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Mercedes-Benz SLR McLaren aus kohle- faserverstärktem Kunststoff (CFK), 2003 (Foto: Wikipedia)

Karl Benz am Steuer seines dreirädrigen Patent-Motorwagens Nr. 1 von 1886 (Foto: [59]) Vom Gummireifen zur Kunststoffkarosse

Automobil. Der Gebrauch von Kunststoffen in Automobilen ist eigentlich so alt wie diese selbst. Das erste Automobil lief auf Vollgummireifen. Von da war es ein langer Weg zur umfangreichen Verwendung von Kunststoffen in den heutigen Kraftfahrzeugen. Betrachtet werden hauptsächlich die ersten 50 Jahre, aber immer wieder wird auch ein Blick auf die heutige Entwicklung geworfen und zum Schluss ein kurzer Ausblick angefügt.

GÜNTER LATTERMANN meldet,wurde das Patent dafür gegen En- und schlechtere Fahreigenschaften als die de des Jahres erteilt. Die erste öffentliche späteren luftgefüllten Gummireifen (John ieser Artikel gibt einen Überblick Probefahrt seines „Wagens ohne Pferde“ Boyd Dunlop, 1888). Diese wurden 1895 über Kunststoffe im Automobil- erfolgte im Sommer 1886. Das linke Titel- erstmals für Automobile von den Gebrü- D bau. Bereits vor 71 Jahren erschien bild zeigt Karl Benz am Steuer dieses ers- dern Edouard und André Michelin aus ein „Rückblick auf die Internationale ten – dreirädrigen – Automobils. Es hat- Clermont-Ferrand an einen Peugeot Automobil- und Motorrad-Ausstellung te gegenüber seinem Konkurrenten, der Éclair montiert [4] – die berühmten Berlin 1939“ mit dem Titel „Kunststoffe bereits vierrädrigen, hölzernen „Motor- „Pneus“ (von griechisch „pneuma“ = im deutschen Kraftfahrbau“, der auch kutsche“ von Gottlieb Daimler einen Wind, Atem) nahmen ihren Lauf. damals bereits in der Zeitschrift Kunst- wichtigen Vorteil: seine Räder waren nicht Der erste Luft-Reifen aus vollsyntheti- stoffe veröffentlicht wurde [1]. eisenbeschlagen, sondern hartgummibe- schem Methylkautschuk wurde 1910 von reift. Zu dieser Zeit bestand Hartgummi der Continental Caoutchouc Compagnie Reifen aus Naturkautschuk,der mit einem höhe- in Hannover präsentiert und sogar in das ren Gehalt an Schwefel versetzt und in der Auto des deutschen Kaisers höchstselbst Der Maschinenbauingenieur Karl Benz endgültigen Form durch Erhitzen „vul- eingebaut [5]. baute das erste Automobil mit Verbren- kanisiert“, d.h. seine elastischen Eigen- nungsmotor [2]. Im Frühjahr 1886 ange- schaften erhielt. Als Reifenmaterial wur- Fenster de es zum ersten Mal von Thomas Han- ARTIKEL ALS PDF unter www.kunststoffe.de cock 1852 für Fahrräder verwendet [3], Aber auch andere Kunststoffe waren für Dokumenten-Nummer KU110402 hatte aber einen höheren Rollwiderstand die noch sehr junge Automobilindustrie

