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Sonderdrucke aus der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

DIETRICH HAKELBERG

Salomon Franck und der „Treumeinende“

Originalbeitrag erschienen in: Wolfenbütteler Barock-Nachrichten 34 (2007), S. [153]-158 DIETRICH HAKELBERG und der „Treumeinende"

Die für die Musik- und Literaturgeschichte des vorklassischen so einschnei- denden Verluste regionalspezifischer Drucke und Handschriften nach dem Brand der Herzogin Anna Amalia Bibliothek im September 2004 betreffen auch das Werk des Weimarer Hofpoeten Salomon Franck (1659-1725)2 In diesem wenig erfreu- lichen Zusammenhang wird Franck auch wieder als Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft genannt, 2 deren zweites Oberhaupt Herzog Wilhelm IV. von Sachsen- Weimar von 165i bis zu seinem Tod 1662 war. Da der Weimarer Hofdichter in den Mitgliederverzeichnissen der Fruchtbringenden Gesellschaft, die formal nur bis i68o bestand, gar nicht erscheint, soll hier der Frage von Francks Mitgliedschaft kurz nachgegangen werden. Als Sohn des Gerichts- und Kammersekretärs Jakob Franke und der Dorothea Maria Brandes in Weimar geboren, hatten die Eltern für Salomon wohl schon früh eine Beamtenlaufbahn vorgesehen. So ließen sie ihn noch als Kind im Jahr 1670 an der Universität prädeponieren, vermutlich um ihren Sohn später vor den rauhen Initiationsriten der Studentenschaft zu schützen. 3 Franck schrieb sich am i . Okto- ber 1677 in Jena ein zweites Mal ein und war dort noch 1682 Student der Rechte. Kurzzeitig in Zwickau tätig, hielt sich Franck seit 1683 in Arnstadt auf, wo er 1689 als Gräflich-Schwarzburgischer Regierungssekretär Anstellung fand. 1697 wurde er Regierungs- und Konsistorialsekretär in Jena. Von 1701 bis zu seinem Tod 1725 war er Oberkonsistorialsekretär in Weimar und auch Bibliothekar an der herzoglichen Bibliothek unter Herzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar (reg. 1683-1728). Franck scheint ein typischer Vertreter des bürgerlichen Beamten jener Zeit gewesen zu sein, der als Sekretär in der unteren Ämterhierarchie des frühabsolutistischen Verwaltungs- staates sein Auskommen gefunden hatte. Literarische Kompetenz und künstlerisch- wissenschaftliche Interessen gehörten zum Selbstverständnis solcher Beamten, zu denen

