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www.taz.de | [email protected] | fon 030 • 25 90 23 14 | fax 030• 25 10 694 23./24./25. MAI 2015, PFINGSTEN 01 Impressum Daniel Bax | Layout: Christiane Voß | Anzeigen: Söntke Tümmler taz.die tageszeitung taz Verlags- und Vertriebs GmbH | Rudi-Dutschke-Straße 23 | 10969 Berlin | V.i.S.d.P.: Ines Pohl

Die -Musik entstand am Hof der Sultane von Sansibar und vereint arabische, europäische und indische Einflüsse

Den Indischen Ozean im Rücken: das Taarab-Ensemble von Moham- med Issa Matona Foto: Mario Gerth Die musikalischen Blumen des Koran

POP & RELIGION Dem steht die ablehnende Und nicht nur diese, denn der Is- Die Taarab-Musik steht auch erlauben dort nur noch religiöse Ney-Flöte und sanfter Percus- Haltung vieler islamischer Auto- lam war ja nicht nur in Cordoba, im Zentrum des „Sauti za Busa- Gesänge, genannt, die sion im Kreis drehen, bis sie ver- und Musik, wie geht ritäten zur Musik gegenüber. Bagdad oder zu Hause, ra“-Festivals, das jeden Februar sie selbst zu Propagandazwecken boten wurden; heute erleben sie Dennobwohl–odergeradeweil– sondern gab auch in den eine steigende Zahl von Touris- einsetzen. Und sogar im pluralis- wieder ein Revival. Und in Nord- das zusammen? eine im Grunde musikalische Er- westafrikanischen Königreichen ten nach Sansibar lockt. In die- tischen Pakistan treten - afrika sind die Gnawa-Bruder- Sehr gut, und sie fahrung im Zentrum des islami- imheutigenMali,indenPalästen sem Jahr wird sich die Inselgrup- Sänger heute lieber hinter gesi- schaften, die sich zu rhythmi- schen Glaubens steht, lehnen der Moghulherrscher in Nordin- pe im Indischen Ozean auf dem cherten Mauern auf als an Sufi- schem Trommelschlägen in haben sich in der konservative Kleriker fast jede dien oder den Sultanaten auf Su- „Africa-Festival“ in Würzburg Schreinen, nachdem diese zum Trance wiegen, bis heute aktiv. Geschichte oft Musik ab. Gebetsruf und Koran- matra und Java den Ton an. So präsentieren: mit Fotoausstel- Ziel von Anschlägen wurden. Die Auf diese Sufi-Traditionen be- rezitation gelten ihnen nicht als groß, wie die geografische Dis- lungen, Filmen und dem Auftritt größte Gefahr für die muslimi- rufen sich Popsänger wie Sami gegenseitig Musik, und in allen anderen tanz zwischen diesen Erdteilen des Taarab-Ensembles des Kom- sche Tradition bilden derzeit die- Yusuf, die ihre sanften Balladen Klängen wittern diese Hüter des ist, so groß ist daher auch die ponisten und Musikers Moham- jenigen, die den Koran als eine mit religiösen Botschaften ver- befruchtet. Nur die Dogmas schon den Untergang Bandbreite der Stile, die von isla- med Issa Matona, der aus einer Anleitung zu Mord und Tot- quicken. Der britische Musiker Fundamentalisten des Morgenlands, weil sie angeb- mischer Ästhetik geprägt sind. alten Musikerdynastie stammt. schlag lesen. aserbaidschanisch-iranischer lich vom rechten Glauben ablen- Die Taarab-Musik etwa, die Auch die Schattenseiten der Die Mystiker des Islam setzen Herkunft ist der erste Superstar von heute hören das ke und zur Sünde verführe. am Hofe der Sultane von Sansi- Inselgeschichte werden dabei die Musik dagegen sogar als Mit- des Islam-Pop. „Spiritique“ Diesen gelehrten Spielverder- bar gespielt wurde, entstand im nicht ausgespart, denn Sansibar tel der Andacht ein. In Pakistan nennt er seinen Stil, in dem er nicht so gerne bern zum Trotz hat es in allen 19. Jahrhundert aus arabischen, war lange Zeit nicht nur ein zen- avancierte der ekstatische Qaw- nahöstliche Elemente mit westli- muslimisch geprägten Ländern europäischen und afrikanischen traler Umschlagplatz für Gewür- -Gesang, der sich zu Harmo- chen Pop-Konfektionssmustern schon immer eine enorme Viel- Einflüssen, später kamen indi- ze, sondern auch für den ostafri- nium und rhythmischem Hän- kombiniert. VON DANIEL BAX falt an musikalischen Aus- sche Elemente aus Bollywood- kanisch-arabischen Sklavenhan- deklatschen in Lobpreisungen Die Mehrheit der Musik, die in drucksformen gegeben. Das Ver- Filmen hinzu. Heute gilt der del. Der Präsident der Insel, Ali Allahs und seines Propheten in muslimisch geprägten Ländern er Koran ist Klang. Nicht hältnis von Islam und Musik ist Taarab als populäre, wenn auch Mohamed Shein, lässt es sich die Höhe schraubt, zu einem all- gehört wird, ist strikt weltlich. als Text wurde er offen- ein Beispiel für die „Kultur der etwas altmodische Unterhal- trotzdem nicht nehmen, zur Er- seits populären Genre. In Anato- Das Spektrum reicht von süßli- D bart, sondern auf akusti- Ambiguität“, die der Islamwis- tungsmusik, die auf Hochzeiten öffnung des Festivals nach Würz- lien wirkten die tanzenden Der- chem -Gamelan-Pop schem Wege erreichte senschaftler Thomas Bauer in und zu vergleichbaren Anlässen burg zu reisen – ein Zeichen, wie wische, die sich zu den Tönen der und Punkrock in Indonesien bis die Botschaft den Propheten Mo- seinem gleichnamigen, bemer- gespielt wird. Die Musiker orga- wichtig ihm die Außendarstel- zu schwülstigem Bauchtanz- hammed, der sie selbst münd- kenswerten Buch als Wesens- nisierensichin„Clubs“,wobeiein lung seines Archipels ist. Beats und lärmendem Shaabi in lich weitergab, da er Analphabet merkmal des traditionellen Is- Orchester klassischerweise aus Nicht nur Sansibar nutzt sei- ANZEIGE Nordafrika, von kurdischer Pro- gewesen sein soll. lam beschreibt: die Fähigkeit mehreren Streichern und einem nen musikalischen Reichtum, testsongs bis zu Preisliedern afri- Die Kunst der melodiösen Re- nämlich, konkurrierende Wahr- vielköpfigen Frauenchor be- um für sich zu werben. In Marok- kanischer Griots, von wütendem zitation des Korans, Tadschwid heiten und Widersprüche auszu- steht, die von arabischer Oud- ko buhlen gleich zwei Orte, die Rap aus Bamako oder Gaza bis zu genannt (Arabisch für „Verschö- halten. Erst mit Anbruch der Mo- Laute und Zither, einem indi- Stadt Fes mit ihrem Festival of wummerndem Kommerz-Tech- nerung“), wird von gläubigen derne und dem Aufkommen ei- schen Harmonium und Percus- Sacred Music und die Hafenstadt no aus Beirut und Dubai. Muslimen deshalb hoch ge- nes Fundamentalismus, der auf sion begleitet werden. Essaouira mit ihrem Gnawa-Fes- Doch in den letzten Jahren ha- schätzt und steht im Rang einer Eindeutigkeit pocht, hat sich das Obwohl es ein weltlicher Stil tival um Musikfans aus dem Aus- ben auch immer mehr säkulare eigenen Wissenschaft. Es gibt geändert. Doch selbst im ultra- ist, haben auch die großen Ta- land. Und jahrelang lockte auch Musiker begonnen, das religiöse Wettbewerbe, bei denen sich die konservativen Königreich Saudi- arab-Sänger das Singen meist als das von Tuaregs initierte „Festi- Erbe als Ressource für sich zu virtuosesten Rezitatoren mitein- Arabien oder unter dem Mullah- Kinder in der Koranschule ge- valaudesert“Musikfansausaller entdecken. Ob Techno-DJs wie ander messen, und die Besten ih- Regime im Iran gibt es heute lernt. Selbst die große Siti Binti Welt in die Wüste von Mali, bevor Mercan Dede türkische Sufi-Wei- res Faches genießen die Popula- Popstars und eine Rockszene, die Saad lernte erst einmal das heili- das durch den Bürgerkrieg dort sen mit Elektrobeats verquirlen rität eines Popstars. Aber auch von der Obrigkeit mehr oder we- ge Buch zu rezitieren, bevor sie zu gefährlich wurde. oder arabische Songwriter wie weltliche Künstler haben ihre niger toleriert wird. Anfang des 20. Jahrhunderts das So, wie es die Taliban in Afgha- der Ägypter Mohamed Mounir, Stimme am Koran geschult: gro- An den Höfen muslimischer Taarab-Genre revolutionierte, nistan gemacht haben, wollten der Libanese Marcel Khalifé oder ße arabische Sängerinnen wie Herrscher früher war man aller- indem sie es mit sozialkritischen auch die islamistischen Milizen die Algerierin Souad Massi in ih- die Ägypterin Umm Kulthum dings offener: Dort wurden einst Inhalten auf Swahili verband. im Norden Malis jede Musik ver- ren Songs auf islamische Motive und sogar die (christliche) Liba- verfeinerte Stile kultiviert, aus Aus einfachen Verhältnissen bieten, als sie in die Stadt Tim- zurückgreifen – sie alle wollen nesinFairuzhabenihnzuBeginn denen später die klassische ara- stammend, war sie die erste Frau, buktu einrückten. Auch die IS- sich die Deutungshoheit über ih- ihrer Karriere rezitiert, um ihren bische, türkische oder persische die in Ostafrika eine Schallplatte Milizen, die heute große Teile Sy- re Religion nicht von den Radika- Ausdruck zu verfeinern. Musik von heute hervorgingen. aufgenommen hat. riens und des Iraks beherrschen, len diktieren zu lassen. taz. thema 02 23./24./25. MAI 2015, PFINGSTEN  TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de | [email protected] | global pop

