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Felix Lempp der weisse hai revisited

Martha’s Vineyard Revisited Die Making-ofs und ihre Erzählstrategien Von Felix Lempp

Brody, Quint – und ›Bruce‹! gewöhnlichen Wirkungsgeschichte nicht Making-of als Prozessoffenlegung? auch eine ebenso besondere Produktions- geschichte haben muss. n its fourteenth day of release Im Falle von scheint eine solche »Ofollowing its opening on June 20, ja gegeben: Die Legenden, die sich beson- 1975, jaws turned a profit. Sixty-four days ders um die strapaziösen Dreharbeiten auf later, on September 5, it surpassed Francis Martha’s Vineyard ranken, halten sich in Ford Coppola’s the g odfat h er to become Zeiten von Internetforen und Blogs derart the most successful film in the motion pic- zahlreich und hartnäckig, dass sich an der ture history to that date«1 – knapper lässt Produktion Beteiligte in Interviews vorwie- sich der beginnende Erfolg von Hollywoods gend mit Fragen nach dem Wahrheitsgehalt erstem großen Blockbuster jaws kaum solcher Anekdoten konfrontiert sehen.4 Die ausdrücken. Dennoch gibt diese nüchter- Tatsache, dass der kundige Fan nicht nur die ne, am Erfolg an der Kinokasse orientier- Namen Brody, Hooper und Quint im Schlaf te Beschreibung nicht im Ansatz wieder, zuordnen kann, sondern den eigentlichen was für eine Welle der Begeisterung Steven Hauptdarsteller des Films, den mechani- Spielbergs zweiter Kinofilm nach the su- schen Hai, gemeinsam mit den am Dreh garland express (1974) auslöste. Der un- Beteiligten ganz selbstverständlich ›Bruce‹ mittelbare Erfolg des Films kam zwar ver- nennt,5 macht deutlich, dass er nicht nur mutlich nicht so unerwartet, wie viele der über die diegetischen Filminhalte, sondern Beteiligten in der Folge behaupteten,2 die auch die Produktionsbedingungen von jaws ungebrochene kulturelle Wirkungsmacht sehr genau Bescheid weiß. des ›Phänomens jaws‹ bis in unsere Tage Diese Wissbegier wird von einer inzwi- fordert aber Erklärungsversuche heraus. schen kaum mehr überschaubaren Flut von Während wissenschaftliche Analysen v.a. offiziellen, halboffiziellen und inoffiziel- den zeitlosen Charakter der im Film ver- len Making-of-Formaten bedient, die sich handelten Konflikte und Motivkomplexe nicht nur im Umfang und durch den bei herausstellen,3 richtet sich das Interesse ihrer Produktion betriebenen Aufwand, der Filmfans in immer größerem Maße sondern auch in ihrer Medialität deutlich auf den Prozess der Filmentstehung. Ge- unterscheiden. Unter den vielen filmischen rade durch den Blick auf das Phänomen ex Making-ofs, die im Rahmen von Fernseh- post stellt sich vielen Zuschauern wohl die produktionen und als DVD-Beigaben pro- Frage, ob ein Film mit einer derart außer- duziert wurden, erscheint besonders the

24 I. Die Filmmaschinerie Martha’s Vineyard Revisited shark is still wor k i ng: the i m pac t and legacy of jaws (2007; R: Erik Hollander) er- wähnenswert. Dieser aufwändig produzier- te Rückblick bleibt nicht bei einer Nacher- zählung der Dreharbeiten stehen, sondern geht auch der Frage nach dem Einfluss des Films auf das heutige Kino nach. Neben ei- ner Vielzahl filmischer Herstellungsberich- te existieren auch schriftliche Making-ofs, etwa Interviews mit Beteiligten (wie den Kameramännern oder der Cutterin)6, oder Produktionserzählungen in Buchform, von denen das jaws Log (1975) des Drehbuchau- tors Carl Gottlieb sicherlich das bekann- teste ist. Mit Edith Blakes fast gleichzeitig erschienenem The Making of the Movie jaws (1975) und Matt Taylors Erinnerungsband jaws: Memories from Martha’s Vineyard (2011) liegen aber auch Perspektiven einheimi- scher Inselbewohner auf die Produktion von jaws vor. So erfährt der Leser dieser Bücher z.T. in stark anekdotischem Stil, wie oft Chief Brody von Mrs. Kintner (Lee Fierro) geohrfeigt werden musste, bis der Regisseur zufrieden war (17 Mal), dass für die Szene mit dem Tigerhai eigens ein Ex- emplar in Florida gefangen werden muss- ›Special Editions‹ mit zusätzlichem Mate- te, oder dass der Zwist zwischen Filmcrew rial veröffentlicht werden, zu dem gerade und Einheimischen derart eskalierte, dass bei größeren Filmproduktionen standard- über Nacht in g odfat h er-Manier ein toter mäßig ein oftmals aufwändig produziertes Fisch vor der Tür des Produktionsbüros und längeres Making-of gehört. Gleichzei- deponiert wurde.7 tig ist aber auch zu bemerken, dass inzwi- Gemeinsam ist all diesen verschiede- schen um einiges kostengünstiger produ- nen Formaten, dass sie die Offenlegung zierte Making-of-Formate eine bedeutende des Produktionsprozesses des Films und Rolle bei der Bewerbung eines Blockbus- damit einen ›Blick hinter die Kulissen‹ ters spielen: »In the guise of presenting der Traumfabrik Hollywood versprechen. a production narrative, such texts in fact Grundsätzlich existiert für Formen des serve as extended trailers«.9 So vielfältig, klassischen Making-ofs8 nach Craig Hight wie Umfang und Produktionsaufwand bei bei der DVD-Verwertung von Blockbustern verschiedenen Making-of-Formaten er- eine zweigleisige Veröffentlichungsstrate- scheinen, ist auch ihre Zielsetzung: Wäh- gie, in der dem nur am Film interessierten rend die aufwändiger produzierten Do- Zuschauer der Standardfilm angeboten kumentarfilmformate oftmals zu einer wird, während nahezu gleichzeitig teurere durchaus kritischen Beurteilung gerade

