening hinweisen. Dabei handelt es wiss von höchstpersönlichen Gegeben- sich um die Untersuchung des Embryos heiten ab. Jedenfalls kommt die Nach- bei älteren Patientinnen durch PID, um die frage nach PID nicht von Eltern mit De- Embryonen zu erkennen, die eine signerphantasien, sondern von Paaren, chromosomale Störung haben. Man hat die sich und ihrer Familie auf diese eine Weile geglaubt, dass dies der Weise ein subjektiv als groß empfunde- Schlüssel zum Erfolg bei älteren Patien- nes Leid oder massive Belastungen er- tinnen wäre. Hier ist jedoch mittlerweile sparen wollen, die wissen, dass sie eine Ernüchterung eingetreten. Wir wissen Träger einer schweren Erberkrankung heute, dass dies nicht möglich ist. Man sind, und denen die PID den Verzicht

9 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 auf ein genetisch eigenes Kind ersparen ist, dass das embryonale Potential in würde oder auf eine Schwangerschaft jeder einzelnen Körperzelle schlummert voller Angst, auf eine gegebenenfalls und sich prinzipiell durch einen kleinen einer Fruchtwasseruntersuchung nach- biochemischen Cocktail mobilisieren folgende Abtreibung im vierten lässt (Stichwort: Reprogrammierung). Schwangerschaftsmonat oder aber die Das Embryonalpotential ist zwar gewis- Geburt eines schon tödlich erkrankten sermaßen anstellbar, es ist aber zugleich oder tot zur Welt kommenden oder dann passiv, denn es muss fortwährend vom später sterbenden schwersterkrankten mütterlichen Organismus getriggert Kindes. Es wäre aus meiner Sicht zy- werden, damit es sich weiterentwickelt. nisch, wenn man diesen Umstand einer Wenn man nun bei der PID erneut ein schweren subjektiven Belastung, eines Exempel für den radikalen Embryonen- antizipierten schweren Leides triviali- schutz statuieren würde, obwohl wir in sieren würde. Es scheint mir angesichts unserer Lebenspraxis längst toleranter der damit einhergehenden subjektiven urteilen und handeln, dann wäre dies Belastungen der betroffenen Eltern auch mit Blick auf die konkreten Leiden nicht angemessen, bei der PID eine Be- konkreter Eltern nicht zu vertreten. Klar grenzung auf solche Krankheiten vor- ist aber auch Folgendes: Wer verhindert, zunehmen, die in aller Regel mit Tod dass Embryonen mit schwerer Erb- und Fehlgeburt des Embryos verbunden krankheit gezeugt oder transferiert wer- sind. Für diese Paare, das dürfen wir den oder sich weiterentwickeln, der nicht vergessen, ist die PID nicht wie für betreibt Selektion – Selektion gegen die viele andere ein Fluch, etwas, das man besagte Krankheit. So heißt dies in der nur zähneknirschend hinnehmen kann internationalen Debatte, und auch wenn und das strengen ethischen und recht- der Begriff in Deutschland erheblich lichen Regeln unterworfen werden vorbelastet ist, sollte man lieber diesen muss, sondern umgekehrt ein Segen. Begriff verwenden, als mit begrifflichen Diese segensreiche Technik dürfte man Alternativen zu jonglieren. Die als sol- in einer liberalen Gesellschaft nur dann che risikolose PID erfolgt immer in po- verbieten, wenn es dafür stichhaltige tentiell selektiver Absicht, denn sie wird rechtsethische Argumente gäbe. Diese von Paaren erbeten, die nur Embryonen sehe ich jedoch nicht. Wie wir alle wis- ohne einen bestimmten Defekt auf den sen und auch gerade noch einmal gehört Weg der Schwangerschaft bringen wol- haben, stellt bei der PID die Frage des len. Strittig ist also nicht, ob die PID den Embryonenschutzes das Nadelöhr dar. selektiven Blick hat, sondern ob dies Wer hier eine radikale Schutzposition ethisch verwerflich ist. Ein entschei- vertritt – vollständiger Status, Lebens- dendes Argument, das Prof. Schröder in schutz ab der Befruchtung der Eizelle –, einer bestimmten Variante bereits ge- der muss die PID für ethisch unzulässig nannt hat, bezieht sich auf die Bedeu- halten. Eine solche radikale Schutzpo- tung dieser Selektion für die Menschen, sition wird jedoch von immer weniger die mit derjenigen Behinderung leben, Menschen, Christen wie Nichtchristen, gegenüber der die PID oder eine Ab- unterstützt. Dies lässt sich an dem ge- treibung selektiv wirkt, bzw. auf die sellschaftlichen Umgang mit Auswirkungen solcher Praktiken auf die Nidationshemmern und Abtreibungen Rechte und das Wohlergehen behinder- ablesen. Die befruchtete Eizelle als ter Mitmenschen im Allgemeinen. Wer vollfertigen Menschen anzusehen und heute mit einer schweren erblichen zu schützen, ist eine Haltung, die jen- Krankheit lebt, so wird eingewandt, seits bestimmter religiöser Auffassungen könnte sich sagen: „Ich wäre vielleicht in immer geringerem Maße als plausibel nicht am Leben, wenn meine Eltern angesehen wird, und zwar unabhängig seinerzeit eine PID oder eine Frucht- davon, dass dank der Erkenntnisse der wasseruntersuchung hätten durchführen modernen Medizin mittlerweile bekannt lassen können und wollen.“ Derselben

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Logik gehorcht aber auch die irritierende hat, abweicht. Dabei unterstreiche ich Einsicht eines Menschen mit schwerer zunächst, dass sich an die PID, wie an erblicher Krankheit, der sich fragt, ob jede neue medizinische Entwicklung, seine Eltern seine Entstehung durch große Hoffnungen knüpfen. Es gibt kaum Enthaltsamkeit verhindert hätten, wenn eine Entwicklung dieser Art, bei der sie, mit neuen genetischen Techniken nicht zunächst gesagt wird: Dies kann ausgestattet, von dem Risiko einer er- ein Segen sein, es wird ein Segen sein, blichen Krankheit gewusst hätten. Aus wir wollen es als Segen haben. Gleich- dieser Überlegung kann man keinesfalls wohl haben wir die ethische Verpflich- die ethische Unzulässigkeit einer so tung – insbesondere bei medizinischen motivierten Enthaltsamkeit herleiten. Eingriffen, bei denen es um die Entste- Schwerer wiegt der Einwand, die PID hung des menschlichen Lebens geht –, könnte die Bestrebungen zur Integration auch die andere Seite zu sehen, die Behinderter unterminieren. Wenn es so technologischen Entwicklungen nach käme, wäre dies schlimm. Es ist aber ethischen Gesichtspunkten zu prüfen nicht wahrscheinlich, wenn man be- und ihnen, wenn es nötig erscheint, denkt, dass Deutschland in Fragen der Grenzen zu setzen. Bei dieser Prüfung finanziellen und vor allem der sozialen komme ich zu dem Ergebnis, dass eine Eingliederung Behinderter in den letzten Zulassung der PID ethisch nicht zu ver- 20 Jahren deutliche, wenn nicht gar treten ist. Mit ihr würde der Schutz von hinreichende Fortschritte gemacht hat, in vitro hergestellten Embryonen als also genau in dem Zeitraum, in dem die einer um ihrer selbst willen zu achten- Fruchtwasser-PND zu einer Art Stan- den Gestalt menschlichen Lebens in dardpraxis geworden ist. Zum letzten Frage gestellt. Die reproduktionsmedi- Punkt: Es gibt 3.000 selektive Abtrei- zinische Erzeugung von Embryos in bungen pro Jahr. Muss man hier nicht vitro unterliegt einer besonderen Ver- durch die Zulassung der PID Damm- antwortung. An ihr sind Ärzte und po- brüche befürchten? Ich bin aus vielen tentielle Eltern in gleicher Weise betei- verschiedenen Gründen optimistisch. ligt. Der Unterschied zu dem in utero Insbesondere aber zeigt sich im interna- entstehenden Embryo besteht darin, tionalen Zusammenhang, dass sich die dass der in vitro erzeugte Embryo ge- PID in unterschiedlich strikten Grenzen genständlich wird für diejenigen, die ihn halten lässt. Außerdem könnte man die haben wollen, die ihn erzeugen und die Geltung des Gesetzes befristen, um es den Umgang mit ihm verantworten dann im Falle von positiven Erfahrun- müssen. Diese Verantwortung ist neuar- gen, wie dies im Flach-Entwurf ver- tig, weil bei der natürlichen Empfängnis nünftigerweise vorgesehen ist, zu ver- in den ersten Tagen der embryonalen längern. Entwicklung keine vergleichbaren Ein- griffsmöglichkeiten bestehen. Es ist mit dieser Verantwortung nicht vereinbar, SV Bischof Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang einen Embryo zu erzeugen, um ihn im Huber: Auch mein Zugang zu diesem Falle unerwünschter Eigenschaften zu Thema erfolgt aus einer ethischen Per- verwerfen. Mit der PID, das wurde ge- spektive. Ich habe schon vor meiner Zeit rade betont, verbindet sich ein selektiver als Bischof Ethik unterrichtet und dabei Blick, der darauf abzielt, unter den in das besondere Privileg gehabt, sowohl vitro hergestellten Embryonen die einen die erste als auch jetzt die zweite Debatte auszuwählen und die anderen zu ver- über PID im Deutschen Ethikrat mitzu- werfen. Das unterscheidet die PID erleben. Ich bin gemeinsam mit einer grundlegend vom Schwangerschafts- zahlenmäßig starken Gruppe im Deut- konflikt. Deshalb lässt sich die PID nicht schen Ethikrat zu einem Ergebnis ge- durch einen Vergleich mit der kommen, das von dem Ergebnis, über Pränataldiagnostik rechtfertigen. Bei den das Frau Schöne-Seifert gerade berichtet meisten derartigen Vergleichen wird

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übrigens die Pränataldiagnostik – nicht in dem Gesetzentwurf. Stattdessen wohlgemerkt im Gegensatz zu den gel- soll ein eigenes Verfahren diese enge tenden gesetzlichen Bestimmungen – als Begrenzung sicherstellen. Diejenigen, Mittel zu einer Schwangerschaft auf die mit der Durchführung eines solchen Probe interpretiert. Frau Schöne-Seifert Verfahrens beauftragt sind, werden sich, hat die PND gerade als Standardpraxis wenn sie keine Kriterien vorgegeben definiert. Man folgt keineswegs der Lo- bekommen, an der gesellschaftlichen gik von Dammbruchargumenten, wenn Entwicklung orientieren und dann statt man aus den bisherigen Erfahrungen einer Definition der Kriterien für Konsequenzen zieht und fragt, ob die schwerwiegende Erkrankungen den sich PID, wenn sie jetzt als Standardpraxis entwickelnden gesellschaftlichen Kon- eingeführt würde, nicht die gleiche sens zugrunde legen. Darin sehe ich das Entwicklung nehmen würde wie die Hauptproblem dieser Debatte. Im Übri- PND. Aus dem Vergleich der PID mit der gen gehöre ich zu denjenigen, die mit PND ergibt sich jedoch unabhängig da- der Frage ringen, ob nicht in denjenigen von die Folgerung, dass mit der PID eine Fälle eine Ausnahme gemacht werden embryopathische Indikation wieder kann, in denen es bei Paaren, die durch eingeführt würde, also die Erlaubnis, Tod und Fehlgeburten belastet sind, menschliches Leben aufgrund uner- darum geht, überhaupt lebensfähige wünschter Eigenschaften zu verwerfen. Embryonen zu identifizieren. Doch der Die embryopathische Indikation wurde Einwand, dass ein solcher Schritt eine aber bei der Regelung des Schwanger- Ausweitungstendenz in sich trägt und schaftskonflikts im Jahre 1995 aus- zu einer Aufweichung des Embryonen- drücklich ausgeschlossen. Eine solche schutzes beiträgt, ist nicht von der Hand Indikation ist ausschließlich bei einer zu weisen. Zum Schluss: Neue Diagno- Gefährdung der Gesundheit der Mutter, setechniken werden zu einem breiteren nicht aber bei genetischen Defekten des Einsatz der PID führen. Chipgestützte Embryos zulässig. Eine Zulassung der Diagnosen werden das Indikations- PID würde gravierende Folgen für den spektrum bei potentiellen Eltern konti- Embryonenschutz nach sich ziehen. Wer nuierlich erweitern. Bei den untersuch- jetzt die Zulassung beschließt, der muss ten Embryonen werden sie Resultate die Frage, welche Konsequenzen dies erbringen, nach denen gar nicht gefragt gegebenenfalls für ein künftig zu verab- wurde. Solche Überschussinformatio- schiedendes Fortpflanzungsmedizinge- nen werden eine Auswahl von Emb- setz haben wird, explizit thematisieren. ryonen auch aus anderen als den eng Die sogenannte Dreierregel würde sich begrenzten Gründen zur Folge haben. nicht halten lassen. Denn deren Sinn Damit würde sich der Druck auf gene- besteht darin festzulegen, dass mensch- tisch belastete Eltern erhöhen, sich einer liche Embryonen nur zum Zweck der PID zu unterziehen. Menschen mit ge- menschlichen Fortpflanzung hergestellt netisch bedingten Behinderungen wür- werden. Die Entstehung überzähliger den sich durch eine solche Entwicklung Embryonen soll nach Möglichkeit ver- grundlegend in Frage gestellt sehen. mieden werden. Deswegen kann man, so Diese Frage nach der Beeinträchtigung finde ich, über den Umgang mit so ge- der Selbstachtung von Menschen mit nannten überzähligen Embryonen nicht Behinderungen halte ich für mindestens mit einer solchen Selbstverständlichkeit so wichtig wie die Frage, ob man nach- reden, wie es in der Debatte inzwischen weisen kann, dass die gesellschaftliche geschieht. Gibt es eine verlässliche De- Einstellung zu Behinderten sich ändert. finition der schwerwiegenden Erkran- Den Bemühungen um Integration und kungen, im Hinblick auf die die PID Inklusion liefen solche Entwicklungen zugelassen werden soll? Ein Katalog von zuwider. Krankheiten wird von allen Beteiligten ausgeschlossen und findet sich auch

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SVe Prof. Dr. Regine Kollek: Ich be- fenden Paares liegt, das – wie Frau Prof. schäftige mich mit der Präimplanta- Schöne-Seifert zu Recht ausgeführt hat – tionsdiagnostik seit 1998, als ich das sicherlich ganz persönliche Gründe und erste Gutachten zu diesem Thema für einen speziellen Leidensdruck hat. Der die Hamburgische Gesundheitsbehörde Vorwurf der Selektion ist ganz sicher angefertigt habe, vor allem aus dem nicht dem individuellen Paar zu ma- Blickwinkel der Technikfolgenabschät- chen. Es verhält sich jedoch anders, zung und -bewertung, das heißt aus ei- wenn der Gesetzgeber die Etablierung ner Perspektive, die nicht nur ethische, einer Technologie erlaubt, die genau sondern auch gesellschaftliche oder diesen selektiven Blick in die Praxis der medizinische Aspekte berücksichtigt in-vitro-Fertilisation einführt. Die Ab- und die darauf abzielt, all diese Aspekte sicht, einen geschädigten Embryo zu in einer Gesamtschau zusammenzufüh- verwerfen, ist bei der Präimplantations- ren. Vor diesem Hintergrund ist es na- diagnostik von Anfang an handlungs- heliegend, folgende Fragen zu stellen: leitend, und dieser selektive Blick un- Was sind die mittel- und langfristigen terscheidet sie von dem nach einer Konsequenzen der Einführung einer Pränataldiagnostik vorgenommenen neuen Technologie und welche Konse- Schwangerschaftsabbruch. Bei einer quenzen haben Änderungen von Geset- existierenden Schwangerschaft geht es zen wiederum auf das Verfahren und um das Lebensrecht des Embryos und seine Entwicklungsdynamik? Ich gehöre das der Frau. Wenn man diesen Konflikt zu der Gruppe im damaligen Nationalen ausschließlich zugunsten des Embryos Ethikrat und heutigen Deutschen lösen würde, käme das der Etablierung Ethikrat, die sich für ein Verbot der eines Gebärzwangs für die Frauen Präimplantationsdiagnostik ausspricht, gleich. Es kann jedoch nicht im Interesse und dies aus einer Kombination von der Gesellschaft und auch nicht in dem Gründen, die man in den verschiedenen des Gesetzgebers liegen, den Konflikt so Dimensionen geltend machen kann. Die einseitig zu Lasten einer Seite aufzulö- entscheidenden ethischen und rechtli- sen. Die Konfliktsituation in der chen Bedenken bei der Zulassung der Schwangerschaft ist jedoch nicht mit der PID resultieren aus der dafür erforder- im Rahmen der Präimplantations- lichen Bereitschaft zur Auswahl unter diagnostik zu vergleichen. Bei der den künstlich hergestellten Embryonen. Präimplantationsdiagnostik kann man Anders als beispielsweise bei der diese Konfliktsituation vermeiden, in- Pränataldiagnostik, die den Eltern auch dem man die Embryonen gar nicht erst noch nach Erhalt des Ergebnisses die herstellt. Ich möchte in diesem Zu- Entscheidung überlässt, ob sie die sammenhang noch einen weiteren Punkt Schwangerschaft weiterführen wollen, anführen. Oftmals wird das Argument und die ihnen auch die Option bietet, vorgebracht, dass bei der Anwendung die weitere Entwicklung nach der Ge- sogenannter Nidationshemmer das Ab- burt des Kindes in ihre Überlegungen sterben oder die Abtötung von Embryo- mit einzubeziehen, erfordert die nen willentlich in Kauf genommen wird. Präimplantationsdiagnostik schon bei Wenn man sich allerdings die neuesten der Zeugung der Embryonen die Bereit- Übersichtsarbeiten und Untersuchungen schaft zur Aussonderung von genetisch hierzu ansieht – und dies wird selten geschädigten Embryos. Bereits bei der gemacht, weil das Argument schon so Erzeugung ist der Gedanke der – in An- lange in der Debatte ist, dass jeder es führungszeichen – „Qualitätskontrolle“ übernimmt, ohne es zu überprüfen –, handlungsleitend. Dies ist eines der dann stellt man fest, dass die Wirkung entscheidenden Merkmale der der Nidationshemmer überwiegend in Präimplantationsdiagnostik, auch wenn einer Fertilisationshemmung bestehen. dies nicht unbedingt oder auch ganz In der Regel entsteht hier gar kein le- sicher nicht in der Absicht des betref- bensfähiger oder überhaupt kein Emb-

13 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 ryo. Das heißt, das Argument ist im Zu- SV Dr. Peter Radtke: Ich nehme an, ich sammenhang mit der Präimplantations- bin deshalb eingeladen worden, weil ich diagnostik gar nicht stichhaltig. Lassen behindert bzw. weil ich schwerbehin- Sie mich zum Schluss noch einige Worte dert bin. Ich muss gestehen, dass ich zu den vorliegenden Gesetzesentwürfen mich selten in der Gesellschaft so sehr sagen. Natürlich würde ich von meiner ausgegrenzt gefühlt habe, wie dies bei eigenen Grundposition her eher dem der Diskussion über die PID der Fall ist. Verbotsantrag zustimmen. Für ethisch Wir sprechen einerseits von Inklusion, vertretbar halte ich aber auch den An- das heißt von einem System, das alle trag, der von dem Abg. Röspel und an- umfassen soll. Ich stelle aber anderer- deren unterstützt wird, weil es hier seits fest, dass ich einer von rund zehn nicht um die Selektion von Embryos Prozent Behinderten in der Bevölkerung geht. Bei diesem Antrag darf die bin, über die gesprochen wird, die aber Präimplantationsdiagnostik nur zur in die Debatte eigentlich nicht einbezo- Identifikation von lebensfähigen Emb- gen werden. Dabei möchte ich betonen, ryonen eingesetzt werden. Hier geht es dass ich nicht der Sprecher der Behin- um die Ingangsetzung einer Schwan- derten bin. Die Behinderten gibt es gerschaft und nicht um die Verwerfung nicht. Es gibt auch unter behinderten von Embryonen aufgrund nachteilig Menschen solche, die sich für die PID beurteilter genetischer Eigenschaften. aussprechen, ich weiß aber, dass die Daher liegt hier ein ethisch vertretbarer meisten Schicksalsgefährten dieser Fall vor. Dabei muss man natürlich be- Untersuchungsmethode skeptisch bis rücksichtigen, welche Konsequenzen ablehnend gegenüber stehen. Ich werde die Etablierung der Möglichkeit hat, ein mich in meinem Statement daher aus- solches Verfahren durchzuführen. Aber schließlich auf die Aspekte beziehen, der Antrag benennt klar die Vorausset- die Menschen mit Behinderung betref- zungen und die Grenzen. Es muss eine fen. In den verschiedenen Stellung- elterliche Veranlagung vorliegen, und es nahmen zur PID – darunter auch die wird zum Beispiel nur ein Zentrum le- Stellungnahmen des Deutschen Ethik- gitimiert. Damit werden der PID enge rates und der Bioethik-Kommission des Grenzen gesetzt, und zwar in ganz an- Landes Rheinland-Pfalz – wird eine derer Weise, als in dem weitergehenden Diskriminierung von Menschen mit Be- Antrag der Abg. Flach, der nicht klar hinderung durch die PID bezweifelt oder definiert, was eine schwerwiegende geleugnet. Interessant ist in diesem Zu- Erbkrankheit ist und ob hierzu bei- sammenhang, dass unter den drei ein- spielsweise auch behandelbare Krank- gebrachten Gesetzentwürfen nur derje- heiten gehören, also etwa Stoffwechsel- nige, der sich für ein Verbot der PID krankheiten wie die Phenylketonurie. ausspricht, die Frage der Diskriminie- Weiterhin müssen wir bedenken, welche rung aufwirft. In den beiden anderen Konsequenzen die Zulassung der Entwürfen habe ich nichts Vergleichba- Präimplantationsdiagnostik generell res gefunden. Es mutet jedoch geradezu und welche Rückwirkungen sie speziell anachronistisch an, dass in einer Zeit, in auf das Embryonenschutzgesetz und die der die Bundesrepublik die UN-Kon- Dreierregel hätte. Diese Regel könnte bei vention zum Schutz der Rechte von Be- einer Zulassung der Präimplantations- hinderten unterzeichnet hat, die Dis- diagnostik nicht mehr aufrecht erhalten kriminierung durch die PID offensicht- werden, weil dafür mindestens sechs lich keine Rolle spielt. Es geht sogar oder sieben Embryonen hergestellt soweit, dass die Frage erhoben wird: Ist werden müssten, damit am Ende einer das überhaupt Diskriminierung? Daher oder zwei für den Transfer übrig bleiben. lautet meine Frage an Sie: Wer soll denn Diskriminierung definieren, diejenigen, die diskriminieren, oder diejenigen, die sich diskriminiert fühlen? Ich muss ge-

14 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 stehen, ich fühle mich diskriminiert, PID ausschließen kann. Und in Schwe- wenn ich mir vor Augen halte, dass den und Frankreich ist mittlerweile die wahrscheinlich nur die Tatsache, dass es Selektion von Chorea Huntington mög- zur Zeit meiner Geburt keine PID gab, lich, obwohl dies anfangs nicht erlaubt der Grund ist, dass ich heute zu Ihnen war. Ich könnte noch eine ganze Reihe sprechen darf. Denn die Glasknochen- von Beispielen für eine Tendenz zur krankheit, Osteogenesis imperfekta, die Aufweichung einschränkender Rege- ich habe, würde ganz sicher zu den Be- lungen nennen. hinderungsarten zählen, die für die PID in Frage kommen. Diskriminiert fühlen sich aber nicht nur die direkt Betroffe- SV Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Bö- nen, sondern auch die Eltern von be- ckenförde: Artikel 1 des Grundgesetzes hinderten Kindern. Ich habe im Zu- garantiert: „Die Würde des Menschen ist sammenhang mit den Diskussionen der unantastbar. Sie zu achten und zu letzten Monate Zuschriften bekommen, schützen ist Verpflichtung aller staatli- in denen mir dafür gedankt wird, dass chen Gewalt.“ Ist die gesetzliche Zu- ich gegen die PID Stellung beziehe. Da- lassung der PID mit dieser Garantie ver- rin finden sich Äußerungen wie die: einbar und wenn ja, in welchem Umfang „Wir haben nicht mehr die Kraft zu oder steht sie zu ihr in einem Wider- kämpfen. Es sind nicht die Behinde- spruch? Aus rechtlicher wie ethischer rungen unserer Kinder, sondern die Sicht sind nach meiner Auffassung vor Reaktionen der Umwelt, die uns das allem drei Fragen von Bedeutung. Ers- Leben schwer machen.“ Ich empfinde es tens: Hat der Embryo, um den es bei der als stigmatisierend, wenn ich höre – und PID geht, Teil an der Menschenwürde solche Stimmen werden immer lauter: und an der staatlichen Achtungs- und „So etwas muss es doch heute ange- Schutzpflicht? Zweitens: Stellt die PID, sichts der Fortschritte in Wissenschaft wenn das zu bejahen ist, eine Verletzung und Forschung nicht mehr geben.“ Ab- der Menschenwürde dar? Drittens: Be- schließend möchte ich noch ein paar steht bei einem strikten Verbot der PID Worte zu einem Argument sagen, das ein Wertungswiderspruch zur normati- immer wieder auftaucht und das auch ven Regelung und praktischen Hand- hier schon verwendet worden ist. Es habung des Schwangerschaftsabbruchs heißt, Deutschland und Österreich bil- nach § 218a Absatz 2 des Strafgesetz- deten in Europa eine isolierte Gruppe. buches? Zur ersten Frage. Es ist unbe- Das stimmt zwar, aber diese beiden stritten, dass die menschliche Würde Länder haben auch eine andere Ver- jedem einzelnen lebenden Menschen gangenheit als die anderen Länder. Hier zukommt. Die daran anschließende hat es eine Zeit gegeben, in der auf Frage, wie weit sich die Anerkennung schreckliche Art und Weise zwischen der menschlichen Würde in den Le- lebenswertem und lebensunwertem Le- bensprozess jedes einzelnen Menschen ben unterschieden wurde. Deshalb gibt hinein erstrecken muss, damit sie auch es in unserem Land für solche Fragen wahr bleibt, wird kontrovers diskutiert. glücklicherweise eine höhere Sensibili- Ist es etwa angängig, dass sie erst an tät als in anderen Ländern. Es wundert einer bestimmten Stelle im Lebenspro- mich, wenn einerseits auf die Praxis der zess des Menschen einsetzt, dieser in PID im Ausland verwiesen wird, ande- den Stadien davor aber verfügbar bleibt? rerseits aber hierzulande strikte Grenzen Oder muss sie vom Ursprung an, das gezogen werden sollen. Ich rate dazu, heißt vom ersten Beginn dieses konkre- einmal genau hinzuschauen, was in den ten menschlichen Lebens an bestehen? USA im Rahmen der PID möglich ist, Ich meine, dass nur das letztere der Fall nämlich die Wahl des Geschlechts, oder sein darf, wenn das, was die menschli- in Großbritannien, wo man die erblich che Würde ausmacht, nämlich Zweck an bedingte Alzheimer-Krankheit durch sich selbst zu sein oder – wie das Bun-

