Forum Kirchenlied DER WEG ZUM „GOTTESLOB“
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Forum Kirchenlied Aus der Geschichte des deutschen Kirchenliedes Heinz-Walter Schmitz DER WEG ZUM „GOTTESLOB“ Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg mit ihren vielfältigen Umschichtungen der deutschen Bevölkerung durch Flucht und Vertreibung zeigten, dass die Vereinheitlichung des kirchlichen Singens unumgänglich notwendig war. 1947 werden nun insgesamt 74 Einheitslieder im Auf- trag der Fuldaer Bischofskonferenz herausgegeben. Hinzu kamen etwa weitere 60 Lieder mit gleichlautenden Fassungen, die von den nordwestdeutschen Bistümern erarbeitet wurden. Im Jahre 1963 schließlich fasste die Deutsche Bischofskonferenz in Rom den Beschluss, ein ge- meinsames Gebet- und Gesangbuch (EGB) in Auftrag zu geben. Es erschien als „Gotteslob“ 1975 und gliederte sich in einen für alle Bistümer gleichen Stammteil (bis Nr.799) und einen diözesa- nen Anhang. Herbst 2001: Beginn der überdiözesanen Arbeiten für ein neues „Gebet- und Gesangbuch“ (GGB)“. 3,6 Millionen Exemplare gingen am 31. Januar 2013 in Druck. Offizieller Einführungstermin: 1. Advent 2013, in einigen Bistümern Ostern 2014. Heinz-Walter Schmitz AUS DER GESCHICHTE DES DEUTSCHEN KIRCHENLIEDES DAS MITTELALTERLICHE KIRCHENLIED Die Verbreitung und Vielfalt des deutschen Kirchenliedes ist stark mit der Entwicklung der Schriftsprache und des Buchdruckes sowie mit der Verbreitung der Lesefähigkeit im Volk ver- bunden. Die lateinische Liturgiesprache und die ausschließlich handschriftliche Verbreitung von Schriftgut beschränkten die Verbreitung und die Einsatzmöglichkeiten eines deutschen Kir- chenliedes bis in die frühe Neuzeit. SYT WILLEKOMME HEIRRE KIRST Das älteste deutsche Weihnachtslied steht im ottonischen Evangeliar des Aachener Domschat- zes. Noch heute singt man dieses uralte Lied, das eine unbekannte Hand im 14.Jahrhundert in das dem Aachener Domschatz gehörende goldene Evangeliar Kaiser Ottos III. schrieb. Es ist das älteste deutsche Weihnachtslied, das mit Noten verzeichnet ist. Viel älter ist freilich das Evange- lienbuch selbst. Vor dem Jahre 1000 entstand es durch die Mönche der Reichenau (Bodensee) für den Kaiser, der das Evangeliar dem Aachener Stiftskapitel geschenkt hat. Das alte Lied ist hinter dem Weihnachtsevangelium verzeichnet. Eine moderne Übertragung des Liedes fand sich noch im Gesangbuch Gotteslob 1975 als Nr. 131. FRÜHER VOLKSGESANG IN PASSAU Die ältesten Nachrichten dazu liegen uns aus ehemaligen Gebieten des Bistums Passau vor. Ein deutsches Spiel vom Leben der heiligen Dorothea nach einer Niederschrift (um 1350) aus dem Kloster Kremsmünster beginnt mit dem Volksgesang Nun bitten wir den Heiligen Geist. Für das frühe 16. Jh. sind Volksgesänge im Gottesdienst der Passauer Domkirche belegt. Ent- sprechungen können auch für das Augustinerkloster St. Nikola, damals als bayerische Hofmark vor Passau gelegen, nachgewiesen werden. Der Gesang des Volkes, das in seiner Mehrzahl nicht lesen konnte, musste sich auf wenige Lieder beschränken. Überliefert sind litaneiartige Anru- fungen wie Kyrieleyson und das Lied Christ ist erstanden (um 1160 Salzburg). Litaneien mit ständig wiederholtem Kyrie eleison des Volkes gibt