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interessant. So war man mit zunehmend „Ziehglas“ hergestellt [8]. Dieses war al- „schnelleren“ Wagen schon früh gezwun- lerdings nur bis zu 4 mm dick, also rela- gen, die zwischen 1886 und 1920 übli- tiv dünn, leicht zerbrechlich und emp- cherweise mehr oder weniger offenen findlich bei Steinschlag oder sonstigen Motorkarossen zunächst mit „Wind- Stößen. Daher suchte man schon früh schutzscheiben“ zu versehen. Bei „Lan- nach Alternativen für den Automobilbau. daulets“ wurde wenigstens der Fahrgas- Nachdem in Deutschland die erste Pro- traum mit einem Faltdach versehen. Von duktion von Celluloseacetat nach den Pa- Anfang an wurden aber auch schon voll- tenten von Arthur Eichengrün 1909 un- kommen geschlossene Limousinen, wie ter dem Markennamen Cellon bei der die Renault Voiturette Typ B von 1889 ge- Rheinisch-Westfälischen Sprengstoff AG baut, um die Insassen besser vor Witte- in Troisdorf anlief, wurden bereits 1912 rungseinflüssen zu schützen. Hierfür wa- „biegsame Cellonscheiben im Sommer- ren allerdings mindestens vier Sichtfens- verdeck einer Daimler-Karosserie“ als ter nötig.Die Produktion von geeignetem „unzerbrechliches“ Glas verwendet [9]. Flachglas war aber lange Zeit ein großes Allerdings setzten sich die Cellonschei- Problem. Die noch weitgehend hand- ben nicht durch, da sie zu feuchtigkeits- werklichen Herstellungsmethoden von empfindlich und langfristig nicht form- Spiegelglas führten ohne teures Polieren beständig waren. Kunststofffenster blie- zu Flachgläsern mit im Durchblick op- ben allerdings auf der Tagesordnung, da tisch verzerrenden Eigenschaften. Erst ab ab 1935 das neue „organische Glas“, das 1913 [6] (in Deutschland ab 1922 [7]) Plexiglas, industriell von der Röhm und wurde das verbesserte, aber optisch im- Haas AG in Darmstadt gefertigt wurde. mer noch „unruhige“, erste industrielle Der Herstellungsprozess bei leichter >

Bild 1. Opel Super 6 Stromlinienwagen, vollständig mit Plexiglas ausgerüstet, 1937 (Foto: [10])

Bild 2. Messerschmitt-Kabinenroller mit Kanzel aus Plexiglas (Foto: [12])

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thermischer Verformbarkeit und die op- tischen Eigenschaften waren so gut, dass ab 1937 vor allem sphärische Scheiben auch für den Automobilbau gefertigt wurden. Dies zeigen z.B. die gebogenen Fensterscheiben eines Stromlinienwagens von Opel (Bild 1) oder eines Stromlinien- busses [10] und das Sonnendach bei ei- ner Opel-Olympia-Limousine von 1939 [1]. Allerdings konnte sich auch die Ple- xiglasscheibe wegen zu geringer Material- härte und Kratzfestigkeit nur in wenigen Fällen im Automobilbau durchsetzen – ganz im Gegensatz zur großen Verwen- dung als Pilotenkanzeln im Flugzeugbau [11], wo Steinschlag keine Rolle spielt. Direkt abgeleitet von Pilotenkanzeln ist die vielleicht bekannteste Verwendung von Plexiglas im Kraftfahrzeugbau beim Messerschmitt-Kabinenroller von 1953 (Bild 2) [12]. Heute sind die Autoscheiben der übli- chen Großserienmodelle zwar immer noch nicht aus Kunststoff, obwohl die Bild 3. Ford Model A mit Autoscheiben aus Sicherheitsglas, Kratzfestigkeit des nunmehr favorisierten die mit Celluloseacetat laminiert sind, 1927 (Foto: Wikipedia) Polycarbonats durch verschiedene Be- schichtungstechniken – dadurch aber ZaZen-Versuchswagen auf der Basis des ben ein.Zum ersten Mal wurde dieses zu- auch der Preis – wesentlich höher gewor- Porsche Carrera 911 das Polycarbonat- kunftsweisende laminierte Sicherheitsglas den ist. Allerdings werden bei Versuchs- dach als Sonnenschutz auf Knopfdruck 1927 im Ford Model A verwendet (Bild 3) ausführungen von Sportwagen,bei denen wie Milchglas eintrüben [13, 14]. [15 bis 17]. Heute finden sich in jedem es besonders auf Leichtigkeit ankommt, Die andere Alternative für Autoschei- Kraftfahrzeug Sicherheitsgläser mit ande- Polycarbonatscheiben als Material für ben – das Sicherheitsglas – wurde wesent- ren Polymeren als Zwischenschicht (Po- großflächige Dachkuppeln eingesetzt. lich erfolgreicher. Ab 1927 bettete man lyvinylbutyral). Darüber hinaus lässt sich beim Rinspeed- Celluloseacetat zwischen zwei Glasschei- Elektrische Ausrüstung