15 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 desverfassungsgericht sagt – das Dasein sich weiterentwickelt. Deshalb muss um seiner selbst willen, Bestand haben nicht erst bei der Nidation oder später, und nicht zu einer leeren Deklamation sondern schon beim Abschluss der Be- werden soll. Weshalb? Die Würde, die fruchtung die Anerkennung der Würde ein fertiges Wesen auszeichnet, lässt des Menschen einsetzen und die Ver- sich nicht von seinem Lebensprozess pflichtung der Rechts- und Verfas- abspalten. Sie muss diesen vielmehr mit sungsordnung sich schützend davor umfassen. Nimmt man nämlich eine stellen. Was folgt daraus für die PID? Bei bestimmte Phase dieses Lebensprozesses der PID werden in vitro gezeugte Emb- von der Anerkennung aus oder sucht sie ryonen gezielt einer Untersuchung auf auch nur prozesshaft abzustufen – weil bestimmte genetische Anlagen und De- der Embryo erst ein Acht- oder Sech- fekte unterworfen. Liegen solche Defekte zehnzeller sei oder weil es zur ohnehin vor, wird der Embryo der Frau nicht ungewissen Nidation noch nicht ge- implantiert, sondern verworfen. Das Ziel kommen sei –, dann tut sich einen Lück der PID ist mithin eine Aussonderung, in der Entwicklung des einzelnen Men- der selektive Blick, wie Frau Prof. schen auf. Soll aber die Achtung der Schöne-Seifert es ausgedrückt hat. Würde jedem Menschen als solchem Ausgesondert werden aber nicht defekte gelten, dann muss sie ihm vom Beginn Samen- oder Eizellen, sondern defekte seines Lebens an zuerkannt werden. Embryonen, das heißt menschliche Le- Dieser erste Beginn des Lebens liegt in bewesen im frühesten Stadium ihrer der Verschmelzung von Samenzelle und Existenz. Die PID wird somit als Selek- Ei, dem Abschluss der Befruchtung. tionsinstrument verwendet. Es kann Denn durch sie bildet sich gegenüber daher keinen Zweifel geben, dass eine so Samen- und Eizellen, die Formen eingesetzte PID die Achtung der Men- menschlichen Lebens sind, ein neues schenwürde des Embryos verletzt. Die und eigenständiges menschliches Le- PID wird nicht angewandt, um den bewesen. Dies ist heute gesicherte na- Wunsch nach einem Kind zu erfüllen. turwissenschaftliche Erkenntnis. Auch Dafür genügt die In-vitro-Fertilisation in der Stellungnahme der Leopoldina als solche. Sie wird angewandt, um den wird davon ausgegangen, dass mit der Wunsch nach einem nicht mit be- Bildung des neuen Zellkerns das voll- stimmten genetischen Defekten behaf- ständige individuelle menschliche Ge- teten, insoweit gesunden Kind zu erfül- nom entstanden ist. Das genetische Pro- len. Der in vitro gezeugte Embryo wird gramm der Entwicklung ist nämlich nicht als solcher, als Subjekt und Zweck fertig vorhanden. Es bedarf keiner Ver- an sich selbst, anerkannt und gewollt, vollständigung mehr oder eines qualita- sondern nur in Abhängigkeit von be- tiven Sprungs. Es entfaltet sich vielmehr stimmten Anlagen oder Merkmalen, die von innen her nach Maßgabe eigener er hat oder nicht hat. Nur unter dieser Organisation. Die Nidation stellt zwar Voraussetzung wird ihm die Chance insofern eine Notwendigkeit für die zum Weiterleben und zu einer Ent- Entfaltung des Embryos dar, als er sich wicklung als Mensch eingeräumt. Deut- nur so weiterentwickeln und leben licher kann nicht zum Ausdruck kom- kann, sie beinhaltet aber keinen qualita- men, dass der Embryo keinen Anteil an tiven Sprung. Denn auch bis zur Geburt der menschlichen Würde, am Dasein um und auch nach der Geburt bedarf der seiner selbst willen hat. Die Frage ist, ob Embryo bzw. geborene Mensch noch der – so wird oft argumentiert – sich nicht Unterstützung, weil er von selbst noch hiergegen Einwände aus dem Selbstbe- nicht leben kann. Die Nidation ist immer stimmungsrecht und der Menschen- mit einem Risiko behaftet. Ob sie zu- würde der Eltern und insbesondere der stande kommt, weiß man nicht. Aber sie Frau ergeben. Dies ist, wie mir scheint, bringt nichts qualitativ Neues in der nicht der Fall. Weder werden die Eltern genetischen Anlage des Menschen, der oder die Frau durch ein Verbot von PID

16 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 zum Objekt gemacht und instrumentali- zweiten Aspekt eingehen, also auf die siert, noch werden sie in ihrem Recht Frage, welches menschliche Leben schüt- auf Selbstbestimmung verletzt. Ihre zenswert ist. Meine Argumentation ist Entscheidung, ob, weshalb und wie sie dann schlüssig, wenn man akzeptiert, dass sich einen Kinderwunsch erfüllen wol- die Präimplantationsdiagnostik – im Un- len, ist frei und selbstbestimmt. Wenn terschied zu der Position, die Frau Prof. sie den gewiss nicht einfachen Weg über Schöne-Seifert vertreten hat – keine die IVF gehen, wollen sie unbedingt ein nichtlegitime Freiheitsbeschränkung ist. Kind. Sie werden dann nur daran fest- Jede Freiheitseinschränkung ist sowohl halten, wenn sie ein Kind wollen, es als aus rechtlicher als auch aus ethischer Subjekt und Zweck an sich selbst wollen Sicht legitimationspflichtig. Ich bin der und nicht nur als ein Kind mit be- Ansicht, dass der Wunsch nach einem stimmten Merkmalen und Eigenschaf- eigenen gesunden Kind und die Nöte, in ten. Auf die offen gebliebene Frage nach denen die betroffenen Paare sind, nicht dem Wertungswiderspruch kann ich im bagatellisiert werden müssen, wenn man Rahmen der Diskussion eingehen. die Präimplantationsdiagnostik verbieten oder sehr stark einschränken will, sondern dass sie im Gegenteil sehr ernst genommen SVe Dr. Dr. Sigrid Graumann: Ich werde werden können. Zwischen einem Wunsch, aus einer dezidiert ethischen Position, dem eine hohe Priorität beizumessen ist, genauer gesagt aus einer sozialethischen und einem Recht, das gegen andere wich- Position zu den vorliegenden Gesetzent- tige Interessen und Anliegen durchgesetzt würfen Stellung nehmen. Ich werde die werden muss, besteht aber meiner Ansicht Position vertreten, dass die nach eine deutlicher Unterschied. Der Präimplantationsdiagnostik, sofern sie wesentliche Unterschied zwischen den darauf abzielt, die Geburt eines behinder- verschiedenen Argumentationsweisen ten Kindes zu verhindern, verboten wer- besteht in dem Umgang mit dem so ge- den sollte. In den Fällen, in denen das Ziel nannten Bewertungswiderspruch. Meine der PID darin besteht, eine aussichtslose Aussagen zu diesem Bewertungswider- Schwangerschaft mit einem nicht lebens- spruch werden sich nur auf die zweite bzw. entwicklungsfähigen Embryo bei Grenzziehung, nämlich auf die Frage be- einem Paar mit einer bekannten geneti- ziehen, welche menschlichen Lebewesen schen Veranlagung zu vermeiden, halte schützenswert sind. Im Hinblick auf den ich jedoch eine Ausnahme von dem Ver- Bewertungswiderspruch besteht meiner bot für vertretbar. Das heißt, ähnlich wie Ansicht nach ein ganz wesentlicher Un- Frau Prof. Kollek und Herr Prof. Huber terschied zwischen der Präimplantations- halte ich im Grunde beide Verbotsanträge diagnostik und der Pränataldiagnostik. für vertretbar. Gleichwohl möchte ich jetzt Letztere kommt zur Anwendung, wenn die zugunsten des Antrags der Abg. René Frau bereits schwanger ist. Das heißt, Röspel, Priska Hinz und anderer argu- durch den bei der Pränataldiagnostik er- mentieren. Grundsätzlich haben wir es bei hobenen Befund entsteht möglicherweise der Diskussion über die Präimplan- ein Schwangerschaftskonflikt. Die Ent- tationsdiagnostik mit zwei Grenzziehun- scheidung, ob die Schwangerschaft abge- gen zu tun, zu denen auch alle Sachver- brochen werden soll oder nicht – das weiß ständigen Stellung genommen haben. Da- ich aus meinen eigenen Studien – wird bei geht es zum einen um die Frage, ab keineswegs leichtfertig getroffen. Vielmehr wann menschliches Leben schützenswert handelt es sich hier um eine traumatisie- ist, und zum anderen darum, welche rende Entscheidung, mit der die Paare nur menschlichen Lebewesen schützenswert schwer leben können. Diese Entscheidung sind. Ich vertrete die Position, dass keine muss meiner Ansicht nach den Frauen der beiden Grenzziehungen mit guten überlassen bleiben. Was bei der Argumenten vorgenommen werden kann. Pränataldiagnostik geregelt werden sollte Ich werde aus Zeitgründen nur auf den und was offenbar bis heute nicht gelingt,

17 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 ist das Angebot der Diagnostik selbst. Wir tationsdiagnostik die Gesamtheit der sind heute – und das müssen wir, wenn Menschen mit Behinderungen diskrimi- wir den Vergleich ziehen wollen, berück- niert. Wenn aber der Gesetzgeber ein Ver- sichtigen – in der Situation, dass wir über fahren zulässt, das explizit die Selektion das Screening im Grunde alle Frauen auf von behinderten Menschen zum Ziel hat, Chromosomenstörungen, insbesondere auf dann können wir sehr wohl von einer das Down-Syndrom, untersuchen. Prof. Diskriminierung sprechen. Die Einwände, Vetter hat vor kurzem gesagt, dass schät- die ich hier angeführt habe, sind jedoch zungsweise 85 Prozent der Schwangeren dann nicht stichhaltig, wenn die Diagnos- dieses Angebot annehmen. Wir haben es tik nur auf die Auswahl von nicht lebens- also mit einem Verfahren zu tun, das ur- und entwicklungsfähigen Embryonen ab- sprünglich einmal mit denselben Argu- zielt. Ich bin allerdings der Meinung – und menten eingeführt worden ist, die wir das ist eine kleine Einschränkung gegen- heute im Zusammenhang mit der über dem vorliegenden Gesetzentwurf –, Präimplantationsdiagnostik verwenden. dass die Formulierung „ … oder zum Tod Diese Argumente beziehen sich vor allem des Kindes im ersten Lebensjahr führen auf Behinderungen. Diejenigen, die Er- kann“, missverständlich ist, weil damit fahrungen im Umgang mit behinderten ein größeres Spektrum an Beeinträchti- Menschen haben, können oft nicht nach- gungen erfasst wird. Ich halte die Formu- vollziehen, inwiefern mit solchen Behin- lierung jedoch für verzichtbar, weil das derungen „unsagbares Leid“ für die Be- Kriterium der hohen Wahrscheinlichkeit troffenen und ihre Angehörigen verbun- einer Fehl- oder Totgeburt meiner Ansicht den sein soll. Das aus meiner Sicht wich- nach ausreicht. Ganz sicher können solche tigste Argument für das Verbot einer Prognosen ohnehin niemals sein. Präimplantationsdiagnostik sind meiner Ansicht nach deren diskriminierende Im- plikationen. Diese diskriminierenden Im- SVe Prof. Dr. Hille Haker: Ich bin theolo- plikationen haben auch in der Debatte gische Ethikerin und beschäftige mich seit über die Pränataldiagnostik eine wichtige vielen Jahren mit der Präimplantations- Rolle gespielt. Ich plädiere für eine starke diagnostik, unter anderem aus sozialethi- Einschränkung der Pränataldiagnostik, scher Perspektive. Ich möchte vier Punkte sehe aber selbst nach der Diskussion über ansprechen. Erstens: Die Präimplanta- das Gendiagnostikgesetz keine Möglich- tionsdiagnostik ist eine wissentlich wil- keit, eine solche Einschränkung politisch lentliche normative Unterscheidung zwi- durchzusetzen. Dies heißt aber nicht, dass schen Embryonen mit dem Ziel der Ver- man ein ähnliches Verfahren, wie die PID hinderung der Geburt kranker oder be- es darstellt, zulassen muss, nur weil ein hinderter Embryonen. Schon diese Be- anderes, ebenfalls problematisches Ver- schreibung ist nicht unproblematisch, fahren stark ausgeweitet worden ist. Der weil sie eine Zwecksetzung beinhaltet. Unterschied zwischen Pränataldiagnostik Wenn die Beschreibung des Zwecks aber und Präimplantationsdiagnostik besteht zutrifft, darf sie der Staat nach dem darin, dass es sich bei der Prä- Grundgesetz weder vornehmen noch vor- implantationsdiagnostik um eine bewusste nehmen wollen. Insofern gibt es meines Selektionsentscheidung handelt. Wenn Erachtens keine Alternative zu einem ich hier von Diskriminierung und Selek- Verbot der Präimplantationsdiagnostik. tion rede, meine ich damit nicht die indi- Der Staat kann die normative Unter- viduelle Entscheidung eines Paars zur scheidung zwischen Embryonen im glei- Inanspruchnahme der Präimplantations- chen Entwicklungsstadium aber auch diagnostik. Anders als diejenigen, die im nicht an die betroffenen Paare delegieren, Rahmen der ethischen Debatte so argu- um das hohe Gut der Freiheit der Repro- mentiert haben, bin ich nicht der Ansicht, duktion zu schützen, um das es in der dass ein individuelles Paar mit seiner Debatte ebenfalls geht. Denn an wen Entscheidung für die Präimplan- würde er die Entscheidung delegieren? Er

18 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 würde sie vielleicht in geteilter Verant- dann zulässig, wenn sie zu einer Verbes- wortung an die Paare und die reproduk- serung der Behandlung führen würde. tionsmedizinischen Kliniken, vielleicht Jedenfalls hat die Diskussion so angefan- aber auch an die Paare und die Hersteller gen. Wie wir von Herrn Prof. Diedrich von DNA-Chips bzw. Gentests oder an die erfahren haben, lässt sich aus den bisher Paare und Ethikkommissionen delegieren. durchgeführten Studien nicht der Schluss Wie auch immer der Staat sich entschei- ziehen, dass es zu einer Behandlungsver- den würde, in keinem Fall stünden sich besserung im Sinne der Verhinderung von Staat und Individuum gegenüber, sondern Fehlgeburten gekommen wäre. Ferner es ginge immer um eine Konstellation aus könnte man die Ansicht vertreten, die geteilter Entscheidung und Verantwor- Zielsetzung der PID liege darin, den tung. Der Staat würde sich in jedem Fall Frauen Gesundheitsrisiken zu ersparen. seiner vom Grundgesetz gebotenen Für- Auch dies kann ich nicht erkennen. Es gibt sorgepflicht begeben. Zweitens: Die Re- im Kontext der Präimplantations- gelungen zur Pränataldiagnostik haben diagnostik sicherlich auch eine Fürsorge- eine wissentlich willentliche normative pflicht, die man ins Feld führen kann. Unterscheidung zwischen verschiedenen Genau hier, bei der Fürsorgepflicht ge- Embryonen oder Föten definitiv ausge- genüber den Paaren, greift meines Erach- schlossen. Gleichwohl ist die tens das Kriterium der Entwicklungsfä- Pränataldiagnostik zugelassen worden, higkeit. Denn diejenigen Paare, die durch weil sie auch andere Ziele verfolgt, unter assistierte Fortpflanzung versuchen, Kin- anderem die Erhaltung der Gesundheit der der zu bekommen, können nicht wissent- Frauen und der Kinder sowie nicht zuletzt lich dem Risiko von Fehl- oder Totgebur- Therapien oder Präventionsmöglichkeiten ten ausgesetzt werden. Normalerweise in Bezug auf die Geburten. Die Schwach- wird das entsprechende Risiko durch stelle im Verhältnis zwischen der hohen morphologische Untersuchungen geprüft. Norm, die in verschiedenen Gesetzen Es gibt aber eine kleine Gruppe, bei der das verankert worden ist, und der Praxis be- Risiko einer Fehl- oder Totgeburt bekannt steht in der mangelnden Befähigung von ist. Man kann nun konsistent mit dem Eltern, die Würde ihrer Kinder zu wahren Gesetz und mit der Praxis der assistierten und für sie zu sorgen. Insofern ist die Fortpflanzung in Deutschland argumen- Diskrepanz zwischen Norm und Praxis tieren, dass der Staat in den Fällen, in schon im Rahmen der Pränataldiagnostik denen die objektiven biologischen Vo- ein sozialethisches und rechtliches Prob- raussetzungen für eine Schwangerschaft lem. Denn die Fürsorgepflicht des Staates nicht gegeben sind, der Kinderwunsch muss sich auch auf Unterstützungsleis- also nicht erfüllt werden kann, eine Für- tungen für Paare und Familien mit be- sorgepflicht hat und die Präimplantations- sonderem Versorgungsbedarf beziehen. diagnostik erlauben muss. Damit wird Drittens: Die assistierte Fortpflanzung ist argumentativ kein Wechsel hin zum Se- in Deutschland nur zu einem einzigen lektionsparadigma vollzogen. Vielmehr Zweck erlaubt worden, nämlich zur entspricht diese Folgerung der einge- Herbeiführung einer Schwangerschaft. In schlagenen Argumentationslinie. Der anderen Ländern ist dies nicht der Fall. In Zweck der assistierten Fortpflanzung un- einigen Ländern ist die assistierte Fort- ter Zuhilfenahme der PID besteht hier in pflanzung mit dem Ziel eingeführt wor- der Herbeiführung der Schwangerschaft. den, kranke oder behinderte Kinder – wie Viertens: Die Präimplantationsdiagnostik immer man dies definiert – zu verhindern. ist nicht nur für die Paare mit einen bis- Insofern hat Deutschland mit der Verab- lang unerfüllt gebliebenen Kinderwunsch schiedung des Embryonenschutzgesetzes von Bedeutung, sondern auch für die sehr bzw. mit der Zwecksetzung der assistier- kleine Gruppe von Paaren, die Kinder ten Fortpflanzung einen besonderen Weg bekommen können, die aber aufgrund eingeschlagen. Die PID wäre im Kontext bekannter genetischer Risiken von der der assistierten Fortpflanzung allenfalls assistierten Fortpflanzung Gebrauch ma-

19 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 chen. Dies ist meines Erachtens nur unter versucht habe, zu Grunde legt, dann wäre der Prämisse der Verhinderung von Fehl- eine gesetzliche Verbotsregelung oder eine und Todgeburten eine ethisch vertretbare zu weit gehende gesetzliche Beschränkung Option. Im Übrigen geht es aus ethischer als verfassungswidrig anzusehen. Wir Sicht nicht nur um eine poli- würden dann auch auf den jetzt beste- tisch-rechtliche Regelung, sondern auch henden Regelungszustand zurückfallen, um das Konzept der Elternverantwortung. wie er nach der Entscheidung des Bun- Wir stehen vor der Entscheidung, ob wir desgerichtshofs und seiner Deutung des verantwortliche Elternschaft als die Kon- Embryonenschutzgesetzes besteht. Dies trolle der Gesundheit vor der Annahme würde eine völlige Freigabe der PID be- einerseits oder aber als Befähigung zur deuten. Denn in unserer Grundrechts- Übernahme der Fürsorgepflicht unter den ordnung gilt auf der Grundlage des El- Bedingungen der Annahme andererseits ternrechts, des Selbstbestimmungsrechts vorantreiben wollen. Wenn Elternschaft der Frau und des allgemeinen Persön- heute Kontrolle des Kindes bedeuten soll, lichkeitsrechts, dass nur der Gesetzgeber dann wird darunter das für die Bedeutung Schranken setzen kann. Das heißt, aus von Elternschaft konstitutive Paradigma Sicht derjenigen, denen es um eine Ein- der bedingungslosen Annahme eines schränkung der diagnostischen Möglich- Kindes leiden. keiten geht, hat man dann den denkbar schlechtesten Zustand. Wie stellt sich die Situation nach der Europäischen Die Vorsitzende: Ich danke allen Sachver- Menschrechtskonvention dar? Nach Art. 8 ständigen für ihre Eingangsstatements. der Europäischen Menschenrechtskon- Wir beginnen nun mit der ersten Frage- vention unterliegt schon der bloße runde. Es beginnen die Unterzeichner des Wunsch nach Verwirklichung einer Gruppenantrags auf der Drucksache Schwangerschaft dem Schutzbereich des 17/5451. Familienrechts. Der Straßburger Ge- richtshof für Menschenrechte gibt den einzelnen Mitgliedsstaaten insbesondere Abg. Ulrike Flach (FDP): Bei der PID bei stark umstrittenen Fragenkomplexen handelt es sich um eine so schwerwie- einen großen Gestaltungsspielraum. Dazu gende und diese Republik bewegende zählen auch Fragen der Reproduktions- Frage, dass es gut ist, dass wir hier die medizin bzw. der In-vitro-Fertilisation. Gelegenheit haben, alle Aspekte noch Möglicherweise sind die Mitgliedsstaaten einmal in Ruhe zu bewerten. Meine Frage nach der EMRK frei, die richtet sich an Herrn Prof. Herdegen. Un- In-vitro-Fertilisation ganz zu verbieten. ser Antrag bezieht sich auf Familien, die Auf jeden Fall mahnt der Gerichtshof je- schweres Leid zu ertragen haben und de- doch immer wieder an, dass die Mit- nen wir den Weg zu einem Leben mit ei- gliedsstaaten, wie immer sie sich ent- nem gesunden Kind ebnen wollen. Sie scheiden, stets in sich schlüssig verfahren haben interessanterweise die Auffassung und an einmal getroffenen Wertungen vertreten, dass ein Verbot der PID nicht festhalten müssen. Wenn man einmal eine verfassungsgemäß wäre. Deswegen habe Differenzierung für zulässig erklärt hat ich folgende Frage: Was würde denn im und eine Untersuchung auf genetische Falle eines Verbotes geschehen? Hätten Dispositionen, nach Krankheitsanlagen diejenigen, die derzeit die PID praktizie- oder phänotypisch ausgeprägten Anlagen ren, nicht implizit sofort die Möglichkeit im Mutterleib gestattet, dann kann man einer Verfassungsklage? Und wie ist die sich nicht mehr auf das Argument zu- Rechtslage auf europäischer Ebene? rückziehen, dass Selektion in jedem Fall unzulässig sei. Selektion wäre dann un- bedingt ein Verstoß gegen die Men- SV Prof. Dr. Matthias Herdegen: Wenn schenwürde, wie wir das gerade gehört man die Auffassung, die ich zu skizzieren haben. Denn darin läge der Wertungswi-

