Swr2-Musikstunde-20130130.Pdf
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__________________________________________________________________________ 2 Musikstunde „Zeitgenossen“ (28. 1. 2013 – 1. 2. 2013) Folge 3 (30. 1.): 1810 (Schumann, Chopin, Burgmüller, Schuncke) Das Jahr 1810 war unter musikalischen Gesichtspunkten äußerst ertragreich: Robert Schumann, Frédéric Chopin, Norbert Burgmüller, Ludwig Schuncke – sie alle kamen in jenem Jahr zur Welt. Schumann und Chopin sind ohnehin kompositorische Schwergewichte, Burgmüller und Schuncke sind nur deshalb weniger bekannt, weil sie ganz einfach zu früh starben und deshalb nur ein sehr überschaubares Ouevre hinterließen: Burgmüller starb mit 26 Jahren, Schuncke mit nicht einmal 25. Eine Besonderheit kommt bei diesen vier gleichaltrigen Komponisten hinzu: Sie kannten sich nicht nur, zum Teil widmeten sie sich auch gegenseitig ihre Werke, Schumann und Schuncke lebten sogar zeitweilig in derselben Wohnung. „Einmal im Frühling 1834,“ erinnerte sich Robert Schumann nach Schunckes frühem Tod, „trat Schuncke in seiner gewöhnlichen Hast in meine Stube (es trennte uns nur eine offene Tür) und warf hin, er wolle in einem Konzert spielen, und wie er das Stück nennen solle, denn ‚Kaprice’ sage ihm zu wenig. Dabei saß er längst am Flügel und im Feuer der zweiten in C- moll.“ ------------ Musik 1: Ludwig Schuncke, Caprice c-Moll op. 10. Gregor Weichert, Klavier. Archiv-Nr. 19-002667. Tr. 8. Dauer: 9’02“ ------------ Gregor Weichert spielte die zweite Caprice c-Moll Opus 10 von Ludwig Schuncke. Diese Caprice widmete Schuncke seinem Mitbewohner Schumann zwar nicht, die widmete er Frédéric Chopin in Erinnerung an ein Zusammentreffen mit diesem in Stuttgart im Jahre 1831; Chopin war damals auf der Durchreise Richtung Paris. Die meisten seiner Klavierwerke hatte Chopin zwar noch nicht geschrieben, aber das e-Moll-Klavierkonzert existierte bereits – und das spielte er Schuncke vor, der sich durch die Widmung seiner zweiten Caprice an Chopin revanchierte. Seine Klaviersonate g-Moll aber widmete Schuncke „a son ami Robert Schumann“. Diese Sonate – sie trägt die Opusnummer 3 – darf mit Fug und Recht als Schunckes opus summum bezeichnet werden. Dass Schumann sich bei einem so engen persönlichen Verhältnis enthusiastisch über diese Sonate äußerte, verwundert nicht: „Ihr seid ein großer Meister eurer Kunst und die Sonate heiße ich euer bestes Werk,“ schrieb Schumann an Schuncke. Auch der ein Jahr ältere Felix Mendelssohn Bartholdy, der von Schunckes Freundin Henriette Voigt einige Klavier-Noten erhalten hatte, wenn auch erst nach Schunckes Tod, schreibt dankbar zurück: „Durch die Sendung haben Sie mir eine sehr große Freude gemacht, indem Sie mir, freilich nun zu spät, eine neue musikalische Bekanntschaft verschaffen; am meisten sagt mir die Sonate zu, sie ist am ernstesten gehalten, auch scheint sie mir am unbefangensten; namentlich das erste Stück und das Andante.“ 3 ------------ Musik 2: Ludwig Schuncke, Klaviersonate g-Moll op. 3. 