Buchstäblich Wagenbach 50 Jahre: Der Unabhängige Verlag Für Wilde Leser
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WagenbachBuchstäblich Jahre: Der unabhängige Verlag Wagenbach für wilde Leser 50 Jahre Wagenbach Tiere, Signets und Gegenstände, die den Verlag begleitet haben Buchstäblich Wagenbach 50 Jahre: Der unabhängige Verlag für wilde Leser Mit einer Chronik, Textauszügen aus den Büchern, Photos, Gedanken über die Zukunft und einer Liste aller erschienenen Titel Verlag Klaus Wagenbach Berlin Was vor Ihnen liegt Dieses Büchlein erzählt nicht nur (obwohl hauptsächlich) die Geschichte eines Ver- lags, sondern auch die der politischen und literarischen Umstände, unter denen er arbeitete und arbeitet. Wie schön wäre es, beispielsweise, gewesen, wenn der Verlag auch nach 1965 ein Verlag für ost- wie westdeutsche Literatur hätte bleiben dürfen, und wie nütz lich hätte er dann 1989 sein können. Wieviel Glück und Überlebens willen hat den Verlag in den siebziger Jahren davor bewahrt, dass ihm eine aufgehetzte Berliner Staatsanwalt- und Richterschaft den Beruf verbot. Oder wie wirkungsvoll hätten die politischen Bü cher der neunziger Jahre sein können, wenn ihnen nicht schon in den acht ziger Jahren so viele Leser davongelaufen wären (erst 2008 haben wir mit der Wiedererweckung der Politischen Reihe geantwortet). Ganz zu schweigen von den schwankenden Produktions- oder Rezeptionswellen für italie- nische, spanische, französische, ja selbst englische Bücher. Da arbeiten immer zwei Dinge gegen- oder miteinander: der Geist der Zeiten und die bestimmten Absichten eines nicht nur unabhängigen, sondern von dieser Unabhängigkeit auch Gebrauch machenden Verlags. Der Überzeugungstäter im Gezeitenwechsel – ein immer aufregender, nie ganz gelingender Drahtseilakt. Denn auch der Geist der Zeiten ist keineswegs ein Nachtgespenst: Da regier- te, beispielsweise, noch in den sechziger Jahren die ›Aktion Saubere Leinwand‹ und das ›Kuratorium Unteilbares Deutschland‹, da wurden noch in den siebziger Jahren Studenten ins Gas gewünscht und in den achtziger Jahren eine moralische Wende herbeigeredet, die auch in den neunziger Jahren nicht kam, sondern im neuen Jahrtausend in der Fratze von Glaubenskriegen auftauchte, die endlich die willkommene Rechtfertigung lieferten, alles und jeden auszuspähen. Um dieses Für und Wider deutlich zu machen, wurden die 50 Jahre des Ver- lags in neun sinnvolle Zeitabschnitte aufgeteilt, in denen jeweils zunächst die Ver- lagsgeschichte erzählt wird, danach folgen charakteristische Lesestücke aus in diesem Zeitraum veröffentlichten Büchern. Die Verlagsgeschichte der Jahre 1964 bis 2001 wurde von Klaus Wagenbach verfasst, die der Jahre 2002 bis 2013 von Susanne Schüssler. Wie Geschichte geschrieben wird (WAT 326), ist eine Frage der Methode, des Standpunkts, auch des Gewissens (Lucien Febvre), und wie dieses Büchlein zeigt, auch eine Frage des Zeitpunkts: die erste Fassung erschien 1984 mit dem Titel Fin- tentisch, die zweite 1989 hieß Das schwarze Brett, es folgte 1994 Wieso Bücher? und zum 40. Jubiläum des Verlags schließlich kam 2004 Warum so verlegen? heraus. »Alle Kürzungen im Text, Stilbrüche, Geschichtsfälschungen und Irrtümer sind dem Herausgeber [also Klaus Wagenbach] anzulasten«, hieß es 1984. Der kriti- sche Historiker von 2014 könnte außerdem die ein oder andere Gewichtsverlage- rung im Laufe der Jahre entdecken. Aus der Rückschau verliert manch aufgeregte Diskussion an Bedeutung. Susanne Schüssler und Klaus Wagenbach Inhaltsverzeichnis 1964 – 1966 Wie alles anfing 9 Kurt Wolff Vom Büchermachen 17 Ingeborg Bachmann Berlin 18 Johannes Bobrowski Mäusefest 19 Hedwig Rohde Interview mit Klaus Wagenbach 21 Erich Fried 17.