Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2004 Titelthema

Lebenserwartung in den Kreisen: bis zu drei Jahre Unterschied

Hans-Martin von Gaudecker

Was sind die Gründe für die zum Teil erstaun- Diese Studie entstand in enger Zusammenar- lich hohen Sterblichkeitsunterschiede in Baden- beit zwischen dem Mannheimer Forschungs- Württemberg auf Kreisebene? Mit dieser Frage institut Ökonomie und demografischer Wandel beschäftigt sich die diesem Text zugrunde lie- (MEA) und dem Statistischen Landesamt Baden- gende Studie. Es kann ausgeschlossen werden, Württemberg. Eine ausführliche Version ist er- dass die Differenzen allein auf Zufallsschwan- schienen in der Reihe Statistische Analysen, kungen oder Fehlern im Meldewesen beruhen. Regionale Mortalitätsunterschiede, herausge- Eine Ursachenanalyse zeigt, dass Haupterklä- geben vom Statistischen Landesamt Baden- rungsgrund für die Sterblichkeitsunterschiede Württemberg. Diplom-Volkswirt Hans- der sozioökonomische Status ist: In Kreisen Martin von Gaudecker ist mit hohem Einkommen leben die Menschen Mitarbeiter am Mann- heimer Forschungs- im Durchschnitt länger als in Kreisen mit ge- Lebenserwartung in Baden-Württemberg institut Ökonomie und ringem Einkommen. Der Einfluss des sozioöko- demografischer Wandel (MEA) sowie Stipendiat nomischen Status auf die Mortalität scheint Die Lebenserwartung der Baden-Württemberger am Zentrum für wirt- durch höhere Bildung verstärkt oder sogar ver- lag im Jahr 2001 mit 77 Jahren für neugeborene schaftswissenschaftliche Doktorandenstudien ursacht zu werden. Luftbelastung und Gesund- Jungen und 82,7 Jahren für neugeborene Mäd- (CDSEM) der Universität heitsversorgung konnten nicht als diskriminie- chen bundesweit an der Spitze. Innerhalb des . rende Faktoren der Sterblichkeit in Baden- Landes bestehen jedoch Unterschiede von bis Württemberg festgestellt werden. zu drei Jahren zwischen den einzelnen Stadt-

S1 Fiktive Lebenserwartung bei der Geburt in den Stadt- und Landkreisen Baden-Württembergs Mittelwert 1981 bis 2001

Männer Frauen In Jahren In Jahren unter 73,5 unter 79,5

Main- Main- 73,5bis 74,0 - Tauber- 79,5bis 80,0 Neckar- Tauber- unter Mannheim Odenwald- Kreis unter Mannheim Odenwald- Kreis Kreis Kreis 74,0 “ 74,5 80,0“ 80,5 Heidelberg “ Rhein-Neckar- “ Rhein-Neckar- Kreis - Kreis Hohenlohe- 74,5 “ 75,0 80,5“ 81,0 Heilbronn “ kreis “ kreis Heilbronn Karlsruhe Heilbronn 75,0 und mehr Schwäbisch Hall 81,0 und mehr Schwäbisch Hall

Karlsruhe Karlsruhe Enzkreis Ludwigsburg

Pforzheim Ostalbkreis Rems-Murr- Rastatt Rems-Murr- Kreis Kreis Stuttgart Baden- Baden- Baden Baden Göppingen Calw Göppingen Böblingen Böblingen Esslingen Heidenheim

Tübingen Alb-Donau- Tübingen Alb-Donau- Kreis Freudenstadt Kreis Ortenaukreis Reutlingen Ulm

Zollernalbkreis Rottweil Emmendingen Biberach Schwarzwald- Schwarzwald- Sigmaringen i. Br. Baar- Freiburg i. Br. Baar- Tuttlingen Kreis Kreis Breisgau-Hochschwarzwald Breisgau-Hochschwarzwald Ravensburg Konstanz Bodensee- Bodensee- kreis kreis Lörrach Lörrach Waldshut BODENSEE BODENSEE

Quelle: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, eigene Berechnungen.

Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 226 04

3 Titelthema Statistisches Monatsheft Baden-Württemberg 7/2004

Lebenserwartungen Statistische Signifikanz

Die Lebenserwartung ist ein Kohor- Beim Herausarbeiten von Zusam- tenkonzept, das heißt, sie be- menhängen mithilfe von mathe- stimmt beispielsweise, wie lange sämtli- matisch-statistischen Methoden muss che im Jahr 2002 geborenen Kinder er- ein besonderes Augenmerk auf zufällig wartungsgemäß zu leben haben. Streng erzeugten Phänomenen liegen. Insbe- genommen lässt sie sich erst bestim- sondere bei einer geringen Zahl von Be- men, wenn sämtliche Mitglieder dieser obachtungen können scheinbare Bezie- Kohorte gestorben sind. In dieser Arbeit hungen auftreten. So fand man vor eini- wird dieses Konzept auf eine Periode an- gen Jahrhunderten in den Niederlanden gewendet, das heißt zur Berechnung der heraus, dass in Landstrichen mit vielen Lebenserwartung werden sämtliche Ko- Störchen besonders viele Kinder geboren horten herangezogen, die im Jahr 2002 wurden. Betrachtet man diese Untersu- positive Be-stände aufwiesen. Damit sind chung mit modernen Methoden, so stellt die in dieser Arbeit aufgeführten Lebens- sich wenig überraschend heraus, dass erwartungen fiktiver Natur. Sie haben dieser Zusammenhang statistisch insigni- keinerlei Interpretation im eigentlichen fikant ist. Das darunter liegende Konzept Sinn des Wortes, sondern bilden lediglich beruht auf Wahrscheinlichkeiten. Ein fet- einen leicht vorstellbaren Indikator für tes Minus beim Einkommen in der Über- das Sterblichkeits-geschehen in einer Be- sicht auf Seite 6 bedeutet beispielsweise, völkerung. Aussagen der Form „Im Jahr dass mit mindestens 99-prozentiger Wahr- 2001 konnten neugeborene Mädchen in scheinlichkeit ein negativer Zusammen- Baden-Württemberg damit rechnen, 82,7 hang zwischen Einkommen und Sterblich- Jahre zu leben“ sind also auf Grundlage keit vorliegt. Bei einem dünnen Minus liegt der hier verwendeten Periodensterbe- diese Wahrscheinlichkeit immer noch bei tafeln nicht möglich, da Mitglieder von 90 oder 95 %. Sind die Werte geringer, so verschiedenen Kohorten mit völlig unter- lässt sich anhand der vorhandenen Daten schiedlichen Biographien zur Berech- nicht sagen, ob ein Zusammenhang po- nung der fiktiven Lebenserwartung her- sitiv, negativ oder nicht vorhanden ist. angezogen wurden.

und Landkreisen, wie eine Berechnung der den Stadtkreisen Ulm und Stuttgart. Die ge- Lebenserwartungen für die Jahre 1981 bis 2002 ringsten Lebenserwartungen sind wiederum auf Basis sehr detaillierter Bevölkerungsbe- im Neckar-Odenwald-Kreis, im Stadtkreis Mann- stands-, Geburts- und Todesfalldaten ergab. heim und in den Karlsruher Kreisen zu finden, Schaubilder 1 und 2 stellen die durchschnitt- hinzu kommt der Landkreis Heilbronn. lichen Lebenserwartungen über den Zeitraum 1981 bis 2001 dar. Diese Zahlen sind aussage- kräftiger als Werte für einzelne Jahre, weil jene Zufallsschwankungen und Messfehler stark durch kurzfristige, unsystematische Schwankungen beeinflusst werden. Die Werte Die gemessenen Lebenserwartungen werden für Männer liegen rund 6 Jahre unter denen durch Zufallsschwankungen beeinflusst. Auf für Frauen. Die Differenzen zwischen den Krei- Kreisebene ist dies besonders stark ausgeprägt, sen sind etwa halb so groß wie der Unterschied da die Bevölkerungen oftmals nur kleine Grö- zwischen Männern und Frauen. In den Land- ßen erreichen. Um auszuschließen, dass Zu- karten lässt sich leicht erkennen, dass die fallsschwankungen die beobachteten Muster räumlichen Muster der Sterblichkeit für beide erzeugt haben, wurde ein Simulationsverfahren Geschlechter ähnlich sind. Für die Lebenser- verwendet. Ausgangspunkt ist die Hypothese, wartung von Männern finden sich die im Mittel dass die Sterbewahrscheinlichkeiten in jedem höchsten Werte im und in den Jahr für ganz Baden-Württemberg gleich sind. Landkreisen Tübingen, Böblingen, Esslingen Zusammen mit dem Bevölkerungsbestand je- und Breisgau-Hochschwarzwald. Die Schluss- des Kreises wurden mittels eines Zufallszahlen- lichter bilden der Stadtkreis Mannheim, der generators 1 000 Werte für die Zahl der Ge- Neckar-Odenwald-Kreis, die Landkreise Freuden- storbenen einer jeden Altersklasse erzeugt. stadt und Rastatt sowie die beiden Karlsruher Die auf dieser Basis berechneten Lebenser- Kreise. Bei den Frauen ergibt sich ein ähnliches wartungen waren deutlich einheitlicher als die Bild. Der Bodenseekreis und die Landkreise tatsächlich beobachteten Werte. Folglich konnte Tübingen und Breisgau-Hochschwarzwald bil- die Ausgangshypothese verworfen werden, die den auch hier die Spitzengruppe, gefolgt von Sterbewahrscheinlichkeiten sind nicht im gan-

