SWR2 Musikstunde
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SWR2 MANUSKRIPT ESSAYS FEATURES KOMMENTARE VORTRÄGE SWR2 Musikstunde Die Frühvollendeten (3) Ludwig Schuncke Von Thomas Rübenacker Sendung: Mittwoch, 05. November 2014 9.05 – 10.00 Uhr Redaktion: Ulla Zierau Bitte beachten Sie: Das Manuskript ist ausschließlich zum persönlichen, privaten Gebrauch bestimmt. Jede weitere Vervielfältigung und Verbreitung bedarf der ausdrücklichen Genehmigung des Urhebers bzw. des SWR. Mitschnitte auf CD von allen Sendungen der Redaktion SWR2 Musik sind beim SWR Mitschnittdienst in Baden-Baden für € 12,50 erhältlich. Bestellungen über Telefon: 07221/929-26030 Kennen Sie schon das Serviceangebot des Kulturradios SWR2? Mit der kostenlosen SWR2 Kulturkarte können Sie zu ermäßigten Eintrittspreisen Veranstaltungen des SWR2 und seiner vielen Kulturpartner im Sendegebiet besuchen. Mit dem Infoheft SWR2 Kulturservice sind Sie stets über SWR2 und die zahlreichen Veranstaltungen im SWR2-Kulturpartner-Netz informiert. Jetzt anmelden unter 07221/300 200 oder swr2.de 2 MUSIKSTUNDE mit Trüb Mittwoch, 5. 11. 2014 … mit Thomas Rübenacker. Heute: „Die Frühvollendeten“, Teil 3: Ludwig Schuncke. MUSIK: INDIKATIV Man stelle sich nur einmal vor, es habe den genialen Romantiker Robert Schumann zweimal gegeben – und die „Innigkeit“, die sein erklärtes Kompositionsziel war, wäre eine Doppelinnigkeit gewesen. Eine Zeitlang sah es tatsächlich so aus. Schumanns Jugendfreund, der 1810 in Kassel geborene Ludwig Schuncke, galt nicht nur als ähnlich begabt wie dieser und von nämlicher Neigung, er übertrumpfte den Freund sogar als ein Pianist, der schon im Alter von zehn Jahren stürmisch gefeiert wurde. Ludwig Schuncke, das war sozusagen Clara und Robert Schumann in Personalunion. 1833 gründete Schuncke mit Schumann gemeinsam die Neue Zeitschrift für Musik, er war als Kritiker und Beobachter der Musikszene nicht weniger scharfsichtig oder spitzzüngig als Freund Schumann – auch wenn dieser das Klavierspiel des Freundes höher ansiedelte als dessen schreiberische Fertigkeiten. Doch schon am 7. Dezember 1834, 14 Tage vor Schunckes 24. Geburtstag, zerbrach diese Symbiose, weil wieder mal die „Schwindsucht“ zuschlug, dieser Euphemismus der Zeit für „Lungentuberkulose“. Schon am 20. November schrieb Schumann an Hauptmann von Fricken, dessen Frau Henriette Voigt den Siechen pflegte: „Von Leipzig trieb mich auch Schunkens vorgerückte Krankheit fort, die etwas schrecklich Leises für mich hat. Da begraben sie einen hohen Menschen. Frau von Fricken würde solchem Freunde die Augen zudrücken wollen – ich kann kaum meiner Krankheit Herr werden, die eine recht niedergedrückte Melancholie ist ...“ Auf dem schmucklosen Grabkreuz steht rückseitig ein Zitat aus „Erinnerung und Hoffnung“ von Karl Förster: „Was vergangen, kehrt nicht wieder,/Aber ging es leuchtend nieder,/Leuchtet's lange noch zurück.“ MUSIK: SCHUNCKE, ANDANTE CON MOTO B-MOLL, TRACK 8 (6:30) 1) SCHUNCKE, Andante con moto b-moll f. Kl. z. 4 Händen; Duo Ljiljana Borota, Christian Knebel; Ars 38 466 (LC 06900) Louis Schuncke, eines von 2 Charakterstücken op. 13 für Klavier zu 4 Händen, ein Andante con moto b-moll, gespielt vom Klavierduo Ljiljana Borota und Christian Knebel. Ludwig oder Louis Schuncke wurde 1810 in eine hochmusikalische Familie hineingeboren, mindestens zwei der bedeutendsten Hornisten des 19. 