Vom Gummireifen Zur Kunststoffkarosse
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104-111_KU110402_KU5 04.05.2010 10:42 Uhr Seite 104 100 JAHRE KUNSTSTOFFE Mercedes-Benz SLR McLaren aus kohle- faserverstärktem Kunststoff (CFK), 2003 (Foto: Wikipedia) Karl Benz am Steuer seines dreirädrigen Patent-Motorwagens Nr. 1 von 1886 (Foto: [59]) Vom Gummireifen zur Kunststoffkarosse Automobil. Der Gebrauch von Kunststoffen in Automobilen ist eigentlich so alt wie diese selbst. Das erste Automobil lief auf Vollgummireifen. Von da war es ein langer Weg zur umfangreichen Verwendung von Kunststoffen in den heutigen Kraftfahrzeugen. Betrachtet werden hauptsächlich die ersten 50 Jahre, aber immer wieder wird auch ein Blick auf die heutige Entwicklung geworfen und zum Schluss ein kurzer Ausblick angefügt. GÜNTER LATTERMANN meldet,wurde das Patent dafür gegen En- und schlechtere Fahreigenschaften als die de des Jahres erteilt. Die erste öffentliche späteren luftgefüllten Gummireifen (John ieser Artikel gibt einen Überblick Probefahrt seines „Wagens ohne Pferde“ Boyd Dunlop, 1888). Diese wurden 1895 über Kunststoffe im Automobil- erfolgte im Sommer 1886. Das linke Titel- erstmals für Automobile von den Gebrü- D bau. Bereits vor 71 Jahren erschien bild zeigt Karl Benz am Steuer dieses ers- dern Edouard und André Michelin aus ein „Rückblick auf die Internationale ten – dreirädrigen – Automobils. Es hat- Clermont-Ferrand an einen Peugeot Automobil- und Motorrad-Ausstellung te gegenüber seinem Konkurrenten, der Éclair montiert [4] – die berühmten Berlin 1939“ mit dem Titel „Kunststoffe bereits vierrädrigen, hölzernen „Motor- „Pneus“ (von griechisch „pneuma“ = im deutschen Kraftfahrbau“, der auch kutsche“ von Gottlieb Daimler einen Wind, Atem) nahmen ihren Lauf. damals bereits in der Zeitschrift Kunst- wichtigen Vorteil: seine Räder waren nicht Der erste Luft-Reifen aus vollsyntheti- stoffe veröffentlicht wurde [1]. eisenbeschlagen, sondern hartgummibe- schem Methylkautschuk wurde 1910 von reift. Zu dieser Zeit bestand Hartgummi der Continental Caoutchouc Compagnie Reifen aus Naturkautschuk,der mit einem höhe- in Hannover präsentiert und sogar in das ren Gehalt an Schwefel versetzt und in der Auto des deutschen Kaisers höchstselbst Der Maschinenbauingenieur Karl Benz endgültigen Form durch Erhitzen „vul- eingebaut [5]. baute das erste Automobil mit Verbren- kanisiert“, d.h. seine elastischen Eigen- nungsmotor [2]. Im Frühjahr 1886 ange- schaften erhielt. Als Reifenmaterial wur- Fenster de es zum ersten Mal von Thomas Han- ARTIKEL ALS PDF unter www.kunststoffe.de cock 1852 für Fahrräder verwendet [3], Aber auch andere Kunststoffe waren für Dokumenten-Nummer KU110402 hatte aber einen höheren Rollwiderstand die noch sehr junge Automobilindustrie 104 © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 5/2010 2010CarlHanserVerlag, München www.kunststoffe.de/Kunststoffe-ArchivNichtzur Verwendung in Intranet-und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern 104-111_KU110402_KU5 04.05.2010 10:42 Uhr Seite 105 100 JAHRE KUNSTSTOFFE interessant. So war man mit zunehmend „Ziehglas“ hergestellt [8]. Dieses war al- „schnelleren“ Wagen schon früh gezwun- lerdings nur bis zu 4 mm dick, also