Almut Andreae, Udo Geiseler (Hg.)

Die Herrenhäuser des Havellandes

Eine Dokumentation ihrer Geschichte bis in die Gegenwart

Lukas Verlag

3 Abbildungen auf dem Schutzumschlag Die Drucklegung des vorliegenden Buches erfolgte mit freund- vorn: , Parkseite, um 1900 licher Unterstützung durch hinten: Paretz, Gartenseite, Mai 2001 (Zustand kurz • die Landesregierung vor Abschluß der denkmalgerechten Sanierung) • die Mittelbrandenburgische Sparkasse in innen (von oben nach unten): Milow, Görne, • den Landrat des Landkreises Senzke (Gärtnerhaus), Kleßen, I • den Tourismusverband Havelland e.V. Vorsatzseite (Karte): Bernd Matthes, • die Erdgas Mark Brandenburg GmbH (EMB) Nachsatzseiten: Karten der Kreise West- und Osthavelland, • den Familienverband von Bredow. Aufnahme F.A. v. Witzleben, Berlin 1833 (SLB Potsdam) Die Herausgeber und der Verlag bedanken sich herzlich.

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme Die Herrenhäuser des Havellandes : eine Dokumentation ihrer Geschichte bis in die Gegenwart / Almut Andreae ; Udo Geiseler (Hg.). – Erstausg., 1. Aufl. – Berlin : Lukas-Verl., 2001 ISBN 3–931836–59–2

© by Lukas Verlag Erstausgabe, 1. Auflage 2001 Alle Rechte vorbehalten

Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte Autoren / Kürzel Kollwitzstr. 57 Almut Andreae, Groß Glienicke (A.A.) D–10405 Berlin Dr. Heidrun Chmura, Potsdam (H.C.) http://www.lukasverlag.com Udo Geiseler, Brandenburg a.d. Havel (U.G.) Dr. Susanne Karn, Berlin Reprographie, Umschlag, Layout und Satz: Verlag Bernd Patzelt, Potsdam (B.P.) Belichtung und Druck: Elbe Druckerei Wittenberg Dr. Klaus Schulte, Berlin (K.S.) Bindung: Kunst- und Verlagsbuchbinderei, Leipzig Dieter Seidel, Potsdam (D.S.) Printed in Gudrun Weichert, Werder (G.W.) ISBN 3–931836–59–2 Matthias Woeller, Rangsdorf (M.W.)

4 Inhalt Vorwort 6

Einleitung (Almut Andreae / Udo Geiseler) 8

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer (Udo Geiseler) 14

Herrenhäuser im Wandel – aus der Architekturgeschichte havelländischer Adelssitze (Almut Andreae) 31

Ländliche Gärten und Parks im Havelland (Susanne Karn) 50

Katalog der havelländischen Herrenhäuser Berge 68 – Böhne 72 – Bredow 77 – Briesen 81 – Buchow-Karpzow 84 – Buckow 89 – Buschow 92 – Damm 97 – Dickte 101 – Döberitz 103 – Dyrotz 107 – Falkenrehde 111 – Ferchesar 115 – I 119 – Friesack II 124 – Görne 127 – Groß Behnitz 132 – Großwudicke 139 – Gutenpaaren 143 – Haage 147 – Hohennauen I 150 – Hohennauen II 155 – Jerchel 159 – Klein Behnitz 163 – Kleßen 165 – 171 – Landin 176 – Liepe 181 – Lietzow 185 – Lochow 188 – Markau 191 – Markee 194 – Milow 197 – Möthlitz 202 – Möthlow 207 – Nennhausen 210 – Ohnewitz 216 – Paretz 219 – 227 – Perwenitz 231 – Pessin I 235 – Pessin II 240 – Priort 242 – 246 – 250 – Ribbeck 255 – Schönholz 260 – Schönwalde 263 – Schwanebeck 268 – Seegefeld 271 – Selbelang 276 – Senzke 280 – Stechow 285 – Steckelsdorf 289 – Stölln 292 – Vieritz 296 – Vietznitz 300 – Wagenitz 304 – Wansdorf 310 – Wassersuppe 314 – Wolsier 317 – Zeestow 320 – Zollchow 324

Herrenhäuser, die keine sind (Dieter Seidel) 328

Gutsherrschaft und Kirchenpatronat – Patronatskirchen im Havelland (Klaus Schulte) 334

Anhang Tabellarischer Überblick der Herrenhäuser 368 Glossar 374 Quellen- und Literaturverzeichnis 379 Bildnachweis 384 Orts- und Namensregister 386

5 Vorwort Wäre es heute möglich, einen Streifzug durch das Havelland zu unternehmen und dabei sämtliche Herrenhäuser aufzusuchen, die sich in dieser Region einmal befanden, so ergäbe sich ein sehr abwechs- lungsreiches Bild. Bis in die entlegeneren Winkel des heutigen Landkreises hinein würde der Reisende im- mer wieder aufs neue vom Anblick ehrwürdiger wie auch bescheidener Wohnhäuser überrascht, in denen einst Generationen von Rittergutsbesitzern lebten. Oftmals waren die Bauten von einer reizvollen Park- und Landschaftskulisse umgeben. Eine ganze Reihe von ihnen tritt uns in den berühmt gewordenen Farb- lithographien Alexander Dunckers entgegen, der mit seinem zwischen 1857 und 1883 herausgegebenen umfangreichen Werk über »Die ländlichen Wohn- sitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grundbesitzer in der preußischen Monarchie« dem damaligen Repräsentationsbedürfnis der in den Her- renhäusern lebenden Gesellschaftsschicht entgegen- kam. Zusammen mit den Fotografien, die im Laufe der letzten hundert Jahre in zunehmendem Maße entstanden, bezeugen diese Bilder aus der Vergan- genheit einen reichen Denkmalbestand und eine faszi- nierende Kulturlandschaft. In der Zeit nach 1945 kam es hier zu einer drastischen Reduzierung und Ver- wahrlosung. Die Herrenhäuser des Havellandes haben sich, im Unterschied zu anderen Regionen, überwiegend er- halten. Einige konnten in den vergangenen Jahren dank des Engagements ihrer neuen Eigentümer vor dem Verfall gerettet werden und erstrahlen heute in neuem Glanz. Andere befanden sich zur Zeit der vor- liegenden Bestandsaufnahme im Zustand der Sanie- rung und sollen zum gegebenen Zeitpunkt einer neu- en Nutzung übergeben werden. Ein großer Teil der übrigen Häuser steht jedoch leer und verfällt. Bei einigen wird ein Abriß kaum mehr zu verhindern sein. Die Ursachen hierfür sind vielgestaltig: Zum einen haftet den Herrenhäusern im Bewußtsein vieler noch immer jenes Stigma deutsch-deutscher Vergangenheit an, als der Feudalismus mit all seinen Ausprägungen verpönt und mit einem Tabu belegt war. Über diese ideologischen Problematik hinaus gibt es eine rein pragmatische: die Schwierigkeit, die Herren-

