Peter Brandt, Axel Kellmann Walther Encke
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Peter Brandt, Axel Kellmann Walther Encke - ein „radikaldemokratischer“ Berliner Polizeioffizier am Ende der Weimarer Republik Von Peter Brandt und Axel Kellmann Aus: Jahrbuch 1996 des Vereins für die Geschichte Berlins I. Das Schlagwort von der „Republik ohne Republikaner“ - 1920 nach der schweren Wahlniederlage der Koalitionsparteien aufgekommen - hat sich als Bild des erfolglosen Weimarer Staates im Bewußtsein der politischen Öffentlichkeit festgesetzt. Wäre das Ganze so einfach gewesen, ließe sich indessen nicht begründen, wie die Republik vierzehn Jahre überleben konnte: trotz eines Friedensvertrages, der auch in der Mitte und auf der Linken nahezu einhellig als Diktat empfunden wurde; trotz wiederholter, schwerer wirtschaftlich-sozialer Krisen und eines lediglich vorübergehend abgeflauten, latenten Bürgerkrieges; trotz der Gegnerschaft eines erheblichen Teils des Großgrundbesitzes, der Großindustrie und der Hochfinanz, des Offizierskorps, der Bürokratie, der Justiz sowie der Gymnasial- und Hochschullehrerschaft. Lag das Problem nicht eher darin, daß - in den Worten Carl von Ossietzkys - „die Republikaner ... ohne Republik“ waren? (1) Breite Volksschichten traten nachdrücklich für den Schutz der demokratischen Republik ein. Die Abwehr des Kapp-Putsches 1920 und die Protestwellen gegen die Morde an Erzberger und Rathenau 1921/22, der Volksentscheid über die Fürstenenteignung 1926, aber auch die Mobilisierung der Linken gegen den Nationalsozialismus ab 1930 sind Belege dafür, selbst wenn man den Anteil der Kommunisten, Anhänger eines „ Sowjetdeutschland“, beiseite läßt. Rein zahlenmäßig bildete das republikanische „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ selbst 1932 die größte politische Kampfbund- und Massenorganisation überhaupt, die auch mehr junge Männer in ihren Reihen gehabt haben dürfte als SA und „Stahlhelm“ zusammen. Und dennoch besitzt das Klischee von der „Republik ohne Republikaner“ einen wahren Kern: Erstens kritisierten selbst etliche von denen, die grundsätzlich für die parlamentarische Demokratie eintraten, die geschriebene und vor allem die reale Verfassung, und das nicht nur in Nebensächlichkeiten. So, wie sie war, wurde die Republik von Weimar tatsächlich nur von den wenigsten ihrer Staatsbürger befürwortet, namentlich in ihrer Ablösungsphase ab 1930. Zweitens wurde die aktive Anhängerschaft der Weimarer Republik mehr und mehr auf die sozialdemokratische Arbeiterbewegung eingeengt. Das katholische Zentrum, abgesehen von der NSDAP soziologisch die einzige Volkspartei, blieb zwar hinsichtlich ihrer Wählerunterstützung bis 1933 stabil; doch ging der Einfluß der entschieden republikanischen und demokratisch-sozial orientierten Kräfte in der Partei vor allem seit 1928 zurück. Für die letzten Jahre vor 1933 wird man das Zentrum als Ganzes kaum dem republikanischen Lager zurechnen dürfen. Mit einem Körnchen Salz gilt das auch für den politischen Liberalismus. In seinem rechten Flügel, der Deutschen Volkspartei, dominierte mit Stresemann zeitweilig eine „vernunftrepublikanische“ Position, die aber nach dessen Tod schnell an Gewicht verlor. Die eher linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP), wie das Zentrum nach 1918 mit der Sozialdemokratie zunächst als Weimarer Koalition verbunden, stand fest zum parlamentarischen Regierungssystem; aber auch sie blieb von dem allgemeinen Rechtstrend des bürgerlichen Spektrums nicht unberührt. Vor allem büßten beide liberale Parteien (DVP und DDP) zunehmend Wählerstimmen ein, bis die Vertretung des liberalen Bürgertums ab Sommer 32 quantitativ überhaupt keine Rolle mehr spielte. Die angedeuteten Veränderungen innerhalb der bürgerlichen Mitte, begleitet von dem Aufkommen etlicher partikularer Protestparteien und -bewegungen, deren Potential dann überwiegend in der NSDAP aufging, waren jedoch nur ein Aspekt jener Rechtsentwicklung in Deutschland, die deutlich vor dem Einbruch der Weltwirtschaftskrise und dem Übergang zur Präsidialregierung einsetzte. Diese Entwicklung betraf das Verhältnis zwischen den sozialen Klassen und die Stellung zum Sozialstaat ebenso (Ruhreisenstreit Ende 1928) wie kulturelle Veränderungen und Verschiebungen in der öffentlichen Meinung. Konfrontiert mit der Abkehr der künstlerischen Avantgarde von dem tradierten Wertekonsens wie mit den neuen Phänomenen einer kommerzialisierten Massenkultur, verlor die klassische Bildungsidee des deutschen akademischen Bürgertums endgültig ihre geistige Kohärenz und Prägekraft. Schließlich ist zu Recht von einer „flutartigen Remilitarisierung … bereits seit dem Ende der zwanziger Jahre“ (2) gesprochen worden. Die zunehmende Ablehnung der zeitweise durchaus mehrheitsfähigen Verständigungspolitik nach außen und der damit identifizierten politischen Ordnung