Für ergänzende Hinweise danke ich Andreas Herz. — Zum Beziehungsgeflecht der seltenen Weimarer Gelegenheitsschriften und ihrer Bedeutung für die Bach-Forschung vgl. Michael Maut »Alles mit Gott und nichts ohn' ihn" — Eine neu aufgefundene Aria von Johann Seba- stian Bach, in: Bach Jahrbuch 2005 (2006), S. 7-34• 2 Johannes Mangei, Welche Bücher sind verbrannt? Versuch einer Charakterisierung der Weimarer Buchverluste, in: Claudia Kleinbub, Katja Lorenz und Johannes Mangei (Hg.), „Es nimmt der Augenblick, was Jahre geben". Vom Wiederaufbau der Büchersammlung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek, Göttingen 2007, 28f.; zuvor: Jürgen Weber, Konturen. Die Herzogliche Bibliothek 1691-1758, in: Michael Knoche (Hg.), Herzogin Anna Amalia Bibliothek — Kulturgeschichte einer Sammlung, München 1999, S. 42. 3 Bio-bibliographisch grundlegend: Lothar Hoffmann-Erbrecht, Bachs Weimarer Textdichter Salomo Franck, in: in Thüringen, Weimar 195o, S. z 20- 133. 154 Dietrich Hakelberg etwa auch Francks Vorgänger als herzoglicher Bibliothekar, der Erzschreinhalter der Fruchtbringenden Gesellschaft (162I-168i) gehörte. Neben seinen dienstlichen Pflichten war Franck umfänglich als Gelegenheitsdichter und als Texter für die herzogliche Kirchenmusik tätig. Bereits aus dem Jahr 1694 ist mit der Evangelischen Seelen-Lust ein handschriftlicher Kantatenjahrgang Francks über- liefert, der wohl noch mit Musik des kränklichen Hofkapellmeisters Johann Samuel Drese oder des Stadtkantors Georg Theodor Reineck in der Weimarer Schloßkirche, der »Himmelsburg", aufgeführt wurde. An der Person Francks besteht insbesondere deshalb ein großes Forschungsinteresse, weil Johann Sebastian Bach (1.685-1750), der von 1708-1717 am Weimarer Hof angestellt war, nach seiner Ernennung zum Konzertmeister 1714 für eine regelmäßige Kirchenmusik zu sorgen hatte und dazu auf die Kantatentexte des Weimarer Hofdichters zurückgriff. 4 Die Überlieferung der Kantatentexte Salomon Francks ist auch für die Rekonstruktion der Chronologie von Bachs Kantatenaufführun- gen in Weimar bedeutsam. Außer einem breiten Spektrum weltlicher Gelegenheitslyrik und geistlicher Lieder umfassen Francks Dichtungen Kantaten ,alten Stils< mit Bibelwort und Strophendichtung, Kantaten einer Übergangsform aus Arien, Chören und einem Schlußchoral sowie die von (1671-1756) favorisierte neuartige Kantatenform mit einem Wechsel von Arien und Rezitativen. Bei mindestens 13 über- lieferten und von Bach in Weimar vertonten Kantaten gilt die Urheberschaft Francks für die Textvorlagen als gesichert. 5 Dichtungen aus Francks gedruckten Kantatenjahrgängen wurden außerdem von dem Sondershäuser Hofkapellmeister Johann Balthasar Christian Freislich (1687-1764) und dem Frankfurter Kapelldirektor Johann Christoph Bodinus (169o-1727)6 sowie von Georg Philipp Telemann (168I—1767) vertont. Das erste veröffentlichte Werk des 26jährigen Franck ist eine kleine Gedichtsamm- lung, die unter dem Titel Geistliche Poösie in Bachs Geburtsjahr erschien.? Es handelt sich um einen ganz außerordentlich seltenen Druck. Schon Johann Karl Schauer hatte 1855 in seiner Bibliographie der Werke Francks geschrieben: »Bis daher den Hymnologen und Literar-Historikern völlig unbekannt, und vom Herausgeber den 9. Juni 1852 erst wieder auf der Universitätsbibliothek zu Jena aufgefunden (was bis jetzt das einzige bekannte Exemplar ist), dadurch aber das Räthsel mancher anonymer Lieder glücklich gelöst ... Die Dedication an sein M Schwager Schäffer in Arnstadt

4 Alfred Dürr, Bach als Hofkompositeur, in: Reinmar Emans (Hrsg.), Der junge Bach — weil er nicht aufzuhalten... Erste Thüringer Landesausstellung, 23. Juni — 3. Oktober 2000, Erfurt

2000, S. 296- 308. 5 Joshua Rifkin und Konrad Küster, [Art.] Franck, Salomo, in: The New Grove Diction- ary of Music and Musicians, Bd. 9, London 2 2001, S. i 90 ; Alfred Dürr, [Art.] Franck, Salomon, in: Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, Bd. 6, Kassel u. a. 22001, Sp. 1635-1637. 6 Karla Neschkedobann Balthasar Christian Freislich (1687-1764). Leben, Schaffen, Werküber- lieferung (Schriften zur Mitteldeutschen Musikgeschichte 3), Oschersleben 2000, S. 88f. 7 Salomon Franckens aus Weimar Geistliche Posie. Weimar Verlegt und zufinden Bey Johann Andreas Müllern/ F. S. Hof-Buchdrucker/ Anno 1685. [VD 17 23:670182R].

Salomon Franck und der „Treumeinende" ISS

Abb. 1: Das Titelblatt von Salomon Francks erster Gedichtsammlung [HAB: Ti 7o] i56 Dietrich Hakelberg