6 Vorwort häuser über längere Zeit hinweg baulich zu erhalten. chern, Scheunen und Remisen, die von den Gütern Die notwendigen Mittel, um die Gebäude wenigstens übriggeblieben sind. Sie bildeten die wirtschaftliche notdürftig vor dem Verfall zu bewahren, fehlen seit Grundlage einer Gutsherrschaft und runden daher Jahrzehnten. Dem heutigen Reisenden, der sich auf genauso wie die zu den Rittergütern gehörenden Park- die Spuren der Herrenhäuser im Havelland begibt, anlagen und Patronatskirchen das in diesem Band bietet sich daher nicht selten ein trostloses Bild. Eine entworfene Portrait havelländischer Herrenhäuser ab. Reihe von Häusern wird er vergeblich suchen, denn Die Herausgeber sind vielen Menschen zu Dank Gras und Beton haben sich über sie gelegt. Doch kann verpflichtet, ohne deren Mithilfe die vorliegende Do- er sich anhand der Bilder von den verlorenen Herren- kumentation nicht entstanden wäre. Unser Dank gilt sitzen, die in unserem Band gleichberechtigt neben zunächst allen am Buch beteiligten Autoren und Foto- denen der erhaltenen Häuser stehen, eine Vorstellung grafen. Sie waren an den zahlreichen Streifzügen durch von der Vielfalt bilden, die bis 1945 wesentlich zum das Havelland und an den Archivrecherchen beteiligt. Charakter der Kulturlandschaft im havelländischen Für die Zusammenführung der Autoren und Fotogra- Raum beitrug. Diese Vielgestaltigkeit zu veranschau- fen sorgten Karin und Benedict von Haimberger als lichen, ist ein zentrales Anliegen unserer Bestands- Leiter des ABM-Projektes »Schlösser und Herrenhäu- aufnahme. ser in Brandenburg«. Das Projekt wurde vom Ein weiteres Ziel der Publikation ist es, den Zu- Schwielowsee getragen und aus Mitteln der Bundes- stand der Herrenhäuser im heutigen Landkreis Havel- anstalt für Arbeit des Arbeitsministeriums des Landes land möglichst aktuell zu dokumentieren. Dies selbst- Brandenburg sowie des Europäischen Sozialfonds fi- verständlich in dem Bewußtsein, daß sowohl der Erhal- nanziert. tungs- und Nutzungszustand der Häuser als auch die Um die Dokumentation in Form eines Buches Eigentumsverhältnisse in einem ständigen Wandel realisieren zu können, waren wir auf die Unterstützung begriffen sind. Das Schicksal zahlreicher leerstehender Dritter angewiesen. Wir freuen uns sehr – auch im Herrenhäuser steht dringender denn je zur Diskus- Namen unserer Mitautoren –, all jenen Personen und sion. Es wird nur dann eine Zukunft für sie geben, Institutionen danken zu dürfen, die durch ihr Engage- wenn man sie mit Leben erfüllt. Nur wenn man die ment und ihre unmittelbare Förderung »Die Herren- derzeit ungenutzten Gebäude unter veränderten Vor- häuser des Havellandes« ermöglichten: der Landes- zeichen in das Leben unserer heutigen Gesellschaft regierung Brandenburg, der Mittelbrandenburgischen einbezieht und ihnen damit einen neuen Stellenwert Sparkasse in Potsdam, dem Landrat des Landkreises verschafft, wird man die Häuser auf Dauer halten Havelland, dem Tourismusverband Havelland e.V., können, werden sich auch Investoren finden, die bereit der Erdgas Mark Brandenburg GmbH sowie der Fa- sind, an der Bewahrung von bereits abgeschriebenen milie von Bredow. Objekten mitzuwirken. Schließlich möchten wir allen Bewohnern des Den Autoren dieses Buches war es wichtig, dem Havellandes aufrichtig danken, die uns bei unseren Reisenden die Augen für das Unscheinbare, Unspek- Recherchen vor Ort durch ihr Wissen und durch die takuläre zu öffnen, das den meisten der heute noch vertrauensvolle Bereitstellung von Fotos aus ihrem existierenden Herrenhäuser eigen ist. Möglicherweise Privatbesitz, die nun zum großen Teil erstmalig an die bleibt gerade dies als prägender Eindruck von den Öffentlichkeit gelangen, eine äußerst wertvolle Unter- Herrenhäusern im Havelland haften. Mehr noch als stützung boten. Mit ihrer Hilfe konnte die Spur vieler die eingangs erwähnten Herrensitze à la Duncker Rittergüter, Herrenhäuser und ihrer Besitzer gesichert waren es in der Mehrheit vergleichsweise bescheidene und neu aufgenommen werden. Wohnhäuser, in denen die Rittergutsbesitzer lebten. Auch sind es gerade die oftmals bis in die Gegenwart Groß Glienicke / Brandenburg a.d. Havel, Juli 2001 genutzten Gutsanlagen mit ihren großen Ställen, Spei- Almut Andreae und Udo Geiseler

Vorwort 7 Einleitung Herrenhäuser sind ein prägendes Merkmal länd- licher Regionen in Brandenburg. Neben Kirchen, Almut Andreae / Udo Geiseler ehemaligen Gutshöfen und älteren Bauerngehöften sind sie steinerne Zeugen ländlicher Sozial-, Wirt- schafts- und Kulturgeschichte. Aus diesem Grund wurden sie vor allem im zurückliegenden Jahrzehnt zu einem zentralen Objekt denkmalpflegerischen Wir- kens1 und zu einem Schwerpunkt landesgeschichtlicher Forschung.2 Im Jahr 2000 erschien unter dem Titel »Herrenhäuser in Brandenburg und der Niederlau- sitz«3 eine kommentierte Neuauflage des monumen- talen Ansichtenwerks »Die ländlichen Wohnsitze, Schlösser und Residenzen der ritterschaftlichen Grund- besitzer in der preußischen Monarchie«, welches der königliche Hofbuchhändler Alexander Duncker (1818–97) zwischen 1857 und 1883 in 16 Einzel- bänden herausgegeben hatte. In der kritischen Wür- digung der brandenburgischen Adelskultur in der von Peter-Michael Hahn und Hellmut Lorenz herausge- gebenen Neuauflage wird der »Duncker« zum Aus- gangs- und Bezugspunkt weiterführender Darstel- lungen.

Der Untersuchungsgegenstand Unbestritten ist die große Zahl der Rittergüter, die es auf dem Gebiet des heutigen Landes Brandenburg einst gab. Die zu den Gütern gehörenden Herren- häuser blieben trotz der Zerstörungen von 1945 und den Abrissen der Folgezeit überwiegend erhalten, wenn- gleich ihre Bausubstanz häufig stark gelitten hat. Bei der Durchsicht des zur Geschichte der Herren- häuser in Brandenburg veröffentlichten Materials ist festzustellen, daß fast alle Publikationen das gesamte Land (bzw. die ehemalige Provinz) Brandenburg als Untersuchungsraum umfassen. Angesichts der Viel- zahl der hier nachweisbaren Adelssitze waren die Be- arbeiter der bisher erschienenen Publikationen ge- halten, sich bei ihrer Darstellung auf eine Auswahl zu beschränken. Der Versuch, den Gesamtbestand an Rittergütern und Herrenhäusern in ihrer vollstän- digen historischen Dimension flächendeckend zu er- fassen und entsprechend zu würdigen, wurde indes aus nachvollziehbaren Gründen nie unternommen.

8 Andreae / Geiseler Ein solches Vorhaben kann unter den üblichen Das historische Havelland selbst hat in der Ver- Bedingungen nur dann umgesetzt werden, wenn die gangenheit mehrfach Änderungen seiner Grenzen er- Untersuchung von vornherein auf einen überschau- fahren. Unter der slawischen Bezeichnung »Stodor« baren Raum eingeengt wird.4 Streng regional ausge- sowie als »Hehfeldi« und »Haefeldun« wurde das Ge- richtet und dadurch vollständiger sind allein ältere biet in schriftlichen Quellen des 9. Jahrhunderts Kunstinventare5 sowie die Veröffentlichungen des erstmals erwähnt.9 Als Gau »Heveldun« ist es im 10. Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege.6 Jahrhundert dem Sprengel des neugegründeten Bis- In diesen Publikationen bilden die Herrenhäuser in tums Brandenburg zugeteilt worden.10 Im 12. Jahr- bezug auf die insgesamt vorgestellten Baudenkmäler hundert verstand man unter »Havelland« das Sied- nur eine Teilmenge. Auch die bislang erschienenen lungsgebiet des slawischen Stammes der Heveller um Kreisgeschichten7 behandeln die Herrensitze nicht ihre Hauptburg Brandenburg. gesondert, sondern als einen Ausschnitt der regionalen Während des Spätmittelalters und in der frühen Adels- und Rittergutsgeschichte. Neuzeit war das Havelland ein mittelmärkischer Kreis Vor diesem Hintergrund verfolgt die vorliegende mit eigener Verwaltung. Seine Grenzen bildeten die Dokumentation das Konzept, sich bei der Darstel- Havel im Osten, Süden und Westen sowie das Rhin- lung von Geschichte und Gegenwart auf eine einzelne gebiet im Norden. (S. 10, Karte) Schon im 18. Jahr- Region – das Havelland – zu beschränken. Dieser hundert begannen sich die historischen Kreisgrenzen bewußte Verzicht auf eine Erfassung weiterer Objekte aufzulösen. 1770 wurde zunächst der Kreis Glien- über die Grenzen des Landkreises hinaus bietet den Löwenberg ausgegliedert. 1815 hat man das verblie- Vorteil, einerseits den selbstgestellten Anspruch einer bene Gebiet in die Kreise Ost- und Westhavelland möglichst vollständigen Inventarisierung weitestge- geteilt, wobei ersterer das Ländchen Glien zurücker- hend einlösen zu können und gleichzeitig das Bezie- hielt. (Vgl. die Karten auf den Nachsatzseiten) 1920 hungsgeflecht einer ländlich-regional strukturierten verlor das Osthavelland einige Landstriche, darunter Adelsgesellschaft transparent werden zu lassen.8 Spandau, Kladow, Gatow und Staaken, durch Ein- gliederung in das Berliner Stadtgebiet.11 Eine weitere Aufteilung des Havellandes bewirkte die Kreisreform Das Untersuchungsgebiet von 1952. Damals wurde der Raum nördlich der Die Entscheidung, sich dem Gebiet des heutigen Havel zwischen Potsdam und Brandenburg unter die Landkreises (vgl. die Übersichtskarte auf den Vorsatz- gleichnamigen Stadt- und Landkreise aufgeteilt, wäh- seiten) und nicht dem Havelland in seinen histori- rend die neugebildeten Kreise und schen Grenzen zu widmen, war unter den Autoren des das nördliche und zentrale Havelland umfaßten. Das vorliegenden Bandes nicht unumstritten. Für die Wahl Ländchen Bellin kam zum Kreis Neuruppin (heute der gegenwärtigen Kreisgrenzen gab nicht zuletzt die ist es Teil des Landkreises Ostprignitz-Ruppin). Die Einbeziehung des Amtes Milow und weiterer Orte Kreisreform von 1993 bestätigte diese Zersplitterung. westlich der Havel in die Untersuchung Anlaß. Sie Die südlichen Teile des Havellandes wurden fast aus- gehörten früher zum ehemaligen Kreis Jerichow II in schließlich in den Landkreis Potsdam-Mittelmark ein- der preußischen Provinz Sachsen bzw. waren zuvor Teil gegliedert. Durch Zusammenlegung der Kreise Nauen des Erzbistums/Herzogtums Magdeburg. Das Gebiet und Rathenow entstand der hier vorgestellte Land- wurde 1952/56 dem damaligen Kreis Rathenow zu- kreis, der zumindest den Namen der historischen geordnet und kam im Zuge der Kreisreform von 1993 Landschaft trägt, auch wenn er sie nicht mehr vollstän- zum Landkreis Havelland. Ein Ausschluß dieser Re- dig repräsentiert.12 gion durch Beschränkung auf das »alte« Havelland Naturräumlich gesehen13 gliedert sich der Land- wäre in einer Betrachtung, die zeitlich bis in die kreis in die relativ trockene Hochfläche im zentralen Gegenwart reicht, nicht vertretbar gewesen. Havelland14 und in ausgedehnte Luchgebiete, die sich

