17 mm 175 mm 46 mm 175 mm 17 mm 17 mm MENDELSSOHN MENDELSSOHN

Felix Mendelssohn Bartholdy war als Komponist zu viel- seitig, um in eine Schublade zu passen. Robert Schumann sprach vom »Mozart des 19. Jahrhunderts«, Richard Wagner sah in ihm allein den »jüdischen« Komponisten, Johannes Brahms und Max Reger verehrten ihn als romantischen Sinnstifter. Zu Lebzeiten gefeiert, postum mit antisemitischer Hetze überschüttet, von den Konzert- podien verdrängt, im »Dritten Reich« verboten und danach erst langsam wiederentdeckt, hat kein anderes Komponistenbild so unter seiner Rezeptionsgeschichte

leiden müssen wie jenes von Mendelssohn. Er selbst 245 mm versuchte, in einem gesellschaftspolitisch verwirrenden, aber auch inspirierenden Zeitalter – das romantisch- verträumt und zugleich bürgerlich-realistisch sein wollte – seinen Platz zu finden. HAND

HAND Das HANDBUCH bietet Besprechungen nahezu sämtlicher Einzelwerke, thematisiert Lebens- und Werkkonzepte, Kontexte und Einflüsse, Schaffensprozesse und die komplexen Rezeptionsmechanismen, die unser Mendels- sohn-Bild bis heute prägen.

Insgesamt liefert es mit seinem Fokus auf Grundlagen- forschung und Biographik, Ästhetik und Wirkungs- geschichte einen überblicksartigen und vielfach neuen

BUCH MENDELSSOHN Zugang zum facettenreichen Phänomen Mendelssohn.

BUCH HANDBUCH Christiane Wiesenfeldt (Hg.)

BÄRENREITER BÄRENREITER BÄRENREITER METZLER METZLER METZLER 17 mm

MENDELSSOHN HANDBUCH

Herausgegeben von Christiane Wiesenfeldt

Bärenreiter Metzler Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

eBook-Version 2020 © 2020 Bärenreiter-Verlag Karl Vötterle GmbH & Co. KG, Kassel Gemeinschaftsausgabe der Verlage Bärenreiter, Kassel, und J. B. Metzler, Berlin Umschlaggestaltung: +christowzik scheuch design Umschlagabbildung: Wilhelm von Schadow: Mendelssohn, Ölgemälde (verschollen), Düsseldorf, ca. 1835; aus: Jacques Petitpierre, Le Mariage de Mendelssohn 1837–1937, Lausanne 1937; Reproduktion: dematon.de Lektorat: Jutta Schmoll-Barthel Korrektur: Daniel Lettgen, Köln Innengestaltung und Satz: Dorothea Willerding isbn 978-3-7618-7218-5 dbv 269-01 www.baerenreiter.com www.metzlerverlag.de Inhalt

Vorwort ...... IX

Siglenverzeichnis ...... XII

Zeittafel ...... XIV

I. POSITIONEN, LEBENSWELTEN, KONTEXTE Romantisches Komponieren (von Christiane Wiesenfeldt) ...... 2 Mehrdeutigkeit als Deutungsproblem 2 Romantik als Deutungs-Option 5 Romantik im Werk 10 Mendels­ sohns Modell von Romantik 15 Literatur 18

Jüdisch-deutsche und jüdisch-christliche Identität (von Jascha Nemtsov) ...... 21 »Lieben Sie mich, Brüderchen!«: Die Heimat 21 »Jener allweltliche Judensinn«: Die Aufklärung 23 »Hang zu allem Guten, Wahren und Rechten«: Die Taufe 25 »Ein Judensohn aber kein Jude«: Die Identität 27 Literatur 29

Ausbildung und Bildung (von R. Larry Todd) ...... 31 Mendelssohns frühe Ausbildung 31 Das familiäre Bildungsideal 32 Berliner Universität und »Grand Tour« 34 Lebenslanges Streben nach Bildung 35 Literatur 36

Die Familie (von Beatrix Borchard) ...... 37 Familienauftrag 38 Die Kernfamilie 39 Ehemann und Vater 42 Das öffentliche Bild der Familie Mendels- sohn 43 Literatur 45

Der Freundeskreis (von Michael Chizzali) ...... 46 Amtsträger 46 Englische Freunde 48 Wissenschaftler und Kleriker 49 Schriftsteller 50 Maler 51 ­Musiker, Komponisten und Musikpublizisten 52 Literatur 57

Bekanntschaft mit Goethe (von Daniel Tiemeyer) ...... 59 Abraham Mendelssohn und Goethe 59 Besuche bei Goethe 60 Reisebriefe an Goethe 63 Goethes Tod und die Goethe-Zelter-Korrespondenz 63 Literatur 64

Europäische Beziehungen (von Peter Ward Jones) 65 Familiärer Hintergrund und frühe Jahre 65 Westwärts: England und Schottland 65 Südwärts: Schweiz und Italien 67 Verbindungen nach England 70 Die europäischen Musikverlage 72 Literatur 72

Öffentliche Ämter (von Stefan Menzel) ...... 74 Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf 75 Direktor der Leipziger Gewandhauskonzerte 77 Königlich- Preußischer Kapellmeister in Berlin 78 Gründer und Direktor des Leipziger Konservatoriums 79 General- musikdirektor in Berlin 80 Amtsmüdigkeit 81 Literatur 81

Der Briefschreiber (von Helmut Loos) ...... 83 Die Briefe und Adressaten 83 Leipzig und das Zeitschriftenwesen 86 Positionen 87 Grundsätze 88 ­Literatur 90 VI Inhalt

Zur Rolle alter Musik (von Daniel Tiemeyer) ...... 91 Erziehung und musikalische Sozialisation 91 Erfahrungen der Reisejahre 92 Düsseldorf 94 ­Niederrheinische Musikfeste 94 Die Bach-Pflege 97 Pflege alter Musik in Leipzig 98 Herausgeber älterer Werke 99 ­Aspekte kompositorischer Reflexion 100 Literatur 101

II. SCHAFFENSPROZESSE Von der Skizze zum Druck (von Thomas Schmidt) ...... 104 Skizzen 106 Komponieren in der Partitur 109 Abschriften 112 Aufführungsmaterialien: ­Kopistenabschriften, Stimmen, Klavierauszüge 113 Stichvorlagen und Drucklegung 116 Quellenstatus und Werkcharakter 121 Literatur 122

Schaffen zwischen Brief, Bild und Musik (von Fabian Czolbe) 124 Schreiben und Zeichnen als künstlerische Ausdrucksformen 124 Komponieren im Wechselspiel der K­ ünste 127 Literatur 130

III. WERKE

VOKALMUSIK Groß besetzte geistliche Vokalwerke (von Andreas Eichhorn) ...... 132 Frühe Kompositionen 132 Choralvertonungen 135 Psalmen mit Orchester 140 Gelegenheitswerke 142 »« 144 »Paulus« 148 »Elias« 154 Erde, Hölle und Himmel (»«), Fragment 159 Lite- ratur 161

Kleiner besetzte geistliche Vokalwerke (von Klaus Rettinghaus) ...... 163 Studienwerke 163 Lateinische Chöre 164 Stücke für den anglikanischen Gottesdienst und das englische Publikum 167 Kompositionen für den Königlichen Domchor 169 Sonstige Motetten und Chöre 175 Lite­ratur 177

Groß besetzte weltliche Vokalwerke (von Panja Mücke) ...... 179 Frühe Kasualkompositionen für die Berliner Sing-Akademie 179 Klangräumliche Dispositionen für Freiluft­ aufführungen 182 Komponieren für nationale Musikfeste 186 Für die Sonntagsmusiken der Schwester: »« 188 Literatur 190

Chorlieder (von Volker Kalisch) ...... 192 Das Repertoire für gemischten Chor, S­ olistenensemble und Männerchor 192 Der Chor- und Männerchor- gesang im 19. Jahrhundert 193 Publizierte Chorlieder 196 Literatur 203

Werke für Singstimme und Orchester bzw. Instrumentalensemble (von Alexander Lotzow) . . . . . 204 »Che vuoi mio cor« 204 »Tutto è silenzio« 206 »The Barbarian« 207 »Infelice! – Ah, ritorna, età dell’oro« 207 »Infelice! – Ah, ritorna, età felice« 209 »On Lena’s gloomy heath« 210 »O lasst mich einen Augenblick noch hier« 212 »Jetzt kommt der Frühling« (»Frühlingslied«) 213 Literatur 214

Weltliche Lieder für ein und zwei Singstimmen mit Klavier (von Friederike Wißmann) ...... 215 Das Strophenlied 215 Die Sujets 216 Die Textdichter 218 Ferne Zeiten und Länder 222 Wort-Ton- Kunst 222 Prosodie und Verslehre 223 Veröffentlichungen 223 Rezeption 223 Literatur 224

Musik für das Theater (von Antje Tumat) ...... 226 Singspiele und Opern 226 Schauspielmusiken 233 Literatur 245 Inhalt VII

ORCHESTERMUSIK Sinfonien (von Thomas Schmidt) ...... 246 Gattungstraditionen 246 Auf dem Weg zur großen Form: Die Streichersinfonien und die c-Moll-Sinfonie 248 Große Sinfonien in der Nachfolge Beethovens? 258 Die »Reformations-Sinfonie«, die »Italienische« und die »Schottische« 258 Literatur 274

Konzerte und konzertante Werke (von Stefan Drees) ...... 276 Konzertante Kompositionen der Jugendjahre 276 Konzerte der Reifezeit 281 Beiträge zur Gattung des Konzertstücks 285 Ästhetik und Anspruch konzertanten Komponierens 288 Literatur 289

Ouvertüren und andere Orchesterwerke (von Benedikt Leßmann) ...... 291 Die Konzert-Ouvertüre: Definition, Geschichte, Ästhetik 291 Ouvertüren 293 Sonstige Orchesterwerke 308 Literatur 310

KAMMERMUSIK Kammermusikalische Werke mit Klavier (von Hartmut Schick) ...... 312 Gattungen, Kompositionsphasen und Strategien 312 Erstlingswerke für drei, zwei und vier Instrumente (1820/21) 314 Klavierquartette op. 1 bis 3 und Klaviersextett D-Dur 318 Die Sonaten von 1823/24 für Vio- line, Viola und Klarinette 325 Die Konzertstücke für Klarinette, Bassetthorn und Klavier 328 Die letzte Violinsonate und die Werke für Violoncello und Klavier 330 Die späten Klaviertrios 336 Literatur 342

Kammermusikalische Werke ohne Klavier (von Clemens Harasim) ...... 344 Frühe Streicherfugen 344 Streichquartett Es-Dur 345 Streichoktett Es-Dur 345 Streichquintett A-Dur 347 Streichquartett a-Moll 349 Streichquartett Es-Dur 351 Streichquartett e-Moll 352 Streichquartett Es-Dur 354 Streichquartett D-Dur 355 Streichquintett B-Dur 357 Streichquartett f-Moll 358 Einzelsätze und Frag- mente 359 Literatur 362

KLAVIERMUSIK Werke für Klavier (von Hans-Joachim Hinrichsen) ...... 363 Der Komponist am Klavier 363 Musikästhetik und Gattungssystem 366 Die Werke 367 Lieder ohne Worte 381 Klaviermusik für vier Hände 387 Anmerkungen zur Rezeption 388 Literatur 389

Werke für Orgel (von Michael Meyer) ...... 391 Orgel und Orgelspiel 391 Kompositionen 392 Literatur 400

IV. REZEPTION UND WIRKUNGSGESCHICHTE Die Rezeption im »langen« 19. Jahrhundert (von Barbara Eichner) 402 Ein »Klassiker« im Zeitalter der Fortschrittsgläubigkeit 405 Die kompositorische Rezeption 408 Der Künstler in der bürgerlichen Gesellschaft 411 »Das Judentum in der Musik« 415 Literatur 420

Die Rezeption 1918 bis 1945 (von Yvonne Wasserloos) 422 Identität 422 Bildungsideal und Kompositionsästhetik 426 Popularität und Kanon 428 Literatur 432

Die Renaissance nach 1945 (von Marie Louise Herzfeld-Schild) 434 Nachlass und Editionen 434 Das »Problem Mendelssohn« 436 Erinnerungsorte 438 Kompositorische ­Rezeption 440 Bezüge in Kompositionen des 20. und 21. Jahrhunderts (von Ralf Wehner) 442 ­Literatur 442 VIII Inhalt

Widmungen an Mendelssohn (von Maximilian Rosenthal) ...... 444 Widmungen: Funktion und Bedeutung im 19. Jahrhundert 444 Gedruckte Widmungen 445 Postume Wid- mungen 450 Handschriftliche Widmungen 451 Literatur 451

Interpretationen: Geschichte und Wandel (von Heinz von Loesch) ...... 453 Repertoiregeschichte 453 Interpretationsvielfalt 456 Interpretationsgeschichte 457 Literatur, Ausgaben und Tonträger 461

Mendelssohn im Film (von Julia Heimerdinger) 463 Mendelssohns Musik als Filmmusik 463 Die Figur Mendelssohn im Film 466 Literatur 466