3 Jahrhunderts waren darunter: der Vater Johann Gottfried und der Onkel Johann Michael Schuncke. Sein Debüt als Pianist gab er 10-jährig mit einem Mozartkonzert, mit 17 zog er nach Paris, wo er bei Anton Rejcha Harmonielehre, Kontrapunkt und Fuge studierte – ein Mann, über den Schunckes späterer Freund Héctor Berlioz einmal sagte: „Als Komponist ist er ein Leichtgewicht, als Lehrer ein Gigant!“ Da er aus nicht allzu betuchter Familie stammte, hielt Schuncke sich in Paris über Wasser, indem er bei dem Klavierfabrikanten Duport die Instrumente vorführte; er hatte damals auch ein kleines Zimmerchen im Hause Duport und nahm an den Mahlzeiten teil. Einigermaßen amüsiert berichtet er einem Freund in Deutschland: „Die Hauptklientel sind ältere Damen mit gewaltigem Erker, in deren Begleitung schüchterne junge Mädchen sind, die seltsamerweise immer Strohhüte mit himmelblauen Schleifen tragen … Wenn ich zur Demonstration ein Klavier vorstellen soll, frage ich, was gewünscht wird … Und die alten Fregatten bitten dann meist um eines von drei Stücken: Mozarts türkischen Marsch, Beethovens 'An Elise' oder das 'Gebet einer Jungfrau' … Besonders piquant wird es, wenn diese Titel auch noch durch einander geraten, wenn also nach dem Elisenmarsch verlangt wird oder dem Gebet einer türkischen Jungfrau … Dann stelle ich mir vor, wie das arme Instrument im bürgerlichen Wohnzimmer steht und von den scheuen Schleifenträgerinnen tagaus-tagein immer wieder gezwungen wird, eines dieser drei Werke erklingen zu lassen … Und dann macht sich ein leiser Graus in mir breit!“ Schreibt Joachim Draheim: „Reichtum und Vielfalt der deutschen Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts beruhen nicht zuletzt auf der Tatsache, dass es wegen der politischen Zerrissenheit des Landes nicht wie in Frankreich und England eine einzige politische und damit auch kulturelle Metropole (Paris und London) gab, sondern eine Vielzahl kleinerer und größerer Städte mit einem reichen Musikleben. Neben den beiden überragenden Musikzentren Wien und Leipzig (…) stehen Orte wie Berlin, Hamburg, München, Dresden, Köln, Frankfurt, Kassel, Düsseldorf, Bremen, Stuttgart, Karlsruhe, Oldenburg, Schwerin und viele andere, die wenigstens zeitweise ein Musikleben von mehr als provinziellem Rang hatten.“ Auch das verbindet Schumann und Schuncke: Sie wollen keinen Provinzialismus, aber doch (wie Schuncke einmal schreibt) die „kulturelle Kleinstaaterei (…), diese Perlen, die im Verborgenen erblühen“. Akademismus, so beider Überzeugung, verfestige sich eher in den Metropolen, wo Einheitlichkeit noch als Tugend gelte; um die Materie am Leben zu erhalten, müsse man breit streuen und wohl auch den ein oder anderen Fehlschlag wegstecken. Schumanns „Davidsbündler“ waren ein solcher Verein: tatsächliche und imaginäre Künstler, die „Kleinstaaterei“ im Herzen hatten, aber Visionen für eine Musik der Zukunft im Hirn. 4 MUSIK: SCHUNCKE, SONATE G-MOLL OP. 3, TRACK 3 (6:55) 2) SCHUNCKE, Grande Sonate Nr. 3; Jozef de Beenhower (Klavier); Schuncke- Archiv Das war der Kopfsatz, ein Allegro, der Sonate