3. Satz. Gregor Weichert, Klavier. SWR-Archiv-Nr. 19-002667. Tr. 3. Dauer: 5’17“ ------------ Das war noch einmal Gregor Weichert, diesmal mit dem Andante sostenuto aus Ludwig Schunckes Klaviersonate g-Moll, die er Robert Schumann widmete. Dass Ludwig Schuncke eine nun wirklich exorbitante pianistische Begabung gewesen sein muss, belegt folgende Geschichte, die Robert Schumann erzählt. Der nämlich hatte Schuncke - sozusagen im Widmungsaustausch mit dessen Klaviersonate – seine Toccata opus 7 gewidmet und wunderte sich, dass sein Mitbewohner im Nebenzimmer nicht einmal den Versuch machte, das Stück zu spielen. „Wenn man jemandem etwas dediziert,“ schrieb Schumann mit leicht verärgertem Unterton, „so wünscht man, dass er’s vorzugsweise spiele...Da mir kein Ton entging, den er anschlug, so hatte ich meinen leisen Ärger, dass er sich nicht darüber machte... Nach langer Zeit besuchte uns ein Fremder, Schuncke zu hören. Wie aber staunte ich, als er jenem die Toccata in ganzer Vollendung vorspielte und mir bekannte, dass er mich einige Male belauscht und sie sich im Stillen ohne Clavier herausstudiert, im Kopfe geübt habe.“ Das ist nun fast nicht zu glauben. Schumanns Toccata ist fast sieben Minuten lang und zählt mit zum heikelsten, was für Klavier komponiert wurde. Ein unbekannter Berichterstatter schrieb 1834 in der Zeitschrift „Kometen“: „Einen wunderbaren Eindruck machte das letzte Werk, eine Tokkata von Schumann. Das Werk ist ein Guss von Originalität und Neuheit und wirkte trotz seinem strengen Stil auf alle Zuhörer mit einem tief ergreifenden Zauber... Schumanns Tokkata ist so schwer, dass sie außer Schuncke und der Clara Wieck hier wohl niemand gut spielen kann. Beide spielen sie verschieden. Ersterer trägt sie als Etüde vor mit höchster Meisterschaft; letztere weiß sie zugleich poetisch aufzufassen und ihr durch und durch eine Seele einzuhauchen.“ Dass Schuncke ein solches Stück vortragsreif gelernt hat, ohne je eine Taste zu berühren: phänomenal! ------------- Musik 3: Robert Schumann, Toccata op. 7. Sviatoslav Richter, Klavier. Archiv-Nr. 19-030161. Dauer: 7’21“ ------------- Sviatoslav Richter spielte Robert Schumanns nicht eben leichte Toccata opus 7, die Ludwig Schuncke gewidmet ist. Bei einer derartigen Hochbegabung im Nebenzimmer kann man Schumanns tiefe Betroffenheit nach Schunckes Tod ganz gut verstehen. Schumann widmete seinem Freunde Schuncke nicht nur Musik, sondern auch die vielleicht warmherzigsten Zeilen, die nach Schunckes frühem Tod geschrieben wurden: „Was er noch geleistet haben würde, ach, wer weiß es?, aber nie konnte der 4 Tod eine Geniusfackel früher und schmerzlicher auslöschen als diese. Hört nur seine Weisen, und ihr werdet den jungen Grabeshügel bekränzen, auch wenn ihr nicht wüsstet, dass mit dem hohen Künstler ein noch höherer Mensch von der Erde geschieden, die er so unsäglich liebte.“ „Mit den Worten: ‚Hut ab, ihr Herren, ein Genie’, legte Eusebius ein Musikstück auf.“ Eusebius ist genau wie Florestan eine Phantasiefigur, die Schumann für seine Tätigkeit als Musikkritiker erfand und mit der er eine bestimmte Perspektive auf die jeweils besprochenen Werke deutlich machte. Eusebius und Florestan sind sozusagen Teil-Persönlichkeiten Robert Schumanns. Dieser schildert die ganze Szene mit der aufgelegten, aber zunächst nicht erklingenden Musik. „Nun spiel’s, meinte Florestan. – Eusebius gewährte; in eine Fensternische gedrückt hörten wir zu. Eusebius spielte wie begeistert und führte unzählige Gestalten des lebendigsten Lebens vorüber... Freilich bestand Forestans ganzer Beifall, ein seliges Lächeln abgerechnet, in nichts als in den Worten, dass die Variationen etwa von Beethoven oder Franz Schubert sein könnten, wären sie nämlich Klaviervirtuosen gewesen – wie er aber nach dem Titelblatte fuhr, weiter nichts las als ‚La ci darem la mano, varie pour le Pianoforte par Frédéric Chopin’.