Mein Schlüssel zum Alltag

ERINNERUNGEN Musik aus Algerien und Mali hat Claus Leggewie sein halbes Leben lang begeistert und begleitet. In seiner Autobiografie setzt der Politologe sie ins Verhältnis zur politischen Realität dort

egleitet hat mich in Alge- Ingenieur, der sich das Haar hip- rien die Musik, aber auch pielang wachsen ließ. Der Titel- B sie deutete immer wieder song, eigentlich ein Wiegenlied auf soziale und politische für Kinder, schlug ein und wurde Von 1970 bis 1985 waren Les Ambassadeurs die Supergruppe von Mali. Nachdem Salif Keita als Sänger von der Konflikte hin. Das galt ganz be- ein Hit, auch wenn er niemals im konkurrierenden Rail Band überlief, prägten sie mit ihrem Afro-Latin-Groove den Sound einer ganzen Epoche. sonders für A vava inou va (etwa: Radio kam. Er fungierte als inof- Nach 30 Jahren wieder vereint, spielen sie am 27. Mai in Berlin und am 3. Juli in Rudolstadt Foto: Promo Mein verehrter Papa), eine 1976 fizielle Nationalhymne und ist es von dem kabylischen Sänger Idir immer noch, wo sich Kabylen in eingespielte Platte, die damals Tizi-Ouzou, Algier oder ver- nur unterm Ladentisch zu erwer- sammeln. sie weiter. Gespielt wurde Rai zu haben Muslime und Atheisten, mehr stattfinden, niemand solle ben war – für stolze 75 algerische An diesem Beispiel lässt sich Hochzeiten und auf Familienfes- Christen und Juden mit einer öffentlich Freude empfinden. Dinar, fast ein Wochenlohn. demonstrieren, wie ten, in Bars und Bordellen. Es Träne im Augenwinkel wieder Die Zerstörungswut der Milizen, Pierre Bourdieus Sociologie de funktioniert: In den 70ern gab es ging um Liebe, Sex, Eifersucht zusammen musiziert, endlich die den Koran genauso banau- l’Algérie von 1957, während sei- eine Musik-Internationale der und um alles, was man auch im auch in den großen Konzertsälen senhaft auslegen wie die Musik, nes Militärdienstes verfasst, hat- Regionalismen, in der Bretagne freieren Oran nicht aussprechen von Marseille und Paris. richtete sich auch gegen die als temichmitdenberberischenKa- undinKatalonien,inderLangue- durfte: Trunksucht, Rausch, Welterbe deklarierten Lehmbau- bylen vertraut gemacht. Zwanzig doc und in Irland und ebenso in weibliche Erotik. Für den Musik- ali hat mich vor allem ten der Moscheen, Bibliotheken Jahre später war für ethnische der Kabylei. Das einigende Band journalisten Frank Tenaille, den über seine Filme, und Schulen im Land. Mali sollte Minderheiten in der nationalen war das „Keltische“, das musika- ich später in Arles kennenlernte, Mdann über seine Mu- zum Erliegen kommen. Selbst(er)findung Algeriens kein lisch auch bei Idir (oder Matoub ist Rai die wichtigste Neuerung sik und nicht zuletzt Ausfallen muss seit 2013 auch Platz mehr. Vor allem die Kaby- Lounès) anklingt und ganz un- in der populären arabischen Mu- als Beweis der Möglichkeit von das legendäre, jeweils im Januar len, die die Hauptlast des Befrei- wahrscheinliche transregionale sik seit Umm Kulthum und der Demokratie in einem bitterar- bei Timbuktu stattfindende Fes- ungskriegs getragen hatten und Verbindungen eröffnete. Damit Mali hat mich vor ägyptischen Unterhaltungsmu- men Land fasziniert. Malis Filme tival au Désert, für dessen Be- sich nach der Unabhängigkeit kam A vava inou va in die Regale sik der 30er- und 40er-Jahre. dokumentieren alle schwierigen such ich mich endlich anmelden von der arabischen Zentrale ver- derPlattenlädenindenMetropo- allem über seine Bei dem Soziologen Alfons Sil- Verhältnisse in dem Sahel-Land, wollte. Es wurde nach Ouaga- nachlässigt fühlten, verschaff- len, erreichte die Auswanderer in Filme, dann über bermann in Köln hatte ich ge- sie präsentieren die Menschen dougou, in die Hauptstadt des ten sich als Fans Gehör bei Fuß- Europa, tönte via Kassette und lernt, dass der strengen, gebilde- jedoch voller Sympathie und Re- Nachbarlands Burkina Faso, und ballspielen der Jeunesse Eléctro- Fernsehen zurück nach Algerien seine Musik und ten Musikform stets volksnahe spekt, auch mit großem Humor, nach Marokko verlegt; Bono, der nique, des viermaligen algeri- und wurde schließlich ein globa- Variationen korrespondieren. und man konnte den Eindruck im Jahr davor selbst teilgenom- schen Fußballmeisters von Tizi- ler Ohrwurm. nicht zuletzt als Klassisch hieß: langsamer bekommen, das Land ein wenig men hatte, wollte Malis Musik Ouzou, der Werksmannschaft ei- So unpolitisch die Hörer- Beweis der RhythmusundbreiteIntonation, zu kennen. Noch präsenter wur- auf jedes Festival der Welt brin- nes Elektrounternehmens. Brei- schaft insgesamt sein mochte: wohlgesetzte Worte, strenge Re- de Mali mir durch seine musika- gen, um den militärischen Sieg ter verankert war die Folkmusik, Die musikalische Bewegung be- Möglichkeit von geln für ein ausgesuchtes Publi- lische Tradition und Produktion. der Islamisten in eine morali- deren Texte im berberischen Ta- gleitete einen neuen politischen kum im Konzertsaal und zu offi- Ich erspare mir die Aufzäh- sche Niederlage zu verwandeln. mazight verfasst waren, das da- Umbruch. Algeriens Jugend, die Demokratie in ziellen Festen. (Volksmu- lung der vielen Griot-Sänger und Bei den frühen Wüstenfesti- mals im Einheitsstaat Algerien bald vierzig Prozent der Gesamt- sik) und Rai waren von allem das erwähne nur einige Frauen: Ro- vals hatten Tuareg-Gruppen ihre offiziellso wenig geduldet wurde bevölkerung bildete, war groß- einem bitter- Gegenteil: vulgär, schnell, hedo- kia Traoré, Oumou Sangaré, Fa- Rebelliongegeneinenmalischen wie das Kurdische in der Türkei. teils arbeitslos, aber dank dieser armen Land nistisch, antiautoritär, verboten toumata Diawara, die den Mäd- Staat erklärt, von dem sie sich nie Und ebenso wie die Kurden in Musik nicht mehr sprachlos. Die- (und elektrisch verstärkt). In den chen und Frauen gegen die Patri- einbezogen fühlten und gegen der Türkei gegen die Armee und se verlorene Generation feierte fasziniert Hafenbars der Kolonialzeit wur- archen und Alltagsmachos Mut den sie seit den 90er-Jahren mit die Islamisten bildeten auch Ber- dann vor allem den Rai, der in den der spanische Flamenco und machen. Westafrikanische Mu- Unterstützung Ghaddafis zu Fel- ber eine dritte Kraft gegen die al- den 90er-Jahren als algerische Chansons aus dem Mutterland sik hat den Weg in sämtliche de zogen. Ein wichtiges Medium gerischen Militärs und die From- Weltmusik die Diskotheken ero- zu einem mediterranen Hybrid Weltmusikregale gefunden und waren hier Musik und Poesie, die men, die oft genug gemeinsam bern sollte. verschmolzen. Musik trieb den ist in allen Diskos und Radiosta- auf Audiokassetten unter die die zarten Keime der société civi- Rai ist ein Flickwort wie das Aufstand von 1945 bis 1962 vor- tionen der Welt präsent. Leute gebracht wurden und kos- le zertrampelten. englische Yeah und kann vieles an, nun bewegte sie die schlei- Auslöser des Booms war die tenlos von einer Hand in die an- Da ich für einen ethnografi- bedeuten: spontaner Einfall, chende Jugendrevolte. Eisenbahngesellschaft Malis, als dere wanderten. Nicht zuletzt schen Zugang sonst wenig Zeit starke Meinung, weiser Rat- Die Machthaber verordneten sie nach der Unabhängigkeit ein unter dem (ambivalenten) Label und Gelegenheit hatte, wurde schlag. Im 19. Jahrhundert hatten dagegen „Arabisch-Andalu- Bahnorchester namens „Super Weltmusik haben sich die Inter- Musik mein Schlüssel zum alge- Hirten eine einfache Flöten- und sisch“,eine Art algerischer E-Mu- Rail Band“ gründete, das mit ei- preten professionalisiert, heute rischen Alltag. A vava inou va war Trommelmusik nach Oran mit- sik. Sie bestanden darauf, dass ner Mischung aus Mandinké- spielen sie nicht mehr umsonst das Werk von Idir, einem un- gebracht, vornehmlich weibli- die maghrebinische Hochkultur Klängen, kongolesischer und ku- auf den großen Bühnen der Welt. scheinbar wirkenden Geologie- che Interpretinnen entwickelten nicht in den Kaschemmen von banischer Tanzmusik und Swing Ziel der rebellischen Tuareg Oran wurzelte, sondern in Sevil- an der Buffetbar des Bahnhofs in war und ist die Gründung eines la, Córdoba und Granada und da- Bamako aufspielte. Die späteren unabhängigen Tuareg-Staates mit in der Blütezeit des Islam im Weltstars Salif Keita und Mory Azawad, der die von den ehema- späten Mittelalter. Postkolonial Kanté stammen aus dieser Band. ligen Kolonialherren wie mit der sollte das die politisch korrekte Wie zu erwarten war, haben Aktendeckelkante gezogenen ko- Tradition darstellen. die Islamisten, die sich im April lonialen Grenzen überwindet Algerische Musik, ganz gleich 2012 der Nordprovinzen Malis und damit die Integrität gleich welcher Dignität, fasziniert bemächtigten, nicht nur Bilder, mehrerer postkolonialer Staaten durch Trommelschläge, Flöten- sondern auch diese Klänge ver- angreift. läufe und Violinschmalz, Oud-, boten. Per Dekret erklärten sie je- Unter weitgehendem Aus- Gitarren-, Akkordeon- und Kla- de Form von Musik zum Werk schluss der Tuareg haben Ende vierpassagen. Und die Vierteltö- des Satans, an ihre Stelle sollte 2013 Wahlen stattgefunden, aber ne, ein starker Drive, das Wech- die Rezitation von Koranversen die staatliche Ordnung nur for- selspiel der Vokalisten mit dem treten. Um dem Nachdruck zu mal wiederhergestellt. Zu viele Orchester und die Improvisation verschaffen, tauchten Milizen in auswärtige Akteure – außer den wirken auch in einer Pariser oder Kidal auf, der Heimat der be- Franzosen China, die Golfstaaten Frankfurter Disko. kannten Tuareg-Band Tinariwen, und Marokko – mischen sich in In El Gusto, dem Film der Alge- sie bedrohten die Familien der der Sahel-Region ein, von wo ein rierin Safinez Bousbia, erlebt Bandmitglieder und zerstörten großer Teil der Flüchtlinge man die rührende Zusammen- sämtliche Instrumente. Der in stammt, die über das Mittelmeer führung ergrauter Chaabi-Musi- Saudi-Arabien zum Salafismus in den reichen Norden gelangen ker nach Art des Buena Vista So- konvertierte Iyad Ag Rhali, An- wollen. cial Club, die rund ums Mittel- führer der Tuareg-Revolte von meer verstreut waren. Vor der 1990, hatte früher selbst Musik ■ Auszug aus: Kamera lassen sie die Unterhal- gemacht und komponiert, mit „Politische Zei- tungsmusik der50er-Jahreaufle- Tinariwen abgehangen, geraucht ten. Beobachtun- ben, an der die Pieds-Noirs, die und getrunken. Nun befahlen er gen von der Sei- „Schwarzfüße“ genannten Sied- und seine Genossen von Ansar tenlinie“. Bertels- ler, ebenso mitwirkten wie Be- Dine, die Musik müsse aufhören. mann, Gütersloh freiungskämpfer, die Moudjahe- Keiner solle mehr auf den Stra- 2015, 480 S, dines. An ihrem Lebensabend ßen tanzen, es dürfe keine Party 24,99 Euro taz. thema | global pop 23./24./25. MAI 2015, PFINGSTEN  TAZ.DIE TAGESZEITUNG 03