g-moll op. 3 von Ludwig Schuncke, „dédiée à son ami R. Schumann“, seinem Freunde Robert Schumann zugeeignet. Das war im April 1834. Schumann revanchierte sich postwendend, schon im Mai kam die Toccata op. 7 heraus, nunmehr „dédiée à son ami Louis Schuncke“. Das ist eines der schwierigsten Werke der gesamten Klavierliteratur, aber Schuncke spielte es – so berichtet Schumann – einem Besucher „in ganzer Vollendung“ vor, nachdem er den im Nebenzimmer an dem Stück feilenden Freund (Zitat) „(nur) einigemal belauscht und sie sich im Stillen ohne Clavier herausstudiert, im Kopfe geübt“ hatte. Wir konnten einen Interpreten gewinnen, den das teuflisch schwere Stück ebenfalls nicht schreckt: Wladimir Horowitz. MUSIK: SCHUMANN, TOCCATA, TRACK 1 (6:20) 3) ROBERT SCHUMANN, Toccata op. 7; Vladimir Horowitz; CBS MK 42409 (LC 0149) Robert Schumann, die Toccata op. 7, „zugeeignet seinem Freund Louis Schuncke“, der das grausam schwere Stück gleichsam vom Blatt spielen konnte. Es ist anzunehmen, dass selbst der große Wladimir Horowitz für diese Aufnahme von 1969 geübt hat … Liest man übrigens Schumanns Bericht über die erste Aufführung im Kreise der „Davidsbündler“, jener teils realen, teils imaginären Kämpfer für eine musikalische Erneuerung, dann erfährt man, dass der Komponist auch einen wunderbaren romantischen Schriftsteller abgegeben hätte: „Es waren mehrere Davidsbündler bei uns versammelt, auch der Meister mit; man dachte gar nicht an Musik, der Flügel hatte sich wie von selbst aufgemacht, Ludwig saß von ungefähr daran, als hätte ihn eine Wolke hingehoben, unversehens wurden wir vom Strome einer uns unbekannten Composition fortgezogen – ich sehe noch alles vor mir, das matte verlöschende Licht, die stillen Wände, als ob sie lauschten, die ringsum gruppierten Freunde, die kaum athmen mochten, das bleiche Gesicht Florestans, den sinnenden Meister und inmitten dieser Ludwig, der uns wie ein Zauberer im Kreis festgebannt hielt.“ Wie Ludwig Schuncke war auch Héctor Berlioz ein Kompositionsschüler von Anton Rejcha; dort traf man sich, dort freundete man sich an. Diese Komponistenfreundschaft war zwar nicht so symbiotisch wie die mit Robert 5 Schumann, aber während dort Gleiches sich anzog, war's hier Gegensätzliches. Bisweilen zog Berlioz Schuncke damit auf, er würde ja nur „Petitessen“ produzieren und solle sich auch mal dem ausladenden Orchesterpanorama widmen. Aber Schuncke kannte seine Grenzen. Andererseits bewunderte er Berlioz für seine „großen Wirkungen“. Ein Berlioz- Werk berührte ihn besonders, das er zwar nie hörte – die Uraufführung fand drei Jahre nach Schunckes Tod statt -, aber teilweise in Partitur einsehen konnte: die Grande Messe des morts op. 5, das Requiem. Ganz im Gegensatz zu den „großen Wirkungen“ schätzte Schuncke hier besonders die Introspektion, die Intimität innerhalb eines großen Rahmens. Die Klangfarben hatten es ihm besonders angetan. Im „Sanctus“ etwa, einem großen Tenorsolo, spielen bis zu zehn Becken-Paare pianissimo possibile, ein Effekt, den Michael Stegemann mit dem Verzischen eines Wassertropfens im Feuer vergleicht: „Durch keine anderen Mittel (wäre das) zu erreichen.“ Davon einmal abgesehen, ist dies eine der schönsten, eindringlichsten Sakralkompositionen