„In unserer Epoche des großen Kampfes um die neue Kunst streiten wir als ›Wilde‹, nicht Organisierte gegen eine alte, or- ganisierte Macht. Der Kampf scheint ungleich; aber in geis- tigen Dingen siegt nie die Zahl, sondern die Stärke der Ideen. Die gefürchteten Waffen der ›Wilden‹ sind ihre neuen Gedan- ken; sie töten besser als Stahl und brechen, was für unzer- brechlich galt.“ (Franz Marc)

1 Max Ackermann ( 1887 - 1975 Unterlengenhard)

Hymne.

Pastell auf Velin, unten links mit Blei- stift signiert und datiert, 1956. 35 : 25 cm.

Von schöner Erhaltung.

Provenienz: Nachlass Max Acker- mann; Galerie Döbele, ; Galerie Baukunst, Köln; Privatsamm- lung Westfalen.

Das Pastell ist im Max-Ackermann- Archiv unter der Nummer ACK 3324 registriert.

„Die Entwicklung abstrakter Malerei in Deutschland ist dominiert durch zwei ganz unterschiedliche Schulen, die viele andere Innovationen bün- delte: das in Dessau/ und die Hölzel-Klasse an der Stuttgar- ter Akademie. Mehr oder weniger sind alle formalen und strukturellen Über- legungen, die abstrakten Arbeiten der Zeit zugrunde liegen, von diesen Lehren geprägt. Waren es im Bauhaus vor allem Ideen, die den Kunstbegriff erweiterten, Gebrauchskunst und Architektur mit der ‚hohen Kunst‘ versöhnten, deren kunsttheoretisch formale und ästhetische Problemlö- sungen den intellektuellen Künstler forderten, war im Gegensatz hierzu die Schule Adolf Hölzels auf dem ‚Er- lebnis Kunst‘ aufgebaut. Vielleicht ist dieser mehr emotionale Ansatz auch der Grund für die verzögerte Rezep- tion der Hölzel-Lehre. Während das Bauhaus, seine Lehrer und Schüler heute international durchgesetzt und respektiert sind, ist der Kreis um Höl- zel bisher - zu Unrecht - noch eine na- „. . . ich erkannte, daß der Gegen- tionale Diskussion. Auch die Wirkung stand ein Hemmnis für freie Gestal- Max Ackermanns hängt wesentlich tung wurde. Ich hob die Musik heraus, mit diesem Phänomen zusammen.“1 lauschte auf musikalische Gesetze, bis ich endlich eine Verwandtschaft von Malerei und Musik feststellte. „ (Max Ackermann)

1 Bayer, Rudolf, Max Ackermann 1887- 1975. Bilder aus siebzig Jahren. Retrospektive zum 20. Todestag. Bietigheim-Bissingen 1995. S. 9

2 3 Max Beckmann (Leipzig 1884 - 1950 New York)

Die Seiltänzer.

Kaltnadelradierung auf Japan, mit „Die Sympathie für das fahrende Die Artistin übt ihre Kunst mit großer Bleistift signiert, 1921. 25,8 : 25,7 cm Volk scheint Beckmann von seinem Sicherheit aus. Ihr Unterleib fällt op- auf 54,2 : 38,4 cm. Vater geerbt zu haben. In einem Brief tisch mit der Achse des Riesenrades an seinen Verleger Reinhard Piper, zusammen, das für das Auf und Ab Werkverzeichnis: Hofmaier 198 II B den Auftraggeber der Graphikfolge des Lebens steht. Die Schößchen des b. >Jahrmarkt<, erzählt er am 1. Juni Rockes wirken wie Speichen des Ra- 1921, sein Vater habe einmal den des und auch der Sonnenschirm, der Eins von 75 Exemplaren auf Japan, leider nicht realisierten Plan gehabt, doch dem Gleichgewicht dienen soll, dazu 125 auf Bütten. sich einen Wohnwagen (>so wie ihn scheint zu rotieren. Der Mann - blind die kleinen Artisten haben<) zu kau- durch ein übergehängtes Tuch - läuft Blatt 8 der Mappe „Der Jahrmarkt“. fen und mit ihm von Stadt zu Stadt zu von rechts auf die Frau zu und ist ihr Herausgegeben vom Verlag der Ma- ziehen. Er selbst, so fährt Beckmann bereits bedenklich nahe. Die Mond- rées Gesellschaft München (mit deren fort, freue sich >nun darauf von einer sichel in seinem Rücken bringt das Trockenstempel). Kupferplatte zur anderen zu reisen<. Traumwandlerische dieses Schau- Die Stationen dieser Reise waren spiels zum Ausdruck. [...] Beckmanns Ganz ausgezeichneter, herrlich kräf- die (zunächst) neun Platten, die der >Jahrmarkt< ist ein graphisches tiger und gratiger, in den Schwärzen Künstler bereits im Mai in verschie- Meisterwerk. Diese Folge ist gelös- sehr schön samtiger Druck mit dem denen Größen bestellt hatte, >da im- ter, heiterer als die >Hölle< oder die vollen Rand und nur unmerklichen mer ein und dasselbe Format für den >Stadtnacht<. Und dennoch ist sie Altersspuren. Beschauer wie für den Produzenten von tiefem Ernst erfüllt. Sensibel rückt etwas langweilig ist.< Im Juli nahm Beckmann Aspekte der menschlichen Provenienz: Sammlung Samuel Mon- Beckmann die noch unbearbeiteten Existenz, des Künstlerdaseins und tealegre (Maler und Kunstkritiker), Platten nach Graz mit, wo er seine insbesondere auch seiner ganz per- Rom; Galleria Giulia; Rom; Privat- Frau Minna, die seit 1918 Sängerin sönlichen Situation ins Blickfeld.“1 sammlung Rom. am Grazer Opernhaus war, besuchte. Von hier aus ist Beckmann - vermut- lich mit Minna - nach Wien gereist und hat dabei wohl auch sein Vorha- ben wahrgemacht, den Prater zu be- suchen. In Graz radierte Beckmann während des Sommers die neun mit- gebrachten Platten, wobei sich sein Aufenthalt bis Oktober verlängerte, da Minna schwer erkrankte. Nach Frankfurt zurückgekehrt, kam er Pi- pers Wunsch nach, noch zwei weitere Jahrmarktszenen zu schaffen. Davon sollte eine die etwas aus dem Rahmen fallende Darstellung >Ringkämp- fer< ersetzen, die andere die Folge auf zehn Blätter erweitern. [...] Die ungeklärte Beziehung zu Minna, von der Beckmann seit 1915 weitgehend getrennt lebte, die er aber nach wie vor verehrte, ja liebte, ist auch für das Blatt >Seiltänzer< von Bedeu- tung. Das Exemplar für Minna versah Beckmann mit der Bemerkung, dies sei ihrer beider Bildnis. Mann und 1 Max Beckmann. Druckgraphik 1914- Frau vollführen einen gefährlichen 1924. Katalog der Ausstellung der Staatlichen Kunsthal- Balanceakt mit ungewissen Ausgang. le 2005. S. 112 ff

4 5 Charlotte Berend-Corinth (Berlin 1880 - 1967 New York)

Ohne Titel (Liegender weiblicher Akt).

Tuschpinselzeichnung auf Velin, mit Bleistift signiert, ohne Jahr (1908- 1914?). Ca. 32 : 27,8 cm (Papierfor- mat; etwas unregelmäßig beschnit- ten). Verso Montierungsspuren, sonst sehr schön erhalten.

Provenienz: Unbekannte Privatsamm- lung: verso Sammlungsstempel R CF über Krone (nicht bei Lugt); Privat- sammlung Westfalen.

Die Zeichnung könnte in Zusammen- Charlotte Berend-Corinth, Die schwere Stunde. Öl auf hang mit dem Gemälde „Die schwere Leinwand 1907/1908. Verschollen Stunde“ aus dem Jahr 1908 stehen, zu dem auch eine Ölstudie existiert. „Charlotte Berend-Corinth stellte seit 1906 regelmäßig in den Ausstellungen der Berliner Secession aus und wurde 1911 als Mitglied aufgenommen, seit 1915 arbeitete sie in der Jury und in den zwanziger Jahren im Vorstand der Berliner Secession mit. 1908 erregte sie mit dem großformatigen Gemälde >Schwere Stunde<, der Darstellung einer Geburtsszene, großes Aufsehen und löste [...] heftige Reaktionen aus, die von Else Laske-Schülers begeis- terter Besprechung bis zu scharfen Charlotte Berend-Cornith, Die schwere Stunde. Öl auf Ablehnungen durch konservative Kri- Pappe 1908. Lentos Kunstmuseum Linz tiker reichten.“ 1 Ebenso könnte die Künstlerin durch ihren Mann inspiriert worden sein, das sich Corinth ab 1914 mehrfach mit dem Thema Joseph und Potiphars Weib auseinandersetzte.

Lovis Corinth, Potiphars Weib. Aquarell und Tusche 1914. Kunsthalle

1 Hofmann, Karl-Ludwig, Charlotte Be- rend-Corinth - Lovis Corinth. Ein Künstlerpaar im Ber- lin der Klassischen Moderne. Katalog der Ausstellung im Reuchlinhaus 2005. S. 6 f.

6 7 Émile Bernard (Lille 1868 - 1941 )

Ohne Titel (Liegender weiblicher Akt)

Kohle und Pastellkreidezeichnung auf Biographie hält Maurice Denis die Trauerrede bräunlichem Papier, mit Kohle mo- „Ich träumte davon, einen hierati- nogrammiert, um 1886/89. 15 : 44 cm 1868 geboren am 28. April in Lille schen Stil zu schaffen, der über den auf 31 : 48,4 cm. Verso mit einer an- 1878 die Familie zieht nach Paris Modernismus und die Realität des All- gefangenen Bleistiftstudie sowie dem 1884 Bernard wird in das Atelier des tags hinaus geht. Die Vorgehensweise roten Stempel der Sammlung Jung. Malers Fernand Corman aufgenom- und die Inspiration muß man bei den Verso Montierungsreste, sonst nur men; dort trifft er u. a. auf Toulouse- Primitiven suchen; technisch muß geringfügige Altersspuren Lautrec man mit knappen Mitteln vorgehen; 1886 wird aus dem Atelier Cormon die Linie sollte nur dazu dienen, die Provenienz: Sammlung Richard Jung, verwiesen; sechsmonatige Fußwan- Form zu definieren, während die Far- Freiburg. Jung (1911 - 1986) war derung durch die Bretagne; lernt in be Seinszustände wiedergibt. Mit ei- ein bedeutender Neurologe und auch Pont-Aven Paul Gauguin kennen; nem Wort, es galt, einen Stil zu schaf- Zeichnungssammler. Die Staatsgale- lernt Van Gogh kennen fen, der wirklich zu unserem Zeitalter rie Stuttgart besitzt einen Teil seines 1887 besucht Signac in dessen Ateli- gehörte.“ (Émile Bernard 1891) Vermächtnisses an Zeichnungen des er; Zusammenarbeit mit Van Gogh 16. bis 18. Jahrhunderts; Privat- 1888 Beginn des intensiven Brief- sammlung Westfalen wechsel mit Van Gogh; Aufenthalt in Pont-Aven; enge Zusammenarbeit Vorliegende Zeichnung wird im Kon- mit Gauguin text mit einem ursprünglich drei- 1890 ist bei Van Goghs Beerdigung teiligen Fries für das Gartenatelier anwesend, wo er Andries Bonger, den Bernards entstanden sein. Die Bilder Schwager Theo van Goghs kennen- wurden vor 1901 einzeln an Ambroise lernt, der sein Mäzen wird Vollard verkauft und gelangten in ver- 1891 Bruch zwischen Bernard und schiedenen Besitz. Gauguin Auf dem im Pariser Musée d‘Orsay 1892 Besuch von Renoir in Pont- befindlichen linken Teil befindet sich Aven ungefähr in der Bildmitte ein liegen- 1893 fährt nach Italien, um die alten der Akt, der in sehr ähnlicher Haltung Meister zu studieren; von dort weiter (mit angewinkeltem Bein, ein Arm vor nach Konstantinopel; Reise nach dem Gesicht), nur spiegelbildlich zu Jerusalem und in das Nildelta unserem dargestellt ist. 1894 heiratet die 15-Jährige Hane- Émile Bernard, Badende mit roter Kuh. nah aus Kairo Öl auf Leinwand 1889. Musée d‘Orsay, Paris Der Katalog der Bremer Bernard- 1896 Reise nach Andalusien; die Ausstellung1 zeigt ein großes Studien- Familie ist nahezu mittellos blatt mit Akten, das der Künstler wäh- 1897 Rückkehr nach Ägypten; Aus- rend seiner Studienzeit bei Cormon in stellung bei Vollard in Paris Kreide und Tusche geschaffen hat. Es 1898 verkauft aus finanzieller Not bildet wohl den Auftakt zu einer Serie Werke von van Gogh und Gauguin großformatiger Akte, die, angeregt 1901 Ausstellung bei Vollard durch Tizian und Michelangelo, in 1904 Rückkehr nach Frankreich; dem Bild „Nach dem Bad“ von 1908 besucht Cézanne in Aix-en-Provence seine Fortsetzung findet. Auch hier Ausstellung in der Galerie Bernheim- zeigt der mittlere Akt eine ähnliche Jeune Haltung wie auf unserer Zeichnung. 1905 zweiter Besuch bei Cézanne 1911 erbt das Vermögen des Vaters 1922-1926 Aufenthalt in Venedig Émile Bernard, Nach dem Bad (Die Nymphen). 1940 Aufnahme in die Académie des Öl auf Leinwand 1908. Musée d‘Orsay, Paris Beaux-Arts 1 Hansen, Dorothee, Hrsg., Emile Bernard. 1941 stirbt am 16. April; auf der Am Puls der Moderne. Katalog der Kunsthalle 2015. S. 138 Beerdigung in Saint-Louis-en-l‘Isle

8 9 Émile Bernard (Lille 1868 - 1941 Paris)

Genua

Lavierte Tuschpinselzeichnung in braun auf festem bräunlichen Papier, mit Pinsel signiert und betitelt, 1893. 34,8 : 25 cm. Bis auf leichte Randmängel sehr gut erhalten. Verso mit Marginalien und einem Pariser Zollstempel.

Provenienz: Westfälische Privat- sammlung

Graf Antoine de La Rochefoucauld, Mäzen Bernards, ermöglichte es dem Künstler, 1893 nach Italien zu reisen, um die alten Meister kennenzulernen. Ende März besucht er die Sixtinische Kapelle, anschließend reist er für einen Monat nach Florenz. Im Mai fährt Bernard nach Genua, von dort geht es nach Konstantinopel.

„Seine Reise nach Italien im Frühjahr 1893 öffnete Emile Bernard die Augen noch weiter für die >Primitiven<. In Rom enttäuschte ihn Michelangelo, der >kein Mystiker ist so wie ich es verstehe<. Seine Leidenschaft galt Giotto, Taddeo Gaddi, Lippo Memmi, Orcagna und vor allem Fra Angelico in Florenz, eine Vorliebe, zu der die Anwesenheit von Paul Sérusier und Jan Verkade in Florenz beigetragen haben dürfte. In begeisterten Briefen versuchte er, das Missverständnis auszuräumen, dass die >Primitiven< ignorant seien. Was diese Künstler geleistet hätten, sei das Weiterrei- chen der >synthetischen Bildformeln einer ganzen Zivilisation<, die ihrer- seits wiederum die Errungenschaften älterer Zivilisationen einbegriffen hätten. Das führe dazu, dass >in die- sen alten Genies das Sublime voll- ständiger enthalten ist und uns mehr beeindruckt.<“1

1 Hansen, Dorothee, Hrsg., Emile Bernard. Am Puls der Moderne. Katalog der Kunsthalle Bremen 2015. S. 55

10 11 Pierre Bonnard (Fontenay-aux-Roses 1867 - 1947 Le Cannet/Cannes)

Blick auf Köln vom Mülheimer Rheinufer aus

Recto: Ohne Titel (Vue de der Ausstellung im Musée d’Orsay, depuis la rive droite du rhin/Blick auf Paris 2012 und im Musée Bonnard, Köln vom Mülheimer Rheinufer aus) Le Cannes 2012/13. Verso: Ohne Titel (Alfred Charles • Pierre Bonnard. Peindre l’Arcadie. Edwards am Bug seines Schiffes) Katalog der Ausstellung im Musée d’Orsay 2015 Bleistiftzeichnung auf Papier, mit dem roten Monogramm-Stempel Zur Provenienz: (Lugt 3887), 1905/1906. Antoine Terrasse (1928-2013) war 9,3 : 12 cm der Grossneffe des Künstlers und Schwach randgebräunt, einige ausgewiesener Bonnard-Experte. Als wenige Braunfleckchen, verso kleine solcher veröffentlichte er 1964 seine Montierungsspuren. erste Monographie über ihn, kuratier- te die Bonnard-Retrospektiven in der Provenienz: Orangerie des Tuileries 1967, ebenso Nachlass Pierre Bonnard; Sammlung die in Tokyo 1968, in New York 1969, Charles Terrasse; Sammlung Antoine im Centre Pompidou 1984 sowie im Terrasse, Paris Musée d‘ Art Moderne de la Ville de Paris 2006. Die große Bonnard-Retro- Ausstellungen: spektive 2015 im Musée d‘Orsay (die • Pierre Bonnard. Palazzo Reale. anschliessend in Madrid und 2016 Mailand 1988/1989 San Francisco gezeigt wird), ist An- • Pierre Bonnard. Magier der Farbe. toine Terrasse gewidmet. Die meisten Von der Heydt-Museum Wuppertal Arbeiten Bonnards hatte Antoine von 2010 seinem Vater Charles Terrasse geerbt, der sie wiederum aus dem Nachlass Literatur: Bonnards erhalten hatte. Teile seiner • Terrasse, Antoine, Bonnard. Paris grossen Sammlung, wie die Fotoplat- 1988. Abbildung auf Seite 255 (hier ten Bonnards, vermachte Antoine zu noch betitelt: „Amsterdam“ ou Lebzeiten dem Musée d‘ Orsay, von „L’Église“ und datiert 1905) anderen Werken - so auch unserer • Terrasse, Antoine, Bonnard. Köln Zeichnung - trennte er sich nie. 1989. Abbildung auf Seite 255 (hier noch betitelt: „Amsterdam“ oder „Die Kirche“ und datiert 1905) • Pierre Bonnard. Katalog der Aus- stellung im Palazzo Reale. Mailand 1988/1989. Abbildung auf Seite 127 (hier datiert auf Juli/August 1906) • Pierre Bonnard. Katalog der Aus- stellung im von der Heydt-Museum Wuppertal 2010. Mit Abbildungen auf Seite 90 und 221

Weiterführende Literatur: • Terrasse, Antoine, Bonnard Illustra- teur. Catalogue raisonné. Paris 1988 • Bernier, Georges, La Revue blanche. Paris 1991. • „Misia. Reine de Paris.“ Katalog

12 recto

13 Pierre Bonnard (Fontenay-aux-Roses 1867 - 1947 Le Cannet/Cannes)

Blick auf Köln vom Mülheimer Rheinufer aus

Zur Entstehungsgeschichte: Pierre Bonnard schuf 1894 ein Plakat für die „Revue Blanche“, einer be- deutenden künstlerisch-literatischen Zeitschrift. Deren Direktor Thadée Natanson hatte 1893 Misia Godebska geheiratet. Misia gilt als DIE Muse der „Nabis“, sie heiratete 1905 den Milliardär Alfred Charles Edwards. Im Sommer des folgenden Jahres lud das Ehepaar u. a. Bonnard und Mau- rice Ravel auf ihre Yacht “L’Aimée“ Misia und Alfred Charles Edwards an Deck ihrer Yacht ein, um über Kanäle und Flüsse durch 1906 Foto: Pierre Bonnard Belgien, Holland und Deutschland zu Musée d’Orsay Paris, Schenkung Antoine Terrasse 1992 reisen. Bei dieser Gelegenheit zeich- nete Bonnard das Kölner Panorama vom Mülheimer Ufer aus. Der berühmte französische Schrift- steller Oktave Moreau bat Bonnard „In den Jahren 1905 und 1906 fol- 1907, seinen Roman „La 628-E8“ zu gen Reisen nach Belgien und Hol- illustrieren. Der Erzähler fährt in dem land, an Bord der Yacht Missas, die Buch in seinem Auto, einem Charon inzwischen Alfred Edwards geheiratet mit dem Kennzeichen 628-E8, durch hatte, den Eigentümer von Le Matin, Belgien, Holland und Deutschland, der einflussreichen Zeitung der Jahre. wobei das Auto die Hauptperson der Einige kleine Bilder rufen diese Reise Handlung ist. In dem Kapitel „Bords auf der Yacht Aimée (M für Misia, E du Rhin“ (Rheinufer) gelangen die für Edwards) wieder in Erinnerung. Protagonisten auch nach Köln, wozu Außerdem existieren zwei Notizbü- Bonnard eine ebenfalls den Dom zei- cher mit Skizzen, in denen hier und gende Illustration schuf. da die Namen der angelaufenen Städ- te angegeben sind: Givet, Lüttich, Dordrecht. Das war im Juni 1905 und in Begleitung von Pierre Lapidare und Maurice Ravel; und noch einmal im Juli-August 1906. Das weiße Boot bewegte sich ruhig auf der Maas vo- ran. Bonnard betrachtete die Land- schaft entlang der Ufer, die Städte in der Ferne. Schließlich der große Ha- fen: Amsterdam. Entsprechend häufen sich die Notizen und bald Erinnerun- gen, die ihm zwei Jahre später erlau- ben sollen, den Bericht des Freundes Oktave Mirabeau über seine Reise nach Belgien und Holland zu illust- rieren.“ 1

1 Terrasse, Antoine, Pierre Bonnard. Leben und Werk. Köln 1989. S. 88 f

14 verso

15 Georges Braque (Argenteuil-sur-Seine 1882 - 1963 Paris)

Tête en profil et l’étoile.

Farbaquatintaradierung auf festem „Man sollte einmal die Spätwerke der Vélin, mit Bleistift signiert und großen Meister zusammenstellen - ich nummeriert, 1960. 29,5 : 24,5 cm auf denke an Matisse und Léger, Picasso 38 : 28,5 cm. und Braque, Klee und Kandinsky - und nach ihrer inneren Übereinstim- Eins von 50 Exemplaren. mung befragen. Man würde lapidare Antworten erhalten. Das Nebensäch- Werkverzeichnis: Vallier 152. Für liche ist weggefallen, der Kontur ge- die Vorzugsausgabe von: Christian strafft und doch geschmeidig, die Flä- Zervos, Georges Braque, Nouvelles che zum vollen Klang ausgereift. Ich Sculptures et Plaques gravées. Paris, denke an die Velasquez-Huldigungen Albert Morancé, 1960. Mit dem von Picasso, an die Bauleute und Ak- Trockenstempel „Libreria Prandi robaten von Léger, an die sinnenfro- Reggio E.“ hen ‚papiers découpés‘ von Matisse, Links und rechts am äußersten Rand an Klees letztes Bild, das Stilleben kleine Spuren alter Rahmung, verso mit dem Engel, an die Pariser Bilder Montierungsreste, insgesamt aber Kandinskys (in denen eine heitere, schön erhalten. koboldhafte Gegenständlichkeit ru- mort), und ich denke an die magist- Provenienz: Privatsammlung Mün- ralen Bildpoesien des späten Braque. chen. Was ich als Gemeinsames empfinde, das die Verschiedenheit der Herkunft und die Gegensätze des Wollens über- brückt, ist dieses: ein eigentümliches Geborgensein in der Form, ein bün- diges, sinnenhaftes Ergreifen der Wirklichkeit; die Abwandlung einiger weniger Leitmotive; Sparsamkeit, die den direktesten Weg einschlägt; eine immer größere Bestimmtheit der Syn- tax, die ohne Umschweife verfährt. Keine Launen mehr, ein Sich-Run- den, eine souveräne, dichte Zusam- menfügung. Form als Fügung - im zweifachen Wortverstand. Und die Würde der Abgeschiedenheit, die aus der Lauterkeit der Mittel kommt und in die Bereiche des Monumentalen wächst. Der stille Atem des Absichts- losen und der Selbstverständlichkeit scheint durch diese Kunst zu gehen, und erst die nachträgliche Überle- gung kommt dem Anteil des Könnens auf die Spur“1

1 Hofmann, Werner, Einleitung, Georges Braque. Das graphische Werk. Stuttgart 1961. S. XXIII

16 17 Marc Chagall (Witebsk 1887 - 1985 St. Paul de Vence)

Paysage, 2e état (Landschaft, 2. Zustand).

Kreidelithographie von der Zinkplatte ren. Mir schien, ich könne alle meine auf Arches-Bütten (mit Wasserzei- Trübsale, alle meine Freuden in sie chen), mit Bleistift signiert und num- einlassen ... All das, was im Laufe der meriert, 1956. 59 : 47 cm auf 65 : 50,2 Jahre mein Leben berührte: Geburt cm. und Tod, Hochzeiten, Blumen, Tiere, Vögel, geplagte Arbeiter, die Eltern, Werkverzeichnis: Sorlier/Mourlot Liebende in der Nacht, die Propheten 154. der Bibel, auf der Straße, im Haus, im Tempel und im Himmel; und mit Einer von 20 Abzügen für den Künst- den Jahren, die Tragödie des Lebens ler (dazu einige wenige Probeabzüge, in uns und um uns. Wenn ich all diese keine Auflage, die Platte wurde un- Werkzeuge in die Hand nehme, fühle brauchbar gemacht). ich den Unterschied zwischen Litho- graphie, Zeichnung und Radierung. Vorzüglich erhalten. Zeichnen können, ist nicht dasselbe, wie in den Fingern diesen Nerv für Provenienz: Privatsammlung Westfa- die Lithographie spüren: es ist eine len. Sache des Gefühls. So muß auch von jedem einzelnen Strich dieses beson- „Sehr bald merkt man, daß zweierlei dere Gespür ausgehen, das nichts graphische Möglichkeiten ihn locken: mehr zu tun hat mit dem Können oder die mehr >malerische< und die rein dem Handgriff.“ 1 >zeichnerische< Graphik. Die ers- te richtet sich mehr auf die Nuan- cen und bringt durch Abstufung der Schwarztöne Licht- und sogar Farb- vorstellungen zur Geltung; die zwei- te berücksichtigt mehr die Eleganz, Geschmeidigkeit und Treffsicherheit des Strichs sowie die Bemühung, das Weiß lebendig zu lassen. Diese beiden graphischen Methoden widersprechen einander keineswegs, vielmehr ergän- zen sie sich reizvoll, sei es, indem sie sich kontrastierend voneinander ab- heben, sei es, indem sie sich miteinan- der verkoppeln [...]. >Es hätte mir si- cherlich<, so erklärt Chagall, >etwas gefehlt, wenn ich nicht irgendwann in meinem Leben mich neben der Male- rei auch mit Radierungen und Litho- graphien beschäftigt hätte. Von frü- hester Jugend an, sobald ich anfing, einen Bleistift zu handhaben, suchte ich nach diesem Etwas, das sich er- gießen konnte wie ein großer Strom zu fernen, lockenden Ufern. Wenn ich einen Stein zum Lithographieren oder eine Kupferplatte in die Hand nahm, 1 Maretau, Robert, Chagall als Graphiker. meinte ich einen Talisman zu berüh- In: Hommage à Chagall. Paris 1969. S. 100 ff

18 19 Lovis Corinth (Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort)

Katze auf Baumstrunk.

Kaltnadelradierung auf Japan, mit Provenienz: Privatsammlung Mün- Bleistift signiert und als „Probedruck“ chen bezeichnet, 1920. 24,5 : 19,5 cm auf 36,2 : 28,2 cm. „In der heißen Sonne schnurrt vor dem Häuschen unser Kater, ein Kätz- Werkverzeichnis: Schwarz 432 VIII. chen, das wir jung aufgezogen, und das nun zweijährig ist. Ein herrliches Einer von wenigen Probedrucken vor Tier, behütet und gepflegt vom ganzen der Auflage von 25 Exemplaren auf Hause, was es uns tausendfach ver- Japan und 50 Exemplaren auf Büt- gilt. Lief es doch wie ein Hündchen Charlotte in Urfeld beim Füttern der Katze „Strick“ ten als Blatt 8 der Mappe „Am Wal- hinter meiner Frau einher. Versteckte mit der Milchflasche, daneben die Katze „Strolch“ chensee“, erschienen als 30. Werk der sich auf Bäumen; scherzte und spiel- (Aufnahme: Lovis Corinth) Gurlitt-Presse im Verlag Fritz Gurlitt, te mit dem Saume ihres Kleides.“ Berlin, 1920. (Lovis Corinth).

Bis auf kleinere Läsuren in den Ecken prachtvoller, tief eingepreßter Druck mit leichtem Plattenton.

Lovis Corinth (Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort)

Am Walchensee.

Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf Japanbütten, mit Bleistift signiert, 1923. 17,8 : 24,2 cm auf 22 : 29 cm.

Werkverzeichnis: Müller 674.

Gratiger Druck mit leichtem Plat- Einer von wahrscheinlich sehr weni- tenton, bis auf wenige Altersspuren gen Zustandsdrucken. Auch die Blät- schön Erhaltung. ter der Auflage sind selten, da laut Müller diese durch einen Brand fast Provenienz: Rheinischer Privatbesitz vollständig vernichtet wurden. Eindrucksvolle, expressive Arbeit, die sich vielleicht am stärksten al- ler Walchensee-Graphiken vom dem „Gegenstand“ der Landschaft löst und diese im gestischen Duktus nur noch andeutet.

20 21 Lovis Corinth (Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort)

Winter am Walchensee (Hotel Fischer am See).

Kaltnadelradierung auf Bütten, mit „Die Kunststraße vom Kochel- zum len, ebenfalls Liliputanerstil, leuchten Bleistift signiert, 1924. 15 : 19,7 cm Walchensee windet sich am Kessel- unter schwarzen Tannen hervor“ (Lo- auf 20,5 : 26,7 cm. berg empor, bis wir endlich auf dem vis Corinth: Am Walchensee. 1921). höchsten Punkt angekommen sind. Werkverzeichnis: Müller 858. Hier zeigt sich auch zum erstenmal der See. Von dieser Höhe geht es Eins von 200 Exemplaren der Vor- jäh herunter. Das Gefährt schlängelt zugsausgabe von: Biermann, Georg, sich, mit Vorsicht gestoppt, eine schön Der Zeichner Lovis Corinth. gepflegte Straße in zahlreichen Win- Dresden, Verlag Ernst Arnold, 1924. dungen herab, bis hart zum Ufer des Walchensees. wo auch das Dörfchen Herrlich kräftiger und gratiger, in Urfeld beginnt. Dieses Urfeld ist ein den Schwärzen sehr schön samtiger ganz winziger Ort, es gibt dort eine Druck. Post, zwei Gasthäuser, aber weder Schuster noch Schneider. Einige Vil- Winter 1924/1925 Familie Corinth vor dem Haus in Urfeld (rechts eine Provenienz: Privatbesitz . Freundin)

22 Lovis Corinth (Tapiau 1858 - 1925 Zandvoort)

Schweizer Landschaften.

Mappe mit fünf Kreidelithographie auf „Der Schweizer Maler Cuno Amiet, selben Jahr schuf er zwei Gemälde mit Bütten, mit Bleistift signiert, 1923. wohnhaft in Oschwand bei Rietweol, Motiven vom Luzerner See (Berend-Co- 38,8 : 29,4 cm (Blattformat). Kanton Bern, erinnerte sich später rinth 950 und 951, Hamburger Kunst- an eine gemeinsame Fahrt durch die halle, Hamburg) und radierte eine An- Werkverzeichnis: Müller 792-796, Schweizer Landschaft: >... Sehr oft sicht von Zürich (Müller 861). Ausgabe C. denke ich an jenen Tag zurück, als Frau Die >Schweizer Landschaften< sollten Aus der Auflage von 100 Exemplaren Corinth ihren Mann zu mir brachte, im ursprünglich als Vignetten zur Tell-Fol- (dazu 25 farbig gedruckt auf Japan und Jahr 1923 (1924?). Ich holte die bei- ge erscheinen, wurden dann aber in ei- 100 farbig gedruckt auf Bütten). den in Olten ab und fuhr sie im Auto ner separaten Mappe vereinigt. Die Be- Erschienen im Verlag der Münster- auf die Oschwand; durch die schöne, wunderung der Schweizer Landschaft Presse Horgen-Zürich/Leipzig und Ver- sonnige Landschaft gemütlich fahrend, ist vorgeprägt durch die Tradition der lag Dr. Karl Hoenn. plaudernd und spaßend ... Wir fuhren Romantik seit Ende des 18. Jahrhun- im offenen Wagen und meine verehr- derts. Aus der romantischen Natursehn- Provenienz: Privatsammlung Westfa- ten Gäste hatten rechte Freude an der sucht in Verbindung mit der Schweizer len. schweizer Landschaft.< Alpenlandschaft. Wie die Künstler frü- Corinth hatte sich auch Bücher über herer Zeit ist Corinth berührt von dem Enthält die Blätter Bergsee (17,5 : 18 landschaftliche Darstellungen der Erlebnis der erhabenen Natur.“ 1 cm), Burg am See (13 : 18 cm); Alp- Schweiz und Kupferstiche kommen hütte (15,5 : 18 cm); Wildbach (15,5 : lassen. 1924 fand eine Ausstellung Co- 18 cm) und Bergsee (16,5 : 17,5 cm). rinths im Kunsthaus Zürich statt. Im

1 Fehlemann, Sabine, Hrsg. und Birthälmer, Antje, Bearb., Lovis Corinth. Aus der Graphischen Samm- lung des Von der Heydt-Museums. Wuppertal 2004. S. 379.

23 Eugen Croissant (Landau/Pfalz 1898 - 1976 Urfahrn/Chiemsee)

Ohne Titel (Blick über das winterliche Murnauer Moos in Richtung Zugspitzmassiv).

Aquarell auf Karton, mit Tinte sig- 1918-1920 Architekturstudium an der anstalten niert, um 1930. 35,5 : 49 cm. Technischen Hochschule in München 1967 Tod der Mutter in Landau 1920-1922 durch Unterstützung von 1975 Preis für Malerei von der Baye- Auf dickeren Karton kaschiert, an den Max Slevogt erlaubt der Vater den rischen Akademie für Schöne Künste Rändern minimal lichtrandig, wohl Wechsel zur Kunstgewerbeschule in 1976 stirbt in Urfahrn und wird auf leicht beschnitten. München, wo Croissant bei Julius dem Friedhof von Frauenchiemsee Diez und Willi Geiger studiert beigesetzt, in einem Ehrengrab, das Provenienz: Privatsammlung Süd- 1923-1924 Fortsetzung des Studiums die Gemeinde Breitbrunn für die bes- deutschland. an der Akademie für Bildende Künste ten Künstler ihrer Gemarkung einge- in der Malklasse von Karl Caspar richtet hat. „Croissant war fast ausschließlich ein seit 1924 freischaffender Künstler Landschaftsmaler, der den Chiemsee 1925 Ausstellung in Landau und das Berchtesgadener Land in das 1926 Ausstellung in Kaiserslautern Zentrum seiner Bildwelt stellte. Wie und Neustadt im 19. Jahrhundert Joseph Wopfner, 1927 Ausstellung in Speyer, umkreiste er thematisch immer wie- und Hamburg der dieses Gebiet und das Voralpen- 1928 Ausstellung in Ludwigshafen, land, allerdings verzichtete er ganz München, Nürnberg und Kaiserslau- auf Staffagefiguren und damit auf eine tern pointierte Zuspitzung im Szenischen. 1931 Ausstellung in Pirmasens Obschon seine Bildform am Naturein- 1932 Ausstellung in Landau druck orientiert ist, bevorzugte er 1933 Ausstellung in Mannheim und eine Farbigkeit, die durch den Ex- Düsseldorf pressionismus und seine Strömungen mit Hilfe von Stipendien zahlreiche geprägt wurde. Bekannt wurde er vor Reisen durch Europa und den Orient allem durch seine großformatigen 1931 am 6. Juni werden beim Brand Aquarelle.“1 des Münchner Glaspalastes 12 Aqua- relle seiner Orientreise vernichtet bis 1939 zeichnet für diverse Zeit- schriften (Fliegende Blätter, Meggen- dorfer Blätter, Simplicissimus“ u. a.) Karikaturen wird Mitglied des „Deutschen Künst- lerbundes“, dem Max Liebermann vorsteht 1930-1944 durch Unterstützung von Richard Seewald wird Croissant Mit- glied der „Münchener Neuen Sezes- sion“ 1941 Tod des Vaters in Landau 1943 Zerstörung seines Münchner Ateliers durch Luftangriffe; zieht an den Chiemsee 1945 kurz vor Kriegsende Einberu- fung nach 1945 der Chiemsee und seine Umgebung werden zu seinen bevor- zugten Motiven wird Mitbegründer der „Neuen Grup- pe“, die jährliche Ausstellungen im 1 Ludwig, Horst, Bearb., Münchner Maler „Haus der Kunst“ in München ver- im 19./20. Jahrhundert. Band V. München 1993. S. 161

24 25 Ferdinand Carl Cürten (Düsseldorf 1892 - 1945 Beverungen)

Ohne Titel (Artist vor dem Zirkus/Selbstbildnis?)

Kreidelithographie auf Maschinen- lungen der Stadt Düsseldorf entfernt bütten, mit Bleistift signiert und num- und zerstört. Cürten wurde als Leut- meriert, ohne Jahre (um 1920?). Ca. nant nach Nordafrika abkommandiert 37 : 25 cm (Stein unregelmäßig) auf und starb am 30. Mai 1945 im Laza- 56,2 : 41 cm. rett auf Schloss Amelunxen in Bever- 7. von 30 Exemplaren. ungen / Kreis Höxter. Der breite Rand mit leichten Läsuren, insgesamt aber sehr schöner Abzug. Bei dem dargestellten Artisten könnte es sich um ein Selbstporträt handeln, Provenienz: Privatsammlung Westfa- denn es zeigt starke Ähnlichkeit mit len. einem Gemälde des Künstlers, das 1921 im „Jungen Rheinland“ ausge- WIR KÖNNEN AUSSER DIESEM stellt war (leider nur als Abbildung BLATT KEINE WEITERE GRAPHIK bekannt). AUS DER HAND DES KÜNSTLERS NACHWEISEN.