ANHANG Werkverzeichnis und Werkregister ...... 470

Werkverzeichnis nach Opuszahlen ...... 485

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren ...... 487

Personenregister ...... 492 IX

Vorwort

Mendelssohn – der Komponist: So lautete der ­Titel dem Mendelssohns Netzwerke, seine bürgerlichen eines wegweisenden Buches, das Friedhelm Krum- Aktivitäten und Kontexte oder auch seine internatio- macher 1978 veröffentlichte. Der Buchtitel­ erscheint nalen Kontakte zu Künstlern, Literaten und Philo- uns heute tautologisch, nehmen wir Felix Mendels­ sophen befragt werden, und es widmet sich auch der sohn Bartholdy doch selbstverständlich als gr­ oßen Frage, welche ästhetischen Ideen sein bemerkenswer­ Komponisten wahr. Seine Werke sind auf den Kon- tes Gesamtwerk geprägt haben, in dem bis auf eine zertpodien und im wissenschaftlichen Diskurs prä- einschlägige große Oper alles enthalten ist was das sent, und nicht zuletzt haben der berühmte Hoch- zeitgenössische Gattungsportfolio anbot. zeitsmarsch, der märchenhafte Sommernachtstraum­ , Besonders spannend ist die Frage, was an Men- das triumphale Hark! The Herald Angels Sing oder das delssohns Musik modern ist und warum dies so ist. grandiose Violinkonzert unser musikkulturelles Ge- Hat man sie oft mit Epitheta wie »klassizistisch« dächtnis in entscheidendem Maße geprägt. Dass oder »klassisch-romantisch« bezeichnet, so vermag dies aber noch 1978 ganz anders war, ist kaum mehr keines recht zu befriedigen, selbst wenn man geneigt bekannt. Schon kurz nach seinem frühen Tod wurde ist, die darin mitgetragenen Abwertungstendenzen Mendelssohn wegen seiner jüdischen Abstam­mung zu überlesen. Meint beides doch letztlich stets mehr antisemitisch verunglimpft und um seine wohl­ Altes als Neues, mehr Konservatives als Revolutio- habende Herkunft beneidet, man reduzierte seinen näres, mehr Traditionelles als Modernes. Aber wie großen künstlerischen Erfolg auf wenige, zumeist klingt moderne Musik der ersten Hälfte des 19. Jahr- kleinformartige Werke wie die Lieder ohne ­Worte und hunderts eigentlich? Und welche Gattungen, Ver- wertete seine Leistungen massiv ab. Seine ­Musik ver- tonungstypen, ästhetischen Konzepte und Vermitt- schwand zusehends aus dem öffentlichen Musikleben lungsmodelle von Musik haben Anteil an modernen und verstummte schließlich im »Dritten Reich« völlig. Entwicklungen ihrer Zeit? Wer sich auf diese Fragen Erst in den 1980er-Jahren gelang eine bis heute an- einlässt und weniger pauschalisierenden Narrativen haltende Mendelssohn-Renaissance, an der Krum- von Modernismen folgt, wird bei Mendelssohn fün- machers Studie entscheidenden Anteil hatte. Sie dig: Seine Musik war einerseits dort passgenau, wo sie wollte nicht nur der problema­tischen Rezeptions- in Liederalben und Klavierstücken den Bedürfnissen geschichte begegnen, sondern zeigen, dass die Musik einer bürgerlichen Amateur-Musikkultur zuarbeitete.­ selbst es war, die eine Auseinandersetzung lohnte – Andererseits waren dieselben Werke literarisch hoch mehr noch, dass in ihr einer der größten Beiträge ambitioniert, indem sie in einzigartigen Gattungs- zur Kompositionsgeschichte des 19. Jahrhunderts gründungen wie den Liedern ohne Worte oder in nicht nur zu behaupten, sondern auch analytisch Kunstliedern die zeitgenössische Nachfrage­ dersel- nachzuweisen war. ben literarisierenden Salon-Klientel nach poetisch- Die Konzentration auf Mendelssohns Schaffen, romantischer Transzendierung von Musik befriedig- die Würdigung als bedeutender Komponist und der ten. Seine Männergesänge bedienten zwar geradezu davon ausgehende Imperativ, sich forschend, hör­ end, perfekt den wachsenden Musikbedarf patriotischer, nachdenkend seiner Musik zuzuwenden: Dies ist der deutschtümelnder Gesangsvereine, und dies sogar weit Ausgangspunkt auch unseres Handbuchs. Zudem bis in die nationale Emphase des Deutschen ­Reiches weitet es den Horizont über die ­Werke hinaus, in- hinein. Zugleich aber tragen sie vokalpoly­phon feinst X Vorwort ausgearbeitete ­Kontrapunktik historisch ­weiter, pro- the und dem Inspirationsfeld der alten Musik (D­ aniel duktiv geschöpft aus alter Musik und rückgebunden Tiemeyer). Die Darstellung der Schaffenspr­ ozesse an bedeutende, in der Romantik überhaupt erst als nimmt den Weg von der Skizze bis zum Druck eben- ästhetisch reizvoll ­erkannte Vokalmusik vergangener so in den Blick (Thomas Schmidt), wie sie dem für Jahrhunderte. Und während die Streichquartette und Mendelssohn spezifischen Schaffen zwischen Klang, Sinfonien auf ihre Art eine kompositorische Ausein- Poesie und Bild (Fabian Czolbe) nachspürt. andersetzung gleichzeitig mit Beethoven, Mozart und Damit ist der Weg bereitet für die Werkbetrach- poetischen, außermusikalischen Konzepten suchen tungen, die – dem Mendelssohn-Werkverzeichnis von und sich so aus eindimensionalen ­teleologischen Ge­ 2009 folgend – zunächst die Vokalmusik (mit Bei- schichtsvorstellungen lösen, bedienen die großen trägen von Andreas Eichhorn, Klaus Rettinghaus, Oratorien para-­konfessionelle, gleichwohl biblisch ab­ Panja Mücke, Volker Kalisch, Alexander Lotzow, gesicherte Transzendenzbedürfnisse, für deren Er­fül­ Friederike Wißmann und Antje Tumat) und sodann lung eine kompositorische Feinabstimmung zwischen die Instrumentalmusik (mit Beiträgen von Thomas vertrauten großformatigen Klangbildern Johann Se­ Schmidt, Stefan Drees, Benedikt Leßmann, ­Hartmut bastian Bachs, Georg Friedrich Händels und zeit- Schick, Clemens Harasim, Hans-Joachim ­Hinrichsen genössischer r­omantischer Klangästhetik notwendig und Michael Meyer) vielseitig diskutieren. Alle Werk- ­wurde – und gelang. Mendelssohns Musik ist in die- betrachtungen sind darum bemüht, die Faktur der sen und vielen weiteren Beispielen perspektivenreich Musik darzustellen sowie die jeweiligen Einflüsse und im besten modernen Sinne. Kontexte zu erhellen. Schließlich war es auch die Person Mendelssohn Großen Raum nimmt anschließend der A­ bschnitt selbst, die durch ihre zahlreichen Ämter, Schüler und zur Wirkungsgeschichte ein, um Mendelssohns viel- Künstlerfreunde und nicht zuletzt ihre Herkunft schichtiger, vor allem auch internationaler Rezeption aus einer berühmten jüdischen Philosophenfamilie im »langen« 19. Jahrhundert (Barbara Eichner) eben- einem weltoffenen Lebens- und Schaffenskonzept so gerecht zu werden wie der prekären Situation zwi- zugetan war, dem ein eindeutiges Etikett fehlte. Ihm schen 1918 und 1945 (Yvonne Wasserloos) und der be- war weltverneinende Einsiedlerei ebenso fremd wie merkenswerten Mendelssohn-­Renaissance nach 1945 expressiver Originalitätsdruck; Angst vor Beethoven (Marie Louise Herzfeld-Schild). Ein neuer, frucht- fehlte ihm völlig. Mendelssohn versuchte in einem bringender Ansatz der Rezeptionsgeschichte wird in gesellschaftspolitisch von verwirrenden und inspirie- einem Text zu den Widmungen an Mendelssohn er- renden Umwälzungen geprägten Zeit­alter, das roman­ probt (Maximilian Rosenthal). Abschließend stehen tisch-verträumt und doch bürgerlich-realistisch sein mit der Interpretationsgeschichte im Wandel (Heinz wollte, seinen Platz zu finden. von Loesch) und Mendelssohn im Film (Julia Hei- Ein Komponisten-Handbuch zu Mendelssohn hat, merdinger) zwei mediale Perspektiven im Fokus, die um diesem Spannungsfeld aus individuellen Perspek­ manches Unbekannte bereithalten. Insgesamt ver- tiven und Positionierungen angemessen zu begegnen,­ sucht das Handbuch mit seinem Fokus auf Grund- zunächst davon auszugehen, dass sich Mendelssohns lagenforschung und Biographik, Ästhetik und Wir- Biographie doppelt lesen lässt, als romantischer holis­ kungsgeschichte einen ebenso überblicksartigen wie tischer Sinnentwurf und als individuelle Komponisten­ vielseitig neuen Zugang zum Phänomen Mendels- karriere im ­vormärz­lichen Deutschland. Diese Lesart sohn anzubieten. bildet in unserem Handbuch den Ausgangspunkt für die Abschnitte zu den Lebenswelten, Einflüssen und *** Kontexten, die sowohl religiöse (Jascha Nemtsov), familiäre (Beatrix Borchard) und ­freundschaftliche Ein solches Handbuch-Projekt ist ohne ein Team (Michael Chizzali) Aspekte abdecken, als auch Men- aus engagierten Mitarbeitern, einem ­ausgezeichneten delssohns Bildung (R. Larry Todd), seine R­ eisen Verlags-Lektorat, einer hohen Sorgfalt in Layout, Satz (Peter Ward Jones) und seine Ämter (Stefan Menzel) und Korrektur und – vor allem – ohne einen Kreis beleuchten. Ein besonderes Augenmerk gilt dem Mendelssohn-begeisterter Autorinnen und Autoren Briefschreiber Mendelssohn (Helmut Loos) sowie nicht vorstellbar. Dass sich Letztere auf das ­Wagnis seinen Begegnungen mit Johann Wolfgang von Goe- eingelassen haben, einem Konzept zu folgen, das Vorwort XI formatbedingte Begrenzung mit dem Anspruch auf in bewundernswerter Weise den Überblick behalten. größtmögliche Perspektivenbreite und wissenschaft- Jutta Schmoll-Barthel als Lektorin des Bärenreiter-­ liche Exzellenz verbinden will, gehört zu den schöns- Verlages und Daniel Lettgen als Kor­rektor haben das ten Erfahrungen in den Jahren der Erarbeitung. Projekt der Verlage Bärenreiter und Metzler mit Die Mitarbeiter des Instituts für Musikwissenschaft­ enormem Einsatz begleitet und den Texten schließ- Weimar-Jena, Fabian Czolbe, Alexander Faschon, lich ­ihren letzten Schliff gegeben.D­ orothea Willer- Maximilian Rosenthal, Wiebke Staasmeyer, Kai Ma­ ding zeichnet für das schöne ­Layout verantwortlich. rius Schabram und Daniel Tiemeyer, haben die Re­ Bestands­haltende Institutionen in Oxford (Bodleian­ daktion mit unermüd­lichem Engagement unterstützt,­ ­Library), Berlin (Staatsbibliothek – Preußischer Kul­ Korrespondenzen und Texteinrichtungen übernom- turbesitz), Washington (Librar­ y of Congress), London men sowie unverzichtbare Verzeichnisse, Zeittafeln (Tate Gallery), Lübeck (Brahms-Institut an der Musik- und Register erstellt. Ohne diese akribischen und stets hochschule Lübeck), Frankfurt am Main (Jüdisches um konstruktive Lösungen bemühten Vorarbeiten­ Museum) und Düsseldorf (Stadtarchiv) stellten Re­ wäre das H­ andbuch nicht erschienen. ­Marie Julius, produktionen für die Abbildungen bereit. Allen Hilfskraft am Institut,­ hat Großes in der formalen Genann­ten gilt mein aufrichtigster Dank. Einrichtung sämtlicher Texte geleistet und dabei stets Christiane Wiesenfeldt Weimar, im März 2020 XII