Hinterm Horizont geht’s weiter: Dort sind Noura Mint Seymali und Jeiche Ould Chighaly ganz obenauf Foto: Matthew Tinari/Glitterbeat

VON BERTHOLD SELIGER nicht einmal wüssten, in wel- nur Jimi Hendrix, The Who, Janis chen deutschen Medien sie An- JoplinoderdieGratefulDeadauf, ch könnte endlos Beispiele er- zeigen schalten sollten, denn die- sondern spielte ein gewisser Ravi zählen aus dem Jammertal, se Musik komme in Deutschland Shankar auch auf der Hauptbüh- Imit dem man zu tun hat, wenn ja praktisch nicht vor. ne eine Stunde lang indische Ra- man Konzerte von Bands und Natürlich hat diese Haltung gas. Stellen Sie sich so eine Offen- Künstlern präsentiert, die (noch) der deutschen Medien, der Pop- heit mal bei einem Festival wie nicht im Mainstream angekom- zeitschriften und der selbster- Rock am Ring oder dem Hurrica- men sind. Künstler, die man auf- nannten „Qualitätspresse“ etwas ne vor. Doch Monterey Pop wur- bauen muss, für die man das Pu- mit der Narration der Popkultur de nicht von einem Großkon- blikum erst begeistern muss. als der des weißen Mannes zu zern, sondern von den Musikern Doch von Kulturämtern oder tun. Denn die Deutungshoheit selbst veranstaltet. subventionierten Kulturzentren über Popmusik ist in der Hand Das Interesse von Popmusi- höre ich, wenn ich Künstler wie des weißen Mannes, und die wei- kern wie Peter Gabriel (der das Noura Mint Seymali anbiete, Ar- ßen Männer tun wirklich alles RealWorld-Label gegründet hat), gumente wie „kann man nicht dafür,dassdasauchsobleibt.Wir David Byrne (Luaka Bop) oder kostendeckend veranstalten“ haben es hier mit einem Phäno- Damon Albarn (aktuell „Africa (wofür aber gibt es Subventio- men zu tun, das man eigentlich Express“) an „Weltmusik“ ist le- nen?!?) oder „da kommt ja nie- nur als „subtil rassistisch“, min- gendär. Chris Eckman von den mand“.Oder: „Ich habe schon vor destens aber als „neokolonialis- Walkabouts leitet mittlerweile einiger Zeit aufgehört, traditio- tisch“ bezeichnen kann. Was in- eines der europaweit führenden nelle Weltmusik zu präsentieren, teressiert uns denn Musik aus Labels für Weltmusik, Glitter- ich bekomme einfach das ent- Mauretanien? Maurewas?!? Wo beat,undichhabemaleinganzes sprechende Publikum nicht in liegt das denn überhaupt? Sicher Abendessen lang mit Henry Rol- den Laden.“ „irgendwo da unten“. Generell lins über afrikanische Musik ge- Das ist längst ein grundsätzli- gilt das, was Reich-Ranicki 1992 sprochen und habe in meinem ches Problem, das praktisch die mal im Gespräch mit Peter von Leben wenige Menschen ken- ganze sogenannte Weltmusik- Matt über afrikanische Literatur nengelernt, die mehr Ahnung Szene, aber auch viele Sparten gesagt hat – „Ganz bestimmt davon gehabt hätten als Rollins. der „Underground“-, - oder schreibe ich nicht über afrikani- Und einer der wichtigsten deut- anderer weniger marktgerechter sche Literatur, davon verstehe schen Musiker, Mark Ernestus, Kulturszenen angeht. Doch es ist ich nichts. Mir ist die afrikani- produziert regelmäßig afrikani- auch ein sehr deutsches Pro- sche Welt, die afrikanische Pro- sche Tracks und Alben auf sei- blem.EinProblemderaufihreei- blematik, Kunst und Literatur nem eigenen Label. genen, sorgsam gehegten klei- fremd“ –, bis heute auch für die Natürlich wird eine Noura nen Vorgärten bedachten Veran- deutsche Popkritik. Nur, dass es Mint Seymali auch in Deutsch- stalter und Medien, die noch al- wohl kein Gebiet der Kultur gibt, land zu sehen sein, eben weil es les dafür getan haben, jedes kul- in dem so viele spannende musi- ein paar Musikverrückte in Ber- turelle Phänomen eifrigst an den kalische Entwicklungen und lin, in Rudolstadt oder beim her- Boden einer der von den Kultur- Neuerungen von Afrika ausge- vorragenden „Fusion“-Festival funktionären bereitgestellten hen würden, wie die Musik. Inso- gibt – aber das sind die Ausnah- Schubladen festzunageln. fern ist diese ignorante Haltung men, die die Regel bestätigen. In der gesamten westlichen Die Dünensurfrockstars gegenüber afrikanischer Musik Und so werden Sie die große Welt – außer in Deutschland – be- eben sehr speziell, und sie muss Noura Mint Seymali diesen Som- richten die renommiertesten sehr spezielle Gründe haben. mer vor allem im Ausland be- Musikzeitschriften längst aus- IGNORANZ Weltweit britische Elektronik-Magazin über „Weltmusik“ gemacht, wie Die Musiker selbst sind in den staunen dürfen. führlich und gleichberechtigt The Wire in seiner aktuellen Aus- im Februar auf Spiegel Online : Köpfen seit jeher frei, ihnen ist Bei ihrer letzten London- von sogenannter „Weltmusik“. wird Noura Mint gabe vom Konzert: „Es bleibt Sey- „Aber hält nun auch die Musik egal,ob Musik aus Indien,Marok- Show war übrigens auch Damon Noura Mint Seymalis Debütal- mali überlassen, die Tanzfläche dieser sehr guten Geschichte ko oder Mali kommt, solange sie Albarn (Blur), zusammen mit bum wurde in der US-amerikani- Seymali aus in Brand zu setzen – und Dutzen- stand, ohne allzu offensichtlich interessant ist. Die Stones be- zwei Leuten von Massive Attack, schen Presse (von New York Ti- Mauretanien als devonFremdensogardazuzuin- in die Exotik-Falle zu rennen? suchten in den 1960er Jahren die und er hat Noura eingeladen, an mes und Boston Globe bis Noi- spirieren, sich die Hände zu rei- NichtsistjaschlimmeralsdasLa- legendären Master Musicians seinem „Africa Express“ in Ros- sey ) ebenso gefeiert wie in Groß- Newcomerin der chen und im Kreis herum zu bel „Weltmusik“: Da denkt man von Jajouka, die Beatles setzten kilde teilzunehmen (wo Noura britannien (von fRoots und Song- Saison gefeiert. Nur hüpfen, was zu einigen der le- sofortanDia-Abende,Rastafrisu- sich mit indischer Musik ausein- ohnediesmitihrereigenenShow lines bis Guardian und Evening bensbejahendsten Szenen führt, ren und bunte Ponchos – wider- ander, und als ich 2005 die ge- gebucht ist), und es wird wohl ei- Standard ), es tauchte in den Jah- in Deutschland die jemals ein Festival für experi- lich!“ Steht da so. Und das ist meinsame Tournee von Tortoise nen gemeinsamen Track mit resbestenlisten 2014 von Uncut mentelle Musik geziert haben.“ schon sehr typisch fürs Pegida- und Konono No. 1 veranstaltet Massive Attack geben, der in Ros- auf oder von NPR und als eines (noch) nicht. Warum Und nun die Frage: Glauben Land, diese unterschwellige, nun habe (die Teilnahme der Musiker kilde uraufgeführt werden wird. der besten Alben von 2014 natür- ist das so? Über den Sie, das Album von Noura Mint ja, nennen wir das Phänomen aus dem Kongo scheiterte dann Wollen wir wetten, dass dann lich in einer der besten Kultur- Seymali sei auch nur in einer ein- großzügigerweise mal nicht an der fehlenden Visaerteilung auch die hiesige Pop-Journaille zeitschriften Europas, im franzö- Kanon des weißen zigen nennenswerten deutschen „Rassismus“, sondern „Ignoranz durch europäische Behörden …), plötzlich Noura Mint Seymali sischen Les Inrockuptibles. Musikzeitschrift rezensiert wor- gegenüber der Avantgarde, die war in London natürlich die le- zur Kenntnis nehmen wird? „Seymali und ihre Band sind Mannes: Ein den? In auch nur einem einzigen aus anderen Kulturen als der gendäre Royal Festival Hall der tadellos, ein Aufruhr aus traditi- Stoßseufzer ihres Musik- oder Pop-Feuilleton einer abendländischen kommt“. Veranstalter, weil dort eben die ■ Berthold Seliger ist Autor und oneller mauretanischer Musik einzigen deutschen Tageszei- Die mediale Situation für verschiedenen Formen von Zeit- Konzertagent und lebt in Berlin. und psychedelischem Rock, voll Konzertagenten tung? Es gab eine Rezension auf „Weltmusik“ (aber auch für jed- kultur gleichberechtigt nebenei- 2013 erschien „Das Geschäft mit pulsierender Off-Rhythmen, Spiegel Online und eine bei wede „abwegige“, subkulturelle nander stehen, die Klassik eben- der Musik – ein Insiderbericht“. Im mutiger, fließender Vocals und Funkhaus Europa (WDR), und Musik) hierzulande ist schlicht so wie Pop und World. Juni erscheint sein Buch „I Have A flinker, phaser-lastiger Schwert- das war’s auch schon. ein Trauerspiel. Die Leute vom Und beim ersten großen Festi- Stream – Für die Abschaffung des schläge des Gitarristen Jeiche Dagegen werden gerne altba- LabelvonNouraMintSeymalier- val überhaupt, dem legendären gebührenfinanzierten Staatsfern- Ould Chighaly“, schwärmt das ckene Vorurteile und Scherze zählten mir gequält, dass sie Monterey Pop 1967, traten nicht sehens“ (beide Edition Tiamat) taz. thema 04 23./24./25. MAI 2015, PFINGSTEN  TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de | [email protected] | global pop