Cürten studierte zunächst an der Düs- seldorfer Kunstgewerbeschule und im Anschluß an der dortigen Kunst- akademie. Sein Frühwerk stand noch unter dem Einfluß des rheinischen Impressionismus. Studienreisen durch Europa und Nordafrika bereicherten seine Palette um leuchtende Farben. 1919 trat Cürten der Künstlerverei- nigung „Das Junge Rheinland“ bei, das in der Galerie von Johanna (Mut- ter) Ey gegründet worden war. 1923 verließ er die Gruppe und wurde Mitglied in der gerade gegründeten „Rheingruppe“, aus der sich 1928 die „Rheinische Sezession“ bildete. So nahm Cürten zwischen 1919 und 1933 an allen wichtigen Ausstellungen der rheinischen Avantgarde teil. 1926 erhielt er den Auftrag, im Zuge der „Großen Ausstellung für Gesund- heitspflege, soziale Fürsorge und Lei- besübungen (GeSoLei) ein Gemälde für den Rundbau des Planetariums zu schaffen. Die GeSoLei war die größte Messe der Weimarer Republik! 1928 folgte ein Auftrag zur Ausgestaltung einer Ausstellung des „Völkerbun- Ferdinand Carl Cürten, Bildnis, Öl auf Leinwand (?), ausgestellt 1921 im „Jungen Rheinland“ des“ in Genf. Anfang der Dreißiger Jahre wandte sich Cürten mehr und mehr dem Aquarell zu. Zwei seiner Bilder wurden von den Nationalso- zialisten im Rahmen der „Entarteten Kunst“-Aktion aus den Kunstsamm-

26 27 Henri Gaston Darien (eigtl. Adrien) (1864 - Paris - 1926)

Ohne Titel (Tempel in Agrigent auf Sizilien)

Öl auf Pappe, mit Pinsel signiert, ohne teil, wo er eine Bronzemedaille be- Jahr (um 1910?). 22 : 14 cm. kam. Er wurde 1910 Ritter der Ehren- legion. Provenienz: Privatsammlung Paris Unsere Ölstudie stammt wohl von ei- Darien (eigentlich Adrien) war ein ner möglicherweise gemeinsam mit sehr erfolgreicher Genremaler, dessen dem Bruder unternommenen Reise, Werke noch heute zahlreich reprodu- die den Künstler nach Tunesien führ- ziert werden. Er „pflegt einen gemä- te und während der er seine Eindrü- ßigten Impressionismus und wird als cke auf Pappen dieses (offensichtlich Kolorist berühmt“ (Thieme-Becker). vorgeschnittenen) Formates malte. Anders als seine akademisch wirken- Darien wurde am 8. Januar 1864 in den Genrebilder zeigt sich hier ein Paris geboren, wo er am 7. Januar meisterhafter Umgang mit locker und 1926 starb. Seine Mutter Françoi- spontan gesetzten Pinselstrichen so- se-Sidonie Adrien starb, als er fünf wie eine virtuose impressionistische Jahre alt war, woraufhin sein Vater Farbgebung. Honoré-Charles-Émilien Adrien Éli- se-Antoinette Schlumberger (*1839) aus dem Elsass heiratete, die eine ausgesprochen gläubige Protestan- tin war. Darien hatte einen Bruder, den Schriftsteller Georges Darien (6.4.1862-19.8.1921). Er studierte an der École des Be- aux-Arts bei Jules-Joseph Lefebvre (1834-1911) und bei dem impressi- onistischen Maler Antoine Guillemet (1843-1918). Lange Zeit wohnte er am Pariser Boulevard St. Michel, von wo aus er Szenen des Pariser Lebens malte, die ihn sehr berühmt machten. Daneben besaß er ein Landhaus in der Normandie, wo er unter dem Einfluß Henri-Gaston Darien, Wasserträger in der Wüste. Öl auf Pappe 14 : 22 cm; Privatbesitz Frankreich Guillemets die Landschaft „en plein air“ malte. Ab 1886 war er Mitglied der Société des Artistes français. Darien erhielt zahlreiche Auszeich- nungen, so eine „mention honorab- le“ 1889, eine „médaille de troisième classe“ 1897, den „prix de Raige- court-Goyon“ 1897, die „médaille deuxième classe“ 1899. 1904 gewann der Künstler eine Ausschreibung für Wandmalereien für den Festsaal des 1898 errichteten Rathauses in Van- ves (nahe Paris), die seit 2001 unter Henri-Gaston Darien, Reges Leben am Kai. Öl auf Denkmalschutz stehen. Seit 2002 heißt Pappe 14 : 22 cm; Privatbesitz Frankreich der Saal „Salle Henry Darien“. 1900 nahm er an der Weltausstellung

28 29 Eugène Delacroix (Charenton-Saint-Maurice 1798 - 1863 Paris)

Députés.

Vorbereitende Entwurfszeichnung den Salon du Roi im Palais Bourbon übertrugen und 15 der Zwickel so für die Wandmalereien in der Bib- auszumalen. weit ausmalten, daß er nur noch ge- liothèque de la chambre des députés ringfügige Korrekturen anzubringen (Assemblée nationale im Palais Bour- hatte. Die Halbkuppeln und die übri- bon, Paris). gen Zwickel malte er selbst.“1 Bleistift auf Bütten, mit Bleistift be- zeichnet „Députés“ sowie dem roten Nachlaß-Stempel (Lugt 838), um 1838. 19,5 : 27,6 cm. Verso umlaufend auf Büttenkarton montiert, in der Darstellung ein klei- ner Fleck, verso Marginalien von alter Hand bezüglich einer Rahmung.

Provenienz: Privatsammlung New York.

Literatur: Johnson, Lee, The Pain- Die Bibliothek tings of Eugène Delacroix. A critical Catalogue (The Public Decorations „Als er 1838 - kurz nachdem die and their Sketches) Volume V. Text. Wandbilder im Salon du Roi enthüllt Oxford 1989. S. 33 ff worden waren - in Valmont zu Besuch war, las er zufällig in einer Pariser Zeitung, daß er eine weitere Reihe von Deckenbildern, ebenfalls im Pa- lais Bourbon, für die Bibliothek der Deputiertenkammer, schaffen sollte. Dieser Auftrag hing seit einem Jahr in der Luft, und Delacroix hatte alle Hoffnungen aufgegeben, ihn zu erhal- ten. Er war außer sich vor Freude: der Raum stellte noch größere An- forderungen an seine Erfindungskraft verso Das Palais Bourbon wurde von 1722 als der Salon du Roi. Er war nicht so bis 1728 von Lorenzo Giardini und breit, aber über dreimal so lang - rund Jules Hardouin- Mansart für Louise 42 m insgesamt. Françoise de Bourbon, die Tochter Hinzu kam, daß die Decke, die er nun Ludwig XIV, erbaut. Während der zu bewältigen hatte, nicht eine Kuppel Revolution wurde das Gebäude ver- wie im Salon du Roi, sondern deren Die Wandmalereien befassen sich mit staatlicht. Ab 1798 diente es als Ta- fünf mit je vier Zwickeln mußten er- Krieg und Frieden, mit Poesie, Reli- gungsort des Rates der Fünfhundert. findungsreich und mannigfaltig aus- gion, Gesetzgebung, Philosophie und Unter Napoleon wurde ein klassizisti- gemalt werden. Alles in allem war es Naturwissenschaften, gespeist aus scher Portikus vorgesetzt. Nach 1815 eine gewaltige Aufgabe, der er allein Vorlagen aus der Bibel und der grie- wurde das Palais an die Abgeordne- nicht leisten konnte. Delaroix stell- chischen bzw. römischen Mythologie. tenkammer vermietet und 1827 an te etwa 30 Gehilfen ein und richtete diese verkauft. Es folgten umfangrei- ein Atelier ein, wo er sie bei vorbe- che Baumaßnahmen. Seit 1848 ist das reitenden Arbeiten anleitete. Bei der Palais Bourbon Sitz der Nationalver- Ausführung verließ er sich auf drei der Begabteren unter ihnen, die sei- 1 Prideaux, Tom, Delacroix und seine Zeit. sammlung. 1798-1863. O. O. 1975. S. 143 1833 erhielt Delacroix den Auftrag ne Vorzeichnungen auf die Leinwand

30 recto

31 Eugène Delacroix (Charenton-Saint-Maurice 1798 - 1863 Paris)

Députés.

Bei den Darstellungen in der oberen dem Sturz des Königs endete. In dem Antike zu versetzen, ablehnte, empfand Hälfte des Blattes handelt es sich um Bild trägt die Anführerin der Aufstän- er seit langem eine Wesensverwandt- mythologische Motive, die das Meer digen (die spätere Figur der Marian- schaft mit jener Welt; jetzt, da die an- betreffen. ne) die Freiheitsmütze der Jakobiner, tiken und biblischen Allegorien des ebenso auf der Zeichnung, hier al- Salon du Roi und weitere Vorhaben Ganz rechts (1) kann es sich um Po- lerdings nicht mit Tricolore, sondern zu verwirklichen waren, ähnelte seine seidon, dem Gott des Meeres, han- mit einer Art Hellebarde und einem Beschäftigung mit der Vergangenheit deln, der oft mit Dreizack in einem Schild. nicht einer Durchreise, sondern einer Streitwagen dargestellt wird. geistigen Heimkehr. Zugleich blieb er der Gegenwart verhaftet und war Die mittlere Szene (2) könnte Amphi- offen und aufgeschlossen gegenüber trite, die Beherrscherin der Meere den romantischen Ideen seines Zeital- zeigen. Poseidon schickte ihr einen ters. Darüber hinaus drang er in die Delphin als Brautwerber, der ihr Herz Zukunft vor, nicht nur, was seine Tech- erweichte. nik und Farbgebung betrifft, sondern  durch seinen nachdrücklichen Hin- Der Delphin ist aber auch gleichzeitig weis auf die Bedeutung der eigenen ein Attribut der Aphrodite, der Göttin Schaukraft eines Künstlers. Indem er der Liebe. Die „Meerschaumgebore- dafür plädierte, daß die Kunst nicht lediglich darstelle, sondern deutliches ne“ wurde nach griechischer Mytho- Eugène Delacroix, La Liberté guidant le peuble 1830 Sehen mit unerklärlichem Fühlen ver- logie aus einer Muschel geboren, die Louvre, Paris spätestens in Botticellis „Geburt der eine, daß sie mehr einem Liebesbrief Venus“ aus dem Jahr 1486 eine Ja- Bei der männlichen Figur rechts (5) als einer detaillierten Rechnung glei- kobsmuschel zeigt (3). könnte es sich schließlich um den che, bereite er den Boden vor für die Kriegsgott Ares bzw. Mars handeln, moderne Kunst und half ein Klima schaffen, das ihrem Heranwachsen dessen Attribute u. a. die Lanze und 2 der Helm sind. Der griechische Gott gedeihlich sein sollte.“  Ares steht für Blutbad und Massaker.

„Mit seinen Wandbildern krönte De- lacroix seine Bemühungen als Ma- ler; er bewies seine Fähigkeit, einer sterbenden Kunstform neues Leben einzuhauchen. Zu seiner Zeit hatte Sandro Botticelli, Die Geburt der Venus ca. 1485/86 die Wandmalerei sich selbst uberlebt, Uffizien, Florenz sie existierte nur noch als formelhaft erstarrte, verblühte Dekoration, die Die weibliche Kriegerin unten links dem offiziellen Geschmack entsprach. (4) erinnert unweigerlich an das 1830 Doch Delacroix‘ Wandbilder sind, entstandene Gemälde „Die Freiheit obwohl Schwierigkeiten, wie ungüns- führt das Volk“ von Delacroix. Si- tige Flächenaufteilung und störender cher wird er sich bei der Planung der Lichteinfall, zu überwinden waren, Wandgestaltung der Julirevolution herrliche Meisterwerke. Sie zählen von 1830 erinnert haben, die just an zu den Prunkstücken französischer diesem Ort ihren Anfang nahm, da Kunst. der reaktionäre König Charles X. die Delacroix ließ an diesen Werken er- Abgeordnetenkammer auflöste und kennen, daß er in allen Epochen der Wahl- und Pressefreiheit stark ein- Menschheitsgeschichte bewandert 2 Prideaux, Tom, Delacroix und seine Zeit. schränkte. Das führte zu einem drei- war. Obwohl er einige der klassizisti- 1798-1863. O. O. 1975. S. 141 tägigen blutigen Aufstand, der mit schen Versuche, sich in den Geist der

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2

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33 Sonia Delaunay-Terk (Gradiszk/Ukraine 1885 - 1976 Paris)

Rythme.

Farblithographie auf Velin d‘Arches, Gebiet liegen neue und unendliche mit Bleistift signiert und nummeriert, Möglichkeiten. Wenn man dies ver- 1964. 40 : 37,7 cm auf 65 : 50 cm. standen haben wird, wird man unsere Eins von 75 Exemplaren. Von beste- Bedeutung, meine und Roberts, für chender Erhaltung. die Malerei verstehen, und man wird zu verstehen versuchen, was wir ge- macht haben. [Tagebucheintrag vom Provenienz: Privatsammlung Mün- 22. August 1949]“ 1 chen

„In den späten 1930er Jahren findet Sonia Delaunay zu einem Formenka- non, der sich in ihrem Spätwerk wei- ter entfaltet. Mit den ersten Gouachen der >Rhythmes colorés<, >Farbi- ge Rhythmen<, kleine, skizzenhafte Kompositionen abstrakter farbiger Formationen aus der zweiten Hälfte der 1930er Jahre, ist auch der Titel präsent, den eine große Anzahl von Bildern ihres Spätwerkes tragen wird, und der schließlich von den >Rhyth- mes couleurs<, >Farbrhythmen< genannten Bildern ergänzt wird, ohne dass sich zwischen beiden Werkgrup- pen eine inhaltliche oder formale Grenzlinie ziehen ließe. In ihrem Spätwerk etwa ab Mitte der 1950er Jahre erfüllt sie mit der auch im Alter wiedergewonnenen, nahezu unermüd- lichen Schaffenskraft ihr künstleri- sches Glaubensbekenntnis, dass sie 1949 in ihrem Tagebuch notiert hatte, und das für sie selbst zum Ansporn für die weitere Arbeit wird, während es zugleich auch ein künstlerisches Vermächtnis Roberts ist: >Bis in die Gegenwart ist die Malerei nichts als farbige Fotografie gewesen, und die Farbe ist immer nur dazu verwendet worden, etwas zu beschreiben. Abs- trakte Malerei wird erst dann begin- nen, wenn die Menschen verstehen, dass Farbe ein unabhängiges Leben für sich hat, dass unendliche Farb- kombinationen eine viel ausdrucks- stärkere Poesie und Sprache haben als die althergebrachten Methoden. Es ist eine geheimnisvolle Sprache, 1 Hülsewig-Johnen, Jutta, Hrsg., Sonia in Harmonie mit den Schwingungen, Delaunays Welt der Kunst. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld 2008-2009. S. 44 ja dem Leben der Farbe. Auf diesem

34 35 Andre Derain (Chatou 1880 - 1954 Garches)

Bildnis Raymonde Knaublich.

Bleistiftzeichnung auf Maschinen- bütten, unten rechts mit dem Atelier- Stempel (Lugt 668 a), verso mit dem „André Derain/Knaublich“-Stempel und der Nr. 513, 1930er Jahre. 22 : 16 cm auf 32,2 : 24 cm.

Der Rand etwas unregelmäßig und leicht gebräunt, oben links ein kleiner hinterlegter Einriss.

Provenienz: Nachlass des Künst- lers; Collection André Charlemag- ne Derain, Frankreich; Collection Raymonde Knaublich, Frankreich; Succession de Madame R. Knaublich (Nachlaß-Versteigerung bei Loiseau et Schmitz, St.-Germain-en-Laye, Frankreich; Privatsammlung London.

Von 1935 bis zu seinem Tod lebte An- dré Derain mit seiner Ehefrau Alice in Chambourcy bei Paris. Sie hatten 1926 nach fast zwanzigjährigem Zu- sammenlebens geheiratet. Die Ehe blieb kinderlos, doch hatte er einen Sohn von seinem Modell und seiner Geliebten, Raymonde Knaublich: André Charlemagne Derain, genannt Boby (*30.6.1939). Dieser starb 1992 und hinterließ 3/4 des Atelierbestan- des seines Vaters, den nun Raymonde erbte. Nach deren Tod 2001 wurde der Nachlaß (4200 Arbeiten auf Papier, 49 Terrakotten und 52 Bronzen) im Auktionshaus von Jean Loiseau und Alain Schmitz verkauft.

36 37 (Untermhaus/Gera 1891 - 1969 Singen)

Frau Otto Mueller.

Kreidelithographie auf Zanders- trauen< (Emmy Mueller, Erinnerun- Oper Otto Klemperer (Karsch 67) und Bütten, mit Bleistift signiert, datiert, gen. S. 27) Obwohl Elsbeth Mueller des Kölner Kunstkritikers Alfred Sal- nummeriert und als „Vorzugsdruck“ zunächst versucht, sich Otto Muel- mony (Karsch 56) und den Schriftstel- bezeichnet, 1923. 48,5 : 38 cm auf ca. lers ‚Frauen-Idealbild‘ (und Vorbild) ler Angermayer (Karsch 60).“ 2„Bei 58 : 39 cm. Maschka Mueller anzupassen - >sie der Dargestellten handelt es sich um trug die dunkelblonden Haare à la Müllers [sic] zweite Frau Elisabeth Werkverzeichnis: Karsch 57 a (von Maschka geschnitten (Marg Moll: Lüdke, die er 1922 heiratete. Müller c). Eins von 15 Exemplaren, die als Otto Mueller 1956. Typoskript im Ar- hielt sich seit der Trennung von sei- „Vorzugsdruck“ bezeichnet sind, dazu chiv der Otto Mueller-Gesellschaft. ner ersten Frau 1921 in Köln auf und weitere 15 auf Maschinenbütten und S. 7), aber schon 1923 pechraben- könnte so näheren Kontakt zu Nie- ca. 20 auf weißem Werkdruckpapier. schwarz gefärbt - und angeblich >an rendorf gehabt haben, der erst 1927 Der Rand etwas unregelmäßig, oben ihm hängt<, ist aufgrund des enor- nachweislich Arbeiten in seiner Ga- rechts mit kleinem Ausriss, verso men Altersunterschiedes von 27/28 lerie ausstellte. [...] Der Kontakt zum Montierungsstreifen und Marginalien Jahren, aber auch wegen der Unver- älteren und bereits etablierten Müller in Bleistift, insgesamt aber von sehr einbarkeit der künstlerischen Bohème war nie eng. [...] In einem undatier- schöner Erhaltung. Otto Muellers, seiner ‚unheilbaren ten Brief aus den zwanziger Jahren Unbürgerlichkeit‘ (Emmy Mueller), an seine erste Frau bemüht er sich im Provenienz: Galerie Nierendorf, mit ihrer genuinen ‚Gutbürgerlich- Kontakt zu Dix, den er gerne als Leh- Berlin; Privatsammlung Schleswig- keit‘, bereits bei der Eheschließung rer in Breslau gesehen hätte.“ 3 Holstein. (1922) das ‚Verfallsdatum‘ dieser Mesalliance-Ehe vorprogrammiert. Bei der Dargestellten handelt es sich Trotz der Geburt des gemeinsamen um Muellers zweite Ehefrau Elsbeth Sohnes Josef (1925-1992) im Jahre Lübke. „Infolge seiner übersteigert 1925, wird Otto Muellers zweite Ehe krampfhaften Suche nach Liebe, Ge- bereits nach fünf Jahren im Oktober borgenheit und v. a. nach Familie 1927 wieder geschieden.“ 1 (mit eigenem Kind), stürzt sich Otto Mueller (fast kopflos, weil als Sing- „Nach dem Ersten Weltkrieg konzen- le hilflos) in sein zweites Breslauer trierte sich Dix zunehmend auf wich- >Liebesabenteuer< (diesmal mit stan- tige Personen des Kunst- und Kultur- desamtlichen Folgen) - zur schnellen lebens. Seitdem er Nierendorf kannte, Kompensation seiner zwei, erst vor entstanden vor allem lithographierte einem halben Jahr total gescheiter- Portraits bekannter Persönlichkeiten, ten Beziehungen, gewiß auch aus die Dix selbst nur flüchtig gekannt Torschußpanik, v. a. aber dem Natur- haben kann; Nierendorf war der Ver- gesetz >Stirb und werde< getreu fol- leger dieser Einzelblätter. [...] Wei- gend und es (leider blind) befolgend: tere Arbeiten, die Personen aus dem >Durch die Familie Rodenwald lernte Freundeskreis um Nierendorf zeigen, er seine zweite Frau, Elisabeth Lübke entstanden 1923 als großformatige Elsbeth Mueller, geb. Lüdke (1902-1977) kennen und lieben. Da Lithographien. Der Galerist konnte sie aus einem gut bürgerlichen Haus so die Protagonisten und die Freun- entstammte, glaubte er, in ihr die de seiner Galerie in Form von Kunst rechte Lebensgefährtin gefunden zu anbieten: das Portrait des Malers und haben. Als er mir ihre Photographie Bildhauers Otto Freundlich (Karsch zeigte, schwärmte er von ihrer Jugend 53), das der Frau des Malers Otto und Schönheit, und mit welcher Liebe Müller [sic] (Karsch 57), des Kompo- 2 Stroble, Andreas. Otto Dix. Eine Maler- karriere der zwanziger Jahre. Berlin 1996. S. 114 sie an ihm hinge. Sie sei froh aus der nisten und Chefdirigenten der Kölner engen Bürgerlichkeit herauszukom- 3 siehe Anm.2, S. 114; Fußnote 331. 1 Mück, Hans-Dieter, Otto Mueller. Band men. Ihr zuliebe ließ er sich 1922 zum II des Kataloges zur Ausstellung in den Kunstsammlun- zweiten [recte: ersten] Mal kirchlich gen Zwickau, den Städtischen Museen Heilbronn und im Lehmbruck Museum Duisburg 2012/13. S. 115 f

38 39 Conrad Felixmüller (Dresden 1897 - 1977 Berlin)

Frau am Morgen (Hemd anziehend).

Radierung mit Aquatinta auf festem „So wie mit den ersten Augenblicken Bütten, mit Bleistift signiert, datiert meiner Bewußtwerdung alles Sein mit (nachträglich ? 1922) und unter der aller Not und Sorge durch mich floß, Darstellung bezeichnet: 2/3. II. Zu- wie aus Arbeit und Enttäuschung, stand, Aquatinta“ sowie am unteren Schönheit und Konzentration, Wider- Rand betitelt „Frau am Morgen - spruch und Zerwürfnis, berauschen- Hemd anziehen“, dazu Marginalien de Liebe, unendliche Ruhe wurde, von fremder Hand, in der Platte mo- freudige Zuversicht, heiteres Wissen nogrammiert, 1920. 29,7: 19,4 cm - so auch aus Kunst des Könnens eine auf 49,9 : 35 cm. Kunst des Willens: im Bewußtsein ihrer Einordnung in das Leben der Werkverzeichnis: Söhn 238 a (von b). menschlichen Gesellschaft. So wird aus dem immer höher steigenden Cha- Zweiter von 3 Probedrucken des os unserer Zeit vielleicht als Sinn für zweiten Zustandes mit Aquatinta, vor die Kunst hervorgehen die Notwen- der Auflage von 50, effektiv 12 Exem- digkeit des Aufgebens ästhetischer plaren. Ansschauungen und Eigenschaften. Die Kunst würde gerade wegen ihres Mit kleinen Farbsprengseln und leich- heutigen rationellen Charakters die tem Lichtrand durch ein ehemaliges höchste Zusammenfassung unseres Passepartout, verso Montierungssreste mit höchsten Spannungen angefüllten, und Atelierspuren (Fingerabdrücke). von kühnsten Hoffnungen getragenen Daseins im XX. Jahrhundert sein. Provenienz: Privatsammlung Pfalz Wie eine Hand umfaßt unser wissen- des Hirn unsern Erdball; geschäf- Im Jahre 1925 stellte Conrad Felix- teabschließend, elendgehetzt, brot- müller eine Mappe zusammen, die un- sorgend, opferungsfähig, - überall ter dem Titel >Frau< [...] angeboten dieselbe Menschheit: sich liebend zu- wurde und 21 Radierungen aus den gleich hassend, den gleichen Kampf Jahren 1921 - 1922 zum Thema Frau kämpfend; diesselbe Not - denselben enthielt.“ (Söhn 335 M). Daher ergibt Luxus - der gleiche Kummer, - dassel- sich eventuell die unterschiedliche be zu sein, zu wissen, zu wollen: der Datierung. einzelne der Masse doch einsam mit seinem unendlich zart-sehnsuchtsvol- len Herzen: Der Mensch. Die Kunst sollte es aussprechen. Darum mühe ich mich. -“1

1 Conrad Felixmüller 1920. Zitiert nach: Gleisberg, Dieter, Felixmüller. Leben und Werk. Dres- den 1982. S. 254

40 41 Conrad Felixmüller (Dresden 1897 - 1977 Berlin)

Federlithographien aus der Folge „Malerleben“

1. Ermutigung des Jünglings. Federlithographie auf starkem, imitierten Japan, mit Bleistift signiert und datiert, im Stein mo- nogrammiert, 1927. 26,2 : 19,6 cm auf 34 : 23,9 cm. Werkverzeichnis: Söhn 373.

2. Bedrücktsein im Atelier.

Federlithographie auf starkem, imitierten Japan, mit Bleistift signiert und datiert, im Stein mono- grammiert, 1927. 26,3 : 20,2 cm auf 34 : 23,9 cm. Werkverzeichnis: Söhn 381. Am linken Rand Farbspuren.

Jeweils wohl vor der Auflage von 130 Exemplaren auf diesem Papier 3. Plein air. (dazu 30 auf Bütten) für die Folge „Malerleben“, 1927 in Dresden im Federlithographie auf starkem, imitierten Japan, Selbstverlag erschienen. mit Bleistift signiert und datiert, im Stein mono- grammiert, 1927. 26,3 : 20,2 cm auf 34 : 23,9 Provenienz: Privatsammlung Rhein- cm. land Werkverzeichnis: Söhn 383.

4. Junge Eltern.

Federlithographie auf starkem, imitierten Japan, mit Bleistift signiert und datiert, 1927. 26,5 : 20,2 cm auf 34,7 : 23,8 cm. Werkverzeichnis: Söhn 384.

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43 Hugo von Habermann (Landshut 1899 - 1981Murnau)

Ohne Titel (Sitzende Frau am Tisch mit Obstschale).

Öl auf Leinwand, rückseitig mit a. in der Pinakothek der Moderne und Nachlaß-Stempel, um 1930-35. 58,5 im München. : 50,5 cm.

Provenienz: Privatbesitz Süddeutsch- land

„Während des Krieges setzte sich von Habermann in Paris mit dem Kubis- mus auseinander. Seine Stilleben aus den vierziger und fünfziger Jahren zeigen dessen flächige Aufteilung. Auch die Begegnung mit dem ‚ku- bistischen Picasso‘ wird in seinen Figurendarstellungen deutlich. Seine Arbeiten aus diesen Jahren zeichnen sich durch helle, klare und schön ge- geneinander Farbflächen aus. [...] Auffallend ist, daß von Habermann seine Bilder zunächst kaum signierte und fast nie datierte.“1

Biographie seit 1922 Studium an der Münchner Akademie der Bildenden Künste bei seinem Onkel sowie Prof. Hermann Groeber Mitglied der Münchner Sezession 1925 Ausstellung im Münchner Glas- palast 1930 als freischaffender Künstler in Berlin zahlreiche Reisen nach Italien und vor allem nach Paris 1935 Ausstellungsverbot 1940 Einbeziehung als Soldat 1946 wohnt in Rieden am Staffelsee, gleichzeitig Atelier in München 1949 Vorstandsmitglied der Neuen Gruppe, München ab 1950 Ausstellungsbeteiligung in der Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst 1960 Mitglied des Deutschen Künst- lerbundes 1965 Förderpreis der Stadt München 1968 Ehrenpreis der Villa Massimo Werke von Habermann finden sich u.

1 Ludwig, Horst, Bearb., Münchner Maler im 19./20. Jahrhundert. Band V. München 1993. S. 331.

44 45 Karl Hahn (Burkersdorf/Erzgebirge 1892 - 1980 Dresden)

Ohne Titel (Sitzende Frau im Unterrock und Strümpfen).

Bleistiftzeichnung auf gelblichem ve- lin, mit Bleistift signiert und datiert, 1927. 37 : 24 cm auf 41,8 : 29 cm. Verso mit dem Nachlaßsstempel. Verso am oberen Rand Montierungs- rest, leichte Altersspuren.

Provenienz: Privatsammlung Schles- wig-Holstein.

Hahn studierte von 1910 bis 1914 an der Dresdner Kunstakademie bei Ri- chard Müller, Osmar Schindler, Carl Banzer und Hermann Prell. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, den er als Soldat erleben mußte, beendete er 1919 sein Studium bei Ludwig von Hofmann. In den Zwanziger Jahren nahm er an zahlreichen Ausstellun- gen in der „Dresdner Kunstgenossen- schaft, 1926 an der Internationalen Kunstausstellung in Dresden teil. Er- neut mußte er von 1939 bis 1945 als Soldat dienen und war danach wieder freischaffender Künstler. 1953 schloß man ihn aus dem Verband bildender Künstler aus.

46 47 Erich Heckel (Döbeln 1883 - 1970 Radolfzell)

Ohne Titel (Akrobat)

Ölkreide und Aquarell über Bleistift Erlebnisses umgesetzt, die präzise auf Vélin, rückseitig mit Bleistift si- schwungvolle Linie markiert die auf gniert, um 1910. das Wesentlichste reduzierte Form. 15,7 : 10 cm. [...] Dieser Drang zur Flächigkeit Bis auf rückseitige Montierungsreste und das Agieren mit betonten Kontu- vorzüglich erhaltene ausdrucksstar- ren ist auch für sein malerisches Werk ke Studie in gekonntem, schnellem charakteristisch. Ab 1910 kommt zu Strich. Von beeindruckender Farbfri- dieser betonten Flächigkeit eine Ten- sche. denz zur härteren, kantigeren Form hinzu, die teilweise bis zur Deformie- Die Authentizität des Blattes wurde rung reicht. Die Auseinandersetzung von Hans Geissler (Erich-Heckel- mit außereuropäischer Stammeskunst Stiftung) bestätigt. hat zur Ausprägung dieses so genann- ten ‚reifen Brücke-Stils‘ entscheidend Provenienz: Privatsammlung Hessen. beigetragen. Auch Heckels zeichneri- sches Schaffen weist nun Elemente ei- „Der Auftritt des ‚Millmann-Trios‘ im ner zunehmend strengeren Gestaltung Dresdner Varieté ‚Salon Victoria‘ im auf. Reduzierte Linienführung führt November 1909 faszinierte Erich He- einerseits zu harter, winkliger Aus- ckel und Ernst Ludwig Kirchner glei- formung der Konturen, welche nun chermaßen und sie beschäftigten sich die Darstellungen bestimmen, ande- mit den Darbietungen der Drahtseil- rerseits übernehmen offene Konturen artisten in Zeichnungen, Druckgra- und leere Bildteile eine aktive Rolle in 2 phiken und Gemälden. [...] Artistische der Komposition.“ Darbietungen in Circus und Varieté begeisterten Erich Heckel von der Jugend bis ins hohe Alter. Hans Hess, der Sohn des Sammlers Alfred Hess, erinnert sich an die Zeit, als Heckel - er war damals mit den Wandmale- reien im Erfurter Museum beschäftigt - im elterlichen Hause wohnte: ‚Kam aber ein Zirkus in die Stadt, dann ging er (Heckel) in den Zirkus. Er freunde- te sich mit dem dummen August den Clowns und Akrobaten an, setzte sich auf eine Tonne und zeichnete. Ich glaube, er hätte selbst ein Clown wer- den können.“ 1

„Heckels Arbeiten auf Papier, seine Zeichnungen und Aquarelle sowie sein druckgraphisches Schaffen, bil- den einen Höhepunkt nicht nur im Œuvre des Künstlers, sondern nehmen im gesamten Phänomen Expressio- nismus eine herausragende Stellung ein. [...] vor allem in der Zeichnung recto wird die Spontaneität des optischen 2 Moeller, Magdalena M., >unmittelbar und unverfälscht<. Aquarelle, Zeichnungen und Druck- 1 Faszination Zirkus. Katalog des Muse- graphik der >Brücke< aus dem Brücke-Museum Berlin ums Buchheim. Feldafing 2010. Nicht paginiert 2003. S. 110

48 49 Erich Heckel (Döbeln 1883 - 1970 Radolfzell)

Frau mit Halstuch.

Kreidelithographie auf bräunlichem „Als kostbaren Besitz hatte er sich ei- Japan, mit Bleistift signiert und da- nen Stein zugelegt und erzählte, wie tiert, unten links betitelt, 1907. 32,8 : er wohl nachts, von den Eingebungen 27,5 cm auf 39,3 : 31,3cm. seiner Phantasie angetrieben, auf- Werkverzeichnis: Vor Dube L 8 I. Wir springe, um die Visionen seines inne- kennen nur ein weiteres Exemplar in ren Auges auf den Stein zu bringen, einem späteren Zustand im Brücke- diese ätzte, einige Abzüge mache und Museum, Berlin. ihn wieder abschleife, damit er wie- Ohne das Monogramm und die Jah- der Neues aufnehmen könne.“ 2 reszahl im Stein, vor der Verstärkung der Linien des Hintergrundes und der Verdichtung der Zeichnung auf dem Körper zu einer schwarzen Fläche.

Provenienz: Sammlung Walter Kern, Davos (recto und verso mit Samm- lungsstempel); Galerie Vömel, Düs- seldorf

Walter Kern (Küsnacht 1898 - 1966 Uttwil) war schweizer Maler, Kunst- kritiker und Schriftsteller.

„Mit Kreide und Pinsel zeichnete He- ckel seine Erlebnisse auf den Stein und gewann mit seiner Freude am Hand- werklichen gerade in dieser Technik die verschiedensten Verfahren ab. Entweder beließ er dem Strich seine zeichnerische Härte, oder er verdünn- te die Druckeschwärze mit Terpentin und erzielte dadurch durchsichtig graue Töne. Da der Druckvorgang in den eigenen Händen lag, entdeckten die Freunde immer neue Manipulatio- nen. [...] Wenn man bedenkt, daß 135 Lithographien in den Jahren 1907 bis 1909 geschaffen wurden [...] so wird die Bedeutung der Steinzeichnung gerade in jenen Jahren offenbar. Hier vollzog sich scheinbar mühelos die Verschmelzung von Zeichnung und graphischer Technik. Der Stil ist zu Beginn weich fließend, strebt dann aber einem flächigeren, klaren Auf- bau zu.“ 1

1 Erich Heckel 1883-1970. Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Graphik. Hrsg. von Zdenek Felix. Katalog der Ausstellung im Folkwang Museum Essen und im Haus der Kunst München 1983/84. S. 58 2 Schiefler, Gustav, Meine Graphiksamm- lung. Hamburg 1974. S. 56.

50 51 Karl Hofer (Karlsruhe 1878 - 1955 Berlin)

Halbakt im Stuhl.

Radierung auf Bütten, mit Bleistift si- Unsere Graphik dürfte im Zusammen- gniert, um 1924. hang mit Hofers Bildern von den Til- ler Girls stehen. 20,6 : 17 cm. „In den 20er Jahren wird die Haupt- Zustandsdruck! stadt und Kulturmetropole Berlin vom Tanzfieber erfasst. Der schwarze Kleiner hinterlegter Einriss am rech- Dixieland Jazz und der Charleston ten Rand, im ehemaligen Passepartou- lösen eine Welle der Begeisterung tausschnitt etwas gebräunt, insgesamt aus, von der sich auch Karl Hofer aber prachtvoller Druck mit tiefem, mitreißen läßt. >Als ich Karl Hofer samtigen Grat, feinem körnigen Plat- 1926 kennenlernte<, berichtet Ire- tenton und von besonderem Reichtum ne Meyer-Hanno, >nahm er gerade der Kontraste. Tanzstunden, man tanzte Charleston, er nahm viele Stunden bei einer guten Werkverzeichnis: Rathenau 43. Lehrerin. Dann konnte er hingegeben eine Nacht durchtanzen, immer auf- passend, ja keinen Fehler zu bege- Provenienz: Rheinischer Privatbesitz. Karl Hofer Tiller Girls. Öl auf Leinwand um 1923. 110,1 : 88,6 cm. hen.< Großer Popularität erfreuten Kunsthalle Emden Eine der anmutigsten graphischen sich auch die sogenannten >Girltrup- Schöpfungen Hofers. Von großer Sel- pen< der Berliner Nachtkabaretts. Im tenheit! Revuetheater von Hermann Haller im Admiralspalast an der Weidendam- mer Brücke treten die Tiller-Girls auf. [...] Karl Hofer setzt sich Anfang der 20er Jahre intensiv mit dem Tanz aus- einander. 1923 schafft er neben den >Tiller Girls< eine lithographische Serie zum Thema.“ 1

Wohl späterer Zustand

1 Sommer, Achim, Hrsg., Sammlung Henri Nannen. Emden 2000. S. 156

52 53 Georg Kolbe (Waldheim/Sachsen 1877 - 1947 Berlin)

Ohne Titel (Mann und Frau miteinander ringend).

Bronze 1913. Auf der Plinthe mono- tur von abgestimmt. gemeinen ist die Haltung für eine im grammiert und mit dem Gießerstem- Es kam allerdings zu einer Planän- Freien aufzustellende Plastik wohl et- pel „H. Noack Berlin“. 35,4 : 30 : 16 derung sowohl in der Architektur was zu ‚lose‘, wie häufig bei Kolbe.< cm. wie auch bei der Plastik. Schließlich Mehr Aufregung hätte es sicherlich Einer von zwei bisher ausgeführten realisierte Kolbe eine rundplastische gegeben, wenn Kolbe für die Werk- Güssen (Auflage: 4 Exemplare). Freifigur in einem großen Brunnen- bundausstellung seinen ursprüng- Werkverzeichnis: Nicht bei Berger. becken vor dem Fabrikgebäude von lichen Plan ausgeführt hätte: eine Posthumer Guss aus dem Jahr Walter Gropius (die Bronze befindet überlebensgroße Gruppe von >Mann 2010/11 (ein Lebzeitguss ist nicht sich heute im Gruga-Park in Essen). und Weib<, die miteinander ‚ringen‘ bekannt), durch Noack vom Original- Die Frauenfigur der Gruppe erinnert (Kolbe an Osthaus,9.10.1913, Karl- Gipsmodell (Kolbe-Museum, Berlin) an Kolbes ab 1912 in mehreren Ver- Ernst-Osthaus-Archiv im Karl-Ernst- abgenommen. sionen geschaffene ‚Amazone‘, eben- Osthaus-Museum, Hagen). [...] Die falls eine kämpferisch bewegte Frau- Werkbundausstellung fand durch den Provenienz: Privatsammlung Pfalz. engestalt. Diese kann man als eine Ausbruch des Ersten Weltkrieges ein ‚Schwester‘ von Kolbes berühmtester vorzeitiges Ende. Auch in Kolbes Mit Gutachten von Dr. Ursel Berger, Plastik, der ‚Tänzerin‘ von 1911/12 Entwicklung markierte sich ein Ein- Georg-Kolbe-Museum Berlin zu dem ansehen (Nationalgalerie Berlin). schnitt; nur ein paar Jahre dauerte Gipsmodell und zur Bronze. Möglicherweise stand in all diesen jene glücklichste Phase in seinem Fällen Charlotte Pechstein, geb. Ka- Werk. Zu der heiter-lyrischen Harmo- „Die Komposition war im Kolbe- prolath, die Frau des Malers Max nie der Vorkriegsarbeiten sollte er nie Nachlass unbekannt. Als 37 cm hohes Pechstein, Modell. wieder zurückfinden.“2 Gipsmodell wurde sie im Nachlass Das Gipsmodell weist eine Schella- von Kolbes bevorzugtem Steinmetzen, ckierung auf, somit kann nicht ausge- Alfred Dietrich, überliefert. Vermut- schlossen werden, dass es zumindest lich ist die Gipsgruppe ein Entwurf einen historischen Bronzeguss gab, für einen Brunnen, der für die Kölner wovon jedoch keine Spur nachzuwei- Werkbundausstellung von 1914 ge- sen ist. plant war. Anfangs sah Kolbe dafür Von dem Modell, das in das Eigen- ‚eine etwas überlebensgrosse Gruppe, tum des Georg-Kolbe-Museums über- Mann und Weib‘ vor. ‚Für die Gruppe gegangen ist, wurden 2010/11 zwei selbst schwebt mir eine in die Flä- Bronzegüsse hergestellt. Die Auflage che gedrängte Composition mit weit ist auf vier Güsse beschränkt.“1 ausholenden Gesten vor. Das Motiv des Ringens giebt mir dazu reichlich „Vor dem ersten Weltkrieg waren Gelegenheit.‘ (Brief Kolbe an Karl Aktfiguren in der Öffentlichkeit noch Ernst Osthaus vom 9.10.1913, Karl- hart umkämpft. Bei den einschlägigen Ernst-Osthaus-Archiv, Hagen DWK >Skandalen< spielten auch Plasti- 108/1). Dass es bei einem solchen ken von Kolbe eine Rolle [...] Die Thema Einwände geben könnte, sah dritte Freiplastik, die der Bildhauer Kolbe voraus. Er betonte deshalb: in der Öffentlichkeit aufstellen konn- ‚Ich möchte diese Composition rück- te, war die >Große Badende< auf sichtslos frei gestalten, ohne selbstre- der Werkbundausstellung in Köln. dend gegen die Bedingungen, die eine Beim >Nudistenstreit< anläßlich Öffentlichkeit fordert, zu verstossen.‘ dieser Ausstellung wurde auch das Die mächtige Drapierung um die >dicke Fräulein vor dem Theater< Hüften der Frau ist wohl aus diesem kritisiert. Die kleinere Fassung der Grund angefügt worden. Die flächige >Badenden<, die 1914 in der Freien Komposition war auf den Platz an ei- Secession ausgestellt war, wurde in ner Landungsbrücke für Rheinfähren der Presse kommentiert: >... im all- 2 Berger, Ursel, Georg Kolbe - Leben und an der Ecke einer geplanten Architek- 1 Aus dem Gutachten von Dr. Ursel Berger Werk. 2. A. Berlin 1994. S. 50ff vom September 2011

54 55 Käthe Kollwitz (1867 Königsberg - Moritzburg 1945)

Turm der Mütter.

