Vorwort

mit Juden machten, wer die wohlhabenderen Juden waren 1 Steven M. Lowenstein 1989. und welche jüdischen Viehhändler die Gemeinschaftsstäl- 2 Kaplan: Jüdisches Bürgertum 1997. le für ihre Rinder benutzten; ein Brauch, der 1935 in 3 Hurban ist ein Synonym für Shoah, das hebräische Wort, das zur Bezeichnung des Holocaust der 1930er und 1940er Jahre gebräuchlich wurde. verboten wurde. Im selben Jahr wurde mein Cousin Jakob 4 Werner von Oberwesel, auch Werner von Bacharach, Werner von Womrath VORBEMERKUNG: Guthmann, einer der wohlhabendsten Männer in Eich, (1271–1287). Sein unerklärter Tod wurde den Juden angelastet und führte zu einer blutigen Judenverfolgung am Mittelrhein. Er wurde als Heiliger verehrt brutal angegriffen. Antisemitismus war der Sozialismus und erst 1963 aus dem Heiligenverzeichnis gestrichen. der Narren, besagt eine Redensart. 5 Amos Elon: Zu einer anderen Zeit 2003. EIN SCHRITT VORWÄRTS 6 Denkwürdigkeiten der Glückel, 2012. Glückel von Hameln, eigentlich Glikl Heute leben in deutschen Städten wieder Juden. Es gibt bat Juda Leib, geb. 1645 in Hamburg, gest. 1724 in Metz, war eine jüdische Geschäftsfrau, die als erste Frau Deutschlands eine erhalten gebliebene Auto- Synagogen, Rabbinerseminare und weltliche jüdische Ins- biografie schrieb. Die in jiddischer Sprache abgefassten Tagebücher sind ein titutionen. Deutschland hat mehr als jede andere Nation Zeugnis erster Hand über das jüdische Leben ihrer Zeit. 7 Vgl. die soziologischen Ansätze von Ferdinand Tönnies in seinem Grundlagen- des europäischen Festlandes getan, um seine ‚Sporen‘ zu werk Gemeinschaft und Gesellschaft. as nördlich von Worms zwischen Rhein und Hügel- auch verantwortlich, aus der Vergangenheit zu beseitigen, so wie es sein sollte. Die Anstrengungen schei- 8 Götz Aly: Warum die Deutschen 2012. land gelegene Gebiet, in welchem die rheinhessi- lernen und so unsere Gegenwart und Zukunft zu nen Erfolg zu haben. Umfragen zeigen, dass in Deutsch- Dschen Altrheindörfer Hamm, Eich und gestalten.“ land weniger Antisemitismus herrscht als in Frankreich angesiedelt sind, war über einen Zeitraum von mehr als oder Italien, ganz zu schweigen von Ungarn und Polen. 9 Hurban is a synonym for Shoah, the Hebrew word that came into common 250 Jahren Heimat jüdischer Familien. Als Landjuden So beschreibt Thomas Höppner-Kopf, Pfarrer der evange- usage to describe the Holocaust of the 1930s and 1940s. Die Deutschen kritisieren schnell jede Form von Antise- waren sie Teil des deutsch-jüdischen Lebens, das in die- lischen Kirchengemeinde , seine Erfah- 10 Werner from Oberwesel, also Werner from Bacharach, or Werner from Womrath mitismus. Dennoch ist immer noch jeder sechste Deut- (1271–1287). The Jews were blamed for his death which led to a bloody perse- ser Region 1939 mit dem Wegzug des letzten jüdischen rungen nach einer Begegnung mit dem in Israel lebenden (Alternative für cution of the Jews in the Rhineland. Werner was revered as a saint until 1963 sche antisemitisch eingestellt. Die AfD when he was excluded from the canon. Bewohners, des aus Gimbsheim stammenden Heinrich Juden deutscher Herkunft, Joe Schwarz, im Spätsommer 1 Deutschland), obwohl sie öffentlich behauptet, dass sie 11 Amos Elon: The Pity of it All 2002. Hirsch, unwiederbringlich verloren ging. Heinrich Hirsch 2016. Er bringt damit auf den Punkt, was auch uns in keine Abneigung gegenüber Juden hege, wird von Men- 12 Glückel von Hameln, alias Glikl bat Juda Leib (1645–1724), was a Jewish busi- wurde 1942 von Worms nach Theresienstadt deportiert, unserer Arbeit geleitet hat: die Verpflichtung, die Erin- schen angeführt, die früher antisemitische Erklärungen ness woman and the first woman in who wrote an autobiography. Her wo er den Tod fand. Das für ihn auf dem jüdischen Fried- nerung an die jüdische Geschichte und an die Opfer des journals, written in the Western Yiddish dialect, are a testimony of the Jewish abgaben oder die Leugnung des Holocaust verteidigten. life of their time. hof in vorgesehene Grab neben seiner Frau Rosa- Holocaust und der Zwangsemigration wachzuhalten. In Worms stimmte jeder achte bei den Wahlen 2017 für 13 See the fundamental work of Ferdinand Tönnies Gemeinschaft und Gesellschaft lie sowie der Platz für eine Inschrift auf dem gemeinsamen die AfD. Diese Zahlen sollten wachsam machen. (1887). Gedenkstein blieben leer. 14 Götz Aly: Why the Germans 2014. Das verwaiste Grab und das Fehlen des Namens stehen Sehr wenige kleine Städte oder Dörfer haben heute jüdi- sinnbildlich für den Verlust jüdischen Lebens am Altrhein. sche Einwohner. In Eich gibt es nur eine einzige Überle- „Unvergessen“ steht auf dem Grabstein von Rosalie bende der Jahre des Holocaust: die schöne Landsynagoge, Hirsch. Mehr als 70 Jahre nach dem Untergang des Nati- die 1889 erbaut wurde. Auf ihrem First befinden sich in onalsozialismus ist es Zeit, das Versprechen einzulösen. Stein gemeißelt die Zehn Gebote. Sie erinnern uns daran, Mord, Neid und Verleumdung zu unterlassen. Leider ist Durch die Vertreibung in der NS-Zeit haben die Juden ihre die Synagoge in einem schlechten Zustand. Hoffen wir, Heimat am Altrhein verloren. Wenn auch die Dimensio- dass die Veröffentlichung dieses Buches zur Renovierung nen nicht vergleichbar sind, so wiegt auch für jeden von der Synagoge und zu ihrer Erhaltung für die kommenden uns der Verlust des jüdischen Bevölkerungsteils durch den Jahrhunderte beitragen wird. erzwungenen Weggang schwer. Uns Nachgeborenen wurde auf alle Zeit die Möglichkeit genommen, das Judentum als Erinnerung ist ein wesentlicher Bestandteil der jüdischen einen selbstverständlichen Bestandteil unseres täglichen Kultur und Religion. Das hebräische WortYizkor bedeutet Lebens zu erfahren. Wenn man sich die Biografien der ‚erinnere dich‘. Es erscheint 228-mal in der Bibel. überlebenden Juden und ihrer Nachfahren vor Augen hält, Das schöne Buch, das Sie gerade in der Hand halten, bekommt man eine Vorstellung davon, welches intellek- erinnert an eine verschwundene Zivilisation, die Landju - tuelle, wirtschaftliche und kulturelle Potential für unser den. Wir erhalten darin einen Blick auf das, was verloren öffentliches und privates Leben mit der Vertreibung der gegangen ist, in all seinen wunderbaren Details. Zusam - jüdischen Bewohner verloren gegangen ist. Wie sähe das men mit meiner Familie bin ich den Autoren zutiefst dank - Leben in unseren Dörfern und Städten wohl heute aus, bar für ihr Engagement, ihren Mut und ihre Liebe. wenn dieser bereichernde Teil unserer Gesellschaft erhalten geblieben wäre und sich hätte weiterentwickeln können? Sanford Jacoby, Los Angeles, im Frühjahr 2018 „Auch wenn wir nicht die Akteure der Vergan- genheit sind, so haben wir dennoch die Folgen Abb. 1: Grabstein Rosalie Hirsch, jüdischer Friedhof Alsheim, der Vergangenheit mit zu tragen und sind insofern Sammlung Volker Sonneck. 16 17 Vorbemerkung Ein Schritt vorwärts