Alle elektrischen Ausrüstungen (Elektro- motoren, Kondensatoren und Kabel) benötigen Isolationsmaterial als Trenn- materialien,Ummantelungen und schüt- zende Lacke.Bei geformten Isolationsma- terialien waren dies vor 1910 entweder Glimmer, Holz, Porzellan, oder Compo- sitemateralien wie Glimmer-Pressmate- rial mit Schellack als Bindemittel, Vul- kanasbest (vulkanisierte Mischung aus Gummi und Asbest) oder temperaturbe- ständigere, gummifreie Isolierstoffe mit Füllmitteln wie Asbest, Schiefer- oder Marmormehl und Naturharzen (Schel- lack oder Kopal) als Bindemittel [18], bei Ummantelungen bzw. Harzen Guttaper- cha, Gummi, Schellack- und Kopallacke. Im Jahr 1887 setzte die Firma Robert Bosch in Stuttgart einen Magnetzünder bei stationären Gasmotoren ein. 1897 wurde ein solcher Zünder erstmals in ei- nen Kraftfahrzeugmotor eingebaut. Da- mit war eines der größten Probleme im frühen Automobilbau gelöst. 1901/02 Bild 4. Innenausrüstung eines DKW F7 Meisterklasse von 1937. Armaturenbrett, Schalter, Hebelgriffe wurde durch die Entwicklung eines und Lenkrad aus Phenoplast (H. Römmler AG, Spremberg), Sitze mit Kunstleder überzogen (Foto: Deut- Hochspannungsmagnetzünders der Weg sches Museum, München) frei für immer schneller laufende Benzin-