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zen Land gleich. Mit anderen Worten: Zufalls- Fiktive Lebenserwartung bei der Geburt in den Stadt- schwankungen allein können die beobachteten S2 und Landkreisen Baden-Württembergs in Jahren Mortalitätsunterschiede nicht erklären, es liegen Mittelwert 1981 bis 2001 systematische Differenzen in den Lebenser- Männer Frauen wartungen vor. Bodenseekreis (LKR) Tübingen (LKR) Ein weiterer Grund für das Auftreten von Morta- Breisgau-Hochschwarzwald (LKR) litätsunterschieden in den Daten könnte auf sys- Ulm (SKR) tematischen Fehlern im Meldewesen beruhen. Stuttgart, Landeshauptstadt (SKR) Geburten und Sterbefälle innerhalb Deutsch- Waldshut (LKR) Reutlingen (LKR) lands werden in der amtlichen Statistik sehr Konstanz (LKR) gut erfasst. Problematisch sind Sterbefälle im Böblingen (LKR) Ausland sowie Zu- und Fortzüge. Es ist bekannt, (SKR) dass es in diesen Kategorien erhebliche Erfas- Ludwigsburg (LKR) sungsprobleme gibt.1 Die potenziellen Fehler Esslingen (LKR) Lörrach (LKR) wurden in enger Zusammenarbeit mit dem Heidelberg (SKR) Statistischen Landesamt Baden-Württemberg Ravensburg (LKR) in eine mathematische Form gegossen. So ent- Enzkreis (LKR) stand ein Messfehlermodell, welches wieder- Rems Murr Kreis (LKR) um den Ausgangspunkt für eine Simulations- Alb-Donau-Kreis (LKR) Emmendingen (LKR) analyse bildete. Die Ergebnisse waren eindeu- Zollernalbkreis (LKR) tig: Sämtliche plausibel erscheinenden Mess- Schwarzwald-Baar-Kreis (LKR) fehler können nicht für die beobachteten Unter- Sigmaringen (LKR) schiede verantwortlich sein. Baden-Württemberg Pforzheim (SKR) Ortenaukreis (LKR) Rottweil (LKR) Bestimmungsgrößen der Mortalität Heilbronn (SKR) Main-Tauber-Kreis (LKR) Zur Ursachenanalyse wurde ein umfassender Hohenlohekreis (LKR) Göppingen (LKR) Datensatz aus veröffentlichten und unveröffent- Heidenheim (LKR) lichten Daten des Statistischen Landesamts Biberach (LKR) Baden-Württemberg, des Verbands der Deut- Tuttlingen (LKR) schen Rentenversicherungsträger und des So- Rhein-Neckar Kreis (LKR) zialministeriums Baden-Württemberg erstellt. Calw (LKR) Freudenstadt (LKR) Darauf aufbauend wurde der Einfluss von so- Rastatt (LKR) zioökonomischen Charakteristika, von Wande- Schwäbisch Hall (LKR) rungsbewegungen, des Gesundheitswesens Baden-Baden (SKR) sowie der Umweltbelastung mithilfe verschie- Ostalbkreis (LKR) dener Spezifikationen eines Regressionsmodells Heilbronn (LKR) Karlsruhe (LKR) untersucht. Die wichtigsten Ergebnisse finden Karlsruhe (SKR) sich in der Übersicht (siehe Seite 6). Die Resul- Neckar-Odenwald (LKR) tate entspringen sehr unterschiedlichen Re- Mannheim (SKR) gressionen, da die Daten zu den erklärenden Variablen in uneinheitlichen Zeitreihen vorlagen. 0 64 66 68 70 72 74 76 78 80 82 So war das Renteneinkommen zum Beispiel Statistisches Landesamt Baden-Württemberg 227 04 nur für die Jahre 1999 bis 2002 vorhanden, die Messgrößen aus der Einkommensteuerstatistik dagegen für die Jahre 1983 bis 1995. Die Struk- hang, wenn man die Alterssterblichkeit mit den tur der Daten sowie Messfehler warfen weitere Renteneinkommen in Beziehung setzt. Dies Probleme auf, die hier nicht weiter thematisiert entspricht den Erwartungen, da die Rentenein- werden können.2 kommen eine Messgröße für das Lebensein- kommen darstellen, welches aus theoretischer 1 Vgl. Statistisches Landes- amt Baden-Württemberg: In Kreisen mit hohen Einkommen leben die Sicht die höchste Mortalitätsrelevanz aufweisen „Leibing: Verteilung von Menschen im Durchschnitt länger. Dieses Er- sollte. Lediglich für die Einkünfte aus der Ein- Finanzmitteln auf Basis unzutreffender Einwohner- gebnis findet sich sowohl mit der Verwendung kommensteuerstatistik bei Frauen lässt sich zahlen?,“ Eildienst, hrsg. der Einkommensteuerstatistik als auch mit den kein Zusammenhang feststellen. Dies liegt vom Statistischen Landes- amt Baden-Württemberg, Renteneinkünften als erklärender Variable. Bei- möglicherweise darin begründet, dass diese 2000. de Einkommensvariablen sind in allen Fällen Daten nicht geschlechtsdifferenziert vorlagen. 2 Eine detaillierte Beschrei- negativ mit der Sterblichkeit korreliert, die Ko- Aufgrund der höheren Erwerbstätigkeit von bung und der Umgang mit effizienten sind in den meisten Fällen statistisch Männern bilden sie somit eher deren Einkom- diesen Problemen finden sich in der ausführlichen signifikant. Besonders stark ist der Zusammen- men ab. Version der Studie.