ging einher mit dem kontinuierlichen Wachstum einer kriegs- und militärverherrlichenden Bücher- und Zeitschriftenproduktion. (3) Angesichts einer starken Arbeiterbewegung auf der einen Seite, deren revolutionärer Teil die bürgerlich- kapitalistische Gesellschaft und den bestehenden Staat kompromißlos ablehnte, deren reformistischer die wichtigste Stütze der Republik darstellte und auf diese einen erheblichen Einfluß ausübte, und einer neuen, radikal-völkischen Rechten mit antibürgerlichem Habitus andererseits, gerieten die Liberalen zunehmend in eine Orientierungsnot, auf die sie recht unterschiedlich reagierten. Als Beispiel für die Minderheit bürgerlicher Demokraten, die sich, entgegen dem allgemeinen Trend, nach links entwickelten, möchten wir den Polizeioffizier Walther Encke vorstellen. Encke wurde von denen, die mit ihm in Berührung kamen, als ein „geistig kultivierter, feinsinniger Mensch und hochqualifizierter ... Polizeioffizier“ (4) beschrieben, der bei Untergebenen außerordentlich beliebt, bei Vorgesetzten gefürchtet gewesen sei: „... ein Mann von geistiger Rasse, dessen ungewöhnlich geschickte, präzise Ausdrucksweise von Urteilsfähigkeit, harter Gedankenarbeit und schöpferischem Wollen zeugt.“ (5) Dieser Lebenslauf ist nicht nur von Bedeutung im Sinne demokratischer Traditionspflege, sondern er ist auch geeignet, ein Schlaglicht auf die eigentümliche politische Szenerie der Weimarer Republik in ihrer Auflösungsphase zu werfen, insbesondere auf die schillernden Dissidentengruppen verschiedener Richtungen. II. Friedrich Karl Walther Encke wurde am 13. August 1893 als Sohn eines evangelischen Vermessungsrates in Hildesheim geboren, der später als Beamter in Bochum Dienst tat, wo Encke aufwuchs. Auch die beiden Großväter waren Beamte gewesen. Nach dem Abitur studierte Walther Encke in Marburg Medizin. Er schloß sich der Burschenschaft Germania an, aus der er später, längst „Alter Herr“, wieder austrat. Zunächst verlief sein Leben jedoch ganz in den Bahnen, die den jungen Akademikern im späten wilhelminischen Kaiserreich vorgezeichnet waren. Encke brach sein Studium nach sieben Semestern ab und meldete sich kriegsfreiwillig. Als Angehöriger des elitären Garde- Schützen-Bataillons kämpfte er ab März 1915 im Elsaß, ab November 1916 im Rang eines Leutnants in Mazedonien, wo er einige Wochen später ein erstes Mal verwundet wurde. (6) Wie für viele andere war der Krieg für Encke mit dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 nicht zu Ende. Als Freikorpskämpfer nahm er im Baltikum am Feldzug gegen „den Bolschewismus“ teil. Die Beschränkung der militärischen Stärke Deutschlands infolge des Versailler Friedensvertrags zog die Ausmusterung eines großen Teils der Freiwilligen-Einheiten nach sich. Parallel dazu entschlossen sich die neuen Gewalten, die Polizei durch „ Sicherheitswehren“ zu ergänzen, denen sich viele frühere Freikorpsleute anschlossen. Die stark militarisierten Sicherheitswehren wurden unter dem Druck eines alliierten Ultimatums im Herbst 1920 aufgelöst und teilweise in die neu geschaffene Schutzpolizei überführt. Es war keineswegs ungewöhnlich, daß Walther Encke die Gelegenheit nutzte, als früherer Armee-Offizier in den Polizeidienst überzuwechseln. Möglicherweise stand diese Entscheidung auch im Zusammenhang mit der bevorstehenden Hochzeit. Am 8. Mai 1921 heiratete Encke Bettina von Arnim, Urenkelin der berühmten namensgleichen sozialkritischen Schriftstellerin, Gattin des romantischen Dichters Achim von Arnim und Freundin Goethes. Walther Encke hatte Bettina durch ihren Bruder, seinen Kriegskameraden Friedmund von Arnim, kennengelernt. Die Tatsache, daß die Hochzeit nicht auf dem elterlichen Gut in Zernikow, sondern in dem ebenfalls im Familienbesitz befindlichen Wiepersdorf stattfand, deutet auf eine gewisse Distanz derer von Arnim zu der Verbindung Bettinas mit dem „Bürgerlichen“ Encke hin. Jedenfalls gab es offenkundig im Vorfeld der Vermählung eine Verstimmung zwischen beiden Elternpaaren. Die Beziehung des Ehepaars zu Enckes Schwiegereltern kann aber nicht schlecht gewesen sein. Die beiden Töchter Gunhild und Ortrud, geboren 1922 und 1923, weilten bis zu ihrer Einschulung häufiger in Zernikow, während Walther und Bettina sich in Berlin aufhielten, und lebten in ihrer Gymnasialzeit ganz bei der Großmutter. Walther Encke wurde von den Arnims, ungeachtet seiner bürgerlichen Herkunft, nach und nach akzeptiert, wobei hauptsächlich seine Intelligenz und seine breite Bildung, vielleicht auch seine Geradlinigkeit zu Buche geschlagen haben dürften. Ein wenig blieb er Außenseiter, und das war wohl der Grund dafür, daß er sich mit einer anderen Außenseiterin der Familie, Else von Arnim-Blankensee geborene von Simson, besonders gut verstand. Die Vornehmheit der großbürgerlich-jüdischen Simsons ging weniger auf das erst im Kaiserreich verliehene „von“ zurück