“ Schumann beschreibt auch die Reaktion der Teil-Persönlichkeit Florestan auf diesen Namen: „Ja, das ist einmal wieder etwas Vernünftiges – Chopin – ich habe den Namen nie gehört – wer mag es sein – jedenfalls ein Genie.“ ------------- Musik 4: Frédéric Chopin, Variationen über „La ci darem la mano“ op. 2. Garrick Ohlsson, Klavier. Archiv-Nr. 12-054366. Tr. 2-4. Dauer gesamt: 3’38“ ------------- Garrick Ohlsson und das Warschauer Philharmonische Orchester unter Kazimierz Kord waren das mit Frédéric Chopins Thema und den ersten beiden Variationen über „La ci darem la mano“. Das Werk entstand 1827/28, damals kannten sich Schumann und Chopin noch nicht. Persönlich begegnet sind sie sich nur zweimal, 1835 und 1836, als Chopin, der sowieso unterwegs war, Schumann in Leipzig besuchte. Chopins Werke aber kannte Schumann sehr gut, er rezensierte sie in der von ihm geleiteten Neuen Zeitschrift für Musik. An der grundsätzlich respektvoll-verehrungsvollen Haltung Schumanns gegenüber Chopin änderte sich nicht viel. Nehmen wir als Beispiel die Rezension der Etüden opus 25: „Kein Wunder aber, dass uns gerade die Stücke die liebsten geworden, die wir von ihm gehört, und so sei denn vor allem die erste in As-Dur erwähnt, mehr ein Gedicht als eine Etüde... Nach der Etüde wird’s einem wie nach einem seligen Bild, im Traum gesehen, das man, schon hellwach, noch einmal erhaschen möchte; reden ließ sich wenig darüber und loben gar nicht. 5 ----------- Musik 5: Frédéric Chopin, Etüden op. 25. Nr. 1, As-Dur Maurizio Pollini, Klavier. Archiv-Nr. 12-001088. CD 1, Tr. 13. Dauer: 2’08” ----------- Das war die As-Dur-Etüde opus 25, Nr. 1, von Frédéric Chopin, gespielt von Maurizio Pollini. Eine Lebensfreundschaft wurde es offenbar nicht zwischen Chopin und Schumann – eher eine von gegenseitigem Respekt getragene Kollegenschaft; wobei der Respekt Schumanns für Chopin größer gewesen zu sein scheint als umgekehrt. So ließ Chopin seine Schüler zwar fleißig Schubert, Hummel und Mendelssohn spielen, Bach und Beethoven sowieso, Schumann aber nie. Und mit der Kreisleriana, Schumanns opus 16, die dieser ihm widmete, konnte Chopin nicht sehr viel anfangen. Deren Brutalität, deren kopfüber in die Emotionen hineingesprungener Charakter war Chopins Sache nicht. Dass die beiden ihrem Naturell nach und kompositorisch zwei ganz unterschiedliche Typen waren, wird Schumann auch aufgefallen sein; dennoch war er souverän genug, Chopins Bedeutung nicht nur zu erkennen, sondern auch oft begeistert darüber zu schreiben – einige Beispiele dafür haben wir vorhin gehört. Die „Kreisleriana“ allerdings hatte Schumann ursprünglich durchaus nicht Chopin widmen wollen. Sondern Clara Wieck, seiner Verlobten. „Meine Kreisleriana spiele manchmal! Eine recht ordentlich wilde Liebe liegt darin