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Vergleichsweise eindeutige Ergebnisse sind In Kreisen mit einem hohen Anteil an sozial- auch für die höhere Bildung vorhanden; in versicherungspflichtig Beschäftigten war die Kreisen mit einem hohen Anteil an Universitäts- Sterblichkeit höher als in solchen mit einem und Fachhochschulabsolventen ist die Sterb- geringen Anteil. Da die Quoten von Sozialhilfe- lichkeit geringer. Wie die vorhergehenden Re- empfängern und Arbeitslosen in den Regres- sultate deckt sich dieses mit denen der ein- sionen enthalten waren, bedeutet dies, dass schlägigen Literatur. In einigen Spezifikationen die Sterblichkeit von Beamten, Selbstständigen des Modells blieben die Koeffizienten statistisch und Freiberuflern im Durchschnitt geringer ist insignifikant, allerdings ist dies vermutlich mit als diejenige von sozialversicherungspflichtig Kohorteneffekten oder Messfehlern zu erklären: Beschäftigten. Aufgrund des in der Regel hö- Alle Bildungsindikatoren wurden aus der Be- heren sozioökonomischen Status in diesen schäftigtenstatistik gewonnen, daher gelten Personengruppen ruft auch dieses Ergebnis die Werte nicht unbedingt für die Rentnerko- kein Erstaunen mehr hervor. Bezüglich der horten. Ferner lagen sie nur für die letzten vier Quoten von Arbeitslosen und Sozialhilfeemp- Jahre am Wohnort vor. In den vorhergehenden fängern ergab sich erwartungsgemäß fast im- Zeiträumen wurde die Bildung der Arbeitneh- mer ein negativer Zusammenhang mit der Le- mer nur am Arbeitsort erfasst, was aufgrund benserwartung, in den meisten Fällen blieben von Pendlern zu starken Verzerrungen führen die Werte jedoch statistisch insignifikant. kann, das heißt, die gemessenen Werte bilden nicht exakt die Variable von Interesse ab. Zwi- Wenn man sich den Wanderungsbewegungen schen Personen mit abgeschlossener Berufs- zuwendet, so findet sich bei Männern ein sterb- ausbildung und der Personengruppe der An- lichkeitsmindernder Effekt von Zuwanderungen und Ungelernten ließen sich keine Unterschiede und ein gegenteiliger von Abwanderungen. feststellen. Dies entspricht den Erwartungen insofern, als dass mobile Personen vergleichsweise gesund sein dürften. Diese Selektionseffekte scheinen Einflussfaktoren auf die bei Frauen weniger ausgeprägt zu sein. Be- Ü Lebenserwartung trachtet man nur die Wanderungsbewegungen von älteren Personen, so schlagen die Effekte Einflussfaktor Männer Frauen bei Frauen umso stärker in umgekehrter Rich- tung zu Buche: Die Abwanderungen haben ei- Einkommen nen negativen, die Zuwanderungen einen po- sitiven Effekt auf die Mortalität, beide sind sta- Höhere Bildung tistisch hochsignifikant. Die Umkehrung der Abgeschlossene Berufs- Vorzeichen lässt sich auch bei Männern beob- ausbildung achten, die Effekte sind anhand der Daten je- Sozialversicherungspflichtige doch nicht präzise zu bestimmen. Diese Be- Beschäftigte funde decken sich mit der Erwartung, dass Erwerbsminderungsrenten Umzüge bei den über 65-Jährigen vor allem aufgrund von einsetzender Pflegebedürftigkeit Arbeitslosenunterstützungs- empfänger und damit einem höheren Mortalitätsrisiko er- folgen. Da Ehemänner aufgrund der geringeren Sozialhilfeempfänger Lebenserwartung häufiger im eigenen Haus- halt gepflegt werden können, ist der Effekt für Zuwanderung (alle Alter) Frauen deutlich stärker ausgeprägt.