Einleitung 9 Der Kreis Havelland (1785), Zeichnung von C.L. Oesfeld, gestochen von C.C. Glaßbach sen. (SLB Potsdam) um diese Hochfläche herum gruppieren. Letztere ten empor. Ihre etwas abgeschiedene Lage bewirkte in wurden seit dem 18. Jahrhundert systematisch trok- der Vergangenheit eine zum Teil gesonderte Entwick- kengelegt. Das Havelländische Luch zwischen der lung. So war der adlige Grundbesitz dort ausgedehnter Ribbecker Heide und der Havel bei Rathenow ist das als im zentralen Havelland, und über die Jahrhunderte bekannteste Niederungsgebiet. Weiter nördlich be- übten nur wenige Familien die Herrschaft aus. Beson- findet sich das Rhinluch, dessen Ausläufer sich bis zum dere Rechte innerhalb der Verwaltung des havelländi- Ländchen Rhinow erstrecken. Kleinere Niederungen schen Kreises hatten diese Gebiete jedoch nicht. liegen nördlich und westlich von Potsdam im Bereich Der Landkreis Havelland ist eine ländlich geprägte der Havel und der Wublitz. Region, die von vielen dörflichen Siedlungen be- Aus den Luchgebieten im nördlichen Havelland stimmt ist. Die immer eigenständig (immediat) ge- erheben sich einige kleinere Hochflächen – die Länd- bliebenen Städte Rathenow und Nauen sind die größ- chen Rhinow, Nennhausen (auch: »der Nußwinkel«), ten Orte des Untersuchungsgebietes. Dazu kommen Friesack und Glien. Sie ragten früher wie Inseln aus die kleineren, früher landesherrlichen oder adligen den oft monatelang überschwemmten Sumpfgebie- Mediatstädte Rhinow, Friesack und . Eine Son-

10 Andreae / Geiseler derstellung nehmen und ein, die Obwohl die hier genannten Merkmale eine Klas- erst in neuerer Zeit durch Industrieansiedlungen und sifizierung der erfaßten Objekte als Herrenhäuser zu- durch den Zuzug neuer Bewohner sowie durch Ein- lassen, war in einigen Grenzfällen eine breiter gefaßte beziehung von Ortschaften (→Seegefeld) zur Stadt Auslegung des Begriffes erforderlich. So ordnen wir wurden.15 beispielsweise das äußerst schlichte Wohnhaus auf dem Vorwerk Dickte deswegen als ein Herrenhaus ein, weil hier in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein Der Begriff »Herrenhaus« Herrschaftsinhaber lebte und von hier aus auch seine Die Inventarisierung von Herrenhäusern wirft die Rechte ausübte. Anders verhält es sich mit Kriele oder Frage auf, was genau unter einem Herrenhaus zu Marquede. Diese Objekte weisen ebenfalls Charak- verstehen ist. Eine begriffliche Definition ist unseres teristika eines Herrenhauses auf und sind von ihrer Erachtens nicht ausschließlich über architekturge- architektonischen Gestaltung her sogar repräsenta- schichtliche Merkmale möglich. Vielmehr sind ergän- tiver als das in Dickte. Hier hat aber nie ein Inhaber zend spezifische Untersuchungen zum juristischen von Herrschaftsrechten – ein Gutsbesitzer – gelebt, so und politisch-ökonomischen Status der Häuser und daß die Gebäude über den Status eines Verwalter- oder ihres Umfeldes erforderlich. Darüber hinaus sollten Pächterhauses nicht hinauskamen.17 auch die bedeutungsgeschichtliche Dimension des Ein gesondertes Problem stellen die ehemaligen Begriffes »Herrenhaus« und in Abgrenzung davon die landesherrlichen Domänen dar. In Berge und Lietzow oft synonym gebrauchten Bezeichnungen »Schloß«, hat der Landesherr als Besitzer nie selbst gewohnt. »Gutshaus«, »Rittersitz« oder »Rittergut« berücksich- Seine Rechte haben die Verwalter vor Ort ausgeübt. tigt werden.16 Eine umfassende Analyse der unter- Dennoch wurden die hier vorhandenen Gebäude in schiedlichen begrifflichen Verwendungen kann und unsere Untersuchung aufgenommen, denn bei den soll hier nicht geleistet werden. Allerdings lassen sich jeweiligen Gütern handelte es sich um traditionsreiche anhand der Untersuchungsergebnisse an den einzel- Adelssitze, bevor der König sie im 18. Jahrhundert nen Objekten einige Wesensmerkmale herausstellen, aufkaufte. Die früheren Herrschaftsinhaber haben die für unsere Arbeit bindend waren und unserer dort nachweislich gelebt. Aus diesem Grunde sind Auffassung nach eine Unterscheidung zwischen Her- diese Objekte ebenfalls als Herrenhäuser anzusehen. renhäusern und Verwalterhäusern oder repräsenta- Anders verhält es sich beispielsweise bei Tietzow und tiven Villen zulassen. Demnach zeichnet sich ein Hertefeld im nördlichen Havelland. Beide Güter Herrenhaus dadurch aus, daß es befinden sich in Siedlungen, die als landesherrliche 1. zu einem privilegierten, (steuer-)freien Rittergut Vorwerke im Zuge von Meliorationsarbeiten im Havel- gehörte, dem verschiedene Herrschaftsrechte wie ländischen Luch entstanden. Der Landesherr als Be- Gericht, Dienstleistungen der Dorfbewohner und sitzer dieser Vorwerke hat sich dort nie länger aufge- Kirchenpatronat zugeordnet waren und dessen halten. Besitz seinem Inhaber Sitz und Stimme im kur- Im folgenden soll die Bezeichnung »Herrenhaus« märkischen Landtag verlieh, als übergeordneter Begriff für alle ländlichen Herren- 2. daß ein Inhaber dieser Herrschaftsrechte nach- sitze stehen. Den Begriff »Gutshaus« verwenden wir weislich in dem Haus lebte und seine Rechte von mit äußerster Zurückhaltung, da er unserer Meinung dort aus wahrnahm, nach zu sehr die Assoziation an Wohnhäuser von Guts- 3. daß von dort aus ein landwirtschaftlicher Betrieb, angestellten oder gar an Wirtschaftsbauten nahelegt. ein Rittergut, geleitet wurde und Außerdem erwähnen die landschaftlichen Güter- 4. daß sich das Haus durch seine Außen- und Innen- adreßbücher des frühen 20. Jahrhunderts18 nicht land- architektur von den anderen Wohnhäusern des tagsfähige Rittergüter und Bauerngüter, deren Wohn- Dorfes sichtbar abhob. häuser ebenfalls unter die Kategorie »Gutshaus« fallen,