Inside Dolly Parton Mit Poesie gegen den Hass AMERICAN SONGBOOK Rhiannon Giddens fühlt sich in große Frauenfiguren in , Country und Jazz ein HOMMAGE Die franko- Eine Musikerin, die die Qualitä- mit „Last Kind Words“ eine wun- algerische Sängerin ten von Odetta, Nina Simone, Jo- derbar archaische Adaption der an Baez und Dolly Parton ver- halbmythischen Bluesfrau Souad Massi eint? Bei der Sängerin, Geigerin Geeshie Wiley, gefolgt von Dolly erinnert an die und Banjospielerin Rhiannon Partons „Don’t Let It Trouble Giddens trifft das zu. Mit den Ca- Your Mind“ und einem vom liberalen arabischen rolina Chocolate Drops arbeitete Country in den Soul hinüberge- Dichter und Denker sie die Geschichte der schwarzen zogenen Cover von Patsy Clines Stringbands Amerikas auf. Nach „She’s Got You“. Im Titelstück der Vergangenheit zwei Alben mit diesem Trio, das greift sie auf Nina Simones Versi- das Repertoire der Minstrel- on eines Aznavour-Chansons zu- und der Gegenwart shows und der Ära vor Bluegrass rück. „Das ist das emotionale erkundete, zog sie Starproduzent T Bone Burnett für die Begleit- urch den Bürgerkrieg in konzerte zum Coen-Brothers- den Neunzigerjahren Film „Inside Llewyn Davis“ an D war die Situation in Al- Land und spannte sie neben Elvis gier unerträglich gewor- Costello für die New Basement den, mit Ausgangssperren, Poli- Tapes ein, seine Vertonung neu zeikontrollen und der ständigen entdeckter Bob-Dylan-Lyrics. Gefahr eines Anschlags. Wenn Und nun ihr erstes Solowerk Souad Massi mit kurzen Haaren „Tomorrow Is My Turn“, eine ge- und in Jeans zu Gitarrenstunden nauso muskulöse wie feinfühli- oder Bandproben eilte, lief sie geHommageanzentraleFrauen- stets Gefahr, zwischen die Fron- figuren in Blues, Country, Folk ten zu geraten. Nach einem Auf- Nicht stören: Songwriterin träumt vom Goldenen Zeitalter in Andalusien Foto: J.-B. Millot und Jazz, von Sister Rosetta tritt auf einem Festival in Paris TharpebisPatsyCline.„Ichsuche blieb sie 1999 einfach kurzer- mir in jedem Song eine Aussage, Die Giddens-Raute Foto: D. Winters hand dort, ergatterte einen Plat- len Kalligrafien rundet das Kon- Abou El Kacem El Chabbi, dessen Die Menschen seien unter bruta- die ich aus meiner eigenen Er- tenvertrag und wurde mit fein zeptalbum ab. Dass es als aktuel- „Botschaft an die Tyrannen die- len Diktaturen aufgewachsen. fahrung herausheben kann, mei- Zentrum des Albums“, sagt sie. gesponnenen Folkballaden qua- ler Kommentar zur aufgeheizten ser Welt“ sie vertont hat. „Ich „Für sie ist das ein Mittel, um Ra- ne eigene Stimme soll erkennbar „Man kann in Simones Interpre- si über Nacht berühmt. Stimmung in Frankreich nach wollte, dass diesen Leuten Ge- che zu nehmen.“ In Europa sei bleiben. Es war mir aber auch ein tation von 1968 spüren, wie die Heute ärgert sich Souad Mas- den Anschlägen auf Charlie Heb- rechtigkeit widerfährt“,so Massi. die Radikalisierung dagegen das Anliegen zu zeigen, dass ich von Verzweiflung mitschwingt über si, dass ihre Region in Europa do oder zur Zerstörungswut der Zugleich ist sie überzeugt, Resultat einer erfahrenen Ableh- Musikerinnen der verschiedens- all die Möglichkeiten, die ihr als häufig nur in Verbindung mit IS-Milizen im Nahen Osten gele- dass der Kampf für Freiheit und nung. „Manche Einwandererkin- ten Stile und gesellschaftlichen schwarzer Frau verbaut waren. Terror und Gewalt wahrgenom- sen werden kann, ist reiner Zu- Demokratie nur mit Worten ge- der finden ihren Platz in der Ge- Schichten beeinflusst bin.Jimmy Wir als Künstler dürfen nicht auf- men wird. Ihr Album „El Muta- fall. „Es macht mich traurig zu se- führt werden kann. „Waffen wa- sellschaft nicht, es fehlt ihnen an Rodgers sang auch immer Blues, hören, über diese Thematik zu kallimun“,zu Deutsch „Die Meis- hen,wiedaskulturelleErbeinSy- ren noch nie die Lösung. Wir ha- Selbstwertgefühl.“ Darum könn- die Bluesmen machten auch im- sprechen. Auch in der Obama- ter der Debatte“,ist deshalb eine rien und dem Irak zerstört wird“, ben das in Algerien erlebt“, sagt ten sie leicht durch Hassprediger mer Country. Erst die Plattenfir- Ära bleibt jede Menge zu tun.“ Hommage an die Dichter und sagt sie. Doch sie ist überzeugt, sie, Unter dem seit 1999 regie- manipuliert werden. „Wir brau- men zogen die Trennlinien hoch STEFAN FRANZEN Denker, die sich im Andalusien dass das letzte Kapitel des arabi- renden Präsidenten Abdelasis chen mehr Sozialarbeit in den und fingen an, in Kategorien zu des Mittelalters für Toleranz und schen Frühlings noch nicht ge- Bouteflika etwas Ruhe einge- Vierteln, um diese Jugendlichen denken“,sagt Rhiannon Giddens. ■ Rhiannon Giddens: „Tomorrow Is gegenseitigen Respekt einge- schrieben ist. „Die Lage ist in der kehrt. „Bei aller Kritik – er hat und Schüler aufzufangen und Am Anfang ihres Albums steht My Turn“ (Nonesuch/Warner) setzt haben, erinnert aber auch Schwebe, die Leute wollen einen dem Land Stabilität gebracht“, diesen Sekten den Boden zu ent- an die liberalen Stimmen der Ge- Wandel. Und es gibt noch immer verteidigt sie das greise Aushän- ziehen“,findet Massi. genwart. Massi hat dafür arabi- junge Leute, die für die Mei- geschild des Militärregimes. „Er Die europäische Politik sieht sche Poeme vertont, von klassi- nungsfreiheit kämpfen.“ Zum hat eine Amnestie für Islamisten sie kritisch. „Europa verkauft schen Dichtern aus dem 6. Jahr- Glück habe es zu allen Zeiten mu- durchgesetzt.Daswardieeinzige Waffen an Länder wie Ägypten“, hundert bis zu modernen Auto- tige Dichter, Schriftsteller, Essay- Lösung, auch wenn sie sehr kritisiert Souad Massi. Der Wes- ren wie dem Iraker Ahmad Ma- isten, Journalisten gegeben, die schwer fiel.“ ten mache sich unglaubwürdig. tar, der seit Jahrzehnten im Exil sich gegen die herrschenden Den radikalen Islamismus in „Man kann einen Regierungs- in London lebt und mit bitterem Mächte gestellt haben: So wie ihrer Region sieht sie als „Resul- chef wie Netanjahu doch nicht Sarkasmus mit denDespotender den tunesischen Nationaldichter tat einer enormen Frustration“. zum Wahlsieg beglückwünschen Region abrechnet. „Seine zarten nach dem, was in Gaza passiert Verse haben keine Grenzen“, ist.“ In würde sie deshalb schwärmt sie für den 60-jähri- nicht auftreten. „Das würde so gen Poeten. „Ich hatte Lust, diese aussehen, als ob ich mit der Poli- World · Music · Festival Kostbarkeiten der arabischen Li- tik der Regierung dort kein Pro- 30. Juli bis 2. August 2015 teratur und Kunst zu teilen.“ blem habe.“ Und nicht nur dort: Altstadt · Eintritt frei Massi kleidet diese Poeme in Waffen waren noch nie „Auch in Saudi-Arabien oder Ka- frischen Folkpop, mal mit Reg- eine Lösung. Wir haben das tar würde ich nicht auftreten“, Stephan Eicher, Fanfare gaerhythmen, mal mit Country- sagt sie bestimmt. Ciocaˇrlia, Rainald Grebe & rock oder andalusischem Fla- die Kapelle der Versöhnung, schon in Algerien erlebt ■ Mayra Andrade, Stefan Stoppok, mencoflair kombiniert. Ein auf- Souad Massi: „El Mutakallimun“ Amparo Sanchez, Los de Abajo, wändiges Booklet mit kunstvol- SOUAD MASSI, SÄNGERIN (Wrasse/Harmonia Mundi) Dissidenten & Mohamed Mounir, Bernd Begemann, Dikanda, Joe Driscoll & Sekou Kouyate, Sväng, Gisela João, Winston McAnuff & Fixi… Fado für die Facebook-Generation Veranstalter: Medienpartner: Hauptförderer: Projektbüro im FADO-POP Kulturreferat der „Ich erinnere mich nicht mehr Auf „Canto“ haben werde. Allein die Titel ih- Zusammen mit ihrem Ehe- Stadt Nürnberg an den Tag, an dem ich begonnen steuert Portugals Fado- rer beiden ersten Alben von mann, dem Gitarristen Diogo habe, Fado zu singen“, sagt 2009 und 2012, „Fado“ und „Al- Clemente, hat sie ihren Fado auf Carminho. „Ich weiß ja auch JungstarCarminhoneue ma“ („Seele“) sind so monoli- „Canto“ merklich geöffnet. Sie nicht mehr, an welchem Tag ich Ufer an, betreibt thisch gewählt, als ginge es hier geht in Brasilien vor Anker, hat anfing zu sprechen. Fado lernt Heimatkunde und um zeitlos Gültiges. Dass sie ihr vom Verehrer Caetano Veloso man wie seine Muttersprache: es Genre so souverän beherrscht, und seinem Sohn Tom die gibt keine Bücher, Schulen, The- landet sogar in Brasilien gibt ihr die Freiheit, in andere schlichte Ballade „O Sol, Eu E Tu“ orien, die man zu Rate ziehen Stile zu wechseln. So landete sie entlehnt, singt im Duett mit Ma- kann“,behauptet sie frisch. mit dem spanischen Popstar Pe- risa Monte. In schwungvollen, Der Fado wurde Carminho al- dro Alborán den Nummer-eins- wuchtigen und frischen Exkursi- lerdings auch schon in die Wiege Hit „Perdoname“, sang mit Mil- onen feiert sie aber auch Portu- gelegt. Als Tochter der Fadista Te- ton Nascimento, arbeitete mit gals Vielfalt, und betreibt ein we- resa Siqueira wuchs sie mit den dem Elektroniker Nicolas Jaar. nig Heimatkunde. „Diese Platte Konzertabenden ihrer Eltern auf. Carminho, so lehrt ein Blick hat mehr Perkussionsanteile, Schon mit zwölf stand sie auf der auf die 300.000 Likes ihrer Face- mehr Rhythmus. Ich habe er- Bühne des großen Coliseu von book-Seite, ist ein Massenphäno- kannt, dass in meinen Wurzeln Lissabon, und kaum dem Teen- men, und gerade für viele Junge mehr drinsteckt als die Liebe ageralter entwachsen, war sie ist sie eine Ikone. „Die jungen zum Fado. Zum Beispiel Folklore- mit Zahnspange in Carlos Sauras Portugiesen hören immer mehr formen vom Süden bis hoch zur Musikfilm „Fados“ zu sehen. Ihre Fado“,bekräftigt Carminho. „Der Beira Alta, die Janeiras oder die Karriere verlief so steil, dass sie Fado ist wie ein Motor, der stetig Corridinhas aus dem Algarve, wo selbst Angst bekam und erst ein- an Kraft gewinnt. Wir sind ein ich viele Jahre meiner Jugend mal ein Jahr in Asien als Mitar- kleines Land, und die Waffe, mit verbracht habe.“ Indem sie an beiterin einer Hilfsorganisation der wir in der Welt bestehen kön- diese Stile erinnert, die internati- verbrachte, bevor sie ihr Debüt- nen, ist unsere Kultur. In dieser onal weniger bekannt sind, album aufnahm. schwierigen Phase, die gerade macht Carminho klar, dass Por- Als das erschien, lag ihr das die Jungen durchleben müssen, tugal mehr als nur Fado ist. Publikum zu Füßen, und Kritiker ist es klar, dass sie sich auf die Su- STEFAN FRANZEN lobten sie als eine der größten Jugendidol des Fado: Carminho, 30 che nach ihrerIdentität machen“, Stimmen, die das Land jemals Foto: Warner findet die Sängerin. ■ Carminho: „Canto“ (Warner) taz. thema | global pop 23./24./25. MAI 2015, PFINGSTEN  TAZ.DIE TAGESZEITUNG 05

