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Kai Hüner, Berthold Brauer, Boris Otto, Hubert Österle Fachliches Metadatenmanagement mit einem semantischen Wiki

Um aktuellen Herausforderungen weltweiter 3 Ein Wiki als Data Dictionary bei Märkte begegnen zu können, brauchen Unter- Bayer CropScience nehmen ein einheitliches Verständnis ihrer 3.1 Fachliches Metadatenmanagement bei Geschäftsobjekte. Einerseits sind regionale Spezi- Bayer CropScience fika zu unterstützen, um weltweit agieren und 3.2 Anforderungserhebung z.B. günstige Produktionsstandorte nutzen zu 3.3 Implementierung als semantisches Wiki können. Andererseits sind einheitliche Daten- 3.4 Evaluation und Szenariotests strukturen für unternehmensweite Analysen er- 4 Ergebnisse der Nutzung des Prototyps und forderlich, um z.B. globale Einkaufsstrategien weiterer Forschungsbedarf umsetzen und vorteilhafte Einkaufskonditionen 5Literatur aushandeln zu können. Zusätzlich müssen Geschäftsobjekte neue Anforderungen seitens 1 Metadaten zur Beschreibung von des Markts und regulierender Institutionen mög- Geschäftsobjekten lichst schnell abbilden – und das weltweit und konsistent. Ziel eines effektiven Managements Die Steuerung verteilter Unternehmen setzt von Geschäftsobjekt-Metadaten ist somit die Be- ein klares und einheitliches Verständnis ge- reitstellung aktueller, detaillierter, flexibler und meinsam genutzter Daten voraus (»Single- gleichzeitig unternehmensweit konsistenter Me- Source-of-Truth«). Zudem basieren integrierte tadaten (z.B. technische und fachliche Spezifika- und automatisierte Geschäftsprozesse auf kla- tionen, anwendungsspezifische Informationen ren und eindeutigen Definitionen von Ge- zur korrekten Nutzung). Zur Unterstützung die- schäftsobjekten (z.B. Materialien, Kunden, Lie- ser Aufgabe stellt der Beitrag das Konzept eines feranten, Stücklisten) [Kagermann & Österle fachlichen Metadatenkatalogs vor und diskutiert 2006, S. 230]. Diese meist unternehmensspezi- einen Wiki-basierten Prototyp, der gemeinsam fische Semantik (z.B. technische und fachliche mit dem Unternehmen Bayer CropScience reali- Spezifikationen, anwendungsspezifische Infor- siert wurde. Die Evaluation des Prototyps zeigt, mationen zur korrekten Nutzung) wird durch Me- dass sich insbesondere semantische Wikis gut zur tadaten beschrieben [Burnett et al. 1999, S. 1213]. Realisierung eines fachlichen Metadatenkata- Metadaten hoher Qualität (insb. bezüglich Ak- logs eignen. tualität, Genauigkeit und Vollständigkeit) tra- gen zu einer reibungslosen Geschäftsprozess- ausführung bei, indem sie Fehler bei automati- Inhaltsübersicht sierten Aktivitäten sowie lange Wartezeiten 1 Metadaten zur Beschreibung von zwischen zwei Aktivitäten reduzieren. So ist Geschäftsobjekten beispielsweise in überbetrieblichen Geschäfts- 2 Management fachlicher Metadaten mit szenarien (z.B. Schienengüterverkehr auf Tras- Wikis sen unterschiedlicher nationaler Anbieter) ein 2.1 Wikis als Kollaborationsplattform in unternehmensintern einheitliches Verständ- Unternehmen nis von Geschäftsobjekten (z.B. »Trasse« oder 2.2 Allgemeine Anforderungen an ein »Gefahrgut«) Voraussetzung, um die unter- Business Data Dictionary schiedliche Semantik von Geschäftsobjekten