Seit mehr als zwei Jahrzehnten wird in zahlreichen Initia- em. aus Aachen, verweist mit Blick auf diese Begegnung Auch diese Sätze machen deutlich, dass das Recht auf von Geburts-, Heirats-, Sterbe- und Auswanderungsdaten, tiven Wider das Vergessen2 Erinnerungsarbeit geleistet auf das Naheliegende: „Erinnerung, Mahnung und Ver- Erinnerung kein einseitiges sein kann, es steht den Nach- sondern indem sie die Lebenswege der Personen weiter und es hat sich vielerorts eine Gedenkkultur etabliert, söhnung kann geschehen durch einfache menschliche und fahren der Juden vom Altrhein gleichermaßen zu. verfolgt und − je nach Quellenlage − kurze Biografien die sich insbesondere auch der Aufarbeitung der Zeit des gastfreundliche Begegnung.“5 Die in den 1980er und 1990er Jahren erschienenen Chro- ermittelt oder näher auf die Lebensgeschichten der Perso- Nationalsozialismus widmet. In den Altrheingemeinden niken von Hamm, Eich und Gimbsheim7 sparten die nen eingeht. Darüber hinaus wurde versucht, die familiä- haben einzelne Persönlichkeiten aus dem kommunalen Die vielen Jahrzehnte, die nach der Emigration und Geschichte der Juden in ihren Gemeinden weitgehend ren Beziehungen innerhalb der jüdischen Familien in den und kirchlichen Bereich verdienstvolle Beiträge zur Erin- Zwangsemigration inzwischen vergangen sind, machen aus. Der ehemalige Bürgermeister von Eich, Günter drei Gemeinden zu veranschaulichen: Familienstrukturen, nerung und Versöhnung geleistet. Ebenso hat das Museum es allerdings nicht leicht, noch Nachfahren der einst am Reich, befasste sich als einer der ersten näher mit die- die über Generationen hinweg intakt waren und der ver- der Verbandsgemeinde Eich mit einer Ausstellung3 und Altrhein beheimateten jüdischen Familien ausfindig zu ser Thematik und legte seinen Schwerpunkt dabei auf die wandtschaftliche Zusammenhalt, der weit über den engen mit Vorträgen zum 70. Jahrestag der Novemberpogrome machen. Ohne die Recherche- und Kommunikationsinst- Dokumentierung der biografischen Daten. 1998 veröf- Familienkreis hinausging, traten so, trotz großer geografi- die historische Aufarbeitung eingeleitet.4 Diesen Bemü- rumente, die das Internet bietet, wäre dies nicht möglich. fentlichte er die Chronik der Eicher Juden8, nachdem er scher Entfernungen und unterschiedlicher Lebensentwür- hungen schließen wir uns an und ergänzen das Spektrum Dort, wo eine Kontaktaufnahme zustande kam, stieß sie in zuvor Kontakt zu ehemaligen jüdischen Familien aus Eich fe, konkret hervor. mit vorliegender Dokumentation. den allermeisten Fällen auf großes Interesse bei den Ange- aufgenommen hatte. Im Jahr 2005 gab er seine Dokumen- schriebenen, führte zu Annäherungen und schließlich zu tation Jüdische Familien in Alsheim, Eich Rheinhessen, Ein Blick in das im Anhang beigegebene Ortsregister Erinnerungsarbeit bedeutet für uns aber mehr als nur eine gegenseitigem Vertrauen, das auf diese Weise – auf beiden Gimbsheim, Hamm am Rhein und Mettenheim 1529–1939 zeigt, wie weitverzweigt die familiären Bindungen der historische Bestandsaufnahme und Rückbesinnung. Wir Seiten – zu einem besseren Verständnis einer untergegan- heraus.9 Er legte ‚Familienblätter‘ an und dokumentier - Juden von Hamm, Eich und Gimbsheim waren. Heute möchten, und das war uns wichtig, mit der Kenntnis und genen Welt beitrug. Sanford Jacoby (geb. 1953), dessen te nicht nur die Namen und Herkunftsorte, sondern auch bilden die drei Dörfer zusammen mit Mettenheim und Als- Unterstützung der Nachfahren die Geschichte der Juden, Familie aus Eich stammte, greift diesen Gedanken auf: die Geburts-, Heirats-, Aus- und Abwanderungs- sowie heim die Verbandsgemeinde Eich im Kreis -Worms. die einst in diesem Teil Rheinhessens geboren wurden Sterbedaten der weitverzweigten Familien Aron, David, Die jüdischen Familien aus diesen Ortschaften finden in oder dort vorübergehend zu Hause waren, fortschreiben „I think we share some deeply held values about Feitel, Haas, Hirsch, Kahn, Keller, Guthmann, Schott und dieser Dokumentation insofern Berücksichtigung, als und ihre Biografien nicht mit dem Datum der Auswande- preserving the Jewish past in Germany, especially anderer jüdischer Einwohner. Die ‚Juden‘, ‚Schutzjuden‘, sie in verwandtschaftlicher Beziehung zu den Familien rung oder dem Tod im Holocaust enden lassen. Wir wollen the less famous but important part of German- ‚jüdischen Seelen‘ und ‚jüdischen Mitbürger‘ bekamen in Hamm, Eich oder Gimbsheim standen. Dadurch ist es daher die Lebenswege der Auswanderer und Zwangse- Jewish life, the Landjuden. After over five hund- nunmehr einen Namen, eine Heimat und eine persönliche u. a. gelungen, mehrere Familien aus Mettenheim (Aron, migrierten sofern möglich bis in die Gegenwart hinein red years their world is gone. It was a very dif- Geschichte, auch wenn sich dieses nur in einem Geburts- Feitel, Levi, Loeb und Mayer) von ihren Anfängen bis zur verfolgen. Denn das jüdische Leben ging weiter. Wenn ferent world than the one people conventionally oder Sterbedatum manifestierte. Gegenwart zu dokumentieren.13 nicht am Altrhein, dann andernorts. associate with German Jews. It was rural, rarely Reichs Quellen waren in erster Linie die Ortsbürgerre - Das in dieser Dokumentation behandelte Geschehen in affluent, pious, and lacking university graduates gister, Brandkataster und Besitzwechselregister, außer - der Altrheinregion kann, und dies gilt insbesondere für Dabei stützen wir uns nicht allein auf archivalische Quel- (although the Landjuden were educated, well-in- dem Gemeindeprotokollbücher und Steuerregister der die Zeit des Nationalsozialismus, beispielhaft für Ereignis- len und gedruckte oder im Internet zugängliche Dokumen- formed, and modern in many ways). It was also Gemeindearchive Eich10, Hamm11 und Gimbsheim.12 Ein se in anderen ländlichen Regionen stehen, wie wir durch te, sondern ergänzen diese um Aussagen von Zeitzeugen different from the new Jewish world that exists in bleibendes Verdienst seiner Arbeit liegt in der erstmaligen unsere Recherchen und Korrespondenzen immer wieder sowie durch Bild- und Schriftzeugnisse, die wir vornehm- Germany today. My generation is the last to have Dokumentation jüdischer Personen, sowie, durch Nen- erfahren haben. Auch für das Landjudentum des 18. und lich den Nachkommen zu verdanken haben. had contact with people from that world.