Einleitung 11 ohne dabei dem Status eines Herrenhauses auch nur den beiden Fachaufsätzen die Rede, die den Katalog annähernd zu entsprechen. flankieren. Ein weiterer Beitrag stellt dar, warum ver- Auch die Verwendung des Begriffes »Schloß« be- meintliche Herrenhäuser bei genauerer Betrachtung darf einer kurzen Erläuterung. Ursprünglich bezeich- bzw. gemäß der von uns aufgestellten Kriterien nicht nete er jene landesherrlichen Burgen, die man im als solche anzusehen sind. Dem Buch vorangestellt Spätmittelalter »slos«, »sloss«, oder »sloten« nannte. sind zwei Beiträge zur Geschichte und Kunstgeschich- Ein »Schloß« war, rein juristisch betrachtet, zunächst te der Herrenhäuser im Havelland, die in die Thematik ein markgräfliches, kurfürstliches und königliches einführen und einen ersten Überblick über den Be- Eigentum. Erst mit der Verpfändung oder Veräuße- stand vermitteln. rung dieser Burgen konnte ein Schloß auch in den Einen zweiten Überblick über die im Katalog er- Besitz von Adligen gelangen, woher die Bezeichnung faßten Herrenhäuser verschafft eine tabellarisch an- »schloßgesessen« für den privilegierten Adel herrührt.19 gelegte Übersicht im Anhang des Buches. Sie dient Für havelländische Burgorte wie Rhinow, Friesack einer schnellen Orientierung zu den einzelnen Bau- oder Milow hat sich der Begriff »Schloß« jedoch nicht phasen der Häuser sowie zur Geschichte der Nach- erhalten. Allein das im späten 18. Jahrhundert von kriegszeit bis hin zur aktuellen Nutzung. Die erhalte- Friedrich Wilhelm III. in Auftrag gegebene Sommer- nen Herrenhäuser unterliegen freilich nach wie vor refugium in Paretz, in dem er das Leben eines Guts- einem steten Wandel. Im Hinblick auf die Aktualität herren zu führen wünschte, kann man aufgrund sei- bestimmter Angaben verweisen wir daher auf den ner königlichen Provenienz mit Fug und Recht als Redaktionsschluß im Mai 2001. Schloß bezeichnen. Daß darüber hinaus weitere Her- Das sich anschließende Glossar schlüsselt all jene rensitze heute »Schloß« genannt werden, sind Prägun- Fachwörter auf, die über den allgemeinen Sprachge- gen des Volksmunds, die auf das prachtvolle Aussehen brauch hinausgehen und bei der präzisen Darstellung und die Größe mancher Herrenhäuser zurückzufüh- historischer und kunsthistorischer Zusammenhänge ren sind.20 unverzichtbar sind. Die für die Bearbeitung und Wei- terbearbeitung unseres Themas relevante Literatur sowie die wichtigsten Archive wurden im Quellen- und Das vorliegende Buch Literaturverzeichnis zusammengefaßt. Aus ihm geht Den roten Faden dieses Buches bilden die Herren- hervor, daß das Interesse seitens der Wissenschaft an häuser. In 79 Einzelportraits sind sie in 63 Ortsmono- einer systematischen Aufarbeitung der brandenbur- graphien katalogisiert. Die Anschaulichkeit dieser gisch-preußischen (Kultur-)Geschichte größer denn Portraits ergibt sich aus dem Umfang des vorhandenen je ist und offensichtlich immer noch ein gewisser Bildmaterials bzw. aus der Frage, ob die Häuser noch Nachholbedarf besteht. Großes Interesse am Thema existent sind oder nicht. Das Spannungsverhältnis ist auch außerhalb der Fachkreise, vor allem bei der zwischen ihrer Vergangenheit und Gegenwart tritt Bevölkerung vor Ort, zu spüren. Für die Arbeit am insbesondere dort deutlich zutage, wo eine Gegen- Buch war es ein großer Gewinn, immer wieder auch überstellung zwischen historischen Ansichten und heu- Vertreter jener Generation angetroffen zu haben, die tigen Aufnahmen möglich war. Ein verhältnismäßig die Situation auf den Gütern vor ihrer Auflösung 1945 großes Gewicht in den Monographien erhält die Dar- noch kannten. Ihre Erinnerungen haben erheblich zur stellung der historischen Entwicklung der Rittergüter Authentizität dieser Dokumentation beigetragen. sowie der Besitzergenealogie. Auch die Gutsparks und Patronatskirchen werden hier angesprochen. Von der Bedeutung der Dorfkirchen bei der Herrschafts- inszenierung der jeweiligen Patronatsinhaber sowie von den Parkanlagen ist in aller Ausführlichkeit in

12 Andreae / Geiseler Anmerkungen das Bistum Brandenburg wirklich 948 gegründet?, in: 1 Wipprecht 1992, S. 5–32. JbbrandLG 49.1998, S. 7–18. Dazu die Erwiderung von 2 Sobotka 1992; Hahn, Lorenz 1994; Badstübner 1995; Foelsch Kurze, D.: Otto I. und die Gründung des Bistums Branden- 1997; Hahn, Lorenz 1998; Zuchold 1999. Außerdem ist auf burg: 948, 949 oder 965? in: JbbrandLG 50.1999, S. 12–30. die vom »Freundeskreis Schlösser und Gärten der Mark« in der Die Replik von Assing, H.: Das Bistum Brandenburg wurde Deutschen Gesellschaft e.V. herausgegebenen Hefte Schlösser wahrscheinlich doch erst 965 gegründet, in: JbbrandLG und Gärten der Mark hinzuweisen, die seit 1991 in rund 51.2000, S. 7–29. fünfzig Folgen erschienen sind. Weitere Beiträge finden sich in 11 Escher, F.: Berlin und sein Umland. Zur Genese der Berliner Zeitschriften (z.B. Brandenburgische Denkmalpflege, seit 1992 Stadtlandschaft bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Berlin hg. vom Brandenburgischen Landesamt für Denkmalpflege; 1985, S. 324ff. Monumente, seit 1991 hg. von der Deutschen Stiftung Denk- 12 Es ist nicht auszuschließen, daß sich die Kreisgrenzen durch malschutz; Die Mark Brandenburg, hg. seit 1991 im Lucie die bevorstehende Kommunalreform im Land Brandenburg Großer Verlag, Berlin) sowie in den einschlägigen Jahrbüchern stellenweise erneut verändern werden. (vgl. Literaturverzeichnis). Darüber hinaus entstanden an den 13 Kamke, H.U.: Die natürlichen Gegebenheiten im Havelland. Hochschulen in Berlin und Brandenburg zahlreiche Semester- Geomorphologie und Böden, in: Ribbe 1987, S. 21ff. und Diplomarbeiten zum Thema. 14 Das Gebiet umfaßt die »Nauener Platte« zwischen Barnewitz 3 Hahn, Lorenz 2000. und Selbelang im Westen, das Gebiet um Falkensee, Dallgow- 4 Wie bei Foelsch 1997, der sich ausschließlich auf den Land- Döberitz und Priort im Osten sowie den Raum zwischen kreis Prignitz konzentriert. Falkenrehde, Tremmen und Wachow im Süden und wird im 5 KDM 1907–1960; BKd Bez. Potsdam. Norden von der Bundesstraße 5 begrenzt. 6 Denkmale in Brandenburg, hg. vom Brandenburgischen Lan- 15 Engel, Enders, Heinrich, Schich 2000, S. 143ff. (Falkensee), desamt für Denkmalpflege, bisher erschienen Bd. 1.1/1.2.: S. 188ff. (Friesack), S. 256ff. (Ketzin), S. 357ff. (Nauen), Stadt Brandenburg a.d. Havel, Worms 1994/95; Bd. 13.1: S. 414ff. (Premnitz), S. 438ff. (Rathenow), S. 449ff. (Rhinow). Landkreis Ostprignitz-Ruppin, Stadt Neuruppin, Worms 1996; 16 Die einzelnen Termini werden sowohl im mündlichen Sprach- Bd. 5.1.: Landkreis Barnim, Stadt Eberswalde, Worms 1997; gebrauch als auch in den meisten Fällen in der Literatur sehr Bd. 7.1: Landkreis Elbe-Elster, Worms 1998; Bd. 7.1: Land- willkürlich verwendet. Nur selten bieten die Autoren Defini- kreis Teltow-Fläming, Stadt Jüterbog mit Kloster Zinna und tionen an, obwohl sie als Verständnisgrundlage für das im ein- Gemeinde Niedergörsdorf, Worms 2000. zelnen Gemeinte unverzichtbar sind. Dadurch ist der Herren- 7 Spatz, W.: Bilder aus der Vergangenheit des Kreises Teltow, 3 hausbegriff mit der Zeit in eine Grauzone geraten. Um so mehr Bde., Berlin 1905–20; Lehmann, R.: Geschichte der Nieder- erscheint daher eine genaue Erläuterung des begrifflichen lausitz, Berlin 1963; Houwald, G. v.: Die Niederlausitzer Verständnisses je nach Kontext erforderlich. Mit der Proble- Rittergüter und ihre Besitzer, 4 Bde. (Spremberg, Sorau, matik setzten sich zuletzt u.a. G. Piltz und H. Bath ausein- Lübben, Kalau), a.d. Aisch 1978–88, Enders, L.: Die ander. Vgl. Piltz 1987, S. 13f. und Bath 2001, S. 20ff. Uckermark. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 17 Zu weiteren »Grenzfällen« vgl. den Beitrag von D. Seidel in 12. bis zum 18. Jahrhundert, Weimar 1992; Enders, L.: Die diesem Band, S. 328–333. Prignitz. Geschichte einer kurmärkischen Landschaft vom 12. 18 Niekammer, Bd. V: 1906, 1913, 1922; Bd. VII: 1907, 1914, bis zum 18. Jahrhundert, Berlin 2000. 1929. 8 Diese Herangehensweise findet sich auch bei W.D. Wagner, 19 Vgl. Riedel, A.F.: Von dem Unterschied zwischen den be- der in seiner Einführung zum Katalogtext über die Schlösser schlossenen und unbeschlossenen Geschlechtern der branden- und Gutshäuser in Ostpreußen schreibt: »In der Beschrän- burgischen Ritterschaft, in: MF 1.1841, S. 266–290 sowie H.- kung liegt aber auch ein Vorteil, denn sie führt zur Vertiefung, J. Helmigk, der sich mit seiner Definition auf Riedel bezieht. zur Wiederholung und kann Gemeinsamkeiten und Zusam- Vgl. Helmigk 1929, S. 9. menhänge gerade im kleinen deutlich machen, die bei einer 20 Vgl. hierzu auch Bath 2001, S. 20ff. Im Einzelfall wurden der- breiteren Darstellung vieler Aspekte kaum hervortreten wür- gleichen Prägungen im Katalogteil unseres Buches übernom- den.« Vgl. Wagner 2001, S. 6. men und entsprechend kenntlich gemacht. 9 Curschmann, F.: Die Diözese Brandenburg. Untersuchungen zur historischen Geographie und Verfassungsgeschichte eines ostdeutschen Kolonialbistums, Leipzig 1906, S. 150. 10 Die Gründungsurkunde wurde zuletzt abgedruckt bei Schößler, W.: Die Urkunde über die Gründung des Bistums Branden- burg im Jahr 948, in: 1050 Jahre Brandenburg. Beiträge zur Geschichte und Kultur, hg. vom Domstift und vom Histori- schen Verein Brandenburg (Havel), Brandenburg 1998, S. 14– 31, hier S. 14. Bislang wurde 948 als Gründungsjahr des Bi- stums angegeben. In letzter Zeit sind bezüglich der Echtheit und Datierung der Urkunde und damit am Gründungsdatum erhebliche Zweifel erhoben worden. Vgl. Assing, H.: Wurde