98 HMD 277 Fachliches Metadatenmanagement verschiedener Geschäftspartner konsolidieren Kooperation zwischen Fachexperten nutzen. und in internen Geschäftsprozessen korrekt Ein Werkzeug zur Unterstützung dieser verteil- verarbeiten zu können. ten Organisation sollte die kollaborative Erfas- Abbildung 1 erläutert die für den Beitrag sung des benötigten Wissens »vor Ort« ermög- wesentlichen Konzepte: Aktivitäten eines Ge- lichen, d.h. das Sammeln, Diskutieren und Kon- schäftsprozesses erzeugen und nutzen Ge- solidieren verschiedener Aspekte eines Ge- schäftsobjekte zur Leistungserstellung. Daten- schäftsobjekts (z.B. technische Merkmale, buch- objekte repräsentieren Geschäftsobjekte (z.B. halterische Attribute, regionale Spezifika). Die einen Kunden) durch eine Auswahl bestimmter Ähnlichkeit des beschriebenen Prozesses mit Objekteigenschaften (z.B. Name, Geburtsda- der kollaborativen Erstellung und Pflege der On- tum) und deren Abbildung auf Datenattribute. line-Enzyklopädie legt die Nutzung Stammdaten sind Datenobjekte, deren Attri- eines Wikis als unterstützendes Werkzeug na- butwerte sich im Gegensatz zu anderen Daten- he. Daher beschreibt der Beitrag das Konzept ei- arten seltener ändern. Metadaten beschreiben nes als Wiki implementierten BDD und disku- technische und fachliche Eigenschaften (z.B. tiert die Evaluation eines Prototyps im Unter- Datenstruktur, applikationsspezifische Nut- nehmen Bayer CropScience. zung) von Geschäftsobjekten [Burnett et al. 1999, S. 1213]. Ein fachlicher Metadatenkatalog 2 Management fachlicher Metadaten (Business Data Dictionary – BDD) ist ein Werk- mit Wikis zeug zur Unterstützung des Managements von technischen und fachlichen Geschäftsobjekt- 2.1 Wikis als Kollaborationsplattform in Metadaten [Schmidt & Otto 2008, S. 215]. Unternehmen Eine Barriere für unternehmensweit ein- Unterstützt durch den Erfolg von Wikipedia heitliche und verständliche Geschäftsobjekt- steigt das Interesse von Unternehmen an der Metadaten ist die Verteilung des benötigten Nutzung von Wikis für betriebliche Aufgaben Wissens über verschiedene Abteilungen eines [Bughin et al. 2008, S. 2]. Forschungsarbeiten Unternehmens [Newman & Logan 2006, S. 3]. zeigen, dass ein nachhaltiger Einsatz von Wikis Keine zentrale Organisationseinheit ist in der in Unternehmen möglich ist [Majchrzak et al. Lage, die notwendigen Metadaten umfassend 2006] und Wikis sich auch im betrieblichen zu definieren und zu dokumentieren. Daher Kontext für Spezifikationsprozesse erfolgreich muss das fachliche Metadatenmanagement einsetzen lassen [Wagner & Majchrzak 2007]. verteilt organisiert sein und Prinzipien der Gleichwohl werden erhoffte Kollaborations-

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Abb. 1: Terminologischer Bezugsrahmen und Forschungsfokus

HMD 277 99 Fachliches Metadatenmanagement effekte im betrieblichen Kontext nicht zwangs- tionen und kann auf Anfrage eine Liste aller in läufig erzielt [Majchrzak 2009, S. 18]. Die Ent- einem bestimmten Geschäftsprozess genutz- wicklung von Wikipedia zeigt außerdem, dass ten Transaktionen erzeugen. In einem norma- die unstrukturierte Verwaltung von Metadaten len Wiki ist eine solche Auflistung nur durch in einem Wiki zu Redundanzen und ineffizien- manuelle Eingabe der einzelnen Listenelemen- ter Nutzung führen kann [Krötzsch et al. 2007]. te möglich. In Anlehnung an den hawaiianischen Be- Das Potenzial semantischer Wikis, insbe- griff für »schnell« oder »rasch« ist ein Wiki eine sondere die Such- und Navigationsfunktionali- , deren Inhalt jeder ohne großen Auf- tät eines Wikis zu verbessern (z.B. Suche, Navi- wand (eben »rasch«) anpassen und ergänzen gation), zeigt das Ergebnis eines Experiments kann [Cunningham 1995]. Je nach verwendeter [Hüner & Otto 2009]. 62 Fachexperten verschie- Software unterscheidet sich die von einem Wiki dener Unternehmen haben dabei vergleichbare angebotene Funktionalität, wobei zwei Funkti- Aufgaben (Suche und Pflege von Metadaten) in onen praktisch immer vorhanden sind [Kane & einem normalen und einem semantischen Wiki Fichman 2009, S. 2]: Die Funktion »open edi- bearbeitet. Die Analyse zeigt, dass Nutzer im se- ting« ermöglicht das einfache Verändern des mantischen Wiki Metadaten schneller finden Wiki-Inhalts durch jeden Benutzer (u.U. auch und die Benutzerfreundlichkeit besser bewer- anonym), »edit preservation« die Aufbewah- ten (vgl. Abb. 2). Für die Pflege von Metadaten rung aller Bearbeitungen und Versionen des (d.h. Informationen ergänzen, Verknüpfungen Wiki-Inhalts. So kann beispielsweise ein »roll annotieren) zeigt sich ein entgegengesetztes back« jeden Zustand des Wiki-Inhalts (z.B. zur Ergebnis. Für die Interpretation der Resultate ist Abwehr von Vandalismus) mit geringem Auf- zu beachten, dass die verbesserte Nutzungs- wand wiederherstellen. funktionalität der entscheidende Faktor ist, um Wie bereits angedeutet erfasst ein Wiki Me- insbesondere die Akzeptanz des Wikis zu ver- tadaten weitgehend unstrukturiert. Die Gliede- bessern und so die Zahl der Nutzer zu erhöhen. rung des Wiki-Inhalts durch Artikel und Ver- Der in Abschnitt 3.3 vorgestellte Prototyp nutzt knüpfungen zwischen Artikeln unterstützt ei- nen menschlichen Nutzer, ermöglicht aber keine effiziente maschinelle Verarbeitung des Inhalts [Krötzsch et al. 2007]. Diesen Mangel adressieren semantische Wikis und bieten ne- ben der normalen Wiki-Funktionalität zusätzli- che Strukturierungsmöglichkeiten sowie dar- auf aufbauend erweiterte Navigationsunter- stützung und Suchmechanismen [Schaffert et al. 2008]. Ein semantisches Wiki verarbeitet se- mantisch annotierte Verknüpfungen, d.h. zu- sätzliche Informationen zur Bedeutung einer Verknüpfung zwischen zwei Wiki-Artikeln, zu einer maschinenverarbeitbaren Struktur. Die Verknüpfung zwischen einem Artikel zu einer SAP-ERP-Transaktion und einem Artikel zu ei- nem Geschäftsprozess kann beispielsweise mit der Information »genutzt in« annotiert werden. Abb. 2: Ergebnis eines Experiments zu Potenzialen Das semantische Wiki verarbeitet diese Annota- semantischer Wikis