Siglenverzeichnis

Green Books ¡ Catalogue of the Mendelssohn Papers in the Nachlass-Band 45–50 ¡ Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Bodleian Library, Oxford. Vol. 1, compiled by Margaret Preußischer Kulturbesitz, Musikalienabteilung mit Men­ Crum (= Musikbibliographische Arbeiten 7), Tutzing delssohn-Archiv, Mus. ms. autogr. F. Mendelssohn Bar- 1980 tholdy 45–50 Hensel WV 2000 ¡ Renate Hellwig-Unruh: Fanny Hensel, Nachlass-Band 51 ¡ Kraków (Krakau, Cracow), Uniwersy- geb. Mendelssohn Bartholdy – thematisches Verzeichnis tet Jagielloński, Biblioteka Jagiellońska, ­Mendelssohn der Kompositionen, Adliswil / Lottstetten 2000 Aut. 51; Anhang in Berlin, Staatsbibliothek zu B­ erlin – Inventar 1844 ¡ Mendelssohns eigenhändiges Verzeichnis Preußischer Kulturbesitz, Musikalienabteilung mit Men­ Musikalien (1844), GB-Ob, M. D. M. c. 49, fols. 29–30 delssohn-Archiv, Mus. ms. autogr. F. Mendelssohn Bar­ LMA ¡ Leipziger Ausgabe der Werke tholdy 51 Bartholdys, Leipzig 1960–1989; seit 1992: Leipziger Aus- Nachlass-Band 52 ¡ Berlin, Staatsbibliothek zu ­Berlin – Preu- gabe der Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy, hrsg. ßischer Kulturbesitz, Musikalienabteilung mit Mendels- von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu sohn-Archiv, Mus. Ms. 9035 Leipzig, Wiesbaden / Leipzig / Paris Nachlass-Band 53–55 ¡ Kraków (Krakau, Cracow), Uniwer- Musikalienverzeichnis 1823–1833 ¡ Rudolf Elvers und Peter sytet Jagielloński, Biblioteka Jagiellońska, Mendelssohn Ward Jones: Das Musikalienverzeichnis von Fanny und Aut. 53–55 Felix Mendelssohn Bartholdy, in: Mendelssohn-S­ tudien 8 Nachlass-Band 56–60 ¡ Berlin, Staatsbibliothek zu B­ erlin – (1993), S. 85–103 Preußischer Kulturbesitz, Musikalienabteilung mit Men­ MWV ¡ Ralf Wehner: Felix Mendelssohn Bartholdy. The- delssohn-Archiv, Mus. ms. autogr. F. Mendelssohn Bar- matisch-systematisches Verzeichnis der musikalischen tholdy 56–60 Werke (MWV), Studien-Ausgabe, Wiesbaden / Leipzig / Nachlass-Band (ohne Zählung) ¡ Kraków (Krakau, ­Cracow), Paris 2009 Uniwersytet Jagielloński, Biblioteka Jagiellońska, Men- Nachlass-Band 1–15 ¡ Berlin, Staatsbibliothek zu B­ erlin – delssohn Aut. Preußischer Kulturbesitz, Musikalienabteilung mit Men­ Kritische Ausgabe Rietz ¡ Felix Mendelssohn Bartholdy’s delssohn-Archiv, Mus. ms. autogr. F. Mendelssohn Bar­ Werke. Kritisch durchgesehene Ausgabe von Julius Rietz, tholdy 1–15 Leipzig 1874–1877 (19 Serien in 157 Lieferungen), Re- Nachlass-Band 16 ¡ Standort unbekannt print u. a. Farnborough, England 1967/68 Nachlass-Band 17–23 ¡ Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Sämtliche Briefe ¡ Felix Mendelssohn Bartholdy: ­Sämtliche Preußischer Kulturbesitz, Musikalienabteilung mit Men­ Briefe, hrsg. von Helmut Loos und Wilhelm Seidel, delssohn-Archiv, Mus. ms. autogr. F. Mendelssohn Bar- 12 Bände und eine CD-Rom, Kassel 2008–2017 tholdy 17–23 Sämtliche Briefe 1 ¡ Band 1: 1816 bis Juni 1830, hrsg. und Nachlass-Band 24 ¡ Standort umstritten kommentiert von Juliette Appold und Regina Back, Kas­ Nachlass-Band 25–31 ¡ Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – sel 2008 Preußischer Kulturbesitz, Musikalienabteilung mit Men­ Sämtliche Briefe 2 ¡ Band 2: Juli 1830 bis Juli 1832, hrsg. delssohn-Archiv, Mus. ms. autogr. F. Mendelssohn Bar- und kommentiert von Anja Morgenstern und Uta Wald, tholdy 25–31 Kassel 2009 Nachlass-Band 32–41 ¡ Kraków (Krakau, Cracow), Uniwer- Sämtliche Briefe 3 ¡ Band 3: August 1832 bis Juli 1834, hrsg. sytet Jagielloński, Biblioteka Jagiellońska, Mendelssohn und kommentiert von Uta Wald unter Mitarbeit von Aut. 32–41 Juliane Baumgart-Streibert, Kassel 2010 Nachlass-Band 42 ¡ Berlin, Staatsbibliothek zu Berlin – Sämtliche Briefe 4 ¡ Band 4: August 1834 bis Juni 1836, hrsg. Preußischer Kulturbesitz, Musikalienabteilung mit Men­ und kommentiert von Lucian Schiwietz und Sebastian delssohn-Archiv, Mus. ms. autogr. F. Mendelssohn Bar- Schmideler, Kassel 2011 tholdy 42 Sämtliche Briefe 5 ¡ Band 5: Juli 1836 bis Januar 1838, hrsg. Nachlass-Band 43 ¡ an verschiedenen Standorten und kommentiert von Uta Wald unter Mitarbeit von Nachlass-Band 44 ¡ Kraków (Krakau, Cracow), Uniwersytet Thomas Kauba, Kassel 2012 Jagielloński, Biblioteka Jagiellońska, Mendelssohn Aut. 44 Siglenverzeichnis XIII

Sämtliche Briefe 6 ¡ Band 6: Februar 1838 bis September Sämtliche Briefe 12 ¡ Band 12: Februar 1847 bis November 1839, hrsg. und kommentiert von Kadja Grönke und 1847, Gesamtregister der Bände 1 bis 12, hrsg. und kom- Alexander Staub, Kassel 2012 mentiert von Stefan Münnich, Lucian Schiwietz und Sämtliche Briefe 7 ¡ Band 7: Oktober 1839 bis Februar 1841, Uta Wald, Kassel 2017 hrsg. und kommentiert von Ingrid Jach und Lucian Thematisches Verzeichniss 1846 ¡ Thematisches­V erzeichnis im Schiwietz, Kassel 2013 Druck erschienener Compositionen von Felix Mendels- Sämtliche Briefe 8 ¡ Band 8: März 1841 bis August 1842, sohn Bartholdy, Leipzig 1846; zu Lebzeiten erschienene hrsg. und kommentiert von Susanne Tomkovič, Chris- erste Ausgabe des bei Breitkopf & Härtel in v­ erschiedenen toph Koop und Sebastian Schmideler, Kassel 2013 Auflagen gedruckten Werkverzeichnisses Sämtliche Briefe 9 ¡ Band 9: September 1842 bis Dezem- Verzeichnis Rietz ¡ Julius Rietz: Verzeichniß der sämmt­ ber 1843, hrsg. und kommentiert von Stefan Münnich, lichen musikalischen Compositionen von Felix Mendels­ ­Lucian Schiwietz und Uta Wald unter Mitarbeit von sohn Bartholdy, in: Briefe aus den Jahren 1833 bis 1847 Ingrid Jach, Kassel 2015 von Felix Mendelssohn Bartholdy, hrsg. von Paul und Sämtliche Briefe 10 ¡ Band 10: Januar 1844 bis Juni 1845, Carl Mendelssohn Bartholdy, Leipzig 1863, Reprint Pots- hrsg. und kommentiert von Uta Wald, Kassel 2013 dam 1997, S. 499–520 Sämtliche Briefe 11 ¡ Band 11: Juli 1845 bis Januar 1847, hrsg. und kommentiert von Susanne Tomkovič, Christoph Koop und Janina Müller, Kassel 2016 XIV

Zeittafel

erstellt von Alexander Faschon

Jahr Biographisches Werke Kulturhistorisches

1805 ƒ 15. Nov.: wird als erstes Kind von Abraham und Lea Mendelssohn in Hamburg geboren

1809 ƒ 3. Feb.: Felix Mendelssohn wird in Ham- ƒ 31. Mai: Tod Joseph Haydns burg geboren ƒ 16. Aug.: Gründung der Berliner Universität

1810 ƒ 22. Feb.: Geburt Frédéric Chopins ƒ 8. Juni: Geburt Robert Schumanns

1811 ƒ 11. April: Rebecka Mendelssohn wird geboren ƒ 22. Okt.: Geburt Franz ƒ Sommer: Flucht der Familie nach Berlin Liszts vor der französischen Besatzung Ham- ƒ 24. Okt.: Geburt Ferdinand burgs Hillers ƒ 21. Nov.: Tod Heinrich von Kleists

1812 ƒ 13. Mai: Ludwig van Beethoven vollendet seine 7. Sinfonie

1813 ƒ 30. Okt.: Paul Mendelssohn wird geboren ƒ 22. Mai: Geburt Richard Wagners ƒ 10. Okt.: Geburt Giuseppe Verdis ƒ 16.–19. Okt.: Völkerschlacht bei Leipzig

1814 ƒ 23. Mai: Beethovens Oper Fidelio uraufgeführt ƒ 18. Sept.: Beginn des Wie- ner Kongresses

1815 ƒ Erster Unterricht durch die Eltern ƒ Verbannung Napoleons ­Abraham und Lea ƒ 1. April: Geburt Otto von Bismarcks

1816 ƒ 21. März: Evangelische Taufe der Kinder in der Jerusalems- und Neuen Kirche zu Berlin. Felix erhält zusätzlich zu seinem Rufnamen die Namen Jacob Ludwig ƒ Reise der Familie nach Paris, dort erhalten die Kinder Klavierunterricht bei Marie Bigot ƒ Klavierunterricht bei Ludwig Berger ƒ Mendelssohn erhält Violinunterricht bei Carl Wilhelm Henning Zeittafel XV

Jahr Biographisches Werke Kulturhistorisches

1817 ƒ 22. Feb.: Geburt Niels Wilhelm Gades ƒ G. W. F. Hegel: Enzyklo­ pädie der ­philosophischen Wissenschaften im Grund­ riß

1818 ƒ 28. Nov.: Mendelssohns erster öffentlicher ƒ Beethoven: Hammer­ Auftritt bei einem Konzert des Waldhorn-­ klaviersonate op. 106 Virtuosen Joseph Gugel ƒ 5. Mai: Geburt Karl Marx’

1819 ƒ die Kinder erhalten häuslichen ­Unterricht ƒ 13. Sept.: Geburt Clara bei Carl Wilhelm Ludwig Heyse Wiecks ƒ Theorie- und Kompositionsunterricht bei ƒ Arthur Schopenhauer: Carl Friedrich Zelter Die Welt als Wille und Vor­ stellung (1. Band) ƒ : Aufforderung zum Tanz WeV S. 10

1820 ƒ 1. Okt.: Eintritt Mendelssohns in die Ber- ƒ Die Soldatenliebschaft, ƒ 6. Okt.: Geburt Jenny liner Sing-Akademie MWV L 1 Linds

1821 ƒ Okt. / Nov.: Reise mit Zelter nach Weimar, ƒ Die beiden Pädagogen, Singspiel ƒ 18. Juni: Carl Maria von dort Bekanntschaft mit Johann Wolfgang MWV L 2 (publ. 1966) Webers Oper Der Frei­ von Goethe. Auf der Durchreise Besuch schütz WeV C. 7 uraufge­ bei Johann Gottfried Schicht in Leipzig, führt der in der Thomaskirche eine Motette von ƒ Hegel: Grundlinien der Mendelssohn aufführt Philosophie des Rechts

1822 ƒ Die Eltern konvertieren zum Protestantis­ ƒ 18. Okt.: Klavierquartett Nr. 1 c-Moll ƒ 25. Juni: Tod E. T. A. Hoff­ mus und führen nun den Beinamen MWV Q 11 (publ. 1823) manns Bartholdy ƒ Die wandernden Komödianten, Singspiel ƒ Franz Schubert: Sinfonie ƒ Juli – Okt.: Reise der Familie in die MWV L 3 Nr. 7 h-Moll D 759, »Un- Schweiz. Bekanntschaft mit Louis Spohr vollendete« und Ferdinand Hiller ƒ Beginn der regelmäßigen Sonntagsmusiken im Hause Mendelssohn

1823 ƒ Herbst: Mendelssohns Konfirmation ƒ Klavierquartett Nr. 2 f-Moll MWV Q 13 ƒ Beethoven: 9. Sinfonie ƒ Weihnachten [?]: Er erhält von der Groß- (publ. 1825) d-Moll op. 125 mutter Babette Salomon eine Abschrift ƒ April / Mai: Konzert d-Moll für ­Violine, von Johann Sebastian Bachs Matthäus- Klavier und Orchester MWV O 4 Passion BWV 244 (publ. 1960) ƒ 3. Juni: Sonate f-Moll für Violine und Klavier MWV Q 12 (publ. 1825) ƒ Herbst: Sechs Streichersinfonien MWV N 1–6 (publ. 1972) ƒ Sept. / Okt.: Konzert E-Dur für zwei Klaviere und Orchester MWV O 5 (publ. 1960) ƒ 6. Nov.: Der Onkel aus Boston / Die ­beiden Neffen, Komische Oper MWV L 4

1824 ƒ Nov.: Bekanntschaft mit Ignaz Moscheles ƒ 31. März: Sinfonie Nr. 1 c-Moll ƒ Beethoven: Missa solemnis MWV N 13 (publ. 1830) op. 124 ƒ 10. Mai: Klaviersextett D-Dur ƒ 2. März: Geburt Bedřich MWV Q 16 (publ. 1868) Smetanas ƒ 12. Nov.: Konzert As-Dur für zwei ƒ 4. Sept.: Geburt Anton ­Klaviere MWV O 6 (publ. 1961) Bruckners XVI Zeittafel

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1825 ƒ Frühjahr: Reise nach Paris, dort Begegnung­ ƒ 18. Jan.: Klavierquartett Nr. 3 h-Moll ƒ 25. Okt.: Geburt Johann mit Luigi Cherubini, der sich begeis­tert MWV Q 17 (publ. 1825) Strauß’ (Sohn) über das Klavierquartett h-Moll äußert. ƒ 15. Okt.: Streichoktett Es-Dur ƒ 14. Nov.: Tod Jean Pauls Außerdem Bekanntschaft mit Daniel- MWV R 20 (publ. 1833) ƒ Chopin: Rondo c-Moll François-Esprit Auber, Pierre ­Baillot, ƒ Oper Die Hochzeit des Camacho für Klavier op. 1 Alexandre Boucher, Charles-Simon Catel, MWV L 5 (publ. 1828) Jacques Fromental Halévy, Henri Herz, Johann Nepomuk Hummel, Friedrich Kalkbrenner, Rudolphe Kreutzer, Franz Liszt, Giacomo Meyerbeer, George Onslow, Anton Reicha, Gioachino Rossini ƒ Spätsommer: Umzug der Familie in die Leipziger Straße 3