es beispielsweise bei Weiher- iten und bei Prozessionen, etwa zur Übertragung von Reliquien. Das Volk sang in der einfachen Heinz-Walter Schmitz – Aus der Geschichte des deutschen Kirchenliedes Seite 2 Weise der Litaneiakklamation den Kyrieeleison-Refrain oder eine Kurzantiphon einfachsten Stils nach den lateinischen Psalmversen oder nach jeder Hymnenstrophe. Das älteste Beispiel für ein Lied, das auch den Gesang des Volkes mit einbezieht, ist das Freisin- ger Petruslied aus der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts, vermutlich anlässlich der Einweihung der Peterskirche auf dem Freisinger Domberg entstanden. Auch hier kam das Kyrieleis als Ref- rain dem Volke zu. Seit dem 12. Jahrhundert entfaltet sich das mittelalterliche deutsche Kirchenlied in fünf Grup- pen: 1. LEISEN Leisen sind - meist vierzeilige - Lieder (Hymnen) mit angehängtem Kyrie eleison. Sie sind aus dem oben beschriebenen liturgischen Brauch hervorgegangen, das Volk durch Kyrierufe an der Allerheiligenlitanei sowie an lateinischen Hymnen zu beteiligen. Bei fast allen Leisen ist zu erkennen, dass sie während der Liturgie als deutsche Einschübe zu lateinischen Sequenzen erklangen. Christ ist erstanden im Graduale Pataviense 1511. Die Beziehung zwischen Leise und Sequenz zeigt beispielsweise die Osterleise "Christ ist er- standen" (GL 318). Sie verwendet melodisches Material aus dem ersten, zweiten und letzten Versikel der Sequenz Victimae paschali laudes. Heinz-Walter Schmitz – Aus der Geschichte des deutschen Kirchenliedes Seite 3 Im nebenstehenden Beispiel wird die Fronleichnamssequenz (deutsch siehe GL Würzburg 850) mit dem Lied Gott sei gelobet und gebenedeiet GL 215 verbunden. Die Pfingstleise Nun bitten wir den heiligen Geist (GL 348) ist mit der hypolydischen Fassung Veni Sancte Spiritus GL 341/342 verwandt. Mainzer Prozessionale um 1400 2. RUFE Rufe sind litaneiartige Zweizeiler, die von den Geistlichen nach der Predigt, zum Te Deum der Messe oder bei Prozessionen zum Kyrie eleison gesungen wurden. Hierbei wurde a) jeweils eine Zeile vorgesungen und vom Volk wiederholt wie bei "Wir rühmen dich, König der Herrlichkeit" (GL 211) oder b) mit einem gleichbleibenden Refrain beantwortet wie bei "Danket Gott, denn er ist gut" (GL 402) Heinz-Walter Schmitz – Aus der Geschichte des deutschen Kirchenliedes Seite 4 3. HYMNEN Das Wort "Hymnus" bezeichnet in der griechischen und in der byzantinischen Dichtung und Musik ganz allgemein einen Lobgesang. In der abendländischen Kirche ist der Begriff "Hymnus" seit etwa dem Jahre 500 bekannt und umfasst im weitesten Sinne alle lateinischen Gesänge reli- giösen Inhaltes in gehobener (poetischer) Sprache, einschließlich rhythmisch freier Gesänge. Die wichtigsten sind: der "Hymnus Angelicus", das Gloria in excelsis Deo, der "Hymnus Seraficus", das Sanktus und der "Hymnus Ambrosianus", das Te Deum. Im engeren Sinn verstehen wir heute unter dem Begriff "Hymnus" ein Strophenlied mit außer- biblischem, metrisch oder rhythmisch gestaltetem Text, der sich aus gleichgebauten Strophen zusammensetzt. Dieser Hymnus wurde von Ambrosius von Mailand (* um 340 in Trier † 397 in Mailand) in die Liturgie eingeführt und wird heute vor allem im Stundengebet gesungen. Kennzeichnend für