Bronze mit brauner Patina, seitlich si- bekannt, der 1940 bei der Künstlerin stehen: Wir haben unsere Kinder nicht gniert und mit dem Gießerstempel „H. erworben wurde. zum Kriege geboren.“ Noack Berlin“ versehen, 1937-38. Nach dem Tod der Künstlerin küm- Käthe Kollwitz war eine erfolgreiche Höhe ca. 28 cm, Breite ca. 26,5 cm. merte sich ihr Sohn Hans Kollwitz Graphikerin, ihr plastisches Werk Mit schöner, prägnanter Reliefwir- (1892-1971) um den Nachlass und wurde zu ihren Lebzeiten kaum rezi- kung. liess je nach Bestellung von jedem piert, da sie sich damit auch sehr zu- Werkverzeichnis: Timm 55. Gips zwischen 10 und 20 Güsse (mit rück hielt. Erst 1931 bekam sie große Ausnahme der „Klage“, hier ist von Anerkennung für die Gipsfassung des Provenienz: Privatsammlung Nord- mindestens 50 die Rede) bei Noack „Trauernden Elternpaares“ und so rhein-Westfalen. herstellen. schuf sie schließlich in Vorahnung des Vorliegende Bronze wurde nach Aus- Krieges das Motiv der Mütter in einer Literatur (Auswahl): sage von Heinrich Noack Sen. in den Rundplastik, die sie im Oktober 1938 Barron, Stephanie, Hrsg., Skulptur 1950er Jahren gegossen. Trotz einer bei Noack giessen ließ. Nun hat sie je- des Expressionismus. München 1984. anzunehmenden Anzahl von 20 Güs- doch die Aussage gegenüber der Gra- Guratzsch, Herwig, Hrsg., Käthe sen ist diese bedeutende Arbeit relativ phik noch einmal drastisch gesteigert, Kollwitz. Druckgraphik, Handzeich- selten im Kunsthandel zu finden. indem die Frauen ihre Kinder noch nungen, Plastik. Stuttgart 1990. vehementer zu schützen suchen. Die Seeler, Annette, Bearb., Käthe Koll- Entstehungsgeschichte: Künstlerin schildert in ihrem Tage- witz. Zeichnung, Grafik, Plastik. Be- Käthe Kollwitz schuf 1922/23 einen buch die Beerdigung Barlachs am standskatalog des Käthe-Kollwitz- Holzschnitt „Die Mütter“ für die Fol- 27. Oktober 1938 und schreibt dann: Museums Berlin. Leipzig 1999. ge „Krieg“, in dem sie erstmals das „Am Tag drauf war ich wieder in mei- Thema der die Kinder schützenden nem Atelier. Ich hatte die kleine Grup- Auflage: Mütter darstellt. In diesem Zusam- pe der zusammengedrängten Frauen, Käthe Kollwitz schuf 15 erhaltene menhang schreibt sie am 30. April die ihre Kinder schützen, vom Giesser plastische Werke, deren Gipsmodelle 1922 in ihr Tagebuch: „Je mehr man zurückbekommen. Zum ersten Mal mit die Berliner Kunstakademie besitzt. arbeitet, desto mehr taucht in einem einem Bronzeguss ganz zufrieden.“ Der größte Teil dieser Arbeiten ent- auf, was noch zu arbeiten ist, so wie An ihre Freundin Beate Bonus-Jeep stand während der NS-Zeit und konn- auf einer Platte, die im Entwicklungs- schrieb sie: „Die kleine Gruppe, die te daher kaum oder gar nicht in Bron- wasser liegt, allmählich das Bild Frauen, die ihre Kinder schützen, hab ze gegossen werden. Nur drei Bronzen kenntlich wird und immer mehr aus ich jetzt in Bronze giessen lassen, da wurden nachweislich zu Lebzeiten der dem Nebel herauskommt. So hab ich es auch Leuten mit Ansprüchen ge- Künstlerin gegossen, das „Grabre- jetzt nicht mehr die Auffassung, daß fällt, bin ich zufrieden.“ lief“, „Turm der Mutter“ und „Ab- ich bald zur Plastik zurückgehn könn- Während einer Ausstellung von schied“. te. Seitdem ich Holz schneide lockt da „Turm der Mütter“ im Atelierhaus in Da die Künstlerin mit der Veröffent- vieles. Vor allem aber habe ich Angst der Berliner Klosterstraße entfernten lichung ihrer plastischen Werke sehr vor der Plastik. Sie ist wohl nicht er- die Nationalsozialisten die Bronze zurückhaltend war und diese auch oberbar für mich, ich bin zu alt dazu mit der Begründung: „daß im Dritten von den Nazis diffamiert wurden, um sie wirklich noch zu bewältigen. Reich die Mütter kein Bedürfnis hät- können nur sehr wenige Güsse ent- Nicht ganz unmöglich, daß ich von ten, ihre Kinder zu beschützen. Der standen sein. Hinzu kommt, das Käthe der Holzschnitt-Technik allmählich Staat würde dies für sie erledigen“... Kollwitz gegen Kriegsende versuchte, zum Holzschneiden kommen könnte. ihre Werke an verschiedensten Or- Doch ist das noch ganz nebelhaft. Die ten in Sicherheit zu bringen, wobei im Kreis stehenden Mütter, die ihre sie sich bald selbst nicht mehr er- Kinder verteidigen, als Rundplastik!“ innerte, was wohin gekommen war. Im darauf folgenden Jahr formuliert Was schließlich durch Bomben und sie die Idee für eine weitere Graphik Kriegswirren verloren ging, läßt sich als „in einen schwarzen Klumpen zu- nicht mehr rekonstruieren. Uns ist als sammengedrängt, wie Tiere, die ihre Lebzeitguss nur ein Exemplar mit dem Brut verteidigen, Frauen die ihre Kin- Giesserstempel „Noack-Friedenau“ der schützen. Als Text sollte darunter

56 57 Käthe Kollwitz (1867 Königsberg - Moritzburg 1945)

Mütter.

Kreidelithographie auf Zanders-Büt- auf 120 km Entfernung. stand auf dem Perron ein Junge, der ten (mit Wasserzeichen), mit Bleistift Von Hans immer noch nichts. angekommen war. Ich sah gerade, wie signiert, 1919. 44,5 : 58,5 cm auf 51 : die Eltern auf ihn zuliefen. Die Mutter 68,5 cm. Knesebeck 140 I c (von II). 29. März 1918: Karfreitag Im Westen voran. Umarmte und küßte ihn und Eins von 275 Exemplaren auf diesem die große Offensive. dann der Vater. Alle waren umschlun- Papier (dazu 6 auf dickem Velin so- Vom Hans wissen wir nichts, wissen gen. Es ging mir durch und durch wie wie 25 auf Japanbütten; vor den Ex- nicht wo er ist und ob er gesund ist. die Mutter ihn umschlang und küßte. emplaren mit lithographierter Signa- Der Karfreitag war Peters Feiertag. [...] tur nach 1931; Stein zerstört). Bis auf Da ging er für sich und feierte seine geringfügige Randmängel sehr schön Frühlingsfeier. [...] 20. November 1918: Am Mittwoch, erhalten. dem 20. November 1918 - am Bußtag 30. März 1918: Am Sonnabend 30. - kommt abends unser Hans zurück. Verworfene zweite Fassung des Blat- März von Hans Nachricht! 4 Briefe. [...] So ist er da. Wird das Schicksal tes der Folge ‚Krieg‘. Es ist Sperre gewesen. [...] ihn uns lassen? Ich denke ja. Er ist da und wir haben das gute ruhige befrie- Provenienz: Privatsammlung Pfalz. 6. Juni 1918: [...] Mein Arbeiten in digte Gefühl, daß der Krieg aus ist für diesen Wochen ja Monaten ist ganz uns. Seltsam, wie das Denken an Pe- Die Entstehungsgeschichte dieses be- schlecht und ungenügend. Ich fühl ter so wenig schmerzlich ist jetzt. [...] deutenden und imposanten Blattes ist mich sehr ohne Kraft und glaube den Tagebüchern der Künstlerin zu nicht mehr an mein Arbeiten. Bin oft 6. Februar 1919: Lieber Peter, Dein entnehmen: furchtbar traurig. Und hab ein Kör- Geburstag. pergefühl, als bin ich schon fast am Dreiundzwanzig Jahre. 21. März 1918: „Die B. Z. bringt die Ende. Es ist ein schöner Tag. Nach langer Nachricht, daß man mit Geschützen, Einmal in diesen Nächten träumte ich Zeit zum ersten Mal wieder fühl ich, die 120 km weit tragen, Paris beschie- von Hans. Ich weiß nicht mehr genau daß ich viel kann. Ich arbeite die ße. [...] Ich habe die Platte vorgenom- was. Ich weiß nur, daß ich ihn um- ‚Mütter‘. In den vorigen Tagen rühr- men, oder die Zeichnungen dazu, wo schlang und sehr weinte, daß er aber te es sich in mir. Gestern den Versuch die Mütter mit ihren Kindern stehen. glücklich war und irgendwie von Be- beschlossen, die Kriegsblätter in ‚Das die Lieblinge unserer Wiegen freiung sprach. Steindruck umzuarbeiten. Und heut Sollen als stinkendes Aas auf den an Peters Geburtstag kann ich es. Ich Feldern liegen...‘ 1. Juli 1918: [...] Wie war mein Leben habe die Mutter gezeichnet, die ihre stark in Leidenschaft, in Schmerz und beiden Kinder umschließt, ich bin es Aus der ‚Seeschlacht‘: Freude. Damals kämpfte ich in der mit meinen eigenen leibgeborenen ‚Vaterland, Vaterland, o lieb Vater- Sonne ‚ein Sohn der Erde‘. Kindern, meinem Hans und meinem land. Dann kam das allmähliche Altern. Peterchen. Und ich hab es gut ma- 1 Wir sind Schweine Dann kam der Krieg. Das in die Hö- chen können. Danke! [...] Die auf den Metzger warten. hegerissenwerden durch die Jungen. Wir sind Kälber, die abgestochen Das Opfer Peters. Mein Opfer Pe- werden. ters. Sein Opfertod. Und dann fiel ich Unser Blut färbt die Fische! auch. Fortgerissen noch durch ihn in Vaterland, sieh, sieh, sieh! Entwicklungen des Schmerzens und Schweine, die gemetzt werden, der Liebe, sank ich allmählich in dies Kälber, die abgestochen werden! Leben zurück. Es blieb Schmerz um Herde, die der Blitz zerschmeißt. ihn. [...] Der Schmerz hat Müdigkeit Der Schlag, der Schlag, wann kommt zurückgelassen, Es ist ja nicht allein er uns? der Peter. Er ist der Krieg, der einen Vaterland Vaterland! bis auf den Boden drückt. Was hast Du noch mit uns vor?‘ Juli 1918: [...] Heut als ich Annie 1 Käthe Kollwitz, Die Tagebücher 1908- 26. März 1918: Man beschießt Paris Karbe vom Stettiner Bahnhof abholte 1943. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Jutta Bohnke-Kollwitz. München 2012

58 59 Paul Kuhfuss (1883 - Berlin - 1960)

Marktszene (Wochenmarkt in Pankow).

Holzschnitt auf festem Bütten, mit suchte er, das ein oder andere Motiv Tinte signiert und bezeichnet: „Orig. großstädtischer Vergnügungen in die- Holzschnitt“, 1910. 21,8 : 27,4 auf ses widerspenstige Medium zu über- 43,8 : 57,2 cm. tragen. Nicht ohne Erfolg, wie auch noch Beispiele aus den frühen zwan- Werkverzeichnis: Hellwich-Röske ziger Jahren beweisen. Aber die harte 10/17 (außer dem hier abgebildeten Kontrapunktik von Schwarz und Weiß und unserem kennen wir kein weite- entsprach nicht seiner Meinung, die res Exemplar). Beschäftigung mit dem Holzschnitt blieb eine Episode.“2 Ausgesprochen breitrandiges Exemp- lar, bis auf leicht Bräunung und weni- ge Fleckchen sehr gut erhalten.

Provenienz: Privatsammlung Westfa- len.

Die Graphik steht in engem Zusam- menhang mit dem Gemälde „Wochen- markt in Pankow“ (Hellwich-Röske 10/1) aus dem selben Jahr.

„Im Jahre 1910 entdeckt Paul Kuh- fuss die druckgraphischen Techniken. Bis 1915 entstehen rund 60 Blätter - Holzschnitte, Lithographien und Ra- dierungen. 1923 greift Kuhfuss noch einmal die Technik des Holzschnittes auf, mit vier expressiven Blättern [...] ist das druckgraphische Werk abge- schlossen, es bleibt Episode. Das Jahr 1910 bringt entscheiden- de Ereignisse im Leben des jungen Künstlers, er beginnt als Kunstpäda- goge zu arbeiten. Fast 40 Jahre währt diese Tätigkeit, die ihm die materi- elle Lebensgrundlage und damit den Freiraum für die künstlerische Arbeit schafft. Im gleichen Jahr bezieht Paul Kuhfuss in Berlin Pankow eine ge- räumige Atelierwohnung, die für ihn lebenslang zu einem Refugium wird und die bis in die neunziger Jahre das Kuhfuss-Archiv beherbergt.“ 1

„Wohl unter dem Eindruck der Holz- schnitte der Brücke-Künstler ver- 2 März, Roland, Paul Kuhfuss und der Berliner Seccessions-Expressionismus der frühen zwanziger Jahre. In: Paul Kuhfuss. 1893-1960. Malerei 1 Hellwich, Ekkehard und Dr. Peter Röske, und Graphik. Katalog der Ausstellung der Staatlichen Hrsg., Werkverzeichnis Paul Kuhfuss. Berlin 2000. S. 13 Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett und Sammlung der Zeichnungen, Nationalgalerie. Berlin 1983. S. 35

60 61 Alcide Le Beau (Lorient/Bretagne 1873 - 1943 Sanary/Var)

Ohne Titel (Bretonische Landschaft).

Öl auf Leinwand, unten links signiert, und Maria Blanchard in der Kunst- von Picasso. Le Beaus wachsende Be- um 1905/10. 31 : 38 cm. Bis auf klei- halle Bern rühmtheit läßt sich an den zahlreichen nes Craquelée sehr schön erhalten. 1946 Retrospektive auf dem Salon Ausstellungen ablesen, an denen er in d‘Automne der Folgezeit teilnahm, in Frankreich Provenienz: Privatsammlung Süd- 1973 Ausstellung der Barbizon Galle- und in den benachbarten Ländern, bis frankreich ry, Paris nach St. Petersburg. 1992 Ausstellung in Pontoise im Ca- Der Kunsthistoriker Louis Vauxcelles Biographie: mille-Pissarro-Museum und im Muse- stellte Le Beau in seiner berühmten um von Pont-Aven (mit Katalog) Salonbesprechung von 1905 in eine 1886 Ausstellungsbeteiligung in der Reihe mit den Größten und erwähn- Galerie Le Barc de Boutteville, Paris Museen: Cannes, Musée des Beaux te besonders seine Einsendung >La 1903 Ausstellungsdebut im Salon des Arts Promenade au Bois de Boulogne< als Indépendants Paris, Musée des Arts modernes eines der Hauptwerke dieses Salons 1902-1905 Teilnahme an den Grup- Rom, Vatikanische Museen der >Wilden<, der von ihm als >Fau- penausstellungen mit Picasso, Ma- Auch in der Sammlung von August ves< bezeichneten Künstler, darunter tisse, Marquet, Dufy, Derain in der von der Heydt war Le Beau mit einem Derain, Cézanne, Marquet, Matisse, Galerie Berthe Weill in Paris Bild vertreten2 Rouault, der >Zöllner< Rousseau, 1904 Ausstellung in der Galerie Du- Valtat, Vuillard etc. rand-Ruel „In seiner Jugend schwimmt er auf Die Kritik war besonders zu dieser 1905 Beteiligung am Herbstsalon, wo der impressionistischen Welle mit, und Zeit voller Lob für Le Beau. Gustave er neben Matisse, Marquet, Vlaminck, als Bretone ist er besonders empfäng- Geoffroy zögerte nicht, ihn mit van Derain und van Dongen zum „cage lich für die Interpretation, welche die Gogh zu vergleichen. Dieser Ver- aux fauves“ (Dem Käfig der Wilden) Meister von Pont-Aven, seiner Hei- gleich war nicht unpassend zu einer gezählt wurde mat geben. [...] Die tausend Facetten Zeit, da ein bedeutender Sammler der 1906 Ambroise Vollard vertritt Le seines Talents - die subtile Sichtweise heutigen Stiftung Pommern in Kiel Beaus Werke1 des Atmosphärischen, die Einfachheit gleichzeitig ein Bild von Le Beau und 1907 Einzelausstellung in der Galerie des Bildaufbaus, die Ausgeglichen- ein Werk von van Gogh zum Geschenk Druet, Paris heit der Pinselführung, die gespannte machte. Eine Ausstellung bei Vollard 1908 Ausstellungsbeteiligung in der Harmonie der Oberfläche, der lyri- 1906 bedeutete den Durchbruch und Galerie Blot sche Schwung, sein angeborener Sinn bestätigte die Erwartungen des Sa- 1909 Ausstellung im Salon de la Libre für das Rhythmische und Körperhafte, lons von 1905. Seit dieser Zeit benütz- Esthétique in Brüssel Erstaunen vor den riesigen farbigen te Le Beau eine Skala von kühnen, 1911 Ausstellung in der Galerie La Ebenen, natürliches Interesse für die heftigen und kontrastierenden Tönen, Boetie und bei Durand-Ruel großen inspirierenden Gedanken - von eigenmächtigen Farbakkorden 1914-18 verbringt den Ersten Welt- dies alles zeigt sich bis zum Anfang ungewohnter Kraft, die ihn unter die krieg in der Schweiz, um nicht wieder des Jahrhunderts in impressionisti- Schöpfer des Fauvismus einordnet. an die Front zu müssen, wo er eine schem Gewand. Einige Jahre später [...] Die neue Inspiration revolutio- Verletzung erlitten hat; verliert inner- wird die Palette reicher: Die Origi- nierte vollständig seine Farbskala. halb kurzer Zeit Frau und Tochter nalität von Inspiration und Ausdruck Die ungewöhnlichsten Farbwerte 1918 Beteiligung an der großen Aus- führt ihn manchmal in die Nähe von wurden miteinander konfrontiert ohne stellung für französische Kunst in der Gauguin, von Vuillard und van Gogh. Veränderung der Komposition. Bis- Galerie Moss, Genf [...] Seit 1896 stellt Le beau bei Le- lang kaum bekannte Feinheiten gehen 1920er Jahre zieht sich nach Süd- Barc de Boutteville aus, einige Jahre in großen Zusammenhängen auf, wo- frankreich zurück später bei Berthe Weill, die sein Werk raus eine selten erreichte Macht des 1939 Ausstellung mit André Lhote so sehr lobte - in ihrem Buch >Pan im Ausdrucks entsteht. Diese Periode Auge< -, mit dem Erfolg, daß sie sei- war die konzentrierteste und meister- 1 Vollard veranstaltete vom 15. bis 29. März 1906 eine erste Einzelausstellung Le Beaus, ne Arbeiten besser verkaufte als die lichste seines Werkes. der eine Cézanne-Ausstellung zuvorging und eine mit 2 Meyer, Andrea, Ein Sammler ‚Franzö- Von September 1906 bis Januar 1907 Werken Bonnards folgte. Siehe: Cézanne to Picasso. sischer Expressionisten‘ August von der Heydt. In: Po- Ambroise Vollard, Patron of the Avant-Garde. Katalog nahm Le Beau mit einer Gruppe von phanken, Andrea und Felix Billeter, Hrsg., Die Moderne der Ausstellung im Metropolitan Museum of Art, New und Ihre Sammler. Französische Kunst in deutschem Malern, darunter Luce, Manguin, York, im Art Institute of Chicago und im Musée d‘Orsay Privatbesitz vom Kaiserreich zur Weimarer Republik. Paris 2006-2007. S. 281 Matisse, Marquet, van Rysselberghe Berlin 2001. S. 240

62 und Seurat, an einer Serie von Ausstel- Diebe<, ein Bild, in dem sich unter ei- in der Geschichte, aber höher anzuset- lungen französischer Malerei teil, die nem dekorativem Aspekt ein bewegter zen ist der Reichtum seines lyrischen in den Museen von Dresden, Frank- Expressionismus verbirgt - Vorspiel ei- Empfindens, Reinkarnation einer Ro- furt, Karlsruhe, München und Stuttgart ner großen malerischen Bewegung, die mantik, die auf dem Weg malerischer stattfanden. Zahlreiche weitere Ausstel- die Geschichte der modernen Malerei Revolutionen untergegangen war. Seine lungen folgten bis 1914, und in diesem genauso prägte wie der Fauvismus und Bilder sollten wiederentdeckt werden Jahr insbesondere die Ausstellung in der Kubismus. - in ihrer Reinheit und echten Mensch- der Galerie Louis Le Grand [...]. 1907 Die Malerei Alcide Le Beaus spiegelt lichkeit verführerische und hinreißende stellte er ca. 30 Bilder in der Galerie in ihrer Qualität den Reichtum des be- Noten im schillernden Konzert der Ma- Druet aus und verkaufte diesem Kunst- ginnenden 20. Jahrhunderts. In dieser lerei“ 3 händler seinen >Christus inmitte der Hinsicht hat er zweifellos seinen Platz 3 Robert Hellebranth, Ein vergessener Fauve: Alcide Le Beau. In: Weltkunst, Heft 2, 15. Januar 1988. S. 107

63 Melchior Lechter (Münster 1865 - 1937 Raron, Kanton Wallis/Schweiz) und Stefan George (Büdesheim bei Bingen am Rhein 1868 - 1933 Minusio bei Locarno/Schweiz)

Der Teppich des Lebens und die Lieder von Traum und Tod mit einem Vorspiel.

(Berlin), Blätter für die Kunst, 1899- von Melchior Lechter künstlerisch rahmt das Mittelfeld unten wie mit ei- 1900. 38 : 36,5 cm. 26 nicht num- ausgestaltet, wurde schließlich am ner Schwelle. In dem sakralen Raum, merierte Blatt. Titelblatt in rot und 30.11.1899 veröffentlicht und war der auf diese Weise suggeriert wird, schwarz gedruckt (Lechter-Schrift). vorausdatiert auf das Jahr 1900. Es erscheint oberhalb des Titels das Text gedruckt in der Cicero Römi- handelte sich um eine kleine Auflage Symbol des Heiligen Geistes, die sich schen Antiqua auf schwerem grauen von 300 Exemplaren, die der Berliner herabsenkende Taube. In dem Tondo, Bütten mit 4 Zwischentiteln, Initialen Drucker Otto von Holten betreute. Die das die Taube umgibt, erkennt man und Bordüren nach Entwürfen von einzelnen Bände dieser Erstauflage Wolken, Himmel und Sterne. Offenbar Melchior Lechter. Grüner Original- wurden nummeriert, die verwendeten steht die Dichtung dieses Bandes im Leinwandband auf Holzdeckeln mit Druckplatten anschließend zerstört. Zeichen der göttlichen Gnade. Aus blaugeprägter Deckelzeichnung, dazu Dieser Entscheidung, gleichsam eine dieser Überzeugung wächst Lechters ein Pergamentumschlag (dieser stär- Emphase der technischen Nichtre- Bildsprache, von hieraus legitimiert ker bebräunt und leicht brüchig). produzierbarkeit, entsprach die Ge- sie sich.“ (Treffers, Bert, Melchior wähltheit des Äußeren. Auf grauem Lechters Buchkunst. In: Melchior 6. von 300 Exemplaren. Von Lechter Büttenpapier im Großquart-Format Lechter, der Meister des Buches 1865- und George eigenhändig signiert. (etwa 35 mal 38 cm) befanden sich 1937. Amsterdam 1987. S. 13) Auf dem vorderen fliegenden Vorsatz jeweils zwei Gedichte auf einer Sei- mit Bleistift in Sütterlin bezeichnet te. Die drei Zyklen des Bandes waren Zur Provenienz: „Geschenk Stefan Georges an Ernst von Melchior Lechter ornamental Dem Buch liegt folgende handschrift- Glöckner +“ (von Ernst Bertram). eingerahmt worden. Nach dem >Jahr liche Notiz bei: „Nr. 2b der Briefe von Pergamentumschlag, sowie vorderer der Seele< stellt der >Teppich des George (teilsweise von Gundolf ge- und hinterer Vorsatz mit dem Stempel Lebens< einen weiteren Höhepunkt in schrieben) an Ernst Glöckner. Origi- „Nachlaß Ernst Glöckner, Weilburg“. der Zusammenarbeit Stefan Georges nal im Besitz des George-Archivs von Seltene Erstausgabe. mit Lechter dar, die mit dem >Sie- Dr. Boehringer. >Anbei im Auftrag Werkverzeichnis: Raub A 30. benten Ring< dann ihren Abschluss des Meisters 1 ‚Teppich des Lebens‘ finden sollte. Der größte Teil der ers- (Erstausgabe mit Melchior Lechter) Rücken und Kanten sehr leicht verbli- ten Auflage wurde an Freunde und Herzlichst Ihr Gundolf<. chen bzw. bestossen. Bekannte im Umkreis der >Blätter für Angekommen in Weilburg am die Kunst< abgegeben. In den freien 15.1.1918“ Provenienz: Sammlung Ernst Glöck- Verkauf gelangten nur wenige Exemp- ner, Weilburg; Privatsammlung West- lare über ausgewählte Buchhandlun- Ernst Glöckner (1885 - Weilburg falen. gen, die zudem einen höheren Preis - 1934) studierte in Kunstge- verlangten als die Subskription von schichte und Germanistik und wurde Über das Buch: 25 Mark.“ 1 1909 promoviert. Sein Lebensgefährte „Die Drucklegung war für den 1. „In zahlreichen Frontispizen und Vi- war der Geisteswissenschaftler Ernst August des Jahres 1899 vorgesehen. gnetten versucht Lechter, den Inhalt Bertram (1884-1957), der ebenso wie Zwischen Ende Juni und Mitte Au- eines Textes in einem Bild zusammen- Glöckner zum George-Kreis zählte. gust 1899 überließ Stefan George zufassen. Auf dem Titelblatt des >Tep- Bertram kümmerte sich um den Nach- jedoch Melchior Lechter ein Manu- pich des Lebens< ruft er mit einigen lass des Freundes. skript, bei dem es sich wohl um die wenigen Elementen die Atmosphäre Die württembergische Landesbiblio- einzige lückenlose Handschrift aller des Buches auf. Zwei hohe Leuch- thek Stuttgart besitzt einen Teil des 72 Gedichte handelte. Der Erstdruck ter mit je sieben brennenden Kerzen Glöckner-Nachlasses. wurde auf den 1. September verscho- flankieren links und rechts den Titel, ben; tatsächlich begann die Druckle- und eine schmale horizontale Leiste gung nicht vor dem 30.10.1899. Die 1 Aurnhammer, Achim u. a. Hrsg., Stefan prachtvolle Erstausgabe des Bandes, George und sein Kreis. Ein Handbuch. Band 1. Tübin- gen 2012. S. 157.

64 65 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)

Holländische Viehweide.

Schwarze Kreide auf festem Papier, "Max Liebermann liebte Holland. mit Kreide signiert, um 1900. 10,6 : Doch damit war er nicht der einzi- 18,2 cm. ge deutsche Künstler. Die Liebe der Verso mit dem Sammlungsstempel Schriftsteller und Maler zur hollän- von Siegbert M. Marzynski, später dischen Landschaft war geprägt von Marcy (nicht bei Lugt). der Begeisterung für die Meister der niederländischen Malerei des 17. Das Blatt ist im Liebermann-Archiv Jahrhunderts. [...] Als Liebermann Berlin registriert. 1871 anschließend an seine Ausbil- dung in Weimar nach Düsseldorf kam, Provenienz: Sammlung Siegbert H. war Holland noch immer das große Marzynski (später Marcy), Berlin- Thema. Dort lernte er das Fischer- Beverly Hills; Galerie Rosenbach; genre und den Realismus kennen. seit Anfang der 1970er Jahre Privat- [...] Durch die Auseinandersetzung sammlung Hamburg. mit Munkácsy, Rembrandt und Frans Hals kam Max Liebermann zu der Siegbert Marzynski (Berlin 1892 - Devise: Wiedergabe der Wirklichkeit, 1969 Beverly Hills), hatte bei Hein- unverfälscht und überzeugend. Damit rich Wölfflin in Berlin Kunstgeschich- gehörte er innerhalb wie außerhalb te studiert, wo der berühmte Gelehrte Deutschlands zum Kreis der progres- 1901 bis 1912 unterrichtete. Er trat siven Künstler. Diese lehnten sich dann aber in das Exportgeschäft sei- gegen die Vorherrschaft der Histori- nes Vaters ein. Das Unternehmen, enmalerei auf, wie man sie am Hofe das Stoffe für Herrenbekleidung ex- des deutschen Kaisers und an der portierte, hatte eine Filiale in Paris, konservativen Kunstakademie in Ber- wo sich Marzynski regelmäßig auf- lin kultivierte. Auch in Frankreich ge- hielt. Er lernte viele zeitgenössische riet das Urteil der konservativen Ju- französische Künstler kennen und rymitglieder des jährlichen Salon de erwarb Arbeiten von ihnen. Er war Paris immer heftiger in die Kritik. Die u. a. mit Corinth, Max Liebermann, Künstler, die wir jetzt als Impressio- Paul Signac, Maurice de Vlaminck nisten kennen, wollten die Ablehnung und Maurice Utrillo befreundet. 1934 ihrer Werke nicht länger hinnehmen schenkte Liebermann Marzynski und und organisierten von 1874 an ihre dessen Frau zu ihrer Hochzeit einen eigenen Ausstellungen im Atelier des kleinen ,Wannseegarten‘. Marzynski Fotografen Nadar. Sogar in den Nie- emigrierte 1941 mit seiner Frau nach derlanden wehte jetzt ein neuer Wind. Kalifornien, wo er seinen Nachnamen Die romantischen Winterlandschaften, in Marcy änderte. Eine Auswahl sei- die nach stickiger Atelierluft rochen, ner großen Sammlung von Arbeiten mussten den Werken junger Land- Corinths schenkte er der National schaftsmaler weichen, die, genau wie Gallery in Washington. Liebermann die Maler der Schule von Barbizon, porträtierte ihn in Öl und auch in ei- beschlossen hatten, im Freien zu ar- ner Radierung. beiten. Die unmittelbare Wiedergabe der Natur, darum ging es jetzt." 1

1 Sillevis, John, Max Liebermann, Die Haager Schule und Vincent van Gogh. In: Martin Faass, Hrsg., Liebermann und Van Gogh. Katalog der Ausstellung der Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin 2015. S. 105 f.

66 67 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)

Gartenterrasse in Nikolskoe.

Bleistiftzeichnung auf Skizzenbuch- „Nach dem Kriegsausbruch im August papier, mit Bleistift signiert, um 1918. 1914 wollte Liebermann nicht mehr in 13 : 20,6 cm. die Niederlande fahren. So begann er sich in seiner nächsten Umgebung Verso mit dem Sammlungsstempel nach Motiven umzusehen. Er fand sie von Siegbert M. Marzynski, später überreichlich in seinem Garten und in Marcy (nicht bei Lugt). der Umgebung seines Landhauses in Wannsee. Auch das vorliegende Bild Das Blatt ist im Liebermann-Archiv zeigt sehr wahrscheinlich ein Lokal Berlin registriert. an der Havel, vermutlich Nikolskoe am Ostufer des Flusses, von dem sich Provenienz: Sammlung Siegbert H. ein weiter Blick nach Westen öffnet. Marzynski (später Marcy), Berlin- [...] Menschen unterschiedlichen Beverly Hills; Galerie Rosenbach; Alters versammeln sich in Ruhe und seit Anfang der 1970er Jahre Privat- Muße unter Bäumen am Wasser. [...] sammlung Hamburg. Es entsteht ein Bild des Friedens mit- ten im Krieg, ein Augenblick sozialer Literatur: Julius Elias, Die Hand- Harmonie.“1 zeichnungen Max Liebermanns. Ber- lin, Paul Cassirer, 1922. Tafel 92.

Seit Kriegsausbruch malte Max Lie- bermann mehrere Versionen des Ber- liner Gartenlokals, so daß in Berlin befindliche „Gartenlokal an der Ha- vel, Nikolskoe“ von 1915.

Max Liebermann, Gartenlokal an der Havel, Nikolskoe. Öl auf Leinwand 1915 (Eberle 1915/14)

1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. 1900-1935. München 1996. S. 904

68 69 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)

Pferderennen.

Kreidelithographie auf Vélin, mit Blei- 1908 hatte sich Liebermann mit seiner Pferde über das Hindernis setzen [...]. stift signiert, 1909. 22,5 : 34,5 cm auf Familie zwei Wochen in Florenz aufge- Die beiden Pferde im Vordergrund bil- 40,8 : 53 cm. Werkverzeichnis: Schief- halten. In diese Zeit fällt der Eindruck, den in ihrer Bewegung einen geschlos- ler 87. Schön erhalten. den er in dem Bild ‚Pferderennen in senen Bogen, der sich über die Hecke den Cascinen‘ gestaltete. Liebermanns wölbt. Pferde und Reiter sind scharf Provenienz: Privatsammlung Mün- Aufmerksamkeit gegenüber dem Motiv gezeichnet, der Hintergrund dagegen, chen. war vielleicht durch Alfred Lichtwark wo sich Zuschauer an der Barriere angeregt worden, der von Liebermann drängen, verschwimmt. [...] Das Mo- Vorliegendes Blatt stellt eine gra- ein Pferderennen für die Hamburger tive des Jockeys, der mit der rechten phische Variante zu dem in mehreren Kunsthalle haben wollte [...] Dar- Hand die Gerte schwingt, um sein Fassungen (Eberle 1909/3-5) gemal- gestellt ist ein Hindernisrennen. Im Tier anzutreiben, nimmt der Maler in ten Ölbild „Pferderennen in den Cas- Vordergrund verläuft parallel zur Bild- der zweiten großen Fassung (1909/5) cinen“ dar. „Im Frühling des Jahres ebene die Rennbahn, auf der [...] drei wieder zurück, in der nicht mehr vier,

sondern nur noch drei Pferde am Be- friedigt zu haben, er hat sie im selben schauer vorbeifliegen. Die Bewegun- Jahr auch lithographiert (Schiefler Nr. gen dieser drei Tiere werden dort noch 87).“ 1 stärker aufeinander und den Sprung Max Liebermann, Pferderennen in den Cascinen - 2. über die Hürde bezogen: Das erste Fassung (Eberle 1909/5) Öl auf Holz. Kunstmuseum Pferd setzt mit den Vorderbeinen schon Winterthur wieder auf, das zweite schwebt in der Luft, das dritte setzt gerade erst zum Sprung an. Diese Komposition scheint 1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. den Künstler am meisten be- 1900-1935. München 1996. S. 758

70 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)

Kind mit Wärterin.

Kaltnadelradierung auf Bütten, mit der Dargestellten und der Auflage von (Eberle 1919/25), dessen Standort Bleistift signiert, am unteren Rand in 50 Exemplaren. Ausgesprochen sel- allerdings unbekannt ist. „Maria Bleistift bezeichnet „vor der Auflage ten! Riezler (Berlin 27.3.1917 - 14.1.1995 (Probedruck)“, 1919. 25,1 : 18,9 cm New York), die Enkelin des Künstlers, auf 36,8 : 27,8 cm. Provenienz: Privatsammlung Berlin sitzt auf dem Schoße ihrer Kinderfrau Werkverzeichnis: Schiefler 315, wohl Ida Schönherr an einem Tisch und II oder III (von IV). Zustandsdruck vor Auch hier handelt es sich um die gra- betrachtet unter deren Anleitung ein den Überarbeitungen an der Kleidung phische Variante zu einem Gemälde aufgeschlagenes Bilderbuch. [...] Lie-

bermanns Biograph beschrieb das Bild an die Seite stellen, die Liebermann mit den Worten: >Ein kleines Bild, das vor Jahren von seiner kleinen Tochter [...] 1920 in der Sezession ausgestellt gemalt hat.< (Kunst und Künstler, Jg. war, zeigt die Kleine, wie sie auf dem XX, 1922, Heft 10, S. 346).“1 Schoß der Wärterin sitzend mit ihrem Händchen auf dem Bilderbuch herum- tappt, das vor ihr auf dem Tische liegt. Diese Bilder kann man unbedenklich 1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. den wundervollen intimen Porträts 1900-1935. München 1996. S. 758

71 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)

Das Konzert.

Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Zu dieser Graphik sind vier Versionen Bleistift signiert und nummeriert, in Öl bei Eberle (1922/1-4) aufgeführt, 1922. 23,3 : 31 cm auf 29 : 39 cm. deren Standorte unbekannt sind. Sie Werkverzeichnis: Schiefler 344 IIId. zeigt den Blick aus einer Loge auf die Eins von 100 Exemplaren, erschienen Bühne der Staatsoper Unter den Lin- bei Paul Cassirer. den auf die Bühne, wo der Dirigent mit Am rechten Rand restaurierter Einriss erhobenen Armen das Orchester leitet. (außerhalb der Darstellung), sonst sehr gut erhalten.

Provenienz: Rheinischer Privatbesitz.

72 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)

Haus am Wannsee.

Kaltnadelradierung auf festem Velin, nach Westen" (Eberle 1926/25). den schnurgerade ausgerichteten Weg. mit Bleistift signiert, 1926. 14,5 : 19,8 So vermitteln die weißen Baumstäm- cm auf 29,8 : 38,2 cm. Werkverzeich- Provenienz: Rheinischer Privatbesitz me, der lockere Wuchs und die fein- nis: Achenbach 106. Einer von wohl blättrige Belaubung zusammen mit wenigen Abzügen vor der Verstählung "Das Grundstück am Wannsee, das dem hellen Kiesbelag des Pfades ein der Platte. Absolut vorzüglich erhalten, Liebermann 1909 erwarb, war an der sehr lichtes Bild."1 breitrandig und nuanciert. Südseite von einem Birkenwäldchen Am unteren Rand Bleistiftmarginali- bestanden, das sich zum See hinunter 1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werk- en. zieht. Die Birken, die Verlauf des neu verzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. Mün- Graphische Variante zu dem Gemälde angelegten Weges standen, wurden chen 1996. S. 963.; siehe auch: Faass, Martin, Hrsg., Max Liebermann. Der Birkenweg. Ein Motiv zwischen Impres- "Die Birkenallee im Wannseegarten nicht gerodet und überspielten daher sionismus und Jugendstil. Katalog der Ausstellung in der Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin 2008

73 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)

Gartenszene (Wärterin, Kind und Hund).

Kaltnadelradierung auf Zanders-Büt- Breitrandiges, makellos erhaltenes Ex- „Und selbst als im Enkelkind das Mo- ten, mit Bleistift signiert, 1921. 11 : emplar dieses gesuchten Blattes. dell für die Kinderzeichnungen in der 17,5 cm auf 41,8 : 33,2 cm. Werkver- Familie sich wiederholte, war Lie- zeichnis: Schiefler 331 II d. Eins von Provenienz: Norddeutsche Privat- bermann wohl der angeregte und auf- 430 Exemplaren auf Bütten für das sammlung merksame Großvater - aber nicht der Werk „Max Liebermanns Handzeich- verliebte, großväterliche Künstler. Sei- nungen“, herausgegeben von Paul Dargestellt ist die Enkelin Lieber- ne Zeichnungen blieben frei von hüb- Cassirer. manns mit dem Kindermädchen und schmachender, fälschender Zuneigung. dem Dackel Nicki. Trotzdem sonst zu berichten ist: Wenn Trotz der Auflage nicht häufig. Liebermann Zeichnungen und Skizzen

zeigt, wiederholen sich fortwährend zu genannt sein. Das ist doch ‚ne Frau die Worte: ‚Mein Enkel - meine Toch- oder ‚n Mädchen, die ich jemalt habe. ter - meine Frau - mein Enkel!‘ Was Sagen Se man ‚Lesendes Mädchen‘!‘ um ihn herum lebt, sieht er am häu- Aber beim Kramen nennt er die Blät- figsten und es lockt ihn auch bald eine ter doch wieder: ‚Mein Enkel - meine Haltung, eine Linie zum Festhalten mit Frau - meine Tochter - mein Enkel!‘ dem Stift. Bei den Unterschriften will Am liebevollsten spricht er aus: ‚Mein er aber nicht betont sehen, daß es sei- Enkel!‘“ 1 ne Verwandten sind. ‚Meine Frau und meine Tochter die wollen nicht immer- 1 Ostwald, Hans, Das Liebermann-Buch. Berlin 1930. S. 366.