1826 ƒ Mendelssohn reicht seine Oper Die Hoch­ ƒ 4. März: Ouvertüre C-Dur MWV P 2 ƒ 12. April: Carl Maria von zeit des Camacho bei der Berliner Oper ein (publ. 1867) Webers Oper Oberon ƒ 22. März: Sonate E-Dur für Klavier WeV C. 10 uraufgeführt MWV U 54 (publ. 1826) ƒ 5. Juni: Tod Carl Maria ƒ 6. Aug.: Ouvertüre E-Dur zu Shake- von Webers speares Sommernachtstraum MWV P 3 (publ. 1832)

1827 ƒ 29. April: Uraufführung der Hochzeit des ƒ Drucklegung der Zwölf Gesänge für ƒ 26. März: Tod Beethovens Camacho an der Berliner Hofoper mit eine Singstimme und Klavier (davon mäßigem Erfolg drei komponiert von Fanny) MWV ƒ Spätsommer: Ferienreise zum Rhein mit Sammeldruck 2 Eduard Magnus und Louis Heydemann ƒ Herbst: Immatrikulation an der Berliner Universität ƒ Heyse wird an die Berliner Universität be ­rufen. Fortan altsprachlicher Unterricht bei Johann Gustav Droysen

1828 ƒ Okt.: Reise nach Brandenburg, dort Gast ƒ 29. März: Heinrich des Singvereinsleiters Samuel Dietrich Marschners Oper Der Steinbeck Vampyr uraufgeführt ƒ 19. Nov.: Tod Franz Schu- berts

1829 ƒ 11./29. März: Erste Wiederaufführungen ƒ 30. Jan.: Variations concertantes ƒ Schumann: Abegg-Variatio­ von Bachs Matthäus-Passion mit der Ber­ (Andante con variazioni) D-Dur für nen für Klavier op. 1 liner Sing-Akademie Violoncello und Klavier MWV Q 19 ƒ April – Nov.: 1. Englandreise: London, spä- (publ. 1830) ter nach Schottland (Hebriden) und Wales ƒ 3. Okt.: Fanny heiratet Wilhelm Hensel

1830 ƒ Mai – Nov.: Bildungsreise in den Süden ƒ Drucklegung der Zwölf Lieder für eine ƒ Die elfjährige Clara Wieck (über u. a. München, Salzburg, Wien, Singstimme und Klavier (davon drei unternimmt ihre erste ­Venedig, Bologna, Florenz) komponiert von Fanny Hensel) MWV Konzertreise ƒ Nov. – Apr. 1831: Rom Sammeldruck 3 ƒ Berlioz: Sinfonie ­fantastique ƒ 13. Juni: Rondo capriccioso E-Dur für op. 14 Klavier MWV U 67 (publ. 1830) ƒ 12. Mai: Sinfonie Nr. 5 (»Reformations-­ Sinfonie«) d-Moll MWV N 15 (publ. 1868) ƒ 16. Dez.: Ouvertüre h-Moll Die H­ ebriden oder Die Fingals-Höhle MWV P 7 (publ. 1833)

1831 ƒ April – Mai: Neapel, Pompeji, Ischia, ƒ Okt.: Konzert Nr. 1 g-Moll für Klavier ƒ Sachsen erhält eine Ver- Amalfi, Capri und Orchester MWV O 7 (publ. 1832) fassung ƒ Juni: Rom, Perugia, Florenz ƒ 14. Nov.: Tod Hegels Zeittafel XVII

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1831 ƒ Juli: Mailand, Genua ƒ Heinrich Heine verlässt ƒ Aug.: Genf, Vevey, Unterseen, Inter­laken, Deutschland Engelberg, Rhonegletscher, Luzern, Schwyz ƒ Schumanns Debüt als ƒ Sept.: Rapperswil, Walenstadt, Sargans, Musikschriftsteller in der St. Gallen, Lindau, Memmingen, Augsburg Allgemeinen musikalischen ƒ Sept. – Dez.: München, Stuttgart, Heidel- Zeitung berg, Frankfurt a. M., Düsseldorf, Lüttich ƒ Dez. – Apr. 1832: Paris. Dort Wiederbegeg- nung mit Pierre Baillot und Cherubini, erste Kontakte zu Frédéric Chopin

1832 ƒ 23. April – Juni: 2. Englandreise: London ƒ Drucklegung der Sechs Gesänge für ƒ Mit der Reform des eng- ƒ Nov.: Auftrag der Philharmonic Society eine Singstimme und Klavier MWV lischen Parlaments haben zur Komposition einer Sinfonie, einer Sammeldruck 6 nun eine Million Bürger Ouvertüre und eines Gesangsstücks ƒ Drucklegung des ersten Heftes Lieder das Wahlrecht ohne Worte MWV Sammeldruck 5 ƒ 23. Jan.: Tod Eduard Rietz’ ƒ 13. Feb.: Die erste Walpurgisnacht, ƒ 10. März: Tod Muzio Ballade für Soli, gemischten Chor und Clementis Orchester MWV D 3 (publ. 1844) ƒ 22. März: Tod Goethes ƒ 18. Mai: Capriccio brillant h-Moll für Klavier und Orchester MWV O 8 (publ. 1832)

1833 ƒ 22. Jan.: Erfolglose Kandidatur um die ƒ 13. März: Sinfonie Nr. 4 A-Dur ƒ Chopin: Études für Klavier­ Nachfolge Zelters an der Berliner Sing- (­»Italienische«) MWV N 16 (publ. 1851) op. 10 Akademie. Gewählt wird Carl Friedrich ƒ 14. Nov.: Ouvertüre F-Dur zum ƒ 7. Mai: Geburt Johannes Rungenhagen Märchen von der schönen Melusine Brahms’ ƒ Frühjahr: Mendelssohn nimmt die Ein­ MWV P 12 (publ. 1836) ƒ François Joseph Fétis: ladung an, das Niederrheinische Musikfest Biographie universelle des zu leiten musiciens (1833–1844) ƒ April – Mai: 3. Englandreise: London ƒ 20. Mai: Mendelssohn unterzeichnet den Vertrag als Städtischer Musikdirektor in Düsseldorf für die Tätigkeitsbereiche bürgerliches Konzertwesen, Kirchenmusik und Theater ƒ Juni – Aug.: 4. Englandreise: London, Greenwich, Portsmouth, Isle of Wight ƒ 1. Okt.: Amtsantritt in Düsseldorf

1834 ƒ Ende Aug.–Okt: Reise nach Berlin. Besuch ƒ 29. Jan.: Rondo brillant Es-Dur für ƒ 12. Feb.: Tod Friedrich in Kassel bei Moritz Hauptmann (6. Okt.) Klavier und Orchester MWV O 10 Schleiermachers ƒ 23. Okt.: Mendelssohn dirigiert das erste (publ. 1834) ƒ 3. April: Erste Ausgabe der Abonnementkonzert des Düsseldorfer Neuen Zeitschrift für Musik Musikvereins ƒ Berlioz: Harold en Italie op. 16

1835 ƒ 26. Jan.: Mendelssohn nimmt das ­Angebot ƒ Drucklegung des zweiten Heftes Lieder ƒ Schumann: Carnaval für an, die Leipziger Gewandhauskonzerte ohne Worte MWV Sammeldruck 9 Klavier op. 9; Sinfonische zu leiten Etüden für Klavier op. 13 ƒ 1. Sept.: Amtsantritt als Gewandhauskapell- ƒ 8. April: Tod Wilhelm von meister. Aufgaben umfassen ca. 20 Abonne­ Humboldts mentkonzerte, Kammer­musik und »Extra­ ƒ 24. Sept.: Tod Vincenzo concerte« Bellinis ƒ 4. Okt.: Erstes Gewandhauskonzert unter ƒ 26. Sept.: Gaetano Doni- Mendelssohns Leitung zettis Oper Lucia di Lam­ ƒ Okt.: Mit Moscheles kurze Reise nach mermoor uraufgeführt Berlin, wo Mendelssohn zum letzten Mal seinen Vater sieht ƒ 19. Nov.: Abraham Mendelssohn stirbt in Berlin XVIII Zeittafel

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1836 ƒ 8. März: Mendelssohn erhält die Ehren- ƒ 18. April: Paulus. Oratorium nach ƒ 9. Jan: Geburt Camille doktorwürde der Philosophischen Fakultät Worten der heiligen Schrift MWV A 14 Saint-Saëns’ der Universität Leipzig (publ. 1836) ƒ 29. Feb.: Giacomo Meyer- ƒ 22./23. Mai: Niederrheinisches Musikfest beers Oper Les Huguenots in Düsseldorf uraufgeführt ƒ Juni – Sept.: Aufenthalt in Frankfurt, um den erkrankten Johann Nepomuk Schelble als Leiter des Frankfurter Cäcilienvereins zu vertreten ƒ 9. Sept.: Verlobung mit Cécile Jeanrenaud

1837 ƒ 28. März: Mendelssohn heiratet Cécile ƒ Drucklegung der Sechs Gesänge für ƒ Schumann: Phantasie­stücke Jeanrenaud in Frankfurt eine Singstimme und Klavier MWV op. 12 ƒ Aug. – Sept.: 5. Englandreise: London, Sammeldruck 13 ƒ Berlioz: Requiem op. 5 Birmingham ƒ Drucklegung des dritten Heftes Lieder ƒ 11. Jan.: Tod John Fields ohne Worte MWV Sammeldruck 16 ƒ 22. Dez.: Albert Lortzings ƒ 18. Juni: Streichquartett e-Moll Oper Zar und Zimmer­ MWV R 26 (publ. 1839) mann uraufgeführt ƒ 5. Aug.: Konzert Nr. 2 d-Moll für Klavier und Orchester MWV O 11 (publ. 1838) ƒ 22. Dez.: Der 42. Psalm (»Wie der Hirsch schreit«) MWV A 15 (publ. 1838)

1838 ƒ 7. Feb.: Geburt des ersten Sohns Carl ƒ 6. Febr.: Streichquartett Es-Dur ƒ Schumann: Kinderszenen Wolfgang Paul MWV R 28 (publ. 1839) für Klavier op. 15 ƒ 15. Feb.: Erste Serie der Historischen ƒ 6. April: Der 95. Psalm (»Kommt, lasst ƒ 6. Jan.: Geburt Max Bruchs Konzerte uns anbeten«) MWV A 16 (publ. 1842) ƒ 25. Okt.: Geburt George ƒ 24. Juli: Streichquartett D-Dur Bizets MWV R 30 (publ. 1839) ƒ 13. Okt.: Sonate Nr. 1 B-Dur für Violoncello und Klavier MWV Q 27 (publ. 1839) ƒ 1. April: Serenade und Allegro giojoso h-Moll / D-Dur für Klavier und ­Orchester MWV O 12 (publ. 1839)

1839 ƒ 19.–21. Mai: Niederrheinisches Musikfest ƒ Drucklegung der Sechs Lieder für eine ƒ 21. März: Geburt Modest in Düsseldorf, wo Mendelssohn erstmals in Singstimme und Klavier MWV Sam- Mussorgskis Deutschland Georg Friedrich Händels meldruck 20 ƒ Chopin: Préludes für Messias HWV 56 ungekürzt dirigiert ƒ März: Ouvertüre c-Moll zu Ruy Blas ­Klavier8 op. 2 ƒ 6.–8. Sept.: Musikfest in Braunschweig MWV P 15 (publ. 1851) ƒ Chopin: Klaviersonate ƒ 2. Okt.: Geburt der Tochter Marie ƒ 18. Juli: Klaviertrio Nr. 1 d-Moll b-Moll op. 35 MWV Q 29 (publ. 1840) ƒ 9. Aug.: Der 114. Psalm (»Da Israel aus Ägypten zog«) MWV A 17 (publ. 1841)

1840 ƒ Pläne zu einem Konservatorium in Leipzig ƒ 27. Nov.: Lobgesang. Eine Symphonie- ƒ 7. Mai: Geburt Peter ƒ 8.–10. Juli: Norddeutsches Musikfest in Cantate nach Worten der heiligen Schrift ­Iljitsch Tschaikowskis Schwerin MWV A 18 (publ. 1841) ƒ 7. Mai: Tod Caspar David ƒ Sept. – Anfang Okt.: 6. Englandreise: Lon- Friedrichs don, Birmingham ƒ 27. Mai: Tod Niccolò Paganinis ƒ 7. Juni: Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. ƒ 12. Sept.: Robert Schumann heiratet Clara Wieck

1841 ƒ 18. Jan.: Sohn Paul wird geboren ƒ 17 Variations sérieuses d-Moll für Klavier ƒ Schumann: 1. Sinfonie ƒ 21. Jan.: Beginn einer zweiten Serie Histo- MWV U 156 (publ. 1841) op. 38 rischer Konzerte ƒ Drucklegung des vierten Heftes Lieder ƒ Ludwig Feuerbach: Das ohne Worte MWV Sammeldruck 23 Wesen des Christentums Zeittafel XIX

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1841 ƒ Frühjahr: Mendelssohn nimmt das Ange­ ƒ 8. Sept.: Geburt Antonín bot an, an der vom preußischen König Dvořáks Friedrich Wilhelm IV. geplanten kultur­ politischen Restauration mit starker ­Betonung der Künste mitzuwirken ƒ Ende Juli: Übersiedelung nach Berlin

