Tafel 1 Idylle Und Apokalypse Rudolf Schlichters Landschaften

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Tafel 1 Idylle Und Apokalypse Rudolf Schlichters Landschaften Selbstbildnis, 1936, Öl auf Leinwand, 77,5 × 55 cm, Sammlung Christina und Volker Huber, Offenbach am Main n Tafel 1 Idylle und Apokalypse Rudolf Schlichters Landschaften Herausgegeben von Mark R. Hesslinger Mit Beiträgen von Christian Drobe, Dirk Heißerer, Mark R. Hesslinger, Sigrid Lange und Olaf Peters Der Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung Idylle und Apokalypse Rudolf Schlichters Landschaften im KunSTMuSeuM HOHenKARPfen bei Hausen ob Verena vom 14. April bis n1. Juli n019 Inhalt 5 Inhalt 7 Friedemann maurer Provokation und Wahrheitssuche Ein Vorwort 12 Sigrid Lange Einleitung Rudolf Schlichter – Leben und Werk 30 dirk Heißerer Fluchtort „Landschaft“ Rudolf Schlichter zwischen Schwäbischer Alb und Surrealismus 62 OLaF PeterS Rudolf Schlichter, die Landschaft und der Mensch Bemerkungen zu einigen Werken der „Inneren Emigration“ 1934 – 1942 70 CHriStian drObe Natur, Technik und der Dämon im Menschen Rudolf Schlichters Landschaften und die Abgründe der Industrialisierung 82 mark r. HeSSLinger Auf die Straße geworfen Kulturelles Gedächtnis und zivilisationskritische Allegorie Rudolf Schlichters? 101 Literatur 104 Abbildungsnachweis 105 Die Autoren 106 Wir danken herzlich 107 Über die Kunststiftung Hohenkarpfen 108 Impressum Speedy als Madonna vor Schwäbischer Alb, 1930/1934, Öl auf Leinwand, 78 × 50 cm, Kunststiftung der Sparkasse Pforzheim Calw i Tafel n Friedemann maurer Provokation und Wahrheitssuche Ein Vorwort Die frühjahrsausstellung des Kunstmuseums Hohenkarp- dem neckartal, von Hegau und Schwäbischer Alb, die eine fen ist Rudolf Schlichter (geboren 1890 in Calw und gestor- ganz besondere Handschrift tragen. ben 1955 in München) gewidmet. Sein breit angelegtes Werk unverwechselbar ist die Verräumlichung von Zeugen- oder als Maler, Zeichner und Schriftsteller spiegelt den kreativen umlaufbergen der Rauen Alb, die Schlichter exemplarisch Spannungsbogen eines sich im gefährlichen Sog der zwei ins Bild setzt: Bleibend der Kornbühl bei Salmendingen als Weltkriege ausbildenden Schaffens, dessen An fänge im einer der imposanten Härtlinge des Schwäbischen Jura – Ju gendstil und Dadaismus wurzeln, das seine akademische dem Hohenkarpfen ähnlich. Aus formung im Kreis der „Karlsruher Veristen“ um Karl Schlichter ist kein Idylliker, kein Romantiker; er stellt nur Hub buch, Georg Scholz und Willi Müller-Hufschmid er hält. die von der Industrialisierung geprägte, nutzbar gemachte Person und Werk erfahren einen bizarren Aufstieg in der Welt, die vom Schmiedegott Hephäst bearbeitete natur vor Berliner Bohème mit dem Salonkommunismus ehemaliger Augen. Diese hephästische Landschaft weist auf die Wucht Soldatenräte und agitierender Linksintellektueller. Zu industrieller Zerstörung der natur hin und auf die Selbst - Schlichters freundeskreis zählt Bertolt Brecht, dessen Por- gefährdung des Menschen durch einen Ressourcen ver- trait eines seiner bekannten Werke ist, und vor allem George schlingenden, ungebremsten fortschritt. Schlichters Kunst Grosz, mit dem er das Zentrum der 19n4 gegründeten Roten ist nie harmlos; er will allenthalben die Wahrheit