74 Max Liebermann (1847 - Berlin - 1935)

Badende.

Kreidelithographie auf China-Bütten, nen bei Bruno Cassirer in Berlin in 60 Provenienz: Westfälische Privatsamm- mit Bleistift signiert, 1926. 24,4 : 20 Exemplaren. lung cm auf 31,5 : 42,3 cm. Im ehemaligen Passepartout-Auschnitt Werkverzeichnis. Achenbach 116. kaum merklich gebräunt, sonst sehr „Auch sie [die Lithographien] weisen Blatt 9 aus der Mappe „Max Lieber- schöner Abzug dieses anmutigen Blat- die Tugenden der Zeichnungen auf; mann - 9 Steinzeichnungen“, erschie- tes. aber noch mehr sind sie aus der Erfah-

rung und Zeichenroutine geboren. [...] und weite Landschaften, Pleinairmo- sphärische wichtig ist. Der Skizzen- Auch lithographierend variiert Lieber- tive, die sich mittels der weichen li- charakter herrscht unverkennbar.“ 1 mann wieder seine alten Motive. Vor thographischen Kreide gut darstellen allem Strandszenen, Reiter am Meer lassen, und denen das luftige Atmo- 1 Scheffler, Karl, Max Liebermann. Mün- chen 1922. S. 198

75 Peter Ludwigs (Aachen 1888 - 1943 Düsseldorf)

Ohne Titel (Fischer).

Aquarell und Feder auf Bütten, mit Fe- und arbeitete ab 1942 verstärkt im der signiert, datiert und mit der Orts- Widerstand. Am 5. Februar 1943 wur- bezeichnung „Cassis“, 1929. 49,7 : 35 de Ludwigs verhaftet, seine schwere cm. Zuckererkrankung wurde nicht be- Stellenweise braunfleckig, ein hinter- handelt, auch bekam er kein entspre- legter Einriss, verso Montierungsreste, chendes Essen. Dennoch zwang man insgesamt aber von schöner Gesamter- ihn zu schweren Strassenräumarbei- haltung und beeindruckender Leucht- ten, wodurch der völlig ausgemergelte kraft. Künstler am 2. Juli 1943 im Gefängnis „Ulmer Höhe“ starb. Zuvor hatte man Provenienz: Privatsammlung Westfa- seiner Frau die Besuchserlaubnis ent- len. zogen, damit sie sehen konnte, in wel- chen Zustand man ihn gebracht hatte. Literatur: „Peter Ludwigs. Malerei, Grafik, Dokumente“. Katalog der Aus- stellung im Stadtmuseum Düsseldorf 1982/83.

Peter Ludwigs entstammte einer wohl- habenden Aachener Fabrikantenfami- lie. Er studierte Bildhauerei an den Akademien in Aachen, Lüttich und Brüssel. 1911 zog er nach Düsseldorf. 1915 bis 1918 nahm er als Freiwilliger am Krieg teil. 1918 wurde er neben Otto Pankok, Gert Wollheim u. a. Mit- glied des „Aktivistenbundes“, ebenso gehörte er 1919 zu den Mitbegründern des „Jungen Rheinlands“, das sich bei Johanna „Mutter“ Ey traf. 1924 betei- ligte er sich an der „Ersten Allgemei- nen Kunstausstellung“ in Moskau ge- meinsam mit Dix, Baluschek, Zille und Kollwitz. In dieser Zeit wandte er sich verstärkt der Malerei zu. 1926 lernte er die oldenburgerische Künstlerin Lu- Johanna Ey, Peter Ludwigs, Robert Pudlich, Luzie cie Uptmoor kennen, die er ab 1927 in Uptmoor (von links nach rechts) vor dem Eingang der Düsseldorf unterrichtete und mit der er Galerie Ey sich ein Atelier teilte. Nach Zerfall des „Jungen Rheinlands“ wurde Ludwigs Vorstandsmitglied der „Rheinischen Sezession“. Im Sommer 1929 reiste er gemeinsam mit Lucie Uptmoor und Heinz Tappeser für drei Monate nach Marseille, Arles und Cassis, wo auch unser Bild entstand. Nach der Macht- ergreifung Hitlers fand Ludwigs keine Ausstellungsmöglichkeiten mehr, er mußte sich immer mehr zurückziehen. Ludwigs war seit 1922 KPD-Mitglied

76 77 Franz Marc (München 1880 - Braquis bei Verdun 1916)

Bretonische Bettler.

Kreidelithographie auf Velin, mit Blei- der deutschen und französischen klas- zu den traumhaftesten Tagen meines stift signiert, im Stein monogrammiert, sischen Moderne von ca. 5000 Werken. Lebens, – und voll Gewinn. Ich sah mir 1907. 25 : 29,5 cm. Seine Kollwitz-Sammlung ging an das nur wenig anderes an als die beiden Im ehemaligen Passepartout-Aus- Städelsche Kunstinstitut in Frankfurt. großen neuen Meister van Gogh schnitt gebräunt. und Gauguin und daneben ägypti- „Trotz der überschaubaren Anzahl sche und mittelalterliche Plastik und Werkverzeichnis: Hoberg/Jansen 6. von 14 größeren Lithographien und 22 Rodin. Am meisten aber ›la belle Holzschnitten erweist sich das druck- Seine ...‹ zu allen Tagesstunden und Provenienz: Sammlung Max Dietzel, graphische Werk von Franz Marc als Nachtstunden. Ich war unsagbar München (mit dessen handschriftli- recht komplex. Dies betrifft weniger glücklich, allein sein zu dürfen, und chen Notizen von 1913 auf dem Passe- das frühe lithographische Werk, dessen was man dazu dachte, kümmerte mich partout); Sammlung Heinrich Stinnes, Blätter äußerst rar und zum Teil sogar nicht.“ Am 24.7.1907 schreibt er er- Köln (mit dessen Sammlungsstempel nur in Unikaten erhalten sind, sondern neut an Maria: „Van Gogh ist für und handschriftlichen Beschriftun- die Variationsbreite der Schwarz- mich die teuerste, größte, rührendste gen); Sammlung Helmut Goedecke- Weiß- und Farbholzschnitte, die ab Malergestalt, die ich kenne. Ein Stück meyer, Frankfurt (mit dessen Samm- 1911/12 entstanden sind und verschie- einfachster Natur zu malen und da- lungsstempel verso); Privatsammlung dene Auflagen erfahren haben. [...] hinein allen Glauben und alle Sehn- Pfalz. Marc begann sein druckgraphisches sucht hineinzumalen, das ist doch das Werk ab dem Winter 1907 mit der Her- Würdigste; ich ziehe ihn heut dem viel Max Dietzel (1883 - 1916) führte stellung von Lithographien, die er of- berechnenderen Gauguin in jeder Be- zusammen mit seinem Freund Paul fenbar zu Verkaufszwecken anfertigte, ziehung vor.“ Ferdinand Schmidt 1912/13 in der um seine in diesen Jahren stets ange- Vorliegende Lithographie läßt den Münchner Königinstraße den „Neuen spannte finanzielle Situation zu verbes- Einfluss Van Goghs spüren, den Marc Kunstsalon“, wo u. a. Künstler des sern, die sich erst ab 1910 durch seine eingehend in Paris studiert hatte.2 „Blauen Reiter“ und der „Brücke“ Begegnung mit dem Mäzen Bernhard ausgestellt waren. Außerdem koope- Koehler ändern sollte. [...] Doch die rierte die Galerie mit dem Folkwang Anzahl der erhaltenen Abzüge seiner Museum in Hagen. Lithographien, die häufig noch delikat Er schrieb auf das Passepartout in und unterschiedlich eingefärbt waren, Tinte: „N.K.-S. [Neuer Kunst-Salon] ist außerordentlich gering, meist geht Max Dietzel. VIII/1913. Franz Marc sie nicht über zwei bis zehn Exemplare 1880-1916: Holz- (Lumpen?)sammler. hinaus.“1 Lithographie mit der Feder auf Stein; handschr. bez. Druck auf Bütten 25,-“ Franz Marc reiste im Mai 1903 auf Heinrich Stinnes (Mülheim an der Einladung seines wohlhabenden Kom- Ruhr 1867 - 1932 Köln) trug von 1910 militonen Friedrich Lauer für vier Mo- bis 1932 eine der bedeutensten Gra- nate nach Frankreich, wo er Werken phiksammlungen Europas zusammen von Manet, Courbet und Delacroix be- (ca. 200000 Blätter !), die nach seinem gegnete und den Endschluß faßte, die Tod auf mehreren Auktionen versteigert Akademie zu verlassen um sich auto- und damit zerrissen wurde. Stinnes er- didaktisch weiter zu bilden. Auf einer warb nur frühe und beste Abzüge, die zweiten Reise nach Paris im Frühjahr er recto mit seinem Stempel versah. 1907 begegnete Marc schließlich Wer- Seine Bleistiftnotation lautet: „Franz ken Van Goghs, dem seine große Be- Vincent van Gogh, Alter Schiffer mit Südwester. Schwar- Marc - Holz-/Lumpen ?/Sammler. Li- wunderung galt. Am 13.4.1907 schreibt ze Kreide 1883. Rijksmuseum Kröller-Müller, Otterlo thographie 25,-“ was darauf schließen er an Maria Franck: „Ich war selten läßt, das Stinnes das Blatt bei Dietzel so sehr mit mir einig als Künstler wie erworben hat. diesmal in Paris. Diese 8 Tage gehören Helmut Goedeckemeyer (1898-1983) 1 Hoberg, Annegret und Isabelle Jansen, besaß eine druckgraphische Sammlung Franz Marc. Werkverzeichnis Band III. Skizzenbücher 2 Roßbeck, Brigitte, Franz Marc. Die Träu- und Druckgraphik. München 2011. S. 310 me und das Leben. München 2015. S. 93

78 79 Franz Marc (München 1880 - Braquis bei Verdun 1916)

Springende Pferdchen.

Holzschnitt auf gelblichem Maschi- terial‘ und packte sofort einen großen nenbütten, im Stock monogrammiert, Stoß davon zusammen, um ihn nach 1912. 13,5 : 9 cm auf 23,9 : 16,7 cm. München zur geplanten Schwarz- Werkverzeichnis: Hoberg/Jansen 31. Weiss-Ausstellung des Blauen Reiters Mit Atelierspuren, in der rechten obe- zu schicken, die Mitte Februar eröff- ren Ecke kleiner Wasserrand. Mögli- net wurde. [...] So sehr Marc von der cherweise Probedruck vor der ersten Kunst der Brücke angetan war, seine Auflage von Handdrucken und der eigenen Blätter verleugnen nie das zweiten Auflage für „. Wo- andersartige Formgefühl und das ab- chenschrift für Kultur und die Küns- weichende Ziel. Gegenüber der kanti- te“, hrsg. von Herwald Walden, N° gen, zuweilen brutal vereinfachenden 129, S. 163 von Oktober 1912. Sprache der Dresdner und Berliner Teils sehr pastoser Farbauftrag, verso Gruppe werden sie von schwingen- durchschlagend. den Rhythmen beherrscht; kunstvoll geflochtene Liniengewebe betonen Provenienz: Privatbesitz Berlin. das Weiche mehr als das Harte, das Gerundete mehr als das Eckige, das „Gegenüber dem schon mengenmä- Verbindende mehr als das Trennende. ßig imponierenden Holzschnittwerk Akt, Tier und Pflanze sind organisch der Künstler aus dem ‚Brücke‘-Kreis einer übergreifenden Ganzheit einge- - fast 1000 verschiedene Blätter von bunden, jenem ‚Unteilbaren Sein‘, das Kirchner, jeweils an die 450 von darzustellen Marc sich sehnte. [...] Schmidt-Rottluff und Heckel oder 200 Nach Marcs Worten sollten die über- recto von Nolde - , aber auch im Vergleich zähligen Drucke als ‚Versuchsdrucke‘ zu Kandinskys rund 150 Nummern bezeichnet werden - ein Begriff, der nehmen sich die kaum über zwanzig noch mehr als der gebräuchlichere zählenden Holzschnitte Franz Marcs ‚Probedrucke‘ das Stadium des Ex- mehr als bescheiden aus; daher rührt perimentes umschreibt und den Maria freilich ebenso die Seltenheit her, Marc vielleicht eben deswegen nicht Drucke von seiner Hand auf dem benutzt hat. Die Ankündigung, solche Kunstmarkt zu finden. Drucke - ‚soweit sie fertig sind‘ - spä- Die Beschäftigung mit dem Holz- ter nachzusignieren, hat der Künstler schnitt umfaßt bei Marc nur zweiein- indessen nicht wahrmachen können halb Jahre: von der Wende 1911/12 bis [...].1 zur Mitte 1914, als der Sechsunddrei- „Die Springenden Pferdchen ver- ßigjährige in den Krieg zog, aus dem dienen ihre Bezeichnung eigentlich er nicht mehr zurückkehren sollte. [...] nicht ganz; denn allenfalls das un- So zwangsläufig, im Rückblick auf das terste zeigt eine solche Bewegung. Es Lebenswerk gesehen, der Schritt von scheint eher emporzusteigen, seine der Lithographie zum Holzschnitt ge- Aufwärtsrichtung wird von den drei wesen ist, es mußten doch verschie- Tieren darüber so aufgenommen, dass dene Anregungen zusammenkommen, ein Zickzackrhythmus mit manchen damit Marc sich diesem graphischen Diagonalimpulsen entsteht - eine klei- Verfahren öffnete. [...] den letzten An- ne Vorahnung des Turms der blauen stoß scheint nach dem Bericht seiner Pferde.“ 2 Frau Maria Marc doch Kandinksy gegeben zu haben, der den Freund im Zusammenhang mit den Plänen zur Bebilderung des Almanachs Der Blaue Reiter ermunterte, sich in die- ser Technik zu versuchen. [...] Den Der Turm der blauen Pferde entscheidenden Eindruck von den viel- Öl auf Leinwand 1913 fältigen künstlerischen Möglichkeiten 200 : 130 cm des Holzschneidens gewann Marc je- seit 1945 verschollen doch im Januar 1912, als er während 1 Lankheit, Klaus, Die Holzschnitte Franz eines Berliner Aufenthaltes die Maler Marcs. In: Hoberg, Annegret und Isabelle Jansen, Franz Marc. Werkverzeichnis Band III. Skizzenbücher und der Brücke und der Neuen Secession Druckgraphik. München 2011. S. 319 ff. in ihren Ateliers aufsuchte: Heckel, Kirchner, Nolde und Pechstein. Er 2 Holst, Christian von, Franz Marc. war überwältigt von dem ‚Riesenma- Pferde. Katalog der Ausstellung in der Staatsgalerie Stuttgart 2000. S. 102 ff.

80 81 Frans Masereel (Blankenberghe 1889 - 1972 Avignon)

Femme à la cigarette.

Öl auf Leinwand, unten links mono- Ehrensache betrachten, dem Werk trät Paulines aus dem Jahr 1923 ein grammiert und datiert, 1923. 43,3 : ihres flämischen Freundes internati- elegantes Werk im Sinne der Ecole de 34,3 cm. onale Anerkennung zu verschaffen. Paris [...] Die Porträts sind die ersten Bis auf leichtes Craquelé schön >Ich sagte schon Billiet, dass ich es Bilder, mit denen Masereel sich als erhalten. an der Zeit hielte, eine gesamte Aus- Maler vom direkten Einfluss seiner stellung deiner Werke in Deutschland Grafik befreit, aber das heisst nicht, Provenienz: Rheinische Privatsamm- oder Böhmen zu machen.<, schreibt dass eine solide Zeichnung als Basis- lung. Zweig im Juli 1923. >Mein Freund struktur seiner Bilder nicht weniger Cumill Hoffmann kann das in Prag wichtig würde.“4 Dargestellt ist die dreiundzwanzig- leicht durchsetzen, und wir würden jährige Paule Thomas, die Tochter dann die Ausstellung gleich nach von Masereels Frau Pauline, die er Wien weiterschicken, vielleicht sogar am 23. Februar 1921 in Genf gehei- nach Budapest.<“2 ratet hatte. Masereel hatte Pauline „War nachmittags in der Galerie Bil- Imhoff, Tochter eines Fabrikdirektors liet, die neuen Masereel Bilder zu se- wohl 1909 in Paris kennengelernt. hen. Du kannst Dir nicht denken, wie „Pauline war beinahe elf Jahre älter herrlich seine letzten Porträts sind - als Frans. Sie ist 1878 in Randonnai man soll die Reproduktionen verbren- im normandischen Departement Orne nen, so leblos und farbtot wirken sie. geboren, in der Bretagne aufgewach- Ich bin grenzenlos begeistert, und ein sen und hat 1899 in Gent Adolphe grosses Bild hätte ich leidenschaftlich Auguste Thomas geheiratet. Die Ehe gern gekauft, aber lieber lass ich mich war übrigens von kurzer Dauer, denn doch von M. portraitieren.“3 Thomas ist 1908 nach Brüssel um- „An seinem 35. Geburtstag, am 30. gesiedelt und hat Pauline mit ihrem Juli 1924, schreibt er [Masereel] Ge- achtjährigen Töchterchen Paule in org Rheinhart, dass er als Maler die Gent zurückgelassen.“1 1923 malt gleiche Intensität und Expressivität Masereel mehrere Porträts von Mut- erreichen wolle wie in seinen Holz- ter und Tochter. Paule Thomas hatte schnitten. Von seinen ersten Pari- im Juni 1922 den Bankangestellten ser Bildern sagt er, dass die Farben Georges Kustner geheiratet und sich >sehr streng und schlicht sind und in Genf niedergelassen. ziemlich spanisch anmuten.< Dies Das Bild steht am Beginn von Ma- gilt besonders für das erste gemal- sereels internationalem Erfolg als te Selbstporträt, in dem Ocker- und Maler. Durch die Galerie Billiet in Grautöne vorherrschen, und für ein Paris werden seine Werke lanciert: Dutzend anderer Porträts, mit denen „Die sechs Masereel-Ausstellungen, er 1923 anfängt, sich als Maler selbst die Billiet zwischen 1922 und 1928 zu entdecken - es handelt sich um veranstaltet, sorgen dafür, dass Mu- Pauline, Paule, Le Fauconnier, Léon seumsdirektoren und Kunsthändler Werth und Georg Reinhart, der im sowohl den Maler als auch den Gra- November zum Posieren nach Paris fiker Masereel kennenlernen, und na- kommt. [...] Ein gutes Porträt, findet türlich profitiert auch die Galerie von Masereel selbst, ist ein Porträt, das seinem Erfolg. Ausser seiner Zusam- dem Publikum beim ersten Blick ei- menarbeit mit Billiet hat Masereel nen richtigen Eindruck gibt, sowohl seine zunehmende Bekanntheit vor al- von der Persönlichkeit als auch von lem Stefan Zweig und Carl und Thea dem gesellschaftlichen Hintergrund Sternheim zu danken, die es als eine des Porträtierten. Daher ist das Por- 2 siehe Anm. 1 S. 182 1 Parys, Joris van, Masereel. Eine Biogra- 3 Stefan Zweig an Friderike Zweig im phie. Zürich 1999. S 40 Januar 1924 4 siehe Anm. 1 S. 189

82 83 Maguy Monier (eigtl. Marguerite Monier, geb. Poirion) (Malabry 1887 - 1965 Châtenay)

Ohne Titel (Ansicht eines bretonischen Dorfes im Sommer).

Öl auf Leinwand, unten rechts signiert, onistischen Pinselstrichs und der stim- um 1910. 57,5 : 76,5 cm. mungsvollen Wiedergabe der still vor Bis auf leichtes Craquelé sehr schön sich hin arbeitenden Bäuerin an einem erhalten. sonnigen Tag im Sommer, sprechen für eine gute Ausbildung und natürlich Provenienz: Privatbesitz Bretagne. auch für ein großes Talent.

Die Künstlerin lebte mit ihrem Mann, dem Bildhauer Émile Monier (1883- 1970), in ihrem Elternhaus „Le Bo- cage“ in Châtenay-Malabry in der Region Île de France. Als Graphikerin schuf sie berühmte Modedarstellun- gen, die auch in Form von Postkarten publiziert wurden, und Buchillustratio- nen für den Nilsson-Verlag, im Stil des Art Déco. 1925 stellte sie in der Galerie G.-L. Manuel frères in Paris Gemälde aus. Dazu schrieb der Schriftsteller Gus- tave Kahn im „Mercure de France“: „Mme Maggy [sic] Monier hat uns um die 40 kleine Bilder gezeigt - Pro- vence, Bretagne, Blumen, in flinker Art gemalt. Sie sich nach Vereinfachung im Farbton. Es gibt einen intimen Wert in der Darstellung der alten bretonischen Spinnerinnen, die in den dunklen Tür- öffnungen sitzen. Ihre Blumen sind ganz klar gemalt und befinden sich im- mer in einer schlichten weißen Vase“. Émile Monier war einer der bedeu- tendsten Medaillisten des Art Déco. 1906 wurde die Tochter Madeleine Monier geboren. 1927 beteiligte sich Maguy am Salon des Indépendants. Wo Maguy ihre Ausbildung erhielt, können wir nicht ermitteln. Leider ist die Erkenntnislage über die in Paris studierenden Künstlerinnen noch sehr desolat.1 Möglicherweise besuchte sie eine der zahlreichen privaten Mal- schulen wie die Académie Julian in Paris, denn die hervorragende Quali- tät der Komposition, des spätimpresi- 1 siehe hierzu: „Paris bezauberte mich. Käthe Kollwitz und die französische Moderne“. Hrsg. von Hannelore Fischer und Alexandra von dem Knese- beck. Katalog der Ausstellung im Kollwitz-Museum Köln, 2010/11. S. 19

84 85 Friedrich Wilhelm Mook (1888 - Frankfurt - 1944)

Ohne Titel (Sommerliches Gartenbeet in Gomaringen/Tübingen).

Öl auf Leinwand, recto unten rechts wird er durch den Besuch einer Trüb- mit geritzter Signatur und Datierung, ner-Ausstellung im Frankfurter Kunst- verso auf dem Keilrahmen signiert und verein 1916 von dessen ausdrucksstar- datiert, 1940. 72,5 : 54,5 cm. ker Farbgebung beeinflußt. Und im Ausgesprochen farbintensives, sehr selben Jahr findet eine Ausstellung mit pastos gemaltes Gartenstück. seinen Arbeiten gemeinsam mit Wer- ken Trübners, Steinhausens, Thomas, Provenienz: Privatsammlung Rhein- Slevogts und Corinths im Frankfurter land. Kunstsalon Schneider statt, die für Mook ein großer Erfolg wird und seine Literatur: Valdivieso-Schröpfer, Edith, Etablierung im Frankfurter Kunsthan- Friedrich Wilhelm Mook (1899 - 1944). del bedeutet. In den Zwanziger Jahren Ein Frankfurter Maler. Frankfurt 2008 erlebt Mooks künstlerische Laufbahn (Inauguraldissertation). einen ersten Höhepunkt. Ausstellun- gen und positive Kritiken folgen naht- Bei einem Bombenangriff im März los aneinander. Das setzt sich auch 1944, wenige Wochen nach Mooks Tod, zu Beginn der Dreissiger Jahre fort. wurden seine Wohnung und Atelier fast Politisch eher uninteressiert nimmt er vollständig zerstört, ausgelagerte Wer- von 1936 bis 1943 an den jährlichen ke gingen ebenfalls in den Kriegswir- Ausstellungen der Reichskulturkam- ren verloren. Das erklärt, warum der mer teil. In dieser Zeit unternimmt das Oeuvre des Malers heute weitge- er häufiger Fahrten in die Natur als hend unbekannt ist. Ausstellungen zu besuchen. Aus Anlaß seines 50. Geburtstages wurde 1938 Friedrich Wilhelm Mook wurde am 14. eine große Ausstellung im Frankfurter März 1888 in Frankfurt am Main ge- Kunstverein ausgerichtet. Obwohl ge- boren. Schon als Jugendlicher besuch- sundheitlich angegriffen, unternahm te er Wilhelm Trübner in dessen Ate- er noch einige weitere Reisen, so im lier, was nicht ohne Einfluß auf seine Sommer ins Schwäbische. künstlerische Entwicklung blieb. Zwar Etwa drei Wochen vor seinem Tod absolvierte er eine kaufmännische wurde der erst 56jährige wegen Herz- Ausbildung, begann aber schließend problemen in das Bürgerhospital nach mit 19 Jahren 1907 mit dem Kunststu- Frankfurt eingeliefert, wo er am 28. dium bei Johann Heinrich Limpert an Januar 1944 verstarb. der Städelschule in Frankfurt. Im No- vember 1908 wechselte Mook für fünf Monate an die Akademie in Karlsruhe. Nach Frankfurt zurückgekehrt wand- te er sich dem akademischen Ausbil- dungsbetrieb ab und bildete sich auto- didaktisch weiter. Schon in dieser Zeit entsteht die Ausprägung auf die Wie- dergabe malerischer Werte wie Licht und Farbe bei einfachstem Bildgegen- stand. Hier stand besonders das Werk Trübners Pate, der sich in Farben und Bildgestaltungen so radikal von der al- ten Schule abgewandt hatte. Seit 1910 beteiligte sich Mook an öffentlichen Mook in Gomaringen 1940 Ausstellungen in Frankfurt. Erneut

86 87 Emil Nolde ( Nolde/Nordschleswig 1867 - 1956 Seebüll)

Junge Mutter.

Holzschnitt auf Kupferdruckkarton, mit Bleistift signiert und wohl von Ada Nolde betitelt und bezeichnet „Ex. III. 10“, 1917. 21,2 : 15,2 cm auf 33,5 : 27 cm. Werkverzeichnis: Schiefler/Mosel 137 (nennen eine Auflage von ca. 12 Exemplaren).

Im Bereich der nichtdruckenden Flä- che links neben der Hand der Mutter leichte (druckbedingte?) Vertiefungen im Papier, sonst prachtvoller Hand- druck in tiefem, sattem Schwarz.

Provenienz: Privatsammlung Süd- deutschland

„Der Holzschnitt zeigt eine junge Frau im Profil, die ihr Neugeborenes im Arm hält. Mit einem unnatürlich gebogenen Hals [...] betont Nolde das liebevol- le Herabneigen der Mutter zu ihrem Kind. Durch die vom schwarzen Hin- tergrund abgesetzte Aussparung sticht die Figuren gruppe wie von einem grel- len Licht angeleuchtet aus dem Dunkel hervor. Das Motiv beschäftigte Nolde kurze Zeit später ein zweites Mal: In einem kompositorisch fast identischen Druck verzichtet er auf modellieren- de Binnenformen und schneidet die Figuren in breiten Konturen aus dem Holz heraus. Während er für diese ers- te Druckgrafik den alternativen Titel ‚Junge Mutter (ländlich)‘ (Schiefler 137) notiert, versieht er die stärker abstrahierte spätere Version mit dem beschreibenden Zusatz ‚städtisch‘ (Schiefler 142).“1

1 Emil Nolde. Retrospektive. Katalog der Ausstellung im Städel Museum Frankfurt 2014. S. 265

88 89 Emil Orlik (Prag 1870 - 1932 Berlin)

Porträt Bella Chagall.

Pastell auf Malkarton, mit Kreide si- Welt mit jener anderen (kommunisti- gniert, um 1923. 69 : 49 cm. An den schen) zu begreifen.<“1 Kanten und an der rechten oberen Bella Rosenfeld (Witebsk 1895 - 1944 Ecke leichte Altersspuren. Verso mit New York) war die Tochter eines wohl- Farbproben in Pastellkreide sowie habenden jüdischen Juweliers. Nach dem Adress-Stempel von Leopold dem Abitur studierte sie an der Mos- Hess Kunstmaterialien“, Genthiner kauer Universität. 1915 heiratete sie Str. 29, Berlin (bei dem auch Slevogt Chagall, 1916 wurde die Tochter Ida kaufte). geboren. Nach einem kurzen Aufent- halt in Deutschland zog die Familie Provenienz: Privatsammlung Schles- 1923 nach Paris. 1941 wanderten sie wig-Holstein in die USA aus, wo Bella drei Jahre später an einem viralem Infekt starb. Orlik porträtierte Marc Chagall 1923 in Berlin (veröffentlicht in „Emil „Im Sommer [1922] Ankunft in Ber- Orlik. Neue fünfundneunzig Köpfe“, lin mit all seinen Bildern. Seine Frau Berlin 1926), in diesem Kontext wird Bella, die wegen eines gebrochenen auch unser Bild entstanden sein. Arms zunächst in Moskau bleiben „Wenig bekannt ist, daß der später mußte, und seine Tochter Ida treffen weltberühmte Maler [Marc Chagall] ebenfalls in Berlin ein. Sie bleiben ein seine erste große Ausstellung in Ber- Jahr lang und wohnen an vier ver- lin hatte, bei Herwarth Walden in des- schiedenen Adressen. Mit Ausnahme sen Galerie ‚Der Sturm‘. Bald danach der letzten liegen alle Wohnungen reiste er in seine Heimat zurück, wo er zentral, in der Umgebung des Prager von Weltkrieg und Oktoberrevolution Platzes, wo viele Russen wohnen. [...] überrascht wurde und auf Vermittlung Chagall ist in Berlin kein Unbekann- A. Lunatscharskys für einige Jahre als ter, weil er 1914 in der Galerie ‚Der sowjetischer Kunstkommissar tätig Sturm‘ 40 Gemälde und mehr als 100 war, obwohl er, wie er einmal sagte, Gouachen zurückgelassen hat, die anfangs von Karl Marx nur wußte, Herwarth Walden auch später noch daß er Jude war und einen großen dort zeigte; 1918 widmete er Chagall weißen Bart trug. Als die Dinge im- das ‚Sturm-Bilderbuch‘ Nr. 1. [...] Zu mer unerquicklicher wurden, reiste seinen Freunden gehören der Schrift- Chagall mit Bella und Ida in Berlin 1923 er, wiederum durch Lunatscharsch- steller und Zionist Chaim Bialik, die kys Hilfe, 1922 nach Berlin zurück. Maler George Grosz (den er in Paris Chagall bemühte sich vergeblich, die kennengelernt hat), Karl Hofer und über 100 Bilder, die Walden in seiner Jankel Adler, David Schterenberg und Galerie lagerte, zurückzubekommen. seine Frau Nedeshda (eine Freundin Chagall ging wieder nach Paris, wo Bellas) und Alexander Archipenko.“2 er schon 1910 gelebt hatte. Gerhard Ulrich notierte: >Ein Blick auf dieses 1 Friese, Eberhard, Buch der Freund- noch immer knabenhelle Gesicht ge- schaft und Spiegel der Zeit: Orliks Köpfesammlung. nügt, um die Unvereinbarkeit seiner In: Setsuko Kuwabara, Emil Orlik, ein Porträtist des geistigen Berlin. Berlin 1998. S. 34.

Marc malt Bella Chagall, 2 Compton, Susan. Marc Chagall. Mein Paris 1934. Leben - Mein Traum. Berlin und Paris 1922-1940. Katalog der Ausstellung im Wilhelm-Hack-Museum Ludwigshafen 1990. S. 261

90 91 Emil Orlik (Prag 1870 - 1932 Berlin)

Radierungen aus der Mappe „Orlik. Die Reise nach Japan“, erschienen in 100 Exemp- laren im Verlag F. Bruckmann, München 1921.

1. Aus Port-Said. Radierung Orlik trat Ende 1911 zum zweimal eine und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift Ostasien-Reise an. signiert und nummeriert, 1921. 17,6 : „Ende des Jahres 1911 reiste Orlik 12,6 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 3 der von Genua mit dem Schiff ab, zunächst Mappe. nach Ägypten. Der dortige Aufenthalt, der eigentlich nur eine Zwischensta- 2. Arabisches Cafe. Radierung tion sein sollte, brachte den höchsten und Aquatinta auf Bütten, mit Bleistift künstlerischen Ertrag dieser Fahrt. signiert und nummeriert, 1921. 11 : 11 Ägypten zog Orlik sofort in seinen cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt 4 der Map- Bann. [...] Ende März 1912 verließ Or- pe. lik Ägypten mit dem Schiff gen Ceylon und reiste über Singapur nach China. 3. Erinnerung an Singapore. [...] Über Korea, mit einem Halt in Se- Radierung und Aquatinta auf Bütten, oul Ende Juni 1912, fuhr Orlik weiter mit Bleistift signiert und nummeriert, nach Tokio, seinem eigentlichen Ziel, 1921. 16,7 : 14 cm auf 27,3 : 21,3 cm. wo er diesmal jedoch nicht lang blieb. Blatt 6 der Mappe. [...] Mit der Transibirischen Eisen- bahn kehrte er über Russland zurück. 4. Bei Hong-Kong. Radierung [...]Wie es Orliks übliche Praxis war, und Vernis mou mit Roulette auf Büt- lagen den Radierungen der Mappe ten, mit Bleistift signiert und numme- vor Ort angefertigte Zeichnungen zu- riert, 1921. 11 : 12 cm auf 21,3 : 27,3 grunde, so zum Beispiel beim Motiv cm. Blatt 7 der Mappe. ‚Shanghai-Mädchen‘, das zwei junge Chinesinnen in einem Hauseingang 5. Shanghai-Mädchen. Radie- zeigt. Die schwarze Kreidezeichnung rung und Aquatinta auf Bütten, mit ist materialbedingt in der Faktur grö- Bleistift signiert und nummeriert, a. ber, mit der feinen Radiernadel hat 17,2 : 10,7 cm auf 27,3 : 21,3 cm. Blatt Orlik die Gesichtszüge differenzierter 8 der Mappe. ausarbeiten können.“ 1

6. Japanische Bauern. Radie- „Jene Faszination, die Orlik als jun- rung und Aquatinta auf Bütten, mit gen Mann dazu bewegt hatte, Japan zu Bleistift signiert und nummeriert, bereisen, blieb freilich ein Leben lang 1921. 17,7 : 12,7 cm auf 27,3 : 21,3 wach und prägte seine Gedankwelt. cm. Blatt 9 der Mappe. So schrieb er noch 1926 im Vorwort eines von ihm herausgegebenen Por- 7. Im Winterkleid. Radierung traitbuches: >Wenn ich so alt werden und Vernis mou mit Roulette auf Büt- sollte wie weiland Hokusai, so möchte ten, mit Bleistift signiert und numme- ich mich so nennen wie er: GWAKYO riert, 1921. 9 : 7 cm auf 27,3 : 21,3cm. ROJIN, der in das Zeichnen vernarrte Blatt 10 der Mappe. Greis<.“2

Provenienz: Privatsammlung Mün- chen 1 Matthias, Agnes, Emil Orlik - Zwischen Japan und Amerika. Katalog der Ausstellung im Kunstfo- rum Ostdeutsche Galerie Regensburg 2012/2013. S. 24 ff 2 Otto, Eugen, Hrsg., Emil Orlik. Leben und Werk. Wien 1997. S. 32

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93 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943)

Ohne Titel (Blick vom Potsdamer Platz in die Leipziger Straße)

Kaltnadelradierung mit Roulette und keinen Verkehrsturm gab. Mit solchen Die Konditorei „Café Josty“ hatte Vernis mou auf Velin, mit Bleistift si- graphischen Arbeiten [...] ist Paeschke seit 1880 eine Filiale am Potsdamer gniert, 1918. 26,5 : 34,5 cm auf 40 : berühmt geworden. In Berlin hatte der Platz, das sogenannte „Künstlerca- 52 cm. Künstler sich selbst gefunden. In Berlin fé“, denn hier trafen sich Heinriche hatte er die ersten Erfolge erzielt.“ 1 Heine, Eichendorff, Fontane, Menzel „Paul Paeschke ist gebürtiger Berli- u.v.m. Erich Kästner schrieb hier sei- ner. Er gehört, wie das für einen 1875 nen Roman „Emil und die Detektive“, geborenen kaum zu vermeiden war, der auch z. T. hier spielt. Das Café zog zu den Impressionisten, und einem 1930 in die Friedrich-Ebert-Straße Berliner Impressionisten kam es am um. allerwenigsten in den Sinn, mit ‚Ge- müt‘ zu schaffen. Aber ohne daß er ein Wort darüber verliert oder es in seinen 1912 veröffentlichte Paul Boldt das So- Schöpfungen unterstreicht, spüren wir: nett „Auf der Terrasse des Café Josty: er liebt sein Volk, aus dem er hervorge- gangen ist. [...] Paeschke hat auf der Der Potsdamer Platz in ewigem Ge- Kunstschule in Berlin studiert und das brüll Zeichenlehrerexamen bestanden. Dann Vergletschert alle hallenden Lawinen ist er noch sechs Jahre lang auf die Der Straßentrakte: Trams auf Eisen- Akademie gegangen und hat den Lehr- schienen, plan mit fast pedantischer Gründlich- Automobile und den Menschenmüll. keit durchgemacht. Er gehört nicht zu denen, die auf ihre Lehrer und auf ihre Die Menschen rinnen über den As- Lehrzeit schelten. Er neigte, auch hier- phalt, in ein richtiger Berliner, nicht dazu, Ameisenemsig, wie Eidechsen flink. vor den Geheimnissen des Schaffens Stirne und Hände, von Gedanken Schauer der Ehrfurcht zu empfinden. blink, Ihm schien viel oder beinahe alles durch Schwimmen wie Sonnenlicht durch Fleiß und Aufmerksamkeit erreichbar, dunklen Wald. und es spricht für die ursprüngliche Echtheit seiner Künstlerschaft, daß er Nachtregen hüllt den Platz in eine von ihr am allerwenigsten redet.[...] Höhle, Er legte das Hauptgewicht seiner Ar- Wo Fledermäuse, weiß, mit Flügeln beit auf die Graphik und versuchte, mit schlagen dem sparsamen und in seiner Hand so Und lila Quallen liegen – bunte Öle; unendlich ausdrucksvollen Mitteln von Schwarz und Weiß das Großstadtleben Die mehren sich, zerschnitten von den zu schildern. [...] Und dann: der Pots- Wagen. – damer Platz! Er hat ihn mehrfach ge- Aufspritzt Berlin, des Tages glitzernd zeichnet und radiert, immer von oben Nest, gesehen, vom Balkon des Café Josty Vom Rauch der Nacht wie Eiter einer mit dem Blick über den Leipziger Platz Pest. in die Leipziger Straße. Mit unwider- stehlicher Gewalt werden wir in das Hasten und Jagen hineingezogen, und wundervoll hat Paeschke den Rhyth- mus der Ordnung empfunden, der in dem scheinbar regellosen Durcheinan- 1 Weiglin, Paul, Paul Paeschke. In: der auch damals pulsierte, als es noch Velhagen & Klasings Monatshefte. 42. Jahrgang, 3. Heft. Berlin, November 1927. S. 257 ff

94 95 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943)

Ohne Titel (An der Promenade des Tegeler Sees in Berlin).

Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, um 1925. 17,6 : 23,3 auf 34,4: 47 cm. Bis auf zwei winzige Fleckchen prachtvoller und breitrandiger Abzug.

„Immerhin verdanken wir Landschaftsmalern wie dem Berliner Paul Paeschke unendlich viel Anschauliches und Hübsches von Gegenden um Berlin, in denen meist nur als kleine bunte, in Scharen auftretende Staffagefiguren, eine Rolle spielten. Die sportliche Betätigung der Jugend hatte nach dem Ersten Weltkrieg zugenommen, die Verkehrsmittel der Weltstadt er- laubten billigere und weitere Ausflüge in die Umgebung der Stadt. [...] Eine besondere Begabung hatte Paeschke für die Ra- dierkunst, die er ebenso meisterlich ausübte wie die Größten seiner Zeit seit Liebermann. [...] Überall ist in seinen spontan wirkenden, doch kompositionell durchdachten graphischen Blättern das Licht gegenwärtig.“ 1

1 Wirth, Irmgard, Berlin und die Mark Brandenburg. Landschaften. Gemälde und Graphiken aus drei Jahrhunderten. Hamburg 1982. S. 200f.

96 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943)

Ohne Titel (Berlin - Blick von der Burgstraße auf Schloß und Dom ).

Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, und bezeichnet: „Letzter Zustand II. Druck Probedruck“ sowie „Probedruck Pae“, um 1925. 22,2 : 24 auf 33,4 : 35,2 cm. Mit leichten Atelierspuren.

Durch die graphische Umsetzung ist die Darstellung seitenverkehrt wiedergegeben.

horizontal gespiegelt

97 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943)

Ohne Titel (Ruder- und Segelboote auf der Alster in Hamburg).

Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, um 1925. 20,8 : 26,3 auf 31,2: 41,8 cm. Bis auf leichte Alterspuren sehr gut erhalten.

Paeschke wird das sportliche Treiben auf dem Wasser vom Uhlenhorster Fährhaus aus beobachtet haben, das schon Max Liebermann zu einigen Bildfindungen verhalf. „Das Uhlenhorster Fährhaus war ein beliebtes Hamburger Lokal, das im Nordosten der großen Außenalster lag. [...] Das Restaurant wurde am 6.10.1900 eröffnet. Es war ein gastronomischer Pa- last, der nachts im Licht von 2000 Glühbirnen erstrahlte. Der Pachtvertrag [...] endete 1933, im Zweiten Weltkrieg wurde das Lokal durch Bomben zerstört.“1

Max Liebermann Abend am Uhlenhorster Fährhaus - Sommerabend an der Alster. Öl auf Leinwand 1910. Kunsthalle Hamburg

1 Eberle, Matthias, Max Liebermann. Werkverzeichnis der Gemälde und Ölstudien. Band II. München 1996. S. 795

98 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943)

Ohne Titel (Elbtunnel in Hamburg).

Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand Probe- druck“ bezeichnet, um 1925. 20,2 : 26, 7 auf 36,8: 45 cm. Prachtvoller, breitrandiger Abzug, vorzüglich erhalten.

„Vom stilistischen Standpunkt genommen ist Paeschke ein intensiver Graphiker, der sich damit befaßt, subtile atmosphä- rische Wirkungen in seinen Straßenbildern auszuarbeiten. Es gelingt ihm überraschend gut, die Tonwirkung gegen die Linienwirkung abzuwägen und seine Freiheit trotz der Delikatesse des Vortrags zu wahren. Die Farbigkeit seiner Kalt- nadelbehandlung ist vorzüglich, und er gehört zu jenen Künstlern, die ein besonderes Geschick in der Behandlung von Menschenmassen entfalten.“ 1

1 Singer, Hans W., Die moderne Graphik. Leipzig 1914. S. 137

99 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943)

Ohne Titel (Schlossplatz in Dresden bei Regen).

Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand“ bezeich- net, um 1925. 17,2 : 23, 7 auf 31,7 : 33,8 cm.

Prachtvoller, breitrandiger Abzug, bis auf einen leichten Knick in der rechten oberen Ecke und einer kleinen Ergänzung in der linken oberen Ecke vorzüglich erhalten.

100 Paul Paeschke (1875 - Berlin - 1943)

Ohne Titel (Im Sand spielende Kinder).

Kaltnadelradierung mit Aquatinta und Roulette auf gelblichem Bütten, mit Bleistift signiert und als „letzter Zustand“ bezeichnet, um 1925. 14 : 16,4 cm auf 22,5 : 24 cm.

Sehr schön erhalten.

101 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Ohne Titel (Frau am Bach mit herbstlichen Bäumen).

Öl auf Leinwand , unten links signiert, Zum Rahmen: 1894. 43 : 36 cm. Im Originalrahmen Pankok strebte „eine Umrahmung nach Entwurf des Künstlers (64,8 : 57 an, die in Farbe und Form zum Bild cm). Verso auf dem Keilrahmen in rot paßte. Sie sollte die Malerei möglichst mit Pinsel „20“ und in schwarzer Far- gut zur Geltung bringen und die Ver- be mit Pinsel „Pankok 4“. bindung zur Wand herstellen. Julius Baum schrieb, Pankok sei über Rah- Provenienz: Nachlaß Bernhard Pan- men - da er keine passenden für seine kok; Privatsammlung Westfalen. Bilder gefunden habe - zum Kunst- handwerk gekommen (Die Stuttgarter Pankok hielt sich von August bis De- Kunst der Gegenwart, 1913, S. 168). zember 1894 zu Studienzwecken im Auch wenn es in dieser Form eine An- niederrheinischen Dingden bei der ekdote ist, zeigt sie das Wesentliche: befreundeten Familie Hülsmann auf, daß es dem Künstler um den einheitli- die ihn finanziell unterstützte. Es war chen Gesamteindruck ging. Ein histo- seit seinem Weggang aus Münster der risierender Rahmen konnte zu seinen erste westfälische Malaufenthalt. Bildern nicht passen. Dazu kam bei Pankok eine persönliche Vorliebe, et- Unser Bild könnte den Mumbecker was einzufassen, abzugrenzen gegen Bach zeigen, der die Mühle von Klos- außen. [...] Die frühen Rahmen Pan- ter Marienvrede nährte, die man im koks waren wie seine Möbel oft aus Hintergrund erahnt. Die mit einer Wassereiche oder Mahagoni. Nach Schürze bekleidete Frau steht am 1900 traten auch vergoldete Rahmen Bachrand unter frühherbstlich ver- auf, entweder im ganzen geschnitzt in färbten Laubbäumen, offensichtlich amorphen Formen [...] oder mit klei- die zwei Enten oder Gänse im Wasser nen, gefrästen Einbuchtungen.“2 beobachtend. Typisch für Pankoks frühe Bilder sind diese mit wenigen Pinselstrichen gemalten Staffagefigu- ren.

Pankok nahm „eine Einladung der Lehrerfamilie Hülsmann in Dingden bei Bocholt an, die ihm im Herbst gastliche Aufnahme gewährte. Die heimatliche Landschaft und der menschliche Kontakt ließen noch ein- mal in diesem Jahr eine Fülle von Ar- beiten entstehen, darunter acht Land- schaften mit Staffagefiguren“1

1 Bernhard Pankok. Katalog der Ausstel- lung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart 1973. S. 254 2 siehe Anm. 1., S. 132

102 103 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Ohne Titel (Westfälische Landschaft).

Bleistift auf Bütten, mit Bleistift sig- des Jugendstil an sich entgegenge- niert und datiert, 19.10.1893. 32 : 16 setzt sind.“ 2 cm. „Pankok verbrachte im Frühjahr und Provenienz: Nachlaß Bernhard Pan- Sommer 1893 ungewöhnlich viel Zeit kok; Privatsammlung Westfalen. zeichnend und malend im Freien. Damals entstanden seine schönsten Während des 1892 begonnenen Studi- Bleistiftmalereien, die sich vor allem ums in München hielt sich Pankok in in einem kleinen Skizzenbuch erhalten den Sommermonaten in Münster auf haben. Ungemein malerische, gera- und zeichnete vor der Natur. dezu ‚farbige‘ Blätter [...] halten [...] landschaftliche Motive aus der Um- „Die Bleistiftzeichnungen aus den gebung fest.“3 Jahren 1892/93 besitzen besonderen Wert. Sie sind lebhaft und frisch, in stetem Wechsel von Hell und Dunkel, und zeigen die Lebendigkeit, mit wel- cher der Zeichner die Welt um sich beobachtete. Verglichen mit Pankoks früheren Werken und der Malerei an- derer deutscher Künstler jener Zeit, haben diese Zeichnungen als eine der ersten Leistungen des deutschen Im- pressionismus zu gelten. Pankok schuf sie nahezu unbeeinflußt und selbstän- dig. In diesen Zeichnungen, welche in seinem Lebenswerk seltsam isoliert dastehen, lebt zugleich ein Gefühl für knappe Form und Vereinfachung, das sich im allgemeinen erst kurz vor Kriegsausbruch in der deutschen Kunst durchzusetzen begann.“ 1 „Fast alle Zeichnungen Pankoks stammen aus dem Jahrzehnt zwischen 1890 und 1900. In dieser Zeit, beson- ders im Jahr 1893, hielt er mit dem Bleistift Eindrücke seiner Umgebung in kleinen impressionistischen Szenen fest.[...] Landschaften zeichnete er in Westfalen und auf seinen Italienrei- sen, zum Teil als Skizzen, zum Teil aus Vorlagen für Druckgraphik. [...] Die Zeichnungen leben von ihrer tonigen malerischen Qualität. Es ist viel At- mosphäre und Tiefe in ihnen, beides 2 Bernhard Pankok. Katalog der Ausstel- Eigenschaften, die den Stilmerkmalen lung des Württembergischen Landesmuseums Stuttgart 1973. S. 184 1 Büddemann, Werner, Bernard Pankok. In: Das schöne Münster. 4. Jahrgang. 15. Mai 1932. 3 siehe Anm. 2, S. 253 Heft 10, S. 138 f.

104 105 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Ohne Titel (Eiche bei Haus Langen).

Bleistift auf Bütten, mit Bleistift si- einem feinen, hartem Auftrag bis zu gniert und datiert, 24.9.1895. 33,6 : einem weichen, malerischen Duktus, 25,2 cm (Blattformat). der die Papierstruktur deutlich zum Vorschein bringt. In sich ist die Schraf- Provenienz: Nachlaß Bernhard Pan- fur geprägt durch Kombinationen von kok; Privatsammlung Westfalen. horizontalen, schrägen und vertika- len Strichlagen, die zum Beispiel den Während des 1892 begonnenen Studi- dunklen Flächen des Baumlaubwerks ums in München hielt sich Pankok in eine lebhafte Binnenstruktur mit plas- den Sommermonaten in Münster auf tischer Wirkung verleihen. So kommt und zeichnete vor der Natur. Er zeich- Pankok durch die verschiedenartige net vornehmlich in der Gegend um Handhabung des Bleistifts auch in Haus Langen und Westbevern. seinen Zeichnungen der malerischen Ausdruckskraft seiner Ölbilder nahe Vorliegende Zeichnung könnte im Kon- und setzt sich in der Verwendung von text mit der 1904 entstandenen Radie- Raumtiefe und Atmosphäre von den rung „Die große Eiche mit Kuherde“ damals in der Graphik vorherrschen- stehen, zu der er schon am 24.8.1895 den Charakteristika ab.“2 eine Zeichnung schuf (Staatliche Gra- Das Landesmuseum in Münster be- phische Sammlung München). Pankok sitzt eine am selben Tag entstandene zeigt hier „eine Vorliebe für schlichte Zeichnung „Holzbrücke im Wiesen- Naturausschnitte, wobei er gern ein- tal“ (Inv.Nr. K 22-36 KdZ 45). Zu zelne kräftige Bäume abbildet, von sehen ist ein krumm gewachsener den aufgrund ihrer eigentümlichen Baum hinter einer Holzbrücke: „Das Licht- und Schattengebung eine de- Motiv findet sich in Pankoks Graphik korative Wirkung ausgeht. Es sind wie Gemälden. Der hohe graphische Bäume von üppiger und wegen ihres Reiz dieses Blattes beruht in der nur Freistandes weit am Stamm herunter- sparsam angedeuteten Landschaft, in reichender Belaubung.“1 Kompositi- die in bizarren Gekräusel ein großer onell ist auch in unserer Zeichnung Baum gesetzt ist, der friesartig von bereits die vom oberen Bildrand ab- den kugeligen Bäumen am Horizont geschnittene Baumkrone vorhanden, gerahmt ist.“ 3 ebenso der den Hintergrund bildende Waldrand. „Bäume scheinen allgemein ein bevorzugtes Motiv in seiner Land- schaftskunst zu sein, denn in der Ma- lerei wie auch in der Graphik werden sie häufig als einzelne, bildbestim- mende Erscheinungen dargestellt oder als Gruppe im Hintergrund in seine Kompositionen einbezogen. [...] In der Strichführung und Strichbreite zeigt Pankok sich im Gegensatz zur kontrastbetonten Tönung sehr vari- 2 Denhardt, Annette, Die Landschaft als antenreich. Der Spielraum reicht von Thema im Werk Pankoks. In: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Müns- 1 Denhardt, Annette, Die Landschaft als ter 1986. S. 153 f. Thema im Werk Pankoks. In: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Müns- 3 Bernhard Pankok. Katalog der Ausstel- ter 1986. S. 159 lung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 317

106 107 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Ohne Titel (Beverlandschaft mit Kühen).

Bleistift auf Bütten, mit Bleistift sig- der Hitze barg, im Bilde festzuhal- niert und datiert, 10.9.1895. 30,3 : ten, oder auch einen kleinen Fluß zu 24,7 cm (Blattformat). skizzieren, der fast im Lauf der Jahr- hunderte ein tiefes Bett mit breiten Provenienz: Nachlaß Bernhard Pan- gebüschbestandenen Böschungen in kok; Privatsammlung Westfalen. ihnen gegraben hatte.“ 1

Ausstellungen: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfäli- schen Landesmuseum Münster 1986. Katalog-Nummer 141 (mit Abbil- dung): „In lockerem freien Duktus zeigt das bemerkenswerte Blatt Pan- koks Vorliebe für die Auflösung der Landschaft in ‚Bildmuster‘. Hier ist der kugelig-krause große Baum ef- fektvoll neben die glatten, schrägen Strichlagen des Bodens gesetzt.“

Mit gezeichneter Remarque eines kleinen Hundes.

„Nimmt man dazu als Wahrzeichen des Landes die üppigen, scheinbar dem eigenen Wildwuchs überlassenen Wallhecken, die die sorgsam bebauten Äcker voneinander trennen wie die Sonn- und Feiertage die Arbeitswo- chen, und achtet schließlich noch auf die schilfigen ‚Kolke‘ an den Wasser- mühlen, auf deren tiefem Grund der Kinderschreck der ‚Bömann‘ lauert, so hat man einige der Eindrücke bei- sammen, die die unverwechselbare Eigenheit dieses Landstrichs ausma- chen. Hierhin zog es den Maler, wenn der Sommer kam, solange er noch ledig und damit besonders beweglich war, immer wieder mit Gewalt. Er lebte dann wohl in ‚Haus Langen‘, nicht weit von Westbevern, wo er die typisch westfälische Landschaft genoß und mit seinem Freunde Cop- penrath den ganzen Tag, ein frugales Mahl in der Tasche, mit Leinwand, Pinsel und Farben herumstreifte, um die mit schweren Ästen über die Wei- 1 Schücking, Levin Ludwig, Erinnerungen den wuchtenden Eichen, in deren fast an Bernhard Pankok. In: Westfalen. Hefte für Geschich- te, Kunst und Volkskunde. 52. Band, Heft 1-4. Münster schwarzem Schatten sich das Vieh vor 1974. S. 105

108 109 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Ohne Titel (Westfälische Landschaft mit Bauernhöfen).

Kohlezeichnung auf Bütten, mit Koh- le monogrammiert und datiert, 1898. 32,5 : 36,5 cm (Blattformat).

Provenienz: Nachlaß Bernhard Pan- kok; Privatsammlung Westfalen.

„Die Mehrzahl von Pankoks Zeich- nungen entstand während seiner Stu- dien Anfang der 90er Jahre und seiner Jugendstilzeit. Besonderes künstleri- sches Gewicht besitzt die kleine Grup- pe impressionistischer Skizzenbücher und die Reihe schöner westfälischer Landschaftszeichnungen dekorativen Charakters. Aus der Zeit um und nach 1900 haben sich nur wenige Blätter erhalten, Pankok zeichnet seltener, will man die spätimpressionistischen, Slevogt ähnelnden, spritzigen Feder- lithos der 20er und 30er Jahre nicht dazurechnen.“ 1

Nach Pankoks Übersiedlung nach Stuttgart 1902 kam er nur noch selten ins Münsterland und fand wohl auch keine Zeit mehr zu zeichnen.

1 Thamer, Jutta, Natur und Phantasie. Das graphische Werk Bernhard Pankoks. In: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. S. 178

110 111 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Ohne Titel (Italienische Landschaft).

Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert, wohl April 1900. 28,8 : 39,8 cm.

Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.

Mittig ehemals gefalzt.

Ausstellungen: Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuseum Münster 1986. Katalognum- mer 147 (mit Abbildung): „Das Blatt zeigt eine Landschaft am Gardasee und entstand während Pankoks Reise nach Italien 1900. Es ist die Vorzeichnung für die Landschaft in der Radierung ‚Vagabunden‘.“

112 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Ohne Titel (Landschaft am Gardasee).

Bleistift auf Bütten, mit Bleistift signiert und datiert, April 1900. 19 : 27,5 cm.

Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.

Ab 1898 zeichnete Pankok fast ausschließlich während seiner Italienreisen.

113 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Haus Langen, Mühle.

Aquatintaradierung mit vernis mou auf Bütten, mit Bleistift signiert und als „2. Zustand“ bezeichnet, ebenfalls vom Drucker Wetteroth, München signiert, in der Platte signiert und datiert, 1902. 20,6 : 14 cm. Im orginal Nussbaum-Rahmen des Künstlers (bis auf eine kleine Beschädigung perfekt erhalten).

Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.

„Die Wassermühle, die von dem Volumen des Baumes überlagert wird, ist [...] in eine stimmungsvolle Landschaftsdarstel- lung eingebunden. Die [...] dämmerige Stimmung wird zum einen durch denbeigen Plattenton erreicht, zum anderen durch die Flächenkontraste zwischen den dunkleren Bäumen, dem düsteren Himmel und den wie ein heller Fleck hervortretenden Gebäuden. Durch das abwechslungsreiche, rhythmische Lichtspiel wird zugleich die Tiefenräumlichkeit betont. Dem dunk- len Baum und der grauen Wiese folgen die hellen Gebäude, hinterfangen wiederum von dunklen Baumwipfeln, aus denen deutlich das hellere Dach des Hauses Langen hervorragt. Von der Technik her zeigt Pankok in diesem Blatt sehr deutlich sein Interesse an der Verschmelzung verschiedener graphischer Verfahren. Die Wiesen und das in ähnlicher Tonigkeit erscheinende Dach des Hauses Langen sind in Weichgrundätzung ausgeführt, wobei die graue Untergrundfläche ihre Be- lebung durch die schwärzlichen Punkte und Liniengebilde erhält. Der dunkle Baum am rechten Bildrand und die Hinter- grundbäume hingegen wurden in Aquatintamanier geätzt, unter zusätzlicher Verwendung von Schabeisen und Roulette. Die hellen Mühlengebäude sind in normaler Radiertechnik angelegt.“ 1

1 Bernhard Pankok - Münster und das Münsterland. Katalog der Ausstellung im Stadtmuseum Münster 1987. S. 70

114 Bernhard Pankok (Münster 1872 - 1943 Baierbrunn)

Weide (Kühe) am Wasser.

Kaltnadelradierung mit Roulette auf Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, in der Platte signiert, um 1920. 13,8 : 20,6 cm.

3. von 100 Exemplaren.

Provenienz: Nachlaß Bernhard Pankok; Privatsammlung Westfalen.

Das Landesmuseum Münster besitzt einen Zustandsdruck des Blattes (Inv.-Nr. K 16-14): „Eines der späteren Blätter der westfälischen Landschaft in freierem Duktus.“ (Bernhard Pankok. Katalog der Ausstellung im Westfälischen Landesmuse- um Münster 1986. S. 333)

115 Max Pechstein (Zwickau 1881 - 1955 Berlin)

Der Tanz (Tanzende und Badende am Waldsee) (recto) - Mutter mit Kind (verso)

Recto: Handaquarellierte Lithogra- heißt Vorder- und Hintergrund wer- Zur Zeichnung: phie (kein Schablonenkolorit) auf den übereinander gestaffelt. Rhyth- festem Papier, mit Bleistift signiert, mus und Bewegung dominieren in der Das Mutter-Kind-Motiv bei Pechstein datiert und bezeichnet „54“, 1912. 54 Darstellung. Ihren besonderen Reiz nimmt häufig seine Frau Lotte und : 40 cm (Blattgröße). erhält die Lithographie durch die von den 1913 geborenen Sohn Frank als Hand aufgetragene Farbigkeit: ein Vorbild. Für die Südseereise 1914 Werkverzeichnis: Krüger L 149. kräftiges Grün und ein zartes Blau. hatte man eine zweijährige Trennung Das Blatt ist neben der Anspielung vom Sohn in Kauf genommen. Eines von ca. 100 nummerierten Ex- auf Pechsteins Phase französischen emplaren für die VII. Jahresmappe Einflusses auch eine Reminiszenz an Die nach der Südseereise entstande- der Brücke, 1912. die gemeinsamen Sommeraufenthalte nen Zeichnungen gelten als ein wei- mit Kirchner und Heckel an den Mo- terer Höhepunkt in Pechsteins Schaf- Bis auf kleinere Altersspuren sehr ritzburger Teichen.“ 1 fen. schön und farbfrisch erhalten. Im Gegensatz zu anderen uns bekannten „Der Mensch in der Natur ist auch „Es gelang ihm, den besonderen Exemplaren sehr fein ausgeführtes das Thema der Lithographie >Tan- Charakter einer Landschaft zu insze- Aquarell. zende um den Waldteich<. Mit ex- nieren, ihre Vegetation und Licht und pressiver Gestik umrunden die Tan- Dunkel in eine eigene Dynamik zu Die graphischen Beiträge für die Jah- zenden dynamisch den Teich. Im versetzen. Aus fahrig angelegten Lini- resmappen der Brücke gelten als Hö- Zentrum stehen dabei ihre Energie en entstehen Räume und Landschaf- hepunkte der deutschen Druckgraphik und Bewegung. Die Darstellung wirkt ten, Figuren. Betonte Details lassen des Expressionismus! dekorativer und spielerischer als der ein räumliches Umfeld ahnen: glatte, von monumentaler Schwere geprägte großzügig gezogene Liniensysteme Verso: Tuschfeder- und pinselzeich- Holzschnitt >Kähne< aus dem glei- mindern die Kargheit, ja Härte ande- nung, mit Bleistift monogrammiert chen Jahr. Die flächige Komposition rer Zeichen und Kürzel. Gerade in der und datiert, 1919. und die Ornamentik der tanzenden Zeichnung und Druckgraphik findet Körper scheinen darüber hinaus an er wiederum adäquate Medien. Ob Bei einigen Exemplaren der Graphik die Malerei von Henri Matisse an- es der kantig-kraftvolle Rohrfeder- hat Pechstein später auf der Rückseite zuknüpfen, dessen Arbeiten 1908 im strich oder die flüchtig-heftige Geste gezeichnet. Kunstsalon der Fauvisten in Dresden des Tuschpinsels ist - Zagen und Zö- und im Jahr darauf in Berlin ausge- gern erlauben beide Techniken, die Provenienz: Privatsammlung Pfalz stellt worden waren. 1909 malte Ma- er souverän beherrschte, nicht. [...] tisse sein berühmtes Gemälde ‚Der Diese mit einem spröden Pinsel die Zur Lithographie: Tanz‘ (Museum of Modern Art, New wesentlichen Konturen lapidar um- York), dessen Komposition mit kreis- reißenden und sicher lavierten Blätter „Seit 1906 verteilte die >Brücke< förmig Tanzenden Pechstein als Vor- bilden einen Gipfelpunkt des zeichne- jährlich eine Mappe mit Original- bild diente.“ 2 rischen Werkes. Das Gegenständliche graphiken an ihre passiven Mitglie- ist gleichsam in den Urformen erfaßt der. Die Jahresmappe 1912, deren und die Bewegungen und Gebärden Umschlag von Otto Mueller gestaltet der Dargestellten sind so untrüglich wurde, enthielt einen Holzschnitt ‚Fi- bestimmt, daß die Frage nach stilisti- scherkop‘, eine Radierung ‚Russisches schen Merkmalen gar nicht auftaucht. Ballett‘ und die vorliegende hand- Hier ist die stärkste Aussage mit den kolorierte Lithographie. Da jedoch geringsten Mitteln erzielt und die er- Pechstein wegen interner Differenzen strebte Identität von Kunst und Leben 1912 aus der ‚Brücke‘ ausschied, kam 1 Moeller, Magdalena M., Brücke-Museum tatsächlich erreicht worden.“ 3 Berlin. Die Sammlung. München 2010. Nr. 249 die Mappe nicht mehr zur Verteilung. In der vorliegenden Darstellung 2 Hans, Henrike, Fremde Schönheit. August Macke und die Künstler der Brücke auf Reisen. kommt Pechsteins dekoratives Talent Kunsthalle Bremen - Der Kunstverein in Bremen. Kata- zum Ausdruck. [...] Die Komposition loge des Kupferstichkabinetts 4. Bremen 2014. S. 40 3 Schilling, Jürgen, Max Pechstein. Bönen 1989. S. 22 ist ganz in der Fläche angelegt, das

116 117 Max Pechstein (Zwickau1881 - 1955 Berlin)

Am Ufer.

Kaltnadelradierung mit Riffelfeile „Wie an Pechsteins Aktdarstellungen nisses war verbunden mit der Suche und Pinselätzung auf , mit Bleistift der Jahre 1906 bis 1920 ersichtlich nach einer neuen Ästhetik.“ 1 signiert, 1920. 20,5 : 26,5 cm auf 31 wird, suchte er die unmittelbare Er- : 41 cm. fassung des Aktes und die ästhetische Werkverzeichnis: Krüger R 116. Aus Bildreflexion mit einer umfassenden der Auflage von insgesamt 125 Exem- Befragung der Bildtradition zu ver- plaren für die Mappe „Die Schaffen- einbaren. Über das Zeichnen des den“, 3. Jahrgang, 1. Mappe. ruhenden sowie des bewegten Aktes gelangte er schließlich zur Darstel- Provenienz: Privatsammlung Pfalz lung der Badenden im Freien. Aus der Erfassung der Akte sprach stets sein persönliches Empfindungserlebnis. Die Formwerdung des inneren Erleb-

1 Buschhoff-Leineweber, Studien zum gra- phischen Werk von Max Pechstein (1905-1921). Bremen 2004. S. 90

Max Pechstein (Zwickau1881 - 1955 Berlin)

Nach dem Bad.

Kaltnadelradierung auf Bütten, mit „Gustave Courbet griff auf die Na- Körper in ungezwungener Bewegung Bleistift signiert, 1920. 26,5 : 21,8 türlichkeit des weiblichen Körpers zu studieren. Während Badende in der cm auf 42 : 31 cm. zurück und stellte eine korpulente traditionellen Malerei häufig eroti- Nackte in den Wald, Edgar Degas be- sche Arrangements zu krönen hatten, Aus der 1. Mappe des IV. Jahrgangs freite sich ebenfalls von Mythologie dienten sie bei den Expressionisten der „Schaffenden“ 1922/23, mit dem und Akademielehre und machte das [...] primär einer Umsetzung erotisch Blindstempel der „Schaffenden“. Studium des unbekleideten Körpers vitaler Energien. Bei den ‚Brücke‘- Eins von 100 Exemplaren (Gesamtau- im Interieur zum Dauerthema, Paul Künstlern diente das Bildmotiv nicht flage 125). Cézanne stellte unzählige Akte in die mehr als Vorwand, sondern als Aus- Werkverzeichnis: Krüger R 118. Söhn freie Natur - um sich mit einer künst- druck eines Lebensgefühls, als be- HDO 72709-8. lerischen Fantasie neue malerisch- wusstes Ergebnis direkten künstle- formale Wege zu ebnen. Die ‚Brücke‘- rischen Vorgehens in der Natur. Die In der rechten unteren Ecke sehr leicht Maler setzten solche künstlerischen mythologische Schaumgeburt der Ve- knittrig. Errungenschaften nach der Jahrhun- nus scheint sich bei ihnen erstmals an dertwende fort, indem sie in die Na- geographisch lokalisierbaren Strän- Provenienz: Privatsammlung Pfalz tur gingen, um während des Badevor- den zu bewahrheiten.“1 gangs eigene Modelle zu erleben und

1 Peterlein, Nicole, Ursprünge und Tradi- tionen des Badenden-Sujets. In: Die Badenden. Mensch und Natur im Expressionismus. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld 2000. S. 89

118 119 Max Pechstein (Zwickau1881 - 1955 Berlin)

Ein Friese.

Kaltnadelradierung auf Bütten, mit mit seinem seltsam leeren, nach innen Bleistift signiert und datiert, 1923. gerichteten Blick fesselt und verstört. 24,5 : 17,8 cm auf 33,4 : 24,7 cm. El Greco reagierte mit dieser Art der Werkverzeichnis: Krüger R 133 Darstellung sensibel auf die Taubheit (1922). seines Freundes. Junge Expressionis- ten aber entdeckten in diesen Quali- Eins von 100 Exemplaren auf Bütten täten ein ‚Seelenbildnis‘ [...]. Mit der (dazu 10 auf Japan) für die Mappe Vernachlässigung von Äußerlichkei- „Acht Original-Radierungen“, er- ten zugunsten der Konzentration auf schienen 1923 im Propyläen-Verlag, das verborgene Wesen des Menschen Berlin. öffnete sich hier im Blick der begin- nenden Moderne das Porträt als Vi- Bis auf sehr leichten Lichtrand durch sualisierung psychologischer Befind- das ehemalige Passepartout hervorra- lichkeiten [...].“1 gend erhaltener, differenzierter Abzug mit sehr samtigem Grat.

Trotz der Auflagenhöhe nicht häufig!

Provenienz: Privatsammlung Süd- deutschland

Ein betagtes Gesicht vor einem irrea- len Hintergrund und ein melancholi- scher Blick erinnern an Bilder El Gre- cos, wie das Bildnis des Antonio de Covarrubias, das Pechstein bei seiner Parisreise 1907/08 im Louvre gese- hen haben könnte, einem Zeitpunkt, in dem die deutsche Kunstgeschichte Cézanne als den unmittelbaren Nach- folger El Grecos entdeckt.

„Das Brustbild des Covarrubias er- scheint vor leerem, rötlich-braunem Grund. Der Körper ist stilisiert zu einer sockelartigen Hülse, aus der der helle Kopf herauswächst, einge- bettet in den weiß leuchtenden Kra- gen. Stärker noch als die verhärten- de Entkörperlichung befremdet das schmale Gesicht mit seinen Asym- metrien. Der Mund ist leicht aus der Mitte verschoben, ein Auge geöffnet, das andere verschwindet hinter dem hängenden Lid. Markante Nase und El Greco alterschmale Lippen unter einem fein Bildnis des Antonio de Covarrubias 1 Schroeder, Veronika, El Greco im Blick Öl auf Leinwand um 1600 gestutzten Bart vervollständigen das junger Expressionisten. In: Wismer, Beat und Michael Musée du Louvre, Paris hagere Gesicht des alten Herren, der Scholz-Hänsel, Hrsg., El Greco und die Moderne. Kata- log der Ausstellung im Museum Kunstpalast Düsseldorf 2012. S. 238 f.

120 121 Georg Karl Pfahler (1926 - Emetzheim, heute Weißenburg/Bayern - 2002)

Ohne Titel (Blau-Rot-Komposition; Farbform).

Gouache auf Papier, signiert und da- tiert, 1962. 51 : 64,5 cm.

Provenienz: Privatsammlung Westfa- len

„Die Kunst Georg Karl Pfahlers ver- gegenwärtig elementare Eigenschaf- ten unserer Wahrnehmung und ist ohne jede figürliche Abbildung der Realität ganz nahe: Es geht um die Räumlichkeit der Farbe. Um 1960 entwickelte sich Pfahler weg vom In- formel und fand über seine >formati- ven< Bilder, die mit ihren schweren, sich ausbreitenden Schwarzformen auf den Einfluss Willi Baumeisters und seiner Montaru-Serie zurückgehen, zur Hardedge, einer Farbfeldmalerei von klar umrissenen Formflächen. Den Strukturen Baumeister gegen- über wirken die Farbformen Pfahlers jedoch von vornherein räumlicher: Seriell - auch hier war Baumeister durchaus vorbildhaft - und in für die deutsche Nachkriegsmalerei unge- wöhnlich großen Formaten erforschte Pfahler die plastische Kraft der Far- be, die der Form immer übergeordnet bleibt..“1

1 Land auf, Land ab. Karlsruhe und Stutt- gart im Kaleidoskop der Sammlung Würth. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Würth, Schwäbisch Hall 2004. S. 172

122 123 Pablo Picasso (Málaga 1881 - 1973 Mougins)

Trois nus debout, avec esquisses de visages (Drei stehende Akte, mit Kopfstudien).

Kaltnadelradierung auf Japanpapier, genes Licht und imitiert es nicht< (Pi- mit rotem Buntstift signiert, 1927. casso im Gespräch mit Daniel Henry 19,5 : 28 cm auf 25 : 33 cm. Kahnweiler am 2.10.1933).“1 Werkverzeichisse: Baer 131 c. Bloch 90.

Eins von 65 Exemplaren auf diesem Papier, von denen etwa 12 zu einem späteren Zeitpunkt signiert wurden, da sie für eine Suite auf Japanpapier vorgesehen waren, die jedoch nicht realisiert wurde.

Abzug von der verstählten und facet- tierten Platte neben der 1931 erschie- nenen Sonderedition von 13 Blättern aus „Le chef-d‘oeuvre inconnu“ von Balzac (Blatt IX), die in 99 + 8 Ex- emplaren gedruckt wurde (dazu noch 6 Probeabzüge). Das eigentliche Buch wurde in 340 Exemplaren auf unter- schiedlichen Papieren gedruckt.

Provenienz: Privatsammlung Rhein- land.

„Bei der Stilisierung des (weiblichen) Körpers zur Schönheit einer Figur folgte Picasso insbesondere dem Bei- spiel von Jean-Auguste-Dominique Ingres und seinem ‚Türkischen Bad‘, Jean-Auguste-Dominique Ingres, Das türkische Bad. Öl auf Leinwand 1863. Musée du Louvre, Paris einem Bild, das Schönheit bereits im Plural, in der Vielfalt ihrer möglichen Erscheinungsformen präsentiert. [...] Picasso näherte sich einer Tradition [...] nur versuchsweise an, ohne sich von ihr vereinnahmen lassen zu wol- len. Er betonte die Virtuosität seiner zeichnenden Hand, die im kontrollier- ten Duktus eine Autonomie der Linie erlangt. Den klassizistischen Umriß- zeichnungen John Flaxmans ähnlich, beansprucht auch Picassos Linienfüh- rung einen künstlerischen Eigenwert: >Nur die Linienzeichnung vermeidet 1 Dickel, Hans, Pablo Picassos >Suite es, imitativ zu sein [...] sie hat ihr ei- Vollard< und die Kunst des Klassizismus. In: Mil- denberg, Hermann, Hans Dickel und Uwe Fleckner, Arkadische Welten. Pablo Picasso und die Kunst des Klassizismus. Katalog der Ausstellung im Schloßmuse- um Weimar 2003. S. 20 f.

124 125 Pablo Picasso (Málaga 1880 - 1973 Mougins)

Paris 14. juillet 1942 (L‘homme au mouton) / Paris 14. Juli 1942 (Mann mit dem Schaf).

Lithographie von der Zinkplatte, Um- Geschehnisse, den mit ihm befreunde- jekt nicht weiter, nachdem etwa drei druck einer Radierung auf Zink, ge- ten Photographen Brassai. Die Angrif- bis fünf Abzüge der Lithographie ge- druckt auf Vélin d‘arches (mit Wasser- fe, denen sich Picasso schon vor dem macht wurden.“3 zeichen), in der Platte betitelt „Paris Krieg ausgesetzt sah, steigerten sich 14 juillet 42“ um 1945. 45 : 64 cm auf in den Kriegsjahren immer mehr. Im Das Blatt besticht durch seine klaren 50,5 : 66 cm. Zuge dessen wurde sein künstlerisches Linien und dem gekonnten Einsatz Werk immer häufiger in eine direkte derselben, um Kontraste zu schaf- Auflage: Von der Radierung gibt es Verbindung zum Judentum gerückt. fen. Vergleicht man die unterschied- fünf Zustände, von der Lithographie Noch bis in die letzten Tage der deut- lichen Zustände so gewinnt die reine diesen Einen. Keine Auflage, kein si- schen Besatzung hieß es:>Picasso, Zeichnung immer mehr an Bedeutung gniertes Exemplar; Die Radierungen das ist der jüdische Wahnsinn.< [...] und alle ablenkenden Faktoren wer- wie die Lithographie in sehr kleiner Die bestehende Gefahr, ins Räderwerk den eliminiert, so dass das vorliegende Zahl gedruckt. der anlaufenden >Endlösung der Ju- Blatt zu den beeindruckendsten dieser denfrage< zu geraten, steigerte sich Folge gehört. Werkverzeichnisse: Nicht bei Bloch, für Picasso noch zusätzlich, als es der nicht bei Mourlot; Baer 682 V + Note Besatzungsmacht nicht länger verbor- Françoise Gilot schrieb 1964 über (kennt 2, vermutet 3 Abzüge), Rau 30 gen blieb, dass er enge Verbindungen dieses Blatt: „Ich sah den >Mann A; Reusse 33. zur Résistance unterhielt und dabei mit dem Schaf< erstmals als Gipsab- selbst den Widerstand aktiv unterstütz- guß der ursprünglichen Tonfigur. Bei Von prächtiger Erhaltung! te. Aufgrund derartiger Umstände ge- einem meiner ersten Besuche in der schah es, dass Picasso intensiv von der Rue des Grands-Augustins hatte Pa- Provenienz: Privatsammlung Westfa- Besatzungsmacht überwacht wurde: In blo mir erzählt, daß die Idee dazu len regelmäßigen Abständen wurden seine schon seit langem in ihm gearbeitet Wohnung und sein Atelier durchsucht. habe. Er zeigte mir Skizzen und auch Diese bedeutende und technisch an- Die dabei gewonnenen Erkenntnisse die Radierung eines Frieses, einer spruchsvolle Graphik ist gleichsam gingen in die von der Gestapo fortge- Familie, die sich um den Mann, der ein politisches Programmbild. Am führte Akte über Picasso ein. Außer- ein Schaf trug, gruppierte. >Wenn ich französischen Nationalfeiertag, der dem wurden Spitzel auf ihn und seine eine solche Folge von Zeichnungen 1942 nicht gefeiert werden durfte, ent- Umgebung angesetzt, wobei Picasso mache<, erklärte Pablo, >weiß ich standen, stehen die Dargestellten für konkret fürchtete, dass man ihm belas- nicht, ob es nur bei den Zeichnungen den Frieden und die Freiheit. Hierbei tende Dokumente unterschieben könn- bleibt oder ob eine Radierung oder Li- ließ sich Picasso von Reliefs der „Ara te, welche die Gestapo bei ihrer nächs- thographie daraus entsteht oder sogar Pacis Augustae“ - eines Tempels zu ten Durchsuchung als Beweismaterial eine Skulptur. Aber als ich schließlich Ehren der durch Augustus gesicherten verwenden könnte.“2 diese Figur des Mannes mit dem Schaf Friedenszeit zwischen 13 und 9 v. Chr. in der Mitte des Frieses isoliert hat- in Rom inspirieren. 1 Zur Entstehungsgeschichte schreibt te, sah ich ihn im Relief und dann im Bühler: „Sie basiert auf einem Positiv- Raum, als Skulptur.<“4 Picasso schuf diese Graphik, während Abzug der gleichnamigen Radierung, er unter Ausstellungsverbot stand, von der auch nur einige Probeabzüge Die Bronze „Mann mit Schaf“ wurde Widerstandskämpfern der Résistance existieren. Picasso hatte seinen Litho- 1950 auf dem Marktplatz von Vallau- half, Repressalien durch die Gestapo graphen Fernand Mourlot (in dessen ris aufgestellt. fürchten mußte und von Frankreich Werkstatt er einen eigenen Arbeitsraum aus die Deportationen nach Auschwitz hatte) beauftragt, einen Umdruck auf begannen. „>Was, wenn sie mein Ate- lithographischen Zink zu machen, weil lier in Brand stecken?<, fragte Picasso er an dem Sujet als Lithographie wei- in großer Sorge angesichts derartiger terarbeiten wollte und die Radierplatte 3 Bühler, Andreas, Picassos Lithographie 1 Eine ausführliche Interpretation stammt selbst sich nicht mehr zur Weiterarbeit Paris 14. Juli 1942 und die Ara pacis Augustae. In: von Bühler, Andreas, Picassos Lithographie Paris 14. Juli eignete. Er verfolgte jedoch das Pro- Hachmeister, Heiner, Hrsg., Pablo Picasso, Paraphrasen 1942 und die Ara pacis Augustae. In: Hachmeister, Hei- und Variationen. Seltene Graphik. Münster 2004. S. 11 ner, Hrsg., Pablo Picasso, Paraphrasen und Variationen. 2 Klepsch, Michael Carlo, Picasso und der 4 Gilot, Françoise, Carlton Lake, Leben mit Seltene Graphik. Münster 2004. Nationalsozialismus. Düsseldorf 2007. S. 175 f. Picasso. Zürich, Diogenes, 1980. S. 262.