1842 ƒ Febr.: Mendelssohn wird zum Ehrenmit- ƒ 20. Jan.: Sinfonie Nr. 3 a-Moll ƒ 15. März: Tod Luigi glied der Berliner Sing-Akademie ernannt (»­Schottische«) MWV N 18 (publ. ­Cherubinis ƒ 10. März: Mendelssohn lehnt das Angebot 1842) ƒ 28. Juli: Tod Clemens ab, Theodor Weinlig als Thomaskantor Brentanos nachzufolgen, und schlägt stattdessen ƒ 20. Okt.: Wagners Oper ­Moritz Hauptmann vor Rienzi uraufgeführt ƒ 15.–17. Mai: Niederrheinisches Musikfest ƒ Schumann: Streichquar- in Düsseldorf tette op. 41 ƒ Mai – Juli: 7. Englandreise: London, ­Manchester ƒ Aug. – Sept.: Reise in die Schweiz ƒ 24. Okt.: Audienz bei Friedrich ­Wilhelm IV. Weil die Pläne des Königs sich nicht rea­ lisieren lassen, möchte Mendelssohn nicht zu öffentlichen Tätigkeiten verpflichtet sein und verzichtet infolge­dessen auf die Hälfte seines Gehalts ƒ 13. Nov.: Audienz beim sächsischen König Friedrich August II. zur Bereitstellung finanzieller Mittel für die Errichtung des Leipziger Konservatoriums ƒ 22. Nov.: Ernennung zum General-Musik- Director durch Friedrich Wilhelm IV. ƒ 12. Dez.: Tod der Mutter in Berlin

1843 ƒ 9. März: Konzert zum 100-jährigen ­Jubiläum ƒ Drucklegung der Sechs Lieder für eine ƒ 2. Jan.: Wagner: Der der Gewandhauskonzerte Singstimme und Klavier MWV Sam- fliegende Holländer urauf- ƒ 2. April: Das Conservatorium der Musik meldruck 26 geführt zu Leipzig wird eröffnet. Lehrer sind Carl ƒ Sonate Nr. 2 D-Dur für Violoncello ƒ 7. Juni: Tod Friedrich Ferdinand Becker, Ferdinand David, Ferdi- und Klavier MWV Q 32 (publ. 1843) Hölderlins nand Böhme, Henriette Grabau-Bühnau, ƒ 27. Dez.: Der 98. Psalm (»Singet dem ƒ 15. Juni: Geburt Edvard Hauptmann, Schumann, Moscheles, Franz Herrn ein neues Lied«) MWV A 23 Griegs Brendel, Moritz Gotthold Klengel, Ernst (publ. 1851) Ferdinand Wenzel, Louis Plaidy u. a. ƒ 13. April: Mendelssohn wird Ehrenbürger der Stadt Leipzig ƒ 23. April: Enthüllung des Bach-Denkmals nahe der Thomaskirche ƒ 1. Mai: Geburt des Sohnes Felix

1844 ƒ Mai – Juli: 8. Englandreise: London, ƒ Drucklegung der Sechs Lieder für zwei ƒ Heinrich Heine: Deutsch­ ­Manchester Singstimmen und Klavier MWV Sam- land. Ein Wintermärchen ƒ 31.. Juli / 1 Aug.: Musikfest in Zweibrücken meldruck 30 ƒ Berlioz: Grand Traité ƒ Ende Sept.: Mendelssohn grenzt seine Ber- ƒ Drucklegung des fünften Heftes Lieder d’instrumentation et d’or­ liner Verpflichtungen auf Kompositionen ohne Worte MWV Sammeldruck 29 chestration modernes für den König ein ƒ 16. Sept.: Konzert e-Moll für Violine und ƒ Chopin: Klaviersonate Orchester MWV O 14 (publ. 1845) h-Moll op. 58 ƒ Arthur Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vor­ stellung (2. Band) ƒ 15. Okt.: Geburt Friedrich Nietzsches XX Zeittafel

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1845 ƒ 2. März: Mendelssohn wird die Leitung ƒ Sechs Sonaten für Orgel MWV Sammel- ƒ 21. April: Lortzing: Undine der musikalischen Abteilung der Berliner druck 31 (publ. 1845) uraufgeführt Akademie der Künste angeboten ƒ Drucklegung des sechsten Hefts Lieder ƒ 12. Mai: Tod August ƒ 19. Sept.: Geburt der Tochter Lili ohne Worte MWV Sammeldruck 32 ­Wilhelm Schlegels ƒ 30. April: Klaviertrio Nr. 2 c- Moll ƒ 19. Okt.: Wagner: Tann­ MWV Q 33 (publ. 1846) häuser uraufgeführt ƒ 8. Juli: Streichquintett B-Dur ƒ Schumann: Klavierkonzert MWV R 33 (publ. 1850) a-Moll op. 54

1846 ƒ 31.. Mai – 2 Juni: Mendelssohn leitet das ƒ 6. Febr.: für Soli, gemisch- ƒ Berlioz: La Damnation de Musikfest in Aachen ten Chor und Orchester MWV A 24 Faust op. 24 ƒ 19. Juli: Mendelssohns letzter Auftritt als (publ. 1848) ƒ Chopin: Violoncellosonate Kammermusiker in Leipzig ƒ 19. April: an die Künstler g-Moll op. 65 ƒ Aug. – Sept.: 9. Englandreise: London, (»Der Menschheit Würde«) MWV D 6 ƒ Schumann: 2. Sinfonie Birmingham (Musikfest unter Moscheles’ (publ. 1846) C-Dur op. 61 Gesamtleitung) ƒ 11. Aug.: Elias. Ein Oratorium nach ƒ 21. Okt.: Moscheles kommt als Klavier- Worten des Alten Testaments MWV A 25 professor ans Leipziger Konservatorium (publ. 1847)

1847 ƒ 18. Feb.: Beginn eines weiteren Zyklus ƒ Drucklegung der Sechs Lieder für eine ƒ 14. März: Verdis Macbeth Historischer Konzerte im Gewandhaus Singstimme und Klavier MWV Sam- uraufgeführt unter abwechselnder Leitung Gades und meldruck 35 Mendelssohns ƒ Drucklegung der Drei Motetten für ƒ April – Mai: 10. Englandreise: London, Singstimmen und gemischten Chor Manchester, Birmingham a cappella MWV Sammeldruck 37 ƒ 14. Mai: Fanny Hensel stirbt in ­Berlin an ƒ Sept.: Streichquartett f-Moll einem Gehirnschlag MWV R 37 (publ. 1850) ƒ Mai – Sept.: Erholungsreise in die Schweiz ƒ 4. Nov.: Felix Mendelssohn Bartholdy stirbt (vermutlich nach einem Schlag- anfall) in Leipzig. Der Trauerfeier unter großer Anteilnahme der Öffentlichkeit am 7. Nov. folgt die Beisetzung neben der Schwester Fanny auf dem Friedhof der Berliner Dreifaltigkeitskirche am 8. Nov. I. POSITIONEN, LEBENSWELTEN, KONTEXTE 2

Romantisches Komponieren

von Christiane Wiesenfeldt

jenem Bild des emphatisch ringenden Künstlers zu Mehrdeutigkeit als Deutungsproblem entsprechen, das genieästhetisch modelliert war. So Kein Komponistenbild der ersten Hälfte des 19. Jahr- aber eignete »Felix« sich eher als Negativfolie eines hunderts ist bis heute derart hartnäckig mit Deu- heroischen Künstlerkonzeptes, was die Biographin tungen überlagert wie jenes von Felix Mendelssohn Marie Lipsius alias La Mara in ihren seinerzeit auf- Bartholdy. Während seine ebenfalls um 1810 gebo- lagenstarken Künstlerportraits besonders bissig auf renen Kollegen entweder als Opern-­Revolutionäre den Punkt brachte: »Ein Heldencharakter freilich (Richard Wagner), Erfinder der Programmmusik­ wird nicht im Sonnenlichte gezeitigt, er bedarf der (Franz Liszt) oder romantische Musikliteraten par Schatten und Kämpfe von großen Schmerzen. So ist excellence gelten (Robert Schumann), erscheint auch Mendelssohn kein Heldencharakter geworden, Mendelssohns Rolle in dem bis dato wohl turbulen- nicht das, was man einen Heros der Töne nennt. testen Jahrhundert der Musikgeschichte eher diffus. Ihm fehlte die genialische Überfülle, die himmel­ Sein Bild ist überklebt von einer Fülle an Etiket- anstürmende Kraft, die kühne Ursprünglichkeit, die ten, die nicht nur häufig aus einer defensiven, wenn jenen macht. Nicht in die nächtigen Tiefen inner­ nicht gar relativierenden Position heraus formuliert lichen Ringens und Kämpfens ist er hinabgestiegen, sind, sondern auch zahlreiche Widersprüche bergen. eine Welt in sich befriedigter Schönheit und wolken­ Hinzu tritt jenes, bereits ausgiebig in der Forschung loser Klarheit ist es, darin seine Muse zu verweilen diskutierte, unreflektierte Transportieren vormals pflegt« (La Mara 1868, 143). antisemitisch motivierter Mendelssohn-Bilder: Bis Die Überzeugung, dass eine gelungene Kompo- in gegenwärtige Programmhefte hinein ist von nisten-Laufbahn von existenziellem Leidensdruck einem nervösen Tonfall oder einer oberflächlichen geprägt sein müsse, der sich in der Musik selbst Glätte seiner Musik die Rede (vgl. Fischer 2000, äußere, deutete oft auch einen weiteren Vorteil in 147, 163 f.). Mendelssohns Leben als Nachteil um: die wohl­ Bereits Mendelssohns Vorname – Felix, der habende Herkunft, jene Kindheit »im ­Sonnenlichte« Glück­liche – war aus rezeptionshistorischer Perspek- (ebd.). Die dem jungen Komponisten offerierte um- tive nicht günstig gewählt. Hugo Riemann, dessen fassende Gesamtbildung und seine Möglichkeit, im Musik ­auffassung man wahrlich keine ideologischen häuslichen Rahmen mit professionellen Musikern Hintergedanken attestieren möchte, sah darin ein zu arbeiten, wurde nicht als Motor musikalischer Dokument einer geradezu zwanghaften Logik des Innovation, das Beherrschen mehrerer Sprachen, seine Gelingens: »Wenn auch Seelenschmerz ihm [Men- umfassende Belesenheit oder gar die zeichnerische delssohn] naturgemäß nicht ganz erspart blieb, so Ausbildung als produktiver Bildungsvorteil verstan- war doch sein ganzes Leben derart vom Glück er- den, sondern erneut oft als Problem gedeutet – Ar- hellt, daß man nicht mit Unrecht auf das Omen gumentationen, die eher in Sozialneid denn in einer hingewiesen wird, welches in seinem Vornamen objektiven Einschätzung wurzeln. Ein Glückskind ­Felix lag« (Riemann 1901, 260). Hätte sein Vorname­ mit reicher Familie und umfassender Bildung, frü- Ludwig (das heißt: lärmender Kämpfer) oder Ro- hem internationalen Erfolg als Komponist, oben- bert (das heißt: glänzender Ruhm) gelautet, wäre drein auffallend attraktiv sowie später ein glücklich Mendelssohn vielleicht eher zugestanden worden, verheirateter Mann mit einer schönen Frau und Romantisches Komponieren 3 fünf Kindern, davon drei Söhnen: Das war selbst von musikalischen Gattungen oder ihrer ausführ­ für Freunde – bei allem Wohlwollen – nicht immer lichen ästhetisierenden Kommentierung. Stattdessen leicht zu ertragen. sahen sich Familie, Freunde und Publikum einem Dass Wagner diese glänzende Konstellation aus breiten Panorama an Musik gegenüber, in dem bis Glück und Wohlstand als eine argumentative Basis auf eine Große Oper – die zweiaktige Jugendoper seiner rassistischen Ausführungen Das Judentum in des 18-Jährigen Die Hochzeit des Camacho wurde nur der Musik (1850, erweitert 1869) nutzte, zeigt, wie als Klavierauszug publiziert – beinahe alles vertreten leicht Mendelssohns unverschuldete biographische war; eine literarisch aufgerüstete, auf Einzelwerke Realität für ideologische Zwecke missbraucht wer- zielende Rezeptionssteuerung, wie sie Wagner meis- den konnte. Spätestens seit diesem Pamphlet, dessen terlich beherrschte, war Mendelssohns Sache nicht persönliche wie berufliche Motivationen, Inhalte (hierin wird ihm später Johannes Brahms sehr ähn- und Kontexte mittlerweile umfassend aufgearbeitet lich sein). Andererseits war ihm aus vielen Gründen worden sind (Fischer 2000), zieht sich der Topos des ein souveräner Umgang mit der Musikgeschichte zu Jüdischen durch die Rezeptionsgeschichte Mendels- eigen, der nicht aus extrinsischer, sondern zutiefst in- sohns, auch dies nicht ohne eine gewisse Tendenz zur trinsischer Motivation resultierte. So verstand er das Überpointierung, im negativen, ideologischen, aber Komponieren als logisches, generatives Fortsetzen, auch im gut meinenden, rehabilitierenden Sinn. Dass als – wie er Johann Christian Lobe gegenüber ge- die Musik Mendelssohns selbst bislang kaum über- äußert haben soll – konsequentes Weitergehen »auf zeugend mit jüdischen, etwa synagogalen Einflüssen der vorhandenen Bahn« (Lobe 1855, 286), zugleich in Verbindung gebracht werden konnte, dass sich in dem Bewusstsein, aller guten Musik sei etwas zu- auch der Komponist selbst – bis auf seine Weigerung tiefst Wahrhaftiges eingeschrieben. Ein produktives gegenüber dem Vater, den Namen M­ endelssohn Schöpfen aus der Musikgeschichte war für Mendels- durch Bartholdy auf seiner Visitenkarte zu ersetz­ en sohn allein an der musikalischen Qualität der Werke (Weissweiler 1985, 81 f.) – in religiösen Fragen tole- und nicht an ihrem kanonischen Rang oder ihrer rant und offen sowie auffällig leidenschaftslos zeigte: Gattungszugehörigkeit ausgerichtet. ­Mendelssohn Dieser schlichte Mangel an valider dokumentarischer äußerte oft, er komponiere »nur sehr ungern mit Evidenz verhinderte kaum die Versuche, Mendels- einer bestimmten Nebenabsicht« (Sämtliche Briefe 5, sohns Leben und Schaffen als lebenslange, bewusste 185) und »nehme es mit der Musik gern sehr ernst- oder unbewusste Auseinandersetzung mit einer jü- haft« (Sämtliche Briefe 2, 303). Ausführlich vertrat dischen Identität zu deuten, ihm ein »Werben um schon der 21-Jährige seinen Standpunkt gegenüber Zugehörigkeit«, ja sogar dringlicher: ein »Dazuge- Carl Friedrich Zelter: »Nur das gilt, was im tiefsten hörenwollen« zu attestieren (Gülke 2017, 126). Aus Ernst aus der innersten Seele geflossen ist, und wenn marxistischer Perspektive konnte man diese kon- auch die Ästhetiker und Kunstgelehrten sich quälen, struierte Spannung aus glücklicher Herkunft und von außen hinein beweisen zu wollen, warum dies jüdischer Identität als Ursache eines grundsätzlichen schön und das weniger schön sei, durch Epochen, Leidens am bürger­lichen System interpretieren, um Stil, und wie alle ihre Schubfächer heißen mögen, so dem Komponisten auf diese Weise wieder in den ist nur jenes, glaub’ ich, der einzige unveränderliche Rang eines – letztlich doch – kämpfenden Genies Maßstab, für Bauwerke, Malerei, Musik und alles. aufzuhelfen: »Es gehört zu den wichtigsten – meist Wenn nicht der Gegenstand allein das Werk hervor- übersehenen – Zügen seines [Mendelssohns] Schaf- gerufen hat, so wird es nie ›Herz zu Herzen schaffen‹«­ fens, daß es in künstlerisch äußerst wertvollen Zeug- (Sämtliche ­Briefe 2, 172). Solch eine an kompo­ nissen von inneren Kämpfen, Anfechtungen und sitorischer Qualität und schaffensästhetischer Ethik Zweifeln Kunde gibt« (Knepler 1961, Bd. 2, 763). geschulte Perspektive – hier zudem noch mit einem Ist Mendelssohn an diesen Rezeptionsmodellen Goethe’schen Zitat aus dem Faust traditionsschwer vollkommen schuldlos, so gilt dies nicht für jene beladen – konnte weitaus leichter als unzeitgemäß Deutungsangebote, die er den Rezipienten seiner denn als modern aufgefasst werden. Mendelssohns Musik machte oder besser gesagt: absichtlich nicht Traditionsnähe wurde deswegen nicht selten als machte. Einerseits verweigerte er sich im Gegensatz For­malismus, seine Neigung zum Werk Johann zu vielen Zeitgenossen strikt einer Hierarchisierung Sebastian Bachs als Gegenwartsflucht (oder in der 4 I. Positionen, Lebenswelten, Kontexte