VON STEFAN FRANZEN zynisches Denkmal gesetzt. ist die Stimmung auf „Turning des Wortes: die Violinistin und „Frauen dürfen im Libanon im Back“,Trauer über die Restaurati- Arrangeurin Nancy Mounir. ie Umwälzungen im Na- Badeanzug zum Strand gehen Singen ist keine on der alten Verhältnisse scheint „MeineEingangstürzurMusik hen Osten beherrschen und werden auf der Straße nicht allenfalls zwischen den Zeilen war die Theatergruppe El Warsha D seit Jahren die Schlagzei- belästigt. Aber wenn es ums Hei- hervor („Yabelad“). Explizit dage- – bei denen habe ich den ganzen len. Doch ein grundle- raten und Erben geht, wird das gen ist ihre Kritik an religiöser Schatz der traditionellen Stile gender Wandel der Gesellschaf- Gesetz immer zum Vorteil des Sünde,Kunstist Bevormundung: „Singen ist kei- Ägyptens kennengelernt“,sagt El ten dort wird nicht ohne die Mannes ausgelegt. Und eine ne Sünde, Liebe ist keine Sünde“, Wedidi. „Aber als es dann an Emanzipation der Frauen mög- Frau, die von ihrem Mann ge- heißt es im Song „El Haram“. mein eigenes Album ging, wollte lich sein. Der Libanesin Tania Sa- schlagen wird, hat keine Instanz, Die Zukunft ihresLandes sieht ich eine neue Folkmusik, eine Fu- leh, der Ägypterin Dina El Wedi- vor der sie klagen kann“, kriti- Dina El Wedidi nach der gewalt- sion machen.“ Dabei orientiert di und der Iranerin Mahsa Vah- siert sie das Geschlechterver- keine Sünde samen Entmachtung der Mus- Dina El Wedidi sich nicht nur am dat kommt in dieser Hinsicht ei- hältnis im vergleichbar liberalen limbrüder ungewiss. „Was arabischen Erbe. „Wir müssen ne Vorbildfunktion zu. Libanon. Den schmachtenden kommt, ist völlig offen, und das uns auch als Teil Afrikas begrei- Als Jugendliche überquerte Liedern der arabischen Klassik, NAHOST Die Revolution der Frauen: Ein macht mir Angst. Deshalb heißt fen“, sagt sie über ihr Land. Der- die heute 45-jährige Tania Saleh die oft von unerfüllter Liebe han- Label aus Oslo präsentiert selbstbewusste mein Album auch ‚Turning zeit arbeitet sie deshalb im „Nile währenddesBürgerkriegsinBei- deln, setzt sie mit Bossa-Rhyth- Back‘: Wir, die Kinder der Revolu- Project“ mit gleichaltrigen Musi- rut die feindlichen Linien auf men eine selbstbestimmte Weib- Stimmen aus Kairo, Beirut und Teheran. tion, müssen nun wieder genau kerinnen aus Äthiopien, Ruanda, den Flügeln von Rockmusik. „Die lichkeit entgegen. dort anfangen, wo wir schon vor Burundi, Uganda und Kenia zu- traditionelle arabische Musik in- „Erst wenn wir wirkliche Sie spiegeln die Stimmung ihrer Länder drei Jahren waren“,sagt sie. sammen. „Wir müssen dem Afri- teressierte mich damals nicht“, Gleichberechtigung haben, wird Die Musik der Underground- kabild, das durch US-Medien ver- erzählt sie. „Ich begeisterte mich auch die Musik blühen“,ist Tania szene explodiert zwar, nicht nur breitet wird, etwas entgegen set- für Stevie Nicks, Grace Slick, Joni Saleh überzeugt. Der aus den in Kairo und Alexandria, dank zen“, findet sie. Da trifft es sich Mitchell und fing auch an, Jazz zu Golfstaaten finanzierte Pop- Soundcloud und YouTube. Aber auch gut, dass sie den brasiliani- hören. Musik war ein Mittel, vor Mainstream dagegen zerstöre die Machthaber stehen immer schen Popstar Gilberto Gil als dem schrecklichen Alltag des die einstige Vielfalt des libanesi- noch im Weg, wenn es darum Mentor gewinnen konnte. „Die Kriegs zu fliehen“. schen Liedes. Wer abseits agiert, geht, Auftrittsmöglichkeiten zu Nacht“, ihr arabisch-portugiesi- Heute arbeitet Tania Saleh in mussMittelimAuslandrekrutie- organisieren. Und von Mei- sches Duett mit ihm, ist von ele- einer Werbefirma und erstellt zu ren – so wie sie, deren Album nungsfreiheit, das weiß El Wedi- ganter Melancholie. ihren Songs gewagte Videocolla- beim norwegischen Label Kirke- diauseigenertäglicherAnschau- In das Kirkelig-Konzept passt gen. Zu ihrer Rockhymne „Ya lig Kulturverksted erscheint, ung, ist das postrevolutionäre auch Mahsa Vahdat aus Teheran. Wled“ hat sie etwa die Gesichter dass sich seit jeher in der Frie- Ägypten weit entfernt: Die Texte Auf „Traces Of An Old Vineyard“ bekannter Politiker durcheinan- densarbeit und im Kulturaus- und die Versammlungsorte kriti- bringt die Iranerin Sufilieder in dergewürfelt, als Zeichen ihrer tausch engagiert. Zum 25-jähri- scher Künstler stehen unter stän- einen neuen Kontext. Die Arran- Austauschbarkeit. „Der Libanon gen Verlagsjubiläum will man diger Beobachtung der Regimes. gements kombinieren traditio- wird regiert von einem Haufen sich in Oslo nun verstärkt dem Dina El Wedidi zieht sich dar- nelle persische Streichlaute und korrupter Typen, die den Hass Nahen Osten widmen. um in die Tradition zurück. Auf Perkussion mit ruhiger, nordi- der religiösen Gruppierungen Darum erscheint dort auch ihrem Album verwebt sie die scherJazz-Improvisation am Kla- gegeneinander schüren. Du das Album der Ägypterin Dina El trancehaften Rhythmen der ritu- vier. Die glühenden Verse von kannst niemandem von ihnen Wedidi. Auf dem Tahrirplatz in ellen, von Frauen gepflegten Zar- Hafis und werden so in ih- trauen, ganz gleich aus welcher Kairo sang die heute 27-Jährige Musik mit modernen Songwri- rer zeitlos-spirituellen Bedeu- Partei. Da nützt es uns auch we- den Demonstranten den Hit ting. Dazu hat sie die Frauen der tung bestätigt. nig, dass wir der einzige Staat der „Lasst uns träumen“. Auf ihrem Gruppe Mazaher eingeladen, die arabischen Welt mit freier Rede ersten Soloalbum spiegelt sich auf diese archaische Heilungsze- ■ Tania Saleh: „A Few Images“; sind“,zürnt sie. nun die Gemütslage einer Gesell- remonie spezialisiert sind. Auch Dina El Wedidi: „Turning Back“; In ihrem Song „Reda“ hat sie schaft im Schwebezustand. Ele- in ihrer Band spielt eine Frau die Mahsa Vahdat: „Traces Of An Old dem libanesischen Chauvi ein gisch, poetisch und somnambul War Stimme des Aufbruchs: die Ägypterin Dina El Wedidi Foto: Kirkelig erste Geige, im wahrsten Sinne Vineyard“ (alle: Kirkelig/Indigo)

Billie Holiday in Tel Aviv NAHOST Die beiden Israelis Irit Dekel und Eldad Zitrin setzen altbekannte Jazz-Standards mit orientalischen Instrumenten völlig neu in Szene

ie Sängerin Irit Dekel Produzenten“,sagt Irit Dekel, die stattdessen eine Duduk zu inte- und der Multiinstru- von Berufs wegen Schauspiele- grieren, die türkische Klarinette. D mentalist Eldad Zitrin rin ist, doch schon ihr ganzes Le- Dazu kam ein Kanun, eine orien- gelten als neues Dream- ben lang gesungen hat. talische Kastenzither. Außerdem team der jungen israelischen So kam sie mit dem 1980 in Tel wurde die Alaev-Familie ins Stu- Jazzszene. In einer so hochkaräti- Aviv geborenen Eldad Zitrin in dio gelockt, eine in Israel lebende gen Musiklandschaft wie der is- Kontakt, der seinerseits Jazzsa- Großfamilie aus Buchara, von raelischen wird man dazu nicht xofonist ist. Seine Sporen hat er denen jedes Mitglied ein exoti- ohne Weiteres erklärt, dazu sich als Begleiteter israelischer sches Instrument spielt. braucht es schon einen großen Stars wie Dudu Tassa oder Rita Dem Eindruck, dass sie die Wurf. Und der ist dem Duo aus verdient und zuletzt als Arran- „Good Old Songs“ nur ein wenig Tel Aviv mit ihrem Debütalbum geur auf Idan Raichels neuem Al- „israelisiert“ haben, wider- „Last of Songs“ gelungen. bum „Quarter to Six“. spricht Irit Dekel: „Ein Instru- ment wie die Oud ist typisch für den Nahen Osten. Genauso die Kamanche, die iranische Stachel- geige, die ursprünglich kein isra- elisches Instrument war. Trotz- dem denke ich, Israel ist ein Mix. DER BESTE Unsere Kultur ist eine Mischung. Und so ist auch unsere Musik ei- ne Mischung aus vielem.“ Auch auf sie selbst trifft das SOUND zu. „Meine Eltern sind Immig- ranten aus der Ukraine“,sagt Irit Dekel, und Eldad Zitrin erzählt, dass seine Vorfahren „halb grie- chisch, halb polnisch“ sind. DER WELT Diese biografische Vielfalt spiegelt sich auch in dem, was die beiden Musiker ansonsten so machen. Irit Dekel betreibt mit FM der Frauenband Boana A’banot AUF 012,2 eine Hommage an die israelische Songwriterin Chava Alberstein. Und zuletzt haben Irit Dekel Setzen auf den Verfremdungseffekt: Dekel & Zitrin Foto: Roy Eventov und Eldad Zitrin bei der israeli- schen TV-Serie „Eifo Ata Hai“ zu- Erst beim zweiten Hinhören „Anfangs hatte ich gar nicht sammengearbeitet: Sie hatte da- wird klar, dass es sich bei den 12 begriffen,was Irit von mir will.Es rin eine Rolle als Schauspielerin Songs ausnahmslos um Jazzklas- gibt ja schon Millionen von Re- ergattert, und gemeinsam haben siker handelt. Zum Beispiel „Bye makes dieser alten Hits. Und so sie den Titelsong komponiert Bye Love“, „Get Happy“ oder habe ich zu ihr gesagt: Wenn wir und eingespielt. „Good Morning Heartache“ – al- nicht besser sind als das Original Die beiden sind also in jeder les Stücke, die schon Ray Charles, und wenn wir es nicht schaffen, Hinsicht ein Dreamteam. Bette Midler oder Barbra dass die Songs völlig neu klin- JONATHAN SCHEINER Jetzt hören im Radio Streisand gesungen haben. „Ich gen, dann sollten wir es nicht und auf funkhauseuropa.de hattedieIdee,Jazzstandards,also tun“,erzählt Eldad Zitrin. ■ Irit Dekel & Eldad Zitrin: „Last of die guten alten Hits des Ameri- Der erste Schritt bestand in Songs“ (Pinorekk/Edel, im Juli). can Songbook, neu zu interpre- der Entscheidung, das jazztypi- Konzerte: 3. 6. Bremen, 4. 6. Kiel, tieren, und suchte dafür einen sche Saxofon wegzulassen und 5. 6. Flensburg, 6. 6. Lübeck taz. thema 06 23./24./25. MAI 2015, PFINGSTEN  TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de | [email protected] | global pop