126 127 Pablo Picasso (Málaga 1880 - 1973 Mougins)

Le départ / Der Aufbruch.

Folge von 6 Zustandsdrucken. der Zinkplatte vom 12. März in dunklem die Hände nach ihm aus. Links und rechts Ocker und des Steins vom 21. Mai in sind drei Figuren angebracht: eine Frau, Zustand I: Lavierte Pinsellithographie mit schwarz auf ockerfarbenem Grund“); vgl. vermutlich eine Gesellschafterin, mit offe- Feder und Schaber in SCHWARZ von der Rau 532 (datiert auf 21.5.1951. „Schwarz: nem Buch; ein tonsurierter Mönch und ein Zinkplatte auf Vélin d‘arches (mit Was- unveränderte Platte von 531; Braun: un- sitzender Junge. Am 20. Mai 1951 hatte serzeichen), in der Platte seitenverkehrt veränderte Platte von 524; Ocker. Ton- Picasso die Platte für das Schwarz zum datiert, 12.3.1951. 34,7 : 43,8 cm auf 38 platte (Stein)“; vgl. Reuße 581 [hier: 16. zweitenmal völlig neu gezeichnet, diesmal : 56,5 cm. Auflage: 5 Abzüge in ROT für Zustand] (datiert in der Darstellung unten auf größerem Format, so daß die drei er- den Künstler (bisher ist nur 1 Abzug in links: 27.5.1951). Abzug außerhalb der wähnten Randfiguren noch untergebracht Schwarz bekannt gewesen: Reuße 566) Auflage von 5 Künstleremxemplaren. werden konnten, außerhalb des Drucks von der Platte mit dem Rot. Picassos Dar- Zustand III: Lavierte Feder- und Pinselli- Zustand IX: lavierte Feder- und Pinselli- stellungen von Rittern und Pagen können thographie von der Zinkplatte auf BFK- thographie von der Zinkplatte auf Vélin mit entsprechenden Holzschnitten von Lu- Rives-Vélin, in der Platte seitenverkehrt d‘Arches (mit Wasserzeichen), in der Plat- kas Cranach d. Ä. in Verbindung gebracht datiert, 25.4.1951. 35,5 : 43,5 cm auf 45,2 te seitenverkehrt datiert, 20. 5. 1951. 45,4 werden, auf denen Turniere zu sehen sind. : 56 cm. Mit Bleistift vers beschriftet: „2e : 55,8 cm auf 50 : 65,2 cm. Bloch 686; Picasso muß diese Blätter aufgrund seiner état“ „page 54“, recto: „G même réduction Mourlot 201; Rau 533 („Wie Picasso auf intensiven Auseinandersetzung mit dem que F. Les épreuves sont en répérage“. eine neue Platte zeichnete, so erweiterte Werk Cranachs gekannt haben. Vergleich- Nicht bei Bloch; Mourlot 201 (mit fal- er das Motiv um Gestalten am linken und bar ist die Wiedergabe von Ritter, Pferd schem Datum); Rau 526; Reuße 571 (hier rechten Rand der Komposition“; Reuße und Pagen, hier wie dort findet sich die als 6. Zustand). 582 [hier 17. Zustand]. gleiche ornamentale, kostbare Gestaltung Diese Fassung entstand auf einer neuen von Rüstung und Waffen. Abgesehen von Zinkplatte, auf die ein Abzug von der am Zustand X (endgültiger Zustand): Abzug in den formalen Anlehnungen hat Picasso 12. März angefertigten Platte übertragen vier Farben von 4 Platten auf ockerfarbe- auch etwas von der Stimmung der Bilder wurde. Abzug außerhalb der Auflage von nem Vélin d‘Arches (mit Wasserzeichen). Cranachs in seine Darstellungen übertra- 5 Künstlerexemplaren. 45 : 55,8 cm auf 54 : 64,8 cm. Am oberen gen“ 1 Rand kleiner Wasserrand, etwas gebräunt. Zustand V: 2 Farben: Schwarz und Ocker: Schaber und Sandpapier auf eingeschwärz- Provenienz: Collection Mourlot (sämtlich tem Stein mit Tonplatte auf BFK-Rives- recto mit dem Sammlungsstempel) (bis auf Vélin (mit Wasserzeichen), außerhalb (?) X); Privatsammlung Westfalen. des Steins seitenverkehrt datiert, 1. Mai 1951. 35,2 : 44,3 cm auf45 : 55,7 cm. „1950/51 erschien in einer Pariser Tages- Abzug außerhalb der Auflage von 5 Künst- zeitung ein Comicstrip, in dessen Mittel- lerexemplaren. Vgl. Bloch 686; vgl. Mour- punkt Ivanhoe stand, die Figur aus Walter lot 201; vgl. Rau 530 : „Ein Negativ-Abzug Scotts gleichnamigen, 1819 geschriebenen (Umkehrung von Schwarz und Weiß) oder Roman. Hierdurch inspiriert schuf Picas- ein Abzug in weiß wurde von der Zinkplat- so zahlreiche Zeichnungen von Rittern te der Fassung [Zustand 1] vorgenommen und Pagen. Im Januar und Februar 1951 und auf einen mit Tusche bedeckten neuen entstanden drei Lithographien ,Der klei- Stein abgeklatscht. Die aus dem schwar- ne Ritter‘ (M 198) und ,Der Ritter und der zen Grund herausgeschabte Zeichnung er- Page‘ (M 200) sowie auch ein Gemälde scheint im Druck weiß“; Reuße 578 [hier mit dem Titel ,Pagenspiele‘. In Anlehnung 13. Zustand]: „einziger bislang bekannter an das Gemälde begann Picasso am 12. Druck in dieser Farbigkeit“. März 1951 mit der Lithographie ,Der Auf- bruch‘, die er in zehn Zuständen verschie- Zustand VII: 3 Farben: Schwarz, Ocker, dener Farbe variieren sollte. Die Arbeit Gelb: Schaber, Sandpapier mit eingesc- erfolgte mit Pinsel, Feder und Schaber wärztem Stein auf sehr weißem BFK-Ri- auf Zinkplatten und auf Stein. Dargestellt ves-Vélin, außerhalb (?) des Steins seiten- ist wohl der Moment, in dem Ivanhoe zum verkehrt datiert, 1. Mai 1951. 35,2 : 44,2 Kreuzzug aufbricht. Der Ritter trägt eine cm auf 44,8 : 55,7 cm. Abzug außerhalb kostbare, ornamentale Rüstung, in der der Auflage von 5 Künstlerexemplaren. Hand hat er das Schild: sein Pferd ist reich Vgl. Bloch 686 (datiert 1-29. Mai 1951; gepanzert; hinter ihm sein Knappe mit der 1 Moeller, Madgalena M., Picasso. Druck- gedruckt in ocker und schwarz); Vgl. Lanze. Rowena, die Ivanhoe liebt, läßt ihn graphik, illustrierte Bücher, Zeichnungen, Collagen und Mourlot 201 („Abgezogen durch Druck nur ungern ziehen; vergebens streckt sie Gemälde aus dem Sprengel Museum Hannover. 1986. S. 218

128 129 Picasso, Pablo (Málaga 1881 - 1973 Mougins)

La répétition / Die Probe.

Kreidelithographie mit Frottage und Pinsel auf Vélin d‘Arches (mit Was- serzeichen), per Umdruckpapier um- gedruckt auf Stein, im Stein datiert, 21.2-26.2.54, 1954. 50,3 : 65,5 cm.

Werkverzeichnisse: Bloch 756; Mourlot 252: „Eine bemerkenswerte Komposition, die den Künstler lange beschäftigte. Die Übertragung gelang einwandfrei. Eine schlechte Über- tragung hätte mir kein Lob eingetra- gen“; Rau 592 :„Im Zentrum dieser Lithographien [zum Thema Maler und Modell] steht jedoch zweifellos Die Probe (Rau 592), ein Blatt, in dem die Alte, das Kind und drei Mädchen, der schon bekannte Personenkreis, einem tanzenden Paar zusehen und das über die Umrißzeichnung hinaus ein differenziertes Hell-Dunkel in die Darstellung einbezieht. Die Tanzende in der Mitte des Blattes hält eine Mas- ke vor ihr Gesicht. Auch hier dürfte sich der Schlüssel zum Verständnis dieser Lithographie in der zerbro- chenen Gemeinschaft mit Françoise Gilot finden lassen. Im Tanz stellt sich die Schwierigkeit einer tatsächlichen Begegnung der Geschlechter dar. Die Zuschauenden - das Kind, die Alte, die drei Mädchen - sind von der sich ihnen in diesem Tanz darstellenden Problematik noch nicht oder nicht mehr betroffen“.; Reuße 644.

Auflage: Einer von 5 Künstlerabzüge vor der Auflage von 50 signierten und nummerierten Exemplaren; Platte ab- geschliffen.

An den Rändern minimal gebräunt.

Provenienz: Privatsammlung Westfa- len

130 131 Pablo Picasso (Málaga 1880 - 1973 Mougins)

La pose habilée / Das bekleidete Modell.

Lavierte Pinsellithographie mit Fe- 1Der biographische Bezug - die Tren- der auf Vélin d‘Arches (mit Wasser- nung von Françoise Gilot und der zeichen) von der Zinkplatte, in der dadurch ausgelöste Gedanke an das Platte seitenverkehrt datiert, 19. und Alter - liegt auf der Hand. Im Febru- 26.3.54, 1954. 55,5 : 38,5 cm auf 65,5 ar und März 1954 setzt Picasso die : 49,7 cm. Maler- und Modell-Thematik in einer Reihe von Lithographien fort.“ 2 Werkverzeichnisse: Bloch 764; Mourlot 257; Rau 600; Reuße 651.

Auflage: Einer von 5 Künstlerabzüge vor der Auflage von 50 signierten und nummerierten Exemplaren; Platte ab- geschliffen.

Provenienz: Privatsammlung West- falen

„Im September 1953 verläßt Françoi- se Gilot Picasso und kehrt nach Paris zurück. In der Zeit vom 27. November 1953 bis zum 3. Februar 1954 zeich- net Picasso 180 Blätter, die zu einem wesentlichen Teil als Thema Maler und Modell variieren, das Picasso lange zuvor schon in den Illustratio- nen zu Balzacs Chef d‘oeuvre inconnu und in der Suite Vollard berührt hatte. In den schließlich in der Zeitschrift Verve publizierten Zeichnungen ist es vor allem die Gegenüberstellung eines alten Malers und eines jungen Mädchens, die Picasso beschäftigt. Gemeinsam ist diesen Blättern, daß sie den Maler stets im Augenblick der intensiven Anspannung zeigen, das Bild des Modells auf die Leinwand zu bringen. Staffelei und Leinwand tren- nen die auch durch die Kunst nicht- mehr überbrückbaren Welten: Hier das strahlend schöne Modell, dort der kurzsichtige, emsige, vielfach eit- le und akademische Gnom von Künst- ler, dessen Platz mitunter ein auf dem 1 Gallwitz, Klaus, Picasso Laureatus. Sein malerisches Werk seit 1945. Luzern und Frankfurt Hocker kauernder Affe einnimmt, der 1971, S. 162 sich auch sonst in die Szene mischt‘ 2 Rau, Bernd, Pablo Picasso, Die Litho- graphien. Stuttgart 1988, S. 28

132 133 Camille Pissarro (Charlotte-Amalie, Saint Thomas, Kleine Antillen 1830 - 1903 Paris)

Ohne Titel (Landschaft mit Pferdefuhrwerk in der Nähe von Pontoise, im Hintergrund die Oise; recto: Liebespaar unter Bäumen, dazu eine weitere Studie des Paares).

Kreidezeichnung, meist gewischt, mit nach dem Tod Pissarros, erschien, und Räumen, die schlicht als meister- Kreide signiert, um 1872/75. 22 : 29,5 stellte sich Cézanne als >Schüler von haft zu nennen ist.“ 2 cm. Pissarro< vor.“ 1

Provenienz: Privatsammlung Rhein- „Die späteren Zeichnungen wirken land, Galerie Beck & Eggeling, häufig wie Abbreviaturen, wie flüch- Düsseldorf; Privatsammlung Nord- tig notierte Skizzen, spontane Verge- deutschland. genwärtigungen von Situationen [...]. Sie zeugen von einer Sicherheit des Der Rand etwas unregelmäßig; stel- Strichs, von einer Präzision der Er- lenweise leichte Braunfleckchen. fassung von Personen, Bewegungen

1 Finckh, Gerhard, Hrsg., Camille Pissarro, der Vater des Impressionismus. Katalog der Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal 2 siehe Anm. 1, S. 201 2014/2015. S. 239

Camille Pissarro, Die verschneite Straße von Gisors nach Pontoise. Öl auf Leinwand 1872. Privatsammlung

Bei Ausbruch des französisch-preu- ßischen Krieges 1870 floh Pissarro mit seiner Familie von Louveciennes nach London. Hier studierte er die Werke von Turner und Constable, was seine eigene Kunst maßgeblich beeinflußte. „1872 zog Pissarro aber wieder nach Pontoise, wo er sich be- reits 1866 niedergelassen hatte. 1873 mietete Paul Cézanne im benachbar- ten Auvers-sur-Oise ein Haus, und von da an waren die beiden Freunde, die sich 1861 an der Académie Suisse kennengelernt hatten, nahezu unzer- trennlich. Seite an Seite malten sie die Landschaft des Oise-Tals rund um Pontoise und beeinflussten sich dabei gegenseitig maßgeblich. [...] Cézanne erklärte später: >Bis zu meinem 40. Lebensjahr habe ich mein Leben ver- geudet. Erst als ich Pissarro kennen- lernte, der so unermüdlich war, bin ich auf den Geschmack des Arbeitens gekommen<, und noch in einem Aus- verso stellungskatalog, der 1906, drei Jahre

134 135 Rudolf Riester (Waldkirch i. Br. 1904 - 1999 Freiburg i. Br.)

Arles.

Pastell auf Velin, signiert und datiert, 1929. 49 : 64 cm.

Provenienz: Nachlaß des Künstlers

1920 nach dem „Einjährigen“ kauf- ner Ausstellung „Junge Künstler“ Stipendium der Villa Massimo, Rom männische Ausbildung 1929 Reise nach Paris und Südfrank- Begegnung mit Werner Gilles 1921 Übersiedlung nach Freiburg im reich Ausstellung in der Böttcherstraße Bre- Breisgau 1930 erste Einzelausstellung in der men Aktzeichnen an der Universität Galerie Weber, Berlin 1937 von Rom aus Reise nach Grie- 1924 Studium an der Akademie der 1932 Sommer in Graubünden/Schweiz chenland Bildenden Künste in München (bei Beteiligung an der Winter-Ausstellung Beschlagnahme eines Bildes durch Karl Caspar) der Berliner Sezession die Reichskunstkammer im Freiburger 1925 Studium an den Vereinigten 1934 Ausstellung in der Galerie Gur- Augustinermuseum Staatsschulen für freie und angewand- litt, Berlin 1939 Bezug eines privaten Ateliers in te Kunst Berlin (bei Erich Wolfsfeld) 1935 Freundschaft mit Ludwig Rose- Berlin 1928 Meisteratelier bei Hans Meid lius, Bremen 1940 Ausstellungsbeteiligung in der Beteiligung an Paul Westheims Berli- 1936 Dürer-Preis der Stadt Nürnberg Galerie von der Heyde, Berlin

136 Rudolf Riester (Waldkirch i. Br. 1904 - 1999 Freiburg i. Br.)

Schwarzwaldtal II.

Aquarell auf schwerem Velin, mit Bleistift signiert und datiert, 1984. 40/40,8 : 58/59,1 cm. Werknummer 1402 (im Manuskript einer unvollständigen Weiterführung des Katalogs der Aquarelle von 1979). Rückseitig vom Künstler betitelt und datiert.

Provenienz: Nachlaß des Künstlers

Schließung und Beschlagnahme von Beteiligung an der Ausstellung „Kunst 1969-1978 zahlreiche Reisen nach Bildern in Deutschland 1930-1949“ im Kunst- Frankreich Stipendiat der Villa Romana, Florenz haus Zürich 1974 Ausstellung in der städtischen Ga- Ausstellung in der Galleria di Roma, 1952 Übersiedlung nach Freiburg im lerie „Schwarzes Kloster“, Freiburg Rom Breisgau 1976 Ausstellung bei der Hans Thoma- 1943 Rückkehr nach Freiburg Freundschaft mit Reinhold Schneider Gesellschaft im Spendhaus Reutlingen Einberufung 1953 erste Einzelausstellung nach dem 1980 Verleihung des Professorentitels, Ausbombung des Berliner Ateliers, Krieg in Freiburg Ernennung zum Mitglied des Künstler- Verlust großer Teile des Werkes 1957 Hans-Thoma-Preis des Landes bundes Baden-Württemberg 1945 französische Kriegsgefangen- Baden-Württemberg schaft 1959 Gründung des Freundeskreises Ausstellung: Städtische Wessenberg 1946 nach schwerer Erkrankung Ent- bildender Künstler „Palette“ Galerie Konstanz: Rudolf Riester lassung in die Schweiz zahlreiche Aufsätze und Rundfunkvor- 1904-1999. 11. September 2015 bis 31. Aufenthalt in Zürich träge Januar 2016

137 (Miesbach 1894 - 1982 Stuttgart)

Selbstbildnis 1927.

Siebdruck nach dem Gemälde auf Ve- ge zum Objekt gestempelt, nicht un- lin, mit Bleistift signiert und als „ea“ bedingt zu seinem, doch zum Objekt bezeichnet, 1982. 66 : 54,5 cm auf 87 in einer bestimmten, südländischen, : 70 cm. auf den Besitz des anderen angeleg- ten Tradition, ist aus der Begegnung Werkverzeichnis: Richter 37. Einer ebenso ungerührt hervorgegangen von wenigen Probeabzügen vor der wie er. Für beide war der Versuch, die Auflage von 450 Exemplaren. Kluft zwischen ihnen zu überbrücken, dem Gefängnis des eigenen Ich zu Provenienz: Privatsammlung Schles- entgehen, vergeblich. Deutlicher noch wig-Holstein. als die Frau bleibt der Mann in sich gefangen. Sein grünes, durchsichtiges „Zu den bekanntesten Bildern Chris- Hemd, das ihn selbst in diesem Augen- tian Schads und der zwanziger Jahre blick noch einhüllt, auf das er selbst in Deutschland gehört sicherlich dies in dieser Situation nicht verzichten ‚Selbstbildnis‘, in dem der Maler mit mochte, hält ihn gefangen. So ist er sich selbst schärfer ins Gericht geht, gezwungen, sich ins Gesicht zu sehen als mit vielen seiner Modelle. [...] Der und mit seinem Narzißmus ausein- Maler sitzt am Rande eines zerwühl- anderzusetzen, auf den die Narzisse ten Lagers und blickt scharf, beinahe verweist, die hinter der Frau hervor- bitter aus dem Bild heraus. Die unter- wächst. Die beängstigende Mischung schiedlichen Richtungen von Blick- von Attraktivität und Häßlichkeit, die und Gesichtsachse lassen vermuten, die Frau verkörpert, deutet wohl da- er habe sich selbst im Spiegel über- rauf hin, daß der Mann gerade we- rascht und sehe sich nun gezwungen, gen seines Narzißmus kaum in der sich mit diesem Spiegelbild, also mit Lage ist, ein weibliches Gegenüber sich selbst, auseinanderzusetzen. Er als vollkommen und ihm angemessen überrascht sich in einer Situation, die zu akzeptieren. Ob die Silhouette der man gemeinhin zu verbergen bemüht Dächer von Paris, dem Sehnsuchtsort ist, einer Situation, die gerade ihrer aller Bohemiens, eine Fluchtmöglich- Intimität wegen mehr vom Menschen keit anzeigt, ist ungewiß. Mehr als enthüllt als bloße Haut. [...] Hier gibt Sehnsucht nach dem ungebundenen es keine Vorfreude mehr, die Begeg- Leben der Pariser Bohème kann dem nung ist bereits vorüber, selbst die Maler nicht bleiben, der seine Ehe mit Möglichkeit zur Illusion ist verspielt. der sehr traditionell empfindenden Die Partnerin des Mannes, eine ihrer Italienerin Marcella in diesem Jahr körperlichen Attraktivität sehr wohl als endgültig gescheitert ansehen bewußte Frau, wirkt bewußt ausge- mußte.“ 1 zogen, nicht nackt. Ein schwarzes Schleifchen am linken Handgelenk, das der Maler an einem Mädchen im Wiener Prater beobachtet hatte, sowie der Saum eines roten Strumpfes am rechten Oberschenkel unterstreichen das ‚deshabillé‘. Es war wohl keine Hingabe, eher ein flüchtiges Treffen, von dem nicht zu sagen ist, wer hier wen mehr als Objekt benutzt hat. Sie, durch die Narbe auf ihrer linken Wan- 1 Christian Schad. Katalog der Staatlichen Kunsthalle Berlin 1980. S. 119 f.

138 139 Egon Schiele (Tulln 1890 - 1918 Wien)

Selbstbildnis.

Bronze nach der Terrakotta-Skulptur 330 Bronzen, aus der unser Exemplar von 1917, im Guss gestempelt, num- stammt. 1987 schließlich entstand meriert und datiert, 1980. eine grünlich patinierte Auflage von 28,5 : 17 : 23 cm. 10 Bronzen. Werkverzeichnis: Kallir 4 f Exemplare aus unserer Auflage befin- Eins von 300 Exemplaren (dazu XXX det sich u. a. in der Österreichischen h.c.) Galerie Belvedere und im Leopold- Museum in Wien. Provenienz: Privatsammlung Rhein- land Geradezu manisch inspiziert Schiele immer wieder sein Gesicht im Spiegel Ausstellungen: Klimt, Schiele, Ko- und bahnt sich über 100 mal selbst koschka - Die Verführung der Linie. auf die Leinwand. Kunstmuseum Pablo Picasso, Müns- ter 26.10.2014 - 18.1.2015

Editionsgeschichte:

Der Verbleib der ursprünglichen Terrakotta-Skulptur von ca. 1917 ist unbekannt, wahrscheinlich wurde Sie während des Gießvorgangs zerstört.

Zwischen 1918 und 1925, möglicher- weise aber auch noch aus Schieles Hand entstand ein Gipsabguss, der dunkel gefaßt wurde (Historisches Museum der Stadt Wien). Einen zwei- ten Gipsabguss (Stanford University Art Gallery and Museum, Stanford) stellte die Bronzefabrik Karl Frank zwischen 1925 und 1928 entweder von der Terrakotta-Büste oder von dem ersten Gipsabguss her, die da- von wiederum einen Bronzeguss in einer Auflage von 2 oder 3 Exempla- ren machte. 1956 stellte die Giesserei Schmäke in Düsseldorf von dem zwei- ten Gipsmodell eine Bronze in circa 6 Exemplaren her. Vier Jahre später entstand nach dem ersten Gipsmodell ein Bronzeguss in 2 oder 3 Exempla- ren. 1965 wurde der Bildhauer Fritz Wotruba beauftragt, eine Bronzeediti- on mit 7 nummerierten und 2 oder 3 unnummierten Exemplaren zu erstel- len. 1980 editierte Venturi Arte in Bolog- ne eine dunkel patinierte Auflage von

140 141 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Ekstase (auch Liebesszene; Illustration zu ‚Tausendundeine Nacht‘).

Vernis-mou mit Tonplatte in braun hygienikers Forel [...] dem Glauben auf Bütten, mit Bleistift signiert an eine vernünftige Regelung des und nummeriert, 1913. 18,6 : 24 cm Geschlechtsverkehrs, den er ebenso auf 29,8 : 34,8 cm. Eins von 20 vorurteilslos und sachlich behandelt Exemplaren. wissen wollte wie die Funktionen des Geringfügig fleckig, verso mit Mon- Stuhlgangs oder des Urinablassens.< tierungsresten. Schon Martins Frau Elise, die mit Verso mit der Bleistiftnotation von ihren beiden Söhnen Ernst und Kurt alter Hand: R. Schlichter ‚Ekstase‘ von ihrem Mann getrennt in Karls- hochapartes Blatt; 18 [sic] Drucke, ruhe lebte, betrachtete eine ‚Map- vergriffen, Platte zerstört“. Dazu ein pe Radierungen und Zeichnungen‘ Sammlungsstempel in blau : MQ (li- Schlichters mit ‚großem Interesse‘. giert), nicht bei Lugt. Möglicherweise zeigte Schlichter ihr Sehr selten! seine ersten Platten mit erotischen Szenen aus ‚Tausendundeine Nacht‘ Provenienz: Privatsammlung wie den ‚Haremswächter‘ oder die Schleswig-Holstein. ‚Liebesszene‘ (um 1913). Ihm fiel je- denfalls >die Vorurteilslosigkeit, mit Entstanden während seines Studiums der sie die gewagten Szenen meiner an der Kunstakademie in Karlsruhe, Darstellungen hinnahm, angenehm wo er mit dem Verkauf pornographi- auf. Nicht weniger freute mich das scher Graphik seinen Lebensunterhalt seltene Verständnis für die graphische bestreitet. In dieser Zeit lebt er mit der Subtilität einzelner Blätter.< Auch Prostituierten Fanny zusammen. „Ich Professor Martin sah diese Blätter kultivierte eine Religion des Bösen, bei einem seiner Besuche in Karls- trieb einen Kult des Lasters und konn- ruhe, kritisierte zwar anfangs >die te doch die warnende Stimme des Ge- Unausgeglichenheit und mangelnde wissens nie ganz betäuben.“ (Rudolf Kultur des Strichs<, kaufte aber den- Schlichter) noch vor einer Reise Schlichters nach Paris ‚drei Originale‘.“ 1 „Bereits in der Karlsruher Akade- miezeit hatte Schlichter Kontakt zur ‚Unterwelt‘ und war der ‚Religion des Bösen‘ verfallen. Schlichters Freundin ‚Fanny Hablützel‘ bestritt den gemeinsamen Unterhalt durch Prostitution. Um Fanny zu unter- stützen, zeichnete Schlichter expli- zit pornographische Darstellungen. Diese Arbeiten ‚legitimierte‘ Schlich- ter nachträglich auf ungewöhnliche Weise. Über seinen Nebenbuhler bei Fanny, den ‚Einjährigen‘ Ernst Mar- tin, lernte Schlichter in Karlsruhe den Antropologen Rudolf Martin (1864- 1 Heißerer, Dirk, Eros und Gewalt. 1925) kennen. ‚Professor L.‘, so die Schlichters ‚Liebesvariation‘. In: Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunst- Verschlüsselung in ‚Tönerne Füße‘, halle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal ‚huldigte‘ als ‚>engster Freund des und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997/1998. S. 29 Schweizer Psychiaters und Sozial-

142 143 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Unterhaltung.

Bleistiftzeichnung auf festem Bütten, boten, verlief von Nord über Ost nach mit Bleistift signiert und betitelt, um West, von der Elendsprostitution zur 1920. 50 : 63 cm. Edelprostitution. Das Liebesgeschäft Papierbedingt leicht wellig, sonst war angesichts weit verbreiteter Ar- sehr schön erhalten. beitslosigkeit für viele Mädchen und Frauen von existenzieller Bedeutung. Provenienz: Kunsthandel Fischer, [...] Zahllose in der Stadt und an der Berlin; Privatsammlung Schleswig- Peripherie existierende oder sich neu Holstein. ansiedelnde Lokalitäten, die wie die Spielcasinos regelrecht aus dem Bo- „Berlin: Keine andere deutsche Stadt den sprossen, profitierten hiervon. nach dem Ersten Weltkrieg ist mit [...] Sie [die Prostituierten] tranken, dem Mythos des Verruchten und der rauchten, konsumierten Rauschgift Zwielichtigkeit, mit der Bezeichnung und trugen alles oder nichts im Ver- ‚Sündenbabel‘ so eng verbunden gleich zur eigentlichen ‚Dame‘, die wie die Hauptstadt der Weimarer wußte, wieviel Rouge sie auflegen Republik. Das Korsett der Kaiser- oder wie viel Haut sie bei welcher zeit war gesprengt, der Kriegswahn, Gelegenheit zeigen konnte. [...] Die wenn auch nicht dessen verheerende einfache Hure trug eher Pumps mit Folgen, überstanden. [...] Eine ek- hohem Schaft, Knöpf- und Schnür- statische Genusssucht erfasste die stiefel in knalligen Farben. [...] Blie- Gesellschaft inmitten politischer ben Künstler wie Hans Baluschek Machtkämpfe, zwischen wirtschaftli- ihrer Sichtweise auf das Thema in chem Aufschwung und Niedergang. den Zwanziger Jahren treu, interpre- Alles schien möglich, alles schien er- tierten andere, so Michel Fingesten, laubt. Und das, was nicht erlaubt war, George Grosz, Christian Schad und fand im Halbdunklen oder Dunklen Rudolf Schlichter, das erotische Ber- statt. Die sexuelle Lust und die se- lin ebenso freizügig wie die Stadt sich xuellen Laster wurden freizügig wie selbst freizügig zeigte. Es gibt wohl nie, auch außerhalb der Ekel und in keine sexuelle Pose, egal ob nackt gleichgeschlechtlichen Verbindungen, oder frivol bekleidet, ob kopulierend gelebt. Einher ging diese Entwicklung oder masturbierend, ob in der Gruppe mit sich bedrohlich ausbreitenden oder allein, sadistisch oder masochis- Geschlechtskrankheiten, der Syphi- tisch, die nicht künstlerisch umgesetzt lis, des Trippers und des Schankers. wurde. Es zeigt sich geradezu eine [...] Die Unterhaltung von Bordellen Lust am Grausigen. Künstler hatten oder bordellartiger Betriebe wurde weder Scheu vor der Darstellung des verboten, dafür die Beschränkung auf kriegsversehrten Freiers noch vor bestimmte Straßen oder Häuserblocks Dirnenmordleichen oder Lustmörder- zur Ausübung der ‚gewerbsmäßigen phantasien.“ 1 Unzucht‘ aufgehoben. [...] Berlin wusste sich in den Zwanziger Jahren im Geschäft der Erotik und käuflichen Liebe hervorragend zu vermarkten. Zwar galt weiterhin Paris als die Stadt der Liebe, aber Berlin wartete mit Lastern auf, die in Paris und Lon- 1 Ebert, Marlies, Die Nacht ist nicht allein zum schlafen da. In: Mothes, Christian und don nicht geboten wurden. Der Lauf- Dominik Bartmann, Tanz auf dem Vulkan. Das Berlin steg ihrer erogenen Zonen, auf dem der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste. Katalog der Ausstellung im Ephraim-Palais/Stadtmuseum Berlin Frauen wie Männer ihre Körper dar- 2015/2016. S. 152 ff

144 145 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Spaziergänger.

Federlithographie auf festem Bütten, mit Bleistift signiert und nummeriert, 1920. 21 : 28 cm auf 40,7 : 30,7cm. Blatt 10 der 4. Mappe des II. Jahr- gangs der „Schaffenden“, mit dem Trockenstempel des Euphorionverla- ges. Eins von 25 römisch nummerier- ten Exemplaren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO 72708-10. Im ehemaligen Passepartout-Ausschnitt etwas licht- randig. Provenienz: Privatsammlung Schles- wig-Holstein.

146 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Der Bräutigam

Kreidelithographie auf Bütten, mit „Schlichter blieb Gefangener einer ren. Eine Viertelstunde später hänge Bleistift signiert, 1922. 34,3 : 24,8 cm Obsession, die nur in der Kombinati- ich bereits mit zuckenden Füßen. Was auf 41 : 31 cm. Blatt 9 der 3. Mappe on von Knöpfstiefelfetischismus und ist dies alles, welches Geheimnis liegt des III. Jahrgangs der „Schaffenden“, Strangulation zur Triebbefriedigung hier zu Grunde? Ein Gegenstand aus mit dem Trockenstempel des Euphori- gelangte. Ein bislang unbekannter, Leder mit Knöpfen u. Knopflöchern, onverlages. Eins von 100 Exemplaren schonungsloser Befund aus dem ‚Ge- den ich über meine Füße ziehe [,] ist (Gesamtauflage 125). Söhn HDO heimen Tagebuch‘ 1942 dokumentiert im Stande, alle Dämonen der Wollust 72711-9.Verso Montierungsreste. Schlichters Not: >Warum werde ich zu entfesseln. Ist es ein Symbol, ist es diese Besessenheit nicht los? Wenn ich ein Gleichnis, ist es eine böse zauberi- Provenienz: Privatsammlung Schles- meine Knöpfstiefel anziehe, spüre ich sche Verwandlung? <“1 wig-Holstein. schon den Trieb zur Entladung rumo-

1 Adriani, Götz, Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 32

147 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Raufende Frauen (auch: Liebende).

Kreidelithographie auf Bütten, mit Provenienz: Privatsammlung Schles- dem Boden. Die Unterlegene wird Bleistift signiert, 1922. 21 : 32 cm auf wig-Holstein. von der über ihr Knieenden gewürgt. 30,5 : 41 cm. Blatt 10 der 3. Mappe Der Dominierenden ist der Unter- des III. Jahrgangs der „Schaffenden“, Im Katalog der Schlichter-Ausstel- rock über das Gesäß gerutscht, und mit dem Trockenstempel des Eupho- lung in Tübingen 1997 ist eine Skiz- ihre Schulter ist frei. Auf der Skizze rionverlages. Eins von 100 Exempla- ze und eine Abbildung des um 1928 [die der Graphik noch näher kommt] ren (Gesamtauflage 125). Söhn HDO entstandenen Gemäldes „Balgende bildet dagegen noch das blanke Ge- 72711-10. Verso Montierungssreste; Frauen“ zu finden. „Zwei Frauen fäß der Würgenden den optischen im ehemaligen Passepartout-Aus- in Unterröcken, Stöckelschuhen und Mittelpunkt. [...] Die Szene wirkt als schnitt leicht gebräunt. Seidenstrümpfen, vielleicht Prostitu- eigenartige Mischung aus Kampf und ierte, balgen sich dort im Streit auf Vergewaltigung“ 1

1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städti- schen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 32. Im Katalog der Pforzheimer Ausstellung wird das Blatt als „Liebende, um 1928“ beschrieben und die Szene ganz anders interpretiert: „Zu seinen Vorlieben gehör- ten auch Strangulationen und das Motiv des Erdrosselns wie auf dem Blatt ‚Liebende‘ - einem anscheinend erotischen Gerangel zwischen zwei Frauen.“ Greschat, Isabel, Hrsg., Rudolf Schlichter. Großstadt - Porträt - Obsession. Katalog der Ausstellung der Pforzheim Galerie 2008/2009. Nr. 26

148 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Liebesunterhaltung (auch: Der Verführer).

Tuschpinsellithographie auf Bütten, Provenienz: Privatsammlung Schles- sind bei Schlichter oft Persiflagen, in mit Bleistift signiert, 1923. 34 : 26 wig-Holstein. denen das Mysterium des bürgerlichen cm auf 40,5 : 30,7 cm. Blatt 8 der 4. Nachtlebens eine lächerliche Note er- Mappe des IV. Jahrgangs der „Schaf- „Schon in seiner Studienzeit in Karlsru- fährt wie beispielsweise in dem Blatt fenden“, mit dem Trockenstempel des he produzierte Schlichter erotisch-por- ‚Der Verführer‘. Männer sind in diesen Euphorionverlages. Eins von 100 Ex- nografische Grafik, die sich gut verkau- Zeichnungen oft nur Staffage. Nicht sel- emplaren (Gesamtauflage 125). Söhn fen ließ. Diese frühen Arbeiten signierte ten wirken sie dümmlich. Die Damen HDO 72716-8. An den Rändern etwas er mit dem Pseudonym ‚Udor Réthyl‘. der Halbwelt erscheinen abweisend, knittrig, ein kleiner Einriss, verso Mon- Für die interessierte Kundschaft ent- manchmal sogar völlig teilnahmslos tierungssreste. standen noch Mitte der 1920er Jahre und puppenhaft.“1 die ‚Liebesvariationen‘. Bordellszenen

1 Greschat, Isabel, Hrsg., Rudolf Schlichter. Großstadt - Porträt - Obsession. Katalog der Ausstellung der Pforzheim Galerie 2008/2009. Nr. 27

149 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Geparden.

Tuschfederzeichnung auf festerem Situation mit Hilfe von Tierzeichnun- Papier, mit Bleistift signiert, datiert gen und -bildern zu formulieren. In und betitelt, 1933. 46,3 : 63 cm. Am der Mitte der zwanziger Jahre wurde unteren Rand hinterlegter Einriss, die der ‚Leopard‘ von einem sich auf dem Ränder insgesamt etwas knittrig und Rücken wälzenden Panther abge- fleckig. Verso Montagespuren. löst. Daneben zeichnete er Schakale Provenienz: Privatsammlung Schles- in verschiedenen charakteristischen wig-Holstein. Körperhaltungen.“ 1 „Schlichter hat in seinen verschiede- nen Werkphasen im erwieder versucht, seine emotionale und intellektuelle

1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städti- schen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 75

150 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Kleitho und Poseidon (Zu Platons Atlantis).

Federzeichnung auf Bütten, mit Blei- die dortigen Vorgaben gehalten hat.“ 1 chen Weib erzeugt hatte, auf einen Ort stift signiert und betitelt, um 1934. 40 „Wie schon im Obigen erzählt wurde, der Insel von ungefähr folgender Be- : 61 cm auf 50 : 68 cm. daß die Götter die ganze Erde unter schaffenheit: Ziemlich in der Mitte der Om oberen Rand leichte Altersspuren, sich teils in größere, teils in kleinere ganzen Insel, jedoch so, daß sie an das in der linken oberen Ecke die Darstel- Teile verteilt und sich selber ihre Hei- Meer stieß, lag eine Ebene, welche von lung leicht berieben. ligtümer und Opferstätten gegründet allen Ebenen die schönste und von ganz Provenienz: Privatsammlung Schles- hätten, so fiel auch dem Poseidon die vorzüglicher Güte des Bodens gewesen wig-Holstein. Insel Atlantis zu, und er verpflanzte sei- sein soll. Am Rande dieser Ebene aber Ein „Vergleich mit der Quelle aller At- ne Sprößlinge, die er mit einem sterbli- lag wiederum, und zwar etwa sechzig lantis-Erzählungen, den platonischen Stadien vom Meere entfernt, ein nach 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Dialogen ‚Timaios‘ und ‚Kritias‘, zeigt, Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem allen Seiten niedriger Berg. Auf diesem daß sich Schlichter ziemlich genau an Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen nun wohnte einer von den daselbst im Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 252 Anfange aus der Erde entsprossenen

Männern, namens Euenor, zusamt sei- Erde um einander fügte, und zwar ihrer zwei Wassersprudel, den einen warm ner Gattin Leukippe, und sie hatten eine zwei von Erde und drei von Wasser, und und den andern kalt, dergestalt, daß sie einzige Tochter, Kleito, erzeugt. Als nun mitten aus der Insel gleichsam heraus- aus einer gemeinsamen Quelle flossen, dies Mädchen in das Alter der Mann- zirkelte, so daß ein jeder in allen seinen aus der Erde emporsteigen und man- barkeit gekommen war, starben ihr Teilen gleichmäßig von den anderen nigfache und reichliche Frucht aus ihr Mutter und Vater; Poseidon aber ward entfernt war; wodurch denn der Hügel hervorgehen ließ.“ 2 von Liebe zu ihr ergriffen und verband für Menschen unzugänglich ward, denn sich mit ihr. Er trennte deshalb auch den Schiffe und Schiffahrt gab es damals Hügel, auf welchem sie wohnte, rings noch nicht. Für seine Zwecke aber stat- herum durch eine starke Umhegung ab, tete er die in der Mitte liegende Insel, 2 Platon, Sämtliche Werke. Berlin 1940. S. indem er mehrere kleinere und größere wie es ihm als einem Gotte nicht schwer 203 f. Ringe abwechselnd von Wasser und von ward, mit allem Nötigen aus, indem er

151 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

An der Waldgrenze.