“ nung der Namen der Zeugen bei Geburten, Trauungen 19. Jahrhunderts in seiner besonderen Lebensform kann Die Erinnerungen gilt es jetzt zu bewahren, denn in weni - und Sterbefällen, in einer ansatzweisen Rekonstruktion das geschilderte jüdische Leben am Altrhein als Beispiel gen Jahren wird es keine ‚biografische Zeugenschaft‘ mehr „Ich denke wir teilen einige tief verankerte Werte der Beziehungen der Familien untereinander. dienen. geben. Noch ist es möglich, mit Zeitzeugen, vor allem aber die jüdische Vergangenheit in Deutschland zu Im November 2008 wurde in einer Ausstellung „Spu- mit den Nachfahren derer, die noch Verbindung zu den bewahren, vor allem den weniger bekannten, rensuche“ im Museum der Verbandsgemeinde Eich auf Wichtig war es uns, die Menschen in der Altrheinregi- Menschen aus jener Zeit hatten, ins Gespräch zu kommen. aber wichtigen Teil deutsch-jüdischen Lebens, Schautafeln die Geschichte der Juden aus Alsheim, Eich, on in den Verlauf unserer Forschungen mit einzubezie- Diese Möglichkeit genutzt zu haben, daran wird sich jede die Landjuden. Nach über 500 Jahren ist ihre Gimbsheim, Hamm und Mettenheim vorgestellt. Dadurch hen, sei es durch Vorträge, durch Veröffentlichungen in Form von Erinnerungsarbeit messen lassen müssen. Welt untergegangen. Es war eine ganz andere wurde eine größere Öffentlichkeit – so auch wir – sowohl der Tagespresse, in Heimatjahrbüchern und regionalen Wie das geschehen kann, dazu haben Thomas Höpp - Welt als die, die man gewöhnlich mit deutschen auf das Thema als auch auf Forschungsdesiderate auf- Geschichtsblättern14 oder durch Berichterstattung und ner-Kopf und Joe Schwarz ein Beispiel gegeben. Bei Juden assoziiert. Sie war bäuerlich geprägt, meist merksam. einen öffentlichen Aufruf im Nachrichtenblatt der Ver- einer Flugreise von Frankfurt nach Tel Aviv kamen sie ärmlich und ohne Hochschulabsolventen (den- bandsgemeinde Eich. Dabei kamen wir immer wieder ins Gespräch. Der Deutsche weckte bei dem Israeli den noch waren die Landjuden gebildet, gut infor- Unsere Dokumentation knüpft thematisch an diese Aus- mit Personen in Kontakt, die sich bereitfanden, ihr Wis- Wunsch, mehr über die deutsche Vergangenheit seiner miert und in vielerlei Hinsicht modern). Sie war stellung und methodisch an die Arbeit von Günter Reich sen über die jüdische Vergangenheit ihrer Dörfer mit uns Familie zu erfahren. Schwarz beschloss daraufhin, eine auch anders als die neue jüdische Lebenswelt, die an, die zugleich auch die Grundlage und den Ausgangs- zu teilen oder unsere Forschungen auf sonstige Weise zu Reise in das Land seiner Vorfahren zu unternehmen, die zu heute in Deutschland existiert. Meine Generation punkt für unsere eigenen biografischen Recherchen bilde- unterstützen. Was Letzteres anbelangt, sind in erster Linie einer Reise der Freundschaft und der Versöhnung wurde ist die letzte, die noch Kontakt mit Menschen aus te. Ohne selbst den Anspruch auf Vollständigkeit erheben Thomas Höppner-Kopf und Bernd Wilhelm aus Hamm und für ihn einen „riesigen Schritt vorwärts in die Ver- jener Welt hatte.“6 zu wollen, ergänzt und korrigiert sie Reichs Dokumenta- zu nennen. Ihrem unermüdlichen Engagement ist es zu gangenheit“ bedeutete. Um dieses „wunderbare Gesche- tion zunächst dort, wo erforderlich, in den biografischen verdanken, dass die evangelischen Kirchengemeinden von hen der Versöhnung und der Freundschaft“ persönlich zu Daten und familiären Zuordnungen. Sie geht jedoch über Hamm-Ibersheim, Eich und Gimbsheim sowie die katho- erfahren, bedarf es wenig. Heinrich Mussinghoff, Bischof diese hinaus, indem sie nicht Halt macht bei der Nennung lische Pfarrgruppe Altrhein sich maßgeblich an der Finan- 18 19 Vorbemerkung Ein Schritt vorwärts zierung der Drucklegung beteiligten. Aber mehr noch, Elvera Joseph, New York, USA einem Zeitpunkt, als eine Buchveröffentlichung in weite 1 Stepping Forward, S. 143. die Kirchengemeinden des Altrheins, vertreten durch ihre Ernst Kahn, New York, USA Ferne gerückt schien, die Bedeutung des ihr vorgeleg- 2 z. B. http://www.bmbf.de/press/3486.php. geistlichen Leitungen, Pfarrer Thomas Höppner-Kopf Howard Kahn, Jerusalem, Israel ten Materials erkannte, uns den Weg wies und uns stets 3 Spurensuche; Veranstaltungsrückblick mit Bildern und Schautafeln auf: http:// www.museum-vg-eich.de/Images/Galerie_Spurensuche/index.html. - (Hamm), Pfarrer Markus Kuhnt (Eich), Pfarrerin Chris Gertrude Kahn Halberstadt, New York, USA freundlich, aber bestimmt und mit einem straffen Zeitplan 4 Über seine Aktivitäten informiert der Museumsverein auf seiner Website: www. tina Jammers (Gimbsheim) und Pfarrer Victor Solomon Jeremy R. Katz, Atlanta, USA zum Ziel führte. museum-vg-eich.de. (Gimbsheim), übernahmen auch die Herausgeberschaft Luise Kissel, Gimbsheim 5 Stepping Forward, S. 7. für dieses Buch. Damit setzen sie ein auch nach außen Peter Kölsch, Gimbsheim († 2012) Von den einstigen Juden am Altrhein sind zum Zeitpunkt 6 E-Mail an die Verfasser von Sanford Jacoby, vom 2.7.2014. sichtbares Zeichen der Ökumene und besiegeln zugleich Maria Krämer, Eich der Niederschrift dieser Zeilen noch sechs Personen am 7 1200 Jahre Eich; 1200 Jahre Gimbsheim; Chronik Gimbsheim 1997; 1200 Jahre Hamm am Rhein. - den ‚Brückenschlag‘ zu den Nachfahren der Juden vom Dr. Gunter Mahlerwein, Gimbsheim Leben: Ernst Kahn (geb. 1919) und seine Schwester Ger 8 Reich: Chronik. Altrhein. Carol Masters, Long Beach, California, USA trude Kahn Halberstadt (geb. 1921), Margot Nathan Marx 9 Reich: Jüdische Familien. Margot Nathan Marx, Chicago, USA (geb. 1924), Greta Greenhut Adler (geb. 1928) und ihr 10 Gemeindearchiv Eich im Stadtarchiv Worms: Abt. 230. An dieser Stelle ist es nun an der Zeit, allen jenen zu Moshe Mayerfeld, Lakewood, New Jersey, USA Bruder Fred Greenhut (geb. 1931) sowie Else Monat Eng- 11 Gemeindearchiv Hamm am Rhein im Stadtarchiv Worms: Abt. 231. danken, die an unserer Dokumentation mitgewirkt und Hedwig Mechelke, Oppenheim lund (geb. 1933). 