ans Licht Gruppe, einer Vereinigung kommunistischer Künstler, bil- bringen. Kein Wunder, dass er – 193i nach Stuttgart umge- det. 19n9 bricht der damals durch Portraits von Größen der zogen und ab 1939 in München lebend – mehrfach in Kon- Weimarer Republik und Buchillustrationen arrivierte Künst- flikt mit der Staatsmacht gerät, kurzzeitig inhaftiert ist und ler mit dem Kommunismus, wendet sich unter dem einfluss als „entarteter Künstler“ mit wichtigen Arbeiten aus den der Schweizer Schauspielerin „Speedy“ Köhler, die er 19n9 Museen verbannt wird. heiratet, dem Katholizismus zu und befreundet sich mit nach dem Zweiten Weltkrieg sucht Rudolf Schlichter in der ernst Jünger und ernst von Salomon. Beschäftigung mit dem Surrealismus einen neuanfang, Dass der Person gewordene Bürgerschreck, der stilistisch setzt auch in der kunsttheoretischen Auseinandersetzung nunmehr mit Ausdrucksformen der neuen Sachlichkeit und mit seinem eintreten für die Bewahrung des Gegenständ - des expressiven Realismus Ansehen erlangt, sich 193n aus- lichen als entscheidendem Kriterium für eine ästhetische gerechnet in der württembergischen Bischofsstadt Rotten- wie politische Aussage bleibende Impulse. burg am neckar niederlässt, offenbart einen radikalen in - Schlichter rechnet mit seinem vielschichtigen Werk zu jener neren Bruch mit dem politisch, moralisch wie kulturell „verschollenen Generation“ der ersten Hälfte des n0. Jahrhun- schillernden Leben in der europäischen Metropole Berlin. derts, die Rainer Zimmermann eindrücklich beschrieben An die Stelle einer spezifischen Großstadtästhetik der Wei- hat. und: Rudolf Schlichter passt in die Ausstellungsphilo- marer Zeit, wie sie Schlichter neben Grosz und Dix wie sophie des Hohenkarpfen, weil er mit seiner unangepasst- kaum ein anderer ausgeprägt hat, tritt die Konzentration auf heit, mit seiner Originalität, mit seiner Wucht der Provoka- Landschaftsdarstellung mit Motiven aus dem Schwarzwald, tion und bohrenden Wahrheitssuche die Zeiten überdauert. h Max Schlichter, 1930, Öl auf Leinwand, 110 × 100 cm, Fischer Kunsthandel & Edition, Berlin 8 Tafel 3 Die Muer, 1927, Öl auf Leinwand, 77 × 68 cm, Städtische Museen Calw / Eigentum des Landes Baden-Württemberg 9 Tafel 4 Géza von Cziffra, 1926–27, Aquarell, 62,5 × 49 cm, Fischer Kunsthandel & Edition, Berlin 10 Tafel 5 Meine Frau mit Katze, 1930, Aquarell, 53,5 × 42 cm, Privatsammlung 11 Tafel i Sigrid Lange Einleitung Rudolf Schlichter – Leben und Werk Rudolf Schlichter war Maler, Zeichner und Schriftsteller – nen, flüchtete Schlichter zunächst in Traum welten und eine faszinierende Persönlichkeit mit obsessivem Charak- verschlang Bücher, die ihm halfen, seine Phantasien zu ter, widersprüchlichen Meinungen und Idealen. Das bewältigen. erst in der Halbwelt der Residenzstadt begann umfangreiche Gesamtwerk des Künstlers reicht von frühen Schlichter, angeregt von seinem Vorbild Oscar Wilde, seine akademisch geschulten Arbeiten über Jugendstil, Dada, Andersartigkeit in der Rolle des Dandys und Bohemiens, neue Sachlichkeit, expressiven Realismus bis hin zum Sur- geschminkt und gepudert, mit auffäl liger Bekleidung und realismus der nachkriegszeit. Bekannt sind heute jedoch Knöpfstiefeln, auszuleben. vor allem seine in den 19n0er Jahren entstandenen Berli- Trotz