100 HMD 277 Fachliches Metadatenmanagement außerdem Formulare, die semantische Annota- im Bereich agrochemischer Produkte (z.B. Pflan- tionen automatisch vornehmen und dadurch zenschutz, Insektenbekämpfung, Saatgutzüch- helfen, den höheren Pflegeaufwand auszuglei- tung). Bayer CropScience führt im Zuge einer chen. weltweiten Geschäftsprozessharmonisierung eine Konsolidierung von Stammdaten durch. 2.2 Allgemeine Anforderungen an ein Zukünftig soll ein zentrales System Material- Business Data Dictionary und Geschäftspartnerstammdaten bereitstel- Das Kompetenzzentrum Corporate Data Quality len, die in den dann harmonisierten Geschäfts- (CC CDQ, http://cdq.iwi.unisg.ch) ist Teil des For- prozessen weltweit einheitlich verwendet wer- schungsprogramms Business Engineering der den. Aktuell sind Struktur und Bedeutung von Universität St. Gallen (www.iwi.unisg.ch/behsg). Stammdaten teilweise regional unterschied- Es entwickelt seit 2006 gemeinsam mit ver- lich. So werden beispielsweise Logistikdaten zu schiedenen Unternehmen Lösungen zur Unter- Materialien wie Gewicht und Abmessungen in stützung des Qualitätsmanagements konzern- Europa anders gehandhabt als in Nord- und weit genutzter Daten. In diesem Forschungs- Südamerika bzw. Asien. kontext wird auch untersucht, wie Wikis zur Bayer CropScience nutzt bereits ein mit Lo- Unterstützung des fachlichen Metadatenma- tus Notes realisiertes BDD. Dieses Master Data nagements genutzt werden können und wel- Handbook (MD-Handbuch) enthält Informatio- che zusätzlichen Anforderungen sich aus der nen zur Unterstützung des Stammdatenpflege- betrieblichen Nutzung von Wikis für diese Auf- prozesses, beispielsweise zur korrekten Verwen- gabe ergeben. dung von Transaktionen und Feldern des unter- In Fokusgruppeninterviews hat das CC CDQ nehmensweit genutzten SAP-ERP-Systems. Eine zahlreiche Fallbeispiele diskutiert, in denen Marktstudie zeigt, dass das aktuelle Markt- qualitativ schlechte Metadaten Geschäftspro- angebot das Management technischer Meta- bleme verursachen (vgl. Abschnitt 1). Konsens daten nur teilweise und das Management fach- der Diskussionen war die Forderung eines licher Metadaten fast gar nicht adressiert Werkzeugs zur Unterstützung des fachlichen [White et al. 2009]. Daher sind Unternehmen Metadatenmanagements, das einerseits Pro- bei der Unterstützung des fachlichen Metada- zesse zur Definition und Pflege von Metadaten tenmanagements auf Eigenentwicklungen (bei unterstützt und andererseits die Nutzung der Bayer CropScience eine Datenbank in Lotus No- Metadaten in möglichst vielen operativen Sys- tes) oder Kombinationen verschiedener Werk- temen (z.B. ERP-, CRM-System) und Abteilungen zeuge angewiesen. ermöglicht. Das Ergebnis eines Fokusgruppen- interviews mit 14 Fachexperten aus zehn Unter- 3.2 Anforderungserhebung nehmen ist eine Liste mit Anforderungen an ein Trotz der Verfügbarkeit des MD-Handbuchs solches BDD (vgl. Tab. 1). blieb die Nutzeranzahl bei Bayer CropScience ge- ring (nur ca. 80 Nutzer von potenziell ca. 8.000). 3 Ein Wiki als Business Data Dictionary In Interviews wurden Defizite des Werkzeugs er- bei Bayer CropScience mittelt und daraus Anforderungen an eine neue Lösung abgeleitet. Aufgrund der Diskussion kol- 3.1 Fachliches Metadatenmanagement bei laborativer Ansätze zur Unterstützung des fach- Bayer CropScience lichen Metadatenmanagements im CC CDQ Die Bayer CropScience AG (ca. 18.300 Mitarbei- (vgl. Abschnitt 2.2) hat Bayer CropScience ent- ter, 6,4 Mrd. Euro Umsatz 2008) ist ein Ge- schieden, das MD-Handbuch durch ein Wiki- schäftsbereich der Bayer AG. Sie ist Marktführer basiertes BDD zu ersetzen und im Rahmen des