12 Gemeindearchiv Gimbsheim im Stadtarchiv Worms: Abt. 233. sie unterstützt haben und durch schriftliche und münd- Irmgard Memminger, Eich 13 Für Alsheim: Mahlerwein: Alsheim-Halasemia; Überblick Rheinhessen: Hoff- liche Auskünfte sowie durch die Überlassung von Fotos, Rebecca Meyers, Gretna, Louisiana, USA Die vorliegende Dokumentation ist den Juden vom mann: Wir sind doch Deutsche. Dokumenten und anderen schriftlichen Zeugnissen oder Ellen Moncrieff, Brenham, Texas, USA Altrhein geschuldet. Gewidmet ist sie ihren Nachfahren 14 Eine Übersicht auf: www.erichgraf.de. auf sonstige Weise mit dazu beigetragen haben, dass wir Else Monat Englund, Schweden und deren Familien. die Ergebnisse unserer langjährigen ehrenamtlichen For- Emmi und Günter Müller, Gimbsheim schungen heute hier vorlegen können. Namentlich bedan- Sharon Muldoon, Montana, USA ken möchten wir uns bei: Jack Myers, Philadelphia, Pennsylvania, USA Wilhelm Ott, Sprendlingen Dennis Aron, Skokie, Illinois, USA John Powell, St. Louis, Missouri, USA Laurence Asslinger-Hochschild, Isle of Wight, Großbri- Günter Reich, Eich tannien Kurt Reinsberg, Scarsdale, New York, USA († 2016) Hans-Werner Barth, Hamm am Rhein Lore und Peter Rosen, Los Angeles, California, USA Anna Louise Miller Beall, New York, USA Ellen Rubinchik, Daly City, California, USA Else und Georg († 2016) Brutscher, Hamm am Rhein Anita und Jakob Scheller, Gimbsheim Yael David Cohen, London, Großbritannien/Tel-Aviv, Doris und Günter Spengler, Gimbsheim Israel Judith Elaine Scherck, Montana, USA Prof. Mark Barnett David, Urbana, Illinois, USA Rudy Schott, New York, USA Dr. Edward Emil David, New York, USA († 2017) Volker Sonneck, Dr. Jochen Degwitz, Echzell Prof. Dr. Jenny Strauss Clay, Charlottesville, Virginia, Monika Deja, Trebur USA Anna Dickerscheidt, Eich Helmut Trageser, Rodgau Doris und Dieter Diegelmann, Eich Marion Voigt, Landeshauptarchiv Koblenz Thomas W. Doerr, Bad Vilbel Wilhelm Wahl, Gimbsheim Walter Elias, St. Louis Park, Minnesota, USA Ann Whitehill, Boulder, Colorado, USA Linda und Malcolm Epstein, St. Louis, Missouri, USA Bernd Wilhelm, Hamm am Rhein Prof. George H. Friedman, Chicago, USA Raymond Wolff, Berlin Martin Geyer, Stadtarchiv Worms Yona Zoref, Jerusalem, Israel Gisela , Fred Greenhut, Los Angeles, California, USA Unsere Forschungen haben über einen langen Zeitraum Greta Greenhut Adler, New York, USA auch unser privates Leben bestimmt. Deshalb danken wir Margitta Gruenberg Cooper, Baltimore, Maryland, USA in besonderer Weise unseren Familien, die unsere jahre- Jack Guthman, Chicago, USA lange Beschäftigung mit der Thematik so bereitwillig und Kate Guyonvarch, Paris, Frankreich verständnisvoll begleiteten. Ferner geht unser ganz per- Colleen Hannah, Atlanta, Georgia, USA sönlicher Dank vor allem auch an unsere Freunde Thomas Katrin Hopstock, Stadtarchiv Speyer Höppner-Kopf und Sanford Jacoby, ohne deren Einsatz Liza Kaiser Hanses, Mukilteo, Washington State, USA und Unterstützung die Dokumentation nicht in dieser Ernst Kitter, Gimbsheim Form hätte vorgelegt werden können. Bedanken möchten Prof. Dr. Sanford Jacoby, Los Angeles, California, USA wir uns ferner bei Dr. Annette Nünnerich-Asmus, die zu 20 21 Jüdisches Leben auf dem Lande – Kurzer historischer Abriss

Familien insbesondere unter den Landjuden sehr groß VON DER FRANZÖSISCHEN und ging über die engere Familie weit hinaus. Gemeinsam besuchte man die Gottesdienste und beging den Sabbat, REVOLUTION BIS ZUM ERSTEN desgleichen wurden Feste und hohe jüdische Feiertage WELTKRIEG: EMANZIPATION gemeinsam gefeiert. Gegenseitige Verwandtenbesuche UND INTEGRATION JÜDISCHES LEBEN AUF DEM LANDE waren häufig, wobei hier, wie bei Feierlichkeiten, nicht selten die Gelegenheit genutzt wurde, sich nach passenden Ehepartnern für den Sohn oder die Tochter umzusehen.8 Mit dem Vordringen des Gedankenguts der Aufklärung – KURZER HISTORISCHER ABRISS Für jüdische Eheschließungen, Erbschaftsauseinander- änderten sich langsam auch Denkweisen, Wertmaßstäbe setzungen und Vormundschaften waren die Rabbiner und Gesinnungen der christlichen Bevölkerung gegenüber zuständig. Allerdings musste jede Hochzeit den örtlichen den Juden. Ämtern angezeigt werden, um festzustellen, ob der Bräu- Die Französische Revolution von 1789 und die am 28. tigam in den Schutz aufzunehmen sei und die entspre- September 1791 von der französischen Nationalversamm- er Beginn jüdischen Lebens in den Altrheingemein- Viehweide, die sich vom Pfad nach Eich bis zum Rhein chenden Aufnahmegelder entrichtet habe. So war auch lung verkündete rechtliche Gleichstellung aller Bürger den Hamm, Eich und Gimbsheim geht bis in das hin erstreckte, der Gemeinde ein Entgelt von drei Gulden ‚Judt Seligmann‘ (ca. 1676–1739) aus Eich, der dort seit hatte unmittelbare Auswirkungen auch auf die von fran- D17. Jahrhundert zurück, angefangen in Eich um zu bezahlen.5 1713 unter Schutz stand,9 dazu aufgefordert, die Höhe der zösischen Truppen besetzten linksrheinischen Gebiete. 