25 Felix Lempp der weisse hai revisited schwieriger Entstehungsgeschichten von Making-of am Beginn der Untersuchung, Filmen finden,10 wird bei günstigeren und das beinahe gleichzeitig mit dem Film ver- schneller produzierten Making-ofs meist öffentlicht wurde. Verglichen werden die nur das »marketing potential of the me- von Gottlieb vor vierzig Jahren angewandten dium«11 genutzt. narrativen Strategien mit der Dramatur- Ob kritische Prozessanalyse oder wei- gie zweier filmischer Making-ofs, die spä- testgehend unreflektierte Anpreisung ter vorgelegt wurden, als jaws längst zum des neuen Blockbusters – der Blick auf die kulturellen Phänomen geworden war: the Making-of-Praxis im Filmgeschäft stellt making of ’s jaws (1995; die vom Format versprochene objektive R: Laurent Bouzereau) entstand anlässlich Aufdeckung von Produktionsprozessen des 20. Filmjubiläums, während the shark in Frage. In einer Zeit, in der das Marke- is still wor k i ng: the i m pac t and legacy tingbudget von Hollywoodblockbustern of jaws das Phänomen ein weiteres Jahr- größer ist als das Gesamtbudget von jaws zehnt später untersucht. und täglich nicht nur das klassische filmi- sche, sondern auch das Making-of eines Die Filmproduktion als Abenteuer Popstars (z.B. deutschland sucht den su- einer eingeschworenen Gemeinschaft: perstar, 2002ff.) oder der nächsten voice jaws of germany (2011ff.) über die Bildschirme Carl Gottliebs The Log (1975) flimmert, wird deutlich, dass Making-of- jaws stellt nicht nur wegen seines spekta- Formate die scheinbar beschriebenen Pro- kulären Erfolgs einen besonders lohnenden duktionsprozesse erst selbst ästhetisieren Gegenstand für Erzählungen über die Film- und damit inszenieren: Die Untersuchung produktion dar, sondern auch, weil es sich dieses für unsere Gegenwartskultur an- dabei um den Durchbruch Steven Spielbergs scheinend so typischen Formats ist damit handelt: Der Regisseur war zum Zeitpunkt zu einer Aufgabe der Kulturwissenschaf- des Beginns der Dreharbeiten noch keine ten geworden.12 Marke, der Erfolg von jaws also keines- Dieser Aufsatz wird dementsprechend falls gewiss. Dennoch ist es aber, typisch nicht die schon so oft beschriebene Pro- für die Gattung des Making-ofs, integra- duktionsgeschichte von jaws neu erzählen, ler Bestandteil der meisten Produktions- sondern durch die Analyse verschiedener beschreibungen, dass alle Beteiligten auf bestehender Making-of-Formate aufzeigen, Martha’s Vineyard gespürt haben wollen, dass jede Beschreibung eines Produktions- an etwas Besonderem mitzuwirken. So be- prozesses gleichzeitig seine Inszenierung tont der Autor der Romanvorlage, Peter mittels narrativer Strategien bedeutet. Ein Benchley, in seinem Vorwort zur Neuaus- Making-of der Dreharbeiten ist zunächst der gabe von Gottliebs jaws Log anlässlich des Versuch der Organisation eigener und/oder 25. Jubiläums: »All of us […] knew that we fremder Erinnerungen und inzwischen le- were witnessing something memorable, gendärer Memorabilien. Jede Rückkehr auf exciting, probably unprecedented, and, at Martha’s Vineyard erzählt also ihre eigene times, altogether weird« (S. 9). Geschichte der Entstehung des Vaters des In wenigen Worten wird hier schon das Blockbusterkinos. Drei dieser Geschichten dramaturgische Schema aufgerufen, das werden im Folgenden untersucht: Mit Carl Gottlieb auf den folgenden Seiten bedienen Gottliebs jaws Log steht ein verschriftlichtes wird: Er schildert die Entstehung von jaws

26 I. Die Filmmaschinerie Martha’s Vineyard Revisited als aufregende, teilweise höchst problema- einem letzten Abschnitt abgehandelt wer- tische und gerade deshalb denkwürdige fil- den. Schon dieser skizzenhafte Überblick mische Pionierarbeit. An seinem Vorwort macht deutlich, dass sich der Hauptteil des aus dem Jahr 2000, das die Jubiläumsaus- Buchs (S. 71-174) mit der Zeit der Dreharbei- gabe als zweiter Paratext begleitet, sind im ten, d.h. den fünf Monaten zwischen Mai Rahmen dieser Arbeit speziell seine Refle- und September 1974 beschäftigt. Dabei ist xionen über die Probleme der Verschriftli- auffällig, dass Gottlieb in seiner Produk- chung von Erinnerungen – also beim Ver- tionserzählung die Dramaturgie seiner fassen einer Making-of-Narration – inter- Vorlage nachvollzieht: Während er über essant. Diese bestehen für ihn v.a. in einem die Dreharbeiten an Land relativ wenig be- kaum zur Synthese zu bringenden Gegen- richtet, liegt der Schwerpunkt seiner Dar- satz von objektiver Realität und subjektiver stellung auf dem Dreh des chronologisch Erinnerung (S. 13); folglich stellt er seiner letzten Filmteils auf dem offenen Meer. Der Prozessbeschreibung das bemerkenswerte Kampf Brodys, Quints und Hoopers gegen Eingeständnis voraus, dass sie die Beschrei- den Weißen Hai spiegelt sich im Ringen ei- bung der Dreharbeiten aus seiner subjekti- nes Filmteams mit der Natur. Ähnlich wie ven Perspektive darstelle, indem er seine Spielbergs Film stellt The jaws Log damit die Vorbemerkungen mit den Worten schließt: Erzählung eines heroischen Kampfs dar, »This was how I saw it.« (S. 14) Besondere der sich dramaturgisch über die Etablie- Beachtung verdient hier die Verwendung rung und Überwindung einer Vielzahl von des Präteritums. Gottlieb weist darauf hin, Problemen entfaltet, denen Filmcrew und dass im Folgenden der bis auf einige stilis- Darsteller gegenüberstehen. tische Korrekturen unveränderte und nur Die ersten Probleme, mit denen sich um Endnoten ergänzte Text der Ausgabe das Filmteam von Anfang an konfrontiert von 1975 abgedruckt sei. In ihm wurde die sieht, sind die der streckenweise als feind- Perspektive des jüngeren Drehbuchautors lich, immer jedoch als sehr fremd geschil- konserviert; eine Perspektive, die noch nicht derten Drehumgebung. Die Einwohner der von der Erfolgsgeschichte des Films beein- kleinen Insel, die »stubborn Yankees on the flusst war und die nicht zwingend mit dem Vineyard« (S. 76), leben in der Darstellung Blick Gottliebs im Jahr 2000 übereinstim- Gottliebs in einer von Fremden kaum zu men muss. This was how I saw it: Durch die- durchschauenden »baroque superstruc- se Bemerkung beglaubigt Gottlieb mit der ture« (S. 75) von über Generationen ge- Autorität des Drehbuchautors das Folgende wachsenen Freund- und Feindschaften, ebenso, wie er es als subjektive Erzählung in welche die Filmemacher während der seines jüngeren Ichs historisiert – und da- Dreharbeiten einbezogen werden. Zwar er- mit auch im Ansatz relativiert. lauben die verschiedenen Gemeinden der Betrachtet man den Auf bau des eigentli- Insel nach langen bürokratischen Ausei- chen Logs, fällt auf, dass er die Chronologie nandersetzungen schließlich den Dreh, der Filmentstehung nachvollzieht: Auf den »[b]ut dissatisfaction, legal unpleasant- Erwerb der Filmrechte und die Adaption ness, and plain old sabotage and dirty folgen Budgetierung und Casting; die Dreh- tricks were never far away« (S. 76). Als pa- arbeiten auf Martha’s Vineyard nehmen radigmatisches Beispiel für die Probleme neun Kapitel ein, während Postprodukti- mit den Einheimischen schildert Gottlieb on und die ersten Probevorführungen in einen Streik der Fährdienstleister, jugend-