HMD 277 101 Fachliches Metadatenmanagement

Anforderung Erläuterung A01. Flexible Ziel ist ein möglichst hoher Grad an Kollaboration, d.h. möglichst viele Benutzerschnittstelle aktive Nutzer aus möglichst vielen Bereichen eines Unternehmens. Die Benutzerschnittstelle des BDD sollte daher individuell für verschiedene Rollen mit unterschiedlichen Aufgaben und Fähigkeiten konfiguriert wer- den können. A02. Flexible Metadaten ändern sich im Zeitverlauf sowohl inhaltlich als auch strukturell Metadatenstruktur (z.B. zur Beschreibung neuer Datenattribute, durch die Einführung neuer operativer Systeme, durch die Erweiterung um neue Sprachen). Die not- wendigen Anpassungen müssen daher möglichst von jedem Nutzer vor- genommen werden können, um insbesondere die Aktualität der Metadaten sicherzustellen. A03. Integrierbar in Um mögliche Vorgaben der IT-Strategie von Unternehmen zu erfüllen, Portal und sollte das BDD in interne Informationssysteme wie ein Mitarbeiterportal oder ein Intranet integriert werden können. A04. Mehrsprachigkeit Um einen hohen Grad an Kollaboration zu erzielen (vgl. A01. Flexible von Software und Benutzerschnittstelle), müssen Metadaten in verschiedenen Sprachen Metadaten angeboten und erfasst werden können. Auch die Benutzerschnittstelle des BDD sollte mehrsprachig sein. A05. Standardisiertes Die im BDD gepflegten Metadaten sollten möglichst sichtbar, d.h. in mög- Metadatenformat lichst vielen operativen Systemen verfügbar sein, um möglichst viele Mit- arbeiter zur kollaborativen Pflege zu ermuntern. Mit einem standardisierten Metadatenformat sind der Export der Metadaten aus dem BDD und der Import der exportierten Metadaten in operative Systeme ein- fach möglich. A06. Unterstützung von Klar definierte und dokumentierte Nutzungs- und Pflegeprozesse (z.B. Nutzungs- und Unterstützung zur Suche im BDD, Workflows zur Aktualisierung oder Feh- Pflegeprozessen lermeldung) sichern die effiziente Nutzung des BDD. A07. Metadaten- Lexika und Wörterbücher definieren einen Begriff in der Regel mithilfe verweise untereinander interner Verweise auf Definitionen anderer Begriffe, auf Glossare oder Bil- der. Das BDD sollte solche Verweise ebenfalls ermöglichen, um redun- dante Metadaten zu vermeiden und effiziente Navigation zu ermöglichen. A08. Unterstützung von Um mögliche Vorgaben der IT-Strategie von Unternehmen zu erfüllen, Single-Sign-on sollte das BDD vorhandene Authentifizierungsverfahren integrieren kön- nen und keine separate Authentifizierung erfordern. A09. Verfügbarkeit der Um Änderungen nachvollziehen und Fehler schnell korrigieren zu können, Änderungshistorie sollte die Änderungshistorie der Metadaten gespeichert werden und die einfache Wiederherstellung alter Zustände der Metadaten ermöglichen.