1680 1 in einer noch vor dem Pfälzischen Erbfolgekrieg Mitgift anzugeben, die er seinem Sohn ‚Hertz Seligmann‘ Von Landau in der Pfalz aus drangen französische Truppen (1688–1697) liegenden Zeit. In Gimbsheim sind Juden seit Die landesherrlichen Judenordnungen des 16. bis 18. Jahr- bei dessen Verheiratung im Jahr 1732 nach über Speyer bis Worms und an den Rhein vor und 1692 und in Hamm seit 1716 urkundlich nachgewiesen hunderts, die territorial sehr unterschiedlich ausgestaltet mitzugeben gedachte. Sie bestand aus einem „halbschöp- belagerten dabei die Altrheingemeinden; seit Herbst 1794 und namentlich dokumentiert.2 waren, bestimmten und umschrieben die Rechte und pigen Silberbecher“, 200 Gulden und einer Kuh im Wert waren die linksrheinischen Regionen dauerhaft besetzt. Davor lagen Jahrhunderte, die von Ausgrenzung, Ver- Pflichten der jüdischen Bevölkerung. Festgelegt wurden von zwölf Gulden.10 Damit war ein neues Zeitalter, die ‚französische Zeit‘, folgung und Vertreibung, von gewaltsamen Übergriffen darin z. B. Höhe und Umfang der Schutzgelder und sons- angebrochen und mit ihr einhergehend grundlegende Ver- bis hin zur Ermordung von Juden geprägt waren. Der tigen Abgaben und die Zahl der Juden, die sich an einem Nach dem 30-jährigen Krieg litt das Kurfürstentum unter änderungen in allen Lebensbereichen, so u. a. die Über- gesellschaftliche Status der jüdischen Bevölkerung war Ort ansiedeln durften, ferner berufliche und wirtschaftli- einem erheblichen Bevölkerungsrückgang und somit nied- nahme des französischen Rechts-, Steuer- und Verwal- im Mittelalter mehr und mehr zu einer nur geduldeten und che Bestimmungen (Juden durften kein öffentliches Amt rigeren Steuereinnahmen. Aus diesem Grund hatte Kur- tungssystems, die Trennung von Verwaltung und Justiz, nahezu rechtlosen Randgruppe herabgesunken. Aufgrund bekleiden und kein Handwerk betreiben, keinen Wucher fürst Karl-Ludwig von der Pfalz großes Interesse daran, die Abschaffung des Feudalsystems sowie die Einführung ihrer Religionsverschiedenheit und ihrer ethnischen Zuge- treiben etc.) sowie die nichtöffentliche Ausübung des reli- Neubürger, insbesondere auch finanzkräftige und wegen der Religionsfreiheit und der freien Berufswahl. Die fran- hörigkeit wurden sie von der christlichen Bevölkerung mit giösen Kultes. ihrer kaufmännischen Kenntnisse ‚nützliche‘ Juden, anzu- zösische Sprache wurde zur Amtssprache und der franzö- Unbehagen und Argwohn als ein fremdes Volk betrachtet.3 Demgegenüber wurde Juden in der frühen Neuzeit bereits siedeln, um den Arbeitskräftemangel auszugleichen und sische Franc war von nun an die Landeswährung.15 Auf dem Land existierte zwar nicht die Ghettoisierung das Recht zugestanden, vor den Reichsgerichten ihren die Wirtschaft neu zu beleben.11 der Städte, doch verhinderten die Wirtschaftstätigkeit der Rechtsschutz einzuklagen. So wurde beispielsweise 1729 Nach der Erneuerung der Konzession für die Landjuden- Nach dem Frieden von Campo Formio wurde die Ver- Juden und ihre größere Land-Stadt-Mobilität, eigene Fest- der Klage des Juden Meyer Levi aus Lampertheim statt- schaft12 unter Kurfürst Karl Theodor 1744 war es den waltung 1798 nach französischem Vorbild organisiert, es tage, Riten und Gebräuche und die strikte Einhaltung des gegeben, der ausstehende Gelder für die Lieferung von kurpfälzischen Juden unter anderem erlaubt, ihren Auf- wurden Départements gebildet, die sich in Kantone, die- Sabbats statt des Sonntags als Ruhetag oft auch hier die Getreide vor dem Eicher Gericht einklagte.6 Ebenso wurde enthaltsort frei zu wählen. Beim Kauf von Immobilien und se wiederum in Gemeinden gliederten, denen ein ‚Mai- Integration in die (christliche) Dorfgemeinschaft. die Klage des Juden Seligmann aus Eich im Jahr 1733, dem Bau von Häusern und Grundstücken waren sie nur re‘ als Verwaltungsoberhaupt vorstand. Hamm, Eich und der die ihm zustehenden Zahlungen gerichtlich einklag- noch wenigen Einschränkungen unterworfen. Es wurde Gimbsheim gehörten in dieser Zeit zum Département du Vom Ausgang des Mittelalters bis zum Ende des 18. Jahr- te, positiv beschieden. 1770 verurteilte man einen Eicher ihnen der Bau von Synagogen gestattet, ebenso durften sie Mont-Tonnerre () mit Mainz als Verwaltungs- hunderts hatten Juden an den Landesherrn oder die städti- Bürger zu zehn Gulden Strafe und der Begleichung der „alle ehrliche Handlungen, besonders auch die Metzgerei, sitz.16 sche Obrigkeit ein nach Einkommen gestaffeltes ‚Schutz- Gerichtskosten „zu seiner künftigen besseren Beschei- betreiben.“13 Wesentlich für die linksrheinischen Gebieten war nach geld‘ zu zahlen. Sie erhielten darüber einen Schutzbrief denheit“, weil er den ‚Juden Seligmann aus Mettenheim‘, In der frühen Neuzeit schlossen sich die das Wohnrecht dem Vorbild des französischen Personenstandsgesetzes ausgestellt, der ihnen das Aufenthaltsrecht zusicherte. dem er Geld schuldete und diese Schulden offensichtlich besitzenden Landjuden territorial zu einer Landjuden - vom 20.9.1792 vor allem die Einführung von kommu- Er musste in regelmäßigen Abständen, zumeist jährlich, nicht begleichen wollte, überfallen und geschlagen hatte. schaft zusammen, einer korporativen Selbstorganisation, nalen Standesämtern im Jahr 1798 und damit die staat- erneuert werden.4 Juden, die keinen Schutzbrief vorweisen Die Strafe bezog sich jedoch nicht etwa auf die noch aus- der ein Landrabbiner vorstand. Aufgabe des Vorstehers liche Beurkundung der Geburten, Eheschließungen und konnten, drohte die Ausweisung. Weitere Abgaben waren stehenden Schulden, sondern war eine Strafe dafür, dass war es, die vom Landesherrn kollektiv geforderten Steu - Sterbefälle. Auch die Juden waren seitdem gesetzlich Gebühren, die für die Benutzung von gemeindeeigenen er zu Seligmann gesagt haben soll, er hätte ihn„besser ern und Abgaben für die einzelnen Mitglieder festzulegen verpflichtet, ihre Personenstandsfälle beim zuständigen Weiden und Wäldern zu zahlen waren, und Gebühren bei abgeschlagen“.7 und einzusammeln sowie die Zahlungen für gemeinsame Standesamt beurkunden zu lassen. Wegen der wech- der Ausrichtung bestimmter Lebensereignisse, wie z. B. Einrichtungen (z. B. Friedhöfe, Gehalt des Rabbiners) zu selnden Nachnamen der Juden − nach jahrhundertelan- bei Eheschließung oder Begräbnis. So hatte beispielsweise Eine bedeutsame Rolle spielte im Judentum die Familie. koordinieren.14 ger jüdischer Tradition nahmen die Kinder in der Regel der ‚Jude Männel‘ aus Gimbsheim für sein Vieh auf der Dabei war der Zusammenhalt innerhalb der jüdischen den Vornamen des Vaters als Nachnamen an, d. h. es gab keinen eigentlichen von Generation zu Generation ver- erbten gleichbleibenden Familiennamen – herrschte auf 22 23 Jüdisches Leben auf dem Lande – Kurzer historischer Abriss