Abwanderung (alle Alter) Bezüglich der Einrichtungen des Gesundheits- wesens lassen sich keine einheitlichen Aussa- Zuwanderung (Alter 65+) gen treffen. Genauso wenig konnte ein Einfluss von Umweltbelastungen nachgewiesen werden. Abwanderung (Alter 65+) Auch wenn die Datenqualität in beiden Berei- chen Wünsche offen lässt, legen die Ergebnisse Gesundheitswesen den Schluss nahe, dass diese Komplexe keine

Umwelt bedeutenden Auswirkungen auf die Gesamt- sterblichkeit haben. Deutlich sterblichkeitsfördernd (-mindernd)

Schwach sterblichkeitsfördernd (-mindernd) Kernaussagen und Interpretation

Kein Einfluss nachweisbar Diese Arbeit hat gezeigt, dass die regionalen Sterblichkeitsunterschiede in Baden-Württem-

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berg weder ausschließlich auf zufälligen Schwan- nen. Dies muss sich nicht zwangsläufig auf den kungen noch auf falsch erfassten Bevölkerungs- Zugang zu Gesundheitsleistungen beziehen, daten beruhen können. Die Ursachenanalyse sondern kann beispielsweise auch über die zeigte zum einen, dass die Bildung stark nega- Wohnsituation oder wiederum über Ernährungs- tiv mit der Sterblichkeit korreliert. Über die aspekte wirken. Eine andere Interpretation Gründe lässt sich allerdings nur spekulieren, wäre, dass gesunde Personen ein höheres Ein- in der einschlägigen Literatur werden zum Bei- kommen erzielen. Dass Umwelt nicht als dis- spiel eine bewusstere Ernährung, bessere Vor- kriminierender Faktor festgestellt werden sorgemaßnahmen und ein geringerer Raucher- konnte, bedeutet nicht, dass Umweltbelastungen anteil unter höher gebildeten Personen disku- per se keinen Einfluss hätten. Vielmehr erscheint tiert. Ferner ließ sich ein deutlicher Einfluss es so, dass mittlerweile die Unterschiede in des Einkommens nachweisen: In der ein oder den Luftbelastungen so gering sind, dass auf anderen Form scheinen sich Reiche selbst in Kreisebene keine Wirkungen auf das Gesamt- Deutschland mehr Gesundheit leisten zu kön- sterblichkeitsniveau mehr feststellbar sind.