den Hymnus ist die Anrufung der Dreifaltigkeit in einer doxologischen Schlussstrophe und ein abschließendes Amen. Das Verhältnis zwischen Text und Melodie wird durch die Syllabik bestimmt. Das wichtigste Versmaß des lateinischen Hymnus ist der jambische Dimeter mit acht Sil- ben und insgesamt vier dieser jambischen Zeilen. Beispiele für Hymnen aus dem Gesangbuch Gotteslob: GL 227 "Komm, du Heiland aller Welt" (nach "Veni redemptor gentium" des Ambrosius) GL 230 "Gott, heilger Schöpfer aller Stern" (nach "Conditor alme siderum") GL 341 "Veni creator spiritus" GL 342 "Komm, heilger Geist, der Leben schafft" (nach "Veni creator, spiritus") GL 675 "Christus, du bist der helle Tag" (nach " Christe , qui lux es et dies") GL 663 "Bevor des Tages Licht vergeht" (nach "Te lucis ante terminum") Heinz-Walter Schmitz – Aus der Geschichte des deutschen Kirchenliedes Seite 5 4. Cantiones Im späten Mittelalter kommen die Cantiones auf, die vor allem in den Klöstern der Augustiner- chorherren sehr beliebt waren und die durch Lateinschüler verbreitet wurden. Diese lateini- schen Cantiones waren ursprünglich Einlagen in das "Nunc dimittis" der Weihnachtskomplet sowie geistliche Tanzlieder am Fest der Unschuldigen Kindlein. Die bekanntesten Cantiones und deren Übertragungen sind: "Singen wir mit Fröhlichkeit" - GL-WÜ 753; GL-PA 777 ("Resonet in laudibus") "Ein Kind geborn zu Bethlehem" – GL-WÜ 760 ("Puer natus in Bethlehem") "Hört, es singt und klingt mit Schalle" - GL 240 ("Quem pastores laudavere") In Zusammenhang mit diesen Cantiones und deren Übertragungen bildete sich die Gattung der "Mischlieder", eine lateinisch-deutsche Mischform aus. Ein heute noch tradiertes Beispiel ist "In dulci jubilo" (GL 253). 1. In dulci jubilo / nun singet und seit froh: Unsers Herzens Wonne / liegt in praesepio und leuchtet wie die Sonne / matris in gremio. Alpha es et O, / Alpha es et O. 2. O Jesu parvule, / nach dir ist mir so weh. Tröst mir mein Gemüte, / o puer optime, durch alle deine Güte, / o princeps gloriae. Trahe me post te, / trahe me post te. 3. Ubi sunt gaudia? / ~ Nirgends mehr denn da, wo die Engel singen / ~ nova cantica ~ und die Zimbeln klingen / in regis curia. Eja qualia, / eja qualia! 5. Geistliches Volkslied Seit dem Ende des 12. Jahrhunderts entsteht das geistliche Volkslied. Die Melodik dieser Lieder ist gekennzeichnet durch Dur-Moll-Tonalität und einen mehr tänzerischen Rhythmus. Manch- mal wurden die Melodien weltlicher Lieder mit geistlichen Texten versehen: die Gattung der Kontrafaktur. Im Gesangbuch Gotteslob finden sich diese Kontrafakturen: "O Haupt voll Blut und Wunden" (GL 289) - nach Hans Leo Haßlers "Mein Gmüt ist mir verwir- ret von einer Jungfrau zart" "O heilge Seelenspeise" (GL 213) oder "O Welt ich muss dich lassen" (GL 510) nach Heinrich Isaak "Innsbruck, ich muss dich lassen". Von den geistlichen Minne- und Meistersingerlieder des 13. und 14. Jahrhunderts wirkt in vie- len Kirchenliedern das Formschema der Barform nach. Die Barform ist eine dreiteilige Lied- form: AAB. A = Stollen und Gegenstollen; beide werden auf die gleiche Melodie gesungen, (meist Heinz-Walter Schmitz – Aus der Geschichte des deutschen Kirchenliedes Seite 6 angezeigt durch ein Wiederholungszeichen). Stollen