20 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 derspruch. Konsequent wäre es zu sagen: die um eine verhängnisvolle erbliche Be- „Ich lehne jede Diagnose und jede Selek- lastung wissen, die sie in einen schwer- tion ab“. Ob dies dann auch verhältnis- wiegenden Schwangerschaftskonflikt hin- mäßig wäre, ist eine spannende verfas- eintreiben würde. Meine Frage in Bezug sungsrechtliche Frage. Diese Haltung wäre auf die ethische Beurteilung lautet wie aber sicherlich mit der Rechtsprechung folgt: Müssen wir das Problem von den zum Schwangerschaftsabbruch unter dem betroffenen Menschen her betrachten oder Gesichtspunkt der Unzumutbarkeit nicht vom Status einer befruchteten Eizelle in vereinbar. Worauf es jedoch immer an- der Glasschale, also von einer absoluten kommt, auch im Lichte der EMRK, das Norm her? Wie verhält es sich hier mit sind die innere Logik und der Wertungs- dem Verhältnis von Norm und Situation? gleichklang. Es gibt Kollegen im Bereich Dann noch eine Frage aus der christlichen des Staatsrechts, die sich dafür ausspre- Perspektive: Für mich folgt die Zulassung chen, diesen Wertungsgleichklang herzu- der PID für Menschen in einer solchen stellen. Sie gehen davon aus, dass die Notlage aus dem Gebot der Nächstenliebe. Frau, bei der die In-vitro-Fertilisation Dagegen wird gern ein Psalmwort aus dem vorgenommen wird, eine Pflicht zur Im- alten Testament vorgebracht, in dem ein plantation hat. Dies ist die Auffassung der Beter zu Gott die Worte spricht: „Du hast wenigen Staatsrechtlehrer in Deutschland, mich erkannt, bevor ich gewoben war im die zu dem Schluss gelangen, man müsse Mutterleib“. Kann man dies als einen zu einem verfassungsrechtlichen Verbot ethischen bzw. theologischen Einwand der PID kommen. Nach ihrer Auffassung gelten lassen oder gilt hier nicht vielmehr weist der Embryo in vitro eine sehr stark das Gebot der Nächstenliebe, dem zufolge Ähnlichkeit mit dem Nasciturus im Mut- die Frauen in ihrer Notlage bzw. zur Auf- terleib auf. Er hat daher ein uneinge- lösung des Schwangerschaftskonflikts schränktes Lebensrecht und eine Würde, nicht auf eine Abtreibung oder eine Spät- die es der Frau gebieten, die Implantation abtreibung verwiesen werden dürfen, vornehmen zu lassen. In logischer Kon- sondern die Möglichkeit haben müssen, sequenz müsste man dann auch im Be- sich für die PID zu entscheiden. An Frau reich der Pränataldiagnostik einen massi- Prof. Schöne-Seifert habe ich folgende ven Rückschritt vollziehen. Aber dann Frage: Einer der Sachverständigen hat müsste man auch das Regime des § 218a gesagt, die Erfahrungen mit der StGB radikal umgestalten, zumindest Pränataldiagnostik, der Untersuchung wenn man der Ansicht ist, dass jede Se- eines heranwachsenden Kindes im Mut- lektion vermieden werden muss. Aber dies terleib, trügen dazu bei, von der PID Ab- verbietet wiederum die EMRK mit ihrem stand zu nehmen. Halten Sie diesen Zwang zum Wertungsgleichklang, zur Schluss für zulässig? Wie sind die Erfah- Kohärenz und zur Systemgerechtigkeit. rungen, die man mit PID und PND ge- macht hat, in den Ländern, in denen beide Verfahren angewandt werden? Können Abg. Peter Hintze (CDU/CSU): In allen wir feststellen, dass es etwa in Skandina- Stellungnahmen ist deutlich geworden, vien einen weniger freundlichen, weniger dass es hier um eine ethische Fragestel- empathischen, weniger gesellschaftlich lung geht, also um die Frage, was nach aufgeschlossenen Umgang mit Behinder- unserem Gewissen gut und was nicht gut ten gibt? Dies ist hier behauptet worden. ist. Ich habe deshalb eine Frage an die Wir haben schon zwei Jahrzehnte lang beiden Ethiker, Prof. Schröder und Prof. Erfahrungen mit der PID gemacht. Kann Schöne-Seifert. An Herrn Prof. Schröder: man sagen, dass die zahlenmäßige Ent- Die Unterzeichner des Antrags wicklung, die wir bei der Pränatal- Flach/Hintze/Sitte/Reimann/Montag be- diagnostik erlebt haben, auch bei der PID schäftigt die Frage, wie wir dem Leid von zu beobachten ist? Frauen begegnen können, die die Erfah- rung einer Totgeburt gemacht haben oder

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SV Prof. Dr. Richard Schröder: Ich würde Biologen bestätigt. Bis zu der Behauptung keinen Gegensatz konstruieren zwischen der Autarkie der Eizelle hat es noch nie- dem Leid von Eltern, die ein genetisch mand getrieben, aber manche Aussage zur schwerbehindertes Kind haben und sich Potentialität der Eizelle kommt dem nahe. ein von dieser Krankheit freies Kind Jetzt argumentiere ich als Theologe: „Du wünschen und dem Status des Embryos hast mich erkannt, bevor ich geboren war vor Beginn der Schwangerschaft. Man im Mutterleibe“. Ich stelle fest, dass dies kann hier keinen Gegensatz konstruieren, noch niemand im Mutterleib gesagt hat. sondern muss sich klar machen: Wer be- All diese Bekenntnisse sind Bekenntnisse hauptet, der Embryo vor Beginn der geborener Menschen. Sie werden auch in Schwangerschaft sei ein vollwertiger Trä- der Bibel vergeblich eine Stelle suchen, an ger der Menschenwürde, der kann an- der ein nicht geborenes Wesen Mensch schließend nicht erklären: „Man darf ihn genannt wird. Deswegen hat aus meiner erzeugen und dann verwerfen.“ So geht es Sicht eine Definition, aufgrund derer nicht. Es gibt eben bestimmte Aussagen letztlich der Satz nicht vermieden werden über den Status des Embryos, die die kann: „Die meisten Menschen werden Antwort auf die Frage, was mit ihm ge- nicht geboren“, vom biblischen Men- schehen darf, präjudizieren. Ich folgere schenverständnis her etwas Gespensti- daraus – das habe ich bereits deutlich sches. Auch die Argumentation mit der gesagt –, dass auch Definitionen Hand- Nicht-Existenz – „Wenn es PID vor meiner lungen sind. Wenn man sagt – oder auch Geburt gegeben hätte, würde es mich nicht dekretiert, denn dies kann man nicht ein- geben“ – beindruckt mich nicht. Diese Art fach aus den Tatsachen ableiten –, dass von Sätzen – „ …würde es mich nicht eine befruchtete Eizelle einem geborenen geben…“ – bildet jeder von uns im Dut- Menschen, was die Schutzwürdigkeit be- zend. Wenn ein anderes Sperma das trifft, gleichzustellen ist – ich weiß, das ist Wettrennen zur mütterlichen Eizelle ge- eine stark vereinfachte Position – dann schafft hätte, würde es mich nicht geben. kann man nicht mehr schlüssig mit dem Wenn meine Eltern sich nicht kennenge- Leid der Eltern argumentieren. Deshalb lernt hätten, würde es mich nicht geben. plädiere ich dafür, die Unterschiede im Ich sage dazu – obwohl ich befürchten Hinblick auf den Status von Blastozysten muss, dass es dann heißt, ich würde mit vor Beginn der Schwangerschaft, während den Empfindungen anderer Menschen der Schwangerschaft und nach der Geburt hart umgehen –, das Wesen, welches sagen nicht einzuebnen. Ich habe oft das Argu- kann „es gibt mich nicht“, gibt es nie. Wir ment gehört, und auch hier ist es ange- können alle Situationen konstruieren, in klungen, dass die befruchtete Eizelle das denen es uns nicht geben würde. Daraus gesamte Potential in sich berge, das nach können wir aber keine Handlungsoptionen dem aristotelischen Potentialitätsver- für Dritte ableiten, und ich frage mich, ob ständnis aus sich heraus zur Verwirkli- es den einen Fall gibt, in dem man das chung gelangen könne. Ich halte diese kann. Behauptung in Bezug auf den Status der befruchteten Eizelle für falsch. Kein Mensch wird geboren ohne seine Mutter. SVe Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert: Ich Der Uterus ist kein Behälter. Ein Hühnerei bin nach der Vergleichbarkeit von PID und enthält alles, um ein Küken hervorzu- PND sowie nach den sozialen Folgen, die bringen, es fehlt nur Wärme. Dafür ist es wir bei PID und PND in anderen Ländern aber auch 50 Mio. Mal größer als eine registrieren, gefragt worden. Ich würde menschliche Eizelle. Was hier fehlt, muss meine Antwort zum Vergleich von PID die Mutter liefern. Deshalb würde die und PND gern an einem Beispiel erläutern, Argumentation, die ich manchmal höre, weil hiervon auch die Frage des Wer- wonach die befruchtete Eizelle dem Sa- tungswiderspruchs berührt ist. Stellen Sie menkorn einer Pflanze ähnele, dem nur sich ein Paar mit einer bekannten Veran- noch Wasser fehle, sicher von keinem lagung beider Eltern zu einer schweren

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Stoffwechselerkrankung vor. Da beide schen heißt. Wie jeder weiß, der es wirk- Eltern das Gen nur einmal haben, sind sie lich wissen will, betreffen von den 3.000 selbst nicht betroffen. Der Zufall hat es medizinisch indizierten Abtreibungen, die gewollt, dass sich nun zwei Träger dieses in Deutschland pro Jahr durchgeführt Gens treffen, die mit einer Wahrschein- werden, nur ganz wenige im engeren lichkeit von 25 Prozent ein Kind mit zwei Sinne die Gesundheit der Mutter. Dies betroffenen Genen bekommen, das heißt muss man ehrlicherweise zur Kenntnis mit einer schwersten Stoffwechseler- nehmen. Fast alle diese Abtreibungen sind krankung, die bereits in den ersten Le- embryopathisch motiviert, wenn auch bensjahren zum Tode führt. In einem Land unter einer Tarnkappe. Die Eltern wären wie Deutschland, in dem die PND erlaubt heilfroh, wenn das werdende Kind nicht ist, könnten Sie nun eine Fruchtwasser- betroffen wäre. Wenn nun dieselbe Frau untersuchung durchführen lassen, und sie die Möglichkeit hätte, in Italien oder in würden natürlich hoffen, dass die Diag- einem anderen Land eine PID durchführen nose einen negativen Befund ergibt. Um zu lassen, würde sie den gleichen Test wie den Fall vielleicht noch lebensnäher zu bei der PND an Embryonen durchführen machen, nehme ich an, dass das Paar be- lassen, die erst 0,2 Millimeter groß wären, reits zwei Kinder mit dieser Krankheit zur und sie würde sich die nicht von der Welt gebracht und verloren hat. Jetzt ent- Krankheit betroffenen Embryos einpflan- scheidet es sich trotz früherer Bedenken, zen lassen und wäre froh zu sehen, dass es eine Fruchtwasseruntersuchung durch- auch nicht betroffene Embryonen gibt. Aus führen zu lassen und erhält einen positi- ethischen Gründen würde das von der ven, also krankhaften Befund. Daraufhin genetischen Disposition betroffene Paar beschließt das Paar, die Schwangerschaft eine PID als viel weniger gravierend als abzubrechen. Schon zur Zeit des Tests ist eine PND empfinden, weil es der Über- der Embryo etwa 10 Zentimeter groß. Die zeugung ist, dass der Lebensschutz eines Fruchtwasseruntersuchung wurde – so 16 Wochen alten Embryos im Vergleich nehme ich in meiner Fallschilderung an – wesentlich stärker zu gewichten ist. Inso- von Anfang an in potentiell selektiver fern bin ich der Ansicht, dass es einen Absicht getätigt, nämlich mit der Absicht, Wertungswiderspruch gravierender Art eine weitere, dritte Schwangerschaft mit bedeuten würde, wenn man die PND mit einem von der Krankheit betroffenen verdeckter embryopatischer Indikation Embryo nicht fortzuführen. Es ist jeden- weiterhin zuließe, die PID aber verbieten falls wenig überzeugend, die Untersu- würde. Ich ziehe daraus aber anders als chung als nicht potentiell selektiv zu be- etwa Frau Prof. Graumann nicht die Kon- zeichnen. Um den Schwangerschaftsab- sequenz, dass man auch die PND verbieten bruch rechtmäßig durchführen lassen zu sollte, sondern würde umgekehrt behaup- können, muss nun gemeinsam mit dem ten: Es hat sich im Ausland wie im Inland behandelnden Arzt erklärt werden, dass es gezeigt, dass es entgegen der Befürchtung, für die Schwangere wegen einer bereits es würde zu einer inflationären Auswei- eingetretenen oder zu erwartenden Beein- tung kommen, eine stabile Rate der Inan- trächtigung ihrer geistigen oder körperli- spruchnahme von PND gibt. Von den über chen Gesundheit unzumutbar wäre, dieses 110.000 Abtreibungen, die es in Deutsch- Kind auszutragen. In Wirklichkeit geht es land pro Jahr gibt, erfolgen 3.000 auf Basis hier aber nicht um eine Beeinträchtigung einer medizinischen und die meisten da- ihrer Gesundheit im engeren Sinne. Viel- von in Wirklichkeit auf Basis einer mehr möchte sie es sich nicht noch einmal embryopathischen Indikation. Diese Zahl zumuten, ein solches krankes Kind bis zu ist stabil. Es scheint nicht so zu sein, dass seinem Tode zu pflegen und das damit Frauen davon mehr und mehr Gebrauch verbundene Leiden auszuhalten. Sowohl machen wollen. Es gibt auch etliche die Schwangere als auch der Arzt werden Frauen, die die PND nicht in Anspruch in diesem Fall eine medizinisch-soziale nehmen wollen. Die entsprechenden In- Indikation geltend machen, wie es inzwi- formationsnetzwerke sind gut ausgebaut,

23 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 und man kann sich leicht über die An- und verschiedene Formen der Mukovis- sichten von Kritikern und Befürwortern zidose, bei denen PID indiziert sein kann. informieren. Dass es in Einzelfällen un- Hinzu kommen die chromosomalen Stö- aufgeklärte Entscheidungen gibt, wie rungen, wobei ich betonen möchte, dass überall, das will ich nicht bestreiten, aber der Ausschluss der Trisomie 21 nicht zu wir haben keinen Anlass anzunehmen, den Indikationen gehören soll. Das halte dass dies in diesen Fällen besonders gra- ich für sehr wichtig, und das hat auch die vierend und nicht zu ändern wäre. Im seinerzeitige Richtlinie der Bundesärzte- Ausland gibt es meines Wissens – ich bin kammer so vorgesehen. Es gibt aber allerdings keine Sozialwissenschaftlerin – chromosomale Störungen, die nicht mit keine beunruhigenden Befunde, die die dem Leben vereinbar sind oder schwerste Befürchtung nähren würden, dass in den Behinderungen für die Kinder bedeuten, Ländern, die der PID aufgeschlossen ge- wie zum Beispiel die Robertsonsche genüberstehen oder sie zulassen, die Be- Translokation, um nur eine dieser Krank- hindertenfeindlichkeit messbar zunimmt. heiten zu nennen. Dies sind die wesent- lichen Indikationen. Ein Dammbruch hat jedenfalls nicht stattgefunden. Dafür ist Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Herr die Methode viel zu aufwändig. Prof. Diedrich, ich würde gern wissen, ob Ihnen aus Ihrer praktischen Erfahrung als Gynäkologe und Geburtshelfer typische Abg. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.): Ich habe Konstellationen von Paaren bekannt sind, zwei Fragen. Meine erste Frage, die sich an die um Hilfe bei der Erfüllung ihres Kin- Frau Prof. Schöne-Seifert richtet, bezieht derwunsches bitten und die die PID in sich auf persönlichkeitsbezogene Verfas- Deutschland in Anspruch nehmen wür- sungsrechte, zum einen auf das Selbstbe- den, sofern es sie gäbe. Halten Sie es für stimmungsrecht der Frau und zum ande- wahrscheinlich, dass daraus eine Stan- ren auf das Recht von Paaren zur Fort- dardpraxis werden würde? pflanzung. Wie schätzen Sie die vorlie- genden Gesetzentwürfe im Hinblick auf diese beiden Gesichtspunkte ein? Meine SV Prof. Dr. Klaus Diedrich: Wir schätzen, zweite Frage richtet sich an Prof. Diedrich. auch aufgrund von Erfahrungen in ande- Einer der Sachverständigen hat vorhin ren Ländern, dass es etwa 200 PID-Fälle ausgeführt, dass durch die Nidation der pro Jahr in Deutschland geben würde. In befruchteten Eizelle für deren Weiterent- Großbritannien gibt es bei einer etwas wicklung keine neue Qualität bzw. Zäsur geringeren Bevölkerungszahl eine ähnli- entstünde. Ich teile diese Auffassung aus- che Größenordnung. Die PID ist mit der drücklich nicht, möchte hierzu aber von In-vitro-Fertilisation verbunden, die sehr Ihnen eine Einschätzung aus medizini- aufwendig und – wie ich vorhin bereits scher Sicht erhalten. ausgeführt habe – auch sehr belastend für die Paare ist, weil zu dem Verfahren der künstlichen Befruchtung noch die Ausei- SVe Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert: Ich nandersetzung mit der Frage hinzukommt, möchte zunächst zu der Frage des ob der Embryo mit der genetischen Er- Selbstbestimmungsrechts der Frauen und krankung belastet ist oder nicht. Die PID der Paare Stellung nehmen. Wir alle wis- wird deshalb nie zu einem Standardver- sen, dass es immer dann, wenn von Paaren fahren werden, und der Dammbruch, von gesprochen wird, in Wirklichkeit um die dem so oft geredet wird, hat nicht stattge- Selbstbestimmung von Frauen geht. Es funden. Nach den Daten der europäischen sollte auch von Anfang an klar sein, dass Gesellschaft aus den letzten zehn Jahren man rechtlich und ethisch zwischen ver- sind es hauptsächlich monogenetische schiedenen Selbstbestimmungsaspekten Erkrankungen, wie zum Beispiel Morbus differenzieren muss. Es gibt zum einen Duchenne, Muskelschwunderkrankungen Selbstbestimmungsaspekte, die Abwehr-

24 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 charakter haben und die in der Medizin relative Widerspruch zur PND ist auf die sehr weitreichend sind. Niemand darf eine Tatsache zurückzuführen, dass die PID Frau oder einen Patienten in medizini- sich von der PND unterscheidet und in der scher Hinsicht zu etwas drängen, was sie Bevölkerung große Befürchtungen her- oder er nicht möchte. Zum anderen gibt es vorruft. Diesen Befürchtungen wird durch die Anspruchsrechte. Daraus resultiert die den Gesetzentwurf Rechnung getragen. Frage, ob eine Frau kraft ihres prinzipiell anerkannten Rechts auf Selbstbestimmung auch einen Anspruch auf PID oder etwas SV Prof. Dr. Klaus Diedrich: Für mich Vergleichbares geltend machen kann. steht ebenfalls fest, dass menschliches Diese Frage ist natürlich sehr viel schwie- Leben mit der Befruchtung beginnt. Die riger zu beantworten. Jedenfalls folgt aus Eizelle muss sich in den auf die Befruch- dem Selbstbestimmungsrecht nicht, dass tung folgenden sechs Tagen weiterentwi- positive Anspruchsrechte auf irgendetwas ckeln, um das einpflanzungsfähige Sta- bestehen. Ich denke, das ist die gemein- dium zu erreichen. Erst dann hat sie das same Grundposition von uns allen, die wir Potenzial, sich zu einem Menschen zu hier als Sachverständige geladen sind. In entwickeln. Gleichwohl sehe ich die Ei- diesem Zusammenhang spielt der Begriff zelle schon vorher als ein menschliches der reproduktiven Freiheit eine Rolle – ein Wesen an. Zu der Frage, ob dieses Begriff, der in Deutschland kaum auf Ge- menschliche Wesen, sprich die befruch- genliebe stößt, sondern als Kampfbegriff tete Eizelle, bereits Würde hat, hat Herr aufgefasst wird, der aber in der internati- Herdegen deutlich Stellung genommen. onalen Debatte fest etabliert ist. Die re- Seine Aussage kann ich nur unterstrei- produktive Freiheit von Paaren endet na- chen. Die Entwicklung des Embryos nach türlich dort, wo die Grundrechte Anderer der Nidation ist ein abgestufter Prozess, oder grundlegende ethische Normen be- der bis zur Geburt dauert. Dies kann man troffen sind. Deswegen sprechen wir im meiner Meinung nach auch an dem § 218 Zusammenhang mit dem ablesen, der den Schwangerschaftsab- Nadelöhrargument über den Rechtsstatus bruch ohne Indikation aus sozialen des Embryos. Die Mütter haben aufgrund Gründen bis zur zwölften Woche nach der ihres Selbstbestimmungsrechts natürlich Konzeption zulässt, sofern vorher eine keine Befugnis, darüber zu entscheiden, entsprechende Beratung stattgefunden hat. ob ihre geborenen Kinder weiterleben Nach diesem Zeitraum ist ein Abbruch nur dürfen oder nicht. Soweit es sich um dann zulässig, wenn eine strenge medizi- pünktchenförmige Embryonen in einem nische Indikation vorliegt. In dieser Frage sehr frühen Stadium handelt, haben wir es gebe ich Frau Prof. Schöne-Seifert Recht, jedoch mit einem Sonderfall zu tun. Ich die die Auffassung vertreten hat, dass hier bin der Ansicht, dass der Ausübung des sehr oft eine Mogelpackung vorliegt. Offi- Selbstbestimmungsrechts von Frauen und ziell gibt es die embryopathische Indika- Paaren in Fragen der Vermeidung von tion zwar nicht mehr, bei den meisten schwersten Erkrankungen bei ihren Kin- medizinischen Indikationen handelt es dern keine hinreichend gravierenden sich jedoch faktisch um embryopathische ethischen Argumente entgegenstehen und Indikationen, aus denen dann eine müt- dass man, wenn man dies so sieht, den terliche medizinische Indikation gemacht Gesetzentwurf, der eine kontrollierte, eng wird, weil es physische oder psychische definierte Zulassung der PID vorsieht, als Belastungsfaktoren gibt, aufgrund derer einzigen unterstützen kann. Auch hier der Frau eine Fortführung der Schwan- sind die Restriktionen im Vergleich zur gerschaft nicht zugemutet werden kann. Fruchtwasseruntersuchung mit mögli- cherweise nachfolgender Abtreibung groß, weil ausschließlich Paare mit schon be- Abg. Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE kannten genetischen Erkrankungen die GRÜNEN): Herr Prof. Herdegen, ich habe PID durchführen lassen dürfen. Dieser zwei Fragen an Sie. Erstens: Wir stehen

25 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 vor der Entscheidung, ob wir mit der Zu- Grundrechtsbeschränkungen mit einem lassung der PID einen Raum betreten möglichen Missbrauch rechtfertigen, dann wollen oder sollen, zu dem es nur über kommen wir verfassungsrechtlich auf eine einen anderen Raum, die schiefe Ebene, weil wir dann gewisser- In-vitro-Fertilisation, einen Zugang gibt. maßen ohne Grundlage in der Empirie den Bei der In-vitro-Fertilisation haben wir es, Missbrauch als die entscheidungs- und medizinisch bedingt, mit zwei voneinan- erkennungsleitende Typik betrachten. der unabhängigen Rechtsträgern zu tun. Dies wäre aus meiner Sicht unverhält- Bei der Vereinigung dieser beiden Rechts- nismäßig und hätte auch vor dem allge- träger kommt es tendenziell zu einem meinen Gleichheitssatz keinen Bestand. Widerspruch. Denn die betroffene Frau Vielmehr zwingt der Grundsatz der Ver- kann die Einbringung des Embryos ohne hältnismäßigkeit und des Minimaleingriffs Begründung ablehnen. Es gibt keine den Gesetzgeber und alle Organe des Rechtspflicht, zumindest keine durch- Staates dazu, seine Intervention im Inte- setzbare Rechtspflicht der Rechtsordnung, resse der Maximierung der grundrechtlich sie dazu zu zwingen. Wenn diese Frau nun geschützten Freiheit so stark wie möglich erklärt, dass sie den Embryo nicht um zu beschränken und sich auf die Be- jeden Preis sterben lassen, sondern eine kämpfung des Missbrauches zu konzent- informierte Entscheidung für das Leben rieren. Die anderen beiden Fragen möchte treffen will, stellt sich die Frage, ob die ich ein wenig zusammenfassen, weil sie Realisierung des Anspruchs dieser Frau, sich im Kern noch einmal auf den Status eine informierte Entscheidung zu treffen, des Embryos in vitro beziehen. Der Emb- nicht einen minder schweren Eingriff in ryo in vitro ist die früheste Form des Rechtsgüter darstellt als derjenige, der menschlichen Lebens, und ich habe mich durch die Entscheidung der Frau erfolgt, zu einer Auffassung bekannt, die den die Einpflanzung ohne Begründung abzu- Würdeschutz sehr früh beginnen lässt, lehnen, und ob die Tatsache, dass die nämlich zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Entscheidung der Frau einen sowohl ne- Damit befinde ich mich im Widerspruch gativen als auch positiven Selektionscha- zu einer weit verbreiteten Meinung in der rakter uno acto hat – denn sie entscheidet deutschen Staatsrechtslehre. Insofern ist sich sowohl für als auch gegen etwas – den die deutsche Staatsrechtslehre bei dieser Charakter des sanften Ausgleichs konter- Anhörung nicht repräsentativ vertreten. karieren kann. Ich stelle diese Frage, weil Aber als Vertreter dieser Minderheit im ich als Abgeordneter vor der Aufgabe ste- deutschen Staatsrecht unterscheide ich he, einen Ausgleich zwischen Grund- mich auch von einigen Fundamentalisten, rechtspositionen durchführen zu müssen. die schon der Ei- und der Samenzelle ei- Meine zweite Frage bezieht sich auf den nen Würdeschutz zukommen lassen wol- Missbrauch. Wenn es richtig ist, dass wir len. Doch das Leitbild vom Menschen, wie einen Bereich haben, in dem Rechtssub- es im Grunde allen Religionen und auch jekte einen Anspruch auf Grundrechts- unserem grundgesetzlichen Menschenbild und auf Handlungsgewährung haben und zugrunde liegt, wird ganz wesentlich von wenn die Gewährung der Handlungsfä- der Verbindung des Embryos mit dem higkeit, der Hang der Entscheidungsfä- Mutterleib – da stimme ich mit Herrn Prof. higkeit, gefahrgeneigt ist, dürfen wir den Schröder überein – mitbestimmt. In un- Missbrauch dann dadurch ausschließen, serem konkreten Fall bedeutet dies, dass dass wir die Grundrechtsgewährung aus- es zwar auch ohne diese Verbindung einen schließen oder sind wir als Gesetzgeber Würdeschutz geben kann, dass aber die verpflichtet, dafür zu sorgen, dass der Frage, ob es bereits zu dieser Verbindung Missbrauch nicht eintritt? gekommen ist oder nicht, die Art und Weise des personalen Achtungsanspru- ches wesentlich mitbestimmt. Ganz anders SV Prof. Dr. Matthias Herdegen: Ich be- verhält es sich nach der Implantation, ginne mit der letzten Frage. Wenn wir nach der Nidation, weil hier eine auch