rela- gen, die zwischen 1886 und 1920 übli- tiv dünn, leicht zerbrechlich und emp- cherweise mehr oder weniger offenen findlich bei Steinschlag oder sonstigen Motorkarossen zunächst mit „Wind- Stößen. Daher suchte man schon früh schutzscheiben“ zu versehen. Bei „Lan- nach Alternativen für den Automobilbau. daulets“ wurde wenigstens der Fahrgas- Nachdem in Deutschland die erste Pro- traum mit einem Faltdach versehen. Von duktion von Celluloseacetat nach den Pa- Anfang an wurden aber auch schon voll- tenten von Arthur Eichengrün 1909 un- kommen geschlossene Limousinen, wie ter dem Markennamen Cellon bei der die Renault Voiturette Typ B von 1889 ge- Rheinisch-Westfälischen Sprengstoff AG baut, um die Insassen besser vor Witte- in Troisdorf anlief, wurden bereits 1912 rungseinflüssen zu schützen. Hierfür wa- „biegsame Cellonscheiben im Sommer- ren allerdings mindestens vier Sichtfens- verdeck einer Daimler-Karosserie“ als ter nötig.Die Produktion von geeignetem „unzerbrechliches“ Glas verwendet [9]. Flachglas war aber lange Zeit ein großes Allerdings setzten sich die Cellonschei- Problem. Die noch weitgehend hand- ben nicht durch, da sie zu feuchtigkeits- werklichen Herstellungsmethoden von empfindlich und langfristig nicht form- Spiegelglas führten ohne teures Polieren beständig waren. Kunststofffenster blie- zu Flachgläsern mit im Durchblick op- ben allerdings auf der Tagesordnung, da tisch verzerrenden Eigenschaften. Erst ab ab 1935 das neue „organische Glas“, das 1913 [6] (in Deutschland ab 1922 [7]) Plexiglas, industriell von der Röhm und wurde das verbesserte, aber optisch im- Haas AG in Darmstadt gefertigt wurde. mer noch „unruhige“, erste industrielle Der Herstellungsprozess bei leichter > Bild 1. Opel Super 6 Stromlinienwagen, vollständig mit Plexiglas ausgerüstet, 1937 (Foto: [10]) Bild 2. Messerschmitt-Kabinenroller mit Kanzel aus Plexiglas (Foto: [12]) Kunststoffe 5/2010 105 2010CarlHanserVerlag, München www.kunststoffe.de/Kunststoffe-ArchivNichtzur Verwendung in Intranet-und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern 104-111_KU110402_KU5 04.05.2010 10:42 Uhr Seite 106 100 JAHRE KUNSTSTOFFE thermischer Verformbarkeit und die op- tischen Eigenschaften waren so gut, dass ab 1937 vor allem sphärische Scheiben auch für den Automobilbau gefertigt wurden. Dies zeigen z.B. die gebogenen Fensterscheiben eines Stromlinienwagens von Opel (Bild 1) oder eines Stromlinien- busses [10] und das Sonnendach bei ei- ner Opel-Olympia-Limousine von 1939 [1]. Allerdings konnte sich auch die Ple- xiglasscheibe wegen zu geringer Material- härte und Kratzfestigkeit nur in wenigen Fällen im Automobilbau durchsetzen – ganz im Gegensatz zur großen Verwen- dung als Pilotenkanzeln im Flugzeugbau [11], wo Steinschlag keine Rolle spielt. Direkt abgeleitet von Pilotenkanzeln ist die vielleicht bekannteste Verwendung von Plexiglas im Kraftfahrzeugbau beim Messerschmitt-Kabinenroller von 1953 (Bild 2) [12]. Heute sind die Autoscheiben der übli- chen Großserienmodelle zwar immer noch nicht aus Kunststoff, obwohl die Bild 3. Ford Model A mit Autoscheiben aus Sicherheitsglas, Kratzfestigkeit des nunmehr favorisierten die mit Celluloseacetat laminiert sind, 1927 (Foto: Wikipedia) Polycarbonats durch