Tab. 1: Allgemeine Anforderungen an ein Business Data Dictionary

CC CDQ einen Prototyp zu entwickeln. Tabelle 2 MediaWiki (www..org), der Wiki-Platt- zeigt die ermittelten Defizite des MD-Hand- form von Wikipedia [Krötzsch et al. 2007]. buchs und daraus abgeleitete Anforderungen. Zwar wurden die in Tabelle 2 erläuterten Außerdem wird für jede Anforderung die Um- Defizite unternehmensspezifisch für das MD- setzung im Prototyp erläutert. Der Prototyp ist Handbuch bei Bayer CropScience erhoben. Der als semantisches Wiki mit der Software Seman- Vergleich der abgeleiteten Anforderungen mit tic MediaWiki (SMW, www.semantic-mediawi- den allgemeinen Anforderungen aus Tabelle 1 ki.org) implementiert, einer Erweiterung von zeigt jedoch, dass der für Bayer CropScience

102 HMD 277 Fachliches Metadatenmanagement

Defizit Abgeleitete Umsetzung im Prototyp Anforderungen Fehlende A10. Intuitiv zu bedienende Basisfunktionalität von MediaWiki (z.B. Volltext- Einführung und Benutzerschnittstelle (vgl. suche) wird durch automatisch generierte Listen Dokumentation A01) (SMW-Funktionalität) ergänzt. Metadaten sind in drei Aktualitätsklassen gegliedert. A11. Anleitungen und MediaWiki und SMW bieten eine umfangreiche Dokumentation im Wiki Funktionsdokumentation. BDD-spezifische Funkti- onen und Konfigurationen sind noch nicht doku- mentiert. Geringe Qualität A12. Feedback-Funktionen Kommentieren von Artikeln ist Standardfunktionali- des Inhalts (vgl. A06) tät von MediaWiki. A13. Einfache Identifikation Durch Gliederung in drei Aktualitätsklassen kön- veralteter Metadaten (vgl. nen veraltete Metadaten einfach identifiziert wer- A06) den. A14. Einfache Aktualisie- Formulare erleichtern die Dateneingabe und rungsfunktionalität (vgl. -pflege. Die Realisierung der Validierungsfunktion A06, A09) (vgl. Abschnitt 3.3) erforderte eine Erweiterung (ca. 40 Zeilen PHP-Code). Fehlende Mehr- A15. Mehrsprachige Benut- Die Benutzerschnittstelle von MediaWiki und SMW sprachigkeit zerschnittstelle (vgl. A04) ist in zahlreichen Sprachen verfügbar. Nicht ver- fügbare Sprachen können einfach ergänzt werden. A16. Unterstützung zur Die Sprache des Wiki-Inhalts ist frei wählbar. Strukturierung mehrsprachi- Relationen zur Verknüpfung verschiedener ger Inhalte (vgl. A06) Sprachversionen eines Artikels sind nicht enthal- ten, können aber als semantische Annotationen mit SMW einfach realisiert werden. Unklare A17. Übersichtliche Naviga- Die Navigation des Prototyps ist auf Basis von Nut- Navigation tion (vgl. A06, A07) zungsszenarien (vgl. Abschnitt 3.4) realisiert, die in Interviews mit Nutzern identifiziert wurden. Unstrukturierte A18. Intuitive Suchfunktio- Die von MediaWiki bereitgestellte Volltextsuche Suchergebnisse nalität (vgl. A06) bietet die für Webseiten übliche Suchfunktionalität. A19. Vordefinierte Filter Die Gliederung in drei Aktualitätsklassen stellt (vgl. A06) einen einfachen vordefinierten Filter dar, der mit Standardfunktionalität von SMW realisiert ist. Unklare A20. Eindeutige Bezeichner Die Metadaten sind durch die Titel der Wiki-Artikel Bezeichnungen eindeutig benannt. der Einträge Fehlende A21. Integration mit SAP- SMW kann die aus annotierten Verknüpfungen Integration mit System (vgl. A05) generierte Metadatenstruktur in verschiedenen SAP-System Formaten (z.B. XML, CSV) exportieren. Bayer CropScience plant, mit dieser Möglichkeit Meta- daten aus dem BDD zu exportieren und im SAP- System verfügbar zu machen. Fehlende Doku- vgl. A11 mentation von Abhängigkeiten A22. Unterstützung inhaltli- Verweise auf andere Wiki-Artikel sind Basisfunktio- zwischen cher Verknüpfungen (vgl. nalität von MediaWiki. Feldern A07) ➞

HMD 277 103 Fachliches Metadatenmanagement

Defizit Abgeleitete Umsetzung im Prototyp Anforderungen Fehlende nut- A23. Unterstützung indivi- MediaWiki bietet vordefinierte Wiki-Artikel für regis- zerspezifische dueller Wiki-Artikel (vgl. trierte Nutzer. Spezielle Vorlagen für Metadaten- Sichten A01) pfleger sind vorgesehen. Fehlende vgl. A22 Verweise zwi- schen Objekten