26 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 grundrechtlich gesicherte Perspektive des und Auswahl menschlichen Lebens in Heranreifens besteht. Nach der herr- Form eines Embryos nach Kriterien wie schenden Meinung der deutschen Staats- gesund oder krank, behindert oder nicht rechtslehre beginnt der Schutz des Lebens behindert aus. Wir haben heute schon nach Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes mehrfach vernommen, dass bei der Reform erst mit der Implantation, weshalb es des § 218a die Zulässigkeit eines keine Pflicht der Frau zur Implantation Schwangerschaftsabbruchs aufgrund einer geben kann. Ich halte im Übrigen bereits Behinderung eines Kindes abgeschafft die Annahme einer derartigen Implanta- worden ist. Welche Wirkungen hätte es, tionspflicht für einen Verstoß gegen die wenn nun mit der Zulassung der Auswahl Menschenwürde. Vor diesem Hintergrund von Embryos bzw. mit der gesetzlichen würde der Verweis auf die Verankerung einer Auswahlmethode für Pränataldiagnostik im Falle einer menschliches Leben eine ganz neue In-vitro-Fertilisation bei bekannten Erb- Rechtswirklichkeit, aber auch eine ganz anlagen und einer Disposition für be- merkwürdige Asymmetrie unserer stimmte Krankheiten gewissermaßen den Rechtsordnung geschaffen würde? Zwang zu einem schwerwiegenderen Eingriff beinhalten. Dies ist eine Art von Verstoß gegen die Schutzpflicht, die in SV Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Bö- besonderem Maße – und nach herrschen- ckenförde: In der Tat würde auf diesem der Meinung unter dem Gesichtspunkt des Wege eine Asymmetrie geschaffen, denn Lebensgrundrechts – nur gegenüber dem nach meiner Auffassung hat menschli- Nasciturus im Mutterleib besteht, dem ches Leben von dem Abschluss der Be- sozusagen ein Untermaßverbot zur Seite fruchtung an Anteil an der Menschen- steht. Es wäre ein übermäßiger Eingriff in würde und auch am Lebensrecht, das die Grundrechte der Eltern, insbesondere auf der Menschenwürde basiert. Dem- der Mutter, wenn man sie diesem anhal- zufolge wäre es unzulässig, einen Un- tenden Zwang zum Nichtwissen aussetzen terschied zwischen verschiedenen würde. Denn man verschafft ihnen den Embryos zu machen und zu sagen, dass Zugang zum Wissen erst während der das Recht auf Leben aufhört, sofern der Schwangerschaft. Insoweit liegt hier aus Embryo bestimmte Krankheiten oder der Sicht des werdenden menschlichen genetische Defekte aufweist und dass Lebens ein Verstoß sowohl gegen das dieser Embryo in vitro ohne Probleme Übermaßverbot als auch gegen das Un- ausgesondert werden kann. Dies wäre termaßverbot vor, indem man nämlich den eine gravierende Asymmetrie und wür- Maximaleingriff erst während der de das Recht auf Leben als Folge der Schwangerschaft erlaubt, wenn bereits die Anerkennung der Menschenwürde im physische Verbindung mit der Mutter Grunde teilweise außer Kraft setzen. stattgefunden hat. Auch dies ist ein Beitrag Denn dies würde bedeuten, dass ein zum Thema Wertungswiderspruch. Recht auf Leben nur noch dann besteht, wenn bestimmte genetische Defekte oder eine Veranlagung für bestimmte Krank- Die Vorsitzende: Nun beginnt die Frage- heiten nicht vorhanden sind. Etliche zeit der Gruppe der Unterzeichner des Staatsrechtler vertreten die Auffassung, Gesetzentwurfs auf der Drucksache dass das Recht auf Leben, das auf der 17/5450 (Abg. Kathrin Göhring-Eckart, Menschenwürde basiert, auch bei einem Volker Kauder und Pascal Kober). Embryo vor der Nidation besteht und nicht erst nach der Nidation oder in einem späteren Stadium. Wenn man die Abg. Johannes Singhammer (CDU/CSU): letztere Auffassung vertreten würde, Meine erste Frage richtet sich an Prof. dann würde Zusammengehöriges quasi Böckenförde. In unserem Gesetzentwurf auseinandergerissen. Und es wäre auch sprechen wir uns gegen eine Bewertung nicht mit der Prämisse vereinbar, dass

27 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 menschliches Leben im Status des genetischen Defekte oder die Veranlagung Embryos ein Lebensrecht hat, wenn man für bestimmte Krankheiten hat. Der kon- darüber wegen bestimmter Fehleigen- krete Konflikt ist also nicht von vornhe- schaften oder fehlender Eigenschaften rein vorhanden, sondern wird erst durch einfach disponieren könnte. die PID hervorgerufen bzw. antizipiert. Es geht bei ihr eben nicht um eine konkrete Konfliktlösung, sondern um eine abstrakte Abg. Pascal Kober (FDP): Meine Frage Selektion. Da sich PND und PID vom richtet sich an die Professoren Böcken- Sachverhalt her unterscheiden, ist es auch förde und Huber. Es geht um die kollidie- gerechtfertigt, unterschiedliche rechtliche renden Grundrechte von Mutter einerseits Regelungen zu treffen und etwa die PID für und Embryo andererseits. Erfolgt die Ab- unzulässig zu erklären, um die damit wägung dieser kollidierenden Grund- verbundene Art der Aussonderung zu rechte im Falle eines Schwangerschafts- verhindern. Ich kann auch nicht erkennen, abbruchs auf die gleiche Weise wie bei der dass dem zum Beispiel ein Recht der El- Präimplantationsdiagnostik? tern auf Wissen entgegenstehen würde, denn dieses Recht auf Wissen leitet sich aus Art. 6 Grundgesetz, dem Recht auf SV Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Böcken- Elternschaft, sowie aus dem allgemeinen förde: Nein, die beiden Sachverhalte sind Persönlichkeitsrecht her. Diese Rechte meines Erachtens unterschiedlich zu be- sind nicht absolut, sondern finden ihre werten. Ich kann den in der Diskussion oft Grenze und können auch gesetzlich ein- hervorgehobenen Wertungswiderspruch geschränkt werden. Art. 2 Grundgesetz nicht erkennen. Denn beim Schwanger- bestimmt ausdrücklich, dass das Persön- schaftskonflikt handelt es sich um einen lichkeitsrecht eingeschränkt werden kann, konkreten Konflikt zwischen dem wer- sofern es dafür vernünftige Gründe gibt. In denden Kind in der Mutter und der Mutter unserem Fall ergeben sich die Gründe aus selbst, die miteinander in einer Einheit in dem Lebensrecht und dem Interesse des Zweiheit verbunden sind. Dieser Konflikt Embryos. Wenn die Eltern unbedingt ein entsteht oft dadurch, dass eine ungewollte Wissen über die Anlagen des Embryos Schwangerschaft vorliegt und sich dann haben und deshalb die PID durchführen die Frage stellt, wie die beiden Dinge ge- wollen, dann liegt dem zunächst einmal geneinander abzuwägen sind und wie weit ihr eigenes Interesse zugrunde. Dieses die Einstandspflicht der Mutter reicht kann jedoch eingeschränkt werden, sofern bzw. wo die Opfergrenze für die Mutter es das Lebensrecht des Embryos nicht nur liegt. Diese Abwägung versucht die Rege- abstrakt, sondern konkret gefährdet. Inso- lung in § 218a Abs. 2 vorzunehmen; wobei fern besteht ein legitimer Grund für die ich Frau Prof. Schöne-Seifert darin zu- Einschränkung der Informationsfreiheit stimme, dass es sich in der Praxis bei der Eltern. Denn diese Einschränkung mindestens drei Viertel der Indikationen, geschieht nicht willkürlich, sondern dient wenn nicht sogar bei noch mehr, um ver- dem Zweck, das Lebensrecht und die deckte embryopathische Indikationen Würde des Embryos zu schützen. handelt und dass der Gesetzgeber hier Abwägungen zu treffen hat. Eine weitere Frage lautet, ob die praktische Handha- SV Bischof Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang bung immer dem entspricht, was im Ge- Huber: Ich möchte zwei ethische Ge- setz normiert ist. Der Ausgangspunkt für sichtspunkte ergänzen. Erstens: In dem die Präimplantationsdiagnostik ist ein Augenblick, in dem ein Paar, das bisher starker Kinderwunsch, andernfalls würde unter Kinderlosigkeit leidet, sich dazu man sich der Prozedur, mit der dieses entschließt, den Weg der IVF zu gehen, tut Verfahren verbunden ist, nicht aussetzen. es dies in der Absicht, dass die auf diese Man möchte zwar unbedingt ein Kind, Weise hergestellten Embryonen auch im- aber letztlich nur dann, wenn es keine plantiert werden. Es tut es nicht unter dem

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Gesichtspunkt, erst nach der Herstellung PID ausgestattet wird. Denn darin erkenne der Embryonen darüber zu entscheiden, ich einen Wertungswiderspruch. ob sie implantiert werden sollen. Den zweiten Weg zu beschreiten hieße näm- Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE lich, ethisch betrachtet, den reprodukti- GRÜNEN): Zwei kurze Vorbemerkungen: onsmedizinisch hergestellten Embryo zur Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass bloßen Sache zu erklären. Unabhängig es sich hier um eine Abwägungsent- davon, wie wir die Differenzen in der Sa- scheidung handelt, der rechtliche, ethi- che beurteilen, nämlich welches Gewicht sche und medizinische Argumente zu- wir den verschiedenen Stufen beimessen, grunde zu legen sind. Zudem möchte ich in denen menschliches Leben sich bis zu darauf hinweisen, dass von Erbkrankhei- dem Punkt entwickelt, an dem es nicht ten betroffene Paare in der Regel mehr nur ein Nasciturus ist, sondern ge- Schwangerschaften auf natürlichem Wege boren wird, besteht offensichtlich Einig- erzeugen. Damit ist festzuhalten, dass wir keit darüber, dass der menschliche Emb- mit der IVF einen Sonderweg beschreiten, ryo auch auf seiner allerfrühesten Ent- der mit erheblichen Eingriffen in die wicklungsstufe keine bloße Sache ist. Dies Körperlichkeit der Frauen verbunden ist. bedeutet, dass auch die Eltern, insbeson- Darin schließt sich meine erste medizini- dere die Mutter, in dem Augenblick, in sche Frage an Frau Prof. Kollek an: Wie dem sie in die Prozedur der IVF einwilli- hoch ist der Anteil der Frauen, die nach gen, in ein ethisches Verantwortungsver- der Durchführung einer PID ein Kind be- hältnis gegenüber den auf diesem Wege kommen? Ist es für die betroffenen Frauen entstandenen Embryonen treten. Dasselbe wahrscheinlicher, ein gesundes Kind zu gilt für die beteiligten Ärzte. Alle Betei- bekommen, wenn dies auf natürlichem ligten stellen nicht nur eine Sache her, mit Wege gezeugt wird? Daran knüpft sich der nach Belieben verfahren werden kann, eine weitere Frage: Welche gesundheitli- beispielsweise auch dadurch, dass man sie chen Risiken – zum Beispiel Missbildun- implantiert. Dies muss der ethische Aus- gen, Mehrlingsschwangerschaften und gangspunkt sein, denn andernfalls kommt Komplikationen neonataler Art – resul- es zu einer Instrumentalisierung und Ver- tieren aus diesem Verfahren für weitere dinglichung dieser frühesten Stufe Kinder? Gibt es Untersuchungen zu den menschlichen Lebens, die ihrerseits weit- körperlichen und psychischen Langzeit- reichende Auswirkungen hat. Zweitens: folgen des Verfahrens? Mit Blick auf den § 218a Abs. 2 stellt sich die Frage, wie man den offensichtlichen Wertungswiderspruch, der in der gegen- SVe Prof. Dr. Regine Kollek: Der Anteil wärtigen Praxis der PND liegt, auflöst. Ich der Frauen, die nach einer PID ein Kind entnehme aus manchen Voten an diesem bekommen, liegt ungefähr in der gleichen Tisch den Vorwurf an den Gesetzgeber, er Größenordnung wie der entsprechende habe eine Mogelpackung produziert. Denn Anteil nach einer In-vitro-Fertilisation. dem Gesetzgeber wird die Intention un- Der Wert liegt in Abhängigkeit vom Alter terstellt, er habe die embryopathische In- der Frau zwischen 20 und 25, teilweise dikation unter der medizinischen Indika- aber auch bei 30 Prozent. Nach der Statis- tion verstecken wollen. Ich habe, das gebe tik des In-vitro-Fertilisationregisters in ich zu, die Neuregelung im Jahre 1995 Deutschland – die ich für sehr zuverlässig nicht ohne Sorge mitverfolgt. Ich habe halte – ist dies ein ähnlich hoher Pro- gefragt, welche Auswirkungen diese Re- zentsatz wie in vielen anderen europäi- gelungen haben wird. Ich kann nun nicht schen Ländern, wobei er in einzelnen akzeptieren, dass eine Praxis, die im Wi- Ländern höher liegt. Die zweite Frage be- derspruch zum Wortlaut des § 218a Abs. 2 zog sich auf den Anteil der Frauen, die steht, mit einem normativen Anspruch im fruchtbar sind. Paare, die ein Risiko für Hinblick auf die gesetzliche Regelung der Erbkrankheiten haben, sind in der Regel nicht unfruchtbar. Sie würden im Rahmen

29 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 einer PID das Verfahren der Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE.): Ich In-vitro-Fertilisation aber dennoch in habe eine Frage an Frau Prof. Kollek. Wir Anspruch nehmen müssen, um ein Kind müssen bei unseren Erwägungen in zu bekommen. Ich kann dazu, wie die Rechnung stellen, dass es ein Recht auf Praxis in Deutschland aussehen würde, Wissen in allen Fragen gibt, die sich auf natürlich nichts sagen. Aber nach den den eigenen Körper und die eigene Ge- Statistiken der Europäischen Gesellschaft sundheit beziehen. Bei allen Versuchen, für Human Reproduction and Embryology, die Präimplantationsdiagnostik in irgend- von der wir die Zahlen haben, ist ungefähr einer Art und Weise einzugrenzen, geht es ein Drittel der Paare, die wegen einer auch um die Frage, inwiefern solche Be- Erbkrankheit eine grenzungen technisch oder medizinisch Präimplantationsdiagnostik durchführen, möglich sind. Deshalb möchte ich erfah- auf Grund einer genetischen Disposition ren, ob nach den derzeit üblichen und den zugleich unfruchtbar. Zwei Drittel aller in der Entwicklung befindlichen Paare, die eine Präimplantationsdiagnostik PID-Verfahren Nebenbefunde überhaupt durchführen lassen, wenden das Verfah- vermeidbar sind und was es für die Medi- ren aber nicht wegen einer Erbkrankheit zinerinnen und Mediziner bedeutet, sol- an, sondern weil sie auf natürlichem Wege che Nebenbefunde zu erheben, sie den oder auch im Rahmen einer betreffenden Frauen aber möglicherweise In-vitro-Fertilisation nicht schwanger ge- nicht mitteilen zu dürfen. Was würde dies worden sind und um damit die Effektivität zum Beispiel für die Rechtsprechung beim der In-vitro-Fertilisation zu erhöhen. Von Arzthaftungsrecht bedeuten? Und welche den knapp 6.000 Paaren pro Jahr, die dem Auswirkungen hätten solche Nebenbe- Europäischen Register zufolge die PID funde für die Möglichkeiten zur Eingren- anwenden, tun dies knapp 4.000 aus die- zung des Anwendungsbereichs der sem Grund. In diesen Fällen findet das Präimplantationsdiagnostik in der Praxis? sogenannte Aneuploidie-Screening statt, von dem allerdings immer noch nicht bekannt ist, ob es die Effektivität der SVe Prof. Dr. Regine Kollek: Die Mög- In-vitro-Fertilisation tatsächlich erhöht. lichkeiten zur Begrenzung der PID in Be- Wenn ich Ihre letzte Frage richtig ver- zug auf die diagnostischen Methoden, die standen habe, dann geht es Ihnen darum derzeit angewendet werden, hängen in zu erfahren, ob Paare mit Chromosomen- hohem Maße davon ab, wonach man störungen auch auf natürlichem Wege sucht. Wenn man etwa nach der Verän- schwanger werden können. Ja, das ist so, derung in einem Gen, also nach einer wenn auch sehr selten. Paare mit Chro- klassischen Erbkrankheit wie zum Bei- mosomentranslokationen erzeugen meis- spiel der Mukoviszidose sucht, dann wird tens nur wenige entwicklungsfähige man auch nur den entsprechenden Befund Embryonen. Nach den Untersuchungen, finden, und dabei würden auch nicht un- die es zurzeit gibt, werden die betreffen- bedingt Nebeninformationen anfallen. den Frauen auf natürlichem Wege sogar Teilweise werden aber auch bei solchen häufiger schwanger als die Frauen, die in Untersuchungen Daten erzeugt, die etwa solchen Fällen auf die PID zurückgreifen. darüber Auskunft geben, wer der Vater des Zudem gibt es bei ihnen seltener spontane Embryos ist. Da durch solche Informatio- Schwangerschaftsabbrüche, also Fälle, in nen möglicherweise ganze Familienkons- denen der Embryo abstirbt, als bei Frauen, tellationen in Frage gestellt werden, müs- die die PID anwenden. Es gibt Über- sen normalerweise die Frau oder das Paar sichtsarbeiten zu diesen Fragestellungen, im Voraus informiert werden, dass solche deren Ergebnisse man aber genau darauf- Nebeninformationen anfallen können. hin untersuchen muss, um welche Grup- Grundsätzlich hängt der Umfang der Ne- pen es sich im Einzelnen handelt. beninformationen jedoch stark davon ab, welche diagnostischen Verfahren ange- wandt werden. Zurzeit werden sogenannte

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Microchips erprobt und geprüft, bislang man, dass hier erheblich mehr Eizellen aber noch nicht routinemäßig in der kli- erforderlich sind als bei einer normalen nischen Praxis eingesetzt. Dadurch lassen In-vitro-Fertilisation. Das Problem besteht sich viele genetische Veränderungen in darin, dass die Frauen eine Hormonsti- unterschiedlichen Genen gleichzeitig er- mulation über sich ergehen lassen müssen, fassen. Zugleich kann der Chromosomen- damit mehrere Eizellen gleichzeitig reifen. status festgestellt, also eine Information Es ist jedoch nicht genau kalkulierbar, wie darüber erhalten werden, ob ein normales viele Eizellen dabei entstehen. Die Zahl Chromosomenbild vorliegt oder nicht. hängt nämlich auch davon ab, wie alt Wenn solche Untersuchungsmethoden diese Frauen sind. Bei jüngeren Frauen einmal zum Einsatz kommen, was ich für entstehen im Regelfall mehr Eizellen als wahrscheinlich halte, dann wird man mit bei älteren Frauen. Nach meinen Informa- einer einzigen Untersuchung automatisch tionen – dies kann ich aber nur mit großem viele Nebeninformationen generieren, die Vorbehalt sagen – erfolgt bei der PID ein man der Frau oder dem Paar kaum vor- höheres Maß an Stimulierung. Diese Aus- enthalten könnte. Dies würde dann gege- sage basiert auf einer mündlichen Infor- benenfalls die Entscheidung, welcher mation. Im Übrigen sind Schwanger- Embryo implantiert werden soll, weiter schaften nach einer In-vitro-Fertilisation – erschweren. Aber wie gesagt, diese Ver- darüber besteht Einigkeit – generell als fahren werden derzeit in der Praxis noch Risikoschwangerschaften zu betrachten. nicht angewandt. Wenn dies zukünftig Dies gilt insbesondere dann, wenn es zu geschieht, hätte dies sicherlich Konse- Mehrlingsschwangerschaften kommt. Dies quenzen für das Arzt-Haftungsrecht. ist aber ein Problem, das generell mit der Schon heute muss eine umfassende Auf- In-vitro-Fertilisation verbunden ist. Der klärung erfolgen, auch wenn diese mög- Unterschied zur Präimplantationsdiagnos- licherweise desillusionierend wirkt. Es tik besteht nur darin, dass die Frau diese wäre somit künftig kaum möglich, Be- Risiken eigens für die Diagnostik eingehen funde zurückzuhalten, wenn sie erst ein- muss, und dies nicht nur für sich selbst, mal erhoben sind. sondern, insbesondere bei Mehrlings- schwangerschaften oder Schwanger- schaftskomplikationen, auch für ihre Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE Kinder. GRÜNEN): Ich habe eine Frage an Frau Dr. Graumann und eine an Frau Prof. Kollek. Frau Dr. Graumann, die PID setzt die SVe Prof. Dr. Regine Kollek: Dem ist we- künstliche Befruchtung voraus. Man nig hinzuzufügen, vielleicht nur ein As- braucht dafür aber mehr Eizellen als bei pekt, der die Risiken der PID für die mög- einer gewöhnlichen IVF. Welche Belas- lichen Embryonen oder Kinder betrifft. Die tungen entstehen hier für die betroffenen Präimplantationsdiagnostik wird über- Frauen zum einen durch die Befruchtung wiegend an ungefähr achtzelligen Emb- und zum anderen durch die Schwanger- ryonen vorgenommen und nicht wie in schaft? dem Fall, der hier angesprochen worden ist, in dem so genannten Blastozysten- stadium, das eine Kultivierung von fünf SVe Dr. Dr. Sigrid Graumann: Die Frage Tagen voraussetzt, nach der der Embryo nach den Belastungen könnte auch Herr ungefähr 80 Zellen hat. Man ist lange Zeit Prof. Diedrich beantworten. Es ist in der davon ausgegangen, dass die Entnahme Debatte zum Teil behauptet worden, man von ein oder zwei Zellen im benötige für die PID nicht mehr Eizellen. Acht-Zellen-Stadium den Embryo nicht Ich kann Ihnen zwar die genaue Zahl im wesentlich schädigt, sondern nur zur Moment nicht nennen, wenn man sich Verlangsamung seiner Entwicklung führt, aber die Zahlen, mit denen normalerweise die dann im Nachhinein wieder ausge- operiert wird, anschaut, dann erkennt glichen werden kann. Hier ist man mitt-

31 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 lerweile anderer Meinung. Tatsächlich Menschen haben sollte. Dies zeigt sich scheinen die frühen Embryonen durch den auch deutlich in der Änderung des Arti- Eingriff häufiger abzusterben oder sich kels 3 Absatz 2 Grundgesetz sowie in der nicht weiterzuentwickeln, woraus zu Ratifizierung der UN-Behindertenrechts- schließen wäre, dass die Entnahme von konvention. Vor diesem Hintergrund habe Zellen im Blastozystenstadium mögli- ich eine Frage an Dr. Radtke. Inwieweit cherweise schonender ist. Dies wirft wie- würde eine Zulassung der PID, die ja die derum das Problem auf, dass dann das Diskriminierung oder – man muss es so Zeitfenster, das für die Diagnose und Un- deutlich ausdrücken – das Verwerfen un- tersuchung zur Verfügung steht, sehr eng erwünschter Formen von Leben vorsieht, wird, weil man den Embryo am fünften einen Wertungswiderspruch beinhalten Tag einsetzen muss, damit er nicht seine oder auch gegen die UN-Behinderten- Entwicklungsfähigkeit verliert. Die rechtskonvention verstoßen? Meine zweite Präimplantationsdiagnostik gibt es zwar Frage richtet sich an Prof. Kollek. Der Ge- schon seit 20 Jahren – die ersten Verfahren setzentwurf der Abg. Ulrike Flach und sind ziemlich genau im Jahre 1992 anderer sieht vor, dass die PID bei durchgeführt worden –, es hat aber in der schwerwiegenden Erkrankungen erlaubt Anfangszeit nur sehr wenige Fälle gege- sein soll, ohne zu definieren, was eine ben. Die langfristigen Folgen einer PID schwerwiegende Erkrankung ist und ohne sind demzufolge auch heute noch schwer klarzustellen, inwieweit ein solch unbe- abzuschätzen. Bisher wurden aber bei den stimmter Rechtsbegriff überhaupt eine Kindern keine nachteiligen Entwick- Eingrenzung ermöglicht. Besteht bei einer lungsfolgen festgestellt, jedenfalls nicht solchen Regelung nicht die Gefahr einer – bei den Kindern, die geboren worden sind, wie Prof. Schöne-Seifert dies ausgedrückt bzw. wenn man davon absieht, dass – hat – inflationären Ausweitung von Se- worauf Frau Dr. Graumann bereits hinge- lektionen am Beginn des menschlichen wiesen hat – das Mehrlingsrisiko, wie Lebens? generell nach einer In-vitro-Fertilisation, steigt. Dieses Risiko tragen auch die an sich fruchtbaren Paare, die wegen einer SV Dr. Peter Radtke: Die wenigsten Men- genetischen Veränderung eine In-vi- schen in der Bundesrepublik wissen, was tro-Fertilisation auf sich nehmen. Daher die UN-Rechtskonvention für Behinderte tritt nach einer In-vitro-Fertilisation und ist. Hingegen ist die Diskussion über die einer PID insgesamt eine etwas höhere PID durch die Medien sehr publik gemacht Rate an Fehlbildungen auf als bei norma- worden, jedenfalls wesentlich stärker, als len Schwangerschaften. Dieser Befund dies für die UN-Behindertenkonvention ergibt sich aus einer Untersuchung, die gilt. Von dieser Diskussion geht eine Sig- Herr Prof. Diedrich durchgeführt hat. nalwirkung auf die Bevölkerung aus, das heißt, die Bevölkerung wird sich dadurch bewusst, dass bestimmte behinderte Abg. Ulla Schmidt (SPD): Zunächst Menschen offenbar weniger wert sind als möchte ich mich bei Herrn Prof. Huber andere behinderte Menschen. Ich möchte dafür bedanken, dass er im Hinblick auf dies an einem kleinen Beispiel deutlich die seinerzeit geführte Debatte über eine machen. Als ich unserer Zugehfrau von Neuregelung des § 218 und über die Ab- den Befürchtungen berichtete, die ich im schaffung der embryopathischen Indika- Zusammenhang mit dieser ganzen Ent- tion eine wichtige Klarstellung vorge- wicklung habe, sagte sie zu mir: „Aber nommen hat. Wie er richtig dargestellt hat, Herr Doktor, Sie brauchen doch keine entsprach es der Intention des Gesetzge- Angst zu haben. Sie können ja denken.“ bers, dass die Abschaffung der Das heißt, die Unterscheidung zwischen embryopathischen Indikation auch eine verschiedenen Behindertengruppen, die Ausstrahlungswirkung auf das Nichtdisk- schon vorhanden ist, wird dadurch ge- riminierungsgebot gegenüber behinderten stärkt, dass durch die PID bestimmte