... ist von Jena aus unterm 13. April 1685 vom ,Treumeinenden der fruchtbringenden Gesellschaft' (wie er sich unterschreibt) gestellt."' Wie Schauer kannten auch Goedeke und Hoffmann-Erbrechte nur das Jenaer Exem- plar (Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek: 8° Phil.VIII, i io [7]). Dieses ist in einen i i Stücke umfassenden Sammelband gebunden, der neben dem Werk Francks u. a. auch Kaspar Zieglers dichtungstheoretische Schrift Von den Madrigalen Einer schönen und zur Musik beqvemesten Art Verse (: Johann Wittigau für Christian Kirchner 1653) enthält. Der außergewöhnliche Sammelband wurde 1701 durch den Medizinprofessor Georg Wolfgang Wedel für die von ihm kuratierte Bibliothek von Caspar Sagittarius im Bestand der Universitätsbibliothek Jena erworben.' Ein weite- res Exemplar der Geistlichen Poisie befindet sich in der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel (Abb. 1), ein drittes in Privatbesitz stammt aus der restituierten Bibliothek des Bankiers Paul Wallich und ist mitten in die dritte Breslauer Sammelausgabe der Werke Daniel Caspers von Lohenstein aus dem Jahr 1689 eingebunden. Im Bestand der Herzoglichen Bibliothek in Weimar war die Geistliche Poösie anscheinend schon im 19. Jahrhundert nicht mehr vorhanden; ebenso fehlt der Druck in der Bibliotheca Societatis Teutonicae in der Universitätsbibliothek Leipzig, in deren Sammlung andere Werke Francks vertreten sind," sowie in den einschlägigen Barockbibliographien. Die Geistliche Poösie wurde 1685 von Johann Andreas Müller in Weimar gedruckt, der seit 1684 privilegierter sächsischer Hofbuchdrucker war.' Der schmale Oktav- band enthält insgesamt 51 Dichtungen: 4o Lieder, drei Sonette, vier Geistlich-Poeti- sche Geschicht-Reden, die Dichtung Beschreibung der Welt sowie Francks deutsche Nachdichtung eines anonymen lateinischen Gedichtes nach Röm. 7, zff. Bellum intestinum, hominis interioris & exterioris. Zwei Texte in der Geistlichen Poösie fallen deutlich aus dem Rahmen und lassen nach Hoffmann-Erbrecht „früheste Ansätze zu kantatenhaften Dichtungen" erkennen.' Die wohl für das Osterfest bestimmte Dichtung Auf den triumphirenden Jesum mit dem Textbeginn „Jtzt lebet Jesus unsre Wonne" umfaßt sechs Strophen, die von einem wiederholten „Chorus" unterbrochen werden ( »Triumph! Triumph! Triumph! Wo bleibt der Hölle Siegen?"). In Dialogform angelegt ist das Gespräch eines betrübten Sünders mit seinem Erlöser (»Höchster/ soll