–22. Mai 1966 23 1967 – 1969 Überraschendes Verbreiten am notwendigen Ort 25 Erich Fried Höre, Israel 32 Günter Bruno Fuchs Geschichte von der Ansprache 32 Volker von Törne An Attila Jozsef 33 Giorgio Manganelli Verschiedene Arten des Absteigens 34 Aimé Césaire Über den Kolonialismus 35 Ernst Jandl Drei Sprechgedichte 36 Wolf Biermann Drei Kugeln auf Rudi Dutschke 37 1970 – 1973 Der Traum vom Kollektiv 39 Ulrike Marie Meinhof Mädchen im Heim 48 Peter Rühmkorf Aus dem Kindermund gezogen 49 Peter Schneider Beat 49 Kurt Bartsch Sozialistischer Biedermeier 50 RAF Revolution und jugendliche Gesellschaft 51 Klaus Wagenbach Warum entstand die RAF? 52 Volker Ludwig Doof gebor’n ist keiner 54 Walter Schmieding Interview mit KlausWagenbach Die Verbreitung von Büchern und die Legalität 55 1974 – 1978 Zensur von außen und innen 59 Richard Schmid Nicht Mord sagen 68 Rudi Dutschke Zusammenspiel 69 Klaus Wagenbach Grabrede für Ulrike Meinhof 69 Pier Paolo Pasolini Herz 72 Eine Arbeitsbeschreibung 73 1979 – 1987 Verschwinden, Erscheinen – zwei Furien 75 Klaus Wagenbach Über einige Absichten des Verlags 84 Stephan Hermlin Wie ich einen Freund verlor 87 Peter Brückner Über Zivilcourage am unsicheren Ort 88 Erich Fried Was es ist 89 Peter Burke Ein anderes Bild der Renaissance 89 Alexander Kluge Das Politische als Intensität alltäglicher Gefühle 91 Barbara Sichtermann Fetisch Verständlichkeit 92 Carlo Ginzburg Spurensicherung 93 Gianni Celati Vogelfrei 94 Javier Tomeo Ratschlag eines älteren Herrn 95 Lothar Baier Die neue Unschuld 96 Edith Sitwell Ein sportlicher Gentleman 97 1988 – 1995 Vom Geist der Zeiten 99 W. Montgomery Watt Die Araber, das Papier und die Kunst des angenehmen Lebens 105 Luigi Malerba Die Sünde der Wollust 106 Norberto Bobbio Rechts und Links 107 Natalia Ginzburg Mein Vater: Simpeleien 108 Jurek Becker Gedächtnis verloren – Verstand verloren 110 Klaus Wagenbach Meinung und Kontinuität 112 Horst Bredekamp Winckelmann 114 Djuna Barnes Gegen die Natur 115 Michael Krüger Flüchtig 116 Dora Diamant Kafka und die Puppe 117 1996 – 2001 Unabhängig ins Jahrtausend 119 Andrea Camilleri Die Hure von Sciacca 123 Natalie Zemon Davis Elternschaft 124 Gianni Rodari Die falsch erzählte Geschichte 125 Michel Houellebecq Beim Psychiater 126 Totó Die Instruktion 127 André Schiffrin Die Notwendigkeit der Bücher 127 Wolfgang Ullrich Deutsche Kunstbetrachtung 128 Stefano Benni Melinda, du diabolische Wespe 130 Heinz Berggruen Ein Fahrstuhl mit gepolsterten Türen 131 2002 – 2007 Generationswechsel 133 A. L. Kennedy Gespräch unter Liebenden 142 Hans Aschenwald Im Hochwald 143 Ricardo Piglia Die Geschichte von der Cabaret-Tänzerin Coca 144 Sergio Pitol Mordgedanken 145 Ulrich K. Preuß Der Krieg. Ein völkerrechtliches Institut 146 Alan Bennett Die