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Gruppen ausgesondert werden. Ich würde halte ich dieses Eingrenzungskriterium für gerne noch auf einen Begriff eingehen, nicht brauchbar. Ich bin davon überzeugt, nach dem Sie nicht gefragt haben, der mir dass sich nicht definieren lässt, was eine in diesem Zusammenhang aber wichtig schwerwiegende Erbkrankheit ist, weil erscheint. Es wird oft vom Selbstbestim- dies stark vom subjektiven Empfinden mungsrecht der Mutter oder des Paares abhängt und weil diese Krankheiten im gesprochen. Die Selbstbestimmung ist Einzelfall sehr unterschiedlich ausgeprägt auch ein Schlagwort der Behindertenbe- sein können. wegung gewesen, sie hat sich aber immer auf die Behinderten selbst bezogen. Im Zusammenhang mit der PID geht es aber Die Vorsitzende: Es beginnt jetzt die Fra- um Lebewesen, die erst später ein selbst- gezeit der Gruppe der Unterzeichner der ständiges Leben führen werden. Die Frage, Drucksache 17/5452 (Abg. René Röspel, die sich hier stellt, lautet, wie man mit Priska Hinz, Patrick Meinhardt und an- Behinderungen umgeht, die, wie etwa die dere). Alzheimer-Krankheit, erst in späteren Lebensphasen auftreten. Ich frage mich, inwieweit eine Mutter oder ein Elternpaar Abg. René Röspel (SPD): In der Begrün- befugt ist zu bestimmen, wie das Leben dung zu dem Antrag der Kollegen Flach eines anderen Menschen aussehen soll. und andere wird ausgeführt, dass es sich Hierauf hätte ich gern eine Antwort. bei Erbkrankheiten um monogen bedingte Erkrankungen, also um Chromosomen- störungen handelt. Bei einem Blick in ein SVe Prof. Dr. Regine Kollek: In der Tat ist einschlägiges Wörterbuch (Pschyrembel) es sehr schwer zu definieren, was eine zeigt sich jedoch, dass auch polygene, schwerwiegende erbliche Erkrankung ist. multifaktorielle Krankheiten als Erb- Daraus resultiert auch das Problem, die krankheiten verstanden werden. Deswe- PID einzugrenzen, wenn dies das ent- gen richte ich an Frau Prof. Haker und scheidende Kriterium sein soll. Dies kann Frau Dr. Graumann die Frage, welche man auch an der Entwicklung in Europa, Erbkrankheiten derzeit in Deutschland als die eher eine qualitative als eine quantita- schwerwiegende Erbkrankheiten einge- tive Ausweitung darstellt, erkennen. Ins- stuft werden. Fallen darunter beispiels- besondere in Frankreich wird bis heute weise das Down-Syndrom, Chorea Hun- sehr kontrovers über dieses Verfahren tington und Brustkrebs? Werden solche diskutiert. Dort ist mittlerweile jedoch Krankheiten bereits jetzt durch sogar die Erzeugung von sogenannten Pränataldiagnostik erfasst und gibt es Helferbabys genehmigt worden, die mög- Beispiele dafür, dass es im Falle des Vor- licherweise als Gewebe- oder Stammzell- liegens entsprechender Befunde zu Ab- spender für erkrankte Kinder derselben treibungen gekommen ist? Eltern dienen sollen. In England und an- deren Ländern wird mittlerweile zum Beispiel eine genetische Krebsdisposition, SVe Prof. Dr. Hille Haker: Wir befinden auch wenn die Krankheit bei einem Drittel uns hier in einem Stadium der Diskussion, der Träger einer solchen Veranlagung gar in dem klar geworden ist, dass eine nicht auftritt, als Indikation für die trennscharfe Abgrenzung zwischen Präimplantationsdiagnostik anerkannt. Krankheiten und schwerwiegenden Die für eine Indikation in Betracht kom- Krankheiten unmöglich oder letztlich nur menden Erkrankungen lassen sich somit um den Preis der Willkür möglich ist. schwer begrenzen. Wenn man denjenigen, Irritierend ist dabei, dass wir in Deutsch- die über die PID entscheiden sollen, also land ausschließlich die Präimplantations- den zuständigen Ethikkommissionen, diagnostik thematisieren, während man in keine Kriterien dafür an die Hand gibt, was Europa und darüber hinaus über PID und eine schwerwiegende Krankheit ist, dann PGS, also über das Screening – und damit

33 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 sind all die von Ihnen aufgezählten oder ob es einen schweren Herzfehler hat, Krankheiten angesprochen –, im Zusam- der mit ungewissem Ausgang operiert menhang diskutiert. Genau diese Ab- werden kann. Für die Eltern handelt es grenzung ist für uns interessant. Folgt man sich in diesen Situationen immer um den Ergebnissen ländervergleichender schwerwiegende Krankheiten. Das zweite empirischer Studien zur Präimplanta- Beispiel, das ich anführen will, um ein tionsdiagnostik, dann lässt sich feststellen, wenig mehr Licht in den Sachverhalt zu dass es hier überwiegend um Screenings bringen, ist die Auseinandersetzung, die und nicht um genau identifizierbare es vor vielen Jahren zwischen den von Krankheiten geht. Teilweise geht es über- Mukoviszidose Betroffenen und den El- haupt nicht um Krankheitsbefunde, son- tern mit betroffenen Kindern gegeben hat. dern um sogenannte Retterkinder, also um Der entsprechende Verband hat sich sei- eine für die Behandlung von Geschwis- nerzeit wegen der Auseinandersetzung um terkindern durchgeführte Präimplanta- die Pränataldiagnostik gespalten, weil für tionsdiagnostik, sowie – zu einem relativ die Betroffenen die zystische Fibrose eine großen Anteil – um Geschlechtsselektio- Krankheit ist, mit der man leben kann. nen. In der deutschen Diskussion besteht Nach ihrer Erfahrung ist dieses Leben zwar somit das Problem, dass wir einerseits – wie im Übrigen jedes Leben – mit ge- beanspruchen, Anschluss an die Präim- wissen Einschränkungen verbunden, die plantationsdiagnostik in Europa oder auch Betroffenen würden ihr Leben deshalb international zu finden, andererseits aber aber nicht als nicht lebenswert bezeich- eine ganz klare Regelung treffen wollen, nen. Hingegen betrachten die Eltern der was die Definition schwerwiegender von Mukoviszidose betroffenen Kinder Krankheiten anbelangt. deren Krankheit aus der Perspektive der- jenigen, die für diese Kinder sorgen müs- sen. Ich wüsste nicht, wie man diesen SVe Dr. Dr. Sigrid Graumann: Es gibt Konflikt objektivieren und die beiden un- keine klare Definition dessen, was terschiedlichen Perspektiven in einen schwerwiegende Krankheiten auszeichnet. Katalog von Krankheiten einordnen sollte. Als wir vor zehn Jahren über die PID dis- Noch eine Bemerkung zur Präna- kutiert haben, gab es bereits eine heftige taldiagnostik. Der überwiegende Anteil Debatte darüber, ob schwerwiegend be- der Schwangerschaftsabbrüche nach einer deutet, dass der Tod bereits in der Kind- Pränataldiagnostik – das ist die Beson- heit oder dass eine schwere Pflegebedürf- derheit bei der Pränataldiagnostik – be- tigkeit eintritt. Ich war seinerzeit Mitglied trifft eben gerade nicht die Krankheiten der Enquete-Kommission, und dort waren und Behinderungen, die wir hier als die wir uns über alle sonstigen Unterschiede besonders schweren bezeichnet haben. hinweg einig, dass es im Grunde nicht Das muss man klar sagen. möglich ist, solche Kriterien im Konsens festzulegen. Was eine schwerwiegende Krankheit ist, zeigt sich erst in der Praxis. Abg. Jörn Wunderlich (DIE LINKE.): Ich Dafür will ich zwei Beispiele anführen. habe eine Frage an Frau Prof. Haker und Das eine Beispiel stammt aus meiner ei- Frau Dr. Graumann, die anknüpft an die genen Forschungspraxis. Ich führe gerade Ausführungen zur Pränataldiagnostik und eine Studie zu dem Entscheidungsverhal- die sich daran anschließenden medizi- ten von Eltern nach einem positivem Be- nisch indizierten Schwangerschaftsab- fund bei der Pränataldiagnostik durch. brüche. Ist aus Ihrer Sicht eine Zulassung Nach dem ersten Jahr der Datenerhebung der PID zum Ausschluss nicht entwick- lässt sich aus den Interviews entnehmen, lungsfähiger Embryonen, die solche me- dass es für Eltern immer um schwerwie- dizinisch indizierten Schwangerschafts- gende Krankheiten geht, ganz gleich, ob abbrüche sowie den Tod des Embryos oder sie es mit dem Down-Syndrom zu tun Fehlgeburten vermeiden helfen soll, haben, ob das Kind nicht lebensfähig ist ethisch anders zu bewerten als die Zulas-

34 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 sung der PID zur Feststellung von schwe- dankbar, dass ich das ein wenig weiter ren Erbkrankheiten, wie schwer diese ausführen konnte, denn ich bin der An- auch sein mögen? sicht, dass wir nur dann, wenn wir streng im Rahmen dieses Paradigmas verbleiben, konsistent auf die Entwicklungsfähigkeit SVe Prof. Dr. Hille Haker: Normativ ist abheben, ohne in das Selektionsparadigma diese Frage auf jeden Fall zu bejahen, weil abzugleiten. Der Gesetzentwurf enthält es hier um zwei ganz unterschiedliche allerdings auch die Formulierung „oder Paradigmen geht. Das eine Paradigma bis zum ersten Lebensjahr“. Damit habe stammt aus der Pränataldiagnostik und ist ich große Schwierigkeiten, weil ich meine, – wenn man das hier so sagen darf – se- dass sie zu Abgrenzungsproblemen führt. lektiv. Das andere Paradigma stammt aus Ich habe in meiner Stellungnahme ausge- der assistierten Fortpflanzung, deren führt, dass ich für die Einführung einer Zweck in der Herbeiführung einer Appellinstanz plädiere, an die sich Paare Schwangerschaft besteht. Die PID liegt wenden können. Damit hätten wir eine genau im Schnittpunkt der beiden Prakti- verfahrenstechnische Lösung, die sich ken. Man kann nun das Paradigma der streng an dem Kriterium der Entwick- Pränataldiagnostik heranziehen und den lungsfähigkeit orientiert. selektiven Zweck sozusagen an die erste Stelle stellen. Dann wird man vielleicht zu dem Schluss kommen, die PID mit starken SVe Dr. Dr. Sigrid Graumann: Ich habe Einschränkungen zuzulassen oder sie zu den Eindruck, dass es ein vom Großteil der verbieten, wenngleich mit Ausnahmen. Anwesenden geteiltes Anliegen ist, keine Wir tun uns jedoch sicherlich alle mitei- Technologie oder kein medizinisches nander schwer, hier trennscharfe Unter- Verfahren explizit zu zuzulassen, das die scheidungen zu treffen. Ich bin jedenfalls Selektion von Menschen mit Behinderung zu dem Schluss gekommen, dass man, zum Ziel hat und somit darauf abzielt, die solange man sich innerhalb dieses Para- Existenz bestimmter Menschen zu ver- digmas bewegt, immer wieder in große meiden. Vor diesem Hintergrund kann Schwierigkeiten und in normative man argumentieren, dass es bei der Aus- Asymmetrien innerhalb des Rechtsgefüges nahmeregelung für nicht entwicklungsfä- gerät. Wenn man aber von dem anderen hige Embryonen um etwas anderes geht. Paradigma ausgeht, von der assistierten Deshalb halte ich eine Regelung, wie sie Fortpflanzung mit dem Zweck der Frau Prof. Haker gerade vorgeschlagen hat, Herbeiführung einer Schwangerschaft, für gut begründbar und plausibel. Das dann sind Situationen denkbar, in denen Problem besteht eher in der Vermittelbar- dieser Zweck objektiv nicht erfüllt werden keit. Das ist eine Erfahrung, die ich in der kann, nämlich im Falle der Entwick- Debatte gemacht habe. Das Problem, den lungsunfähigkeit eines Embryos. Dabei Unterschied zu vermitteln, besteht aus stellt sich die wichtige Frage – auch an die meiner Sicht vor allem bei der Wissenschaftler –, ob man dies vorher Ein-Jahres-Regelung. Ich will in diesem wissen kann. Erst an dieser Stelle geraten Zusammenhang noch einmal eine Brücke meines Erachtens die wenigen – schät- zu der UN-Behindertenrechtskonvention, zungsweise 200 – Fälle ins Blickfeld. Es die vorhin bereits angesprochen worden gibt Lebensgeschichten, in denen es im- ist, schlagen, weil ich davon überzeugt mer wieder zu Totgeburten oder Fehlge- bin, dass dies nicht trivial ist. Nach meiner burten kommt, deren Ursache eine be- Auffassung lässt die UN-Behinderten- stimmte feststellbare Krankheit ist. Das ist rechtskonvention die Zulassung der Prä- jedoch etwas völlig anderes als Screening implantationsdiagnostik zumindest frag- oder Ähnliches. Denn hier verkehrt sich würdig erscheinen. Allerdings nicht des- unsere Intention, assistierte Fortpflanzung halb, weil ungeborenes Leben vom Völ- zur Herbeiführung einer Schwangerschaft kerrecht geschützt wäre; das ist nämlich einzusetzen, in ihr Gegenteil. Ich bin nicht der Fall. Die UN-Behinderten-

35 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 rechtskonvention schützt Kinder erst ab würde, zu untersuchen, und zwar unab- der Geburt. Die UN-Behindertenrechts- hängig von Vorbedingungen wie einer konvention verpflichtet den Staat jedoch humangenetisch festgestellten Schädigung dazu – und sie ist auch von Deutschland der Eltern. Ist damit die Möglichkeit er- ratifiziert worden –, die Voraussetzungen öffnet, künftig bei allen künstlichen Be- dafür zu schaffen, dass sich nicht diskri- fruchtungen die Embryonen auf die Gefahr minierende Einstellungen gegenüber be- einer Tod- und Fehlgeburt zu untersu- hinderten Menschen kulturell durchsetzen chen, ohne dass bei den Eltern eine ent- können und dass solche Praktiken zu- sprechende Vorgeschichte existiert? Die rückgedrängt werden, die Ausdruck der zweite Frage stelle ich an Frau Prof. Haker. Diskriminierung von behinderten Men- Ist die PID ein wirksames diagnostisches schen sind oder diese verstärken können. Verfahren, um Schwangerschaftsabbrüche Es ist ein völlig neuer Ansatz im Völker- zu vermeiden? recht, das Diskriminierungsverbot in diese Richtung weiterzuentwickeln und daraus eine positive Orientierung zu machen. Ich SVe Dr. Dr. Sigrid Graumann: Der Ge- bin der Ansicht, die Zulassung der setzentwurf enthält eine Formulierung, Präimplantationsdiagnostik würde hier die nach meiner Einschätzung das vorzeitig Türen verschließen, die nicht Aneuploidie-Screening mit erfasst. Es verschlossen werden sollten. würde daher zugelassen, wenn auch un- beabsichtigt. Die Formulierung lautet: „Nicht rechtswidrig handelt auch, wer SVe Prof. Dr. Hille Haker: Ich würde gern eine Präimplantationsdiagnostik zu Fest- noch einen Satz ergänzen. Für mich stellt stellung einer schwerwiegenden Schädi- die Zulassung von PID nach dem Krite- gung des Embryos vornimmt, die mit ho- rium der Entwicklungsfähigkeit keine her Wahrscheinlichkeit zu einer Tod- oder Ausnahmeregelung dar, sondern eine Fehlgeburt führen wird.“ Wenn man aus- Überprüfung von Entwicklungsfähigkeit schließen will, dass das im Kontext der assistierten Fortpflanzung. Aneuploidiescreening mit umfasst wird, In diesem Zusammenhang würde ich gern müsste man eine weitere Einschränkung Herrn Prof. Diedrich fragen: Wie wird vornehmen. denn derzeit bei anderen Techniken ver- fahren? Es wird immer gesagt, dass ein Embryo sich unter Umständen nicht ent- SVe Prof. Dr. Hille Haker: Ich bin gefragt wickelt. In solchen Fällen erfolgt selbst- worden, ob die PID ein Instrument zur verständlich auch keine Implantierung. Vermeidung von Schwangerschaftsab- Ich will auf die Diskussion über Behin- brüchen ist. Auch wenn die Antwort em- derungen gar nicht eingehen, weil ich mir pirisch gesehen wahrscheinlich ja lautet, nicht vorstellen kann, wie sie begrenzt muss sie normativ betrachtet trotzdem werden soll. Aber eine Anwendung der nein lauten, und dies unter der Prämisse, Präimplantationsdiagnostik als Voraus- dass ich es für eine Errungenschaft halte, setzung für die Herbeiführung einer was in den letzten 20 bis 30 Jahren in Schwangerschaft ist etwas ganz anderes. Deutschland an normativen Veränderun- gen vorgenommen worden ist. Ich meine damit die Entscheidung, aus dem, was ich Abg. René Röspel (SPD): Ich habe zu- ohne jede Wertung das Selektionspara- nächst eine Frage an Frau Dr. Graumann. digma, Verhinderungs- oder Präventions- Erlaubt der § 3a Abs. 2 Satz 2 des Gesetz- paradigma nenne, auszusteigen und im entwurfs der Abg. Flach und anderer das Falle von Schwangerschaftskonflikten nur sogenannte Aneuploidie-Screening? Dem- noch streng gesundheitsbezogen zu argu- nach wäre es nicht rechtswidrig, einen mentieren. Es besteht jedoch Konsens, Embryo auf eine mögliche Schädigung, die dass dieses normative Paradigma in der zu einer Tod- oder Fehlgeburt führen Praxis bisher nicht wirklich durchge-

36 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 schlagen hat. Unter der Prämisse, dass es Die Vorsitzende: Wir kommen nun zu der hier eine Diskrepanz zwischen Norm und freien Fragerunde. Da einige Kolleginnen Praxis gibt, halte ich es für möglich, dass und Kollegen, die zu den drei Gruppen Schwangerschaftsabbrüche durch die PID gehören, noch nicht zum Zuge gekommen vermieden werden. Dies ist jedoch nicht sind, möchte diesen zunächst die Gele- akzeptabel. Darin schließe ich mich Herrn genheit zu einer Frage geben. Im Übrigen Prof. Huber an. Ich halte es für unzulässig, legen wir alle großen Wert darauf, dass eine Norm, die mit guten Gründen aufge- auch die Kolleginnen und Kollegen, die stellt worden ist, um diesem Paradigma zu sich bislang noch nicht für einen der entkommen, nun wieder geopfert wird, Gruppenanträge entschieden haben, zu weil die Praxis der Norm nicht standge- Wort kommen. halten hat. Ganz im Gegenteil. Potentielle Eltern haben große Angst davor, Kinder mit Behinderungen zu bekommen, nicht Abg. Mechthild Rawert (SPD): Ich möchte nur wegen der Behinderung als solcher, ein Thema aufgreifen, das hier bereits in sondern wegen ihrer Familienverhältnisse den verschiedensten Zusammenhängen und wegen der vielen Probleme, die mit angesprochen worden ist, nämlich die einer solchen Behinderung einhergehen. berechtigte Forderung „Nichts über uns Dies ist ein sozialethisches Problem. Es ist ohne uns!“ der UN-Behindertenrechts- rechtlich und politisch geboten, Eltern zu konvention. Wir arbeiten mit Nachdruck befähigen, Kinder mit Behinderungen an der praktischen Umsetzung dieses nicht nur zu bekommen, sondern sie auch Rechtsanspruchs, um ihn mit Leben zu zu erziehen und zu betreuen. Diese Ver- erfüllen. Nun ist vorhin gesagt worden, pflichtung wiegt dann noch schwerer, zwischen dem Rechtsanspruch nach der wenn man das Paradigma der Würde und UN-Behindertenrechtskonvention und der der Nichtdiskriminierung stärker betont PID bestehe ein Widerspruch. Das ist eine als andere Länder. Wenn der Staat jedoch harte Aussage, auch im Hinblick auf die nur bereit ist, bis zur Geburt alles dafür zu praktischen Probleme. Daher bitte ich tun, um das Paradigma der Nichtdiskri- Herrn Prof. Herdegen, hier ein wenig für minierung und der Würde hochzuhalten, Aufklärung zu sorgen. Wir arbeiten so- er die Eltern nach der Geburt aber in vie- wohl im parlamentarischen Raum als auch lerlei Hinsicht allein lässt, dann verhält er in unserem praktischen Leben darauf hin, sich heuchlerisch. Mein Anliegen wäre, diese Wertfrage nicht stellen zu müssen. konsequenter zu sein und den schweren Meine zweite Frage richtet sich an Herrn Schwangerschaftskonflikten, die es zwei- Prof. Diedrich. Welche Verantwortung fellos gibt, stärker Rechnung zu tragen. tragen Medizinerinnen und Mediziner Vielleicht verschwinden dann die Prob- bzw. allgemein die Beschäftigten im leme der Präimplantationsdiagnostik ganz Gesundheitswesen bei der Lösung dieses von allein, wenn ich nämlich den Eltern Konflikts? Ich würde mir ungern sagen bei der Beratung sagen muss, dass 75 bis lassen – auch als zur Zeit noch nicht Be- 80 Prozent der Frauen überhaupt nicht hinderte, man weiß nie, was kommen wird schwanger werden bzw. keine Kinder be- –, dass diejenigen, die sich für den ersten kommen, dass mit der PID große Gesund- Gesetzentwurf einsetzen, der Diskrimi- heitsrisiken verbunden sind, wenn viel- nierung von Behinderten Vorschub leis- leicht auch nicht diejenigen, die ich durch ten. die PID auszuschließen versucht habe. Ich halte es jedenfalls für problematisch, in diese Richtung zu marschieren und dies SV Prof. Dr. Matthias Herdegen: Ich bin am Ende vielleicht nur noch mit der Be- dankbar für diese Frage, weil die Stärkung gründung, dass dadurch einige Schwan- der Rechtsposition von Menschen mit gerschaftsabbrüche zu vermeiden sind. Behinderung auch aus staats- und völker- rechtlicher Sicht immer ein wichtiges Anliegen gewesen ist. Ich erinnere hier

37 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 nur an die Auseinandersetzung um Artikel können. Hier hat sich gezeigt, dass sie 3 Absatz 3 Satz 2 des Grundgesetzes. Ich nicht gegen die Behinderten gerichtet ist. denke, es gibt nur wenige Staatsrechts- Dies ist zumindest in der Diskussion noch lehrer, die dies in höherem Maße als ich nie thematisiert worden. Grundsätzlich für sich in Anspruch nehmen dürfen. Aus besteht sicherlich Einvernehmen, dass für den verschiedenen Erwägungen, die ich die Behinderten gar nicht genug getan angestellt habe, ergibt sich, dass die werden kann. Ich bin auch der Ansicht, UN-Behindertenkonvention unsere Prob- dass hier in den letzten 30 bis 40 Jahren lematik gar nicht betrifft. Der Wortlaut schon viel getan worden ist. Dennoch gibt nimmt darauf jedenfalls keinen Bezug. Die es Situationen, in denen darüber nachge- Behindertenkonvention ist das Produkt dacht werden muss, ob man die PID in einer gerade auch in diesen Fragen völlig Anspruch nimmt, um eine schwere gene- heterogenen Staatenwelt. Wir haben ge- tische Erkrankung auszuschließen. Die sehen, dass es schon in Europa, wo eine Entscheidung darüber sollte von den El- relative Werthomogenität in Grundsatz- tern nach einer ausführlichen Beratung fragen besteht, einen Flickenteppich an getroffen werden. Ich meine, dass man Regelungen zur PID gibt. Es ist deshalb damit zurecht kommen kann. nicht zu vermuten, dass die Behinderten- konvention etwas anderes will, als sie vom Wortlaut her aussagt, nämlich die Stär- Abg. Rudolf Henke (CDU/CSU): Ich habe kung von Menschen mit Behinderung in zunächst eine Frage, die am ehesten Frau der Rechtswirklichkeit und die daran ge- Prof. Kollek beantworten könnte. Übli- knüpften positiven Verpflichtungen des cherweise werden für die Durchführung Staates. Die Frage der Schutzpflicht ge- einer PID sechs bis sieben oder – nach genüber dem Ungeborenen oder gar dem einer anderen Auffassung – acht bis neun Embryo in vitro liegt außerhalb ihres Re- Embryonen pro Befruchtungszyklus benö- gelungsbereichs. Der Konvention hat eine tigt. Nach derzeitigem Recht dürfen in Fülle von Staaten zugestimmt, die we- Deutschland pro Zyklus jedoch nur drei sentlich liberalere Regelungen zur PID Embryonen hergestellt werden. Daher haben, als wir sie hier diskutieren. Ferner stellt sich die Frage, ob eine PID nach dem gilt der völkerrechtliche Auslegungs- Gesetzentwurf der Abg. Flach und anderer grundsatz, dass ein völkerrechtliches Ab- ohne eine Änderung dieser sogenannten kommen nicht nur nach Sinn und Zweck – Dreier-Regel überhaupt Sinn hätte bzw. das habe ich gerade versucht aufzuzeigen möglich wäre, denn die Dreier-Regel wird – und nicht nur nach seinem Wortlaut – in dem Gesetzentwurf nicht aufgehoben. der ebenfalls eindeutig ist –, sondern auch Soweit ich weiß, ist über eine Aufhebung nach der nachfolgenden Konkretisierung dieser Regel noch nicht diskutiert worden. zu beurteilen ist. Und wenn die nachfol- Manche nehmen an, auf die Aufhebung gende Konkretisierung in der Rechtspraxis werde deshalb verzichtet, um die PID fak- der Staaten eindeutig zeigt, dass sie nicht tisch auszuhebeln. Dies halte ich jedoch als Einschränkung oder als Vorgabe in für eine abwegige Unterstellung. Was wäre dieser umstrittenen Materie, der PID, ver- die medizinische Folge? Wenn man un- standen werden soll, können wir ohne terstellt, dass es in der Logik des Gesetz- Bedenken daraus schließen, dass dies entwurfs liegt, irgendwann die Drei- nicht ihr Regelungsgegenstand ist. er-Regel aufzuheben – dies ist im Röspel-Entwurf der Fall –, was folgt dann daraus für den Verbleib der so erzeugten SV Prof. Dr. Klaus Diedrich: Ich bin ge- Embryonen? Meine zweite Frage richtet fragt worden, ob sich die PID gegen die sich an Frau Prof. Haker, die dafür plä- Behinderten richtet. Nach meiner Mei- diert, die enge Grenze der Lebensfähigkeit nung ist dies eindeutig nicht der Fall. Wir zu akzeptieren. Der Röspel-Entwurf ent- haben bei der Pränataldiagnostik über hält hierzu die Bestimmung, dass eine viele Jahre hinweg Erfahrungen sammeln Schädigung vorliegen muss, die nach dem