27 Felix Lempp der weisse hai revisited licher Einheimischer, die Schauspieler und mit Bannern und Umarmungen empfan- Crew zu den Drehorten auf dem Meer und gen: »Thank God we’re back in Hollywood, zurück fahren. Der Grund für den Streik where people treat each other right!« ist nach Gottlieb deutlich die Gier der Ein- Ein in Gottliebs Erzählung immer wie- heimischen, da er die gezahlten Löhne als derkehrendes Bild für diesen Zusammen- großzügig darstellt. Zwar bricht der Streik halt ist das beinahe tägliche gemeinsame durch die Unnachgiebigkeit der Produkti- Abendessen in Spielbergs Wohnhaus. (S. onsleitung bald zusammen, doch das Ver- 78f.) Wird Druck im Buch thematisiert, trauen zwischen Filmteam und großen Tei- handelt es sich dabei über große Teile der len der Bevölkerung ist damit endgültig Narration hinweg um die Selbstansprüche zerstört: »After a few random threats of des Teams oder seine Probleme auf der In- physical violence, the boat jockeys came sel (S. 81), von einem von außen aus der back to work, but things were never the Welt Hollywoods und der Produktionslei- same.« (S. 163) Was das Filmteam in der tung an Spielberg herangetragenen Druck Narration Gottliebs der Gerissenheit der ist kaum die Rede.13 Erst gegen Ende der Einwohner entgegensetzt, ist ein einge- Dreharbeiten beschreibt auch Gottlieb ei- schworenes Gemeinschaftsgefühl, ein nen im Filmteam umgehenden ›Inselkoller‹ durch den Gestus der Selbstbeweihräu- (S. 170-173), doch charakteristisch ist, dass cherung von Making-ofs popularisierter dieser von Crew und Schauspielern sofort und inzwischen gern parodierter Holly- in den Dienst der Produktion gestellt wird, wood-Topos: In der simpsons-Folge radio- indem die verzweifelten Angriffe auf den active man (1995; R: Susie Dietter), in der Hai nur umso authentischer in Szene gesetzt ein Hollywood-Studio Springfield zum Dre- werden. (S. 153f.) Der Lohn für den Zusam- hort eines Comic-Blockbusters kürt und menhalt und die Treue, die das Filmteam dort nach allen Regeln der Kunst abgezockt gegen die Probleme mit der Drehumgebung wird (»There’s a thousand dollar leaving- bestehen lässt, ist nach Gottlieb auch dem- town tax!«), ziehen die desillusionierten entsprechend groß. Noch 2000 formuliert Filmemacher schließlich geschlagen von er: »Almost everyone connected with jaws dannen und werden in Hollywood (hier in any capacity went on to have a long and gnadenlos überzeichnet als kommerzfreie, successful career, regardless of his or her regenbogenfarbene Zone der Herzlichkeit) previous experience.« (S. 217) Das zweite Hindernis neben den Proble- men mit der Drehumgebung, welches das Filmteam nach Gottlieb v.a. beim Dreh auf hoher See zu überwinden hat, ist das der Technik. Schon früh macht der Autor die technische Einzigartigkeit des Unterfangens deutlich: »In many ways, launching jaws was a film production problem analogous to NASA trying to land men on the moon and bring them back. It just had never been done.« (S. 43) Ihr Gesicht und ihre Anthro- pomorphisierung erfahren die abstrakten technischen Probleme v.a. in der Gestalt von

28 I. Die Filmmaschinerie Martha’s Vineyard Revisited

›Bruce‹, dem mechanischen Hai. Schon früh ausgehen. Diese scheinen bereits angesichts sind die Schwierigkeiten angedeutet, wenn der Probleme mit dem technischen Hai auf: erste Überlegungen bezüglich der Zähmung »Even Bob Mattey, who would never admit und Abrichtung echter Haie für den Film als that anything was really wrong […] said, illusorisch lächerlich gemacht werden. (S. later, that they had underestimated the 34) Zwar wird schließlich mit Bob Mattey power of the sea.« (S. 155) Auffallend ist, ein ehemaliger Special-Ef- fects-Spezialist der Disney- Studios für die Konstruk- tion dreier mechanischer Haie gewonnen, als diese aber bei den Dreharbeiten zum Einsatz kommen sol- len, wird schnell deutlich, dass die Konstruktions- und Testzeit viel zu kurz war und der Hai nicht funk- tioniert.14 Dennoch stellt Gottlieb klar, dass der Er- findungsgeist und die Hart- näckigkeit der Filmcrew die Probleme mit dem mecha- nischen Hai schließlich lö- sen können. Für die Dreharbeiten ab Ende dass diese ›Macht des Meeres‹ zwar später August 1974 notiert er: »The shark was von Gottlieb an konkreten Problemfällen behaving; the special effects department exemplifiziert wird, sich aber in seinen had perfected their control procedures, so humorvoll-ironischen Beschreibungen nun it would do the same thing as often as re- auch immer häufiger abstrakte Personifi- quired, and with less setup time« (S. 169). zierungen für die unberechenbare Natur Festzuhalten bleibt hinsichtlich der im me- finden lassen, wenn bspw. das Wohlwol- chanischen Hai verkörperten technischen len der »gods of the sea« (S. 146) als für Probleme nicht nur, dass diese durch das das Unternehmen entscheidend herausge- Zusammenarbeiten der Filmcrew gelöst stellt wird. Neben derartigen literarischen werden können, sondern dass hier Gottliebs Überhöhungen bemüht sich Gottlieb aber, Narration abermals eine dramaturgische die Arbeitsabläufe, die die unberechenbare Übereinstimmung mit ihrem Ursprungs- See dem Produktionsteam diktiert, konkret film aufweist, entpuppt sich doch hier wie und genau darzustellen: So müssen an je- dort der Hai als Antagonist. dem Drehtag Wetterberichte ausgewertet, Besonders nach dem Beginn der Drehar- die Schauspieler und die Crew mit Booten beiten auf dem Meer wird neben den Pro- an den Einsatzort befördert und der me- blemen mit den Bewohnern der Insel und chanische Hai transportiert und platziert der Technik ein dritter Problemkomplex in werden, bevor an den eigentlichen Dreh der Erzählung dominant: die Gefahren, die überhaupt zu denken ist. (S. 148f.) Zu den von der Natur für die Produktion von jaws hier erforderlichen technischen und inf-