aller eskapaden und gelangweilt von dem akade - ner Großstadtszenen und Portraits von Intellektuellen der mischen Kunstbetrieb, trieb Schlichter sein Studium vor Weimarer Republik. er gilt neben George Grosz und Otto allem bei Professor Walter Georgi (18h1–19n4) erfolgreich Dix als einer der bedeutenden Vertreter des sogenannten voran und wurde 1914 Meisterschüler von Caspar Ritter veristischen flügels der neuen Sachlichkeit. (18i1–19n3).n Das Studium an der Kunstakademie in Karls- Schlichter wurde am i. Dezember 1890 in der pietistisch ruhe war für Schlichter weniger hinsichtlich seiner künstle- geprägten Kleinstadt Calw im nordschwarzwald in Würt- rischen Ausbildung wichtig. Wegweisend waren vielmehr temberg geboren. er war das sechste Kind des Lohngärt- der Austausch mit den Studienkollegen, Ausstellungsbesu- ners franz Xaver Schlichter (185n–1893) und der Pauline che und Diskussionen über künstlerische Stile und Inhalte. Rosine, geborene Schmalzried (185h–194n).1 In Calw Die ersten von Schlichter bekannten Werke, wie beispiels- absolvierte er zunächst die katholische Volksschule und weise das Bildnis seiner Mutter [Tafel 4], lassen den akade- besuchte anschließend die höhere Lateinschule am Ort. mischen Stil unter dem einfluss der Impressionisten noch Ausgestattet mit einem schon früh erkannten zeichneri- deutlich erkennen. In anderen Bildern finden sich bereits schen Talent, begann Schlichter danach kurzfristig eine avantgardistische einflüsse des expressionismus, futuris- Ausbildung zum emailmaler im nahegelegenen Pforz- mus und der Abstraktion, wie beispielsweise das Aquarell heim. es folgte von 190h bis 1909 der Besuch der Württem- Der Sturm [Tafel h].3 es sind aber vor allem druckgraphi- bergischen staatlichen Kunstgewerbeschule in Stuttgart. sche Arbeiten aus den Jahren zwischen 1910 und 1914, die Auf empfehlung des dortigen Schuldirektors wechselte Schlichters zeichnerisches Talent belegen und für eine Schlichter schließlich auf die Großherzoglich-Badische damals bevorzugte Strategie junger Künstler stehen, Ideen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. spontan umzusetzen, die künstlerische entwicklung zu Bereits als Jugendlicher hatte Schlichter sich in einer überprüfen und zugleich eigene Werke zu erschwinglichen Außenseiterrolle gesehen, die maßgeblich durch wachsende Preisen zu verkaufen.4 sexuelle Obsessionen für Knöpfstiefel, Strangula tionen und Als 1914 der erste Weltkrieg ausbrach, wurde Schlichter Gewaltphantasien befördert wurde. In dem Wissen, damit aufgrund seiner Kurzsichtigkeit zunächst vom Kriegsdienst den moralischen Vorstellungen nicht entsprechen zu kön- zurückgestellt und erst 191i als Militärfahrer an die West- 1n front geschickt. Durch einen Hungerstreik gelang es ihm, sich dem Kriegsdienst wieder zu entziehen. In dieser Phase bis zum ende des Krieges zeigen Schlichters Arbeiten ein- flüsse des Dada. Bis Anfang der 19n0er Jahre spielte das Thema Wild-West [Tafeln 9 und 10] eine wichtige Rolle. Die Thematik ist besonders seiner Begeisterung für die Geschichten von Karl May zu verdanken. nach dem Krieg gründete Schlichter 1918 gemeinsam mit einigen Künstlerkollegen die Gruppe Rih. Ihre erste Aus- stellung sorgte in der Öffentlichkeit
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