Lebenserwartung in Den Kreisen: Bis Zu Drei Jahre Unterschied
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Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2004 Titelthema Lebenserwartung in den Kreisen: bis zu drei Jahre Unterschied Hans-Martin von Gaudecker Was sind die Gründe für die zum Teil erstaun- Diese Studie entstand in enger Zusammenar- lich hohen Sterblichkeitsunterschiede in Baden- beit zwischen dem Mannheimer Forschungs- Württemberg auf Kreisebene? Mit dieser Frage institut Ökonomie und demografischer Wandel beschäftigt sich die diesem Text zugrunde lie- (MEA) und dem Statistischen Landesamt Baden- gende Studie. Es kann ausgeschlossen werden, Württemberg. Eine ausführliche Version ist er- dass die Differenzen allein auf Zufallsschwan- schienen in der Reihe Statistische Analysen, kungen oder Fehlern im Meldewesen beruhen. Regionale Mortalitätsunterschiede, herausge- Eine Ursachenanalyse zeigt, dass Haupterklä- geben vom Statistischen Landesamt Baden- rungsgrund für die Sterblichkeitsunterschiede Württemberg. Diplom-Volkswirt Hans- der sozioökonomische Status ist: In Kreisen Martin von Gaudecker ist mit hohem Einkommen leben die Menschen Mitarbeiter am Mann- heimer Forschungs- im Durchschnitt länger als in Kreisen mit ge- Lebenserwartung in Baden-Württemberg institut Ökonomie und ringem Einkommen. Der Einfluss des sozioöko- demografischer Wandel (MEA) sowie Stipendiat nomischen Status auf die Mortalität scheint Die Lebenserwartung der Baden-Württemberger am Zentrum für wirt- durch höhere Bildung verstärkt oder sogar ver- lag im Jahr 2001 mit 77 Jahren für neugeborene schaftswissenschaftliche Doktorandenstudien ursacht zu werden. Luftbelastung und Gesund- Jungen und 82,7 Jahren für neugeborene Mäd- (CDSEM) der Universität heitsversorgung konnten nicht als diskriminie- chen bundesweit an der Spitze. Innerhalb des Mannheim. rende Faktoren der Sterblichkeit in Baden- Landes bestehen jedoch Unterschiede von bis Württemberg festgestellt werden. zu drei Jahren zwischen den einzelnen Stadt- S1 Fiktive Lebenserwartung bei der Geburt in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs Mittelwert 1981 bis 2001 Männer Frauen In Jahren In Jahren unter 73,5 unter 79,5 Main- Main- 73,5bis 74,0 Neckar- Tauber- 79,5bis 80,0 Neckar- Tauber- unter Mannheim Odenwald- Kreis unter Mannheim Odenwald- Kreis Kreis Kreis 74,0 “ 74,5 Heidelberg 80,0“ 80,5 Heidelberg “ Rhein-Neckar- “ Rhein-Neckar- Kreis Hohenlohe- Kreis Hohenlohe- 74,5 “ 75,0 Heilbronn 80,5“ 81,0 Heilbronn “ kreis “ kreis Karlsruhe Heilbronn Karlsruhe Heilbronn 75,0 und mehr Schwäbisch Hall 81,0 und mehr Schwäbisch Hall Karlsruhe Karlsruhe Enzkreis Ludwigsburg Enzkreis Ludwigsburg Pforzheim Ostalbkreis Pforzheim Ostalbkreis Rastatt Rems-Murr- Rastatt Rems-Murr- Kreis Kreis Stuttgart Stuttgart Baden- Baden- Baden Baden Calw Göppingen Calw Göppingen Böblingen Esslingen Heidenheim Böblingen Esslingen Heidenheim Tübingen Alb-Donau- Tübingen Alb-Donau- Freudenstadt Kreis Freudenstadt Kreis Ortenaukreis Reutlingen Ortenaukreis Reutlingen Ulm Ulm Zollernalbkreis Zollernalbkreis Rottweil Rottweil Emmendingen Emmendingen Biberach Biberach Schwarzwald- Sigmaringen Schwarzwald- Sigmaringen Freiburg i. Br. Baar- Tuttlingen Freiburg i. Br. Baar- Tuttlingen Kreis Kreis Breisgau-Hochschwarzwald Breisgau-Hochschwarzwald Ravensburg Ravensburg Konstanz Konstanz Bodensee- Bodensee- kreis kreis Lörrach Waldshut Lörrach Waldshut BODENSEE BODENSEE Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, eigene Berechnungen. Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 226 04 3 Titelthema Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2004 Lebenserwartungen Statistische Signifikanz Die Lebenserwartung ist ein Kohor- Beim Herausarbeiten von Zusam- tenkonzept, das heißt, sie be- menhängen mithilfe von mathe- stimmt beispielsweise, wie lange sämtli- matisch-statistischen Methoden muss che im Jahr 2002 geborenen Kinder er- ein besonderes Augenmerk auf zufällig wartungsgemäß zu leben haben. Streng erzeugten Phänomenen liegen. Insbe- genommen lässt sie sich erst bestim- sondere bei einer geringen Zahl von Be- men, wenn sämtliche Mitglieder dieser obachtungen können scheinbare Bezie- Kohorte gestorben sind. In dieser Arbeit hungen auftreten. So fand man vor eini- wird dieses Konzept auf eine Periode an- gen Jahrhunderten in den Niederlanden gewendet, das heißt zur Berechnung der heraus, dass in Landstrichen mit vielen Lebenserwartung werden sämtliche Ko- Störchen besonders viele Kinder geboren horten herangezogen, die im Jahr 2002 wurden. Betrachtet man diese Untersu- positive Be-stände aufwiesen. Damit sind chung mit modernen Methoden, so stellt die in dieser Arbeit aufgeführten Lebens- sich wenig überraschend heraus, dass erwartungen fiktiver Natur. Sie haben dieser Zusammenhang statistisch insigni- keinerlei Interpretation im eigentlichen fikant ist. Das darunter liegende Konzept Sinn des Wortes, sondern bilden lediglich beruht auf Wahrscheinlichkeiten. Ein fet- einen leicht vorstellbaren Indikator für tes Minus beim Einkommen in der Über- das Sterblichkeits-geschehen in einer Be- sicht auf Seite 6 bedeutet beispielsweise, völkerung. Aussagen der Form „Im Jahr dass mit mindestens 99-prozentiger Wahr- 2001 konnten neugeborene Mädchen in scheinlichkeit ein negativer Zusammen- Baden-Württemberg damit rechnen, 82,7 hang zwischen Einkommen und Sterblich- Jahre zu leben“ sind also auf Grundlage keit vorliegt. Bei einem dünnen Minus liegt der hier verwendeten Periodensterbe- diese Wahrscheinlichkeit immer noch bei tafeln nicht möglich, da Mitglieder von 90 oder 95 %. Sind die Werte geringer, so verschiedenen Kohorten mit völlig unter- lässt sich anhand der vorhandenen Daten schiedlichen Biographien zur Berech- nicht sagen, ob ein Zusammenhang po- nung der fiktiven Lebenserwartung her- sitiv, negativ oder nicht vorhanden ist. angezogen wurden. und Landkreisen, wie eine Berechnung der den Stadtkreisen Ulm und Stuttgart. Die ge- Lebenserwartungen für die Jahre 1981 bis 2002 ringsten Lebenserwartungen sind wiederum auf Basis sehr detaillierter Bevölkerungsbe- im Neckar-Odenwald-Kreis, im Stadtkreis Mann- stands-, Geburts- und Todesfalldaten ergab. heim und in den Karlsruher Kreisen zu finden, Schaubilder 1 und 2 stellen die durchschnitt- hinzu kommt der Landkreis Heilbronn. lichen Lebenserwartungen über den Zeitraum 1981 bis 2001 dar. Diese Zahlen sind aussage- kräftiger als Werte für einzelne Jahre, weil jene Zufallsschwankungen und Messfehler stark durch