Einleitung 13 Havelländische Herrenhäuser, Die Entwicklung der havelländischen Rittergüter Rittergüter und ihre Besitzer Das Havelland weist eine lange ritterschaftliche Tradi- 1 Udo Geiseler tion auf. Mit den Askaniern kamen ab dem 12. Jahr- hundert viele Kleinadlige und unfreie Ministerialen in das Land, die den Markgrafen Heeresfolge leisteten und bei der Verwaltung des Landes unterstützten. Dafür erhielten sie Lehnsbesitzungen, die ihnen ihren Unterhalt sicherten und einen Wohnsitz boten. Über diese Wohnplätze ist wenig bekannt. Oft wurden die Burgwälle slawischer Adliger übernommen. Sie lagen zumeist etwas außerhalb der Dörfer und waren befe- stigt. Der Rest eines solchen Sitzes ist heute noch sehr gut im Süden des Dorfes Lietzow erkennbar. Ein fester runder Burgwall liegt südlich des Ortes mitten im Luch. Das Wasser wird der kleinen Burg fast das ganze Jahr einen natürlichen Schutz geboten haben. Solche Burgwälle lassen sich auch an vielen anderen Stellen des heutigen Landkreises nachweisen.2 Wirkliche Bur- gen gab es im Gebiet des heutigen Landkreises dagegen wenig. Lediglich in Friesack, Rhinow, Hohennauen und Milow, möglicherweise auch Perwenitz, hat es stärker befestigte Anlagen gegeben. (Abb. 1, 2) Erste umfassende schriftliche Angaben über herr- schaftliche Sitze für die brandenburgischen Teile des heutigen Havellandes sind durch das Landbuch Kaiser Karls IV. von 1375 überliefert.3 Hier werden in den meisten Orten ein oder mehrere Inhaber von Herr- schaftsrechten adligen oder bäuerlich-bürgerlichen Standes erwähnt, die zumeist auf eigenen Höfen in oder bei den Dörfern lebten. Viele der im Landbuch genannten Namen dieser Herrschaftsträger finden sich in späteren Quellen nicht mehr. Die spät- 1 Burg Friesack im 17. Jahrhundert, mittelalterliche Wüstungsperiode4 bedeutete nicht Druckgraphik von Clericus, um 1880 selten einen Bruch in der Herrschaftskontinuität. Eine große Zahl der genannten Herrschaftsinhaber starb aus, zog weg oder glitt möglicherweise auch in den Bauernstand ab. Erst die im Laufe der Zeit immer detaillierter wer- denden landesherrlichen Lehnbriefe aus dem späten 15. und 16. Jahrhundert geben wieder einen genaue- ren Einblick über Anzahl und Verteilung der Ritter- güter im heutigen Landkreis.5 Danach konzentrierten sich adlige Wohnhöfe, wie die Güter zu dieser Zeit

14 Udo Geiseler 2 Milow, Herrenhaus an der Stelle der ehemaligen Burg, 3 Besitzungen Hartwig II. von Bredow im Ländchen Friesack Foto 2000 genannt werden, vor allem im zentralen Havelland bereits früher begonnenen Prozeß der Aufgabe alter sowie in den kleinen nordhavelländischen Ländchen Adelssitze. Die engen, zum Teil noch aus der Slawen- Rhinow, Nennhausen und Friesack. Der adlige Rit- zeit stammenden befestigten Wohnsitze oder Burgen tergutsbesitz bestimmte die ländliche Besitzstruktur. erwiesen sich in der Zeit der Feuerwaffen und des vom Landesherrlichen, bürgerlichen und klerikalen Grund- Kurfürsten durchgesetzten Landfriedens als überlebt besitz gab es im Untersuchungsraum dagegen äußerst und den neuen wirtschaftlichen Anforderungen nicht wenig. Die gleiche Besitzstruktur wiesen auch die ehe- mehr gewachsen. Die Adligen gaben diese zumeist mals magdeburgischen Gebiete westlich der Havel auf. außerhalb liegenden Wohnsitze auf und verlegten sie Die landesherrliche Burg Milow war seit 1433 im in die Dörfer oder an die Dorfränder.8 Im erwähnten Lehnsbesitz der Familie von Tresckow. Seitdem be- Lietzow wurde das Gut aus dem Luch 300 Meter fanden sich alle für diese Untersuchung relevanten nordwestlich in die Nähe des Dorfes verlegt und auf Orte des Elbe-Havel-Winkels ausschließlich in Adels- höher liegendem, festen Boden neu gegründet. In besitz. Vom Adel gingen im 15./16. Jahrhundert auch Rhinow gab die Familie von der Hagen die Mühlen- die entscheidenden Impulse zur Wiederbesiedlung burg auf und zog in ihren Stadthof. wüster Ortschaften aus (Steckelsdorf, Buckow). Die Zahl der adligen Wohnhöfe erhöhte sich in der Das 16. Jahrhundert war vom Ansteigen der Ge- zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sprunghaft, weil treidepreise und damit vom Anziehen der Agrarkon- ihre Besitzer gezwungen waren, ihre Söhne mit eige- junktur geprägt.6 Havelländische Adlige begannen nen Wohnsitzen auszustatten.9 Da nicht mehr Raum ihre Eigenwirtschaften auszubauen und wüste Feld- für Neugründungen von Rittersitzen (Bezeichnung marken wieder zu besiedeln, um Getreide zu produ- für die Adelssitze seit etwa 1600) zur Verfügung stand, zieren, das äußerst gewinnbringend verkauft werden mußten die vorhandenen oft geteilt werden. Durch konnte. Auf adligem Grundbesitz wurden Vorwerke kleine Gräben, Mauern oder andere Bauten versuchte und Meiereien gegründet, um die Wirtschaft zu inten- man, die Wohnbereiche sichtbar voneinander abzu- sivieren. So überzog beispielsweise Hartwig II. von grenzen, was nicht selten zu Auseinandersetzungen Bredow fast das gesamte Ländchen Friesack mit einem führte (Friesack I).10 Außerdem wurden Vorwerke mit Netz von neuerrichteten Vorwerken und Viehhöfen einem Wohnhaus und Ritterhufen versehen und zu (Dickte, Wagenitz u.a.).7 (Abb. 3) Die allgemeine Rittersitzen erklärt (Wagenitz). Darüber hinaus kauf- Intensivierung der Gutswirtschaft beschleunigte den ten Adlige Lehnschulzen- und Bauerngüter am Ort