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motoren [19]. Der Zünder Typ ZF4 von z.B. Lenkrad und Bremsen in der Früh- 1936 [34]), Gehäuse und Ziffernblätter 1911 [20, 21] enthielt Phenolharz – ein zeit noch aus Holz und Metall, so werden von Tachometern oder Leuchtanzeiger Jahr nachdem erstmals Bakelit produziert dafür in den 1930er-Jahren in großem für Nah- und Fernlicht spätestens ab die- wurde.Im Bosch-Zünder,der „Zeitschrift Ausmaß die neuen Kunststoffe verwen- ser Zeit aus Phenoplast,Lenkrad-Verklei- für alle Angehörigen der Robert Bosch det. Die DKW/ in Zscho- dungen aus Buna-Synthesekautschuk [1]. AG“ wird 1925 detailliert aufgeführt,wel- pau/ verwendet ab 1934 Phenol- Ab 1936 finden sich Türgriffe, Fenster- che Teile der elektrischen Automobil- harz-Pressstoffe im Innenbereich ihrer heber und Halter statt aus Metall aus ther- Ausrüstung aus Bakelit hergestellt wer- Automobile, z.B. für Armaturenbretter moplastischem Celluloseacetat (Tenite, den: z.B. Zündverteiler, Stromabnehmer des DKW F4 [31]. Bild 4 zeigt am Beispiel USA) [35], ab 1938 aus dem neuen Poly- zur Zündspule,Verschlussdeckel für Mag- eines DKW F7 Meisterklasse von 1937, styrol (Trolitul, Dynamit AG, Troisdorf) netzünder, Kabelstecker, verschiedene dass am Armaturenbrett – gepresst aus (Bild 5) [36]. Anschlussplatten und Büchsen zu Ver- dem (fein gemasertem) Phenoplast Ha- Für die Innenauskleidung wurde un- schlusskappen [22].Aber auch Zündspu- res (H. Römmler AG, Spremberg [32]) – ter anderem Kunstleder verwendet. Die- len, Sicherungskästen und elektrische auch die Knöpfe, Schalter, der Griff der ses besteht aus einem textilen Träger- Schalter aus Phenoplasten oder Akkumu- Gangschaltung und das Lenkrad [1, 33] material und einem Filmbilder mit Pig- latorenkästen aus Buna-Synthesekau- aus diesem Werkstoff gefertigt sind.Eben- menten und Füllstoffen. Der früheste tschuk wurden spätestens ab den 1930er- falls bestehen Aschenbecher (England,ab Filmbildner für „Ledertuch“ war ein Kau- > Jahren verwendet [1]. Ab etwa 1930 gelang die Produktion von PVC- Mischpolymerisaten mit guten Ei- genschaften auch für die Elektroin- dustrie (Mipolam,Igelit) [23 bis 25]. In Deutschland überzog man ab 1904/05 Elektrokabel mit „Acetat- lack“ aus Celluloseacetat (Cellit/Cel- lon) [26,27].Mit der Produktion des ersten synthetischen Kunststoffs von Leo Hendrik Baekeland, dem Phe- nolharz Bakelit, 1910 in Erkner bei Berlin wurde auch die Herstellung von elektrischen Isolierstoffen re- volutioniert. Das betraf zum einen die Materialien für die Ummante- lung der elektrischen Kabel,wo nun- mehr Phenolharzlacke [28], aber auch flächige Isoliermaterialien wie phenolharz-laminiertes Papier (z.B. Hares-Hartpapier [29], Pertinax) verwendet werden konnten [23]. Ab 1925 werden Alkydharze, ab etwa 1926/30 Harnstoffharze [23, 30] als Rohstoffe für Lacke bzw. Laminate eingesetzt.

Innenausrüstung

In den Stahlrohr- oder Holzkutschen der Pionierzeit Ende des 19. Jahr- hunderts waren Bedienungselemen- te und unbewegliche Einrichtungs- objekte nur sehr spärlich vorhanden. Nachdem ab den 1920er-Jahren die geschlossene Limousine, der soge- nannten „Innenlenker“ (Lenkung, Schalthebel und Bremsen waren nicht mehr außen angebracht) sich mehr und mehr durchsetzten, rück- te auch der nunmehr vorhandene „Innenraum“ stärker ins Blickfeld. Die Bedienungselemente wurden mit der Zeit alle nach innen verlegt, die meisten unter der Frontscheibe ans „Armaturenbrett“. Bestanden