kurzfristige, unsystematische Schwankungen beeinflusst werden. Die Werte Die gemessenen Lebenserwartungen werden für Männer liegen rund 6 Jahre unter denen durch Zufallsschwankungen beeinflusst. Auf für Frauen. Die Differenzen zwischen den Krei- Kreisebene ist dies besonders stark ausgeprägt, sen sind etwa halb so groß wie der Unterschied da die Bevölkerungen oftmals nur kleine Grö- zwischen Männern und Frauen. In den Land- ßen erreichen. Um auszuschließen, dass Zu- karten lässt sich leicht erkennen, dass die fallsschwankungen die beobachteten Muster räumlichen Muster der Sterblichkeit für beide erzeugt haben, wurde ein Simulationsverfahren Geschlechter ähnlich sind. Für die Lebenser- verwendet. Ausgangspunkt ist die Hypothese, wartung von Männern finden sich die im Mittel dass die Sterbewahrscheinlichkeiten in jedem höchsten Werte im Bodenseekreis und in den Jahr für ganz Baden-Württemberg gleich sind. Landkreisen Tübingen, Böblingen, Esslingen Zusammen mit dem Bevölkerungsbestand je- und Breisgau-Hochschwarzwald. Die Schluss- des Kreises wurden mittels eines Zufallszahlen- lichter bilden der Stadtkreis Mannheim, der generators 1 000 Werte für die Zahl der Ge- Neckar-Odenwald-Kreis, die Landkreise Freuden- storbenen einer jeden Altersklasse erzeugt. stadt und Rastatt sowie die beiden Karlsruher Die auf dieser Basis berechneten Lebenser- Kreise. Bei den Frauen ergibt sich ein ähnliches wartungen waren deutlich einheitlicher als die Bild. Der Bodenseekreis und die Landkreise tatsächlich beobachteten Werte. Folglich konnte Tübingen und Breisgau-Hochschwarzwald bil- die Ausgangshypothese verworfen werden, die den auch hier die Spitzengruppe, gefolgt von Sterbewahrscheinlichkeiten sind nicht im gan- 4 Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2004 Titelthema zen Land gleich. Mit anderen Worten: Zufalls- Fiktive Lebenserwartung bei der Geburt in den Stadt- schwankungen allein können die beobachteten S2 und Landkreisen Baden-Württembergs in Jahren Mortalitätsunterschiede nicht erklären, es liegen Mittelwert 1981 bis 2001 systematische Differenzen in den Lebenser- Männer Frauen wartungen vor. Bodenseekreis (LKR) Tübingen (LKR) Ein weiterer Grund für das Auftreten von Morta- Breisgau-Hochschwarzwald (LKR) litätsunterschieden in den Daten könnte auf sys- Ulm (SKR) tematischen Fehlern im Meldewesen beruhen. Stuttgart, Landeshauptstadt (SKR) Geburten und Sterbefälle innerhalb Deutsch- Waldshut (LKR) Reutlingen (LKR) lands werden in der amtlichen Statistik sehr Konstanz (LKR) gut erfasst. Problematisch sind Sterbefälle im Böblingen (LKR) Ausland sowie Zu- und Fortzüge. Es ist bekannt, Freiburg im Breisgau (SKR) dass es in diesen Kategorien erhebliche Erfas- Ludwigsburg (LKR) sungsprobleme gibt.1 Die potenziellen Fehler Esslingen (LKR) Lörrach (LKR) wurden in enger Zusammenarbeit mit dem Heidelberg (SKR) Statistischen Landesamt Baden-Württemberg Ravensburg (LKR) in eine mathematische Form gegossen. So ent- Enzkreis (LKR) stand ein Messfehlermodell, welches wieder- Rems Murr Kreis (LKR) um den Ausgangspunkt für eine Simulations- Alb-Donau-Kreis (LKR) Emmendingen (LKR) analyse bildete. Die Ergebnisse waren eindeu- Zollernalbkreis (LKR) tig: Sämtliche plausibel erscheinenden Mess- Schwarzwald-Baar-Kreis