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer 15 auf, statteten sie mit wenigen Hufen aus und begrün- Wagenitz der Familie von Bredow durch marodie- deten darauf einen Rittersitz (Ferchesar, Stechow u.a.). rende Söldner 1636 hingewiesen.15 Weit schlimmer Diese Häufung von Rittersitzen wird anhand der wirkte sich jedoch die vor allem durch Pest und Ab- überlieferten Landreiterberichte aus dem Jahr 1608 wanderung hervorgerufene Entvölkerung ganzer Land- deutlich.11 In fast jedem in Adelsbesitz befindlichen striche aus. Auf diese Weise hatte das östliche Havel- Dorf registrierte der Landreiter zwei, drei oder vier land etwa zwei Drittel seiner Bevölkerung verloren.16 Rittersitze, die von Vertretern adliger Familien be- Die schwierige wirtschaftliche Lage der adligen wohnt wurden. Mit sogar acht Rittersitzen nahmen Güter änderte sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahr- die havelländischen Orte Pessin und Retzow dabei hunderts zunächst wenig. Eine lange Agrarkrise behin- einen Spitzenwert in der gesamten Mark ein.12 derte den gewinnbringenden Absatz landwirtschaft- Unschwer vorzustellen ist, daß diese Rittersitze licher Produkte. Dazu kamen neue Kriege wie der wenig mit den besonders aus der Altmark und der Schwedeneinfall von 1675, die erste Fortschritte beim Prignitz bekannten Renaissancebauten größerer mär- Aufbau des Landes zunichte machten.17 Außerdem fehlten den Inhabern der Rittergüter die finanziellen Mittel, um ihren oft verpfändeten Besitz einzulösen (Pessin I), die durch lange Brache verholzten Felder neu zu bestellen, Gutshöfe und Vorwerke wieder auf- zubauen und neue Untertanen in den wüst geworde- nen Bauern- und Kossätenhöfen anzusiedeln. Noch um 4 Rittersitz des 1700 befanden sich viele Gutshöfe in einem äußerst 16./17. Jahrhun- maroden Zustand. Erhaltene Gutsbeschreibungen las- derts, auf Grund- lage von Gutsbe- sen erkennen, daß es sich bei den Rittergütern in der schreibungen aus Mehrzahl nach wie vor um Wirtschaftshöfe mit einem dem BLHA Pots- einfachen herrschaftlichen Wohnhaus und mehreren dam, gezeichnet von T. Neljubina, Ökonomiegebäuden handelte, die von sogenannten Berlin »Wellerwänden« (Mauern aus Lehm- und Reisig- geflecht) umgeben waren (Stölln, Kotzen, Schönwalde, kischer Adelsfamilien zu tun hatten. Die kleinen Pessin). Sie machten noch um 1700 zum Teil einen Herrschaftssitze muß man sich als etwas größere Höfe äußerst verwahrlosten Eindruck.18 vorstellen, auf denen die Gutswirtschaft abgewickelt Im späten 17. Jahrhundert änderten adlige Ritter- wurde. Ein schlichtes Wohnhaus stellte die Behausung gutsbesitzer die bis dahin gängige Praxis, die Güter bei des adligen Gutsbesitzers dar. Es war zumeist aus der Vererbung zu teilen und jeden Sohn mit einem Fachwerk und hob sich oft nur durch ein zweites Ge- eigenen Gut auszustatten. Statt dessen ist vor allem im schoß und eine Dachdeckung aus Ziegeln von den 18. Jahrhundert eine Tendenz zur Konzentration der Häusern der bäuerlichen Untertanen ab.13 (Abb. 4) örtlichen Rittergüter in den Händen eines oder maxi- Die wirtschaftlichen Erträge der mit nur wenig mal zweier Erben zu erkennen (von Ribbeck auf Rib- Hufen ausgestatteten Rittersitze ermöglichten ihren beck, von Stechow auf Kotzen u.a.).19 Diese Konzen- Besitzern kein standesgemäßes Leben. Abflauende tration des adligen Besitzes stärkte die Wirtschaftskraft Agrarkonjunktur und verlustreiche Finanzgeschäfte der Güter bei einem gleichzeitig ansteigenden Ge- führten seit dem späten 16. Jahrhundert zu einer treidepreis. Die damit verbundenen Gewinne aus der enormen Verschuldung des Adelsbesitzes14 auch im Gutswirtschaft wurden in den Ausbau der Wirtschafts- Havelland. Die Auswirkungen des Dreißigjährigen höfe investiert. Sie werden nicht zuletzt an der erhöh- Krieges verschärften die Lage der Güter. Als Beispiel ten Zahl der in dieser Zeit neu errichteten herrschaft- sei hier auf die Plünderung und Zerstörung des Gutes lichen Wohnbauten sichtbar. Auch im Gebiet des

16 Udo Geiseler Konkurse vieler Gutswirtschaften führten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts schließlich zu einer Häu- fung von Besitzerwechseln, bei denen nicht selten bürgerliche Personen Rittergüter erwarben (Horne- mann zu Gutenpaaren, [von] Borsig zu Groß Behnitz, [von] Jaeckel zu Großwudicke und Nennhausen, Rogge zu Döberitz). Ab etwa 1820 ist ein erneuter Aufschwung der Gutswirtschaften zu beobachten. Mit der Einrichtung von Fideikommissen und Majoraten versuchten die Rittergutsbesitzer, die negativen Erbschaftsregelungen 5 Landin, Herrenhaus, Foto vor 1913 seit dem späten 18. Jahrhundert zu begrenzen (von der Hagen zu Hohennauen I, von Katte zu Vieritz).20 heutigen Landkreises Havelland entstanden mehrere Gleichzeitig gelangten durch die Ablösung der jahr- barocke und spätbarocke Wohnbauten des hier ansäs- hundertealten bäuerlichen Dienste finanzielle Mittel sigen Adels (Hohennauen, Perwenitz, Wagenitz, Lan- in ihre Kassen, die in den Ausbau der Gutshöfe inve- din, Dyrotz, Buchow-Karpzow, Jerchel, Großwudicke stiert werden konnten.21 Der Konzentrationsprozeß usw.). (Abb. 5) Dabei handelte es sich zumeist um der Rittergüter an einem Ort fand seinen Abschluß schlichte ein- oder zweigeschossige Herrenhäuser. Grö- (Vereinigung dreier Güter in Stölln, Zusammenfas- ßere Mehrflügelanlagen sind seltener zu beobachten sung zweier Güter in Ribbeck usw.). Dadurch und (Kleßen, Nennhausen, Kotzen). Die Bauherren waren aufgrund der seit 1800 überall durchgeführten Separa- oft auch als Amtsträger oder Militärs im landesherr- tionen entstanden große Gutshöfe. Von dort aus wur- lichen Dienst tätig. Die Einkünfte aus dieser Tätigkeit den ausgedehnte Acker-, Wiesen- und Waldflächen und Gewinne aus der Gutswirtschaft schufen die fi- bewirtschaftet. Verstärkt ist in dieser Zeit das Bemü- nanzielle Grundlage für die Errichtung dieser Bauten. hen havelländischer Rittergutsbesitzer zu beobachten, Sinkende Getreidepreise, Kriegseinwirkungen, vor die vom Landwirtschaftsreformer Albrecht Daniel allem aber die Pflicht, nicht erbberechtigte Geschwi- Thaer (1752–1828) erprobten neuen Wirtschaftsfor- ster mit oft überhöhten Summen abzufinden, führten men anzuwenden und weiterzuentwickeln (von Bredow ab etwa 1750 erneut zu einer rasant ansteigenden Ver- zu Schwanebeck, von Monteton zu Priort, von Bredow schuldung der Rittergüter, von der die Hypotheken- zu Wagenitz u.a.). Auch neue Kulturen wurden einge- bücher im Brandenburgischen Landeshauptarchiv ausreichend Kunde geben. Hatte sich der Lebens- 6 Liepe, Gutsbrennerei, Foto 2001 standard des brandenburgischen Adels in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts zunächst verbessert, so zwangen viele Zahlungsverpflichtungen die Ritterguts- besitzer, immer neue Gelder zu leihen, die als Hypo- theken auf die Güter verbucht wurden. Unterstützun- gen, die König Friedrich II. (1713/1740–86) und sein Nachfolger den Rittergutsbesitzern im späten 18. Jahr- hundert zukommen ließen (Priort), stellten nur vor- übergehende Entspannungen der Lage dar, da der finanzielle Druck nicht wirklich von den Gütern ge- nommen war. Die Wirren der Franzosenzeit nach 1806, die Auswirkungen des Reformzeitalters und