29 Felix Lempp der weisse hai revisited rastrukturellen Fähigkeiten kommt hin- Spielberg. Schon im Vorwort Gottliebs wird zu, dass das Meer zuverlässig Messgeräte Spielberg in den Mittelpunkt des Logs ge- zerstört und so die komplizierte Mechanik rückt, indem besonders seine Fähigkeit zur der künstlichen Haie nach Bauchgefühl Antizipation der Wünsche des Publikums bedient werden muss. Durch die Jagd der und bei der technischen Umsetzung des Crew auf kleine Haie in den Drehpausen Films im Fokus steht. (S. 11) Der Haupttext wird auch der mechanische Hai motivisch stellt den Regisseur als Künstler vor, der in den Kampf des Menschen gegen die ihm den Prozess der Filmproduktion von den feindliche Natur eingebunden und damit Anfängen der Planung bis in die letzte Phase abermals die Narration des Making-ofs mit der Postproduktion betreut und damit als der Dramaturgie des Films enggeführt: »It Auteur für den Film als Gesamtkunstwerk was the crew’s revenge on an entire species« einsteht. Seine Jugend hindert ihn nicht an (S. 152). Wieder ist es also die Gemeinschaft, einem selbstbewussten Auftreten gegenüber die durch ihren Zusammenhalt und ihre Crew und Darstellern, was sich z.B. darin technische Professionalität, gepaart mit äußert, dass nicht einmal die Produzen- den richtigen Instinkten, aus dem Kampf ten die dailies zu sehen bekommen, wenn mit dem Meer siegreich hervorgeht. Gott- er sie nicht freigibt. (S. 157f.) Während der lieb findet dafür ein heroisches und trotz Dreharbeiten erscheint er als Teil der Ge- des ironischen Untertons für seine narra- meinschaft des Filmteams auf der Insel, tive Strategie typisches Bild: gleichzeitig wird er aber in manchen Ab- schnitten dieser Gemeinschaft entrückt. »All over, the picture shows signs of going So inszeniert Gottlieb Spielberg bspw. am down like the Titanic, but calm hands are at Ende eines Drehtags auf hoher See gera- the helm, and cool heads are on the bridge. dezu als einsames Genie: »Steven, sitting Steven is the Boy who Stood on the Burning morose and alone on the bowspit […], looks Deck; Dick and David [die Produzenten Ri- up in time to see the sun setting, losing the chard Zanuck und David Brown, Anm. FL] light, ending shooting for that day.« (S. 153) are like Nelson at Trafalgar, calm, resolute, Dennoch wird er von der Crew stets geach- never showing any outward signs of angu- tet, der Plan, Spielberg nach dem Dreh der ish or despair. The picture is clearly going letzten Einstellung ins Wasser zu werfen, to cost millions more than budgeted; how ist bei Gottlieb als harmloser Spaß und much is anyone’s guess. But the strength Ausdruck der Freude über das Ende der of jaws is greater than the Titanic’s – we are Dreharbeiten beschrieben (S. 172) – andere unsinkable.« (S. 156f.) Making-of-Narrationen werten diese Sze- ne, wie zu zeigen sein wird, etwas anders. Charakteristisch ist hier, dass die Rettung Schließlich und endlich hat aber nicht nur der Produktion zwar indirekt auch in die- der Film Spielberg, sondern auch der Regis- sem Bild durch die Gemeinschaft aller an seur dem Film viel zu verdanken: In Gottliebs der Produktion Beteiligten, der Schiffsbe- Inszenierung erscheinen die Dreharbeiten satzung des Bildes, garantiert wird, gleich- auch als ›Mannwerdung‹ eines jungen Re- zeitig aber die Anführer der Gemeinschaft gisseurs, als Weg zu seiner unbestrittenen deutlich benannt und hervorgehoben wer- Meisterschaft: »[H]e was twenty-six when den. Einer der Helden – dieses Sprachbil- the picture started shooting and about 101 des wie der ganzen Narration – ist Steven when it ended« (S. 36).

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Carl Gottlieb erzählt in seinem jaws Log die tatsächlich erkennbar auch die Erklärung Geschichte der Dreharbeiten als das Aben- verschiedener technischer Aspekte der Film- teuer einer eingeschworenen Gemeinschaft produktion für ein Laienpublikum zum Ziel von Filmemachern, die durch ihren Zusam- hat – eine Formel, die beim Publikum derart menhalt viele von der Umwelt, der Technik viel Anklang fand, dass das Buch nicht nur und der Natur an sie herangetragene Prob- wochenlang auf den Bestsellerlisten stand, leme siegreich überwinden, wodurch sich sondern sogar sein eigenes Sequel erhielt,15 die Dramaturgie der Making-of-Erzählung das (wie die meisten Fortsetzungen) die Er- der des Films entscheidend annähert. Ver- folgsformel des Vorgängers zu reproduzie- antwortlich für den nach den Probeauffüh- ren suchte: eine schwierige Entstehungsge- rungen zu erwartenden Erfolg sind damit schichte, technische Pannen, die Crew im alle Beteiligten – besonders aber der junge Clinch mit den Insulanern. Regisseur Steven Spielberg, der durch das Meistern aller Produktionsprobleme auch Die Filmproduktion als kreatives zur Meisterschaft als Regisseur gelangt. Problemlösen: the making of Insgesamt ist bei Gottliebs Erzählung auf- fällig, dass sie zwar den Prozess gemäß ei- steven spielberg’s jaws (1995) ner strengen, am Film orientierten Span- Das erste der im Folgenden zu betrachten- nungsdramaturgie entwickelt, sich dabei den filmischen Making-ofs stammt aus dem aber nicht nur in Anekdoten verliert, son- Jahr 1995. Es ist recht deutlich, dass the dern durch genaue Erläuterung filmtech- making of steven spielberg’s jaws speziell nischer Methoden und Verfahrensweisen für das 20. Jubiläum des Films als Zusatz-