Ansicht Wagners als verzweifelter Versuch einer un- sehen, wollte nicht dazu passen, dass der Kompo- möglichen Assimilation an das Deutschsein), seine nist zahlreiche romantische Gattungen, Topoi und experimentelle Freude an klassischen Formkonzep- Klangbilder bediente. Man kritisierte nach klas- ten als Klassizismus, seine hausmusikalischen Kla- sischen Maßstäben die »weakness of his melodic viersammlungen als Biedermeierlichkeit abgewertet. constitution, which seldom has enough stamina« Robert Schumann hat Mendelssohns »höchste­ und behauptete, dass für Mendelssohn »form really sittliche und künstlerische Maxime« postum in seinen meant little« (Tovey 1989, 364 f.). Andere wiederum unpublizierten Erinnerungen an Felix Mendelssohn ordneten seine Formexperimente dem Paradigma Bartholdy (1848) erkannt (Schumann 1980) und ist des Fortschritts zu: »Mendelssohn as progressive« damit dem Selbst- und Werkverständnis des Freun- (Vitercik 2004, 71). Erneut wurde auch dieses offen- des recht nahegekommen. Seine Werkrezensio­nen sichtliche Spannungsfeld in Mendelssohns Schaffen indes sind von einer gewissen Ratlosigkeit oder auch weniger als produktiv, denn als Schwäche empfun- Distanz geprägt: So deutet der berühmte Ausspruch, den. Die Vermutung des Antisemiten Otto Schu- Mendelssohn habe »die Widersprüche seiner Zeit am mann, Mendelssohns »kampflose ­Unentschiedenheit klarsten durchschaut und zuerst versöhnt«, weit mehr gegenüber dem Zwiespalt Romantik-Klassizismus« an, als er im Grunde aussagt (Schumann 1854, Bd. 1, habe »rassische« Ursachen (Schumann 1940, 198 f.), 500 f.). Ebenso frappiert die berühmte Verwechs- ist dabei ein Sonderfall (vgl. dennoch zum Fortleben lung der Italienischen mit der Schottischen Sinfonie, dieser Argumentation Webster 1997, 270). Weitaus in welcher der Rezensent Schumann behauptete, häufiger wird aus dem Widerspruch ein Kompo- Landschaftsbilder »unter italiänischem Himmel« situm geformt, das für sich genommen wiederum zu hören (Schumann 1854, Bd. 4, 234). Zu einem wenig aussagekräftig ist: So spricht Heinrich Adolf künstlerischen Verhältnis auf Augenhöhe will auch Köstlin schon 1875 von Mendelssohns »romanti­ ­ das geflügelte Wort von einem »Mozart des 19. Jahr- sche[m] Klassicismus« (Köstlin 51899, 481), während hunderts« nicht recht passen (Schumann 1854, Bd. 3, Alfred Einstein noch 1950 kaum weniger unschar­ f 273): Ohne dem zu viel Bedeutung beizumessen, formulierte, dass »das Klassizistische das Roman­ liegt in diesem vielzitierten Lob eines »Klassikers« tische zuließ und das Romantische seinen Klassizis- zugleich die Vorwegnahme des kommenden »Ro- mus nicht störte« (Einstein 1950, 151). Hans-Joachim mantikers« (Beethoven), was den rezensierten Men- Moser bescheinigte Mendelssohn in einem stark delssohn für jeden musikhistorisch gebildeten Leser antisemitisch getönten Artikel einen »Romantiker- des Jahres 1840 in die Position eines »vorher« bzw. instinkt« und behauptete, er habe »sich allein zur »noch nicht« zurückschiebt. Und da nicht wieder- deutschen Romantik gehalten, als dessen klassizis­ holt werden kann, was schon war, ist ein »Mozart tischster Vertreter er heißen darf« (Moser 1952, 583 f.). des 19. Jahrhunderts« freilich kein Mozart und kein Selbst Wulf Konold, dessen Rezeptionskapitel zu Klassiker, sondern allenfalls ein Klassiker zweiter Mendelssohn zu den aufschlussreichsten Studien Ordnung, also Klassizist. »Nach Mozart kam ein überhaupt gehört und der bereits Friedhelm Krum- Beethoven«, konkretisiert Schumann sein Ordnungs- machers differenzierten Blick auf den Klassizismus system: »Und er wird auch nicht der letzte Künst- als produktives Rezeptionsphänomen aufnimmt ler sein. […] Dem neuen Mozart wird ein neuer (Krummacher 1978, 41 ff.,487 f.), kommt nicht um- Beethoven folgen, ja, er ist vielleicht schon geboren« hin, beide Phänomene in einem »Sowohl-als-Auch« (Schumann 1854, Bd. 3, 273). Meinte Schumann hier zusammen zu denken (Konold 1984, 66), was James sich selbst? Webster später veranlasste, die Unschärfe und vor al- Spätestens mit diesen widersprüchlichen stilistisch-­ lem das Fehlen von Beethoven und Schubert in dieser ästhetischen Rubrizierungen verstricken sich die Deu- Lesart zu kritisieren, ohne indes eine konstruktive tungen zu einem unübersichtlichen Muster. Denn Alternative zu entwickeln (Webster 1997, 262). während es leicht schien, den angeblichen Klassi- zisten Mendelssohn mit der Romantik-skeptischen­ ­Ästhetik Georg Friedrich Wilhelm Hegels engzufüh- ren und in Mendelssohns Musik klassisch-­ logische,­ widerspruchsfreie Ordnungssysteme am Werk zu Romantisches Komponieren 5

Mendelssohn konnte Beethovens Spätwerk als jene Romantik als Deutungs-Option von Hoffmann proklamierte »Stunde Null« der Wenn Mendelssohn heute als Romantiker bezeich- Ro­mantik im Erscheinen verfolgen, er las früh­ net wird, dann fußt dies oft auf einem romantischen romantische Literatur und Philosophie und war nicht ­Epochenbegriff der Musikgeschichtsschreibung, der – zuletzt mit den Brüdern Friedrich und August Wil- groß gerechnet – die Zeit von 1789 bis 1914 um- helm Schlegel familiär verbunden, deren Schriften fasst und sich darin wiederum kleinteiliger ­gestaltet; sich ebenso in seinem Bibliotheksverzeichnis von Mendelssohn, eher noch Schumann gehören damit, 1844 finden wie die Gesamtausgaben von Jean Paul wenngleich auch hierzu abweichende M­ einungen oder die Gedichte von Ludwig Tieck und Joseph existieren, der »hochromantischen« Phase der 1830er- von Eichendorff GB( -Ob, MS MDM c. 29). Durch bis 1850er-Jahre an. Wie problematisch diese epo- die Kenntnis von »Hegels Aesthetik«, über die er chale Romantik-Gliederung ist, zeigt sich nicht nur Johann Wolfgang von Goethe in Weimar berich- daran, dass sie sozial- und kulturgeschichtlich ein- ten sollte (Sämtliche Briefe 1, 531), konnte er sich flussreiche Zäsuren wie 1815, 1848 oder auch 1870/71 ein Bild von dem rapiden Wandel in der Einschät- und ihre Folgen in der Regel ignoriert, sondern auch zung romantischer Ästhetik zwischen 1817 und 1829 daran, dass sie die synchronen Ereignisse und Debat- ­machen (Hegel 1835). Und wenn Heinrich Heine ten in der Literatur oder Kunst nicht als Kennzeichen in seiner 1833 formulierten und 1836 publizierten verwandter romantischer Diskurse wahrnimmt. Da- Romantik-Kritik Die romantische Schule die Ge- durch ergibt sich musikhistoriographisch­ der merk- brüder Schlegel frontal angreift, beinahe zeitgleich würdige Umstand, dass die literarische ­Frühromantik mit Hegel das »Ende der Kunstperiode« ausruft und der 1790er-Jahre stark auf Musik fokussiert ist, ja ihr Goethe zur die Romantik beendenden Autorität sti- überhaupt wesentliche ästhetische Impulse verdankt lisiert (Heine 1836; vgl. Bohrer 1989, 117), so dürfte (Lubkoll 1995), während die musikalische Romantik dies kaum ohne die Kenntnis Mendelssohns pas- angeblich erst im Beethoven’schen Spätwerk, also siert sein, der dem Kritiker Heine zwar skeptisch gleichsam »verspätet« in den 1810er-Jahren einsetzt, gegenüberstand, doch mehrere seiner ironischen wenn. E. T A. Hoffmann Beethovens 5. Sinfonie re- Texte vertonte, die ihrerseits wiederum als genuin zensiert (Hoffmann 1810). Carl Dahlhaus’ einfluss- romantisch gelten. Auch war Mendelssohn mit dem reiche Deutung der Ästhetik absoluter Musik der englischen Schriftsteller Walter Scott bekannt, den 1850er-Jahre als eigentlicher Repräsentant musika­ er im Juli und August 1829 besucht hatte, dessen Ro- lischer Romantik hat sodann wesentlich dazu beige- mane er besaß und gern las. Scott hatte kurz zuvor tragen, dass weit über die musikwissenschaftlichen eine Polemik gegen das Übernatürliche in deutschen Fachgrenzen hinaus der Eindruck entstanden ist, die romantischen Texten, »the fantastic mode of writ- musikalische Romantik sei nicht nur 20, sondern ing«, vor allem in Hoffmanns Werken, publiziert erst 50 bis 60 Jahre nach der literarischen Roman- (Scott 1827, 72). Er sah darin ein Spiegelbild phan- tik kompositorische­ Realität geworden, während sie tastischen Komponierens, das jeglichen Rückhalt vorher lediglich ästhetische Reflexion gewesen sei entbehre und nichts sei als eine reine Selbstäuße- (Dahlhaus 1978). In diesem Geschichtsmodell ge- rung des Subjekts: »exhausted imagination of the hört Mendelssohn – wie alle anderen Komponisten author«; der schwere englische Geschmack (»severity zwischen 1750 und 1850 – einer übergreifenden klas- of taste«) sei nicht bereit, diesen »wild and fantastic sisch-romantischen Periode an (Blume 1963, 802 f.; tone« aufzunehmen (ebd.). Dahlhaus 1988), die von einem monumentalen Beet­ Mendelssohn entwickelt sein Œuvre also in einer hoven überschattet wird, auf den – ganz gleich, ob Zeit, in der bereits Fragen an romantische Modelle vergangen oder zukünftig – alles konzentrisch zuzu- von Kunst gestellt werden, die deutlich älter sind. laufen scheint. Diese Modelle betreffen keine abstrakten ­ästhetischen Das Romantische in der Musik benötigte aller- Debatten, kein philosophisches »als-ob«, sondern dings keinen Eduard Hanslick und seine Ästhetik konkrete künstlerische Praktiken, Topoi und Aus- absoluter Musik der Jahrhundertmitte, um bereits drucksmittel, die in der Kunst um 1800 neu for- um 1800 wirksam zu werden und das Denken über muliert und angewendet wurden. Dort ­hatte auch und Schreiben von Musik grundlegend zu ­verändern. die Musik Ausdrucksebenen erreicht, die offenbar 6 I. Positionen, Lebenswelten, Kontexte