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer 17 7 (linke Spalte) Landin, Situationsplan zur Erweiterung des Gutes, 1868 (BLHA Potsdam)

8 (rechte Spalte, oben) Zootzen-Damm, Speichergebäude auf dem ehemaligen Gut Damm I, Foto 1999 9 + 10 (rechte Spalte, unten) Zeestow, Wirtschaftsgebäude auf dem ehemaligen Gut, Fotos 2000

führt bzw. verstärkt angebaut. So führte steigender Spritbedarf nicht nur zu einer Erweiterung des Kartof- felanbaus, sondern es entwickelte sich daraus auch ein neues wirtschaftliches Standbein für die Rittergutsbe- sitzer. Auf fast allen Gütern entstanden Brennereien zur Herstellung von Sprit. (Abb. 6) Darüber hinaus er- richtete man vielerorts neue große Stall- und Speicher- gebäude. (Abb. 7, 8, 9, 10) Gleichzeitig kamen neue technische Erfindungen wie dampfgetriebene Maschi- nen, u.a. der Dampfpflug, zum Einsatz. Die Erweite- rung des Eisenbahnnetzes im Havelland nutzten auch die Gutsbesitzer. So ließ man an einigen Orten Schie- nen auf die Felder legen, auf denen von kleinen Schmal- spurzügen die Ernte eingebracht werden konnte (Buschow, Selbelang). Es ist jedoch nicht so, daß die Inhaber der Rittergüter die wissenschaftlich-techni- schen Neuerungen ausnahmslos begrüßten. Vereinzelt ist das Bemühen havelländischer Gutsbesitzer zu be- obachten, den Eisenbahnbau von ihrem Territorium fernzuhalten (von Risselmann zu Schönwalde).22

18 Udo Geiseler Die erweiterte, großflächige Gutswirtschaft, die Zeestow und Paulinenaue mutige Agrarwirtschaftler mit der Einführung neuer, beständigerer Tierarten in die Anwendung neuer Methoden erfolgreich prak- der Viehzucht einherging, hielt bis in das frühe 20. tizierten (u.a. industrielle Viehhaltung auf den Wei- Jahrhundert an. Sie bewirkte umfangreiche Baumaß- den, Gemüseanbau im Luch, Düngung mit Müll).24 nahmen auf den Gütern. Scheunen, Ställe, Speicher, Alle diese Probleme bewirkten, daß bis in die späten Brennereien und vor allem auch Gutsarbeiterwoh- 1930er Jahre gut ein Drittel der untersuchten Ritter- nungen wurden neu errichtet. In trockengelegten Luch- güter durch Konkurs und Zwangsversteigerungen die gebieten entstanden neue Vorwerke (Ribbeckshorst, Besitzer wechselte. Bernhardinenhof, Ohnewitz, Paulinenaue u.v.a.). Auffallend ist, daß von diesem Ruin gerade alte, Daneben haben die Rittergutsbesitzer auch für sich seit Jahrhunderten im Havelland ansässige Familien selbst Wohnhäuser errichtet. Zumeist etwas abgewen- betroffen waren, die sich im Gegensatz zu ihren ost- det vom eigentlichen Wirtschaftshof, in der Nähe havelländischen Standesgenossen auf ihren Gütern eines neu angelegten Gutsparks, entstanden in dieser behauptet hatten. So verlor die Familie von Bredow Zeit neue, in der Mehrheit massiv errichtete Wohn- rund ein Dutzend Rittergüter, die sich zum Teil schon bauten. Etwa die Hälfte aller untersuchten havelländi- seit dem Mittelalter in ihrem Besitz befanden, dar- schen Herrenhäuser sind im 19. Jahrhundert erbaut unter Stammsitze wie Bredow oder Friesack. Die Fa- worden (u.a. Senzke, Döberitz, Briesen, Liepe, Bu- milie von Katte büßte fast ihren gesamten Besitz im schow, Ferchesar, Steckelsdorf, Selbelang, Vieritz). Elbe-Havel-Winkel ein, die Familien von der Hagen Andere Objekte wurden in dieser Zeit umfassend und von Knoblauch mußten ebenfalls mehrere Ritter- verändert (u.a. Groß Behnitz, Großwudicke, Wage- güter veräußern. Auch andere lange im Havelland nitz). Dabei war die Ausgestaltung der Herrenhäuser angesessene Familien wie die von Stechow zu Kotzen, äußerst unterschiedlich. Während es sich beispiels- die von Monteton zu Priort oder die von Risselmann weise in Wagenitz um ein äußerst repräsentatives Ob- zu Schönwalde verloren ihre Güter. jekt mit italienischen Einflüssen handelte, entstand in Diese Besitzverschiebungen konzentrierten sich Steckelsdorf ein schlichtes fünfachsiges Gutshaus, das vorrangig auf das westliche und zentrale Havelland, noch heute nur schwer von den benachbarten Bauern- wo sich die alten Adelsgeschlechter auf ihren Ritter- häusern zu unterscheiden ist. gütern bis in das 20. Jahrhundert halten konnten. Die ertragreiche Zeit der intensivierten Guts- Demgegenüber war es im Osthavelland durch die wirtschaft endete etwa um die Jahrhundertwende. Mit Nähe zu den Residenzstädten Berlin und Potsdam dem beginnenden 20. Jahrhundert sind vermehrt schon nach dem Dreißigjährigen Krieg zur Auflösung Krisenerscheinungen zu beobachten. Billiges Getreide der traditionellen Bindungen zwischen alten Familien aus nordamerikanischen Farmen gelangte auf den und ihren Gütern gekommen. Nachdem zunächst europäischen Markt und ließ die Preise sinken. Trotz Angehörige der Hofgesellschaft hier Güter erworben hoher Einfuhrzölle, mit denen die Reichsregierung die hatten, konnten im 19. Jahrhundert verstärkt auch deutschen Erzeuger zu schützen gedachte, gelang es bürgerliche Unternehmer Besitzungen in diesem Raum den Rittergutsbesitzern, für die Getreide traditionell erwerben (u.a. Dyrotz, Wansdorf, Perwenitz, Döberitz; das wichtigste Produkt war, auf Dauer nicht, in diesem vgl. dazu den folgenden Abschnitt). Durch ihr unter- Preiskampf zu bestehen.23 Dazu kamen vielerorts Pro- nehmerisches Engagement im gewerblichen Bereich bleme in der Wirtschaftsführung (Steckelsdorf, Kot- waren die neuen Besitzer weniger abhängig von kon- zen) und verlustreiche Finanzgeschäfte bzw. Bürg- junkturellen Schwankungen des Agrarmarktes.25 schaften (Briesen, Friesack). Zu beobachten sind auch Die meisten havelländischen Rittergüter blieben offenkundige Hemmungen, völlig neue Wege in der unter ihren alten oder neuen Besitzern bis zur Boden- Agrarproduktion zu gehen, obwohl im Havelland in reform bestehen. Allerdings ist zu beobachten, daß die dieser Zeit mit den Herren Schurig auf Markee, Markau, Güter seit dem späten 19. Jahrhundert zunehmend