WELTREISE DURCH WESTAFRIKA Der gute Muslim ■ Cheikh Lo: Balbalou (Chapter Two/Indigo) ISLAM-POP Der Brite lionen Male, insbesondere in der ebenfalls ein Superstar, einen ter persischer Komponist. Seine Der Magier des Türkei und Ägypten. Seither ist Song aufgenommen. Und für die Botschaft ist universell, seine Sami Yusuf stieg mit Sami Yusuf ein Idol und eine „interreligiöse Woche“ der UN Musik international, verpackt af- Mit seinem Dreadlocks sieht er aus wie ein Identifikationsfigur für junge veröffentlichte er kürzlich den ghanische oder aserbeidschani- Rastafari. Doch Cheikh Lo gehört dem Baye- frommen Balladen Muslime von Südafrika bis Pakis- Song „The Gift of Love“,der grego- sche Volksweisen geschickt in ge- Fall-Zweig der Mouridiyya-Bruderschaft an, tan, die ihren Glauben im Ein- rianische Mönchsgesänge mit fällige . Manche wie sich die Anhänger des legendären senega- zum Weltstar auf. klang mit der Moderne leben. Sami Yusufs Solo-Stimme zu ei- Stücke bringt er in mehreren lesischen Sufi-Scheichs Amadou Bamba nen- Nicht nur Millionen Seine Hits heißen „Hasbi Rab- nem dramatischen Crescendo Versionen heraus, je nach Ziel- nen. Ihr spiritueller Ansatz verhält sich zum bi“ („Mein Gott genügt mir“) und verschmilzt. Im Weichzeichner- gruppe auf Englisch, Türkisch Steinzeit-Islam von Boko Haram wie Franz von Kopftuchmädchen „I’m your hope“,und seine Alben Videoclip, der an Orten wie dem und Arabisch. Assisi zu Anders Breivik. Auf „Balbalou“ wartet tragen Titel wie „My Ummah“, Felsendom in Jerusalem und der Seine Kritiker stören sich dar- der Magier des Mbalax mit dezenten Sabar- von Afrika bis Asien „Salaam“ oder, zuletzt, „The Cir- Felsenstadt Petra in Jordanien an, dass er zu seinem Gesang Rhythmen und Melodien auf, die er mit dem schwärmen für ihn cle“. „Nasheed“ heißt der leicht gefilmt wurde, sieht man Bud- auch Instrumente wie Geige und zarten Schmelz seiner zuckersüßen Stimme leiernde, religiöse Gesangsstil, dhisten, Christen und Muslime arabische Oud-Laute einsetzt überzieht. Wie es sich für eine französische Produktion gehört, finden sich VON DANIEL BAX den Sami Yusuf mit Instrumen- beim Gebet. „Die Liebe ist der und dass auf seinen Konzerten auf „Balbalou“ gleich mehrere Kollaborationen mit Künstlern, die in Frank- ten und eingängigen Melodien Kern aller Religionen. Das wollte nicht nur Kopftuchmädchen in reich einen guten Namen haben, darunter die Brasilianerin Flavia Coelho, enn Sami Yusuf in zum flotten Erbauungspop auf- ich unterstreichen“, betont Sami unziemlichen Jubel ausbrechen. der Neo-Musette-Akkordeonist Fixi und die Sängerin Oumou Sangaré aus den nächsten Wo- peppt. Er propagiert „islami- Yusuf. So arbeitet er unermüd- An Sami Yusuf perlt das ab. Aber Mali. Ihr Duett ist eine Anklage gegen all jene afrikanischen Staatschefs, die chen nach Deutsch- sche“ Werte wie Rücksichtnah- lich daran, seinen Glauben ins dass die IS-Milizen diesen religi- die Macht mit Gewalt an sich reißen und ihre Länder ins Unglück stürzen. W land kommt, dann me, Bescheidenheit und Hilfsbe- rechte Licht zu rücken. ösen Nasheed-Gesang für ihre wird er in kleineren Konzertsä- reitschaft und engagiert sich für Seine demonstrative Demut Propagandalieder missbrau- ■ Hindi Zahra: Homeland (Nonesuch) len gastieren als er es gewohnt humanitäre Zwecke, er tritt für wirkt dabei nicht gänzlich unei- chen, macht ihn wütend. „Diese ist. Der 34-jährige Musiker, in Te- Erdbebenopfer in Haiti oder die tel, und man kann seine Lieder Leute sind krank. Aber ich sehe Lost in Marrakesh heran geboren und in London Welthungerhilfe der UNO auf. kitschig und seicht finden, aber nicht ein, warum ich mich für sie Mit ihrem Hit „Beautiful Tango“ hat sich die aufgewachsen, ist schon im Auch sein Konzert in Essen dient sie sind ausgesprochen gut ge- entschuldigen soll“, ärgert er Sängerin Hindi Zahra vor Jahren in die Herzen Wembley-Stadion aufgetreten, der Benefizaktion einer musli- macht. Denn Sami Yusuf ist ein sich. „Es gibt auch buddhisti- vieler Fans gesungen. Für die Aufnahmen zu in großen Arenen von Kapstadt mischen Hilfsorganisation. Vollblut-Musiker: er hat in Lon- schen Terror in Myanmar oder „Homeland“ zog sich die französisch-marok- bis Kazan und vor einer Viertel- Für einen iranischen Film don auf dem Konservatorium christliche Terrorgruppen in Af- kanische Songwriterin in ihr Geburtsland zu- million Menschen auf dem Tak- über das Leben des Propheten studiert und sich als Produzent rika. Warum ist das im Westen rück, um neue Inspiration zu tanken. Der Ope- sim-Platz in Istanbul. Den „größ- Muhammed hat er mit dem indi- für persische Musiker betätigt, kein vergleichbares Thema?“ ner „To the Forces“ kommt auf wuchtigen Ber- ten Rockstar des Islam“ nannte schen Bollywood-Filmkompo- bevor er selbst zu singen begann. ber-Beats daher, und Hindi Zahra singt in ihrer Muttersprache Amazigh. ihn das Time -Magazin einmal. nisten AR Rahman, in Südasien Schon sein Vater war ein bekann- ■ Benefiz-Konzert am 31. 5. in Essen Doch die Texturen ihrer Stücke sind so komplex wie die Muster der Teppiche, Sami Yusuf mag dieses Label die im Atlasgebirge gewebt werden, und die Stimmung so elektrisierend nicht. „Ich möchte kein Popstar wie die Nächte von Marrakesh. Hindi Zahra verbindet psychedelischen Rock sein“, betont er am Telefon aus und Wüstenblues, französisches Chanson und Sufi-Rhythmen aus dem Iran, Katar, wo er seinen zweiten experimentiert in ihren Songs mit Rhythmen aus Südamerika, Indien und Wohnsitz hat. Und er verweist dem Nahen Osten oder lässt sich von den Mornas einer Cesária Évora leiten. darauf, dass er im Westen zumin- Und nein, mit der gleichnamigen TV-Serie hat das Ganze nichts zu tun. dest unter Nichtmuslimen so gut wie unbekannt ist. „Ich bin zu ■ Terakraft: Alone (Outhere Records) brav und zu normal, um auf MTV zu laufen“,wiegelt er ab. Wobei er Grunge in der Sahara diese Unkenntnis auch darauf zurückführt, dass westliche Me- Die Tuareg sind die Verlierer des Kriegs in Nordmali, aufgerieben zwischen dien mit Muslimen wie ihm so den Islamisten-Milizen und der Zentralregierung in Bamako. Zornig und un- ihre Schwierigkeiten hätten. gewohnt rockig klingen Terakraft auf ihrem neuen Album „Alone“, als woll- Tatsächlich ist Sami Yusuf ein ten sie die Verstärker aus Protest ganz laut aufdrehen, um zu zeigen, dass unwahrscheinlicher Popstar. sie auch noch da sind. So klingt es, wenn Träume zerbrechen, so wie der von Sein Debütalbum „Al Muallim“ einem eigenen Touareg-Staat. Nach ihrer Abspaltung von der Band Tinari- („Der Lehrer“) von 2003 produ- wen haben der Gittarist Diara und sein Neffe zierte er noch selbst, da war er 23 Sanou eine Art Grunge-Spielart des Wüsten- Jahre alt, und seine Mutter mach- blues entwickelt, als Produzenten konnten sie te im Wohnzimmer die Fotos den britischen Mali-Profi Justin Adams gewin- fürs Cover. Mit seinem fröm- nen. Der Monstergroove von Songs wie „Ka- melnden Balladen und seiner ei- rambai“ ist so erfrischend wie ein Schluck Was- genwilligen Mischung aus mora- ser in der Wüste, als sei Neil Young in der Saha- lischer Botschaft und Pop-Ap- ra gestrandet. Die Ansage ist klar: Der Krieg ist peal traf er einen Nerv. Das Al- vorbei, die Karawane rockt weiter. bum verkaufte sich mehrere Mil- Multiinstrumentalist mit Message: Sami Yusuf am Qanun, der arabischen Kastenzither Foto: Peter Sanders