­ästhetisch so anregend waren, dass sie in den benach- »Unbestimmtheit des musicalischen Ausdrucks« auf­ barten künstlerischen und philosophischen Diszipli­ ruft (Michaelis 1795, 48). Anknüpfend an Michel nen Reflexionen über die Verwandtschaft von Musik Paul Guy de Chabanon, der in seinen Observations sur und Philosophie in Gang setzten: Friedrich ­Schlegel la musique (Paris 1779, übersetzt von Johann Adam hatte bereits im 444. Athenäums-Fragment von 1798 Hiller 1781) bereits einen merklichen Aufschwung in darüber nachgedacht, ob »die reine Instrumental- der Sinfonieproduktion registriert und darin einen musik sich nicht selbst einen Takt schaffen« muss, Grund für die zunehmende Wirkungsmacht der und fragte sich, ob »das Thema in ihr nicht so ent- Musik sieht, erkennt Michaelis in ­Mozarts Musik wickelt, bestätigt, variiert und kontrastiert [wird], nicht nur einen bisherigen Höhepunkt, sondern eine wie der Gegenstand der Meditation in einer philo- Wende im Instrumentalkomponieren seiner Zeit, sophischen Ideenreihe« (Schlegel 1798). Ihn sprach indem sich nun »innigste[r] Gefühlsausdruck mit besonders die Synthese von Rationalität und Phan- der kunstvollsten Symmetrie in den sogenannten tastik an, die er in Hoffmanns Opern realisiert sah. Nachahmungen, harmonischen Umkehrungen und Für viele Literaten um 1800 war die Musik eine Er- dgl. Äußerungen seines [Mozarts] musikalischen Tief­ neuerungsoption für eine an die Grenzen ihrer Aus- sinns« verbinden (Michaelis 1795, 53). Das mögen drucksfähigkeit gelangte Sprache: »Sie [die Sprache] freilich nur erste Ansätze sei, das Neue zu umschrei- muß wieder Gesang werden«, forderte Novalis alias ben. Dass die um 1800 komponierte Musik einen Friedrich von Hardenberg (Novalis 1978, 517) und neuen ästhetischen Eigenwert bereithielt, den die war sich schon 1798 sicher, dass der Musiker »das musikalisch gebildeten Literaten als ansprechend Wesen seiner Kunst aus sich [nimmt] – nicht der empfanden und gleichsam katalytisch rezipierten, leiseste Verdacht der Nachahmung kann ihn tr­ effen« gehört zu dem bislang in seinen Dynamiken weit- (Novalis 1978, 363). Damit ist keine Ablehnung gehend unerforschten Beitrag der kompositorischen natürlicher Stoffe, also eine hermetische und letzt- Praxis zu einer Frühromantik um 1800. lich unvermittelbare Kunst absoluter Subjektivität Um Romantisches in der Musik bzw. jene Ent- ­gemeint, die Hegel 1807 in der Phänomenologie des wicklungen und Neuerungen zu erkennen, die seit Geistes als »Wirklichkeitsverlust« harsch kritisieren den späten 1780er-Jahren die Musik, Literatur und sollte, sondern das Begreifen der Natur als mate- Kunst erfassten und sodann in ein historisches »Mo- riellen Fundus, gleichsam als Zeichensystem und dell Romantik« um 1800 mündeten, das spätestens ab nicht mehr als nachzuformendes Vorbild. Form und den 1820er-Jahren kritisch und produktiv hinterfragt Inhalt gehen in der frühromantischen Ästhetik eine und für weitere Verwendungen neu modelliert wurde, neue Verbindung ein, der Künstler herrscht auto- muss Mendelssohn diese literarisch-philosophischen nom über das Material, das dennoch natürlich und Diskurse nicht einmal im Detail gekannt haben. seiner Zeichenhaftigkeit nicht beraubt ist. Wenn Als umfassend historisch gebildeter Musiker mit Arthur Schopenhauer sich 1804 notiert: »Wie die einer ausnehmend hohen Sensibilität für Formen, Musik zu werden ist das Ziel jeder Kunst« (Schopen- Symmetrien und Proportionen war er durchaus im- hauer 1985, 210), so meint dies eben jenes zeitgenös- stande, allein auf musikalischer Ebene ein eigenes sische Streben nach der Lösung aus Formkorsetten Urteil zu fällen. Nicht zuletzt wuchs er in Berlin auf, und Naturimitation; etwas, was in der Musik um wo – neben der romantischen Oper – vor allem mit 1800 offenbar schon stattgefunden oder sich zumin- den ihm wohlvertrauten Liedern Johann Friedrich dest angedeutet hatte, und zwar ohne Revolutions- Reichardts eine romantische Trendwende eingeleitet lärm oder Dekonstruktivismus, sondern in der lo- worden war (vgl. Miller 2007). gischen Weiterentwicklung des tradierten Materials Mendelssohn nimmt eine ganz eigene ­romantische der Klänge und der Formen selbst. Position ein. Im Gegensatz zu Schumann verweigert Die von Hoffmann an Beethovens Instrumental­ er sich zwar der öffentlichen literarischen Begrün- musik geschätzte und an Jean-Paul-Lektüren ge- dung seiner ästhetischen Positionen, was es nicht schärfte Wahrnehmung von Geisterwelten, Ahnun- unbedingt einfacher macht, ihnen auf die Spur zu gen und Sehnsüchten diskutierten Musikästhetiker kommen: Schumann gründet bekanntlich eine Zeit­ wie Christian Friedrich Michaelis schon 1795, wenn schrift, während Mendelssohn eine große Abneigung er Wolfgang Amadé Mozart als ersten Vertreter einer gegenüber schreibenden Komponisten hegt. Dass Romantisches Komponieren 7 diese Tätigkeit ausgerechnet in Leipzig hochgeschätzt Kunst durch, nach denen das Einzelwerk w­ eniger an wird, stört ihn besonders: »[W]enn so viele Musiker der tadellosen Erfüllung einer Gattungsnorm, denn in einer Stadt stecken, so mußten sie von Staats­ an seiner individuellen Überzeugungskraft gemes- wegen gezwungen werden, auch ein bischen Musik sen wird: eine Verdrängung der Regelpoetik­ durch zu machen, nicht bloße Philosophie« (Sämtliche die Autor- oder Individualpoetik. In der M­ usik Briefe 5, 37). Doch Schumann und Mendelssohn lassen sich diese Entwicklungen vor allem in den sind sich durchaus ähnlich in ihren romantisch- zunehmend stil- statt genrezentrierten Diskursen ästhetisch geprägten Geschichtsvorstellungen: So der Musikpublizistik des späten 18. Jahrhunderts er- pro ­klamiert Schumann in dem berühmten Artikel kennen, aber auch in einem wachsenden Bedürfnis Neue Bahnen einen neuen komponierenden »Mes- nach Komponisten-Biographik, -Denkmälern und sias« namens Johannes Brahms (Schumann 1853) -Gesamtausgaben. Mit dem Relevanzverlust von und schließt damit an frühromantische Konzepte Gattungsnormen steigen die Ansprüche an Authen- historischer Progression an, einer immer weiteren tizität, Bestimmtheit und Gegenwärtigkeit eines ­Annäherung an ein Ideal, das spätestens in der Folge­ Kunstwerkes, aus heutiger Perspektive beginnen in generation erreicht sein soll. Mendelssohn nimmt der Romantik damit die modernen Konzepte von seinerseits regen Anteil an einer »Historischen Sym- und Erwartungen an Kunst: »Vor allem als Folge phonie«, die ihm Louis Spohr zur Ansicht und Be- der Abkehr von der Regelpoetik im 18. Jahrhundert urteilung schickt. Er rät zunächst, den drei Sätzen wird der Weg für Individualpoetiken frei, die sich einen »letzten, recht nach Ihrem eignen Sinn« hinzu- bei jedem Autor, ja sogar von Werk zu Werk unter- zufügen, »recht ernsthaft und vielsagend«, kommt schiedlich ausprägen können. Strategien poetischer dann aber darauf, dass es weit besser wäre, »ein Reflexion übernehmen insofern die Funktion von größeres Instrumentalstück in freierer Form« ganz Normen und Regeln, als sie der Selbstbegründung neu zu schreiben (Sämt­ ­liche Briefe 7, 403). Diesem des dichterischen Textes – oder, je nach B­ lickwinkel Optimierungsdenken liegt ein philosophisches Drei- und Akzentsetzung, auch der Demonstration sei- Phasen-Schema der Früh­romantik zugrunde (ausge- ner Unbegründbarkeit gelten« (Schmitz-Emans u. a. prägt vor allem bei Novalis und Friedrich Hölderlin),­ 2009, IX). Mendelssohns Äußerungen zum Roman­ das einer paradiesischen Phase eine ­Verlustphase und tischen, die sich seinen Briefen entnehmen lassen, be- das S­treben nach dem (unter Umständen verbes- ziehen sich selten auf Musik und häufiger auf Land- serten) Wiedergewinn des Paradieses (als Phase 3) schaften oder Handlungsweisen. Dennoch lassen­ folgen lässt. Die Romantiker sehen sich selbst am sie zahlreiche Bezüge zu romantischer Ästhetik, vor Ende der zweiten und verstehen ihre Kunst als Pro- allem auf die Aspekte von Authentizität, Bestimmt- phetie für die dritte Phase. Dieses Modell funktio- heit und Gegenwärtigkeit, erkennen. Z­ ugleich ­zeigen niert nur im unmittelbaren Anschluss an die Ge- sie, dass Mendelssohn die Romantik als lebendige, schichte, in der konstruktiven Auseinandersetzung diskursive Praxis seiner Zeit und sich selbst als ein mit und nicht in einer destruktiven Lösung von ihr. Teil davon wahrnahm. Mendelssohn ist nicht selten »die ganze jetzige Mo­ Das erste romantische Motiv, das in der Korre- dernesmacherei zuwider« (Sämtliche Briefe 5, 429). spondenz auftaucht, ist jenes des Kontrastiven, das Ihm ist – wie Schumann – bewusst, dass jeder be- Mendelssohn in Landschaftsbeschreibungen ein- stimmte Ausdruck in der Kunst nur vorläufig und flicht, erstmals am 28. Juli 1829: »Durham konnte immer zu verbessern ist. Entsprechend irritiert ihn Mollham heißen, so weich und romantisch ists – das exklusive Musikgeschichtsbild Goethes, der Bach, hohe Cathedrale, tiefer Fluß, weite Gegend, enge Haydn und Mozart anerkannte, Beethoven, Schu- Haine ringsum« (Brief aus Edinburgh an die ­Familie, bert oder den jungen Schumann aber kaum bis gar Sämtliche Briefe 1, 348). Den Paaren »dur / moll«, nicht zur Kenntnis nahm (vgl. dazu seinen irritier- »weich / romantisch«, »hoch / tief« und »weit / eng« ten Brief an die Familie in Sämtliche Briefe 1, 533, steht das Zivilisatorische (»Cathedrale«, »Hain« als sowie Wiesenfeldt 2018). gehegter Wald) und Natürliche (»Fluß«, »Gegend«) Ein zweiter Aspekt zeigt Mendelssohns Nähe zu kontrastierend zur Seite. Gleichzeitig wird eine Be- romantischer Ästhetik ebenso deutlich: Spätestens trachterperspektive eingenommen, die Leser müssen um 1800 setzen sich werkästhetische Maximen in der sich den Schreiber der Zeilen in einer landschaftlich 8 I. Positionen, Lebenswelten, Kontexte