8 J[ohann]. K[arl]. Schauer, Salomo Francks geistliche Lieder in einer zeitgemäßen Auswahl treu nach dem Urtexte wiedergegeben ... (Geistliche Sänger der christlichen Kirche deutscher Nation, hg. von Wilhelm Schircks, Sechstes Heft), Halle 1855, S. XXXVII. 9 Karl Goedeke, Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtung. Dritter Band, Dresden 1887, S. 299, Nr. 67; Hoffmann-Erbrecht (wie Anm. 3), S. 13o. 10 Frdl. Mitteilung von Joachim Ott, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena. I I Ernst Kroker, Katalog der Büchersammlung der Deutschen Gesellschaft in Leipzig, Bd. I, Leipzig 1971, S. 191f. 2 Christoph Reste, Die Buchdrucker des 16. und 17. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebiet. Auf der Grundlage des gleichnamigen Werkes von Josef Benzing, Wiesbaden 2007, S. 954. 13 Hoff mann-Erbrecht (wie Anm. 3), S. 125. Salomon Franck und der „Treumeinende" 157 ich gantz verzagen?"), wobei die Strophenform bei den Dialogpartnern „Sünder" und „Jesus" beibehalten wird.' 4 Eine Vertonung dieser beiden Dichtungen läßt sich bislang allerdings nicht nachweisen. Die allgemein behauptete Mitgliedschaft Francks in der Fruchtbringenden Gesell- schaft ist zunächst ganz offensichtlich auf die Seltenheit der Geistlichen Poösie zurück- zuführen, die auch vom Inhalt her weitgehend unbeachtet geblieben ist. Die autoptische Angabe Schauers nach dem Jenaer Exemplar, Franck habe sein Widmungsgedicht als der „Treumeinende"' der Fruchtbringenden Gesellschaft unterschrieben, wurde von allen späteren Autoren übernommen, vermutlich oftmals ohne die Vorlage wieder eingesehen zu haben. Betrachtet man sich die beiden betreffenden Seiten genauer, gelangt man zu einem anderen Befund (Abb. 2). Die Geistliche Poösie ist auf dem Titel verso Joachim Scheffer, Schwarzburgischer Hofrat in Sondershausen und Arnstadt, gewidmet, der 1672 Francks Schwester Maria Sophia (gest. 1677) geheiratet hatte. Als »Patron" tituliert dürfte Scheffer seinen Schwa- ger während des Studiums wohl finanziell unterstützt haben," wenn er nicht sogar den Druck der Gedichtsammlung finanziert hat. Unmittelbar nach der Widmung an Scheffer schließt sich ein elfzeiliges Madrigal des Dichters für seinen Gönner an. Auf Blatt A2 recto folgt dann, beginnend mit den Initialen „SO", das Widmungs- gedicht des »Treumeinenden", das auf den 13. April 1685 datiert ist und in Jena verfaßt wurde. Zwei weitere Widmungsgedichte von Freunden des Dichters, dem Weimari- schen Regierungsrat und Kommilitonen Francks Georg Adam Behrmann sowie von Johann Wolfgang Voigt, folgen auf Blatt A2 verso. Das Madrigal Francks für Scheffer steht mit dem Widmungsgedicht des „Treu- meinden" in keinem inhaltlichen, formalen oder typographischen Zusammenhang, vielmehr handelt es sich eindeutig um zwei verschiedene Gedichte von zwei verschie- denen Autoren. Der Träger des Gesellschaftsnamens „Der Treumeinende" läßt sich mit dem Jenaer Juristen Peter Müller (1640-1696) identifizieren, einem Mitglied aus der Spätzeit der Fruchtbringenden Gesellschaft (FG 85o). Dieser hatte 1674 beim dritten Oberhaupt der Fruchtbringenden Gesellschaft, Herzog August von Sachsen-Wei- ßenfels, um Aufnahme ersucht, weil er entschlossen sei, „auch in der reinen teutschen Sprache einige Erfindungen herauszugeben" und wurde 1675 auch aufgenommen: 6 Allerdings sind außer hunderten von Dissertationen unter seinem Vorsitz kaum deut- sche Schriften geschweige denn ,fruchtbringende Werke aus seiner Feder bekannt.'

14 Franck (wie Anm. 7), S. 31 u. 41. i5 Hoffmann-Erbrecht (wie Anm. 3), S. 122. i6 Martin Bircher, Gabriele Henkel und Andreas Herz (Hg.), Briefe der Fruchtbringenden Gesellschaft und Beilagen: Die Zeit Herzog Augusts von Sachsen-Wetßenfels 1667-1680 (Die Deutsche Akademie des i7. Jahrhunderts. Fruchtbringende Gesellschaft, Reihe I, Abteilung C: Halle), Tübingen 1991, S. i3of. 17 Andreas Herz, [Art.] Müller, Peter, in: Martin Bircher, Im Garten der Palme. Katalog einer Sammlung, Wiesbaden 1998, S. 251-254. I58 Dietrich Hakelberg

Abb. 2: Die Widmung und das Madrigal Salomon Francks an seinen Schwager Joachim Scheffer sowie das Widmungsgedicht des Jenaer Juristen Peter Müller („der Treumeinende") für seinen Studenten Franck [HAB: T170]

1682 erscheint Franck als Respondent in einer Disputatio De Modis acquirendi dominii naturalibus, gedruckt in einer Sammlung von Disputationen, die unter dem Vorsitz Müllers stattgefunden hatten.' Das Widmungsgedicht des „Treumeinenden" in der Geistlichen Poesie dürfte damit der Hochachtung Ausdruck geben, die Peter Müller seinem dichtenden Studenten entgegenbrachte. Es ist zudem wohl das einzige gedruckte Textzeugnis Müllers, in dem er seinem Selbstverständnis als Fruchtbringer Ausdruck verleiht, beraubt Bachs späteren Librettisten Franck aber auch seiner über mehr als i 5o Jahre fortgeschriebenen Mitgliedschaft im „Palmen-Orden".

18 Disputatio XVII. De Modis acquirendi dominii naturalibus. Respond. Salomone Franckio Vinariensi, in: Peter Müller: Jurisprudentia Elementaris Ad Ordinem Institutionum Imperia- lium Directa Et LIII. Disputationibus In Auditorio JCtorum Ventilata, Jena 1682, S. 129-136.