Handelspatent „zum Hausieren (…) im Kreise Worms mit en und Kultur der USA. Nicht selten bekleideten sie auch Ellenwaren und Strickbaumwolle“ beantragen.19 hohe Ämter in der Politik. Dieses zunächst für zehn Jahre geltende Gesetz wurde Der familiäre Zusammenhalt, der trotz großer geografi- 1818 und danach weitere Male bis 1847 verlängert.20 scher Entfernungen und unterschiedlicher Lebensentwürfe Nach dem Wiener Kongress 1815 waren die politischen generationenlang aufrecht erhalten wurde, garantierte das und territorialen Verhältnisse in Deutschland neu geordnet Überleben und spielte vor allem in den Jahren zwischen worden. Als Entschädigung für das bisher zum Großher- 1933 und 1945 eine entscheidende Rolle. Diejenigen, die zogtum Hessen- gehörende Herzogtum West- Deutschland bereits verlassen hatten, oder ihre Nachfah- falen, das an Preußen abzutreten war, erhielt Großherzog ren übernahmen die Bürgschaft, das sogenannte ‚Affida- Ludwig von Hessen-Darmstadt den nördlichen Teil des vit‘, für ihre Verwandten oder Bekannten und ermöglich- linksrheinischen Départements Donnersberg mit 160.000 ten es ihnen somit, ins rettende Ausland zu gelangen. Die Einwohnern. Das Gebiet umfasste die Region um die Bestimmungen waren für alle Bürgen gleich. Sie mussten Städte Mainz, Worms, Bingen, Alzey und Oppenheim. garantieren, die Person(en), für die sie bürgten, aufzuneh- Mit der Unterzeichnung des Kontrakts im sogenannten men, sich um sie zu kümmern und dafür zu sorgen, dass ‚Besitzergreifungspatent‘ am 8. Juli 1816 entstand die sie nicht zur Bürde für die Gemeinde oder Stadt wurden. Provinz Rheinhessen. Weiterhin hatten sie für die Schulausbildung von minder- Die Revolution von 1848 gab auch der jüdischen Eman- jährigen Personen bis zu deren 16. Lebensjahr zu sorgen zipationsbewegung neue Schubkraft.21 Ferdinand und durften ihnen nicht erlauben, vor ihrem 18. Geburts- Eberstadt (1808–1888) in Worms wurde als erster Jude tag eine Arbeit anzunehmen. So gewährten sie Zuflucht, Deutschlands in das Amt eines Bürgermeisters eingesetzt. Schutz und Unterkunft und ermöglichten den Vertriebenen Das Scheitern der Revolution und die nachfolgende Res- dadurch einen Neuanfang. Doch für viele war die Rück- tauration holten jedoch auch Eberstadt ein, als er 1852 kehr in ein ‚normales‘ Leben oft nicht mehr möglich und zwar in den Wormser Gemeinderat gewählt wurde, die das Trauma der Vertreibung reichte oft weit bis in die Übernahme des Amtes jedoch durch eine ministerielle nachfolgenden Generationen hinein. Verfügung verhindert wurde. Dort, wo die Familien Opfer zu beklagen hatten, lag es Wegen der Revolutionsereignisse von 1848 kam es in nicht an der Bereitschaft, den in Not geratenen Verwand- dieser Zeit bei politischer Verfolgung oder aufgrund ten zu helfen, sondern an den Ein- und Ausreisebeschrän- Abb. 1: Nachnamenannahme in Eich 1808, Stadtarchiv Worms. der Unzufriedenheit mit den politischen Verhältnissen kungen. Ab 1941 war die Ausreise für Juden gänzlich den Standesämtern jetzt oft große Verwirrung. Nicht sel- Ämtern, im Handwerk und in der Landwirtschaft – in im Heimatland zur ersten großen Auswanderungswelle verboten. Dennoch ließen die Familien nichts unversucht, ten kam es bei Männern vor, dass Vor- und Nachname Rheinhessen somit auch im Weinbau – offen. Sonderbe- nach Nordamerika.22 An der Massenauswanderung des ihre Angehörigen in die USA zu holen. identisch waren. Aus diesem Grund erließ Napoleon am steuerungen wie die oben erwähnten Schutz- und Konzes- 19. Jahrhunderts nach Amerika waren die Juden prozen- 20. Juli 1808 ein Dekret zur Namensregelung jüdischer sionsgelder gab es nicht mehr. tual gesehen sehr viel stärker beteiligt als der christliche Die bis Mitte der 1860er Jahre erfolgten Emanzipations- Familiennamen, das am 5. Oktober 1808 in Kraft trat und Neben den erworbenen Rechten galt es nun auch, Pflichten Teil der Bevölkerung in Deutschland.23 Zwischen 1830 gesetze in beinahe allen deutschen Staaten und die Gesetz- Juden verpflichtete, einen einheitlichen vererbbaren Nach- zu erfüllen. Die männliche Bevölkerung – und dies schloss und 1910 emigrierten etwa 200.000 Juden aus dem Gebiet gebung von 1871 des nunmehr Deutschen Reiches hob namen anzunehmen. Die jüdischen Familienvorstände und jetzt auch die Juden ein – unterlag der Wehrpflicht in der des Deutschen Reiches, auch zahlreiche Juden der drei schließlich endgültig alle noch bestehenden Beschränkun- deren Ehefrauen mussten sich im Oktober 1808 auf das französischen Armee. Seit dem Mittelalter war Juden das Altrheingemeinden wanderten aus. Bemerkenswert dabei gen auf: Standesamt ihrer Gemeinde begeben und schriftlich erklä- Tragen von Waffen untersagt. Nun standen auch Isaak ist die sogenannte ‚Kettenwanderung‘, die gerade unter ren, welchen Vor- und Nachnamen sie und ihre Kinder David (ca. 1794–1862) aus Gimbsheim und Benedikt den jüdischen Auswanderern besonders ausgeprägt war. „Alle noch bestehenden, aus der Verschieden- fortan tragen wollten.17 Dabei war es keine Seltenheit, dass Aron (ca. 1791–1853) aus Eich für Napoleon im Felde.18 Die Emigrierten berichteten ihren Familien und Verwand- heit des religiösen Bekenntnisses hergeleiteten innerhalb einer Familie verschiedene Nachnamen ange- An dieser für die jüdische Bevölkerung positiven Entwick- ten von ihrem Leben und ihrer beruflichen Tätigkeit in Beschränkungen der bürgerlichen und staatsbür- nommen wurden, sofern der oder die Söhne bereits eine lung änderte auch die Niederlage Napoleons nichts. Die in der neuen Heimat, nicht selten auch von erfolgreichen gerlichen Rechte werden hierdurch aufgehoben. eigene Familie gegründet hatten. der französischen Zeit existierende weitgehende rechtliche Geschäftsgründungen und versuchten, Angehörige und Insbesondere soll die Befähigung zur Teilnahme Gleichstellung der rheinhessischen Juden blieb nach 1814 Freunde zu überreden, es ihnen gleichzutun und ihrer- an der Gemeinde- und Landesvertretung und zur Mit der Einführung des Code Civil (Zivilrecht) im März weiter bestehen. Allerdings schränkte Napoleons Décret seits den Weg über den Ozean in eine neue Welt und eine Bekleidung öffentlicher Ämter vom religiösen 1804 herrschte nun die vollkommene rechtliche Gleich- infâme (‚schändliches Dekret‘, ‚Moralpatent‘) vom 17. neue Zukunft zu wagen. Aufgrund ihres Wagemuts, ihrer Bekenntnis unabhängig sein.“24 stellung aller Bürger, die jetzt erstmals auch die Juden März 1808 die rechtliche Stellung und die Gewerbefrei- Bereitschaft, hart zu arbeiten und häufigere Ortswech- einschloss. Die Einführung der Gewerbefreiheit für alle heit der Juden wieder ein. Jeder jüdische Händler hatte sel in Kauf zu nehmen sowie ihrer wirtschaftlichen und Der Patriotismus war auch in der jüdischen Bevölkerung Bürger wirkte sich zudem auf die Berufsstruktur jüdi- ein Handelspatent zu beantragen, das seine einwandfreie intellektuellen Fähigkeiten hatten die deutsch-jüdischen groß und wie selbstverständlich nahmen z. B. auch Joseph scher Einwohner aus: Juden brauchten sich nicht mehr Geschäftsführung bestätigte und jedes Jahr erneuert wer- Immigranten des 19. Jahrhunderts einen maßgeblichen David II (1847–1910) aus Gimbsheim und Isaak Haas ausschließlich vom Handel zu ernähren, sondern ihnen den musste. So musste auch Jakob Hirsch I aus Gimbs- Anteil an Fortschritten in Wirtschaft, Wissenschaft, Medi- (1849–1902) aus Eich 1870/71 am Deutsch-Französischen standen nun auch andere Berufszweige in öffentlichen heim 1837 für seine 22-jährige Tochter Johannette ein Krieg teil. 24 25 Jüdisches Leben auf dem Lande – Kurzer historischer Abriss