Tab. 2: Defizite des MD-Handbuchs und abgeleitete Anforderungen an das Wiki entwickelte Prototyp auch allgemeine Anforde- 3.3 Implementierung als semantisches Wiki rungen an ein BDD erfüllt. Ein wesentlicher Als Erläuterung der zur Realisierung des Proto- Grund für die Realisierung des Prototyps als se- typs verwendeten Software SMW zeigt Abbil- mantisches Wiki ist beispielsweise die fehlende dung 3a einen Wiki-Artikel mit Metadaten zu ei- Integration der Metadaten aus dem MD-Hand- ner SAP-Transaktion, den sogenannten Wiki- buch in das SAP-ERP-System von Bayer CropSci- Text des Artikels mit Annotationen (Abb. 3b) und ence (vgl. A21). Mit dem standardisierten Meta- einen weiteren Wiki-Artikel, der Metadaten des datenformat von SMW (d.h. der aus annotierten Wikis automatisch anzeigt (Abb. 3c). Im Wiki- Verweisen erzeugten Struktur) sind der Export Text der Metadaten zur Transaktion MM01 ist der Metadaten aus dem Prototyp und der Im- die Verknüpfung zu Berthold Brauer (Pflegever- port der exportierten Metadaten in das SAP- antwortlicher für die Transaktion) mit dem ERP-System einfach möglich, womit neben der Attribut »Responsible« annotiert. SMW verarbei- spezifischen Anforderung A21 auch die allge- tet die annotierten Verknüpfungen und erstellt meine Anforderung A05 erfüllt ist. daraus eine maschinenverarbeitbare Struktur.

Abb. 3: Annotationen in einem semantischen Wiki

104 HMD 277 Fachliches Metadatenmanagement

Abbildung 3c zeigt beispielsweise das Ergebnis unstrukturierten Metadaten in einem norma- einer Suchanfrage (Abb. 3d) zur Identifikation al- len Wiki nicht realisierbar. ler Transaktionen, für die Berthold Brauer verant- Abbildung 4b zeigt einen Ausschnitt eines wortlich ist. Die in der Liste dargestellten Daten Wiki-Artikels mit strukturierten Metadaten zu können außerdem in einem standardisierten Verantwortlichkeiten und der letzten inhaltli- Metadatenformat (vgl. A05 in Tab. 1) exportiert chen Validierung. Die Farbe des Validierungs- und beispielsweise in ein SAP-ERP-System im- datums ändert sich abhängig von der Aktuali- portiert werden (vgl. A21 in Tab. 2). tät des Datums: Artikel, die länger als sechs Abbildung 4 zeigt Ausschnitte der Benut- Monate nicht validiert wurden, werden z.B. zerschnittstelle des Prototyps. Dargestellt sind gelb dargestellt (vgl. A13). Der dargestellte die Funktionalitäten, die im Rahmen eines Eva- Reiter »validate« wird nur dann angezeigt, luationsszenarios (vgl. Abschnitt 3.4) von Mit- wenn der für einen Artikel Verantwortliche im arbeitern bei Bayer CropScience genutzt wur- Wiki angemeldet ist. Die Funktion des Reiters den. Die Startseite des Wikis bietet über- aktualisiert das Validierungsdatum (vgl. A14). schaubare Navigationshilfen (vgl. A17, A20). Das Wiki ist so konfiguriert, dass Nutzer nur Abbildung 4a zeigt die vorgegebene Gliederung dann Schreibrechte haben, wenn sie ange- der Metadaten entsprechend ihrer Aktualität meldet sind. Kommentieren ist für alle Nutzer gemessen an der letzten Validierung durch den (auch anonym) erlaubt. Die Notwendigkeit jeweils Verantwortlichen (vgl. A13). Alternativ der Anmeldung von Metadatenpflegern er- zu dieser Navigation steht eine Volltextsuche möglicht die Bereitstellung individueller Be- zur Verfügung (vgl. A18). Die Sortierung der Me- nutzerartikel (vgl. A23) und vordefinierter Lis- tadaten nach ihrer Aktualität ist als Suchanfra- ten der Metadaten, an denen der jeweilige ge realisiert, ähnlich der in Abbildung 3d darge- Pfleger beteiligt oder für die er verantwortlich stellten Anfrage. Diese Funktionalität wäre mit ist.