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tschuküberzug mit Leinölfirnis. Durch Druckprägung erhielt „Ledertuch“ seine lederartige Oberflächenstruktur [37]. Weiterhin wurde Kunstleder auf Cellulo- senitratbasis [38,39],ab Mitte der 1930er- Bild 5. Polystyrol Jahren aus Polyvinylchlorid-(PVC)- anstelle von Mischpolymerisaten mit Weichmachern Metall bei Tür- hergestellt [40]. griffen, Fenster- 1939 werden erstmals Sonnenblenden hebern und Hal- aus thermoplastischem PVC vorgestellt terungen (Foto: [17]) [41]. Die Sitze des DKW F7 in Bild 4 [1], ebenso die Sitze in einem Spezial-Omni- bus vom Ende der 1930er Jahre (Bild 6) [42], dürften aus PVC-Kunstleder gefer- tigt sein. Neuartig ist hier auch die Verwendung von Resopal-Schichtstoffplatten für die pumpen, bruchsichere und ölresistente tenteile des Hanomag 2/10 PS von Decken- und Wandverkleidung (Bild 6) Kraftstoffleitungen, Hochdruck-Brems- 1924/25 („Kommissbrot“, „Kohlenkas- [42]. Ebenso finden sich zu dieser Zeit in schläuche, die Aufhängung des Motor- ten“, „Chausseewanze“ oder „rasender Omnibussen z.B. auch erstmals Halte- getriebeblocks, die Lagerung von Kar- Gartenstuhl“) teilweise aus preiswertem, stangen aus Kunststoff [1]. derngelenken, Kupplungen und Feder- geleimtem Sperrholz [43,44] (Bild 7) [45]. dämpfern wurden Ende der 1930er-Jah- Am Anfang der Sperrholzfabrikation, Technische Ausrüstung re verschiedene Buna-Sorten verwendet d.h.ab 1893 [46] wurde Kaseinleim,Glu- [1]. Schließlich bestanden Bremsbeläge teinleim und später Bluteiweißleim ver- Auch im Bereich technischer Teile fan- zu dieser Zeit aus Buna und Metallwol- wendet.Solche unmodifizierten Protein- den schon früh verschiedene Kunststoff- le [1]. Heute finden sich in diesen Berei- leime haben eine begrenzte Feuchte- und arten breite Anwendung. Steuerungsge- chen Polyamide, Polypropylen, moder- Wärmebeständigkeit, sind anfällig für lenke mit Kunstharzbüchsen, Lagerkrän- ne Kautschuke und viele andere Kunst- Schimmel- und Fäulniserreger und ha- ze und Zahnräder aus Phenolharz-Lami- stoffsorten. ben meist nur begrenzte Bindefestigkeit. nat oder Benzinförderpumpen aus Seit etwa 1903 führte die Behandlung mit Pressstoff wurden eingebaut [1, 12]. Um Außenbereich Formaldehyd zur Vernetzung der ei- die schwierige Abdichtung der Motor- weißhaltigen Substanzen und damit zu kurbel- und Getriebewelle zu sichern, Nach der anfänglichen „Motorkutschen“- beständigeren Leimfilmen [47]. Nach wurden Buna-Simmerringe eingesetzt Zeit wurden die Automobilformen 1910 wurden Phenolharzbinder, ab Mit- [1]. Für schmierungsfreie Wasser- „schnittiger“ und besaßen z.B. auch ab te der 1930er-Jahre auch Aminoplast- dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhun- leime verwendet. derts „Trittbretter“,siehe Bild 3.Deren Be- Die Sperrholzteile wurden aus Witte- lag war zunächst aus Gummi, dann aber rungsschutz-, aber auch aus optischen ab den 1930er-Jahren aus PVC [1]. Für Gründen mit Kunstleder überzogen. Scheibenwischerblätter wird bis heute Beim Wanderer W10/II von 1928 waren Gummi verwendet, am Anfang Natur- die oberen Karosserieteile mit Kunstleder kautschuk, dann spätestens ab den auf Cellulosenitratbasis [39], der Heck- 1930er-Jahren Synthesekautschuk [1]. koffer mit „Ledertuch“ aus einem Kau- Die Autoschilder bestanden in den tschuküberzug mit Leinölfirnis kaschiert 1930er-Jahren aus dem harten, aber fle- [37, 39]. xiblen PVC-Typ Astralon [41]. Die Alternative zu den teureren Blech- teilen oder den relativ empfindlichen Karosserie kunstlederüberzogenen Sperrholzplatten waren Kunststoffe.Ab 1935/36 wurde von Die Automobil-Urtypen waren offene der Auto Union, Chemnitz/Zwickau, der Metall- (linkes Titelbild) oder Holzkut- erste Versuchstyp einer „Kunstharzkaros- schen.Gegen die Unbilden der Witterung se“ vorgestellt [31]. Es handelt sich wurden später textile Verdecks montiert. zunächst um Frontwagentüren des DKW Mit der Zeit verbreitete sich der Typ der F5 aus Hares-Hartpapier-Pressstoff der geschlossenen Limousine aber immer H. Römmler AG, Spremberg. Der An- mehr. Dies setzte einen Fahrzeugaufbau, spruch des Spremberger Direktors d.h. eine Karosserie auf dem Fahrgestell Kuntze, als Erfinder der Kunststoffkaros- voraus. Diese waren anfangs „nicht serie zu gelten, führte zu Patentstreitig- Bild 6. Inneneinrichtung eines Omnibusses mit Sitzen selbsttragend“, d.h. die nach außen keiten mit der Auto Union,die sich in Fol- aus PVC-Kunstleder und Resopal-Schichtstoffplatten abschließenden Teile wurden zunächst ge dem Konkurrenten, der Dynamit AG für die Decken- und Wandverkleidung, Ende der direkt auf das Fahrgestell oder den Rah- in Troisdorf, zuwandte [31]. Diese liefer- 1930er-Jahre (Foto: [42]) men aufgesetzt. So bestanden die Plat- te dann ab 1937 Karosserieteile aus einem