Die Fortschritte auf dem langen Weg der Emanzipation DER ERSTE WELTKRIEG der Juden machten sich jetzt auch in den Altrheingemein- den bemerkbar und gingen einher mit einem deutlichen UND SEINE FOLGEN Anstieg der jüdischen Bevölkerung. Die seit 1842 beste- hende jüdische Gemeinde Eich-Hamm und die israeliti- Auch im Ersten Weltkrieg (1914–1918) dienten jüdi- sche Religionsgemeinde Gimbsheim erbauten sich eige- sche Männer aus Eich und Gimbsheim als Soldaten oder ne Synagogen, die 1892 bzw. 1890 feierlich eingeweiht Offiziere; zwei von ihnen fielen, ein anderer starb an den werden konnten. Der wirtschaftliche und gesellschaftli- Folgen seiner schweren Kriegsverletzung. Sie zählten zu che Aufstieg der Juden in den Städten wirkte sich auf das den 100.000 jüdischen Soldaten, die auf deutscher Seite jüdische Leben auf dem Lande aus. So besaßen auch die am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten. Viele Deut- Juden am Altrhein Häuser, Land und Vieh, gingen einem sche waren begeistert in den Krieg gezogen und so war Handwerk oder einer kaufmännischen Beschäftigung es wohl auch für Ernst Ludwig Hirsch (1894–1986) nach, waren Ärzte oder Rechtsanwälte und gründeten aus Gimbsheim und Berthold Guthmann (1893–1944) Geschäfte und Fabriken. Sie waren geschätzte Mitglie- aus Eich eine patriotische Pflicht, für das deutsche Vater- der in den verschiedenen örtlichen Vereinen und mitunter land zu kämpfen. Wie andere Juden waren sie von der im Gemeinderat tätig. Die jüdischen Einwohner standen Motivation geleitet, als gleichberechtigte Bürger in ihrem ihren christlichen Mitbürgern nun in keiner Weise mehr gesellschaft lichen Umfeld anerkannt zu werden.28 nach und prägten das wirtschaftliche und soziale Leben Dennoch beschimpfte man Juden vielerorts als ‚Drücke- der Gemeinden nachhaltig. Aus geduldeten Schutzjuden berger‘ und warf ihnen eine − gemäß ihrem Bevölkerungs- waren geachtete Ortsbürger und Nachbarn geworden. Als anteil − unzureichende Beteiligung am Krieg vor.29 Karoline Guthmann 1885 in Hamm verstarb, läuteten die evangelischen Kirchenglocken auch für sie25 und nicht Wie neuere Forschungsergebnisse nahelegen, gab es aller- selten gaben „zahlreiche Personen aller Konfessionen von dings nicht überall, zumindest nicht auf den Dörfern, die Nah und Fern“26 und manchmal sogar das ganze Dorf oft zitierte Kriegseuphorie, denn gerade zur Zeit der Ernte Geleit27, wenn jüdische Gemeindemitglieder zu Grabe fehlten durch Kriegsausbruch und Einberufung nun die in getragen wurden. der Landwirtschaft dringend gebrauchten Arbeits kräfte. Frauen, Kinder, alte Abb. 3: „Spaßkarte“ von der Gimbsheimer Kerb 1900, Sammlung Graf/Hannah. Leute oder einquar- tierte Soldaten muss- gestaltung in Juden hetze und -verfolgung mündete. Zu geschrieben hatte. Darauf zu sehen ist ein offensichtlich ten jetzt deren Aufga- Beginn der 1880er Jahre hatte die antisemitische Bewe- jüdischer Schausteller, dem ein vermeintlicher ‚Spaßvo - be übernehmen und gung auch das nördliche Rheinhessen erreicht. In Dörfern gel‘ die Nase verlängert und ein Gesicht auf das Gesäß das Leben auf dem dieser Region zeigte sich in Teilen der Bevölkerung eine gemalt hatte.33 Dorf veränderte sich. offene Judenfeindlichkeit, die auch vor der Zerstörung von Davon zeugen auch Wohneigentum nicht Halt machte oder durch Vandalis- Das Ende des Ersten Weltkriegs bedeutete für Deutschland die Briefe von Simon mus in Weinbergen, Äckern und Obstbaum anpflanzungen auch das Ende des Zeitalters der Monarchie. Nach dem Jakobi (1878–1935), unmittelbar an der Lebensgrundlage ihrer Besitzer Kieler Matrosenaufstand und im Zuge der Novemberre- die er von der Front rüttelte.30 volution 1918 bildeten sich insbesondere in den Städten, in Russland an sei- Es kam zu Vorfällen wie z. B. in Alsheim, als unbekannte zum Teil aber auch auf den Dörfern, so z. B. in Gimbs- ne Familie in Eich Täter den Kastanienbaum am Haus des jüdischen Händ- heim, Arbeiter- und Soldatenräte, die die Selbstverwaltung schrieb. lers Julius Oppenheimer (1866–1937) beschädigten.31 der Städte und Gemeinden anstrebten.34 Am 9. November Bereits jetzt wurden Ängste und Vorbehalte gegen die 1918 wurden die Fürsten zur Abdankung gezwungen und Bereits im letzten jüdische Bevölkerung geschürt, nicht zuletzt spielte der Großherzog Ernst Ludwig von Hessen-Darmstadt, der sich Drittel des 19. Jahr- Neid aufgrund des wirtschaftlichen Erfolgs der Juden eine dem zunächst widersetzt hatte, musste am 12. November hunderts hatte sich in Rolle.32 1918 das Großherzogtum Hessen für aufgelöst erklären. Deutschland eine vor- Aus den Altrheingemeinden sind zu dieser Zeit keine Ein neuer demokratischer Volksstaat Hessen entstand. geblich auf ‚wissen- judenfeindlichen Vorkommnisse überliefert. Aber auch Zu den Folgen des Krieges mit Hunger, Entbehrung, schaftlichen‘ Grund- hier wird es eine antisemitische Stimmung gegeben haben, Arbeitslosigkeit, Wohnraummangel und der beginnenden lagen beruhende Form wie die abgebildete Postkarte aus dem Jahr 1900 vermuten Inflation kam für den linksrheinischen Raum noch die des Antisemitismus lässt. Sie ist an ein „wohlgeborenes Fräulein“ in Lud- Rheinlandbesetzung durch die alliierten Truppen hinzu, ausgebreitet, der in wigshöhe gerichtet, die ihr ein geselliger Kreis„bei guter die bis zum Juli 1930 andauerte und mit dazu beigetragen Abb. 2: „Am Altrhein“ – Familienausflug der jüdischen Familien, um 1900, Sammlung Sanford Jacoby. seiner konkreten Aus- Laune“ von der Gimbsheimer Kerb (Kirchweih, Kirmes) haben mag, einen Nährboden für nationalistisch gesinnte 26 27 Jüdisches Leben auf dem Lande – Kurzer historischer Abriss