Abb. 1  »Durham konnte Mollham heißen, so weich und romantisch ists – hohe Cathedrale, tiefer Fluß, weite Gegend, enge Haine ringsum«, so schreibt Mendelssohn an seine Familie (Sämtliche Briefe 1, 348). Seine Zeichnung fertigte er auf der Schottlandreise am 24. Juli 1829 an (Zeichenbuch, Bodleian Library Oxford, MS M.D.M. d. 2, fol. 8). exponierten Position mit Weitsicht (»ringsum«) vor- Ferne führt oder umgekehrt, der historische Distanz stellen. Diese dynamisierten Kontraste finden sich und Gegenwart verbindet. in vielen Landschaftszeichnungen und -aquarellen In seiner Pariser Zeit 1832 äußert sich Men- Mendelssohns: Dort sind die Spannungen zwischen delssohn wiederholt zum Thema Romantik, etwa geordneten Linien (Zivilisation) und ­ungeordneten über sein Unverständnis der von Zeitgenossen als Linien (Natur) bis in die Oberflächentekturen hinein romantisch etikettierten Oper Robert le Diable von spürbar, zudem spielt die Perspektive, besonders die Giacomo Meyerbeer. Der Brief vom 11. Januar 1832 Weitsicht und somit die Position des Betrachters an Immermann ist bislang vor allem als bissige eine Rolle. Mendelssohn hat stets einen ganzheit- ­Meyerbeer- und Franzosen-Kritik gelesen worden lichen Blick auf seine Szene, er zeichnet keine De- (Mendelssohn Bartholdy 1871, 24 f., 50). Interessan­ tailstudien von Pflanzen (wie seine Frau­ Cécile) und ter ist, dass Mendelssohn das angeblich ­Roman­tische nur selten Porträts. Stattdessen sind seine Perspek­ der Oper, die Figur des Teufels, nicht als differen- tiven stets so gewählt, dass etwas Nahes und Fernes, ziert und authentisch genug empfand: »Das Sujet ist etwas Natürliches und Menschengemachtes zuein- romantisch d. h. der Teufel kommt darin vor, (das ander tritt: vorn ein Baum, hinten ein Dorf mit genügt den Parisern zu Romantik und Phantasie) Kirchturm; vorn eine Ruine, hinten eine Wald- und es ist aber doch sehr schlecht, und wenn nicht zwei Seenlandschaft. Eine rein verwilderte Natur wird brillante Verführungsscenen vorkämen, würde nicht ebenso selten gezeichnet wie eine rein urbane Szene. einmal Effect darin sein; der Teufel ist ein armer Der Reiz liegt offenbar im Kontrast und in seiner Teufel […]. Der Teufel heißt Bertram. Auf solch Vermittlung: Denn oft ist ein Weg in Mendelssohns eine kalte berechnete Phantasieanstalt kann ich mir Bildern zu sehen, der aus der eigenen Position in die nun keine Musik denken, und so befriedigt mich Romantisches Komponieren 9 auch die Oper nicht; es ist immer kalt und herzlos flachung des Romantischen, die Heine für seine zeit- und dabei kann ich einmal keinen Effect­empfinden; gleiche Romantik-Kritik zum Anlass nimmt. die Leute loben die Musik, aber wo mir die Wärme Mendelssohn äußert sich nur selten zu roman­ und die Wahrheit fehlt, da fehlt mir der Maßstab« tischer Qualität von Musik, wie überhaupt zu mu­ (Sämtliche Briefe 2, 457). sikalischen Deutungen. Doch als er 1835 für das Der Wahrheitsbegriff und die damitv ­ erbundene ­Düsseldorfer Niederrheinische Musikfest Miltons Kritik an fehlender Authentizität durchziehen auch Mor­gengesang, eine Hymne für vier Solostimmen, Mendelssohns Beobachtungen modischer Virtuosen-­ Chor und Orchester von Reichardt, aufgrund der Konzepte des Romantischen, die er als mindestens lokalen Konzertbedingungen umarbeiten muss und ebenso »falsch« empfindet. So schreibt er an Zelter sich ganz in das Werk vertieft, erkennt er darin, wie er am 15. Februar aus Paris: »Zum Schluß des ersten den Eltern am 2. April schreibt, »von neuem«­ vieles, Theils [des Konzertes] spielte Kalkbrenner seinen was ihm gefällt, »namentlich der Stern, der Mond, Traum; das ist ein neues Clavierconcert, das er com- die Elemente, und der ganze vortreffliche Schluß. ponirt hat und worin er zur Romantik ­übergegangen Bei den Worten ›und schlich in dieser Nacht &c. ist, er erklärt vorher, daß es mit unbestimmten Träu- zerstreu’s‹ wird es so romantisch und poetisch, daß men anfinge, dann käme eine Verzweiflung, dann michs jedesmal von neuem erfreut und ergreift« eine Liebeserklärung und zum Schluß ein Militair­ (Sämtliche Briefe 4, 212). Diese, von Mendelssohn marsch. Kaum hört das Henri Herz so macht er unverändert belassene Passage als Teil des Reichardt- geschwind auch ein romantisches Clavierstück und Schluss ­chores ist in der Tat bemerkenswert kompo- erklärt es auch vorher: erst kommt ein Gespräch niert: Auf Seite 96/97 des Erstdruckes (von 1808) zwischen Schäfer und Schäferinn, dann ein Ge- kippt das emphatische, strahlende C-Dur des Tutti- witter, dann ein Gebet mit der Abendglocke, und Beginns (»Preis dir und Lob du aller Welten Herr!«) zum Schluß ein Militairmarsch. Sie werden es nicht in eine chromatische, rein vokale Linienführung um, glauben, aber es ist wörtlich so« (Sämtliche ­Briefe 2, deren tonale Fragilität ebenso erstaunt wie ihre kunst- 482). Der Klaviervirtuose Herz steht auch im Zen- volle, imitatorische Anlage im Abstand eines Taktes: trum einer ähnlichen Beschreibung in einem Brief Beginnend im schleicht »in dieser Nacht« Stim- aus Düsseldorf vom 26. April 1834 an das Ehepaar me für Stimme hinzu und »was Böses sich vielleicht Moscheles: »Im Grunde bin ich ihm [Herz] gut, er in unser Herz«. Der vollstimmige Höhe­punkt auf ist doch eine prägnante Figur dieser Zeit, 1834, und »Böses« wird dabei von einer mehrfachen harmo- da in der Kunst sich die Zeit abspiegeln soll (wie nischen Spannung getragen: Die erste Silbe »Bö-« Hegel oder sonst einer wahrscheinlich gesagt hat) als Neapolitaner (b-des-ges) gehört subdominantisch­ so spiegelt er ganz gut ab, alle Salons und Eitelkeit zum vorhergehenden f-Moll (»was«), während die und ein wenig Schmachten und viel Gähnen, und zweite Silbe »-ses« einen verminderten Dominant­ glacéhandschuh, und Moschusgeruch, den ich nicht septakkord auf G-Dur zum folgenden »sich« (in ausstehn kann, und eine badine, und ein sanftes erneut C-Dur) trägt. Die in zwei Richtungen drif- toupé. Wenn er sichs noch auf seine alten Tage ein- tende harmonische Spannung von »Bö-ses« ist in der fallen läßt sich auf die Romantik zu werfen, und Stimmführung zudem durch überwiegend chroma­ melancholische Musik zu schreiben, oder in die tische Gegenläufigkeit gesteigert: abwärts im Sopran­ I Classik, und Fugen zu machen, wofür ich gar nicht und ( ges-f bzw. b-as), aufwärts im Sopran II stehe, so kann Berlioz auf ihn eine neue Sinfonie de und Bass (des-d bzw. b-h). Auf minimalstem Raum la vie d’un artiste schreiben, die gewiß besser wird, entsteht damit eine größtmögliche Deutungsambiva- als die erste« (Sämtliche Briefe 3, 459). Beide Briefe lenz des »Bösen«, eine musikalisch ­auskomponierte, sind äußerst aufschlussreich, nicht nur weil sie Men- romantische Kippfigur par excellence. Ihr folgt mit delssohn als scharfen und ironischen Beobachter »zerstreu’s« wieder eine harmonische Auflichtung der zeitgenössischen Konzertkultur zeigen, sondern hin zur Ausgangstonart und kurz darauf der voll- weil darin allem Äußerlichen – das schließt Berlioz’ stimmige Dur-Schluss. Dass der von Reichardt ver- Idée fixe als programmmusikalische Konzeption ein – tonte Text von John Milton, einem der zentralen erneut eine klare Absage erteilt wird. Gleichzeitig Dichter des 17. Jahrhunderts stammt, dessen Werke registriert Mendelssohn jene Überreizung und Ver- einen enormen Einfluss auf die englische Romantik 10 I. Positionen, Lebenswelten, Kontexte hatten, sei zumindest erwähnt (zum »Miltonic Ro- und Spuk, einem veräußerlichten Tableau, war dem manticism« vgl. McDowell, Smith 2011). Problem einer ganzheitlichen, authentischen Opern- Die Romantik taucht als Stichwort in Mendels- konzeption nicht beizukommen, und er mag Hoff- sohns Korrespondenz sodann letztmals im Dezember manns »läppische, geistlose Geister« aus den Sera­ 1836 im Kontext eines gescheiterten Opernprojektes pionsbrüdern (Hoffmann 1976, 83) im Sinn gehabt auf – nun deutlich als Problem markiert. Dies nicht haben, wenn er 1839 notiert: »Wie gern finge ich nur, weil Mendelssohn gegenüber Karl von Holtei jetzt bald eine Oper an; aber mit halber Seele darf’s erkennt, dass eine stoffliche Anknüpfung an die freilich nicht geschehen, und ich habe einmal die von ihm hochgeschätzten romantischen Opern Carl Geisterzweifel« (Sämtliche Briefe 6, 339). Noch 1842 ­Maria von Webers kaum mehr dem Zeitgeschmack heißt es: »Entweder von ganzem Herzen, und mit entspricht (»ich meine es sei jetzt nicht mehr Mode gutem Gewissen und aus voller Überzeugung, oder sich in den Wald, an die Kessel und Feuer zurück zu gar nicht; das ist am Ende auch bei einer Oper, wie denken«, Sämtliche Briefe 5, 149). Sondern er reflek- überall, die Losung« (Sämtliche Briefe 9, 36). Daran tiert auf der Suche nach einem geeigneten das scheitert schließlich auch seine letzte Zusammen- Popularitätsproblem der Gattung Oper ­überhaupt, arbeit mit Emanuel Geibel am Lorelei-Stoff in den »die allen Menschen anschaulich und lebendig«, Jahren 1845/46, einem genuin romantischen Sujet; zugleich aber »recht compact, mit vielen, lebhaften das Projekt bleibt unvollendet. Weniger der Stoff, als Chören, mit vielen, lebendigen Leidenschaften« sein die Unmöglichkeit, ihn in Musik »bestimmt« auszu- soll (Sämtliche Briefe 5, 140). Hiermit kollidiert ­seine sprechen, birgt – wie schon so oft – die Probleme: eigene Vorstellung, eine »höhere Idee als Faden« zu »Ich nehme es mit der Musik gern sehr ernsthaft vertonen, »die in der jetzigen Zeit läge«, denn er und halte es für unerlaubt, etwas zu komponieren, möchte gemäß seiner Authentizitätshaltung­ »was das ich eben nicht ganz durch und durch fühle. Es recht Wahres, Wirkliches, Taghelles in meiner Oper ist, als sollte ich eine Lüge sagen, denn die Noten auf die Bretter bringen. Aber wie?« (Sämtliche Brie- haben doch einen ebenso bestimmten Sinn, wie fe 5, 149). Holtei kann die Frage nicht beantworten, die Worte, – vielleicht einen noch bestimmteren« die Libretto-Frage bleibt ungelöst. (Sämtliche Briefe 2, 303). Während Mendelssohns frühere Opern-Beobach­ tungen sich eher an Äußerlichkeiten und ­minderen Qualitäten der Aufführungen – vor allem im Rah- men der Italien-Reise 1831 – stören (was seine Motiva­ Romantik im Werk tion, eine Oper zu komponieren, aber keineswegs Mendelssohns Musik prägt, wie auch jene Wagners bremst), bricht das auch zuvor schon in den Diskus­ oder Schumanns, ein eigenes Modell von Romantik sionen mit Librettisten wie Karl Immermann oder aus und hat somit teil an einer kompositorischen Carl Klingemann aufkeimende G­ rundsatzproblem Ausformulierung des Romantischen im 19. Jahrhun- mit der Textpriorität der Gattung später umso schär- dert. Für deren Nachvollzug erscheint eine analytische­ fer durch: Hieß es noch 1831, »einen Text der mich Fokussierung auf die Musik umso dringlicher, auch nicht ganz in Feuer setzt componire ich nun einmal etwa, um jene ähnlich authentischen K­ onzepte des nicht« (Sämtliche Briefe 2, 324), so wird mit jedem romantischen Komponierens von Johannes Brahms weiteren Versuch, einen geeigneten Text zu finden, oder Max Reger zu verstehen, die Mendelssohn in die Unmöglichkeit sichtbarer, einer vorgegebenen, vielen Punkten ästhetisch nahestehen. Denn richtet dramatischen Konzeption – ganz gleich, welchen sich der Blick weg von den äußerlich auf Mendels- Zuschnitts – musikalisch Folge zu leisten. Ob man sohn applizierten Widersprüchen (Glück vs. Genie, deshalb so weit gehen muss, Mendelssohn ein ge- Tradition vs. Moderne, Jüdisch vs. Deutsch usw.) nerelles Misstrauen gegenüber der Sprache zu attes- und der defensiv-strategischen Vorstellung, Men- tieren (Dahlhaus 1988, 141), sei dahingestellt. Seine delssohn habe damit »gerungen«, so kann – zudem tief empfundene Aussichtslosigkeit, das »Wahre, gestützt auf seine wenigen, aber aussagekräftigen Wirkliche, Taghelle« in einer Oper »ganz« umsetzen Äußerungen – ein romantisches Ideenbündel­ an zu können, zeigt Mendelssohns tiefe Verwurzelung seiner Musik selbst exemplifiziert werden, in dem in romantischen Denkmustern. Allein mit G­ eistern sich diese Widersprüche auflösen. Zu diesem Ideen­