31 Felix Lempp der weisse hai revisited material für Laserdisc-Editionen produziert Außer der Chronologie und dem behan- wurde. Es setzt vorwiegend auf Interviews delten Zeitabschnitt teilt das filmische Ma- mit Hauptdarstellern, Crew und Produkti- king-of noch eine weitere Gemeinsamkeit onsteam, zudem werden Ausschnitte aus mit Gottliebs Log: Typisch für die meisten dem Originalfilm, production stills und bis Making-of-Formate stellt es den Prozess dahin unveröffentlichtes Filmmaterial ge- der Filmentstehung als eine Abfolge von Problemen, für die kreati- ve Lösungen gefunden wer- den müssen, dar. Als fast schon überhöhtes Haupt- problem der Dreharbeiten wird in Laurent Bouze- reaus Making-of der me- chanische Hai inszeniert. Die Beschreibung der Kon- zeption und Konstruktion des Raubfischs sowie seines spektakulären Versagens unter realen Bedingungen nimmt einen Großteil der Darstellung der Drehar- beiten ein. Auch hier wird betont, dass sich die Pro- bleme mit ›Bruce‹ schon früh andeuteten. So erin- zeigt. Die Dramaturgie des Making-ofs ori- nert sich Roy Scheider, dass er noch vor entiert sich, ähnlich wie die Kapitelabfolge seiner Zusage für die Rolle Brodys ein Ge- in Gottliebs jaws Log, eng an der Produkti- spräch mithörte, in dem von einem Schiffe onschronologie von jaws. Im Unterschied zu zerstörenden mechanischen Hai die Rede Gottliebs Produktionsnarration stehen die war, und er daraufhin den Geisteszustand Dreharbeiten auf Martha’s Vineyard aber der Crew bezweifelte: »I thought they were nicht im unmittelbaren Zentrum der Dar- loony!« Die Konstruktion des Hais erzählt stellung, während Erläuterungen zur Pha- das Making-of in Interviews sehr breit und se der Postproduktion, etwa zur Vertonung begleitet diese Narration durch das Einspie- des Films durch John Williams, wesentlich len von Filmmaterial von den Werkstätten mehr Platz einnehmen. Interessant ist da- und Skizzen der Verantwortlichen, meist bei, dass das Making-of zwar aus der Distanz unterlegt mit einer fröhlichen Musik, die zweier Jahrzehnte von der Filmprodukti- den Optimismus der Crew zum Ausdruck on erzählt, dennoch aber chronologisch bringt. Dieser wird jedoch nur zu bald ent- nicht viel weiter als bis zum Zeitpunkt der täuscht, als der kaum getestete Hai bei der Testvorführungen voranschreitet: Diese ersten Probe im Ozean zum Entsetzen der Beschränkung weist den unmittelbaren Verantwortlichen einfach untergeht, was Prozess der Filmproduktion als zentrales laut Produzent David Brown den ganzen Thema der Making-of-Narration aus. Film in Gefahr bringt: »And we felt that

32 I. Die Filmmaschinerie Martha’s Vineyard Revisited our careers in motion pictures had gone sie von der Rückkehr in die Normalität ab- with it.« halten musste: »I always saw myself in the Doch zeigt sich bei Bouzereau bereits negative.« Der einsame Regisseur Spielberg, eine Tendenz zur Umdeutung der Proble- dem der zunehmend größer werdende psy- me mit dem Hai, die sich bei Gottlieb noch chische Druck, der auf seiner Crew lastet, kaum finden lässt. In der Erzählung des Probleme bereitet – ein solches Bild findet Making-ofs führen die Probleme mit der sich in Gottliebs Erzählung von der ver- Technik dazu, dass den Verantwortlichen schworenen Gemeinschaft der Filmschaf- aus Not genau die Ideen kommen, die im fenden selten. Der von Gottlieb als harm- Rückblick die Besonderheit von jaws ausma- loser Ausdruck der Freude gedeutete Plan chen, bspw. der Einsatz der gelben Fässer, der Crew, Spielberg am letzten Drehtag ins die durch ihr Auftauchen die Anwesenheit Meer zu werfen, wird vom Regisseur im fil- des unsichtbar bleibenden Hais andeuten. mischen Making-of zwar auch humorvoll Steven Spielberg selbst gibt deshalb zu: »I vorgetragen, jedoch werden größere Pro- really owe the shark a lot.« Gleichzeitig be- bleme angedeutet, wenn er zwanzig Jah- tont er aber, dass nicht in allen berühmten re später im Rückblick feststellt: »I didn’t Szenen die technischen Probleme mit dem know whether they were going to throw me mechanischen Hai der Grund für dessen overboard in cement slippers or throw me Abwesenheit sind. So sei die Eröffnungs- overboard via the poop deck.« Auch der von szene, in der eine junge Schwimmerin von Gottlieb fast vollständig ausgeblendete von dem für das Publikum unsichtbaren Hai außen an die Produktion herangetragene erst an der Wasseroberfläche hin und her Druck wird bei Bouzereau thematisiert. So gestoßen und schließlich in die Tiefe gezo- erinnert sich David Brown: »The decision gen wird, von Anfang an so geplant gewe- to continue filmingjaws was a very shaky sen: »I wanted the violent jerking motions one«, und auch andere Quellen belegen, dass to just start to trigger our imaginations.« das Vertrauen, das das Studio in Spielberg Die technischen Probleme, so lassen sich setzte, wohl nicht so grenzenlos war, wie Spielbergs Aussagen im Making-of zusam- von Gottlieb dargestellt.16 menfassen, haben somit zwar zur Praxis Insgesamt wird auch in Bouzereaus Pro- des ›Filmens ohne Hai‹ beigetragen, die vi- duktionserzählung Spielberg als großer Re- suelle Abwesenheit des Hais ist aber kei- gisseur inszeniert,17 dennoch weicht diese neswegs ein allein aus der Not geborener Inszenierung von der durch Gottlieb ab: Im Kompromiss, sondern auch künstlerische filmischen Making-of wird seine Position Entscheidung des Regisseurs. nicht so umfassend mit dem Film identifi- Während die Probleme mit dem Hai aus ziert, wie dies noch im Log der Fall ist. Zwar Gottliebs Buch bekannt sind, finden sich in erwähnt auch Gottlieb, dass Spielberg nicht Bouzereaus Film auch Problemfelder, die im die erste Wahl als Regisseur des Films war Log kaum auftauchen. So schildert nicht nur (S. 30), die in Bouzereaus Making-of – inte- Spielberg im Rückblick den Druck, der auf ressanterweise nicht von Spielberg selbst, den am Dreh Beteiligten lastete, als durchaus sondern vom Produzenten Richard Zanuck groß: Je länger die Dreharbeiten dauerten, – thematisierte Episode der Vorproduktion, desto mehr hätten die Crewmitglieder ihre in der Spielberg aus dem Projekt aussteigen Familien und ihr Leben zu Hause vermisst. wollte und erst von den Produzenten zum Er selbst habe sich schlecht gefühlt, weil er Weitermachen überredet werden musste,18