Überraschung 147 Tiziano Scarpa Verliebte in Venedig 148 George Tabori Damenwahl 149 Dieter Richter Der Berg als spectaculum 151 2008 – 2013 Groß und Klein 153 Daniel Alarcón Norma 162 Emmanuelle Pagano Meine Nachbarin 163 Lucía Puenzo Die Puppe 164 Richard Leising Homo sapiens 165 Vittorio Magnago Lampugnani Die Stadt 166 Michela Murgia Maria 168 Politik bei Wagenbach 170 Milena Michiko Flašar Taguchi Hiro 172 Andreas Tönnesmann Die Stadt, das Kapital, das Glück 173 Susanne Schüssler Die Zukunft der Bücher 174 Verzeichnis aller im Verlag erschienenen Bücher 180 Der Tagesspiegel, 6. 4. 1965 1964–1966 Wie alles anfing Verleger fallen nicht vom Himmel, sondern bleiben besser auf der Erde, in meinem Fall war es ein Stück hessische Erde, auf das ich als Vierzehnjähri- ger in den Kriegswirren geraten war und das die amerikanischen Truppen im März 1945 befreiten. Ich empfand sie durchaus als Befreier, schon we- gen des (von den Nazis so genannten) »Niggerjazz«, den sie mitbrachten, aber auch, weil man jetzt alles lesen konnte, was vorher verboten war: Das gab es nun, auf furchtbar schlechtem Papier gedruckt, aber spott- billig, bei Rowohlt (Rowohlts Rotations-Romane) und S. Fischer (S. Fischer Bibliothek). Ein schöner Beruf, so aufregende Inhalte auf diese Weise zu demokratisieren. Dachte ich, und bewarb mich als Lehrling im »Suhrkamp vorm. S. Fischer Verlag«, wurde an genommen, erlebte 1950 meine erste Verlagsspaltung (Suhrkamp / S. Fischer), blieb nach der Lehre und während des Studiums noch einige Jahre Hersteller bei S. Fischer. Nach der Promotion 1957 war ich zwei Jahre Lektor im Modernen Buch-Club und kehrte danach als Lektor für deutsche Literatur zu S. Fischer zurück. Einige Jahre später wurde der S. Fischer Verlag von dem durchaus liberalen Ehepaar Bermann Fischer – die dem jungen linken Mann ziemlich freie Hand ließen (von Christa Reinig, Christoph Meckel oder Johannes Bobrowski bis zu zwei Anthologien zur jüngsten deutschen Literatur, Das Atelier, und zu einer eigenen Buchserie, Fischer Doppelpunkt) – verkauft an den durchaus konservativen Holtzbrinck-Konzern, der den jungen linken Mann ziemlich schnell feuerte, im Frühjahr 1964. So weit, so klar; wer liber- täre Meinungen verbreitet in unserm Land, der muss mit ein paar Kurven in der Biographie rechnen, und die führen mit einer gewissen Logik zu einem Punkt, von dem an man solche Meinungen nur noch auf eigenes Risiko vertreten kann. Viel später sah ich dann deutlicher, dass dieses inhaltliche Interesse oft begleitet war von einem technischen. Wie schön darf ein Buch sein, wie angemessen muss es sein, vor allem aber: Wie macht man es möglichst billig? Die List, die ältere Kollegen in dieser Hinsicht anwandten, hat mich selbst erst zum Leser (und später zum Verleger) gemacht – insbesondere die schon erwähnten Rowohlts Rotations-Romane, 1946, und die S. Fischer Wie alles anfing 9 Das Foto finden Sie in der gedruckten Ausgabe. Der Anfang: Klaus Wagenbach und Hans Werner Richter • Johannes Bobrowski, Walter Höllerer, Katharina Wagenbach • Ingeborg Bachmann, 1965 Bibliothek, 1948, ebenfalls im Rotationsdruck her gestellt, aber großforma- tig und gebunden, sowie natürlich der Geniestreich des jungen Kurt Wolff, die Broschürenreihe Der