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verbesserten Phenolharz-Pressstoff mit Krepp statt einfachen Papierbahnen. Eine Weiterentwicklung war der Pressstoff Pete mit einem Anteil von 60 % Natronzellulose als Füllstoff. 1937 schaffte dafür die Dynamit AG eine der damals größten Pressen von 5000 t Pressdruck an [1, 31, 48]. Ab 1939 wurden dann die Teile einer Versuchsversion der geschlossenen F8-Limousine aus Phenolharz-Pressstoff gefertigt (Bild 8). Da umfangreiche Kata- pultversuche zeigten, dass die Pressstoffteile im „Crashtest“ den damaligen Konkurrenzmodellen mit Blechausrüstung ebenbür- tig waren,stand einer Großproduktion zunächst nur der Kriegs- ausbruch im Wege. In den USA wurde erst 1941 der erste Ford-Versuchswagen mit einer Karosserie aus Phenolharz und beigemengten Holz-, Flachs- und Hanffasern der Öffentlichkeit vorgestellt [49]. In der DDR wurde nach dem Krieg zwischen 1949 und 1955 der IFA F8 als Fortentwicklung des ursprünglichen, fast bau-

Bild 7. Hanomag 2/10 PS Limousine mit Plattenteilen aus geleimtem Sperrholz, 1924/25 (Foto: Wikipedia)

Bild 8. Karosserieteile des DKW F8 aus Phenolharz-Pressstoff, 1939 (Foto: August Horch Museum, Zwickau)

gleichen DKW F8 im Automobilwerk Zwickau produziert. Zurückgreifend auf die Vorreiterrolle der Auto Union im Kunst- stoff-Karosseriebau und aus Mangel an metallischen Rohstof- fen wurden ab Februar 1953 Motorhauben und Dächer aus Phe- nolharz mit Baumwoll-Füllstoff gepresst [50]. 1954 wurde der erste Prototyp eines P50 getauften Modells gefertigt. Im Jahre 1957 wurde in Zwickau eine Nullserie von 50 Fahrzeugen ge- baut, ursprünglich P 70, dann aber genannt [31]. >

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fe bei der Absorption der Aufprallener- gie gegenüber Stahl- oder Aluminium- blechen um das bis zu Vierfache überle- gen [56].Allerdings sind diese Werkstoff- und Verarbeitungstechnologien noch re- lativ teuer und werden eher in der Luft- oder Raumfahrt oder in spektakulären Automobil-Kleinserien,wie z.B.exklusi- ven Sportwagen (rechtes Titelbild) einge- setzt. Auf dem Weg zum leichteren und damit kostengünstigeren Automobil baut man vor allem Einzel-Karosserieteile wie Stoßfängerschürzen, Kotflügel, Sei- tentüren, Heckklappen, Heckspoiler aus glas- oder kohlefaserverstärkte Kunst- stoffen verschiedener Art (GFK, CFK) Bild 9. Karosserieteile des aus Phenolharz mit Baumwoll-Füllstoff ein. Geschäumte-Polyurethan-Compo- (Foto: August Horch Museum, Zwickau) sites mit Matten aus Glas-, Kohle- oder Naturfasern (Hanf, Sisal und Flachs) gehören zum neuesten Stand der Ent- wicklung [57]. Heute stecken in jedem Auto im Durchschnitt 170 kg der unterschiedlichs- ten Kunststoffe. Ihr Anteil am Gesamtge- wicht hat sich,obwohl sie überproportio- nal leicht sind,in den vergangenen 50 Jah- ren mehr als verzehnfacht. Der Anteil der Kunststoffe im Automobilbau wird noch zunehmen. Ein besonders wichtiger Aspekt für die Materialien der Zukunft wird dabei ihre Umweltverträglichkeit und Rezyklierbarkeit sein [58].