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findet sich bei Gottlieb aber nicht. Vielleicht sowie das Einspielen von technischen Mo- wusste er 1975 noch nichts von diesem Er- dellen und Skizzen den handwerklichen Teil eignis – vielleicht hätte es aber auch seiner der Dreharbeiten genauso zu würdigen, wie Inszenierung Spielbergs als Auteur-Regis- sie durch die Interviews mit Drehbuchau- seur widersprochen, der von Beginn bis zum tor und Produzenten einen Einblick in das Ende für sein Werk einsteht, ja, beinahe mit Studiosystem vermittelt. diesem verschmilzt. Insgesamt wird deut- Wie erwähnt endet das Making-of mit lich, dass Spielberg zum Entstehungszeit- den beiden Testvorführungen von jaws. punkt des filmischen Making-ofs, anders Zwar wird auf den kommenden Erfolg des als bei Erscheinen des jaws Log, bereits eine Films noch kurz angespielt, die weitere Ent- lebende Legende ist; das Making-of liefert wicklung von Film und Franchise ist aber nicht nur einen Einblick in die Dreharbei- nicht mehr Thema dieses Making-ofs. So ten, sondern inszeniert auch die Entwick- ist es nur ein Ausblick, wenn der ebenfalls lung eines der berühmtesten Regisseure interviewte Carl Gottlieb abschließend fest- unserer Zeit mit. hält: »When a movie has the success that Insgesamt lässt sich festhalten, dass the jaws had, it becomes more than an enter- making of steven spielberg’s jaws keinen tainment. It becomes part of the popular derart durchkomponierten dramaturgi- culture.« Diese Rolle des Phänomens jaws schen Handlungsbogen verfolgt wie Gott- für die Populärkultur sollte zehn Jahre liebs Erzählung von einer Natur, Technik später ein weiteres filmisches Making-of und fremden Einwohnern trotzenden, ver- untersuchen. schworenen Gemeinschaft. Dennoch ent- wickelt auch das filmische Making-of sei- Von der Beschreibung der Film- ne Erzählung meist durch die Vorstellung produktion zur Beschreibung des von Problemen und den Strategien ihrer kulturellen Phänomens: Überwindung. Dabei fällt auf, dass durch- the shark is still working (2007) aus ein Fokus auf dem technischen Aspekt der Filmproduktion liegt und sich die Nar- Schon ein flüchtiger Blick auf die Kapitel- ration bemüht, durch die Befragung von struktur von the shark is still wor k i ng Experten wie dem leitenden Kameramann macht deutlich, dass dieser anlässlich des

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30. Filmjubiläums aufwändig produzierte Making-of als Interviewpartner betei- Film gänzlich andere Zielsetzungen ver- ligt, treibt diese Verklärung auf die Spitze, folgt als Bouzereaus Making-of. Das Ziel wenn er feststellt: »I like to think of it as wird von den Produzenten als Texttafel vo- a big independent movie masquerading as rangestellt: »to chronicle and acknowledge a big studio movie« – eine Interpretation, the lasting impact of this groundbreaking die angesichts des spektakulären Erfolgs movie«. Lediglich vier der zehn Kapitel der Romanvorlage zu Zeiten der Dreharbei- befassen sich folglich mit den Dreharbei- ten und des damit einhergehenden großen ten im engeren Sinne,19 während sich die Interesses des Studios an der Produktion übrigen sechs Abschnitte vorwiegend mit höchst zweifelhaft erscheint. der Wirkungsgeschichte des Films nach Hinsichtlich der vom Making-of ange- 1975 beschäftigen.20 kündigten großen Herausforderungen, vor Schon der Beginn des Kapitels ›Martha’s die die Produktion gestellt war, fällt auf, Vineyard, 1974‹, das am ehesten dem Mus- dass zwar viele bereits aus den anderen ter eines typischen Making-ofs entspricht, Making-of-Narrationen bekannte Problem- macht deutlich, aus welcher Perspektive die felder (die Dreharbeiten auf hoher See, die Dreharbeiten im Film behandelt werden: Der psychischen Belastungen für die Schauspie- Rezipient sieht eine Collage von production lerinnen und Schauspieler sowie die Crew stills, unterlegt mit dramatischer Musik, oder die technischen Anforderungen) in dazwischen sind immer wieder Funksprü- den Interviews und von der Erzählinstanz – che zu hören – besonders dominant: »The Brody-Darsteller Roy Scheider sorgt für das shark is not working!« Das Making-of be- Voice-Over – gestreift werden, diese aber schäftigt sich fast nur mit den Dreharbei- alle relativ unspezifisch bleiben. Bei einem ten auf dem Meer und bezieht sich schon Hindernis wird das Making-of allerdings ganz zu Beginn auf das Vorwissen seines sehr konkret. Angesichts der aufgezeigten Publikums: »Stories of the hardship expe- Schwerpunktsetzung in den bereits vorge- rienced during the filming ofjaws are the stellten Making-ofs wenig überraschend ist stuff of Hollywood legends.« Die Filmpro- dies das Problem des (auch im Titel zentral duktion wird damit als inzwischen legen- gesetzten) nicht funktionierenden mecha- däre katastrophale Belastung für alle Be- nischen Hais. Ihm ist ein ganzes Kapitel teiligten inszeniert, Steven Spielberg selbst der Making-of-Narration gewidmet, das bestätigt diese Sichtweise mit der ganzen zu einer groß angelegten Umdeutung der Autorität des Starregisseurs: »Making jaws, Rolle von ›Bruce‹ genutzt wird: Während still looking back 30 years ago [sic!], was die Erzählinstanz anfangs noch betont, the toughest filmmaking production ex- dass die Funktionsprobleme des Hais die perience I’ve ever encountered. Nothing’s Stimmung auf der Insel immer weiter be- ever come close to the production difficul- lasteten, nimmt Brown mit dem Abstand ties.« Gleichzeitig versucht die Narration von drei Jahrzehnten eine gänzlich andere dem Spannungsproblem des am Ende ste- Wertung vor: »We’ve complained about the henden allseits bekannten spektakulären shark not being able to perform, because Erfolgs des Films dadurch zu begegnen, dass it couldn’t. It was never ready. That was es ihn zu seiner Entstehungszeit als »one what saved us. That was the artistry of the of Hollywood’s little movies that couldn’t« film.« In der rückblickenden Erinnerung inszeniert. David Brown, auch in diesem des Produzenten wird ›Bruce‹ damit vom