Aquarell auf Bütten, mit Bleistift sig- senheit die heiße Liebe zu den düster- niert, rückseitig betitelt, um 1937. 61,5 heimlichen Hängen des Schwarzwal- : 49 cm. des hervor, deren wundersame Formen Von farbfrischer Erhaltung. mir in früher Kindheit das Bild der Welt ins empfängliche Herz geprägt Provenienz: Privatsammlung Schles- hatten.<“ 1 wig-Holstein.

„Wie sehr Schlichter das Thema ‚Landschaft‘ während der Nieder- schrift beschäftigte, zeigen beide Bän- de der Autobiographie. Neben den Schilderungen skurriler schwäbischer Charaktere, seiner abstrusen fami- liären Situation und der Karlsruher Vorkriegsbohème nehmen die Wande- rungen durch die Wälder, Dörfer und Städte seiner Heimat einen breiten Raum ein. Unter dem Eindruck der sich überstürzenden politischen Ereig- nisse und der immer schwieriger wer- denden Lebenssituation in Berlin fand Schlichter Kraft und Rückhalt im Karst des Schwäbischen Jura. Er entdeckte die Landschaft seiner Jugend neu als ein Symbol der Geborgenheit und Sta- bilität, das die politischen Verirrungen überdauern würde. Schon während der Studienzeit in Karlsruhe wurde ein Sti- pendium zum Anlaß, die >Ferien nach langer Abwesenheit wieder am Rand der Schwäbischen Alb in der Nähe der Heimat meines Vaters zu verbringen. Es war nicht nur die alte, nie verlöschen- de Sehnsucht, die mich dorthin trieb, sondern vor allem künstlerische Grün- de hatten den Entschluß in mir reifen lassen, mehr als es bisher geschehen war, die Landschaft in mein Schaffen einzubeziehen.< In der Erinnerung an einen Ausflug nach Straßburg artiku- lierte sich die Heimatliebe in einer für Schlichter ungewöhnlich pathetischen Form: >Oft verachtet und in törichter Scham verschwiegen, mit Gewalt aus meinem Denken und Gefühlsleben in die tieferen Schächte des Unbewußten 1 Adriani, Götz, Rudolf Schlichter. Katalog verdrängt, brach doch immer wieder in der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Augenblicken sehnsuchtsvoller Verlas- Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 51

152 153 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Die Messingstadt. (1001 Nacht), Emir Musa.

Federzeichnung auf Bütten, mit Blei- nächst an mich. [...]< 1 auch als Memento mori oder Epitaph stift signiert, datiert und betitelt, 1941. „>Sie müßten 1001 Nacht überhaupt auf eine Zivilisation gelesen werden. 43,5 : 60 cm auf 52,5 : 71,2 cm. durchgehend illustrieren. Sie würden >Dieses geheimnisvolle Märchen Stellenweise kleine Montierungsfleck- das besser machen als selbst Doré<, handelt von der Vergänglichkeit aller chen, sonst gut erhalten. schreibt Ernst Jünger am 29. Dezem- Macht, von der Hinfälligkeit menschli- ber 1942 an Rudolf Schlichter, nach- cher Größe, von der Eitelkeit mensch- Provenienz: Privatsammlung Schles- dem er dessen Zeichnungen - es sind lichen Strebens und von der furchtba- wig-Holstein. ihrer fünfzig zu sechs ausgewählten ren Majestät des Todes<, hatte Rudolf Episoden - kennengelernt hatte. Und Schlichter die Erzählung charakte- Ausstellungen: Rudolf Schlichter. fährt fort: >Besonders packte mich das risiert. Darin erfährt Emir Musa von Austellung in der Kunsthalle Tübin- Bild der Messingstadt. Dieses Mär- einem wilden schwarzen Volk, das im gen, dem Von der Heydt-Museum Wup- chen hat selbst innerhalb des bedeu- Besitz seltsamer Flaschen sein soll, pertal und der Städtischen Galerie im tenden Rahmens seine besondere Tiefe, in welchen rebellische Geister einge- Lenbachhaus München 1997-1998. seinen Rang. Schon als Kind hörte ich sperrt sind. Man bricht mit einer Ka- Katalognr. 166, S. 283 mit Abbildung meinem Vater oft von der Messingstadt rawane auf und erreicht nach langer und dem hohen Emir Musa sprechen; Irrfahrt und Begegnungen unheim- Literatur: Schlichter, Rudolf, Tausend- ich glaube aber, daß ich erst bei den licher Art einen Hügel. >Und als sie undeine Nacht. Federzeichnungen aus letzten Lektüren wirklich zum Kern dann dort oben standen, erblickten sie den Jahren 1940-1945. Berlin 1993. S. des Märchens vorgedrungen bin. Ich eine Stadt, so groß und herrlich, wie 105 und 110 mit Abbildung. finde darin eine Grundfigur, die auch sie noch nie ein Auge gesehen hatte: uns Abendländer in Bann hält: die hohe Paläste winkten, und glänzende Konfrontierung von Lebenspracht und Kuppeln blinkten; die Häuser dort hät- „Am 23.11.1949 schrieb [Ernst] Jün- Tod, die uns zugleich mit Schmerz und te man voller Menschen gedacht, und ger an Schlichter: >Ich ziehe diejeni- Lust erfüllt. In diesem Genusse liegt die Gärten standen in voller Pracht; gen ihrer Schöpfungen vor, die man auch eines der Elemente unserer Wis- die Bächlein sprangen, und die Bäu- wie Ihre Gebirgstäler oder wie ‚At- senschaft, insbesondere der Archäo- me waren mit Früchten behangen. Sie lantis vor dem Untergange‘ immer um logie, aber Musa genießt ihn reiner, war eine Stadt mit festen Toren, aber sich haben kann. Immer hatte ich ge- kontemplativ.< [...] Schlichter erlebt sie lag öde und verlassen da; kein Laut hofft, als Pendant zu dieser Zeichnung die Schlußphase des Tausendjährigen erscholl in ihr, kein menschliches We- [...] auch einmal in gleicher Größe ei- Reichs als beschleunigte Endzeit. Die sen gab es dort.< Es gelingt, durch nen ‚Emir Musa in der Messingstadt‘ Erzählungen aus 1001 Nacht sind ihm magische Koranformeln die Stadttore zu besitzen, denn dieser Musa ist ne- Spiegel dieser politischen Auflösung. zu öffnen. Überall finden die Reisen- ben Peri Banu eine der Gestalten aus Im orientalischen Despotismus ent- den Reichtum und unerhörte Pracht, Tausendundeine Nacht, von denen ich hüllt sich ihm die Hypris der aktuellen doch kein Leben. Alle Einwohner sind schon früh und mit besonderer Gewalt Machthaber. Vor allem die Geschichte tot. Als eingetrocknete Mumien sitzen berührt wurde.< Nachdem Schlichter von der Messingstadt symbolisiert für sie auf der Straße, in Basaren und Mo- am 26.5.1950 Jünger zu verstehen ge- Schlichter den Untergang des Abend- scheen, wie sie vom Tod überrascht geben hatte, daß er sich von den Blät- landes als Erstarrung seiner Kultur. wurden. >Sie waren eine Warnung für tern zu ‚Tausendundeine Nacht‘ noch Sie beschäftigt ihn 1941/42 in Mün- die, so sich warnen lassen< heißt es im nicht trennen wolle, da er >noch mit chen, wie etwa gleichzeitig auch Ernst Text, dem Schlichter eng gefolgt ist.“2 der Möglichkeit einer Veröffentlichung Jünger und Max Beckmann, und löst als Buch oder in Mappenform rech- nicht weniger als fünfzehn Zeichnun- ne<, verlieh Jünger seinem Wunsch gen aus. Die Kämpfe und Wüsteneien, am 11.6.1950 noch einmal Nachdruck: die Zwingburgen, verödeten Städte, >Von dem Blatt über meinen Liebling die mumifizierten Toten - all das kann Emir Musa wollen sie sich also vor- auf dem Hintergrund zeitgenössischer läufig noch nicht trennen. [...] Im Falle Luftangriffe und Kesselschlachten einer Veräußerung denken Sie bitte zu- 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. 2 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S.250 Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 283

154 155 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Meine Mutter.

Bleistiftzeichnung auf gelblichen Pa- in und um Calw an der Nagold, dann Totenbett.“1 pier, mit Bleistift signiert, datiert und in der badischen Residenz Karlsruhe betitelt, 2.3.1942. 14,5 : 21 cm. Auf spielen, wohin die Familie umzog und Karton montiert. wo Rudolf, nach einem Zwischenspiel Provenienz: Privatsammlung Schles- in Stuttgart, die Kunstakademie bezog. wig-Holstein. Trotz aller Unterschiede - nüchterner „Rudolf Schlichters Mutter war die Wirklichkeitssinn auf seiten der Mut- Frau eines Lohngärtners. Früh verwit- ter, durch maßlose Lektüren genährte wet, brachte sie sich und die ihrigen Realitätsflucht, Phantasieausschwei- 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. als Näherin durch. Sie ist unterschwel- fung und Exzentrik beim Sohn - riß das Katalog der Ausstellung in der Kunsthalle Tübingen, dem lig die Hauptfigur in Schlichters zwei- Band zwischen beiden nie ab. Schlich- Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen bändigen Erinnerungen, die zunächst ter zeichnete die Mutter auch auf dem Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 183

156 Rudolf Schlichter (Calw 1890 -1955 München)

Bildnis Franz Ehrenwirth.

Bleistiftzeichnung auf festem Pa- „Doch stetig und unangefochten, seit erkannte jener Kritiker, >daß ihm alles pier, mit Bleistift signiert und datiert, den Berliner, ja Karlsruher Jahren bis zum Bildnis wird<.“ 1 12.2.1948. 41 : 31,5 cm. stellenweise in die Münchner Nachkriegszeit, ent- leicht fleckig. warf Schlichter Porträts von Wegge- Provenienz: Privatsammlung Schles- fährten und ihm wichtigen Begegnun- wig-Holstein. gen [...]. Sie sind der rote Faden im 1 Adriani, Götz, Hrsg., Rudolf Schlichter. Ehrenwirth (1904-1993) war Verleger changierenden Werk, Selbstvergewis- Katalog der Ausstellungin der Kunsthalle Tübingen, dem Von der Heydt-Museum Wuppertal und der Städtischen in München. serung in chaotischer Zeit. Zu Recht Galerie im Lenbachhaus München 1997-1998. S. 32

157 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau)

Hafen von Ribnitz/Nordvorpommern.

Aquarell auf Bütten, 1948. 30 : 37 cm. -Verso mit Nachlaß-Stempel. Werknummer 480. Provenienz: Nachlaß des Künstlers

1900 Geboren am 28. September in Italien der Galerie Levy in Hamburg Rostock 1929-1936 Vorsitzender der Rostocker Wandmalereien in der Königsjägerka- 1907-1915 Realgymnasium in Rostock Künstlervereinigung. serne Stettin 1915-1918 Kriegshilfsdienst Ausstellungen in Rostock, Schwerin, Zerstörung aller Gemälde in seinem 1918-1920 kaufmännische Lehre in Hamburg, Lübeck und Bremen Rostocker Atelier durch Volkspolizis- Rostock 1937-1938 Wohnsitz in Berlin ten 1920-1925 Studium der Malerei: 1939-1945 Wehrmacht 1953-1955 Wohnsitz in West-Berlin in Hamburg bei Professor Thedy 1945 Gefangenschaft in Auschwitz 1955-1958 Wohnsitze in Bregenz, Cux- in Weimar bei Professor Bunke 1946-1952 Atelier in der Künstlerkolo- haven, Heidelberg und Freiburg in Dresden bei Professor Richter und nie Ahrenshoop ab 1958 Wohnsitz in Lindau am Bo- Oskar Kokoschka Ausstellungen in der Galerie Lowins- densee 1925-1929 Studienreisen nach Mün- ky, Berlin, in den Galerien Himmer Mitglied der Künstlergilde Esslingen chen, an den Bodensee, nach Wien und und Ferdinand West in Rostock und in 1971 Gestorben am 12. Juni in Lindau

158 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau)

Ahrenshoop - Kühe am Bodden.

Aquarell auf Bütten 1949. 36,7 : 51,2 cm. Verso mit Nachlaß-Stempel. Werknummer 598. Provenienz: Nachlaß des Künstlers

159 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau)

Havellandschaft.

Aquarell auf Bütten, 1954. 36,6 : 48 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 688. Provenienz: Nachlaß des Künstlers

160 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau)

Schwarzwald 2.

Aquarell auf Bütten, verso mit Nachlaß-Stempel, 1957. 36,7 : 51 cm. Werknummer 443. Am unteren Rand 2 kleine Einris- se. Provenienz: Nachlaß des Künstlers

161 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau)

Markgräfler Land 3.

Aquarell auf Bütten, 1958. 26 : 35,6 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 378 Provenienz: Nachlaß des Künstlers

162 Rudolf Schmidt-Dethloff (Rostock 1900 - 1971 Lindau)

Wasserburg am Bodensee 16.

Aquarell auf Bütten, 1960/65. 35,8 : 47,8 cm. Mit Nachlaß-Stempel auf der Rückseite. Werknummer 193 Provenienz: Nachlaß des Künstlers

163 Karl Schmidt-Rottluff (Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin)

Nächtliche Straße (Gartenstraße in Rottluff bei Chemnitz).

Kreidelithographie auf festem Bütten, ber rechtfertigen, der in einem Brief chen zu können. Bäume und Häuser mit Bleistift signiert und datiert, am Schieflers vom 4.5.1907 enthalten ist: werden mit ungezügeltem Zugriff an- unteren Rand betitelt, 1906. 25 : 31,5 ‚Ich habe die Blätter einer ganzen gegangen, das Meer heran- und der cm. Reihe von Bekannten gezeigt, von de- Himmel heruntergeholt, weil hinter Werkverzeichnis: Schapire L 4. Eine nen sich natürlich ein Teil ablehnend ihnen das Eigentliche gefunden wer- Auflage ist nicht bekannt, der Stein verhält. Aber mehr als das, was ich den soll - selbst erteilte Antwort auf wurde abgeschliffen. von meinem Eindruck sagen kann, die drängende Frage nach der abso- wird Sie interessieren, wie Munch luten Ursprünglichkeit. Dem mitrei- Vorzüglich erhalten. und Richard Dehmel sich zu den Sa- ßenden Pathos und dem gärenden, chen stellten. Munch war zuerst, ich brodelnden, lodernden Ungestüm Provenienz: Privatsammlung Süd- möchte fast sagen, erschrocken. Fol- dieser Blätter, deren äußere Maße deutschland genden Tages sagte er, er hätte immer allesamt bescheiden sind, ist damals an die Lithographien denken müssen; kaum Gleichwertiges an die Seite zu „1906 entstanden Schmidt-Rottluffs da steckte etwas sehr Merkwürdiges setzen.“ 2 erste Lithographien. Die Technik hat- darin, und er wäre sehr gespannt, te ihm der mit ihm gut bekannte Ro- weitere von ihnen zu sehen.‘ In seiner „So kam es, daß mir Schmidt-Rottluff bert Sterl vermittelt. Wie in den frü- Antwort bestätigt Schmidt-Rottluff eine Anzahl seiner frühen Steindrucke hen Aquarellen entsteht ein unruhiger, seine Wertschätzung Munchs, geht zur Ansicht schickte. Munch war ge- flakkernder Eindruck. [...] Die Gegen- aber insbesondere auf eine bestimm- rade bei uns, als ich sie auspackte. Er ständlichkeit ist nur schwer zu erken- te Charakterisierung seiner Arbeiten schüttelte den Kopf und sagte: ‚Gott nen. Interesse an flimmerndem Licht durch Schiefler ein: ‚Rhythmisierung soll uns schützen, wir gehen schweren als letztes Erbe des Impressionismus - für das Wort bin ich Ihnen beson- Zeiten entgegen‘. Am folgenden Mor- verbindet sich mit einem expressiven ders dankbar. Der Rhythmus, das gen beichtete er, er schäme sich; er Interesse an Ausdruckssteigerung.“1 Rauschen der Farben, das ist das, habe die ganze Nacht an die Sachen was mich immer bannt und beschäf- gedacht, es müsse doch wohl etwas „Daß der Steindruck mehr als deko- tigt. Wenn Ihnen bei einigen Blättern daran sein. Ich hatte gleichfalls die rative Gebrauchskunst sein und dem das Gegenständliche noch nicht ganz Empfindung, daß in diesen, beim ers- Ausdruck so noch nie gesehener Be- zur Vorstellung gekommen ist, so ist ten Anblick als Gekritzel und Gewisch kenntnisse und Bedrängnisse dienen es freilich schwer, darüber etwas zu erscheinenden Blättern eine verhalte- könnte, erkannten die jungen Deut- sagen, wo mit einer Bewegung der ne Kraft steckte.“3 schen und erkannte auch Schmidt- Hand alles gesagt ist. Aber vielleicht Rottluff erst vor den erregenden sind Ihnen auch diese Blätter inzwi- Die Kunstsammlungen in Chemnitz Blättern Edvard Munchs. Wie wenig schen zugänglicher geworden...‘ Die besitzen zwei Fassungen in Öl mit gerade er jedoch in die Gefahr einer ungeheuer starke Rhythmisierung, diesem Motiv aus dem Jahr 1906 Abhängigkeit von dem als Vorbild be- die Ausgewogenheit und Wohlklang „Gartenstrasse“ (Inv.-Nr. L 113)4 und wunderten großen Norweger geriet, durch kaum noch erträglich schei- „Gartenstraße frühmorgens“ (Inv.- bewies Munchs Verhalten in dem Au- nende Spannungen ersetzt, ist in der Nr. L 108)5. genblick, da er bei Gustav Schiefler Tat ein wesentliches und die Entwick- die ersten Lithographien von Schmidt- lung voranreißendes Kriterium in Rottluff sah und erkennen mußte, daß diesen frühen Lithographien Schmidt- ein von ihm am Ende geglaubter Weg Rottluffs, die natürlich gleichzeitig 2 Wietek, Gerhard, Schmidt-Rottluff von einem Jüngeren doch noch wei- auch als Dokumente der Sturm- und Graphik. München 1971. S. 28 . tergeführt werden konnte. Die Bedeu- Drangperiode dieses Künstlers gelten 3 Schiefler, Gustav, Meine Graphiksamm- tung, die dieser Reaktion Munchs auf können. Hier gibt es keinen verklä- lung. Hamburg 1974. S. 53 Arbeiten Schmidt-Rottluffs zukommt, renden Abstand und keine objekti- 4 abgebildet in: Doschka, Roland, Hrsg., mag die auszugsweise Veröffentli- vierende Auseinandersetzung mit der Karl Schmidt-Rottluff. Meisterwerke aus den Kunst- sammlungen Chemnitz. Katalog der Ausstellung in der chung des ersten Berichtes darü- Natur, nur eine Identifizierung mit ihr, Stadthalle Ballingen. München 2005. Kat.-Nr. 7 ein förmliches Hineinwühlen in sie, 1 Moeller, Magdalena M., Die Brücke. 5 abgebildet in: Expressionismus in Zeichnungen, Aquarelle, Druckgraphik. Katalog der um so ihre innerste Wesenhaftigkeit Deutschland und Frankreich. Von Matisse zum Blauen Ausstellung im Brücke-Museum Berlin 1992. S. 424f. herauszuholen und zur eigenen ma- Reiter. Katalog der Ausstellung im Kunsthaus Zürich 2014. Kat.-Nr. 93

164 165 Karl Schmidt-Rottluff (Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin)

Münzgasse (in Dresden).

Kreidelithographie, mit Bleistift sig- niert, 1906. 35 : 19 cm. Werkverzeichnis: Schapire L 7.

Eine Auflage ist nicht bekannt, der Stein wurde abgeschliffen.

Von feinster Erhaltung.

Provenienz: Privatsammlung Süd- deutschland.

„Die Motive vieler graphischer Blätter aus der Dresdner Zeit hän- gen mit der Lage des Ateliers der ‚Brücke‘-Künstler in der Berliner Straße zusammen. Dort hatten sie einen ehemaligen Laden als Atelier eingerichtet und unternahmen von da aus ihre Streifzüge in die unmittelbare Umgebung. Was zu Fuß in etwa ei- ner halben Stunde zu erreichen war, wurde in Skizzen festgehalten und im Atelier in Radierungen, Holzschnitte und Lithographien umgesetzt oder zu Aquarellen ergänzt.“ 1

„Auf den ersten Lithographien Schmidt-Rottluffs vollzog sich der Aufbau der Form aus der Zusammen- fügung scheinbar wirr gekritzelter Kreidestriche. Zu ihnen gesellten sich alsbald merkwürdig eckig gruppier- te Tonflächen, die mit dem Wischer erzielt waren, und eine energische Handhabung des Schabers.“2

1 Die Künstlergruppe „Brücke“. Aquarel- le, Zeichnungen und Druckgraphik aus dem Kunstmu- seum Hannover mit Sammlung Sprengel. Katalog der Ausstellungen in der Städtischen Galerie Albstadt u. a. 1983. S. 19

2 Schiefler, Gustav, Meine Graphiksamm- lung. Hamburg 1974. S. 55

166 167 Karl Schmidt-Rottluff (Rottluff bei Chemnitz 1884 - 1976 Berlin)

Ostseeküste.

Kaltnadelradierung auf Bütten, mit und mit der denkbar knappsten Um- Bleistift signiert, auch vom Drucker schreibung der Form ausgekommen Vogt signiert, 1920. 24 : 29,45 cm. wird.“ 1

Werkverzeichnisse: Schapire R 38. Söhn HDO 52002-1.

Eins von 110 signierten Exemplaren der Auflage für den „Kreis graphi- scher Künstler und Sammler in Leip- zig“. Die Platte wurde zerstört.

Kleine druckbedingte Quetschfalte, sonst sehr schöner Abzug.

Provenienz: Privatsammlung Pfalz.

„Die Stiche mit Motiven aus Schlawe - der dem Sommeraufenthalt Jershöft zunächst gelegenen pommerschen Kleinstadt - sind nicht nur wegen ih- res äußeren Formates große Blätter. In der Monumentalität der Wirkung und Größe der Auffassung stehen sie den holzgeschnittenen Stadtbildern von Soest in nichts nach. Überhaupt stellt die Entwicklung der Kaltnadel- arbeiten und Stiche zu adäquaten, den Holzschnitten und Lithographien völlig gleichberechtigten graphischen Ausdrucksmitteln die Sonderleistung jener Jahre dar, in denen erst- und letztmalig auch der Umfang der Me- talldrucke denjenigen der übrigen Techniken übertrifft. Für die ersten Blätter des Jahres 1920, in denen ver- einzelt noch Eindrücke aus Rußland, vor allem aber Motive des vorjähri- gen Sommers in Hohwacht verarbei- tet werden, wird wieder die 1915 zum letztenmal benutzte Kaltnadel ver- wendet, die 1921 nur noch für ein Mo- tiv aus Rowe - wo sich zeitweilig auch Pechstein aufhielt - herangezogen wird. Es gibt die Eigentümlichkeiten dieser Gruppe besonders prägnant wieder, in der ohne Zwischentöne al- lein mit der Entschiedenheit kräftiger oder dünner Linien gearbeitet wird 1 Wietek, Gerhard, Schmidt-Rottluff Graphik. München 1971. S. 181 f.

168 169 Georg Schrimpf (München 1889 - 1938 Berlin)

Moorlandschaft (Blick von den Osterseen über das Kocheler Moos).

Aquarell auf Vélin, mit Pinsel signiert und datiert, rückseitig mit Bleistift betitelt, 1929. 23 : 39,6 cm auf 25,5 : 42 cm.

Darstellung vom Künstler mit Blei- stift umrandet.

Das stimmungsvolle neusachliche Aquarell in absolut farbfrischer Er- haltung.

Provenienz: Privatsammlung Mün- chen.

„Bemerkung des Künstlers. Anläßlich der Einzelausstellung im Graphischen Kabinett Günther Franke, München 1932. Auf die Frage nach meiner beson- deren Verbundenheit mit München und Süddeutschland kann ich so antworten: ich fühle mich hier in ei- nem naturbetonten Sinn, im Sinn der Landschaft und des Lebens verbun- den. Deshalb lebe ich hier. Was Art und Wesen meiner Malerei angeht, so kann ich hierzu nur eines sagen: meine Darstellung hat mit program- matischer Malerei, sei es in diesem, sei es in jenem Sinne, nichts zu tun. Was ich mit meinen Bildern will, gilt dem Leben schlechthin; so wie es trotz aller zufälligen Wirkungen und Er- scheinungen abläuft. So bemühe ich mich um Klarheit und Einfachheit als den mir wesentlichen Grundzügen, in dem Glauben, eben dadurch auch dem inneren Wert der Dinge nahe zu kommen.“1

1 Zitiert nach: Storch, Wolfgang, Georg Schrimpf und Maria Uhden. Leben und Werk. Berlin 1985. S. 162

170 171 Fritz Stuckenberg (München 1881 - 1944 Horn bei Füssen)

Ohne Titel (Borkum)

Aquarell auf Bütten, mit Bleistift mo- Biographie nogrammiert und datiert, 1927. 24,5 : 1881 in München geboren 34,3 cm. 1893 Umzug der Familie nach Del- Ganz leicht beschnitten, verso Mon- menhorst im Oldenburger Land tierungsspuren, sonst sehr schön und 1902 Lehre bei einem Theatermaler farbfrisch erhalten. in Leipzig; anschließend Studium in Weimar und München Provenienz: Privatbesitz Süddeutsch- 1907 bezieht ein Atelier in Paris, wo land er Wilhelm Uhde kennenlernt 1908 Reise nach Pont-Aven in die „Die ersten Landschaftsaquarelle Bretagne malte Stuckenberg 1924 auf Ischia. 1909 stellt im „Salon d‘Automne“ Sehr schnell entwickelte er in die- aus und wird Mitglied der „Société de sem Genre einen entschieden eigenen Peinture Moderne“ Stil. Die große Suggestionskraft, die 1910 Ausstellungsbeteiligung im „Sa- von diesen Landschaften ausgeht, lon de l‘Union Internationale des verdankt sich vorrangig einer kon- Beaux-Arts et des Lettres“; Reise nach sequenten, oft bis zur Abstraktion Marseille, Cassis und Martigues führenden Formstilisierung, so daß 1912 Übersiedlung nach Berlin die Landschaft >imaginiert< werden 1916 wird Soldat, jedoch ohne Fron- muß.“ 1 teinsätze; lernt Herwarth Walden kennen; erste von einem Dutzend Be- teiligungen an den „Sturm-Ausstel- lungen“ 1919 Mitglied im „Arbeitsrat für Kunst“ und in der „Novembergrup- pe“; Übersiedlung nach Seeshaupt am Starnberger See 1920 Walter Dexel zeigt im Jenaer Kunstverein Bilder von Stuckenberg, zusammen mit Arbeiten von Klee (den Stuckenberg in München besucht) und Molzahn; Ausstellung bei Flechtheim in Düsseldorf 1921 Umzug nach Delmenhorst; schwere Nervenerkrankung 1923 erste Einzelausstellung 1924 lebt ein halbes Jahr auf Ischia 1928 Teilnahme an der Großen Ber- liner Kunstausstelllung, ebenso 1930; Ausbruch einer Lungenkrankheit; Sa- natorium in Arosa 1929 Parisaufenthalt 1935-36 Aufenthalt in München 1941 Umzug ins Allgäu 1944 in Horn bei Füssen gestorben

1 Wandschneider, Andrea, Stuckenbergs gegenständliches Spätwerk - Eine Annäherung. In: Fritz Stuckenberg 1881-1944. Eine Retrospektive. Städtische Galerie Delmenhorst 1993. S. 95

172 173 Paul Signac (1863 - Paris - 1935)

Lézardrieux.

Schwarze Tusche mit Rohrfeder über sionistische Freilichtmalerei nicht in Bleistift, braun aquarelliert auf Vélin, der Natur entstanden sind. dieses auf Büttenkarton kaschiert, mit Zwischen 1925 und 1932 mietete Si- Bleistift signiert, betitelt und datiert, gnac für mehrere Monate ein Haus 1925. 30 : 43,7 cm. in Lézardrieux, das sich in der Nord- Bretagne am Ufer des Flusses Trieux Provenienz: Privatsammlung Westfa- befindet. Hier war er besonders von len. der Landschaft zu beiden Seiten des Flusses angetan. Mit Expertise von Marina Ferretti, Archives Signac Paris und Direktorin des Musée des Impressionismes Gi- verny , vom 28. März 2012.

Im Unterschied zu Georges Seurat, der der Darstellung des Menschen den Vorzug gab, widmete sich Signac fast ausschliesslich der Landschaft.

Die französische Küste wurde sein bevorzugtes Bildmotiv. Jeden Sommer verliess er die Hauptstadt für einen längeren Aufenthalt in Südfrankreich in Collioure oder St. Tropez, wo er 1892 ein Haus gekauft hatte, das ihm bis zu seinem Umzug nach Antibes, 1913, auch als Atelier diente.

Paul Signac hatte eine besondere Vor- liebe für Segelboote und den Segel- sport. Er besass ein kleines Schiff, mit dem er fast alle Häfen Frankreichs anlief und sogar bis nach Holland oder Konstantinopel fuhr.

Auf diesen Reisen schuf er auf Anra- ten von Camille Pissarro zahlreiche Aquarelle und Zeichnungen, die alle- samt vor dem Motiv in der Natur ent- standen sind und deshalb einen aus- geprägt spontanen und skizzenhaften Charakter aufweisen. Unsere Zeich- nung ist von besonderer Klarheit und Sicherheit in der Ausführung gekenn- zeichnet, was durch die Tonigkeit der Farbe noch unterstrichen wird. Signac in seinem Segelboot „Olympia“ (als hommage Diese teils farbigen Impressionen an das berühmte Gemälde von Manet) dienten ihm als Ausgangsmaterial für grossformatige, im Atelier geschaffe- ne Ölbilder, die anders als die impres-

174 175 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel)

Achill und die Gefangenen.

Öl auf Holz, rechts unten mit geritz- zen läßt. Beim Anblick des körperlich tem Monogramm und Datierung, übermächtigen Achill, der die gerade- 1907.23,2 : 30,5 cm. Schwache Cra- zu kindlich hilflos wirkenden Gegner queléebildung, Platte etwas gewölbt. aus dem Wasser schleift, den Dolch Verso von fremder Hand bezeichnet. zwischen den Zähnen, die Augen im Wahn starr und vergrößert auf den Provenienz: Privatsammlung Nord- Betrachter gerichtet, erschaudert man deutschland. vor der Darstellungskraft des Künst- lers. Auf schmückendes Beiwerk wie „Nachdem Slevogt sich seit 1905 Landschaftsillustration und - mit Aus- mit der Figur des Achill aus Homers nahme von Brustpanzer, Beinschienen ‚Ilias‘ und deren Gestaltung ausein- und Helm - selbst Kleidung wird ver- ander gesetzt hatte, erschienen 1907 zichtet, alles ist auf das Wesentliche im Münchner Verlag Albert Langen reduziert: die körperliche Aktivität 15 Kreidelithographien zum Buch und Blicke des Handelnden.“2 ‚Achill‘. [...] Der Stoff war für Slevogt reizvoll, da ihm das spannungs- und temporeiche Geschehen die Möglich- keit gab, den bewegten Menschen in dramatischen Situationen darzustel- len; das große klassische Werk lieferte in letzter Konsequenz hierzu nur den Vorwand.“1„Die von Winckelmann für die griechische Klassik prokla- mierte ‚edle Einfalt und stille Größe‘ sucht man in Slevogts Achill verge- bens. Gewiss kannte der Künstler die traditionelle Ikonographie [...]. Doch ließ Slevogt all dies hinter sich und griff in genauer Kenntnis des Home- rischen Epos nur den Kern der Erzäh- lung heraus, der einzig den >Groll des Achill< und dessen verheerende Auswirkungen zum Inhalt hat. [...] Auf ergreifende Weise stellt Slevogt die blinde Raserei des von Rache getrie- benen Achill dar. Kein stilisierter Held steht vor uns, sondern ein brutaler, schonungsloser, in seinem Blutrausch geradezu barbarisch wirkender Krie- ger. Die Götterwelt ist für Slevogt be- langlos, für ihn zählt nur der innere und äußere Kampf des Menschen, der sich in drastische Bewegtheit umset-

1 Geil, Bernhard, Die Lithographien für den ‚Achill‘ und die Entwicklung einer neuen Form der Illustration. In: Max Slevogt. Die Berliner Jahre. Hrsg. 2 Niehoff, Franz, Hrsg., Mit Phantasie von Sabine Fehlemann. Katalog der Ausstellung im Von und Schöpferlaune. Max Slevogt als Graphiker und der Heydt-Museum Wuppertal 2005. S. 172 f. Illustrator. Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 27. Landshut 2009. S. 71

176 177 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel)

Seelenmesse der Georgiritter.

2 Kaltnadelradierungen mit Aquatinta tastischer Lebensform und prächti- ler, die im elterlichen Hause ein- und auf Japan bzw. Bütten, mit Bleistift gem Zeremoniell die Kongregation ausgingen, wurde für Franz Josef signiert, 1911. eingerichtet. Alljährlich versammeln Kohl-Weigand schicksalshaft. Mit 14 Blatt I: 23,8 : 18 cm auf 46,4 : 32 cm. sich die Angehörigen der exklusiven Jahren lernte er Max Slevogt kennen, Am unteren Rand nummeriert und Gemeinschaft am Hof zu München. und zwar im November 1914. Sle- bezeichnet: „Gottesdienst der Geor- Slevogt wird vom Prinzregenten 1908 vogt war zu Beginn des Weltkrieges giritter“. zu Gast geladen. [...] Er wird Zeuge endgültig ins benachbarte Neukastel Werkverzeichnis: Sievers/Waldmann aller Hauptereignisse der Festfolge, im pfälzischen Wasgau übersiedelt, 425-3. Eins von 50 Exemplaren auf die er mit seinen Bildern dokumen- nachdem er schon 1909 in Godram- Japan im Verlag von Paul Cassirer, tarisch belegt. Schauplatz ist meis- stein Wohnung bezogen hatte. Hein- Berlin 1912, unter den „Vierzehn Ra- tens die Hofkapelle. Hier findet der rich Kohl hatte den Maler, der 1898 dierungen von Max Slevogt“ als Nr. 4 Gedächtnisgottesdienst für König Nini Finkler, die Tochter der Besitzer- erschienen. Ludwig II. statt, wird die Seelenmes- familie in Neukastel, geheiratet hatte, Mit dem Kopf des Künstlers im Fens- se für die verstorbenen Angehörigen schon früh kennengelernt. [...] Dem ter links vom Altar, nebst Hand und gelesen oder ein neues Mitglied zum jungen Franz Josef wurde erlaubt, Skizzenbuch sowie weiteren Überar- Ritter geschlagen.“ 1 den Vater beim Besuch in Neukastel zu beitungen. begleiten. In seinen ‚Erinnerungen an Franz Josef Kohl-Weigand (Ludwigs- Neukastel‘ schrieb Franz Josef Kohl- Blatt II: 23,6 : 18,1 cm auf 36,6 : hafen 1900 - 1972 St. Ingbert/Saar) Weigand, wie dem ersten Besuch wei- 27,6 cm. Mit dem Trockenstempel wuchs als Sohn des Bankdirektors und tere Gaststunden in Neukastel folgten. der Neukasteler Presse und der hand- Heimatforschers Heinrich Kohl in der Schließlich durfte er, wie zur Familie schriftlichen Widmung „Für H. Kohl Pfalz auf. 1930 heiratete er die Un- des Malers gehörend, im Atelier sein, Max Slevogt i. Dez. 22“. ternehmerstochter Auguste Weigand während Slevogt arbeitete. [...] >Auch Werkverzeichnis: Sievers-Waldmann und übersiedelte an die Saar. Nach Niederschriften und Druck vieler gra- 425-5. Die Platte nun tief nachgeätzt, dem Zweiten Weltkrieg machte er die phischer Blätter vollzogen sich un- das Profil des am Altar knieenden Firma „Otto Weigand & Sohn“ zu ter meinen Augen. Bei der Arbeit an Prinzregenten hell herauspoliert, die einem sehr erfolgreichen Unterneh- Slevogts eigener Druckpresse mußten Platte mit der kalten Nadel übergan- men. Schon der Vater war ein großer die ganze Familie und alle Anwesen- gen. Kunstkenner und u. a. mit Max Slevogt den Hand anlegen. Slevogt ritzte auf- Vermutlich Probeabzug vor der Auf- befreundet. Kohl-Weigand baute eine merksam die Zeichnung auf eine Plat- lage von 100 signierten und numme- eigene Sammlung mit Künstlern aus te. Dr. Finkler und mein Vater hatten rierten Exemplaren, erschienen 1923 der Pfalz (u. a. Slevogt, Purrmann) fachgerecht und mit aller Vorsicht das im Verlag Bruno Cassirer, mit dem und St. Ingbert (u. a. Albert Weisger- für den Abdruck vorgesehene Papier Blindstempel des Verlages und der ber) auf. Sie wurde als die „größte leicht anzufeuchten. Ich selbst bedien- Neukasteler Presse. Sammlung deutscher Impressionisten te die Druckpresse und war gehalten, im südwestdeutschen Raum“ (Saar- bemüht zu sein, mit besonderer Fer- Sehr schön erhalten. brücker Zeitung) bezeichnet. Durch tigkeit eine ganz bestimmte Kraft Steuerschulden der Firma übereigne- auf die Presse zu übertragen, damit Provenienz: Sammlung Kohl-Wei- te Kohl-Weigand den größten Teil sei- es keinen Fehldruck gebe. Das war gand, St. Ingbert; Privatsammlung ner Gemälde-Sammlung der Stiftung jedesmal ein aufregender Moment, Saarland. Saarländischer Kulturbesitz. Das Un- wenn das Blatt zum Vorschein kam. ternehmen „Otto Weigand & Sohn“ Je nachdem, wie der Druck ausgefal- Seit 1908 hatte sich Slevogt mit die- wurde 1994 aufgelöst. Franz Josef len war, gab es Lob oder Tadel.< [...] sem Thema auseinandergesetzt (die Kohl-Weigand besaß die umfang- Die beginnende Sammlerleidenschaft, sogenannten „Prinzregentenbilder“), reichste Sammlung von Druckgraphik die genährt wurde durch Überlassen als er erstmals der jährlichen Zusam- Max Slevogts in Privatbesitz. mancher Slevogt-Drucke (als Dank menkunft der Georgiritter beiwohnte. für die Mitarbeit), gewinnt dadurch „Großmeister dieses Ordens ist der „Die Begegnung mit einem der Künst- von vornherein Legitimität.“2 Prinzregent selbst. König Ludwig II. 1 Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt. 2 Imiela, Hans-Jürgen und Wilhelm Weber, hatte aus seiner Zuneigung zu phan- Karlsruhe 1968. S. 138 Die Sammlung Kohl-Weigand. Heidelberg 1961. S. 13 f.

178 179 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel)

Löwenjagd.

Kreidelithographie von der Zinkplatte Das Diktat der Siegermächte und die 5. Klassenkampf; 6. Das Gespenst I; auf festem Bütten, mit Bleistift sig- innere Auflösung Deutschlands sind 7. Das Gespenst II; 8. Der Bourgeois niert, nach 1914. 23 : 28 cm auf 30 : die Voraussetzungen.“ „Gesichte II, (nur dieses letzte Blatt ist 1921 in der 39,6 cm. Mit den Trockenstempel der Folge von 8 Lithographien, entstan- von der ‚Freien Sezession‘ herausge- Neukasteler Presse und von Bruno den 1918-1920, unveröffentlicht: 1. gebenen Mappe mit Originalgraphik Cassirer. Niederbruch I; 2. Niederbruch II; 3. erschienen).“ 1 In diesem Kontext ist In keinem Werkverzeichnis. Deutschland am Scheidewege, zwi- unsere Graphik zu sehen. schen den Gestalten von Vergangen- Provenienz: Sammlung Kohl-Wei- heit und Zukunft; 4. Verkehrte Welt; gand, St. Ingbert; Privatsammlung Saarland.