verschiedene Be- schichtungstechniken – dadurch aber ZaZen-Versuchswagen auf der Basis des ben ein.Zum ersten Mal wurde dieses zu- auch der Preis – wesentlich höher gewor- Porsche Carrera 911 das Polycarbonat- kunftsweisende laminierte Sicherheitsglas den ist. Allerdings werden bei Versuchs- dach als Sonnenschutz auf Knopfdruck 1927 im Ford Model A verwendet (Bild 3) ausführungen von Sportwagen,bei denen wie Milchglas eintrüben [13, 14]. [15 bis 17]. Heute finden sich in jedem es besonders auf Leichtigkeit ankommt, Die andere Alternative für Autoschei- Kraftfahrzeug Sicherheitsgläser mit ande- Polycarbonatscheiben als Material für ben – das Sicherheitsglas – wurde wesent- ren Polymeren als Zwischenschicht (Po- großflächige Dachkuppeln eingesetzt. lich erfolgreicher. Ab 1927 bettete man lyvinylbutyral). Darüber hinaus lässt sich beim Rinspeed- Celluloseacetat zwischen zwei Glasschei- Elektrische Ausrüstung Alle elektrischen Ausrüstungen (Elektro- motoren, Kondensatoren und Kabel) benötigen Isolationsmaterial als Trenn- materialien,Ummantelungen und schüt- zende Lacke.Bei geformten Isolationsma- terialien waren dies vor 1910 entweder Glimmer, Holz, Porzellan, oder Compo- sitemateralien wie Glimmer-Pressmate- rial mit Schellack als Bindemittel, Vul- kanasbest (vulkanisierte Mischung aus Gummi und Asbest) oder temperaturbe- ständigere, gummifreie Isolierstoffe mit Füllmitteln wie Asbest, Schiefer- oder Marmormehl und Naturharzen (Schel- lack oder Kopal) als Bindemittel [18], bei Ummantelungen bzw. Harzen Guttaper- cha, Gummi, Schellack- und Kopallacke. Im Jahr 1887 setzte die Firma Robert Bosch in Stuttgart einen Magnetzünder bei stationären Gasmotoren ein. 1897 wurde ein solcher Zünder erstmals in ei- nen Kraftfahrzeugmotor eingebaut. Da- mit war eines der größten Probleme im frühen Automobilbau gelöst. 1901/02 Bild 4. Innenausrüstung eines DKW F7 Meisterklasse von 1937. Armaturenbrett, Schalter, Hebelgriffe wurde durch die Entwicklung eines und Lenkrad aus Phenoplast (H. Römmler AG, Spremberg), Sitze mit Kunstleder überzogen (Foto: Deut- Hochspannungsmagnetzünders der Weg sches Museum, München) frei für immer schneller laufende Benzin- 106 © Carl Hanser Verlag, München Kunststoffe 5/2010 2010CarlHanserVerlag, München www.kunststoffe.de/Kunststoffe-ArchivNichtzur Verwendung in Intranet-und Internet-Angeboten sowie elektronischen Verteilern 104-111_KU110402_KU5 04.05.2010 10:42 Uhr Seite 107 100 JAHRE KUNSTSTOFFE motoren [19]. Der Zünder Typ ZF4 von z.B. Lenkrad und Bremsen in der Früh- 1936 [34]), Gehäuse und Ziffernblätter 1911 [20, 21] enthielt Phenolharz – ein zeit noch aus Holz und Metall, so werden von Tachometern oder Leuchtanzeiger Jahr nachdem erstmals Bakelit produziert dafür in den 1930er-Jahren in großem für Nah- und Fernlicht spätestens ab die- wurde.Im Bosch-Zünder,der „Zeitschrift Ausmaß die neuen Kunststoffe verwen- ser Zeit aus Phenoplast,Lenkrad-Verklei- für alle Angehörigen der Robert Bosch det. Die DKW/Auto Union in Zscho- dungen aus Buna-Synthesekautschuk [1]. AG“ wird 1925 detailliert aufgeführt,wel- pau/Zwickau verwendet ab 1934 Phenol- Ab 1936 finden sich Türgriffe, Fenster- che Teile der elektrischen Automobil- harz-Pressstoffe im Innenbereich ihrer heber und Halter