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Hauptproblem der Produktion zu ihrem steht nicht der Prozess der Filmprodukti- Retter! Spielberg stimmt dieser Wertung on, sondern das Weben an der Legende von zu und erklärt sie genauer, wenn er darauf dieser Produktion; der Produktionsprozess hinweist, dass die Unmöglichkeit, den Hai wird dabei mehr verklärt als erklärt. So- zu zeigen, zur ganz besonderen Stimmung mit kann das Making-of auch abschließend und Qualität des Films beigetragen habe, die feststellen: »jaws goes on forever.« Inter- heute, in Zeiten von computeranimierten essant und inszenierungswürdig ist nicht Trickmonstern, kaum mehr zu erreichen mehr die Produktion des konkreten Films, sei – der Regisseur leistet sich einen Anflug sondern das Phänomen jaws, dessen Wir- nostalgischer Sehnsucht nach jenem Zeit- kungsmacht weit über das Jahr 1975, aber alter prädigitaler Technik, dessen Ende er auch über das Medium Film hinausreicht, mit jurassic pa r k (1993) selbst eingeleitet wie die übrigen Kapitel, in denen etwa das hat. Besonders auffällig ist dabei, dass er zu von Fans organisierte JawFest vorgestellt Gunsten des neuen Narrativs vom ›Hai als wird, erläutern. Retter‹ frühere Aussagen relativiert. Weist er 1995 noch ausdrücklich darauf hin, dass »This is how it was«: Making-of- das Nicht-Erscheinen des Hais – bspw. in Narration und Deutungshoheit der ersten Szene – v.a. Teil des Regiekon- zepts, nicht nur technischer Kompromiss Der Vergleich der drei Making-of-Erzäh- gewesen sei, bemerkt er nun, in der ersten lungen hat deutlich gemacht, dass sie alle Szene sei der Hai eigentlich vorgesehen durch den Einsatz verschiedener narra- gewesen und – aus heutiger Sicht: glück- tiver Strategien den Produktionsprozess licherweise! – nur wegen der technischen von jaws auf jeweils eigene Art erzählen Probleme letztlich weggefallen: »I did that und damit inszenieren. Die Unterschiede because the shark kept breaking down! […] in der Prozessdarstellung reichen dabei So I was saved by the breakdown in tech- von der verschiedenen Perspektivierung nology 30 years ago.« der Ereignisse über einander widerspre- Der inszenatorische Umgang des Ma- chende Versionen bis zu verschiedenen king-ofs mit dem mechanischen Hai ist Zielsetzungen der Narration – die tech- dabei typisch für seinen Gesamtansatz: Es nische Erklärung des filmischen Prozes- geht weniger darum, Produktionsprozesse ses wird über die Jahrzehnte von der Un- aufzudecken und technisch verständlich tersuchung des kulturellen Phänomens zu machen – im Zentrum des Interesses jaws abgelöst.

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Diese Unterschiede lassen sich exemp- seine eigene Version der Geschehnisse vor- larisch besonders an der verschiedenarti- stellen kann,21 umso schwieriger zu führen gen Inszenierung des mechanischen Hais ist. Integraler Bestandteil jeder Making-of- verdeutlichen: Während er in Gottliebs Erzählung muss deshalb der Versuch der jaws Log und auch noch bei Laurent Bou- Beglaubigung der eigenen Narration sein. zereau als Hauptproblem der Dreharbei- Bei den vorgestellten Formaten funktioniert ten in Erscheinung tritt, deutet das jüngs- diese Beglaubigung v.a. über die Autorität te Making-of den nicht funktionierenden der an ihnen beteiligten Personen: Mit Carl Hai zum Retter des Films um. Dabei lassen Gottlieb schrieb einer der Drehbuchauto- sich in der Entwicklung der Inszenierung ren und damit ein Mitglied des innersten über die Jahrzehnte zwei gegenläufige Kreises der Produktion das jaws Log, wäh- Tendenzen feststellen: Zunächst geht es rend im Falle der filmischen Making-ofs die den Making-ofs darum, den im Film von Auswahl der Interviewten – immerhin u.a. einer Aura des Grauens umgebenen Hai die noch lebenden Hauptdarsteller und der technisch zu erklären. Aus dem unbere- Regisseur22 – sicherstellt, dass die insze- chenbaren, albtraumhaften Gegner der nierte Version des Produktionsprozesses Helden wird ›Bruce‹, der mechanische Hai, glaubwürdig erscheint. Zusätzlich lassen dessen im making of steven spielberg’s sich bei genauerer Betrachtung auch noch jaws gezeigtes Auftauchen unter Zischen charakteristische Abwehrstrategien gegen- und Knacken beinahe komisch wirkt. Mit über anderen Produktionserzählungen in the shark is still wor k i ng setzt eine ge- den vorgestellten Making-ofs finden. So genläufige Tendenz der Inszenierung ein: geht bspw. Peter Benchleys Lob von Gott- Während der Hai bei Gottlieb und Bou- liebs Log mit einer Abwertung eventuell zereau zum technisch erklärbaren Auto- konkurrierender Making-of-Varianten maten wird, verklärt und personalisiert im Internet einher, wenn er betont: »In ihn Hollanders Making-of zum Retter des sheer, raw volume, of course, the Internet Films, dessen technische Fehler den Regis- overwhelms everyone, but it’s unreliable: seur zu seinen besten Einfällen zwingen: too many so-called facts go out into cyber- Analog zum nicht sichtbaren Hai in der space unchecked and, often, dead wrong.« Filmhandlung wird damit der nicht ein- (S. 10) In diesem und ähnlichen Angriffen setzbare mechanische Hai im Making-of auf abweichende Prozessinszenierungen zum eigentlichen Helden des Films bzw. wird die Angst der Making-of-Formate der Filmproduktion. greifbar, die Deutungshoheit über den Pro- Jede Making-of-Erzählung inszeniert duktionsprozess zu verlieren – der im Fal- die Geschehnisse der Produktion von jaws le Peter Benchleys einen Teil der eigenen also auf individuelle Weise und ist damit Lebensgeschichte ausmacht. Wenn auch subjektiv wie die Erinnerung der Betei- Gottlieb eingangs die Subjektivität der ei- ligten. Es leuchtet ohne weiteres ein, dass genen Erinnerung und damit des Making- das Vorhandensein einer solchen Menge ofs an sich betont, vertragen sich derartige miteinander konkurrierender Prozessbe- Reflexionen eher nicht mit dem Anspruch schreibungen zu einem Kampf um die Deu- auf objektive Prozessoffenlegung, den die tungshoheit führen muss, der in Zeiten, da Gattung des Making-ofs normalerweise in Internet-Blogs und Foren beinahe jeder vertritt. Dementsprechend ist vielleicht tatsächliche oder selbsternannte Experte auch weniger das Vorwort von Gottlieb als