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Stand der medizinischen Wissenschaft mit sein. Bei dem Gesetz handelt es sich um hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- ein Strafgesetz, im dem dies wörtlich so oder Fehlgeburt oder zum Tod im ersten bestimmt ist. Mir ist unklar, wie man mit Lebensjahr führt. Der Begründung zu die- drei Embryonen eine Präimplantations- ser Bestimmung ist zu entnehmen, dass diagnostik durchführen will. Die Chance unter einen hohen Wahrscheinlichkeit auf einen Erfolg wäre dabei sehr gering. eine Wahrscheinlichkeit von 25 bis 50 Dies kann nicht im Interesse der Frauen Prozent verstanden wird, was umgekehrt liegen. Ferner enthält der Entwurf keine bedeutet, dass die angenommene Ent- Aussage dazu, in welchem Embryonalsta- wicklung mit 75-prozentiger Wahrschein- dium die Präimplantationsdiagnostik lichkeit nicht eintritt. Damit sind die auch durchgeführt werden soll oder kann. Nach Grundrechte derer betroffen, die gewis- heutiger Kenntnis sind die embryonalen sermaßen nicht betroffen wären. Wie be- Zellen bis etwa zum Acht-Zell-Stadium werten Sie die Regelung angesichts dieser totipotent; dem Embryonenschutzgesetz Zusammenhänge? zufolge gilt in diesem Stadium jede ein- zelne Zelle als Embryo. Wenn man eine Präimplantationsdiagnostik im SVe Prof. Dr. Regine Kollek: Alle Exper- Acht-Zell-Stadium vornehmen würde, ten, die seinerzeit vom Ethikrat befragt wäre dies ein Verstoß gegen § 6 des Emb- worden sind, haben es für praktisch aus- ryonenschutzgesetzes. Wenn der Gesetz- geschlossen gehalten, eine entwurf in unveränderter Form verab- Präimplantationsdiagnostik mit nur drei schiedet würde, dann stünde er an diesen Embryonen durchzuführen. Dies belegen beiden Stellen im Widerspruch zu dem auch die ländervergleichenden Daten der existierenden Embryonenschutzgesetz. ESHRE, wonach durchschnittlich sechs Dies hielte ich für problematisch. Jeden- bis acht Embryonen pro Zyklus erzeugt falls erschließt sich mir nicht, wie das im werden müssen, damit am Ende des Ver- geltenden Rechtsrahmen funktionieren fahrens, also nach der genetischen Diag- soll. nostik und der Embryokultivierung, noch zwei oder drei zur Verfügung stehen, die man transferieren kann. In dem Fall, der SVe Prof. Dr. Hille Haker: Ich füge noch vor dem BGH verhandelt worden ist, hat einen Halbsatz als Kommentar hinzu. Die dieses Thema keine Rolle gespielt. Impli- Frage ist schwierig zu beurteilen, weil es zit ist man jedoch wohl davon ausgegan- weder in Europa noch international die gen, dass nicht mehr als drei Embryonen Dreierregel gibt und die meisten Länder erzeugt wurden. Wenn man die somit nicht verpflichtet sind, eine solche Präimplantationsdiagnostik an Blastozys- Grenze einzuhalten. Deshalb plädiere ich ten vornehmen will, dann wäre es not- dafür, einen Versuch mit der Berichts- wendig, mehr Embryonen zu erzeugen, pflicht für die Entwicklungsfähigkeit zu weil während der Kultivierung bis zum machen. Die Frage, die Sie mir gestellt fünften Tag, also bis zum Blastozysten- haben, lautete aber, was es mit der Klausel stadium, durchschnittlich 50 bis 60 Pro- zu der hohen Wahrscheinlichkeit und der zent der Embryonen absterben. Dieser Ein-Jahres-Regel auf sich hat. Ich habe in Punkt wird in dem Gesetzentwurf der Abg. meiner schriftlichen Stellungnahme dazu Flach und anderer nicht thematisiert. Aus etwas ausgeführt. Ich lese Ihnen dies kurz meiner Sicht ergibt sich ein Widerspruch vor: „Das Recht kann niemals für indivi- zu den restlichen Artikeln des Gesetzes, duelle Grenzsituationen eine gerechte, wenn der Vorschlag so umgesetzt würde. womöglich auch verhältnismäßige Lösung Denn das Embryonenschutzgesetz schreibt finden. Deshalb erscheint es sinnvoll, eine explizit vor, dass nicht mehr Embryonen Ethikkommission zu etablieren, an die erzeugt werden dürfen, als für die Her- sich Paare wenden können, um ihre spe- stellung einer Schwangerschaft notwendig zifische Situation darzustellen. Solche sind, und dies dürfen nicht mehr als drei Einzelfälle sind zum Beispiel diejenigen

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Fälle, in denen eine hohe Wahrschein- SV Prof. Dr. Klaus Diedrich: Wir müssen lichkeit besteht, dass zwar eine Entwick- zwischen der Präimplantationsdiagnostik, lungsfähigkeit des Embryos und des Fötus der PGD, und dem Aneuploi- bis zur Geburt gegeben ist, aber mit dem die-Screening, der PGS, unterscheiden. Tod kurz nach der Geburt zu rechnen ist. Wir haben ursprünglich angenommen, Eine genaue Frist, etwa die Lebensfähig- dass wir bei Frauen jenseits des Alters von keit bis zum Ende des ersten Lebensjahres, 37 Jahren durch das sogenannte Aneup- ist für diese Fälle nicht notwendig, da die loidie-Screening, das heißt durch die Un- Ethikkommission gehalten sein muss, das tersuchung von fünf oder sechs Chromo- Kriterium der Lebens- und Entwicklungs- somen in dem Embryo, die Schwanger- fähigkeit eines Kindes auf den Einzelfall schaftsrate erhöhen und die Abortrate anzuwenden. Die Möglichkeit von Ein- senken könnten. Mittlerweile wurde je- zelfallentscheidungen birgt den Vorteil, doch durch insgesamt fünf prospektiv dass diese auf medizinische Fortschritte randomisierte Studien klar belegt, dass der Therapie unmittelbar reagieren kön- dieses Screening keinen Nutzen hat, auch nen.“ Damit wäre zumindest ein Teil der wenn es über lange Zeit den größten Anteil Frage beantwortet. Über die Frage, wo eine an der Präimplantationsdiagnostik hatte. hohe Wahrscheinlichkeit anfängt, sollte In dem Bericht, der bis 2007 reicht, waren meiner Ansicht nach eher im Einzelfall es immerhin 61 Prozent. In den aktuellen entschieden werden, weil dies passge- Stellungnahmen der Europäischen Ge- nauer und sensibler wäre, als wenn man sellschaft für Reproduktionsmedizin eine entsprechende Regelung im Geset- (ESHRE) und der Amerikanischen Gesell- zestext festschreiben würde. Daher plä- schaft für Reproduktionsmedizin wird diere ich dafür, sich streng an die Linie der eindeutig empfohlen, dieses Verfahren Entwicklungsfähigkeit zu halten und die nicht mehr anzuwenden, weil der Nutzen, Einzelfallentscheidung, die für die Paare den man sich davon versprochen hat, bindend wäre, verfahrenstechnisch einer nicht eingetreten ist. Insofern muss man Ethikkommission zu überlassen. klar sagen, dass diese Screeningverfahren heute nicht mehr durchgeführt werden sollten. Abg. Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich habe zunächst eine Frage an Herrn Prof. Diedrich. Hier ist immer SVe Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert: Ich wieder gesagt worden, eine Zulassung der bin dankbar für die Frage, weil mir dies PID hätte zur Folge, dass letztlich ein die Gelegenheit gibt, auf die Ausführun- Screening durchgeführt würde. Dieses gen derjenigen Kollegen einzugehen, die Argument einer Entgrenzung oder eines kategorisch unterscheiden zwischen dem Dammbruchs bestimmt die deutsche De- antizipierten Konflikt eines Paares, das batte in hohem Maße. Dazu würde ich gern einen als genetisch erkrankt diagnosti- Ihre Auffassung hören. Ferner habe ich zierten Embryo in der Petrischale vor sich eine Frage an Frau Prof. Schöne-Seifert. Es hat, und dem Konflikt eines Paares, das bei wurde hier die Frage gestellt, was der demselben – wenn wir uns das im Ge- Unterschied zwischen einem Schwanger- dankenexperiment vorstellen – Embryo 14 schaftsabbruch und der Situation sei, in Wochen später, nach der Implantierung, der jemand die Belastung einer eine Fruchtwasseruntersuchung durch- In-vitro-Fertilisation auf sich nimmt und führen lässt und dabei die Diagnose mit eine Ethikkommission um die Zulassung derselben Erkrankung bekommt. Die Kol- einer PID bittet. Es wurde dann behauptet, legen sind der Auffassung, dass die beiden dass in dem einen Fall ein Konflikt vor- Konflikte völlig asymmetrisch sind bzw. liege, in dem anderen aber nicht. Ich dass in dem einen Fall ein Konflikt vor- würde gern ihre Auffassung zu dieser liegt, in dem anderen Fall jedoch nicht. Frage kennenlernen. Man kann natürlich eine Differenzierung vornehmen zwischen einem abstrakten

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Konflikt bei der PID auf der einen Seite volle Lebensschutzgebot fällt, der macht und einem auf der Einheit in der Zweiheit keinen Unterschied zwischen einem basierenden Konflikt bei der PND auf der Achtzeller mit und ohne genetischen De- anderen Seite. Dies sind sozusagen die fekt. Ein Embryo mit genetischem Defekt Floskeln, in die die beiden Konflikte ge- ist nicht weniger schützenswert als ein kleidet werden. Aber wenn man die kon- Embryo ohne einen solchen Defekt. Viel- kreten Fälle betrachtet, dann handelt es mehr sind beide gleich schützenswert, sich letztlich um exakt den denselben und die Eltern sollen entscheiden, was mit Konflikt. Der einzige Unterschied besteht ihnen zu geschehen hat. Es gibt keine ob- darin, dass wir es im einen Fall mit dem jektiven Grund für einen verminderten fortgeschrittenen Reifestand eines schon Lebensschutz eines genetisch defekten entwickelten Embryos in utero und im Achtzellers. anderen Fall mit einem sehr frühen Sta- dium zu tun haben. Diese Differenz ist für diejenigen, die eine gradualistische Posi- Abg. Norbert Geis (CDU/CSU): Ich habe tion vertreten, eben auch ethisch bedeut- eine Frage an Prof. Huber und eine Frage sam. Außerdem hat im ersten Fall eine an die beiden Verfassungsrechtler Prof. Frau die Schwangerschaft schon zehn, Böckenförde und Prof. Herdegen. Die erste zwölf oder vierzehn Wochen lang erlebt Frage richtet sich an Herrn Prof. Huber. und dabei vielleicht eine entsprechend Bei der Erarbeitung des Embryonen- große psychische Hemmschwelle aufge- schutzgesetzes, an der ich mitgewirkt ha- baut. Wir wissen aber aus empirischen be, wurde die Dreierregel festgelegt, und Erhebungen, dass die Bereitschaft dieser zwar mit folgender Begründung: Wir ha- verzweifelten Familien, eine Schwanger- ben gesagt, es dürfen nicht mehr als drei schaft abzubrechen, selbst dann hoch Embryonen sein, weil andernfalls über- bleibt, wenn die Schwangerschaft schon zählige Embryonen entstehen würden, weit fortgeschritten ist und dass sie es als deren weitere Verwendung ungewiss ist. psychisch sehr belastend empfinden, eine Wörtlich lautet die entsprechende Formu- Schwangerschaft auf Probe – der Begriff lierung im Gesetz: „Wer es unternimmt, stammt von den Betroffenen selbst – er- mehr Eizellen einer Frau zu befruchten als dulden zu müssen. Ich würde bei dieser ihr innerhalb eines Zyklus übertragen Gelegenheit gern noch ein paar Sätze zu werden sollten, also mehr als drei …“ Ich einem anderen Punkt sagen, zu dem ich möchte erfahren, wie Sie diese Regelung mich noch nicht äußern konnte. Es ist hier beurteilen. Denn wenn man die PID zu- von mehreren Sachverständigen behauptet lassen würde, müsste man auch mehr Be- worden, die Befürworter des ersten Ge- fruchtungen zulassen, also das Embryo- setzentwurfs, zu denen ich gehöre, wür- nenschutzgesetz ändern. Meine zweite den in Bezug auf den Lebensschutz zwei Frage richtet sich an Prof. Böckenförde exkludierende Grenzen setzen. Zum einen und Prof. Herdegen. Herr Prof. Böcken- würden sie eine zeitliche Exklusions- förde, Sie haben klar zum Ausdruck ge- grenze setzen, aufgrund derer frühes vor- bracht, wann das Leben beginnt, nämlich geburtliches Leben anders zu behandeln mit der Befruchtung von Ei- und Samen- sei als geborenes Leben. Dies trifft zu, zelle. Herr Prof. Herdegen hat hingegen in denn es ist die Voraussetzung dafür, die Anlehnung auch an Prof. Schröder erklärt, PID zu befürworten. Zum anderen wird dass für ihn die Mutter von entscheiden- unterstellt, dass die Befürworter in Fragen der Bedeutung sei. Sie haben damit wohl des Lebensschutzes einen Unterschied gemeint, dass die Eizelle implantiert zwischen Menschen mit und ohne Be- werden und dass eine Einnistung erfolgen hinderung machten. Es wäre jedoch infam, muss. Wie beurteilen Sie die Frage, ob dies wenn dies eine Implikation der Befür- dann auch für Leihmütter möglich sein wortung der PID wäre, und es ist in Wirk- müsste. Die Leihmutter käme hier gewis- lichkeit auch keine. Wer der Auffassung sermaßen als Dritte, als ein weiteres kon- ist, dass ein Achtzeller nicht unter das stituierendes Element hinzu. Leihmutter-

41 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 schaft ist aber aus ethischen Gründen produktion regeln, zum Gegenstand von ausdrücklich verboten, und zwar auch im „Mogelpackungen“ werden, kann man Embryonenschutzgesetz. Daher richte ich diese Art von extensiven Auslegungen für an Sie beide noch einmal die Frage, die ich zulässig halten. Da ich im Bereich der für die entscheidende halte: Wann beginnt Rechtsethik lange tätig war, traue ich mir das menschliche Leben und wann werden zu, hierzu dezidiert Stellung zu nehmen. die Artikel 1 und Artikel 2 – Recht auf Ich halte es für hoch problematisch, mit Leben und Schutzpflicht des Staates – des der PID in dem klaren Bewusstsein zu Grundgesetzes wirksam? beginnen, dass die Zahl der Embryonen auf acht oder neun in einem Zyklus erhöht werden muss, ohne dass es dafür eine SV Bischof Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang rechtliche Grundlage gibt. Denn dies Huber: Meiner Ansicht nach ist die Drei- würde die Glaubwürdigkeit des Gesetz- erregelung, die seinerzeit intensiv disku- gebers gefährden. Im Kern offenbart diese tiert worden ist, der Dreh- und Angelpunkt Angelegenheit ein Problem, das sich ge- für die Anwendung der IVF. Denn sie nerell im Zusammenhang mit dem medi- bringt das Ziel zum Ausdruck, dass zinischen Fortschritt wie auch mit dem menschliche Embryonen nur zum Zweck Fortschritt in anderen Bereichen stellt. der menschlichen Fortpflanzung herge- Jedes Mal verbinden sich mit solchen stellt werden sollen. Angesichts der Mög- Fortschritten nicht nur große Hoffnungen, lichkeit der PID wird nun behauptet, bei sondern es tauchen auch große Fragen auf, der Anwendung der Dreierregel vermin- die man vorher nicht überschaut hat. Dass dere sich die Baby-Take-Home-Rate so unser Wissen begrenzt ist, ist wahr. Aber dramatisch, dass die mit der IVF verbun- manchmal stellen sich Fragen, die wir denen Belastungen nicht mehr zumutbar doch beantworten können. Und die Un- seien. Es sei davon auszugehen, dass von haltbarkeit der Dreierregel im Falle einer den hergestellten Embryonen ein mögli- Zulassung der PID ist eben eine Konse- cherweise erheblicher Teil – nämlich 25, quenz, die wir im Voraus absehen können. 50 oder 75 Prozent, je nachdem, um wel- Dieser Tatsache sollten wir dann auch che Anomalie es sich handelt – gar nicht Rechnung tragen. für eine Implantation in Frage komme. Die zu erwartende niedrige Erfolgsrate erklärt, weshalb die Zahl der Embryonen erhöht SV Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Böcken- werden soll. Nun wird von einigen recht- förde: Ich habe schon in meinem State- lich argumentiert – und darüber haben wir ment die Auffassung zu begründen ver- im Deutschen Ethikrat diskutiert –, der sucht, dass die Erkenntnisse der natur- entscheidende Passus in der von Ihnen wissenschaftlich-biologischen Forschung zitierten Bestimmung des Embryonen- den Schluss zwingend nahe legen, dass schutzgesetzes bestünde darin, dass die mit dem Abschluss der Befruchtung, der notwendige Zahl entwicklungsfähiger Vereinigung von Samenzelle und Ei, ein Embryonen hergestellt werden solle. Dabei eigenes menschliches Lebewesen entsteht. habe die Zahl 3 lediglich erläuternden Dies ist etwas anderes als die Annahme, Charakter, weil man seinerzeit noch davon dass schon die Gameten menschliches ausgegangen sei, dass drei Embryonen Leben sind. Durch die Vereinigung kommt ausreichten. Sobald deutlich werde, dass vielmehr ein eigenständiges Lebewesen drei Embryonen nicht ausreichten, könne zustande, das in sich genetisch bestimmt man implizit davon ausgehen, dass auch ist und sich als solches weiter entfalten mehr als drei Embryonen hergestellt wer- kann. Es muss allerdings verschiedene – den dürften. Diese Argumentation halte sagen wir mal – Gefährdungspunkte ich für rechtsethisch problematisch: Nur überwinden. Es ist angewiesen auf Hilfe, dann, wenn man in Kauf nehmen will, auf Unterstützung und Fürsorge, vor allem dass die rechtlichen Bestimmungen, die durch die Mutter usw. Aber es ist dieses das sensible Feld der menschlichen Re- menschliche Lebewesen, das dann zum

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Fötus, das geboren und schließlich ein liegt eine qualitative Zäsur vor. Daher legt alter Mensch wird. Man kann nun nicht der freiheitliche Staat des Grundgesetzes aus irgendwelchen Zweckmäßigkeitser- die Überwindung dieser Klippe in die wägungen heraus von dieser Erkenntnis grundrechtlich geschützte Verantwortung absehen und die Auffassung vertreten: Da der Eltern. Er betrachtet die Eltern als mir die Konsequenzen einer Anerkennung verantwortliche Wesen und verzichtet des Embryos als menschliches Lebewesen darauf, diese Verantwortung zu lenken – der Schutz, den er genießt, und das An- und der Frau eine Pflicht zur Implantation recht auf die Anerkennung seiner Würde – aufzuerlegen. Das wäre dann eine Pflicht nicht gefallen oder ich sie ablehne, schiebe zur Implantation aller Embryos in vitro. Da ich den Zeitpunkt der Menschwerdung dies aber nicht so ist, gibt es auch kein einfach hinaus. Dies ist auch deshalb un- Grundrecht des Embryos in vitro, implan- zulässig, weil dabei ständig von neuen tiert zu werden. Das ist der zentrale Un- Annahmen ausgegangen wird. Der Beginn terschied zum Ungeborenen im Mutter- menschlichen Lebens fällt dann für man- leib, das eine grundrechtlich gesicherte che mit dem Beginn der Hirnentwicklung Perspektive zum Heranreifen hat, weil zusammen, für andere mit der Nidation alles, was diesen Prozess stört – sei es von oder mit der Geburt. Für wiederum andere Seiten der Mutter, eines Arztes oder Drit- – denken Sie etwa an Prof. Singer – sind es ter – in diese Grundrechtsposition ein- Kriterien wie ein eigenes Empfinden usw. greift. Ich vertrete immer wieder mit Verve Diese Grenzen sind so dezisionistisch, so die Auffassung, dass der Würdeanspruch willkürlich gesetzt, dass kein sachlicher zum frühestmöglichen Zeitpunkt ansetzt. Grund erkennbar wird, weshalb gerade sie Daher können wir über die Vorgaben, die und nicht eine anderes Kriterium den aus unserem verfassungsrechtlichen Leit- Beginn des menschlichen Lebens markie- bild der Person erwachsen, nicht hin- ren sollen. Vor diesem Hintergrund bildet weggehen. Das verfassungsrechtliche das Ende der Befruchtung das am we- Leitbild des Menschen als Person abstra- nigsten willkürliche Kriterium, um den hiert jedoch nicht davon, dass es beim Beginn menschlichen Lebens und das Heranwachsen des Menschen eine Mutter daraus folgende Recht auf Leben sowie und ein Heranwachsen im Mutterleib gibt. den Achtungsanspruch zu bestimmen. Im Übrigen möchte ich noch etwas zur Dafür gibt es nicht nur pragmatische oder Frage des Wertungswiderspruchs bei der dezisionistische, sondern auch naturwis- Handhabung der Schutzpflicht gegenüber senschaftlich-biologische Gründe. dem Leben sagen. Man kann den Wer- tungswiderspruch nicht einfach dadurch korrigieren, dass man dem Strafrecht, SV Prof. Dr. Matthias Herdegen: In der Tat konkret dem § 218a StGB, eine Bedeutung ist die Frage, welche Rolle die Verbindung gibt, die er bislang nicht hat. Ich habe mir zur Mutter für den Status des Embryos in die Mühe gemacht, noch einmal die füh- vitro spielt, von zentraler Bedeutung für renden Strafrechtskommentare daraufhin die Abgrenzung zum Ungeborenen im zu überprüfen. Selbstverständlich wird im Mutterleib. Die Rolle der Mutter erschöpft § 218a Absatz 2, der sich auf den recht- sich nicht darin, gewissermaßen Geberin mäßigen Schwangerschaftsabbruch be- der Eizelle zu sein, sondern setzt sich fort zieht, durchgehend auf schwerwiegende, in der bewussten und grundrechtlich genetisch oder nicht genetisch bedingte freien Entscheidung, ob es zur Implanta- Krankheiten hingewiesen. Dies ist die tion kommen soll oder nicht. Natürlich hat herrschende Auslegung, die auch auf der der Mensch in den frühen Phasen seines vom Bundesverfassungsgericht in seiner Heranreifens viele Gefährdungslinien zu zweiten Abtreibungsentscheidung vertre- überwinden. Dennoch ist die Entschei- tenen Auffassung basiert, wonach es eine dung für oder gegen die Implantation et- Begrenzung der Pflicht zum Austragen was anderes als die großen und kleinen einer Schwangerschaft bei einer schwer- Gefährdungslinien im Mutterleib. Hier wiegenden Erkrankung des Fötus gibt. Das

43 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 heißt, der Gesetzgeber ist nicht völlig frei nach Erwiderung geäußert. Wenn Sie diese im Hinblick auf die Bestimmung der zulassen, erteile ich Herrn Prof. Böcken- Grenzen einer Pflicht zum Austragen einer förde das Wort. Schwangerschaft, und er hat entsprechend reagiert. Ich darf noch ein Letztes sagen. Wir wissen aus der Rechtsprechung des SV Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Böcken- Bundesverfassungsgerichts, dass die förde: Ich möchte meinem Kollegen Prof. herrschende Praxis maßgeblich für die Herdegen in einem Punkt widersprechen. Frage ist, ob es Wertungswidersprüche Eine Pflicht der Mutter zur Implantation gibt. Daran hat uns das Gericht in den gibt es nicht. Es steht ausdrücklich im letzten Jahren im Zusammenhang mit dem Gesetz, dass eine Implantation nicht gegen Steuerrecht wiederholt erinnert. Der Staat den Willen der Mutter vorgenommen hat eine Schutzpflicht. Daher kann er sich werden darf. Diese Regelung berührt je- nicht auf den Standpunkt stellen, dass der doch nicht die Frage der Zulassung der Wertungswiderspruch ex post durch eine PID. Auch wenn die PID nicht zugelassen Verschärfung der Auslegung des Abtrei- ist, kann eine Frau die Implantation ab- bungsrechts, die der herrschenden Aus- lehnen. Insofern sehe ich das Problem legung und Abtreibungspraxis wider- nicht, das Herr Prof. Herdegen dargestellt spricht, zu beheben sei. Nicht zu vertreten hat. Die Bestimmung, auf die er hinge- ist auch die Haltung, das Abtreibungsrecht wiesen hat, ist geltendes Recht. sage in Anbetracht der durch die PID neu eröffneten Möglichkeiten etwas anderes aus, als das, was man bisher damit ver- Abg. Ansgar Heveling (CDU/CSU): Ich bunden habe. Dies ist nicht der richtige habe zwei Fragen an Prof. Herdegen. Ers- Weg, um den Wertungswiderspruch zu tens: Sie haben in Ihrem Beitrag und in beseitigen. Was die Frage der Leihmütter Ihrer schriftlichen Stellungnahme die angeht, stimme ich weitgehend mit Ihnen Auffassung vertreten, dass ein Zwang zur überein. Es gibt keinen grundrechtlichen Ungewissheit und ein Zwang zum Nicht- Anspruch auf Leihmutterschaft. Der Staat wissen mit den Grundrechten nicht ver- hat das Recht, die Leihmutterschaft, so wie einbar ist und im Hinblick auf die er dies nach geltendem Recht tut, zu ver- Schwangerschaft nicht mit dem Selbstbe- bieten. Nach der Rechtsprechung des stimmungsrecht der Frau und dem El- Straßburger Gerichtshofs entspricht dies terngrundrecht im Einklang steht. Wenn es auch der Europäischen Menschenrechts- demzufolge quasi ein Recht auf Gewissheit konvention. Ganz anders liegt der Fall, bezüglich der genetischen Disposition wenn es gesetzwidrig zu einer Leihmut- gibt, stellt sich mir die Frage, ob aus dieser terschaft käme. Wir hätten hier denselben Logik nicht die Verpflichtung folgt, die Fall, als wenn wir gegen die Verfassung PID gänzlich freizugeben. Denn zur gene- und gegen das Gesetz einen Menschen tischen Disposition gehört zum Beispiel klonen würden. Dieser Mensch wäre zwar auch das Geschlecht. Ich würde die Ver- auf rechtswidrigem Wege entstanden, pflichtung zur vollständigen Freigabe mit wäre dann aber, wenn es ihn nun einmal allen daraus resultierenden Folgen für gäbe, mit allen Grundrechten und aller eine fragwürdige Konsequenz dieser Logik Würde ausgestattet. Da wir uns diesem halten, bitte Sie aber gleichwohl darum, Zwang, der nicht befriedigend aufzulösen dazu Stellung zu nehmen. Meine zweite ist, nicht stellen wollen, haben wir ver- Frage betrifft das schon mehrfach ange- fassungskonform dafür optiert, diese sprochene und in Ihrer schriftlichen Stel- Möglichkeit gar nicht erst zu schaffen. lungnahme auf Seite 5 ff. aufgeführte Ar- Die Vorsitzende: Ich möchte darauf hin- gument, dass die Zulässigkeit der Abtrei- weisen, dass Leihmutterschaft nicht Ge- bung – ich zitiere jetzt – „aus Gründen der genstand der Anträge ist. Ich habe die Unzumutbarkeit bei schwerwiegender Frage dennoch zugelassen. Herr Kollege Erkrankung des Nasciturus, (erhebliche Geis, Prof. Böckenförde hat den Wunsch Gefährdung der körperlichen oder seeli-