Abb. 4: Ausschnitte der Benutzerschnittstelle des Prototyps

HMD 277 105 Fachliches Metadatenmanagement

Abbildung 4c zeigt ein Formular, das mithilfe der Die Tester wurden nicht geschult und bekamen auf SMW basierenden Erweiterung Semantic die Aufgaben schriftlich mitgeteilt. Aus techni- Forms1 zur Pflege der Metadaten realisiert wur- scher Sicht war die Nutzung des Prototyps ohne de. Durch Analyse des annotierten Wiki-Inhalts Probleme möglich. In Interviews haben die Tes- können mit der Erweiterung Auswahllisten zur ter nach Bearbeitung der Aufgaben die Benut- Eingabeunterstützung generiert werden (vgl. zerfreundlichkeit bewertet. Alle Tester konnten Feld unter der Eingabe für »Involved« in Abb. 4c). alle Aufgaben bearbeiten. Das BDD ist somit auch von ungeschulten Mitarbeitern verwend- 3.4 Evaluation und Szenariotests bar. Alle Tester gaben an, dass sie der Prototyp Zur Evaluation des Prototyps bei Bayer CropSci- sehr gut bei der Lösung der Aufgaben unter- ence wurden aus den Ergebnissen der durchge- stützt hat. Im Vergleich zum MD-Handbuch führten Interviews (vgl. Abschnitt 3.1) drei Nut- wurden insbesondere die Einfachheit der Navi- zungsszenarien abgeleitet. Das Szenario »Me- gation, die flexiblen und verständlichen Listen, tadaten pflegen« adressiert die Anforderungen die Volltextsuche sowie die Verknüpfungen von A10, A12–A14, A17–A20, A22 und A23. Es be- Metadaten untereinander positiv bewertet. Die schreibt die Meldung eines Metadatenfehlers einzige negative Rückmeldung kritisierte die durch einen Metadatennutzer und die Aktuali- umständliche Verknüpfung externer Dateien – sierung und Validierung der Metadaten durch mit dem alten MD-Handbuch war dies per einen Metadatenpfleger. Die anderen beiden »Drag & Drop« möglich. Szenarien beschreiben die Nutzung von Meta- daten im SAP-ERP-System und den Wechsel aus 4 Ergebnisse der Nutzung des dem SAP-ERP-System in das BDD, um bestimm- te Metadaten zu suchen. Prototyps und weiterer Die zuvor interviewten Mitarbeiter von Bay- Forschungsbedarf er CropScience (vgl. Abschnitt 3.1) haben den Der Beitrag hat das Konzept eines BDD und ei- Prototyp in den drei Szenarien durch die Bear- nen Wiki-basierten Prototyp beschrieben, der beitung von gestellten Aufgaben (z.B. Suchen gemeinsam mit dem Unternehmen Bayer und Ändern bestimmter Metadaten) getestet CropScience realisiert wurde. Die Evaluation des und bewertet. Alle Tester kannten die alte Ver- Prototyps in Szenariotests zeigt, dass besonders sion des MD-Handbuchs und konnten so ein die durch Verwendung eines semantischen Wi- vergleichendes Urteil abgeben. Im Rahmen des kis mögliche Funktionalität die zuvor identifi- Szenarios »Metadaten pflegen« waren die Tes- zierten Anforderungen an ein BDD erfüllt und ter aufgefordert, die Benutzerfreundlichkeit erhöht. Wichtige ! einen bestimmten Wiki-Artikel zu suchen, Funktionen wie das Extrahieren von Metadaten ! angegebene Metadaten zu prüfen, mit bestimmten Eigenschaften (vgl. Abb. 4a) ! Fehler durch Kommentare im Wiki und per E- und der Export nur aktueller Metadaten oder Mail an den jeweils Verantwortlichen zu kom- von Metadaten, die eine bestimmte Anwen- munizieren, dung betreffen, können mit einem normalen ! die durch die jeweils anderen Tester kommu- Wiki nicht realisiert werden. Um den positiven nizierten Fehler zu beheben und Kollaborationseffekt der Nutzung eines Wikis je- ! die vorgenommenen Änderungen zu validie- doch nicht durch zusätzliche Komplexität se- ren. mantisch annotierter Metadaten zu verhindern, sollten die technischen und funktionalen De- 1. Website von Semantic Forms: www.media- tails eines semantischen Wikis vor Fachnutzern wiki.org/wiki/Extension:Semantic_Forms. verborgen und nur zur Realisierung verbesserter