37 Felix Lempp der weisse hai revisited vielmehr das von Benchley typisch für das dene Filmformat« versteht, »das die Entste- Making-of, wenn letzterer beinahe apodik- hung einer Filmproduktion nachzeichnet und heute im Zuge der DVD-Kultur am weitesten tisch beharrt: »Carl says of his story, ›This verbreitet ist.« Wieland Schwanebeck: Ma- was how I saw it.‹ Well, as far as I’m con- king-of, klassisches. www.making-of-lexikon. cerned, this is how it was.« (S. 10) q de/#text=klassisches-making-of [30.1.2015]. 9 Craig Hight: Making-of Documentaries on DVD: Ich danke Jannis Funk herzlich für seine kritische The lord of the rings Trilogy and Special Lektüre und für wertvolle Anregungen, die dem Editions. In: The Velvet Light Trap: A Critical Aufsatz sehr zu Gute kamen. Journal of Film and Television 56 (2005), S. 4-17, hier: S. 5. Craigs Einschätzung ist dahingehend zu ergänzen, dass heute ein Making-of-Format Anmerkungen beinahe unverzichtbarer Bestandteil jeder DVD- 1 Joseph McBride: Steven Spielberg. A Biography. Veröffentlichung ist und auch die weniger um- New York 1997, S. 254. fangreichen Standardeditionen von Spielfilmen 2 So weist schon Carl Gottlieb in seiner inzwi- ein solches enthalten – wenn dieses auch meist schen selbst zum Klassiker avancierten Pro- in Länge und Produktionsaufwand keinesfalls duktionsbeschreibung The jaws Log (1975) da- mit den aufwändigen Making-ofs der ›Special rauf hin, dass sich der Erfolg der literarischen Editions‹ zu vergleichen ist. Vorlage bereits vor Beginn der Dreharbeiten 10 Vgl. Schwanebeck: Making-of, a.a.O. stark abzeichnete und wohl auch deshalb die 11 Hight: Making-of, a.a.O., S. 7. Verantwortlichen zu manchen Zugeständnis- 12 Erste Ansätze zur interdisziplinären und mul- sen an die Produktion bereit waren. Vgl. Carl timedialen Erforschung des Phänomens ›Ma- Gottlieb: The jaws Log. New York 2001, S. 5. king-of‹ stellt das aus einem geisteswissen- Nachfolgend werden Zitate aus diesem Buch schaftlichen Kolleg der Studienstiftung des direkt im Fließtext mit Seitenangabe in Klam- deutschen Volkes hervorgegangene Onlinelexi- mern nachgewiesen. kon Making-of. Ein Lexikon vor (www.making-of- 3 Vgl. Georg Seeßlen: Steven Spielberg und seine lexikon.de). Sein beständig erweiterbares Netz Filme. Marburg 2001, S. 32-38. aus Lemmata beschreibt konkrete Making-of- 4 Vgl. William Baer: Classic American Films. Con- Formate und Beispiele, nimmt darüber hinaus versations with the Screenwriters. Westport aber auch eine Neuperspektivierung von Kon- 2008, S. 196-214. In diesem Interview versucht zepten und Begriffen verschiedener Disziplinen Carl Gottlieb als Drehbuchautor u.a. die inzwi- der Kulturwissenschaft aus dem Blickwinkel schen auch von Spielberg selbst verbreitete Le- des Phänomens Making-of vor. gende von den frei am Set improvisierenden 13 Gottlieb geht sogar so weit, zu einem Zeit- Schauspielern zu entkräften (S. 201). punkt, als der ursprüngliche Drehplan schon 5 Der Hai wurde nach Spielbergs Anwalt, Bruce weit überzogen ist, von einer »laissez-faire time« Ramer, benannt. Vgl. McBride: Spielberg, a.a.O., (S. 157) ohne jeden Druck des Studios zu spre- S. 241. chen. Diese Situation wird von anderen Making- 6 Erwähnenswert ist der erste Band der von Joseph of-Narrationen, wie noch zu zeigen sein wird, McBride herausgegebenen Reihe Filmmakers on grundlegend anders geschildert. Filmmaking, in dem gleich mehrere Mitglieder 14 Der Satz »The shark is not working«, der, von des Teams vom Produktionsprozess berichten. der verzweifelten Special-Effects-Abteilung ge- Dieser und weitere Texte zur Entstehung von funkt, aus am Strand aufgebauten Funkgeräten jaws sind in der Bibliographie im Anhang zu während der Dreharbeiten nach den Erzählun- diesem Buch aufgelistet. gen von Richard Dreyfuss über die ganze Insel 7 Vgl. Matt Taylor: jaws. Memories from Martha’s dröhnte, ist inzwischen zum geflügelten Wort Vineyard. Martha’s Vineyard 2011, S. 75f. geworden. 8 Diese Arbeit schließt sich hier der Begriffsver- 15 Ray Loynd: The jaws 2 Log. New York 1978. wendung von Wieland Schwanebeck an, der 16 Vgl. McBride: Spielberg, a.a.O., S. 243f. unter einem klassischen Making-of »das im 17 Spielberg erhält auch durch die Interview- US-amerikanischen Studiokontext entstan- struktur Gelegenheit, sich selbst als Auteur

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zu inszenieren: Er hat von allen Interviewten 21 Vgl. etwa das von Fans durchgeführte Pro- die längste Redezeit und im ganzen Making-of jekt inside jaws (2013; R: Jamie Benning), zu fällt sein Bemühen auf, sich als verantwortlich finden auf der WebseiteFilmumentaries : www. und ideengebend in jedem Bereich der Dreh- filmumentaries.com/2013/06/inside-jaws-a- arbeiten vom Schreiben des Drehbuchs bis zur filmumentary-is-now-online/ [30.1.2015]. Entscheidungsfindung bei Detailfragen des 22 Die Frage, ob Beteiligte wirklich die ›wahre Ge- Szenenbilds darzustellen. schichte‹ einer Filmproduktion erzählen oder, 18 Vgl. McBride: Spielberg, a.a.O., S. 240. im Gegenteil, gerade nicht objektiv in ihren 19 Es sind dies die Kapitel ›Martha’s Vineyard, Einschätzungen sind, führt dazu, dass andere 1974‹, ›The Shark Is Not Working‹, ›I Love Sharks Making-of-Narrationen im Gegensatz zu den … I Love Them‹, und ›Call me Ishmael‹. Im Fol- vorgestellten hinsichtlich der verwendeten Be- genden konzentriert sich die Darstellung aus glaubigungsstrategien den entgegengesetzten Gründen der Vergleichbarkeit mit den bereits Weg beschreiten: Sie lassen die Augenzeugen vorgestellten Making-ofs v.a. auf diese Kapi- gerade nicht zu Wort kommen, sondern stüt- tel. zen sich eher auf die Meinung renommierter 20 In diesen Kapiteln werden u.a. die Themen Filmwissenschaftler oder anderer Experten – Vermarktung, Fankultur, Filmmusik und der als solche treten in filmischen Making-ofs z.B. Einfluss des Films auf spätere Regisseure und häufig Filmhistoriker wie Drew Casper oder Produzenten behandelt. Kim Newman auf.

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