kurz notiert …

Immer mehr allein erziehende Eltern bilden von den 20- bis unter 35-Jährigen gut – überwiegend Mütter 22 % einen Einpersonenhaushalt und von den 60-Jährigen und Älteren 30 %. Von den 75-Jäh- Die Mehrheit der Baden-Württemberger, ins- rigen und Älteren lebte sogar jeder Zweite al- gesamt rund 8,3 Mill. Menschen, lebt in Fami- lein. Bei den jüngeren Singles dürften die Ur- lien. Im Rahmen des Mikrozensus zählen Ehe- sachen des Alleinlebens in den Gegebenhei- paare mit Kindern (knapp 1,4 Mill. Ehepaare), ten auf dem Arbeitsmarkt und im Bildungswe- Ehepaare ohne Kinder (1,1 Mill. Ehepaare) sen liegen. In diesen Fällen bildet das Allein- und allein Erziehende mit Kindern (rund leben vermutlich den Übergang zwischen Ver- 365 000 allein Erziehende) zu den Familien. lassen des Elternhauses und der Gründung Der Anteil der Ehepaare ohne Kinder an den einer eigenen Familie. Bei den älteren allein Familien insgesamt ist seit 1980 deutlich – von Lebenden handelt es sich überwiegend um rund 33 % auf heute 40 % – angestiegen.1 Der Personen, die nach dem Tod des Ehepartners Anteil der „traditionellen Kernfamilie“ ist von allein im Haushalt leben, den 67 % der Sin- rund 58 % im Jahr 1980 auf 47 % im Jahr 2003 gles im Seniorenalter sind verwitwet. Allein- zurückgegangen. Die Zahl der allein Erziehen- leben im Alter erweist sich überwiegend als den ist im selben Zeitraum um rund 60 % an- weibliches Phänomen. So wohnten im Jahr gestiegen. Ihr Anteil an allen Familien hat sich 2003 lediglich 17 % der männlichen Senioren dabei von 9 auf 13 % erhöht. Nach wie vor im Alter von 60 Jahren oder älter, aber bereits handelt es sich bei den allein Erziehenden 41 % der Frauen dieser Altersgruppe allein. überwiegend um Mütter (79 %).

Durchschnittliche Kinderzahl liegt bei Jüngere und ältere Menschen sind unter 1,7 Kinder pro Familie den Singles überrepräsentiert Die Familien in Baden-Württemberg sind in Nach den Ergebnissen des Mikrozensus vom den letzten beiden Jahrzehnten deutlich klei- Mai 2003 wächst in Baden-Württemberg die ner geworden. Im Jahr 1980 hatte eine baden- Zahl der Singles. Gegenüber 1980 ist die Zahl württembergische Familie mit Kindern im der allein Lebenden um gut 62 % bzw. knapp Durchschnitt 1,9 Kinder, im Jahr 2003 nur 674 000 auf insgesamt knapp 1,76 Millionen noch 1,7 Kinder. Ursächlich für diese Entwick- Einpersonenhaushalte angestiegen. Die Zahl lung ist der Rückgang der Familien mit drei der Baden-Württemberger, die mit anderen und mehr Kindern. Im Jahr 1980 hatten rund 1 Zu beachten ist allerdings, zusammenwohnen, hat sich seit 1980 nur um 20 % der Familien drei und mehr Kinder, 2003 dass Ehepaare ohne Kin- der nicht gleichzusetzen 11 % erhöht. Im Jahr 2003 lebten somit 16 % traf dies nur auf 15 % der Familien zu. Die sind mit zeitlebens kinder- der Baden-Württemberger alleine. durchschnittliche Kinderzahl liegt in ausländi- losen Ehen. Ehepaare ohne Kinder können zwar schen Familien mit 1,9 Kindern pro Familie zum einen zeitlebens kin- Die Single-Haushalte sind nach wie vor von mit Kindern nach wie vor über der durch- derlose Ehen sein, aber auch Ehepaare, die noch jüngeren Menschen und von Senioren domi- schnittlichen Kinderzahl bei den Baden-Würt- keine Kinder haben, oder niert: Während im Landesdurchschnitt rund tembergern mit deutschem Pass (1,7 Kinder Ehepaare, deren Kinder den elterlichen Haushalt 16 % der Baden-Württemberger allein leben, pro Familie mit Kindern). bereits verlassen haben.

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