106 HMD 277 Fachliches Metadatenmanagement

Funktionalität genutzt werden. Ein Beispiel ist [Burnett et al. 1999] Burnett, K.; Ng, K. B.; Park, S.: die Nutzung von Formularen, um bestimmte A Comparison of the Two Traditions of Metada- Metadaten (z.B. die Zuordnung von Verantwort- ta Development. Journal of the American Socie- lichen) strukturiert in das Wiki zu übernehmen ty for Information Science 50 (1999), 13, p. 1209- und die notwendigen semantischen Annotatio- 1217. nen automatisch vorzunehmen. [Cunningham 1995] Cunningham, W.: What Is Wiki. Weiterer Forschungsbedarf besteht in der www.wiki.org/wiki.cgi?WhatIsWiki; Zugriff am: Identifikation und Entwicklung weiterer Wiki- 23.11.2009. basierter Funktionalität zur Unterstützung des [Hüner & Otto 2009] Hüner, K. M.; Otto, B.: The Ef- fachlichen Metadatenmanagements und zur fect of Using a for Metadata Ma- Integration von Metadaten in operative Syste- nagement: A Controlled Experiment. Procee- dings of the 42nd Hawaii International me. Außerdem ist die Realisierbarkeit von Po- Conference on System Sciences, 2009. tenzialen wie [Kagermann & Österle 2006] Kagermann, H.; ! Erhöhung der Nutzerzahl durch den Einsatz Österle, H.: Geschäftsmodelle 2010. Wie CEOs eines Wikis oder Unternehmen transformieren. Frankfurter All- ! vollständigere und aktuellere Metadaten gemeine Buch, 2006. durch erhöhte Kollaboration [Kane & Fichman 2009] Kane, G. C.; Fichman, R. G.: The Shoemaker’s Children: Using Wikis for In- über einen längeren Zeitraum empirisch zu prü- formation Systems Teaching, Research, and Pu- fen. Im CC CDQ ermittelte Experteneinschät- blication. Management Information Systems zungen (vgl. Abschnitt 2.2) deuten die Realisier- Quarterly 33 (2009) 1, p. 1-17. barkeit zwar an, weitere Untersuchungen müs- [Krötzsch et al. 2007] Krötzsch, M.; Vrandei, D.; sen diese Vermutung jedoch bestätigen und Völkel, M.; Haller, H.; Studer, R.: Semantic Wiki- zeigen, dass auch bisher nicht erreichte Nutzer pedia. Journal of Web Semantics 5 (2007), 4, das Konzept annehmen. Außerdem ist zu prü- p. 251-261. fen, inwieweit die Offenheit des Wiki-Konzepts [Majchrzak 2009] Majchrzak, A.: Comment: Where die inhaltliche Qualität der Metadaten tatsäch- is the Theory in Wikis? Management Information lich erhöht oder ob Änderungsrechte auf weni- Systems Quarterly 33 (2009), 1, p. 18-20. ge Experten zu beschränken sind. Auch der posi- [Majchrzak et al. 2006] Majchrzak, A.; Wagner, C.; tive Effekt der Integration von Metadaten in Yates, D.: Corporate Wiki Users: Results of a Sur- operative Systeme ist über einen längeren Zeit- vey. Proceedings of the 2006 International Sym- raum zu prüfen. Beispielsweise könnte die Be- posium on Wikis, 2006, p. 99-104. reitstellung der Metadaten direkt im ERP-Sys- [Newman & Logan 2006] Newman, D.; Logan, D.: tem nach einer bestimmten Zeit wieder zu einer Achieving Agility: How Enterprise Information geringeren Nutzung des BDD und somit erneut Management Overcomes Information Silos. zu veralteten Metadaten führen, da das BDD Gartner Research, G00137817, Stamford, Con- und die Notwendigkeit der stetigen Metadaten- necticut, 2006. pflege in Vergessenheit geraten. [Schaffert et al. 2008] Schaffert, S.; Bry, F.; Baumeis- ter, J.; Kiesel, M.: Semantic Wikis. IEEE Software 25 (2008), 4, p. 8-11. 5Literatur [Schmidt & Otto 2008] Schmidt, A.; Otto, B.: A Me- [Bughin et al. 2008] Bughin, J.; Chui, M.; Miller, A.: thod for the Identification and Definition of In- Building the Web 2.0 Enterprise. McKinsey Glo- formation Objects. Proceedings of the 13th In- bal Survey Results. McKinsey Quarterly o.J. ternational Conference on Information Quality, (2008), July, p. 1-10. 2008, p. 214-228.

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[Wagner & Majchrzak 2007] Wagner, C.; Majchrz- Dipl.-Inform. Kai M. Hüner ak, A.: Enabling Customer-Centricity Using Wi- Dr.-Ing. Boris Otto kis and the Wiki Way. Journal of Management Prof. Dr. Hubert Österle Information Systems 23 (2007), 3, p. 17-43. Universität St. Gallen [White et al. 2009] White, A.; Radcliffe, J.; Wilson, D.: Institut für Wirtschaftsinformatik Vendor Guide: Master Data Management, Müller-Friedberg-Str. 8 2009. Gartner Research, G00164891, Stamford, CH-9000 St. Gallen Connecticut, 2009. {kai.huener, boris.otto, hubert.oesterle}@unisg.ch www.unisg.ch

Berthold Brauer Bayer CropScience AG Organization & Information Services Alfred-Nobel-Str. 50 40789 Monheim am Rhein berthold.brauer@ bayercropscience.com www.bayercropscience.com

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