44 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 schen Gesundheit der Mutter nach § 218a fassungsrechtler. Da ich kein Strafrechtler Absatz 2 StGB) zwingend im Interesse der bin, habe ich mir die einschlägige straf- Folgerichtigkeit und Systemgerechtigkeit rechtliche Literatur noch einmal vorlegen zur Freigabe der PID bei schwerwiegenden lassen. Danach spiegelt die Praxis den Erbkrankheiten“ führen muss. Nun hat recht weich gewebten Wortlaut des Ge- Prof. Huber dankenswerterweise noch setzes wider, unabhängig von der Mög- einmal deutlich auf die seinerzeitige In- lichkeit, unter der Bedingung der Rechts- tention des Gesetzgebers hingewiesen. An widrigkeit, aber Straflosigkeit ohne jede dieser Intention ändert sich auch dann Rechtfertigung eine Abtreibung unter be- nichts, wenn daraus in der Folgezeit stimmten Bedingungen vorzunehmen. praktisch eine Mogelpackung geworden Schließlich möchte ich noch einmal da- ist, wie Prof. Diedrich dies genannt hat, rauf hinweisen, dass die Frage eines oder wenn die Auslegung sich anders Wertungswiderspruchs, eines System- entwickelt hat. Wenn aber die gesetzgebe- bruchs, nicht nur vom Wortlaut einer Re- rische Intention eindeutig ist, stellt sich gelung bestimmt ist, sondern auch von der mir die Frage, ob daraus nicht folgt, dass es Praxis, wie sie durchgängig geübt wird. diesen systemischen Widerspruch nicht Auch darin liegt ein Verstoß gegen Artikel gibt und das Argument sozusagen seine 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Ich erinnere Tragfähigkeit verliert. Ich möchte Sie, hier noch einmal an die Rechtsprechung auch wenn Sie sich dazu bereits geäußert des Bundesverfassungsgerichts zum Steu- haben, noch einmal um Ihre Einschätzung errecht. Ihre andere Frage bezog sich auf bitten. das Grundrecht auf Zugang zu diagnosti- schen Möglichkeiten. Ich habe nicht be- hauptet, dass die Grundrechtsordnung ein SV Prof. Dr. Matthias Herdegen: Ich absolutes und unbeschränktes Recht auf möchte zunächst auf die zweite Frage, die diagnostische Möglichkeiten einräumen Frage nach dem Wertungswiderspruch, würde. Ich habe vielmehr ausgeführt, dass eingehen. Das ist ein ganz zentraler Ge- die Grundrechtsordnung die Ausschöp- sichtspunkt. Ich möchte dazu drei Aspekte fung diagnostischer Möglichkeiten ansprechen. Erstens wollte der Gesetzge- schützt. Jeder Zwang zum Nichtwissen ist ber in die Regelung auch den Fall einer ein Grundrechtseingriff. Das scheint mir nicht rechtswidrigen Abtreibung nach auch heute Nachmittag völlig unbestritten Absatz 2 des § 218a StGB einbeziehen, in zu sein. Daher bedarf ein derartiger dem die Bedrohung für die seelische oder Grundrechtseingriff der Rechtfertigung. körperliche Gesundheit der Frau aus einer Aus der Menschenwürde lässt sich diese schweren Erkrankung des Embryos er- Rechtfertigung nicht ableiten, weil sie – wächst. Dies ergibt sich aus den Materia- abhängig vom jeweiligen Status – Diffe- lien. Zweitens: Aus den Materialien ergibt renzierungen erlaubt. Wir dürfen im Sta- auch, dass er dies tun musste, weil eine dium der Schwangerschaft Untersuchun- Pflicht zum Austragen ohne Rücksicht auf gen durchführen und daraus Folgerungen eine derartige Situation ihrerseits verfas- ableiten, die wir beim geborenen Men- sungswidrig wäre, weil die Rücksicht- schen niemals ernsthaft erwägen würden. nahme auf das Selbstbestimmungsrecht Daraus folgt, dass die Ausprägung des der Frau unter dem Aspekt der Unzu- grundrechtlichen Status im Hinblick auf mutbarkeit auch das Lebensrecht des Menschenwürde und Grundrechte immer Embryos begrenzt. Es steht ausdrücklich an den Entwicklungsstand des menschli- im Band 88 auf den Seiten 256 und 257, chen Wesens oder der menschlichen Per- dass hier die Pflicht zum Austragen ihre son geknüpft ist. Schließlich ist die Frage Grenze findet. Diesen Hinweis nimmt der zu beantworten, was sich ergänzend aus Gesetzgeber in der Regelung des Absatzes den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit 2 verfassungskonform auf. Drittens: Die und der Systemgerechtigkeit ergibt. Hier Auslegung, wie ich sie hier vorgetragen komme ich zu dem Ergebnis, dass ein habe, ist nicht meine Auslegung als Ver- Verbot der PID, das auch die Aufklärung

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über schwere Erbkrankheiten und die Zentrums, in dem Präimplantations- Anlage hierzu einschließen würde, ver- diagnostik angeboten wird, reisen jährlich fassungswidrig wäre. ungefähr 50 deutsche Paare zum Zweck der Präimplantationsdiagnostik nach Bel- gien. Es kommen aber auch Paare aus an- Abg. Maria Michalk (CDU/CSU): Ich habe deren Ländern nach Belgien, weil sie eine eher gesellschaftspolitische Frage an glauben, dass man dort besser behandelt Frau Prof. Kollek und Herrn Prof. Died- wird. Die einzige Möglichkeit, diese Art rich. In der öffentlichen Diskussion wird von reproduktionsmedizinischem Tou- das Argument vorgebracht, dass die be- rismus zu vermeiden, bestünde darin, im troffenen Paare für den Fall, dass die PID eigenen Land alles zu erlauben. Aber das in Deutschland nicht bald zugelassen will offensichtlich niemand hier am Tisch, wird, ins Ausland abgedrängt werden. Wie jedenfalls niemand, der für Grenzen bei stichhaltig ist das Argument der angebli- der Präimplantationsdiagnostik plädiert. chen sozialen Benachteiligung von Paaren, Sofern solche Grenzen in irgendeiner die sich die Behandlung im Ausland nicht Form existieren, wird es immer Paare ge- leisten können? Würde eine Zulassung der ben, die ins Ausland reisen, um weiter- PID in Deutschland diese Unterscheidung gehende Eingriffe vornehmen zu lassen. aufheben? Müsste man die PID, wenn sie zugelassen würde, nicht in den Leis- tungskatalog der gesetzlichen Kranken- SV Prof. Dr. Klaus Diedrich: Es gibt Paare, versicherung aufnehmen? die für die PID ins Ausland fahren, weil es hierzulande nach wie vor nur schwer möglich ist. Es gibt eine interessante Un- SVe Prof. Dr. Regine Kollek: Es gibt so tersuchung, die an der Universität in etwas wie einen reproduktionsmedizini- Marburg durchgeführt worden ist, bei der schen Tourismus in Europa. Dieser betrifft 162 Paare befragt worden sind, bei denen aber keineswegs nur deutsche Paare und eine Indikation für eine PID bestanden hat. auch nur zu einem geringen Teil die 90 Prozent dieser Paare haben versichert, Präimplantationsdiagnostik. Es gibt mitt- dass sie eine PID durchführen lassen lerweile zwei oder drei gute Untersu- würden, wenn dies in Deutschland mög- chungen, die dieses Phänomen empirisch lich wäre. Von diesen Paaren haben sich untersucht haben. Darin wird festgestellt, 25 Prozent anschließend im Ausland be- dass Paare aus verschiedenen Ländern handeln lassen. So etwas kann sicherlich und aus unterschiedlichen Gründen in nicht die Lösung des Problems sein. Wir wiederum verschiedene Länder reisen, um müssen möglichst zu einer positiven Ent- dort reproduktionsmedizinische Maß- scheidung gelangen, die bewirkt, dass nahmen in Anspruch zu nehmen, die in dieser Tourismus, der eigentlich schreck- ihrem eigenem Land nicht erlaubt sind. So lich ist, aufhört. Früher ist man zum reisen, wenn ich mich richtig erinnere, Schwangerschaftsabbruch nach Holland Schweden nach Dänemark, weil in oder Belgien gefahren und heute wegen Schweden homosexuelle Paare, die PID in der PID. Diese Zeiten sollten eigentlich Anspruch nehmen wollen, verheiratet sein vorüber sein. Die Frage, ob die PID eine müssen, in Dänemark aber nicht. Franzo- Versicherungsleistung sein sollte, ist zu sen reisen nach Holland oder Belgien, um bejahen, sofern der gesetzliche Rahmen eine intrazytoplasmatische Spermainjek- dafür gegeben ist. Denn dann ist sie ver- tion zu bekommen. Wiederum andere sicherungstechnisch ähnlich zu behandeln reisen nach Tschechien, weil dort alle wie die Pränataldiagnostik, die auch von Leistungen billiger sind usw. Es gibt somit den Krankenkassen übernommen wird. ganz unterschiedliche Gründe, weshalb Paare reproduktionsmedizinische Leis- tungen im Ausland in Anspruch nehmen. Die Vorsitzende: Ich werde nun die Red- Nach Aussagen des wichtigsten belgischen nerliste schließen und die Kolleginnen

46 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 und Kollegen der Reihe nach aufrufen, Frage des Abg. Montag an. Er hat die Frage bevor sich dann eine letzte Antwortrunde aber aus einer juristischen Perspektive anschließt. gestellt, während ich ihr einen anderen Akzent gebe. Die Frage betrifft die Gefahr eines Dammbruchs. Kann die Möglichkeit Abg. Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.): Bei der des Missbrauchs einer Regelung eine Gruppe, um die es hier geht, handelt es Rechtfertigung dafür bieten, wesentliche sich um Paare, die zu zwei Dritteln schon Sachverhalte – hier also im Zusammen- Kinder mit Erbkrankheiten oder mit hang mit der PID – nicht zu regeln? Hat der schweren Behinderungen haben. Sie lie- Gesetzgeber die Verpflichtung, Regelun- ben diese Kinder und tun alles, damit sie gen zu treffen, die Missbrauch so weit wie sich entwickeln und ein möglichst unbe- möglich ausschließen? Bedarf eine Rege- schwertes Leben führen können. Wir ha- lung, die Missbrauch nach sich zieht, ben alle mit solchen Eltern gesprochen. nicht generell einer Nachbesserung? Ist Nun haben diese Eltern den meiner An- dies nicht die Aufgabe des Gesetzgebers? sicht nach berechtigten Wunsch, ein ge- sundes Kind zur Welt zu bringen, und dieser Wunsch hat oft eine lange Vorge- Abg. René Röspel (SPD): Ich habe eine schichte. Jetzt steht hier in der Diskussion, Frage an Herrn Prof. Huber: Halten Sie es aber auch in der gesellschaftlichen Debatte für ethisch vertretbar, einer Frau eine Tot- bisweilen der Vorwurf im Raum, dass man oder Fehlgeburt zuzumuten, wenn sie durch die befristete Zulassung der PID der bekanntermaßen ein hohes Risiko – sei es Diskriminierung Vorschub leisten würde. eins zu drei, eins zu zwei oder noch in Ich kann diesen Vorwurf weder gegenüber einem anderen Verhältnis – in sich trägt, den Eltern, den Betroffenen, noch gegen- einen Embryo austragen zu müssen, der über denjenigen, die eine begrenzte Zu- nicht entwicklungsfähig ist? lassung der PID unterstützen, akzeptieren. Deshalb möchte ich von Prof. Schröder erfahren, inwieweit er sich bei seinen Abg. Kathrin Vogler (DIE LINKE.): Ich Gesprächen mit Betroffenen mit diesen habe zunächst eine Frage an Herrn Prof. Fragen auseinandergesetzt hat und wie Böckenförde. Nach dem Gesetzentwurf auf seine Einschätzung zu dieser Frage ist. der Drucksache 17/5451 ist die PID in den Fällen zulässig, in denen es um die Ver- erbung einer sogenannten spätmanifestie- Abg. Dr. Marlies Volkmer (SPD): Ich habe renden Erkrankung geht, wie zum Beispiel zwei Fragen. Die erste Frage richtet sich an Chorea Huntington oder ähnliche Er- Herrn Prof. Diedrich und Herrn Prof. krankungen. Im Rahmen der Pränatal- Schröder. Trifft es zu, dass bei der derzeit diagnostik ist eine Untersuchung auf sol- praktizierten Pränataldiagnostik Unter- che Erkrankungen jedoch ausdrücklich suchungen auf Risiken vorgenommen ausgeschlossen und strafbar. Wie bewer- werden, die in den vorliegenden Gesetz- ten Sie die Kohärenz der Rechtslage in entwürfen zur PID nicht vorgesehen sind, Deutschland, wenn wir im Rahmen der z. B. eine Untersuchung auf das PID die Indikation für solche Untersu- Down-Syndrom? Geht die Pränataldia- chungen entsprechend ausweiten würden? gnostik damit nicht erheblich über das Ferner habe ich eine eher ethische oder hinaus, was bei der PID vorgesehen ist, gesellschaftspolitische Frage an Prof. Hu- und gibt es bei der Pränataldiagnostik ber. Welche ethischen Probleme ergeben einen Katalog von Krankheiten, auf die sich, wenn wir aus einer externen Sicht routinemäßig untersucht wird? Bei der PID beurteilen wollen, ob Behinderungen oder wird ein solcher Katalog immer wieder Erkrankungen als schwerwiegend einzu- eingefordert, bis jetzt gibt es ihn aber stufen sind? Treffen wir dann nicht nicht. Meine zweite Frage richtet sich an zwangsläufig eine Lebenswertentschei- Prof. Schröder. Ich knüpfe dabei an eine dung, bei der wir von außen bewerten, ob

47 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 ein Leben lebenswert ist oder nicht? rend die totipotente Zelle nach der Defi- Welche Auswirkungen hätte eine solche nition des Embryonenschutzgesetzes im- Entscheidung auf die Menschen, die von mer ein Embryo ist, geht es hier um die einer solchen Erkrankung oder Behinde- Zellen eines Embryos. Deswegen darf man rung betroffen sind? den Embryo nicht zerstören, um die an- deren sieben Embryonen einzupflanzen. Das ist in unserem Gesetzentwurf geregelt. Abg. Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE Darauf möchte ich im Interesse der wei- GRÜNEN): Ich habe eine Frage an Herrn teren öffentlichen Debatte hinweisen. Prof. Huber. Herr Prof. Huber, Sie sind Ferner habe ich eine Frage an Frau Prof. Mitglied des Ethikrates. Der Deutsche Schöne-Seifert und Herrn Prof. Schröder. Ethikrat sowie die Vertreter der Deutschen Für mich ist sehr wichtig, dass Anhörun- Wissenschaftsakademien haben sich mit gen Erkenntnisfortschritte bringen. Ich knapper Mehrheit für eine Zulassung der habe heute einen solchen Fortschritt für PID in engen Grenzen ausgesprochen. mich identifiziert und möchte Sie um eine Sehen Sie den Gesetzentwurf der Abg. ethische Bewertung bitten. Ich bin der Flach und anderer als kompatibel mit festen Überzeugung, dass wir von der dieser Empfehlung an oder geht der da- Dreierregelung wegkommen müssen. Die rüber hinaus? Und sofern dies der Fall ist, Dreierregelung hat die Frauen immer sehr in welchen Punkten? Ferner habe ich eine stark belastet, und zwar unabhängig von Frage an Frau Prof. Kollek. Zurzeit erhal- der PID, weil es aufgrund der geringen ten Paare, die eine IVF in Anspruch neh- Erfolgswahrscheinlichkeit von lediglich men, weil sie unfruchtbar sind, eine Teil- ungefähr 25 Prozent bei vielen letztlich finanzierung durch die gesetzliche Kran- nicht zur Geburt kam. Dies gilt jedoch kenkasse. Bei einer Zulassung der PID nicht nur für die Implantation. Auch die wären die Voraussetzungen für eine Fi- Natur verwirft ungefähr 75 Prozent der nanzierung, wie sie im SGB V normiert befruchteten Embryonen, also der Emb- sind, nicht gegeben. Da keine medizini- ryonen, die im natürlichen Miteinander sche Indikation vorliegt, müssten IVF und entstehen. Wenn die Frauen dann bei der PID wohl von den Betroffenen selbst fi- IVF mehrere Zyklen hatten, war dies für nanziert werden. Wie beurteilen Sie die- sie mit starken psychischen und physi- sen Sachverhalt und erwarten Sie, dass schen Belastungen verbunden. Deswegen dies eine Diskussion auslösen wird? möchte ich erfahren, wie es ethisch zu bewerten ist, wenn man statt der Dreier- regelung eine Sechser- oder Siebener- Abg. Peter Hintze (CDU/CSU): Ich habe regelung einführen würde. einen Hinweis für Frau Prof. Kollek. Un- serem Gesetzentwurf ist in § 3a Absatz 1 zu entnehmen, dass die von Ihnen geäu- Abg. Rudolf Henke (CDU/CSU): Ich ßerte Vermutung falsch ist. Der Bundes- möchte zunächst eine Frage an Herrn Prof. gerichtshof hat in Übereinstimmung mit Huber stellen. Wir haben von Herrn Prof. dem Embryonenschutzgesetz festgestellt, Herdegen, der jetzt nicht mehr hier sein dass jede totipotente Zelle ein Embryo ist. kann, gelernt, dass die Würde des Men- Die von uns vorgesehene Vorschrift be- schen mit der Verschmelzung von Ei- und zieht sich auf Zellen eines Embryos, folgt Samenzelle beginnt. Prof. Herdegen hat also dem Bundesgerichtshof und dem allerdings darauf hingewiesen, dass er mit Embryonenschutzgesetz insofern, als hier dieser Auffassung nicht die gesamte nur eine Untersuchung der Blastozyste deutsche Staatsrechtslehre repräsentiert. bzw. des Trophoblasten, also einer Meine Frage lautet nun: Bedeutet Würde, pluripotenten Zelle und nicht mehr einer dass man auch Träger von Rechten ist? totipotenten Zelle, vorgesehen ist. Der von Und gibt es für den Embryo als Rechts- Ihnen vermutete Widerspruch tritt also in träger irgendeine Chance mitzuentschei- unserem Gesetzentwurf nicht auf. Wäh- den, ob er sich untersuchen lassen muss.

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Wenn ich als Embryo hören würde, dass Prof. Huber, die sich auf das Argument meine Mutter nicht gezwungen werden bezieht, Patienten oder Paare seien dazu kann, mich implantieren zu lassen, dann gezwungen, die PID im Ausland vorneh- könnte ich auf die Idee kommen, dass ich men zu lassen. Folgt aus diesem Argument im Gegenzug nicht dulden muss, dass man nicht letztlich, dass man jegliche Begren- mir einen Teil meines Korpus entnimmt, zung der PID aufgeben oder sich an der um mich genetisch zu qualifizieren. Hal- liberalsten Lösung orientieren müsste? ten Sie diesen Gedankengang für nach- Was wären die Folgen eines solchen vollziehbar oder ist er völlig absurd? Wenn Ethikdumpings, so würde ich das mal ich Prof. Herdegen folge und Würde ab bezeichnen? Ferner habe ich eine Frage an dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- Herrn Prof. Huber und Herrn Prof. Bö- und Samenzelle zuerkenne, dann muss ckenförde. Wir haben hier immer wieder das irgendeine materielle Folge haben, des Argument des Dammbruchs gehört. und die geringste materielle Folge, die das Aus meiner Sicht ist ein Dammbruch nicht haben muss, ist doch, dass der Embryo erreicht, wenn die Zahl der Missbrauchs- nicht ungefragt zur Verfügungsmasse fälle steigt, sondern wenn wir eine Ände- fremder Entscheidungen werden darf. Es rung der ethischen Grundsätze vorneh- muss einen Rest an Subjektivität geben. men. Herr Prof. Herdegen hat hier die Wie kann man dies auflösen? Ich habe eine Auffassung vertreten, dass ein möglicher weitere Frage, die ich gern an Herrn Prof. Missbrauch in der Zukunft kein Argument Böckenförde und Frau Prof. Kollek stellen dafür sein kann, auf die Einführung der würde. Ich möchte wissen, ob ein unbe- PID zu verzichten. Frau Prof. Schö- stimmter Rechtsbegriff wie der der ne-Seifert hat hingegen argumentiert, der schwerwiegenden Erkrankung rechtlich Missbrauch des § 218 könne deswegen als eine klare Eingrenzung der Anwendungs- Argument für die Einführung der PID fälle auf wenige Paare zulässt. Denn was dienen, weil man dann die am wenigsten schwerwiegende Erkrankung bedeutet – ethisch verwerfliche Methode anwenden das hat auch diese Anhörung gezeigt –, würde. Wenn wir so argumentieren, wür- unterliegt in hohem Maße dem subjektiven de dies jedoch bedeuten, dass wir im Urteil. Was ist wirklich schwerwiegend? Nachhinein den Missbrauch legitimieren, Prof. Diedrich und ich sind uns völlig weil wir mit der Einführung der PID eine einig darin, dass eine Trisomie 21 nicht so neue ethische Grundlage schaffen, näm- schwerwiegend ist, dass sie eine PID lich für die Selektion. Damit hätten wir rechtfertigen würde. Die Frage lautet aber, aber den Missbrauch nachträglich sankti- wie man unter Bezugnahme auf den all- oniert. gemeinen Rechtsbegriff der schwerwie- genden Krankheit eine Regel aufstellen kann, die die Ethikkommission, die Bera- SV Bischof Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang tenden, die Durchführenden und die El- Huber: Herr Prof. Böckenförde hat ange- tern irgendwie bindet? boten, mir die Frage, was eine schwer- wiegende Krankheit ist, abzunehmen. Ich lasse diese Frage daher aus. Ist es ethisch Abg. Dr. Harald Terpe (BÜNDNIS 90/DIE vertretbar, einer Frau eine Totgeburt zu- GRÜNEN): Ich möchte noch eine Bemer- zumuten? Die Antwort lautet: Nein. Die kung zu dem Beispiel Trisomie 21 ma- Frage ist nur, welche Maßnahmen man chen. In der Begründung zu dem Gesetz- ergreifen darf, um herauszufinden, ob eine entwurf wird ausgeführt, dass eine Totgeburt zu befürchten ist, und welche Krankheit dann schwerwiegend ist, wenn Nebenwirkungen es hat, wenn man dies sie schwierig zu behandeln ist. Dies tut. Das Problem liegt ähnlich wie bei der spricht für das Argument, dass man in der Frage der Behinderung. Natürlich gibt es konkreten Situation die Trisomie 21 dann niemanden hier im Raum, der die Inten- doch nicht eindeutig ausschließen kann. tion hat, Behinderte zu diskriminieren. Ich habe zunächst eine Frage an Herrn Man muss aber die Frage stellen, ob eine