LITERATUR Die umfangreichen Literaturquellen sind zu finden unter www.kunststoffe.de/A042

DER AUTOR Bild 10. DKW Monza mit GF-Polyester-Karosserie 1956 (Foto: Wikipedia) DR. DR. H.C. DIPL.-CHEM. GÜNTER LATTERMANN, geb. 1943, war von Ab 1959 ging im nunmehr VEB Sachsen- Heutiger Stand, Ausblick 1978 bis 2008 Akad. Direktor an der ring Automobilwerke Zwickau der Tra- Universität Bayreuth, Makromoleku- bant 500 (Bild 9) in Großserie [51]. Der Die gesamte Entwicklung des Gebrauchs lare Chemie I. Seit 2007 ist er Vorsitzender der Deut- „Trabbi“ wurde in mehreren Varianten von Kunststoffen nach dem zweiten Welt- schen Flüssigkristall-Gesellschaft DFKG. 2005 gründe- bis April 1991 produziert. krieg bis heute auch nur annähernd nach- te er die Deutsche Gesellschaft für Kunststoffge- Aber auch im Westen (Auto Union, zuzeichnen, würde den Rahmen dieses schichte dgkg (seit dieser Zeit Vorsitzender). Darüber Ingolstadt) war das Konzept der Kunst- Artikels bei Weitem sprengen. hinaus gründete er die elektronische Zeitschrift für stoffkarosserie lebendig geblieben. So Einzelaspekte im Bereich der techni- Kunststoffgeschichte e-plastory (Hauptredakteur). experimentierte man bis 1957 an Ver- schen Ausstattung und im Innenbereich suchswagen (DKW STM II-Dreisitzer, haben enorme Entwicklungen vollzogen. SUMMARY STM III-Viersitzer) mit Kunststoffka- Als Beispiel sei hier nur die Herstellung FROM RUBBER TIRES rosserien [52]. Der DKW Monza von der Kraftstoffbehälter aus hochdichtem TO PLASTIC CARS 1956 wurde in einer Stückzahl von 230 Polyethylen [55] oder der Scheinwerfer- AUTOMOTIVE. Polymer materials have been used in au- Exemplaren gebaut. Er besaß eine oder Rücklichterverkleidungen aus Poly- tomobiles since the very beginning. The first motor ve- neuartige Karosserie aus glasfaserver- carbonat genannt. hicles ran on hard rubber tires. From here it took a long stärktem Polyester (GF-PE) (Bild 10) [53], Karosserien vollständig aus Kunststoff time to reach the level of use seen in today’s vehicles. ein Verbundwerkstoff, der 1953 zum herzustellen, wäre heute technisch abso- This article looks back over the first 50 years, but also ersten Mal bei der Corvette von Chevro- lut möglich. Neben den relativ „einfa- casts a glance at current developments and closes with let (General Motors) eingesetzte wurde chen“ Vorteilen (z.B. geringes Gewicht, the outlook for future use. [54]. Witterungsbeständigkeit, Festigkeit und Mit dieser Entwicklung begann ein Rostfreiheit) sind auch die Verformbar- Read the complete article in our magazine weiteres Kapitel der Kunststoffe im Auto- keitseigenschaften der heute eingesetzten Kunststoffe international and on mobilbau, das bis heute anhält. Hightech-Kunststoff-Verbundwerkstof- www.kunststoffe-international.com

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