Das Motiv taucht spätestens 1907, nämlich in dem Gemälde „Löwen- überfall“ auf und wurde wie häufig vom Künstler in verschiedenen Tech- niken variiert, so in dem Aquarell „Löwenjagd“. Angeregt wurde er si- cherlich durch entsprechende Bilder Eugène Delacroix‘, dessen großer Bewunderer er war. „Im Märchen und durch den Zauber sind die Gren- zen des Faßbaren zum Ausgeliefert- sein verschlissen. Innerhalb dieses Übergangsbereichs liegt für Slevogt auch die Zone der Todessituation. Die Wiederaufnahme des Sardanapal- Themas wird so zu begründen sein, und der ‚Löwenüberfall‘, 1921, darf so verstanden werden. Slevogt hat jetzt, beim Forschen in den Rand- bezirken menschlicher Existenz, die in ihrer erschütternden Bedeutung immer mehr sein aufmerksames Fra- genmüssen beschäftigen, auch ein inneres Verhältnis zur Mythologie gewonnen. [...] Der verlorene Krieg, die Isolierung in der Pfalz, die politi- sche Umwälzung in Deutschland und die Depressionen über die Ohnmacht des Reiches sind der düstere Hinter- grund der zu der Komposition ‚Die gefesselte Germania‘, die 1922 ge- malt ist und später in den Besitz von Slevogts Vaterstadt Landshut gelangt. Über die Einstellung Slevogts zum Eugène Delacroix, Löwenjagd 1858. fortschreitenden Kriegsgeschehen ha- Öl auf Leinwand, Museum of fine Arts, Boston ben die Lithographien der ‚Gesichte‘ Auskunft gegeben. Ein zweiter Zyklus mit dem gleichen Titel entsteht 1918 1 Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt. bis 1922, wird aber nie veröffentlicht. Karlsruhe 1968. S. 220 und Anm. 8

180 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel)

Sturm.

Kreidelithographie von der Zinkplatte Hier könnte Slevogt durch Shakes- er, sein Vergehen bekennend, verzei- auf festem Bütten, mit Bleistift signiert, peares „Sturm“ inspiriert worden sein: hen kann und als Zeichen seiner Zu- nach 1914. 21 : 27 cm auf 30 : 39,6 cm. „Den Einbruch überwirklicher Macht neigung das Symbol der Herrschaft Mit den Trockenstempel der Neukaste- hat auch die zweite große Komposition über die außermenschlichen Kräfte, 1 ler Presse und von Bruno Cassirer. Slevogts nach einem Shakespearschen den Zauberstab, zerbrechen.“ Auch In keinem Werkverzeichnis. Thema zum Inhalt: ‚Der Sturm‘. Ariel diesmal könnte Delacroix zur Kompo- lenkt die Winde so, daß das Schiff des sition angeregt haben. Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, Königs am Ufer strandet. Der weise Dieses Blatt steht ebenfalls im Kon- St. Ingbert; Privatsammlung Saarland. Zauberer Prospero hat den schuldigen text der „Gesichte.“ Bruder in seine Macht befohlen, damit

1 Imiela, Hans-Jürgen, Max Slevogt. Karlsruhe 1968. S. 219

181 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel)

Allegorie auf den Rhein.

Kreidelithographie auf Bütten, mit In keinem Werkverzeichnis. Provenienz: Sammlung Kohl-Wei- Bleistift signiert, 1922. 23,6 : 18,2 gand, St. Ingbert; Privatsammlung cm auf 42 : 31,4 cm. Mit dem Blind- Mit minimalen Altersspuren. Saarland. stempel Bruno Cassirers.

182 Max Slevogt (Landshut 1868 - 1932 Neukastel)

Der Tod auf dem Sarg.

Kreidelithographie auf Bütten, mit Blei- stift signiert und bezeichnet: „Probedruck Juli 1929“. 32 : 23 cm auf 47 : 33,3 cm.

Provenienz: Sammlung Kohl-Weigand, St. Ingbert; Privatsammlung Saarland.

Vorliegende Lithographie wird eher entstanden sein, als das Datum anneh- men läßt. Das Motiv steht in engem Zusammenhang mit den Beiträgen für den „Bildermann“ und der Mappe „Gesichte“, also während des Ersten Weltkrieges entstandener Arbeiten. In einem Katalog (Nr. 189) des Berliner Auktionshauses Max Perl von 1935, in dem ausnehmend zahlreiche graphische Blätter Slevogts angeboten wurden, fin- det sich unter Los-Nummer 1934: „Tod auf einem Sarg (Unverwendetes Blatt zu den Gesichten). Litho auf Kupferdruck. Quer-Kl.-Folio. Signiert und datiert: Landau 18. Probedruck“. Dieses läßt weitere andersformatige Graphiken in diesem Kontext vermuten, die letztlich nicht publiziert wurden. Auf Anfrage 2013 bezüglich einiger noch nicht iden- tifizierter Graphiken aus der Sammlung Kohl-Weigand, antwortete uns Dr. Si- grun Paas, langjährige Leiterin der Slevogt-Galerie in Edenkoben: „die 3 Blätter kenne ich alle, sie befinden sich auch im Nachlass, den Rheinland-Pfalz gerade im Ankauf verhandelt.. Sie gehö- ren zu Einzelblättern, zu denen es noch kein Werkverzeichnis gibt u. wovon ich hoffe, daß entweder mein Kollege oder ich in den nächsten Jahren eines er- stellen können. Vom Kettenschwinger ohne Kopf gibt es noch eine Version, wo der Kopf noch auf dem Rumpf ist - das war für den Bildermann gemacht, der in den Kriegsjahren bei Paul Cas- sirer rauskam, aber Ihr Blatt ist, wenn ich richtig lese, von Slevogt mit „Pro- bedruck Juli 29“ bezeichnet und es hat ganz eindeutig einen politischen Bezug, den man noch erforschen muß.“

183 Hans Thoma (Bernau 1839 - 1924 Karlsruhe)

Heiliger Christophorus.

Ockerfarbener Fayencescherben, gla- phorusplatte das glühende Blaugrün siert; auf ockerfarbener Engobe Gla- mit dem leuchtenden Gelb einen feier- surmalerei in Blau, Gelb, Grün, im lichen Farbenklang bildet.“ 1 Bildfeld unten rechts monogrammiert und datiert (geritzt), 1903. Bildfeld mit gekehlter Rahmung und Hohlkeh- lenbordüre. Verso mit Manufakturzei- chen (aufgemalt). 44 : 32 cm.

Thoma entwarf mindestens drei Versi- onen dieses Themas für die Majolika, jede ein Unikat!

Provenienz: Privatsammlung Süd- westdeutschland.

„Von überragender Bedeutung war die künstlerische Mitwirkung Hans Thomas, der als Maler den ersten Zeitabschnitt der Karlsruher Manu- faktur richtungsgebend beeinflußt hat. [...] Zahlreiche der keramischen Pläne, die er zum Teil persönlich auf die Tonplatte malte, während er an- dere seiner Entwürfe auch durch Süs oder den in der Anstalt tätigen Ma- ler August Gebhard ausführen ließ. Auf einem dieser Majolikabilder ist Sankt Christophorus dargestellt als Mann von starkem Körperbau und ausdrucksvollen milden Zügen, der auf der Schulter das Christuskind über den hochgehenden Fluß trägt. Mühsam gebraucht er mit der Rech- ten einen jungen Baumstamm als Stüt- ze, während er den linken Arm in die Hüfte stemmt, denn - o Wunder - so klein das Kind auch ist, immer gewal- tiger drückt ihn die Last darnieder. Da erkennt er, es ist der Heiland mit der Weltenkugel, den ertragen darf, und auf einmal ist er vom dem Glan- ze übergosssen, der von dem Kinde ausstrahlt. Diesen Augenblick hat der Künstler festgehalten. Besonders auffallend ist die Art, wie Thoma das Majolikamarke von dem Kind ausstrahlende Licht dem Beschauer entgegenfallen läßt, 1 Moufang, Nicola, Die grossherzogliche wundervoll, wie auch auf der Christo- Majolika Manufaktur in Karlsruhe. Heidelberg 1920. S. 33 f.

184 185 Hans Thoma (Bernau 1839 - 1924 Karlsruhe)

1. Sägemühle (Falkau). 6. Mutterglück.

Radierung auf Bütten, in der Plat- Radierung auf Bütten, in der Platte te monogrammiert, datiert, bezif- monogrammiert, und datiert, mit Blei- fert (XII), betitelt und erneut datiert stift signiert, 1917. 24,4 : 19,8 cm. (2.8.62), 1898. 17,3 : 22,3 cm auf 29,4 Werkverzeichnis: Beringer 215-5. : 35,5 cm. Schönes, breitrandiges Exemplar. Werkverzeichnis: Beringer 26-2. Bis auf geringe Altersspuren schön erhal- 7. Alte Katze. tener, differenzierter Abzug. Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert, mit Bleistift 2. Schwarzwaldhof signiert, 1917. 9,3 : 13,6 cm. (Vordach). Werkverzeichnis: Beringer 231-3. Etwas gebräunt. Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert und datiert, mit Bleistift signiert, 1901. 30 :24,5 cm auf 50,2 : 39,7 cm. Werkverzeichnis: Beringer 41-3. Breitrandiger, schöner Abzug. Mit kleinen Altersspuren.

3. Schwarzwaldhöhe (Tal bei St. Blasien)

Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert und datiert, mit Bleistift signiert, 1914. 16,1 : 24,8 cm. Werkverzeichnis: Beringer 114-2. Mit kleinen Altersspuren.

4. Mondaufgang.

Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert, bezeichnet „Bernau 1859 und datiert, mit Blei- stift signiert, 1915. 14,8 : 14 cm. Wortverzeichnis: Beringer 179-2.

5. Winter.

Radierung auf Büttenpapier, in der Platte monogrammiert und datiert, mit Bleistift signiert, 1915. 14,9 : 13,8 cm auf 24,4 : 22 cm. 2 Werkverzeichnis: Beringer 180.

186 1

3

5 4

7

6

187 Hann Trier (Kaiserswerth 1915 - 1999 Castiglione della Pescaia)

Ohne Titel.

Aquarell auf Bütten, mit Pinsel sig- niert und datiert, 1966. 78 : 57,9 cm.

Provenienz: Galerie Schlichtenmaier, Grafenau; Privatsammlung Westfalen

Trier war ursprünglich Linkshänder, wurde aber zum Rechtshänder „um- erzogen“. Das brachte ihn dazu, mit beiden Händen gleichzeitig zu malen, indem er von einer Mittelachse aus- gehend symmetrische Gesten, die an Tanz erinnern, auf Papier oder Lein- wand bringt.

Ausstellungshinweis: Hann Trier – Ich tanze mit den Pinseln. Aquarelle und Zeichnungen der 50er + 60er Jahre, Käthe Kollwitz Museum Köln, 18. September bis 29. November 2015.

188 189 Wilhelm Trübner (Heidelberg 1851 - 1917 Karlsruhe)

Aussicht auf dem Plättig im Schwarzwald.

Öl auf Leinwand, unten links signiert „W. Trübner“, 1895. 62 : 76 cm.

Werkverzeichnis: Rohrandt G 621.

Literatur: Beringer, Josef August, Trübner. Des Meisters Gemälde. Stuttgart und Berlin 1917. S. 202 (mit Abbildung).

Provenienz: Privatbesitz Ruhrgebiet.

„In einem Akt der Selbstfindung und Selbstformung vor und an der Land- schaft kulminiert Trübners künstleri- scher Werdegang in den 90er Jahren zu einem imponierenden ästhetischen Ereignis. Die Landschaft wird zu Trübners Lebensgrund, wenn er in Laubmassen eingebettete Dörfer oder einzelne Gebäude wiedergibt. Die Verbindung von räumlich-flä- chenhaften Darstellungsformen, die rhythmisch belebt sind, können jetzt als das Kernproblem im künstleri- schen Schaffen Wilhelm Trübners bezeichnet werden. Immer wieder kreisen seine Bemühungen daraum, tiefenräumliche Aspekte mit Mitteln der zweidimensionalen Darstellung anschaulich zu werden.“ 1

„In der Landschaft führt die großar- tige Luft- und Raumdarstellung zur größten Vereinfachung und Hellig- keit“ (Wilhelm Trübner 1911).

1 Rohradt, Klaus, Wilhelm Trübner und die künstlerische Avantgarde seiner Zeit. In: Wilhelm Trübner. Katalog der Ausstellung im Kurpfälzischen Museum der Stadt Heidelberg und der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung München 1994/1995. S. 45

190 191 Lesser Ury (Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin)

Beim Kornpuppenbinden.

Kaltnadelradierung auf Bütten, mit Gemessen an der Auflagenhöhe sind ben wollte. Es war im Winter, nun Bleistift signiert und nummeriert, die Graphiken Lesser Urys Raritäten, stand auch ein grosser eisener Ofen 1923. 20,8 : 15 cm auf 34 : 25 cm. da viele ihrer Besitzer wie Ury Juden im Atelier. Dieser Besucher war weni- Werkverzeichnis: Rosenbach 17. waren und sie und ihr Besitz durch die ger gutwillig und begann zu handeln, Eins von 100 arabisch nummerierten Nationalsozialisten vernichtet wurde. als der Künstler einen Stoss gehäuf- Exemplaren (dazu 25 römisch) aus Daneben gelangten etliche Arbeiten ter Radierungen, Lithographien und der Mappe „Holländische Motive. durch Emigration der Besitzer nach Handzeichnungen anschleppte. Nie 7 Radierungen von Lesser Ury“, er- USA und Israel. werde ich den Augenblick vergessen, schienen 1923 im Euphorion Verlag Zudem sorgte Ury selbst für eine De- wie Ury vor Wut puterrot wurde und Berlin. zimierung seiner Graphiken, wie Max mit Zähneknirschen (aber richtigem, Osborn berichtet: „Die furchtbarste hörbarem) die Worte zischte: >Ehe Provenienz: Westfälische Privat- Szene aber spielte sich ab, als einmal ich den Packen für einen solchen sammlung ein Sammler erschien, der Proben Schandpreis verkaufe, stecke ich die von Urys gesamter Graphik erwer- ganze Geschichte in den Ofen.< Der Eisenturm glühte. Der Sammler, wohl ein halber Händler, blieb steifnackig und dachte: Kennen wir; verrückter Kerl; werden wir schon machen. Und wiederholte sein freilich beschämend niedriges Angebot. Da geschieht et- was Unglaubliches. Ury reisst den breiten runden Ofendeckel ab und stopft wirklich und wahrhaftig die Blätter in das gierig auflodernde Feu- er. Wir stürzen herbei, aber es ist zu spät. Hochauf züngeln die Flammen. Nichts wurde gerettet.“1

1 Osborn, Max, Der bunte Spiegel. Erin- nerungen aus dem Kunst-, Kultur- und Geistesleben der Jahre 1890 bis 1933. Hrsg. von Thomas B. Schumann. Hürth 2013. S. 73 f.

192 Lesser Ury (Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin)

Schlachtensee I.

Kaltnadelradierung mit Aquatinta auf „Auch Ury ist unter die Graphiker ge- Entstehens hervor, so daß man be- Bütten, mit Bleistift signiert und num- gangen, und seine Lithographien und greift, daß der alte Menzel, der immer meriert, 1924. 17,8 : 13 cm auf 22,5 : Radierungen beweisen, daß die Musik zu gewissenhaft sauberer, peinlicher 21 cm. seiner Farben getragen ist von einem Durchführung mahnte, ihm einmal sag- Werkverzeichnis: Rosenbach 27. Eins sicheren Gerüst empfindungsvoller te: >Bei Ihnen ist ja alles nur Zufall!< von 100 nummerierten Exemplaren. Zeichnung. Diese Blätter behandeln Ein gesegneter Zufall, der so köstliche Aus der Mappe „Berliner Impressio- seine Lieblingsthemen, die stille Land- Blätter schafft.“1 nen“, erschienen im Euphorion-Verlag. schaft am See, die regenfeuchte Straße, Sehr schöner, vollrandiger Abzug. über die elegante Damen trippeln, und die verschiedenartigen Szenen im welt- Provenienz: Privatbesitz Süddeutsch- städtischen Café. [...] Sie rufen in ihrer land Einfachheit den Eindruck mühelosen

1 Struck, Hermann, Die Kunst des Radierens. 4. A. Berlin 1920. S. 255f.

193 Lesser Ury (Birnbaum/Posen 1861 - 1931 Berlin)

Nächtliche Impression (mit Droschke vor Lokomotivendampf).

Radierung auf Bütten, mit Bleistift aber nicht seinem Verständnis darbo- malen. Zu einer Zeit, d. h. um 1920, signiert, 1924. 17,8 : 12,7 cm. ten, und er gab sie aus der Erinne- als es schon viele Autos gab, waren rung wieder. War die Erinnerung gut, es immer Pferdedroschken, die seine Werkverzeichnis: Rosenbach 23. so entstand ein Bilde, gegen das vom Berliner-Straßen-Bilder belebten. Ich Standpunkt der Technik nichts ein- sprach mit ihm darüber und er sag- Eins von 100 arabisch nummerier- zuwenden war. War das Gedächtnis te mir, daß die Berliner Autos sich ten Exemplaren. Entstanden für schlecht, zum Beispiel, wenn andere seinem Gehirn und Auge noch nicht die Mappe „Lesser Ury, Berliner gleichzeitige Eindrücke überwogen, eingeprägen. Es wären vor allem zu Impressionen. Sieben Radierungen. so entstand ein Bild, das vom Stand- wenige. Ich hatte ihm 1921 eine An- Berlin im Jahre 1924“, erschienen im punkt der Technik lächerlich und ver- sichtskarte von Paris geschickt, wo Euphorion-Verlag. zerrt war.> Als Exempel dafür nennt die Autos in Linien die Champs-Ely- Schapira das damals in seinem Besitz sées hinunterfuhren und er bat mich Graphische Variante zu dem Gemäl- befindliche Gemälde >Nachtimpres- ihm von meiner nächsten Reise im de „Nachtimpression (Stadtbahn)“ sion< aus dem Jahr 1918. Es zeigt gleichen Jahr, so viele Ansichtskar- von 1918. eine nächtliche Straße, die von einer ten, schwarz-weiße und farbige, wie Eisenbahnbrücke überquert wird; ge- nur möglich mitzubringen. Das tat ich Provenienz: Privatsammlung Süd- rade durchfährt eine Pferdedroschke natürlich und indem er diese Postkar- deutschland. die Unterführung, während ein Eisen- ten studierte, überwand er die Scheu bahnzug über die Brücke rollt. Vom und das Automobil war als Malobjekt „Als im Jahre 1986 in München im Zug sieht man die Lokomotive und geboren. Nun hatte er keine Schwie- Haus der Kunst die Ausstellung >Das einen Teil des ersten Wagens mit er- rigkeiten mehr, es wiederzugeben. Automobil in der Kunst< gezeigt leuchteten Fenstern. Aus dem hohen Es ist eine merkwürdige Gehirntä- wurde, stellte man auch ein Straßen- Schornstein der Zugmaschine quillt tigkeit, die sich auf das zu malende bild Lesser Urys aus, das eine Au- Dampf und verhüllt einen großen Objekt vom reinen Standpunkt des tokolonne auf der Champs-Elysées Teil der Szene. >Die Lokomotive ist Auges, d. h. des Gefühls, nicht aber zeigt, gemalt 1928. Dabei hatte der vollkommen verzerrt<, schreibt Carl des Verstandes konzentriert.<„ 1 Künstler >für technische Dinge wie Schapira weiter, >und weniger als Eisenbahn, Auto, Elektrizität in jeder halb so lang als sie in Wirklichkeit ist, Lesser Urys vielleicht beeindru- Form nicht das geringste Gefühl oder auch wenn es eine kleine Stadtbahn- ckendste Graphik mit ungewöhnlich irgendwelche Kenntnisse<, schreibt lokomotive sein soll. Diese Fremdheit hohem Abstraktionsgrad bei dich- Carl Schapira. >Sein Auge nahm der Technik gegenüber verhinderte tester atmosphärischer Darstellung Dinge auf, wie sie sich seinem Blick, Lesser Ury jahrelang Automobile zu im besten „turnerschen“ Sinne.

William Turner, Rain, Steam and Speed – The Great Western Railway Öl auf Leinwand 1844; National Gallery, London

1 Schlögl, Hermann A. und Karl Schwarz, Lesser Ury. Zauber des Lichts. Katalog der Ausstellung im Käthe-Kollwitz-Museum Berlin 1995. S. 51

194 195 Maurice de Vlaminck (Paris 1876 - 1958 Reuil-la-Gadelière)

Us, La Place.

Tuschpinsellithographie auf Chine „Zum erstenmal versucht sich Vla- durch die Auswahl kleiner, wie durch volant, mit Bleistift signiert und num- minck 1921 mit dem Steindruck. [...] enge Fenster gesehener und sehr kon- meriert, 1924. 22,9 : 29 cm auf 32,2 Die persönliche Auffassung bei der trastreich ausgeführter Ausschnitte : 49,2 cm. Wahl des darzustellenden Naturaus- aus der Landschaft aus.“1 Werkverzeichnis: Walterskirchen 173 schnitts, die Art, wie die Motive ar- II e (von f). Eins von 100 Exemplaren rangiert und zu bestimmten Wirkun- des zweiten Zustandes mit dem Tro- gen zusammengefaßt werden, wurde ckenstempel des Verlages „Galerie von Vlaminck je nach der zu erzie- des peintres-graveurs Paris“. lenden Wirkung verschieden gehand- Im ehemaligen Passepartout-Aus- habt. Daher gelingt es uns, [...] drei schnitt leicht gebräunt; am oberen sich chronologisch folgende ‚Stile‘ zu Rand Montierungsspuren. unterscheiden: Der erste [1921-1926] ist durch seine Transparenz und sein Provenienz: Privatsammlung Westfa- dekoratives Moment gekennzeichnet. len. Der zweite [1926-1930] zeichnet sich

1 Walterskirchen, Katalin von, Maurice de Vlaminck. Verzeichnis des graphischen Werkes. Bern 1974. S. 13

196 Maurice de Vlaminck (Paris 1876 - 1958 Reuil-la-Gadelière)

Le Bengali I.

Tuschpinsellithographie auf Vélin filig- rané des Papeteries d‘Arches MS, mit Bleistift signiert, 1927. 10,3 : 16 cm auf 20 : 24 cm. Werkverzeichnis: Wal- terskirchen 214 b (von b). Eins von 300 Exemplaren auf diesem Papier. Erschienen als Blatt 15 des Buches „Les hommes abandonnés“ von Geor- ges Duhamel, erschienen bei den Édi- tions Marcel Seheur in Paris.

Provenienz: Privatsammlung Westfa- len.

197 Heinrich Vogeler (Bremen 1872 - 1942 Kornejewka/Kasachstan)

Frühlingsmärchen.

Radierung und Aquatinta in braun auf Bütten, in der Platte monogrammiert, mit Bleistift signiert, 1912. 33,7 : 23,5 cm auf 42 : 30,3 cm. Werkverzeichnis: Rief 47 II. d (von e). Eins von 100 Exemplaren, teils auch in grün gedruckt von Otto Felsing. Schöner, nuancierter Abzug, im ehe- maligen Passepartoutausschnitt etwas gebräunt. Minimale Altersspuren.

Provenienz: Privatsammlung Mün- chen.

„Mehr noch als die Malerei erregten zu Beginn der künstlerischen Tätig- keit Vogelers dessen Radierungen Aufmerksamkeit. [...] bis heute gelten die subtil gezeichneten, stets etwas märchenhaft-verträumt wirkenden Kompositionen [...] als Höhepunkt im Werk Vogelers, spiegelt sich in ih- nen doch das feinnervige Wesen des Künstlers am deutlichsten wider. [...] Die meisten Szenen versetzte Vogeler in die reale Umgebung der Worpswe- der Landschaft mit ihren Birken und reetgedeckten Häusern. Diese Natur- verbundenheit zieht sich wie ein roter Faden durch sein Werk. Insbesondere in seinen Radierungen rückt Vogeler die Suche nach einer Verbindung zwi- schen Mensch und Landschaft, gip- felnd in der Vorstellung eines irdischen Paradieses, in den Vordergrund. Der ‚Frühling‘, eines der Leitmotive des Jugendstils schlechthin, avanciert da- bei zum Gegenstand zahlreicher Dar- stellungen von der szenischen Kom- position bis hin zur ausschnitthaften Wiedergabe knospender Bäume und Blumen. Häufig faßt Vogeler die Dar- stellung in eine mehr oder weniger breite Rahmung, in die erzählerische, symbolische oder rein dekorative Ele- mente der Binnenkomposition noch einmal aufgenommen werden.“ 1 1 Ulmer, Renate, Das druckgraphische Werk. In: Heinrich Vogeler und der Jugendstil. Katalog der Ausstellung im Barkenhoff/Haus im Schluh, Worps- wede, Museum Künstlerkolonie Darmstadt und Gustav- Lübcke-Museum, Hamm 1997-1999. S. 100

198 199 Fritz Wimmer (Rochlitz/Sachsen 1879 - 1960 Neuburg am Inn)

Mädchenstudie.

Kohlezeichnung auf Maschinenbütten, und Adolf Hölzel kennen, dem er 1906 rückseitig signiert, bezeichnet „Stutt- an die Stuttgarter Kunstakademie folg- gart Ateliergebäude Untere Anlagen“ te. Hier studierte er bis 1910 in Hölzels und betitelt, dazu der Nachlaßstempel, Komponierklasse. Im Anschluß ließ er ohne Jahr (um 1908). 55,4 : 42,5 cm. sich als freier Künstler in Schwabing Einheitlich, aber nicht störend, ge- nieder. 1944 wurde sein Atelier durch bräunt, am oberen Rand hinterlegter Bombenangriffe zerstört, woraufhin Einriss, verso Montierungsreste. Wimmer nach Neuburg übersiedelte

Provenienz: Privatsammlung Westfa- len.

Literatur: Fritz Wimmer. Oeuvrever- zeichnis des Nachlasses. Galerie von Abercron München 1991. Nr. K-0801 (Mädchen mit Schürze auf Stuhl). Mit ganzseitiger Abbildung.

„Fritz Wimmer war ‚Schwabinger‘ in ‚der großen Schwabinger Zeit‘, aber sein Blickwinkel war nicht der des auf den Wellen der Zeit emporgetragenen Künstlers, sondern der des Chronis- ten, der nüchtern beobachtet. Spricht man bei der Gruppe ‚Neu-Dachau‘ von einem stilistischen Spätimpres- sioniusmus, so ist diese Stilbezeich- nung im weitesten Sinn wohl auch für Fritz Wimmer zutreffend, wenn auch der Einfluß verschiedene expressive Richtungen auf den Künstler ganz of- fensichtlich ist. [...] Angesichts von Werken wie [...] der Kohlezeichnung ‚Mädchen mit Schürze auf Stuhl‘, kann ich mir vorstellen, daß es sich loh- nen würde, das Werk Fritz Wimmers der Vergessenheit zu entreißen, wofür hier der erste wichtige Schritt getan wurde.“1

Wimmer studierte in München zunächst an der privaten Kunstschule von Lud- wig Schmid-Reutte, ab 1887 an der Akademie bei Karl Raupp. Von 1898 bis 1904 war er Schüler von Paul Hoe- cker, Ludwig von Herterich und Franz von Stuck. Bei einem Sommeraufent- halt in Dachau lernte er Ludwig Dill

1 Gärtner, Ulrike, Einführung. Fritz Wimmer. Œuvreverzeichnis des Nachlasses. Galerie von Abercron München 1991. S. 4

200 201 Marius Woulfart (Paris 1905 - 1991 Grasse ?)

Ohne Titel (Auf der Terrasse in Südfrankreich)

Öl auf Holz, mit Pinsel signiert, um - Palais de la Méditerranée (Nizza). 1930. 33 : 40,8 cm. - Galerie Bonnefon (Perpignan). - Musée d‘Auch (Gers). Provenienz: Privatbesitz Südfrank- - Musée du chateau de Nérac. reich. - Musée du Bastion St-André (Anti- bes). Der Künstler war der Sohn des let- - Zahlreiche Galerien in Cannes. tisch-französischen Malers Max Wulf- - Centre International de Grasse. art (Frauenburg 1876 - Paris 1955), von dem er auch ausgebildet wurde. Literatur: Max Wulfart hatte in Paris bei Fern- „Destins brisés. Peintres de l‘École and Cormon und Jean-Paul Laurens de Paris“ Katalog der Ausstellung im studiert. Werke seines Sohnes befin- Musée départemental de la Résis- den sich außer in Pariser Museen u. tance et de la Déportation Toulouse a. im Musée de Montréal/Kanada, 25.10.2010-14.1.2011. Musée de Palm Beach/Florida sowie in zahlreichen internationalen Privat- sammlungen.

Auszeichnungen: - 1970 : Premier prix et médaille d‘or XIe salon Grasse. - 1971 : Premier prix dessin salon Grasse. - 1972 : Premier prix salon Interna- tional. - 1973 : Médaille de la ville de Mantes-La-Joie. - 1978 : Médaille d‘or de la ville de Grandville. - Chevalier des Arts et Lettres. - Chevalier des Arts Sciences et Lettres. Ausstellungen: - Salon d‘automne de Paris. - Biennale de Menton. - Galerie Wellington, Montréal (Kanada). - Galerie Juarez, Palm Beach (Florida). - Galerie du Vieux Colombier (Paris). - Galerie Georges V (Paris). - Galerie des Champs Elysées (Paris). - Galerie Gréco (Bordeaux). - Galerie Page (Bayonne). - Galerie Oeillet (Toulouse). - Galerie Négresco (Nizza).

202 203 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin)

Zwei Welten.

Zwei Bleistiftzeichnungen auf Velin, Fanny und dem neunjährigen Sohn ist. Es portraitiert und feiert die Stadt ohne Jahr. 12,3 : 5,5 cm auf 13 : 7,5 Heinrich im November 1867 nach und ihre Menschen in vielen Facetten, cm und 11 : 5,5 cm auf 12,6 : 11 cm Berlin. Von einigen wenigen Reisen prangert aber zugleich die sozialen (diese betitelt und signiert). Im ehe- abgesehen, verbrachte Heinrich Zil- Verhältnisse an. Dabei schwelgen die maligen Passepartoutausschnitt ge- le das folgende halbe Jahrhundert einzelnen Arbeiten in scharf beobach- bräunt. Verso Montierungsreste. Die in dieser Stadt und wurde ihr origi- teten Details und Anekdoten, die in Ränder mit Altersspuren. nellster Chronist. Als er 1929 starb, der Gesamtschau eine beredte Quel- folgten 2000 Menschen dem Sarg: le zur Kulturgeschichte der Reichs- Provenienz: Privatsammlung Westfa- Künstler, Politiker und Repräsentan- hauptstadt und der Wilhelminischen len ten der Stadt erwiesen ihm die letzte Zeit liefern.“1 Ehre, das einfache Volk beweinte sei- Von der Not getrieben und in der Hoff- nen geliebten ‚Raffael der Hinterhö- nung auf eine bessere Zukunft kam die fe‘. Zille hinterließ ein Werk, das in verschuldete Familie Zille mit Tochter seiner Art in Deutschland einzigartig

Am Alexanderplatz. Schwarze und farbige Kreiden, 43,5 : 32,5 cm Stadtmuseum Berlin Foto von Heinrich Zille, Ecke Friedrichstrasse/Mittelstraße um 1901/1902

1 Fischer, Rolf, Heinrich Zilles Berlin. Sein Milljöh in Zeichnungen und zeitgenössischen Fotografi- en. Köln o. J. S. 7

204 205 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin)

Ohne Titel (Mutter mit Kind).

Kohlezeichnung auf Velin (rückseitig bedeutet: Schmerz und Sorge - und fragmentarische Studie eines weib- Glück zugleich. Und selbst da, wo er lichen Oberkörpers), ohne Jahr. 8,5 : die Mutter zeigt, wie sie ihrem Kind 7,5 cm auf 12 : 8,7 cm. Verso Mon- die Läuse absucht, weiß er durch sei- tierungsreste. ne künstlerische Vermittlung noch ein verstehendes Lächeln zu erwecken. Provenienz: Privatsammlung Westfa- Für seine Mutter hatte er die höchste len (1972 in der Galerie Rosenbach, Verehrung - nicht minder für die Mut- Hannover erworben). ter seiner Kinder. >Ne Mutter ist im- mer was Heiliges!< sagte er oft.“1 „Immer aber lockte ihn das Thema >Mutter und Kind<. Er wußte wa- rum, was das Kind für die Mutter

recto

verso

1 Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.- 50 Tsd. Berlin 1930. S. 21 f.

206 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin)

Ohne Titel (Dienstmann).

Kohle- und Farbkreidezeichnung auf chern, und er wußte wohl den Wert des sparen: Heinrich >fingerte<, wie er Teil eines Briefumschlages, ohne Jahr. Geldes zu schätzen, das ihm im Alter, das Zeichnen nannte, auf jedem Pa- 13 : 5 cm auf 14,5 : 9,2 cm. Im ehe- im Gegensatz zu seinen Äußerungen, pierfetzen, der ihm noch geeignet dazu maligen Passepartout-Ausschnitt ge- die auch so von seinen Biographen erschien, und so finden wir heute die bräunt. Verso mit der Beschriftung in übernommen wurden, reichlich zuge- schönsten Studien auf Rückseiten von Tinte „Herrn! H. Zille“ sowie dem ro- flossen war und nach seinem Tode ein sorgfältig auseinandergenommenen ten Nachlaßstempel (Lugt 2676 b) stattliches Erbe ausmachte. Trotzdem Briefumschlägen, zerschnittenen tech- Provenienz: Privatsammlung Westfalen war er stets sparsam bis zum Exzeß. nischen Zeichnungen, ungedruckten (1972 in der Galerie Rosenbach, Han- Er rechnete seiner Frau die Pfenni- Rückseiten von Rechnung und Prospek- nover erworben). ge vor, zeichnete im schlechtgeheizten ten. Zeichenpapier war ihm zu teuer, Atelier mit Handschuhen, die nach Art und als ihm Freunde zum Geburtstag „Für einen wohlhabenden Berliner des flotten Autofahrers an den Finger- ein in Leder gebundenes Skizzenbuch hat er recht bescheiden gewohnt. Ja, kuppen abgeschnitten waren, um die mit Büttenpapier schenkten, trug er es der >Anwalt der Armen< hatte es klammen Finger beweglich zu halten. in die Vitrine wie ein kostbares Ausstel- verstanden, mit seinen Pfunden zu wu- Er verstand es, überall und immer zu lungsobjekt. nach seinem Tode lag es immer noch da: unberührt.“ 1

verso

recto Heinrich Zille Dienstmann um 1910 Farbige Kreide 19 : 13,3 cm Stadtmuseum Berlin

1 Rosenbach, Detlef, Zwischen Tradition und Moderne. Katalog 28. Hannover 1985. S. 74

207 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin)

Ohne Titel (Frau mit Dutt).

Kohlezeichnung auf Velin, ohne Jahr. Walter zur Kennzeichnung der in er jene rundlichen Formen, die die 11,2 : 7,5 cm auf 13,5 : 10,5 cm. Im seinem Besitz befindlichen Origina- meisten der kleinformatigen Blätter ehemaligen Passepartoutausschnitt le benutzt. Er ist auf unsignierten auszeichnen und deren Ausdrucks- leicht gebräunt. Verso Montierungs- Studien und Skizzen anzutreffen 1 kraft im Geranke der Linien liegt: reste. Auf Papier montiert, hier verso eine Art zu gestalten, die er bis in das der rote Nachlaßstempel „Nachlaß „Äußerst vielfältig ist der Duktus der letzte Lebensjahrzehnt beibehalten Prof. Heinrich Zille“ sowie die hand- Studien und Skizzen des kaum über- hat. Die auf den unterschiedlichsten schriftliche Notiz „S. Z“ schaubaren Nachlasses; die meisten Papieren ausgeführten Skizzen haben von ihnen dürften in den zehn Jahren oft nur die Größe eines Briefumschla- Provenienz: Privatsammlung Westfa- nach der Jahrhundertwende entstan- ges und waren als Vorlagen für größe- len (1972 in der Galerie Rosenbach, den sein. Hier zeigt sich am ehesten re Kompositionen gedacht. Vereinzelt Hannover erworben). die Virtuosität des Künstlers, die Ei- finden wir diese kleinen Blätter auch genart einer Bewegung, eines Vorgan- mit Kohle skizziert, während er die Zum Stempel: Dieser rote Nach- ges oder gar eines Charakters festzu- Feder in dieser Zeit kaum benutzt.“ 2 laßstempel wurde von Zilles Sohn halten. Mit der zu Studienzwecken am häufigsten benutzten Kreide erreicht

Paula mit die Krampfaderbeene „Früher war ick de Venus von‘s Imperial. Nu bin ick de Paula mit die Krampfaderbee- ne. Kreideskizze nach der Natur (Ostwald, Hans, Zille‘s Ver- mächtnis. 26.-50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 171)

2 Altner, Renate, Der Einfluß der Berliner Sezession auf die Ausprägung des grafischen Stiles von 1 Siehe hierzu: Rosenbach, Detlev, Hrsg., Heinrich Zille. In: Heinrich Zille 1858-1929. Katalog der Heinrich Zille. Das graphische Werk. Hannover 1984. S. 32 Ausstellung im Märkischen Museum Berlin o. J. S. 119

208 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin)

Ohne Titel (Frau mit Hut).

Kohle- und Farbkreidezeichnung auf als die Bildhaft ausgearbeiteten Zeich- Doch meist hielt Zille am Umriß fest, Velin, ohne Jahr. 9,5 : 7,5 cm auf 12,3 nungen lassen die Skizzen und Studien und mehr oder weniger sind die Details : 9,7 cm. Im ehemaligen Passepartout- Phasen einer künstlerischen Entwick- markiert, die Schatten angedeutet. In Ausschnitt gebräunt, am oberen Rand lung erkennen. Mit spielender Leichtig- der bildhaft ausgearbeiteten Zeichnung kleiner Einriss, verso Montierungsres- keit umreißt der Stift die Gestalt, verrät verdichtet sich de Form, wird körper- te. die Feinheiten der Physiognomie. Hin haft und bezieht die Umgebung in die Provenienz: Privatsammlung Westfalen und wieder arbeitet er ganz im Sinne meist mit schwungvollen Linien gestal- (1972 in der Galerie Rosenbach, Han- des Impressionismus. Mit der Auflösung teten Figuren ein. Sicherheit des Strichs nover erworben). der Linie um dem pointierten Einsatz paart sich mit einer erstaunlichen Fä- der farbigen Kreiden erreicht er jenen higkeit, Bewegung zu erfassen.“1 1 Altner, Renate, Der Einfluß der Berliner „Allmählich handhabt er die Kreide im- atmosphärischen Reiz, der die Bildwer- Sezession auf die Ausprägung des grafischen Stiles von mer freier und dynamischer. Mehr noch ke des Impressionismus auszeichnet. Heinrich Zille. In: Heinrich Zille 1858-1929. Katalog der Ausstellung im Märkischen Museum Berlin o. J. S. 112

links: „Frau H..., Plättanstaltbesitzerin“. Kohlestudie (Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.- 50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 194) rechts: Frau mit Pleureuse. Radierung 1908. Rosenbach 32. Abgebildet in: Zille, Kinder, S. 56: „Trübe Aussicht. >Unter Polizeiuffsicht und unmoderne Kluft, da kann man keene besseren Be- kanntschaften machen<

209 Heinrich Zille (Radeburg 1858 - 1929 Berlin)

Ohne Titel (In der Laubenkolonie)

Zwei Bleistiftzeichnungen recto und Kempten; Galerie Rosenbach, Han- verso auf Velin, ohne Jahr. 31,6 : 15,8 nover; Privatsammlung Westfalen cm (Blattformat). Verso mit dem ro- (1972 bei Rosenbach erworben). ten Nachlaßstempel (Lugt 22676 b) „In einer Skizze von einem Ehepaar, sowie dem Sammlungstempel „Zille das seine Gartenerde umgräbt, hat Sammlung Auzinger“ und der hand- Heinrich Zille eine monumentale Ver- schriftlichen Bezifferung „23“ sowie herrlichung dieser Ur-Arbeit geschaf- „2702“. Recto in der Mitte kleine Lä- fen. Selten ist wohl mit so wenig Stri- sur, verso Montierungsreste. Die Rän- chen ein so monumentaler Eindruck der mit Altersspuren. von der Arbeit an dem Boden erreicht worden, wie ihn hier Heinrich Zille Provenienz: Sammlung Auzinger/ schuf.“1

„Laß man, Olle, wir haben‘t bald jeschafft!“ Kohleskizze aus einer Laubenkolonie (Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.- 50 Tsd. Berlin 1930. Abb. 15)

1 Ostwald, Hans, Zille‘s Vermächtnis. 26.-50 Tsd. Berlin 1930. S. 22

210 recto verso

211 art Karlsruhe unsere Messebeteiligungen Cologne Fine Art

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