49 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 bestimmte Handlungsweise, die man mit unklar, welche Implikationen die Ein- noch so wohl erwogenen Begründungen schränkung auf schwerwiegende Krank- vollzieht, ausgehend von der Lehre vom heiten hat. Nach meiner Einschätzung duplex effectus gleichzeitig einen Effekt in bewegen wir uns hier in einem Bereich, in einem anderen Bereich hat, den man mit dem auch spätmanifestierende Krankhei- bedenken muss, wenn man eine solche ten letztlich zu schwerwiegenden Er- Handlungsweise verantwortungsethisch krankungen erklärt werden. Ferner ist eine beurteilen will. Die Vermeidung von Tot- Frage nach der Verschmelzung von Eizelle geburten, erst recht von wiederholten und Samenzelle als Beginn der Zuerken- Totgeburten, ist ein hohes Ziel, es legiti- nung der Menschenwürde gestellt worden. miert aber nicht jedes Mittel. Vielmehr Ich halte es für ein wichtiges Ergebnis muss man sich fragen, welche Folgen es dieser Anhörung zu erkennen, wie breit im hat, wenn man dieses Mittel einsetzt. Eine Kreise der hier anwesenden Sachverstän- weitere Frage bezog sich auf das Votum digen die Unterstützung für den Grundsatz des Ethikrates für die Zulassung der PID ist, der dem Embryonenschutzgesetz zu- und das entsprechende Votum der grunde liegt. Wir haben allerdings aus dem Leopoldina. Dafür bin ich der falsche von Herrn Prof. Herdegen angeführten Ansprechpartner. Denn wenn man genau Beispiel entnehmen können, dass es zwei hinschaut, dann stellt man fest, dass im Arten von Gradualismus gibt. Die eine Art Deutschen Ethikrat die Positionen pro und von Gradualismus hebt auf den Zeitpunkt contra PID nahezu gleich stark vertreten ab, ab dem überhaupt Würde zuerkannt sind. Das Verhältnis ist so ausgewogen, wird, und die andere Art fragt danach, ab wie es bei einem Gremium mit 26 Mit- wann welches Maß an Würde zuerkannt gliedern, von denen eines sich der Stimme wird. Das sind die beiden Arten des enthalten hat, nur sein kann. Wie Sie Gradualismus, mit denen wir es gegen- wissen, gehöre ich nicht zu denjenigen, wärtig zu tun haben. Klar ist, dass unter die für die Zulassung der PID votiert ha- rechtlichen Gesichtspunkten die Geburt ben. Mir fällt auf, dass in dem Pro-Votum eine ganz herausragende Bedeutung hat. des Deutschen Ethikrates zwei Elemente Volker Gerhardt sagt immer wieder und enthalten sind, die über das hinaus gehen, das zu Recht, in seinem Personalausweis was jetzt in der Diskussion ist. Erstens ist stehe das Datum seiner Geburt und nicht dieses Votum klarer in der Frage der das Datum der Befruchtung von Ei- und Dreierregelung, indem es unumwunden Samenzelle. Somit bleibt im Blick auf die zugibt, dass die PID mit der Dreierregelung Rechtsperson die Geburt wichtig. Außer- nicht vereinbar ist, und fordert, einen dem ändert sich auch nach der Geburt, wie Kompromiss zwischen den Erfolgsaus- wir wissen, was etwa die Befähigung zu sichten der Behandlung und dem Ziel der Rechtsgeschäften angeht, noch so einiges. Vermeidung überzähliger Embryonen zu Wir können den Gradualismus hier also finden. Zweitens wird darauf hingewie- fortsetzen. Daher ist es wichtig anzuer- sen, dass nicht in jedem Fall, in dem es zu kennen, dass es Phasen in der Entwick- einer Totgeburt oder auch zu wiederholten lung des Menschen gibt, in denen der Totgeburten kommt, genetische Faktoren Schutz seiner Würde in der Verantwor- maßgebend sind, die durch eine PID er- tung anderer liegt. In dieser Phase ist diese mittelt werden könnten. Daher soll die PID Verantwortung unverzichtbar, weil sie mit Blick auf Totgeburten nur im Rahmen sich auf einen Menschen bezieht, der nicht klinischer Studien durchgeführt werden. für sich selbst sprechen und nicht einmal Dabei soll geprüft werden, welchen Effekt für sich selbst schreien kann. Deshalb der Einsatz von PID in Bezug auf die missfällt es mir in dieser Debatte auch Wahrscheinlichkeit von Totgeburten bei besonders, dass im Falle der Paaren, die entsprechend gefährdet sind, In-vitro-Fertilisation so getan wird, als hat. Die Leopoldina geht in ihrem Votum gäbe es keine Beziehung zwischen der in meinen Augen weiter als alles, was bis Mutter und dem Embryo, solange dieser jetzt diskutiert worden ist. Dabei bleibt Embryo noch nicht implantiert ist, und als

50 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 entstehe diese Beziehung erst in dem Au- fahren hineinmogeln. Ferner bin ich ge- genblick, in dem eine Implantationsent- fragt worden, ob die Stellungnahme der scheidung getroffen wird. Dies halte ich Leopoldina, für die ich in der entspre- für ethisch nicht haltbar, weil ich fest da- chenden Arbeitsgruppe mitverantwortlich von überzeugt bin, dass die Entscheidung zeichne, mit dem Gesetzentwurf der Abg. der Mutter schon dann getroffen ist, wenn Flach und anderer kompatibel ist. Dies ist sie sich auf den Weg der eindeutig zu bejahen. Ich wurde auch ge- In-vitro-Fertilisation begibt. Dies trifft – beten, den Wertungswiderspruch, der Frau Prof. Kollek bestätigt es gerade – auch zwischen einem Verbot der PID und dem, empirisch zu und muss sich daher im was als Missbrauch der PND bezeichnet Recht auch irgendwie widerspiegeln. Die wurde, besteht, zu korrigieren. Das Ergeb- Frage nach dem sogenannten Ethikdum- nis ist zwar richtig, ich würde aber anders ping möchte ich einmal von der positiven als der Fragesteller die PND, wie sie sich Seite her beantworten. Die Tatsache, dass bis heute entwickelt hat und wie sie sich wir in Europa eine gewisse Variations- nach der Gesetzesreform absehbar entwi- breite an rechtlichen Regelungen zu den ckeln musste, nicht als Missbrauch be- Fragen haben, die den Anfang und auch zeichnen, sondern als etwas, das die das Ende des Lebens betreffen, veranlasst Menschen, die sie in Anspruch nehmen, mich zu der Empfehlung, in einen Wett- sich in aller Regel selbstbestimmt und mit bewerb um die tragfähigsten Lösungen guten ethischen Argumenten wünschen. und nicht mit dem Tourismusargument in einen Wettbewerb um den geringsten Grad an Regulierung einzutreten. Dies würde SV Prof. Dr. Richard Schröder: Die erste ohnehin nicht zum Ziel führen, weil dafür an mich gerichtete Frage bezieht sich auf die Motive, die Behandlung in einem an- das Problem möglicher diskriminierender deren Land vornehmen zu lassen, zu Konsequenzen aus der PID. Diese Frage vielfältig sind. Das hat auch Frau Prof. hat zwei Seiten. Die eine Seite betrifft die Kollek aufgezeigt. Das Dammbruchargu- Frage, ob Behinderte sich durch die PID ment habe ich nicht verwendet, sehr wohl diskriminiert fühlen. Dazu kann ich wenig aber das Argument, dass man diejenigen sagen, und natürlich kann ich auch nicht Folgen von Regelungen, die man antizi- sagen, sie sollten sich nicht diskriminiert pieren kann, auch ernstnehmen sollte. Es fühlen. Die Rücksichtnahme auf die Be- geht mir also um die Analyse vorausseh- troffenen verlangt, dass ich dazu keine barer Folgen und nicht um eine generelle Prognosen abgebe. Aber ich äußere mich Dammbruchthese. Diese habe ich meiner gern noch einmal zu der anderen Frage: Ist Erinnerung nach an keiner Stelle vorge- zu erwarten, dass die Diskriminierung tragen, und ich halte sie auch für eines der Behinderter zunehmen wird? Werden in Alles-oder-Nichts-Argumente, die nicht Zukunft Behinderte, weil es die PID gibt, wirklich weiterhelfen. zu hören bekommen: „So jemanden wie dich sollte es gar nicht geben!“ Ich sage dazu Folgendes: Dazu brauchen wir leider SVe Prof. Dr. Bettina Schöne-Seifert: Herr nicht die PID. Ich kenne solche Sprüche Abg. Hintze, ich bin in der Tat der Mei- aus meiner Kindheit, als man überhaupt nung, dass dann, wenn man wie ich für nichts dergleichen hatte und dennoch eine eng begrenzte Zulassung der PID Menschen so über andere Menschen re- plädiert, folgerichtig auch für eine Refor- deten. Diesen Menschen muss man mit mierung der Dreierregel eintreten muss, aller Energie entgegentreten und ihnen damit das Verfahren ehrlich, klar und nicht noch eine halbe Entschuldigung transparent geregelt ist. Aus Gründen des liefern, indem man sagt: „Da es jetzt die Normenschutzes, der Glaubwürdigkeit PID gibt, verstehen wir, dass du so redest.“ und der Rechtssicherheit sollte man dies Ich verstehe es überhaupt nicht und bitte zusammen mit der Zulassung der PID re- darum, dass wir das alle so sehen. Die geln und nicht im Nachhinein in das Ver- Entstehungsbedingungen eines geborenen

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Menschen, ganz gleich, ob es sich um ei- ten massenhaft praktizierten Missbrauch nen Menschen handelt, der aus einer geben wird. Im Übrigen besteht die Mög- Vergewaltigung hervorgegangen ist, der lichkeit dazu schon heute. Meines Wis- geboren wurde, weil er nicht abgetrieben sens verfügen die Ärzte, die die PND an- wurde usw., diese Entstehungsbedingun- wenden, über die Information, welches gen haben nach unserem Verständnis Geschlecht der Embryo besitzt. Wenn sie keinerlei Einfluss auf die ihm gebührende diese Information weitergeben würden, Anerkennung. Diesen Grundsatz muss könnten die Patientinnen bzw. die Frauen man durchhalten und nicht plötzlich Ver- unter Vortäuschung eines anderen Grun- ständnis für diejenigen entwickeln, die des eine Abtreibung nach dem Kriterium ihn in Frage stellen wollen. Ferner wurde des Geschlechts vornehmen lassen. Ich die Frage gestellt, ob die PND nicht einen lasse mich gern berichtigen, aber soweit weitergehenden Anwendungsbereich hat ich weiß, sind die Ärzte gehalten, diese als PID. Der vorliegende Gesetzentwurf Information nicht weiterzugeben, solange sieht nicht vor, die PID wegen des die Option für eine Abtreibung besteht. Down-Syndroms anzuwenden. Insofern Man kann zwar nicht ausschließen, dass trifft die Aussage zu. Zur Frage eines dies dennoch geschieht. Manche sind der möglichen Dammbruchs: Der Missbrauch Ansicht, dass die Menschen doch immer einer Regel ist grundsätzlich nie auszu- alles tun, was möglich ist. Die PND ist aber schließen, stellt als solcher aber noch meines Erachtens ein Beispiel dafür, dass keinen Dammbruch dar. Man muss sich Menschen sich regelkonform verhalten. daher einmal genauer anschauen, was mit Wenn man also nicht annimmt, dass bei Missbrauch gemeint ist. Soll Missbrauch den Ärzten die Unmoral ausbricht – und etwa bedeuten, dass man unter Verstoß das erscheint mir als eine allzu pessimis- gegen ein Gesetz etwas tut, was durch tische Sichtweise –, dann ist auch nicht dieses Gesetzes erst möglich geworden ist? damit zu rechnen, dass man nun den Da kann ich nur sagen, für Rechtsbrüche massenhaften Missbrauch als eine Folge ist die Justiz zuständig. Wahrscheinlich ist der PID – wie Herr Prof. Huber gerade mit Dammbruch aber meistens etwas an- richtig gesagt hat – einkalkulieren müsste. deres gemeint, nämlich der Umstand, dass man sich an etwas, das lange Zeit als an- stößig galt, nach und nach gewöhnt und es SV Prof. Dr. Klaus Diedrich: Das Ge- dann nicht mehr für anstößig hält oder schlecht kann man im Ultraschall erst dass nach und nach eine Sanktion nicht nach der 14. Woche feststellen. Dann ist mehr angewendet wird und eine Hand- ein Zeitpunkt erreicht, zu dem es um die lung dann, weil die Sanktion nicht mehr medizinische Indikation geht, die in die- erfolgt, als erlaubt gilt. Solche Entwick- sem Falle jedoch nicht erkennbar ist. Es lungen sind denkbar, müssen aber nicht gibt Richtlinien für die sogenannte notwendigerweise eintreten. Nach meiner Korionbiopsie, die man auch schon früher, Beobachtung trifft es in ähnlichen Fällen etwa in der achten bis neunten Woche, nicht zu, dass etwas, das durch Gesetz durchführen kann. Dabei erhält man unter verboten ist, dennoch massenhaft prakti- anderem auch die Information über das ziert und dann irgendwann nicht mehr als Geschlecht. Diese Information dürfen wir verboten angesehen wird. Wenn eine neue Ärzte aber nicht weitergeben. medizinisch-diagnostische Methode zu- gelassen worden ist, wird sie entweder von Kurpfuschern – das wäre dann ein SV Prof. Dr. Richard Schröder: Die Fall für die Juristen – oder von Ärzten Mehrzahl der Ärzte scheint sich an diese angewandt. Wenn ein Arzt eine solche Vorschrift zu halten. Methode gesetzeswidrig anwenden würde, ginge er ein sehr hohes Risiko ein. Daher SV Prof. Dr. Klaus Diedrich: In der Tat ist schon aus utilitaristischen Gründen verhalten sich die Ärzte in aller Regel nicht zu erwarten, dass es einen von Ärz- gesetzeskonform. Betrachten wir einmal 52 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 das Embryonenschutzgesetz, das seit 20 sei, die Nidation als den Beginn der Ver- Jahren existiert. Es gibt zwei Verstöße da- bindung von Mutter und Kind zu bewer- gegen, die zu einer Gerichtsverhandlung ten, weil auch der Blick in die Petrischale und einem Urteil geführt haben. Da ist schon eine Verbindung darstelle. Das ist zum Einen der Fall eines Transfers von sicher richtig, der Blick der Mutter in die fünf Embryonen, der zu einer Mehrlings- Petrischale ist aber nur dann nichtselektiv, schwangerschaft geführt und die betrof- wenn sie sich Drillinge wünscht. Auch fene Frau zu einer Klage veranlasst hat, dieses Problem wird gern überspielt. Die und da ist zum Anderen der durch meisten Eltern wünschen sich, soweit ich Selbstanzeige ausgelöste PID-Fall, über weiß, nur ein Kind. Sie wünschen sich den der Bundesgerichtshof entschieden somit auch, dass zwei der Embryonen hat und der mit Freispruch endete. Viel- verloren gehen. leicht noch kurz eine Bemerkung zum Vergleich zwischen Pränataldiagnostik und Präimplantationsdiagnostik. Mit den SVe Prof. Dr. Regine Kollek: Herr Prof. beiden Verfahren werden unterschiedli- Schröder, man befruchtet heute nur zwei che Zielsetzungen verfolgt. Mit Hilfe der Eizellen bei den Frauen, die eine gute pränatalen Diagnostik soll der Mutter ge- Prognose haben, und setzt auch nur ma- zeigt werden, dass mit ihrem Kind alles in ximal zwei befruchtete Eizellen ein, weil Ordnung ist. Wenn der Befund jedoch von die Erfolgschancen hier mehr als doppelt der Norm abweicht, muss man mit ihr so hoch sind, als wenn man nur eine transferieren würde. Die Sache ist also ausführlich darüber sprechen. Für die PID nicht ganz so einfach, wie Sie sie darge- gibt es eine ganz enge Zulassungsbedin- stellt haben. Ferner würde ich gerne noch gung. Zum Beispiel wird bei der etwas zur Pränataldiagnostik sagen. Frau Pränataldiagnostik quasi täglich auf Prof. Schöne-Seifert hat ausgeführt, dass Trisomie 21 hin untersucht, während dies die Menschen die PND so wollten, wie sie bei der Präimplantationsdiagnostik natür- derzeit praktiziert wird. Deshalb sei sie lich keine Zielsetzung ist. auch so weit verbreitet. Dem möchte ich deutlich widersprechen, denn gerade im SV Prof. Dr. Richard Schröder: Was die Bereich der Pränataldiagnostik gibt es sogenannte Dreier-Regelung anbelangt, bin einen massiven Angebotsdruck. Die ich kein Fachmann, sondern habe mich in Frauen werden noch nicht einmal hin- der Zeit, als ich Mitglied im Nationalen reichend darüber aufgeklärt, auf welche Ethikrat war, umfassend belehren lassen. Untersuchung sie sich einlassen. Und Mir ist dort gesagt worden, dass die Drei- wenn dann ein positiver Befund vorliegt, er-Regelung gewissermaßen umgangen kommt es häufig zu panischen Reaktionen. wird, indem man mehr als drei Eizellen Deshalb haben wir auch das befruchtet, diese aber im Stadium des Gendiagnostikgesetz verabschieden müs- Pränucleus hält, sodass man sich eine sen. Es war notwendig, damit in diesem zweite Stimulation und Entnahme von Bereich endlich einmal eine vernünftige Eizellen ersparen kann, selbst wenn die Beratung und Aufklärung etabliert wird, damit die Frauen wissen, worauf sie sich Implantation nach dem ersten Zyklus einlassen, was in der Regel nicht der Fall nicht funktioniert. Wir haben es hier also ist. Es ist auch nach der Verabschiedung mit einem Verfahren zu tun, das einerseits des Gendiagnostikgesetzes nicht einfach, gesetzeskonform ist und andererseits die diese Beratung in der Praxis zu etablieren. in der Natur des Vorgangs liegenden Es entspricht somit nicht der Realität zu Probleme für die Frau minimieren soll. sagen, die Menschen wollten die PND so Dies hat zur Konsequenz, dass der Ge- haben, wie sie praktiziert wird. Für prob- setzgeber dieses Verfahren rationalisieren lematisch halte ich auch die Aussage, die könnte, wenn er nicht ein Glaubensbe- PID solle nicht zur Selektion des kenntnis daraus machen will. Bischof Down-Syndroms angewandt werden. Das Huber hat ausgeführt, dass es unzulässig Down-Syndrom ist keine Erbkrankheit, es

53 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011 entsteht überwiegend spontan und ist drei Gruppen auf der Welt beherrscht und daher mit der PID nur im Rahmen eines routinemäßig angewandt wird. Für die Screenings zu erfassen. Daher verzichtet 5.867 anderen Fällen stellt nach wie vor man hier nicht aus ethischen Gründen auf die Entnahme von totipotenten Zellen aus eine bestimmte Diagnostik, sondern des- dem achtzelligen Embryo den Goldstan- halb, weil es im Rahmen dieser Methode dard dar. ohnehin nicht zu haben ist. Nur mit einem Screening wäre das Down-Syndrom er- fassbar. Weiterhin ist die Frage der Fi- SV Prof. Dr. Dr. Ernst-Wolfgang Böcken- nanzierung der Präimplantationsdia- förde: Die erste Frage bezog sich auf den gnostik angesprochen worden. Die IVF Unterschied zwischen PID und PND, was wird teilfinanziert, wenn Unfruchtbarkeit die Begrenzung der Untersuchung auf vorliegt. Dafür gibt es bestimmte Defini- bestimmte Krankheiten anbelangt. Es geht tionen. Wenn man die Präimplantations- dabei darum, welche Folgen es hat, dass diagnostik über die Krankenkassen finan- die PID auch für die Diagnose von spät- zieren wollte, dann müsste man die Indi- manifestierenden Erkrankungen eingesetzt kationen für die In-vitro-Fertilisation werden kann. Es ist nicht kohärent, dass entsprechend ändern und das Verfahren in bei der PND bestimmte Einschränkungen den Leistungskatalog der GKV aufnehmen. bestehen, während die PID nicht nur für Zu der Frage des reproduktionsmedizini- unmittelbar auftretende, sondern auch für schen Tourismus und zu dem Stichwort solche Erkrankungen zugelassen wird, die Ethikdumping hat Herr Prof. Huber mei- erst in der nachfolgenden Generation oder nes Erachtens alles gesagt. Ich denke, jedes spät im Laufe des Lebens auftreten. Diese Land hat seine besonderen Regelungen, Inkohärenz wird dazu führen, dass sich Frankreich genauso wie Großbritannien. auch der Anwendungsbereich für die PND Daher ist nicht einzusehen, weshalb ausdehnen wird, und zwar mit dem Ar- Deutschland in dieser Frage nicht auch gument, es stelle einen Wertungswider- das tun sollte, was seiner ethischen und spruch dar, wenn bestimmte Untersu- rechtlichen Tradition entspricht. Dies chungen vor der Implantation möglich, in wäre nicht mehr und nicht weniger ein der Schwangerschaft aber ausgeschlossen Sonderweg, als die Wege, die die anderen seien. Man wird dann argumentieren, dies Länder in Europa gehen. Zum Schluss sei widersprüchlich oder nicht verhält- möchte ich noch auf den Punkt eingehen, nismäßig, weil es sich in den beiden Fäl- auf den mich der Abg. Hintze dankens- len um vergleichbare Situationen handele. werter Weise hingewiesen hat. Es ist nicht In der Tendenz wird die PND dann auch ohne Weiteres zu erkennen, dass nach auf die Fälle ausgedehnt werden, die bei dem vorliegenden Gesetzentwurf die der PID mit eingeschlossen sind. Ferner Präimplantationsdiagnostik nur an wurde die Frage nach der Definition einer Blastozysten durchgeführt werden soll. schwerwiegenden Erkrankung gestellt. Ich denke, wenn dies so gewollt ist, sollte Hier handelt es sich in der Tat, wie wir man es auch sagen. Denn dies würde be- Juristen sagen, um einen unbestimmten deuten, dass der Entwurf sich für eine Rechtsbegriff. Dieser ist dadurch charak- Methode entscheidet, die laut ESHRE in terisiert, dass es für ihn kaum sichere den Jahren 2007 und 2008 nur in 20 von Kriterien gibt. Man hat bewusst auf einen 5.887 Fällen angewandt worden ist, die Katalog verzichtet und stattdessen Zu- somit keine medizinische Standardme- flucht zu dem Terminus der schwerwie- thode ist, sondern sich noch in der Er- genden Erkrankung oder der schwerwie- probung befindet. Sie wird wohl mittler- genden Erbkrankheit gesucht. Dabei stellt weile etwas häufiger angewandt, es ist sich natürlich die Interpretationsfrage. aber noch nicht sicher, für welche Fälle sie Wenn keine Kriterien angegeben werden sich eignet und ob sie sich auch in der und man die Beantwortung der Definiti- Breite bewähren wird. Es handelt sich onsfrage an eine Ethikkommission dele- eben noch um eine experimentelle Me- giert, dann hängt die Definition von den thode, die gerade einmal von zwei oder Vorstellungen der Mitglieder dieser 54 Ausschuss für Gesundheit, 42. Sitzung, 25.05.2011

Kommission ab. Dies führt zu einer – und verbundenen vergleichsweise hohen Ri- dies ist nicht abschätzig gemeint – Sub- sikos eingeführt. Aufgrund dessen erklärt jektivierung der Definitionsfrage. Wenn sich auch die Beschränkung auf bestimmte die Kommission eine Definition vorge- Krankheiten. In der praktischen Handha- schlagen hat, beginnt die Arbeit der Juris- bung ist die PND dann aber ausgeweitet ten, die dann sagen werden: „Wenn dies worden, insbesondere im Zusammenhang anerkannt wird, dann muss das andere mit der gerechtfertigten Abtreibung nach auch anerkannt werden, weil es ver- § 218a Abs. 2 und mit dem ärztlichen gleichbar ist“ oder „Die Definition ist so Haftungsrecht. Ein Problem, das zum Teil weit gefasst, dass noch weitere Dinge auch gerichtliche Prozesse ausgelöst hat, einbezogen werden müssen, um die Ver- entsteht vor allem dann, wenn der Arzt hältnismäßigkeit zu wahren.“ Da der Be- nicht über alle Risiken, die sich aus der griff der schwerwiegenden Erkrankung PND ergeben, aufklärt. Denn dann wird er sehr offen ist, muss er konkretisiert wer- gegebenenfalls für die Folgen haftbar ge- den, und dies geschieht dann, ohne dass es macht. Dies hat mit dazu beigetragen, dass verbindliche Kriterien dafür gäbe. Dies die Ausnahme zur Regel geworden ist. In führt notwendiger Weise zu einer Subjek- diesem Zusammenhang wäre es interes- tivierung, obwohl die einzelnen Beteilig- sant zu erfahren, wie hoch der Anteil der ten jeweils nach ihrer Überzeugung ent- Schwangerschaften ist, bei denen eine scheiden. Damit erhebe ich nicht den PND durchgeführt wird. Die Ärzte haben Vorwurf der Willkür. Da wir es hier mit aus Gründen des Haftungsrechts ein Inte- einem unbestimmten Rechtsbegriff zu tun resse daran, dass ihnen nicht vorgehalten haben, wird unter Juristen diskutiert, ob er werden kann, sie hätten etwas übersehen auch in vollem Umfang gerichtlich über- oder eine Patientin nicht umfassend in- prüfbar ist. Nach einer lange Zeit vor- formiert. Das sind die möglichen Folge- herrschenden Auffassung, die auch von wirkungen, die sich aus einer Zulassung den Verwaltungsgerichten vertreten wor- der PID ergeben und die man bedenken den ist, gibt es bei einem unbestimmten muss, wenn man über die Zulassung ent- Rechtsbegriff nur eine richtige Lösung, für scheidet. Dabei geht es auch um die Frage, deren Auffindung die Gerichte zuständig was dies im Bewusstsein der Menschen sind. Inzwischen gibt es eine veränderte bewirkt und es ob es noch eine Zone der Auffassung, die auch ich für richtig halte. Unverfügbarkeit gibt oder nicht. Wenn ein Begriff unbestimmt ist, dann ist seine rechtliche Bindungswirkung eben- falls unbestimmt. Seine Anwendung kann Die Vorsitzende: Ich möchte allen Sach- dann nur auf eine Vertretbarkeit hin ge- verständigen für Ihre Antworten und für prüft werden. Eine Auffassung wird so Ihre große Ausdauer danken. Ich kann mir lange für vertretbar gehalten, wie sie nicht vorstellen, dass die Anregungen, die Sie außerhalb eines bestimmten Rahmens gegeben haben, uns noch zu der einen oder liegt. Die dritte Frage bezog sich auf das anderen zu Veränderung an den Gesetz- Dammbruchargument. Dammbruch ist ein entwürfen veranlassen werden. Ich wün- großes Wort, das leicht zum Totschlags- sche Ihnen einen schönen Abend. argument werden kann. Daran ist aber so viel richtig, dass man die absehbare Fol- gewirkung einer Entscheidung immer in Die Vorsitzende schließt die Sitzung um die Überlegungen, die dieser Entschei- 18.40 Uhr dung vorausgehen, einbeziehen muss. Unter Juristen heißt es gelegentlich: Man soll immer auch die Folgen bedenken und nicht nur rein begriffsjuristisch argumen- tieren. Dies kann man am Beispiel der PND gut veranschaulichen. Die PND wurde als Ausnahme für Fälle von später Schwangerschaft und wegen des damit 55