Der Afro-Optimist SONGWRITER Im Rückgriff auf die Vergangenheit liegt die Kraft für die Zukunft: Darum hat sich Blick Bassy den Bluesmann Skip James als Paten ausgesucht

lick Bassy erzählt: „In Dampflokodereinenbrüllenden seine Jugend zurück, als er eine meinem Heimstudio Ochsen. Die Referenzen ans Weile bei Oma und Opa im Dorf B hängen Fotos von allen ländliche Amerika sind eher hin- lebte, wo alte Wandermusiker Leuten, die mich inspi- tergründig, der Blues versteckt mit ihrer Gitarre durchkamen. riert haben: der Freiheitskämp- sich in der Melancholie. Auf „Akö“ geht er der Frage fer und Staatschef Thomas San- Zunächst brachte der Musiker nach, wie das Vermächtnis der kara, meine Mutter, Marvin aus dem Volk der Bassa in Kame- Altvorderen an die Jugend wei- Gaye, Charlie Chaplin – und Skip run, der seit zehn Jahren in Nord- tergegeben werden kann. Er James.“ Und was verbindet ihn frankreich lebt, seine Lieder solo singt in seiner Muttersprache, mit dem Bluesmann, der vor 90 auf die Bühne, als Soundtrack ei- die Texte schlagen eine Brücke Jahren am Mississippi lebte? nes Theaterstücks für Kinder. ins Hier und Jetzt: „In allen Chan- „Skip hatte damals mit ganz ähn- Danach arbeitete er sie Schritt sons geht es um die Übermitt- lichen Problemen zu kämpfen für Schritt mit einem kleinen En- lung von Werten an die junge Ge- wie die Künstler heute. Er hat für semble aus. Wenn er melodische neration.“ Ein Ururgroßvater all seine Aufnahmen in den Inspiration sucht, denkt Bassy an trittaufundfragt,warumwirdas 1930ern gerade mal 30 Dollar be- Modell der afrikanischen Fami- kommen. Und auch heute, wo al- lie nicht mehr aufrechterhalten. le Leute Kultur über iPod und Warum wir versuchen, wie im Handy konsumieren, können Westen zu leben. Ein Kind spricht unbekanntere Musiker kaum und fragt die Mutter, warum sie überleben. Ich saß also da, schau- sich nicht kümmert, wo doch so- te auf das Foto von Skip, und auf gar Vögel und Katzen für ihren meiner Gitarre formten sich die- Nachwuchs sorgen.“ se ruhigen Chansons.“ Blick Bassy ist „Afro-Opti- „Akö“ ist trotzdem keine mist“ – er glaubt, die neuen Tech- Bluesplatte geworden. Elf Minia- nologien befähigten Afrikas Mu- turen enthält Blick Bassys drittes siker, auch mit wenig Mitteln auf Werk. Eine sehr empfindsame sich aufmerksam zu machen. Stimme, Gitarre, Cello, Posaune Doch um bestehen zu können, und ein bisschen Harmonika – müssten sie sich ihrer Traditio- mehr braucht es nicht für eines nen bewusst sein. der überzeugendsten Alben des STEFAN FRANZEN Jahres. Ab und zu entdeckt man in der Posaune eine seufzende Cool: Blick Bassy Foto: Denis Rouvre ■ Blick Bassy: Akö (NoFormat) taz. thema | global pop 23./24./25. MAI 2015, PFINGSTEN  TAZ.DIE TAGESZEITUNG 07

Das Ende der Isolation

NEUES KUBA Wie Kubas Künstlern aus Kuba. Gilles Peter- Musikszene von der son ist damit quasi das aktuelle Pendant zu Ry Cooder, der einst neuen Reisefreiheit die „Buena Vista“-Legenden auf- profitiert – und wie spürte. Und wie dieser ist er auf Ihr Erfolg hat ihre eine Rum-Marke dabei Orientierungshilfe vor Ort ange- wiesen. Peterson ließ sich für sei- Insel verändert als Kultursponsor ne Havana-Cultura-Sessions zu- für Newcomer wirkt nächst vor allem von dem Pianis- und die Gewichte ten Roberto Fonseca helfen, einst innerhalb der Ein Wohnsitz im Ausland ist für jüngstes Mitglied der Buena-Vis- Künstler aus Kuba noch immer ta-Riege, auf nunmehr vier Al- kubanischen karrierefördernd – so wie beim ben lässt sich das Resultat seiner schwer angesagten Schwestern- Erkundungen nachverfolgen. Musikszene Duo Ibéyi aus Paris, das trippige Eine der ersten Peterson-Of- Beats mit Santería-Percussion fenbarungen war Danay Suárez: verschoben mischt, oder bei der Geigerin eine allseits respektierte Rappe- und Sängerin Yilian Canizares, rin, die für kubanische Verhält- die in Lausanne lebt und Son, nisse spät zur Musik geriet und Sagen zum Abschied leise Adios: die Verbliebenen des Buena Vista Social Club Foto: Alejandro Perez Klassik und Jazz verbindet. durch ihren Facettenreichtum Dabei findet auf Kuba derzeit besticht. Derzeit bastelt die 30- ein bemerkenswerter Umbruch statt. Denn mit den gelockerten Gesetzen ist es seit Anfang 2013 leichtergeworden,dieWeltzube- Nach uns die Touristen reisen, was gerade viele junge Musiker mit wachsender Selbst- KUBANISCHES GOLD Ein letztes Mal noch gehen Eliades Ochoa und Omara Portuondo verständlichkeit tun. Zugleich sind etliche Musiker, die sich im als „Buena Vista Social Club“ auf Tournee. Eine Begegnung mit den beiden Legenden Ausland etablieren konnten, auf die Insel zurückgekehrt, darun- VON DANIEL BAX weil sie noch eine Frauenstimme um der Welt zu zeigen, wie kuba- ne kam nicht mehr daran vorbei. ter der Salsero Isaac Delgado und brauchten. Zufällig war ich gera- nische Musik klingt.“ Jetzt geht Eliades Ochoa gefällt die „Chan der Salsa-Pop-Sänger Raúl Paz. ie immer trägt Elia- de zu Aufnahmen im gleichen es noch einmal, in Restbeset- Chan“-Adaption der Orishas: Aber auch den Protegés der des Ochoa sein Er- Haus“, erinnert sie sich. In den zung, auf kleine Welttournee. „Sehr gut, sehr professionell“, kubanischen Musik erleichtern W kennungszeichen, fünfziger Jahren stand sie regel- Doch im Dezember ist dann end- lobt er die Rap-Version. die neuen Bestimmungen die Ar- einen schwarzen mäßig im Tropicana-Varieté von gültig Schluss mit dem kleinen Der Buena-Vista-Hype hat beit. Die Saxofonistin Jane Bun- Betörte Radio-DJ Gilles Peterson: Cowboyhut, dazu ein schwarzes Havanna auf der Bühne, wo Stars Buena-Vista-Comeback. auch den Tourismus angekur- nett etwa trägt schon seit fast 25 Daymé Arocena Abb.: Promo Hemd und eine Armbanduhr aus den USA wie Nat King Cole Auch Eliades Ochoa ist es belt. Durch die Öffnung zu den Jahren mit ihren diversen Musik- mit kubanischer Fahne – „die hat und Carmen Miranda gastierten. wichtig zu betonen, dass sein Le- USA wird es einen weiteren Joint-Ventures dazu bei, junge jährige Autodidaktin an ihrem mit ein Freund aus New York ge- Sie hat die große Ära des afroku- ben nicht nur aus den Buena-Vis- Schub geben, davon ist Eliades Talente ins Rampenlicht zu rü- zweiten Longplayer – in den USA, schenkt“. Versonnen blättert er banischen Jazz mit ihrem Mam- ta-Jahren besteht. „Für mich war Ochoa überzeugt. „Das wird die cken. wie ihre Facebook-Botschaften durch das Booklet der neuen CD bo, Bolero, Cha Cha Cha und Big- es ein Album mehr in meiner Musiker motivieren, sich anzu- Ihr jüngstes Bandprojekt Ma- indirekt verraten. Denn bei aller des „Buena Vista Social Club“ Band-Sound mitgeprägt, im letz- Karriere“,sagt er gänzlich unsen- strengen, um den Touristen zu queque, mit dem die Kanadierin Weltoffenheit halten viele Künst- und betrachtet die Fotos aus den ten Jahr ist ihr Debütalbum aus timental. Es war „eine einzigarti- gefallen“, glaubt er. Omara Por- gerade auf Tour ist, bündelt fünf ler ihre Kontakte mit dem Klas- glorreichen Tagen. All die ver- dem Jahr 1958 „Magia Negra“ ge Erfahrung. Aber ich hatte da- tuondo ist da etwas skeptischer. exzellente, zwischen Soul, afro- senfeind lieber geheim und ihre storbenen Freunde sind darauf wieder erschienen. Ihre Schwes- neben immer schon meine eige- „Hoffentlich bringt es uns Gu- kubanischer Folklore und Jazz „Cubanidad“demonstrativhoch. zu sehen. Fast nur noch sie beide ter, mit der sie damals ein Quar- nen Projekte am Laufen“ – zum tes“,sagt sie vorsichtig, wagt aber agierende Musikerinnen aus Ku- Zu dieser Vorsicht passt auch sind von der alten Garde übrig tett bildete, setzte sich nach der Beispiel mit Charlie Musslewhite keine Prognose: „Ich bin keine ba. Mit dabei sind die derzeit der deutliche Hang zu eher un- geblieben: Er, der Gitarrist Elia- Revolution von 1959 ins Ausland oder Los Lobos. Als Nächstes Wahrsagerin, die in die Kristall- jüngste Schlagzeugerin der Insel, verfänglichen, introspektiveren des Ochoa, und sie, die Sängerin ab, konnte dort aber nicht Fuß steht ein neues Album mit dem kugel blicken kann.“ Yissy García, sowie die Sängerin Songtexten, der selbst bei noch Omara Portuondo. fassen. „Ein unangenehmes Ka- Cuarteto Patria an, seiner Band, Nach dem Gespräch setzt sich Daymé Arocena – die Afrokuba- so beherzten und aufgeweckten Zur Jahrtausendwende war ih- pitel“,sagt Omara Portuondo, „es mit der er die bäuerliche Musik der Arzt der beiden an den Tisch. nerin nimmt es mit ihren 23 Jah- Musikern anzutreffen ist – sieht re Musik überall, der kubanische ging ihr dort nicht gut.“ Heute aus den kubanischen Bergen Seit 1998 begleitet er die Musiker ren locker mit so mancher ge- man mal von einigen Rappern Son alter Schule. Nun sind beide lebt die Schwester in Miami, die pflegt. Bis heute pendelt Ochoa auf ihren Tourneen – „zur Prä- standenen Soul-Kollegin auf. und Ausnahmenwiedem Sänger in Berlin, um ihr Abschiedsal- beiden sehen sich ab und zu. zwischen seiner Geburtsstadt vention, wie beim Fußball“, wie Mit ihren starken, in der Yoru- der Band „Porno para Ricardo“, bum „Lost and Found“ vorzustel- Omara dagegen erlebte mit Santiago und Havanna hin und er betont. „Wenn der Auftritt ba-Tradition verwurzelten Ge- Kubas Enfant Terrible Gorki Ávi- len. An Berlin hat Omara Por- dem Buena Vista einen zweiten her. „Ich bin der gleiche Eliades naht, steigt auch das Adrenalin“, sängen betörte Daymé Arocena la, ab. Das hat aber womöglich tuondo, die mit Sonnenbrille Frühling. „Der Kontakt mit dem wie eh und je“, betont er. „Wenn sagt er. Auch die Rolling Stones auch Gilles Peterson, der ihr De- weniger mit Scheu vor Konflik- und Turnschuhen ihre 84 Jahre Publikum ist etwas Wunderba- ich auf der Straße bin, habe ich hätten immer medizinische Hil- büt prompt unter dem zuver- ten zu tun als mit dem Wunsch, fast vergessen lässt, nur gute Er- res“,schwärmt sie von ihren Auf- keine Starallüren.“ fe dabei. Sorgen müssen man sichtlichen Titel „Nueva Era“ seine Zuhörer und sich selbst lie- innerungen: Schon zu DDR-Zei- tritten. „Du weißt nie, was pas- Verändert hat sich durch den sich aber keine machen, Kubaner (Neue Ära) auf seinem Browns- ber bei Laune zu halten, statt die ten ist sie hier aufgetreten. Sie siert. Aber wenn du es schaffst, Buena-Vista-Erfolg dagegen die hätten die höchste Lebenserwar- wood-Label veröffentlichte. Un- Musik mit zusätzlichem Gewicht spricht sogar noch ein paar Wör- dass deine Liebe erwidert wird, Musikszene auf Kuba, er hat die tung in ganz Lateinamerika. Der terstützt von der Plattform „Ha- zu befrachten. KATRIN WILKE ter Deutsch und trällert die Zei- wenn alle Leute die Musik genie- Gewichte verschoben. Alle Or- Grund? „Die Gene, das Klima – vana Cultura“, die von der be- leneinesSchlagers,„Wunderbar“. ßen oder tanzen, dann ist das wie chester orientierten sich fortan und die Musik, natürlich.“ kannten Rum-Marke gesponsert ■ Yilian Canizares: Invocacion (Nai- Schon vor dem Buena Vista eine Liebesbeziehung.“ Auch am Erfolgsmodell, und an jeder wird, schmiedet der Londoner DJ ve); Daymé Arocena: Nueva Era Social Club war Portuondo ein Eilades Ochoa ist voll des Lobes: Ecke war plötzlich „Chan Chan“ ■ Buena Vista Social Club: „Lost & und Trendsetter seit 2009 diver- (Brownswood, erscheint im Juni). Star. „Ich kam ja erst später dazu, „Jeder hat das Beste gegeben – zu hören. Sogar die HipHop-Sze- Found“ (World Circuit) se Allianzen mit innovativen www.havana-cultura.com taz. thema 08 23./24./25. MAI 2015, PFINGSTEN  TAZ.DIE TAGESZEITUNG www.taz.de | [email protected] | global pop