OPFER DES NATIONAL- 1 1200 Jahre Eich, S. 73. 2 Reich: Jüdische Familien, für Eich: S.120, Gimbsheim: S. 202 und Hamm SOZIALISMUS IN HAMM, S.294. 3 Demel: Gebrochene Normalität, S. 82. EICH UND GIMBSHEIM 4 Hoffmann: Emanzipation. 5 Chronik Gimbsheim, S. 132. In der Ausstellung ‚Spurensuche‘ im Museum der Ver- 6 1200 Jahre Eich, S. 92. bandsgemeinde Eich waren die Opfer des Holocaust auf- 7 1200 Jahre Eich, S. 155. geführt. Für Gimbsheim kommen hinzu: 8 Barkai: Jüdisches Leben, S. 50ff. 9 Reich: Jüdische Familien, S. 122. 10 – Hatty (Löb) David, die bis November 1938 in 1200 Jahre Eich, S.101. 11 Rohde: Juden in Rheinhessen, S. 31, Demel: Gebrochene Normalität, S. 63. Gimbsheim wohnte und 1942 mit ihrem Mann aus 12 Grübel: Landjuden; Richarz. Mainz deportiert wurde. 13 Löwenstein, S. 211. – Klara (Löwenstein) David , die Isidor David aus 14 Breuer, S. 187ff. Gimbsheim geheiratet hatte und deren Söhne dort zur 15 Mahlerwein: Rheinhessen, S. 90ff, S. 102ff, S. 158ff. Welt gekommen waren. Sie überlebte Theresienstadt 16 http://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/texte/geschichte-rheinhessens. nicht. html; http://www.hgis-germany.de/. – Hermine (May) Kahn, die über 30 Jahre in Gimbs- Hoffmann, Klaus Dietrich; Mahlerwein: Rheinhessen, S. 103f. 17 Beispiele für Eich bei Reich: Jüdische Familien, S. 126ff; Stadtarchiv Worms, heim gelebt hatte und nach Theresienstadt deportiert Abt. 230, Nr. 594. wurde. 18 Familie David, dort Isaak David, Gimbsheim, Teil II dieser Dokumentation und – Rosa Mayer, Tochter von Fanny David aus Gimbs- Familie Aron, dort Benedikt Aron, Eich, Teil I dieser Dokumentation. heim, die in Amerika geboren wurde, mit den Eltern 19 Reich: Jüdische Familien, S. 286 und Familie Hirsch, Gimbsheim, dort Jakob Hirsch I (ca. 1777–1851), Teil II dieser Dokumentation. nach Deutschland zurückkehrte, in Gimbsheim Hoch- 20 Mahlerwein: Rheinhessen, S. 165. zeit feierte und in Theresienstadt zu Tode kam. 21 Demel: Gebrochene Normalität, S. 90. 22 https://de.wikipedia.org/wiki/Forty-Eighters. Die Schautafel für Hamm verzeichnet ein Opfer:Frieda 23 Barkai: Aus dem Dorf nach Amerika, nennt eine drei- bis viermal stärkere Heß. Hinzu kommen: Beteiligung. 24 „betreffend die Gleichberechtigung der Konfessionen in bürgerlicher Abb. 4: Ehemaliges Konzentrationslager Osthofen, Stadtarchiv Butzbach. Gesetz und staatsbürgerlicher Beziehung“ vom 3.7.1869, zitiert in Demel: Gebrochene – Lina Heß, die nach dem 10. November 1938 von Normalität, S. 91. ‚völkische‘ Gruppierungen zu bilden.35 Eine antijüdische waren. „Wir haben doch unsere Nachbarn“, hieß es immer Hamm nach Darmstadt ziehen musste, 1942 nach 25 Reich: Jüdische Familien, S. 303. Stimmung, die in Rheinhessen, wie oben beschrieben, wieder, wenn es um die Übergriffe der Nationalsozialisten Theresienstadt und von dort nach Auschwitz depor- 26 http://www.alemannia-judaica.de/gimbsheim_synagoge.htm. bereits im Ausgang des 19. Jahrhunderts spürbar war36, ging und diskutiert wurde, ob man emigrieren solle oder tiert wurde. 27 http://www.alemannia-judaica.de/eich_synagoge.htm. breitete sich weiter aus und es kam zu gewaltsamen nicht. Dabei war die Geschwindigkeit, mit der die totale – Linas Vater Siegfried Heß, der seit Juni 1938 in 28 Dippel: Erster Weltkrieg. Übergriffen, Sachbeschädigungen, Schändungen der Ausgrenzung auch in den drei Altrheingemeinden vonstat - verschiedenen Konzentrationslagern einsaß und in 29 Mahlerwein: Alsheim – Halasemia. Bd. 2., S. 163, 166, 249. Synagogen sowie Anschuldigungen und Unterstellungen tenging, bemerkenswert und machte die über Jahrhunderte Buchenwald zu Tode kam. 30 Graf: Judenfeindlichkeit. gegen den jüdischen Teil der Bevölkerung.37 Die erste hinweg mühsam erkämpfte Emanzipation und Integration 31 Mahlerwein: Alsheim – Halasemia Bd. 2, S. 166f. NSDAP-Ortsgruppe Rheinhessens wurde 1922 in Worms zunichte. Auch für Mettenheim ist ein weiteres Opfer zu nennen: 32 Aly: Warum die Deutschen. 33 Graf: Judenfeindlichkeit. gegründet. Nachdem die NSDAP 1923 reichsweit verbo- 34 Mahlerwein: Alsheim – Halasemi Bd. 2, S. 168. ten worden war, gründete sie sich dort sowie auch in vielen Nach 250 Jahren friedlichen christlich-jüdischen Zusam - – Josefine/Josephina Levis (geb. Mayer, 22.5.1848– 35 Würz: Kampfzeit. Ortschaften Rheinhessens 1925 neu. menlebens war in Eich das jüdische Leben 1936, in Hamm 22.11.1940). Sie lebte in Karlsruhe und wurde von 36 Hoffmann: Emanzipation, S, 25f; Graf: Judenfeindlichkeit. 1938 und in Gimbsheim mit dem Wegzug des letzten jüdi - dort am 22.10.1940 nach Gurs verschleppt, wo sie 37 Herrmann: Assimilation, S. 107. NSDAP-Ortsgruppen gab es später auch in Hamm, Eich schen Bewohners 1939 erloschen. einen Monat später verstarb. Sie war verheiratet mit 38 Leiwig: Es war ja nichts, S. 17f; Mahlerwein: Gebremste ‚Machtergreifung‘. 38 33 und Gimbsheim. Der nationalsozialistische Rassenwahn führte zum Unter - Sigmund Levis (1848–1921). Ihr Sohn, Otto Selig- 39 Gedenkbuch Karlsruher Juden: http://gedenkbuch.informedia.de. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten im Janu- gang der Landjudengemeinden und einer jahrhundertelan - mann Levis (1872–1941) kam in Frankreich ums ar 1933 veränderten sich die Verhältnisse für die jüdischen gen christlich-jüdischen Lebenswelt. Damit wurde auch Leben.39 Einwohner in den drei Altrheingemeinden grundlegend. ein Stück rheinhessischer Kultur und Identität zerstört. Viele, insbesondere die älteren, die lange Zeit hier gelebt, Die am 8. Juli 1816 entstandene ‚Provinz Rheinhessen‘ Freundschaften gepflegt und in das Dorfleben integriert wurde am 1. April 1937 aufgelöst. Sie existierte 1946 bis waren, wollten die tiefgreifenden Veränderungen zunächst 1968 als ‚Regierungsbezirk Rheinhessen‘ sowie in den gar nicht wahrhaben. Es war schwer zu begreifen, dass Jahren 1968 bis 1999 als ‚Regierungsbezirk Rheinhes - sie − einst Nachbarn, Freunde, Vereinskameraden und sen-Pfalz‘ weiter. Seit 2000 besteht Rheinhessen als poli - Geschäftspartner − als Juden nun plötzlich unerwünscht tische Struktur nicht mehr. 28 29