Beste Nachwuchsfjörderung ERFOLGSGESCHICHTE Das Tanz- und Folkfest Rudolstadt feiert in diesem Juni sein 25. Jubiläum. Den Schwerpunkt bilden Norwegen und seine vielfältige und innovative Neo-Folk-Szene

VON CHRISTIAN RATH

olkmusiker haben es in Norwegen gut. Aus vielen F Fördertöpfen können sie Zuschüsse beantragen – für CDs, für Konzertreisen, für grö- ßere Kompositionen. Alles, was innovativ und anspruchsvoll ist, Ein Talent für Theatralik: die Taraf de Haidouks Foto: Damien Gard wird unterstützt. An drei Hoch- schulen des Landes kann man so- gar Folkmusik studieren. Norwe- gen ist dank seiner Bodenschätze ein reiches Land. Und ein Teil der Rock ’n’ Romani Ölmilliarden fließt in die Kultur- LAUTARI förderung und die Folkmusik, Die Taraf de Haïdouks sind die Urväter des weil das für eine lange Zeit von Balkan-Hypes. Nach 25 Jahren ziehen sie nun Bilanz Dänen und Schweden fremdbe- stimmte Nation offenbar beson- Sie sind Mitglieder der Lautari- Taraf de Haïdouks sieht er aller- ders wichtig erscheint. Kaste der rumänischen Roma dings gegen solchen Konformis- Die Förderung hat jedenfalls und machen schon ihr ganzes Le- mus gefeit: „Sie haben auf ihren eine lebendige Folk-Szene her- ben lang Musik. Doch nach 1990 Reisen mit Stars wie dem Kronos vorgebracht, die auf dem dies- wurde ihre Geschichte weltbe- Quartet oder Stephan Eicher ge- jährigen Tanz- und Folkfest (TFF) kannt: Zwei abenteuerlustige arbeitet. Aber der einzige Ein- Rudolstadt vorgestellt wird. Erst Belgier, Stéphane Karo und Mi- fluss, den sie wirklich aufgenom- zum zweiten Mal, nach Finnland chel Winter machten sich auf men haben, sind die Melodien 1993, wird damit ein skandinavi- den Weg nach Südostrumänien, aus Bollywood. Und die liefen sches Land beim TFF mit einem Unerwartete Eleganz: der Folk-Geiger Gjermund Larsen und sein Gespür für Stimmungen Foto: TFF um ihr Dorf zu finden. Dort an- schon vor der Revolution im ru- Schwerpunkt beehrt. Dabei gibt gekommen, trauten sie ihren mänischen Fernsehen.“ es viel zu entdecken. Bisher Ohren kaum: Die fliegenden Gei- Taraf de Haïdouks, die von Ka- kannte man in Deutschland in darauf, dass die drei Kernmit- deutsche Folk- und Weltmusik- Bulgarien und Deutschland zu- genbögen, die flirrenden Flöten, ro nach den Heiducken, Wehr- Sachen Fjord-Folk vor allem die glieder jeweils die Hardangerfie- preis „Ruth“ verliehen wird, na- sammengefunden. die wirbelnden Tasten des Ak- bauern des 15. Jahrhunderts, be- samische Joik-Sängerin Mari del spielen – eine Geige mit zu- türlich verbunden mit großen In diesem Jahr feiert das TFF kordeons, die Hetzjagd über die nannt wurden, sind von ihrem Boine, den Folk-Jazz-Saxofonis- sätzlichen Resonanzsaiten, das Konzerten. Dieses Jahr erhalten Rudolstadt seinen 25. Geburts- Saiten des Hackbretts Cimba- Ruhm scheinbar ungerührt ge- ten Karl Seglem oder die Geige- norwegische Nationalinstru- ihn unter anderem der Lieder- tag, aber die Planer machen kein lom, dazu ein herzblutiger Ge- blieben.Sie musiziertenmit dem rin Annbjörg Lien. Die TFF-Ma- ment schlechthin. Sie machen macher und Ironiekönig Funny großes Aufheben darum. Dabei sang aus rauen Kehlen – so etwas Hobby-Gypsy Johnny Depp, tra- cher haben nun aber eher solche aber auch keinen typisch norwe- van Dannen sowie das Projekt ist das TFF eines der gelungens- hatten sie noch nicht gehört. ten auf Modeschauen von Yohji norwegische Folk-Stars eingela- gischen Geigenfolk: Der Gesang „Eurasians Unity“. Dort haben ten Projekte der deutschen Ein- Karo und Winter beschlossen, Yamamoto auf, ihre Geschichte den, die zu Hause schon den von Frontfrau Tuva Livsdatter Sy- sich, auf Initiative der Kölner Sa- heit. Früher gab es in Rudolstadt die besten Musiker aus drei Ge- wurde im Film „Gadjo Dilo“ des Durchbruch geschafft haben, in vertsen ist eher soulig und die xofonistin Caroline Thon, Jazze- nur das Tanzfest der DDR, bei nerationen auf Auslandstournee Regisseurs Tony Gatlif für die Deutschland aber noch Insider- Arrangements werden inzwi- rinnen und Folkmusikerinnen dem kostümierte Staats-En- zu schicken – unter ihnen den Pa- große Leinwand nacherzählt. Tipps sind. schen immer zarter, etwa auf aus Iran, Libanon, Usbekistan, sembles der sozialistischen Bru- triarchen Nicolae Neacsu, den Doch immer wieder sind sie in So spielt der Geiger Gjermund „Farvel slekt og venner“, dem Ti- derstaaten kunstfertige Tanzvor- kaum jüngeren Sänger Ion Ma- ihr Dorf zurückgekehrt. Larsen mit seinem Trio wunder- telstück ihrer jüngsten CD. Die führungen präsentierten. Nach nole, den Primás Caliu, den Flö- Heute kümmern sie sich um bareMelodien,immereinenTick Valkyrien Allstars sind damit ANZEIGE der Wende hatte der Leipziger tisten Fluieras, Tzagoi am Akkor- Jugendarbeit. Die Band ist ein le- eleganter, als man das von Folk- derzeit die spannendste skandi- Musiker Uli Doberenz die Idee, deon und Marinel Sandu, den bendiger Organismus, einige musik erwartet. Eines seiner Al- navische Folkband. daraus ein gesamtdeutsches Teenager am Hackbrett. „Der Er- Mitglieder sind gestorben, Kin- ben hat er selbstbewusst „Au- Zu Rudolstadt gehören aber Folk- und Weltmusikfestival zu folg kam, weil das etwas Neues der von damals nachgerückt. rum“ („Gold“) genannt. Larsen ist immer auch ungewöhnliche Kol- machen. Heute ist er der Festival- für die Ohren der Zentraleuropä- Zum 25. Bandjubiläum gibt es ein mit der norwegischen Spiel- laborationen. So tritt diesmal der direktor und der Kölner Musik- er war“, sagt Karo rückblickend. neues Album, aber auch eine mannstradition aufgewachsen, norwegische Jazztrompeter Nils journalist Bernhard Hanneken „Diese Spontaneität, auch das nachdenkliche Bilanz von Sté- lernte über seinen Vater früh die Petter Molvaer gemeinsam mit künstlerischer Leiter. Mittlerwei- Theatralische, mit der die einzel- phane Karo: „Der Rassismus ge- alten Meister kennen, gewann dem legendären Musiker- und le werden in Rudolstadt auf über nen Gruppenmitglieder eine ar- genüber den Roma ist nach wie schon als Kind Wettbewerbe für Produzentenduo Sly & Robbie, 20 Bühnen rund 300 Konzerte chaische Musik mit der Vitalität vor ungebrochen. Ich dachte an- Folk-Geiger, studierte Folkmusik den „Riddim Twins“ aus Jamaika, geboten und in diesem Jahr an von heute spielten. Obwohl diese fangs noch, dass wir da etwas än- und spielte dann in den wichti- auf. Das Beispiel zeigt, wie weit den vier Festivaltagen über MelodienimmerTeildereuropä- dern können, aber die Klischees gen Bands Majorstuen und Frigg. das Rudolstädter Spektrum 90.000 Besucher erwartet. ischen Kultur gewesen sind, wa- in den Köpfen halten sich hart- Doch erst im Gjermund Larsen reicht. Und natürlich haben wei- Wer jährlich nach Rudolstadt ren sie konsequent ausgeschlos- näckig. Die Roma wissen nicht, Trio kann er nun seinen eigenen te Teile des Programms gar kommt, kann dort die Moderni- sen und vergessen worden.“ wie sie diesen Hass gegen sich Stil entwickeln. nichts mit Norwegen zu. So wer- sierung, aber auch die Struktur- Dass später die verwestlichte, verarbeiten sollen, auf der Die Valkyrien Allstars wirken den dort auch der portugiesische probleme einer thüringischen rhythmisch geglättete Variante menschlichen Ebene kann sie auf manchen Fotos weniger ele- Fado-Star Mariza und der deut- Kleinstadt nachverfolgen. Denn der Gypsy-Brass-Bands vom Bal- das sehr hart machen. Das ist wie gant, eher wie eine White-Trash- sche Reggae-Sänger Patrice auf- das Festival findet mitten im Ort kan, von Emir Kusturicas Filmen eingraviert in ihre Kultur.“ Rockband. Ihren Namen haben treten und der Albino-Sänger Sa- statt–vomHeineparkanderSaa- befeuert, letztlich als Balkan- STEFAN FRANZEN sie nach der bodenständigen lif Keita mit seiner alten Band Les le über den Rudolstädter Markt- Hype in den Clubs landete, sieht ■ Taraf de Haïdouks: „Of Lovers, Osloer Bierkneipe Valkyrien ge- Ambassadeurs aus Mali. platz bis zur Heidecksburg hoch Karo kritisch. Dadurch drohten Gamblers and Parachute Skirts“ wählt, wo sie ihre ersten Auftritte Zu den Rudolstädter Traditio- über dem inzwischen weitge- ältere Stile zu verschwinden. Die (Crammed Discs, 2015) hatten. Man käme deshalb nicht nen gehört, dass dort auch der hend sanierten Stadtkern.

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