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer 19 Land verloren. Unter dem Druck verstärkter wirt- erweiterte sich der Besitz der Kurfürsten im 16. Jahr- schaftlicher Probleme, zu denen auch ein Mangel an hundert nur geringfügig. Ländereien des Klerus kon- Arbeitskräften kam, parzellierten Gutsbesitzer Teile zentrierten sich auf den Südwesten des Untersuchungs- ihres Landes und verkauften oder verpachteten diese gebietes, in dem der Brandenburger Bischof und vor an die bäuerliche Bevölkerung (Zeestow, Görne).26 allem sein Domkapitel mit Gräningen, Garlitz, Barne- Dazu kam nach 1900 der erhöhte Bedarf an Bauland witz, Tremmen, Zachow und anderen Dörfern sowie vor allem in der Nähe . Siedlungsgesellschaften das Kloster Lehnin mit Wachow und Gohlitz Besit- wie die Gesellschaft »Eigene Scholle« Frankfurt/Oder, zungen hatten. Im Osthavelland verfügte das Kloster die Altmärkische Bodenverwertungs AG Salzwedel Spandau über größere Ländereien. Während die Besit- oder die Landgesellschaft »Havelland-Ruppin« er- zungen des Bistums und der Klöster nach der Säkula- warben in privatem und öffentlichem Auftrag Lände- risation 1541 in landesherrliches Eigentum übergin- reien, die sie parzellierten und mit Siedlerhäusern gen, behielt das Brandenburger Domkapitel bis in die bebauten (Schönwalde, Paulinenaue, Seegefeld u.a.). neueste Zeit einen Großteil seiner Güter. Vor 1375 soll Zum Teil kauften sie ganze Güter, deren Land sie es darüber hinaus auch umfangreichen bürgerlichen nutzten, während die verbliebenen Gutshöfe mit eini- Besitz im Havelland gegeben haben, der während der gem Restland verpachtet wurden (Wolsier). Agrarkrise im Spätmittelalter jedoch stark abnahm.27 Darüber hinaus beeinflußten weitere äußere Fak- Die havelländischen Städte verfügten dagegen nur toren den Niedergang havelländischer Rittergüter. So über geringen Landbesitz. hatten sie Ländereien für die Entwicklung der Infra- Dominierend im Land- und Gutseigentum blieb struktur (Kanal- und Eisenbahnbau) abzugeben (u.a. vom Spätmittelalter bis 1945 der Adel, auch wenn der Schönwalde). Der Ausbau des kaiserlichen Truppen- Besitzumfang dieser Schicht, wie erwähnt, vor allem übungsplatzes führte zur Auflösung von Dorf und Gut im frühen 20. Jahrhundert stark abnahm. Döberitz. Es ist also auch im Havelland erkennbar, wie Der größte Teil des deutschen Adels war nach dem globale Entwicklungen (Industrialisierung, Ausdeh- Wendenkreuzzug 1147 in die eroberten Slawengebiete nung des Welthandels, wachsende internationale Span- und damit auch ins Havelland eingewandert.28 Dabei nungen) im frühen 20. Jahrhundert den Zerfall der sollen die meisten Familien aus altmärkischen Gebie- »jahrhundertealten Ordnung« auf dem Land beförder- ten gekommen sein. Die Namen ihrer Herkunftsorte ten. Doch erst das Ende des Zweiten Weltkrieges mit übertrugen sie oft auf ihre neuen Siedelgebiete. Nicht allen seinen politischen und wirtschaftlichen Folgen selten nahmen sie die Ortsbezeichnungen auch als führte 1945 zur endgültigen Auflösung der traditio- Familiennamen an (von Bredow, von Priort, von nellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Struk- Falkenrehde, von Stechow u.a.). In größerem Umfang turen auf dem Land. wurden diese Familien erstmals 1375 im Landbuch Kaiser Karls IV. erfaßt. Agrarkrise und Wüstungs- perioden im Spätmittelalter haben das vom Landbuch Wandlungen in der Besitzerstruktur bis 1945 vermittelte Bild jedoch bis in das späte 15. Jahrhundert Die soziale Struktur der Gutsbesitzerschicht war seit verändert. Viele bäuerlich-bürgerliche Grundbesitzer dem späten Mittelalter mehrfach einschneidenden verloren ihren Besitz, viele niedere Adlige und ehe- Änderungen unterworfen. Von Anfang an übte der malige Ministerialen, die auf kleinen Lehnhöfen leb- Adel im Gebiet des heutigen Landkreises eine domi- ten, starben aus oder sanken in die bäuerliche Schicht nierende Stellung aus. Landesherrliche Besitzungen ab. wie die Güter der Vogtei Spandau mit den dazuge- Erst die im späten 15. Jahrhundert immer genauer hörigen Dörfern sowie weitere markgräfliche Streu- geführten landesherrlichen Lehnregister geben Auf- besitzungen nahmen bis zur Reformation zunächst ab. schluß über die Anzahl adliger Familien im Havelland. Auch nach der Säkularisation geistlicher Besitzungen Erkennbar ist danach, daß sich bis um 1600 ein Stamm

20 Udo Geiseler von etwa dreißig Familien im heutigen Landkreis hunderts (Agrarkrise, Verschuldung, Kriegsfolgen) auch etabliert hatte, in deren Händen sich die Rittersitze Auswirkungen auf die Besitzerstruktur. Viele Ritter- und damit auch nahezu der gesamte Umfang des sitze, deren Besitzer hoch verschuldet waren, kamen dazugehörigen steuerfreien Hufenbesitzes befand. Her- nach 1650 in Wiederkaufsbesitz landfremder Adliger ausragend war das allerdings in mehrere Linien und oder kapitalkräftiger Bürger (Pessin, Kotzen, Ferchesar). Kernfamilien geteilte Geschlecht von Bredow, das Oft konnten die Lehnsbesitzer und eigentlichen Eigen- 1608 immerhin sechzehn Rittersitze in dreizehn Or- tümer dieser Güter ihren Besitz nicht mehr einlösen ten innehatte. (Abb. 12 – folgende Seite) Daneben und verloren ihn damit endgültig an andere Familien hatten die von der Hagen im Ländchen Rhinow, die (z. B. von Bardeleben zu Klein Behnitz).29 Dazu gesell- von Stechow im Ländchen Nennhausen, die von Knob- ten sich häufig – teilweise unbeabsichtigte – Verstöße lauch sowie die von Ribbeck im zentralen und öst- gegen die Lehnsgesetze, die zum Teil ebenfalls den lichen Havelland den umfangreichsten Güterbesitz. Verlust der Lehngüter nach sich zogen (von Lochow zu Westlich der Havel, in den ehemals magdeburgischen Nennhausen, von Bredow zu Möthlow). So sahen sich Gebieten, übten die Familien von Katte und von Tres- in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts viele alte ckow die Herrschaftsrechte über die meisten Orte aus. havelländische Familien ihres Besitzes enthoben. Ohne Darüber hinaus waren weitere bekannte Familien im Grund und Boden verloren sie nicht nur adlig-stän- Gebiet des heutigen Landkreises fest angesiedelt, so die dische Privilegien, sondern auch die Bindung zum Land. Teilweise starben die Familien aus, zum Teil verließen sie auch das Havelland und zogen in andere Gebiete (von Priort, von Lochow, von Hake, von Diricke, von Kahlenberg).30 Anderen Familien gelang es unter großen Anstren- gungen, ihren Besitz zurückzukaufen bzw. zu sanieren und damit den Bestand der Güter bei ihrem Ge- schlecht zu erhalten (von Bredow zu Wagenitz und Landin, von Knoblauch zu Pessin). Die Entwicklung der Besitzerstruktur verlief seit dem 17. Jahrhundert in den residenznahen Gebieten anders als in denen, die entfernter von Potsdam und

11 Wichmann Berlin lagen. Während im westlichen Havelland der von Hake (1516– größere Teil der Güter trotz geringer Verschiebungen 85) auf Berge, zumeist in den Händen der alten Geschlechter ver- Relieftafel an der blieb, ist, wie schon erwähnt, im östlichen Havelland Außenwand der Kirche in Berge, das verstärkte Eindringen zugewanderter Familien zu Foto 2001 beobachten. Die mit der Regierungszeit des Kurfür- sten Friedrich Wilhelm (1620 / 1640–88) beginnende von Priort, von Hake (Abb. 11), von Brösicke, von Stärkung des Gesamtstaates Brandenburg-Preußen und Diricke, von Kahlenberg, von Erxleben, von Barde- die damit verbundene erhöhte Bedeutung der Resi- leben, von Wilmersdorf oder von Lochow. Ihr Güter- denzstädte zog viele Amtsträger und Militärs an, die im besitz war aber erheblich geringer als derjenige der Umland Gutsbesitz erwarben und sich in die ländliche zuvor genannten Geschlechter. Adelsgesellschaft integrierten. Ihre Herkunft war völ- Diese Besitzverteilung blieb bis in die Mitte des lig unterschiedlich. Zum einen waren es adlige Ange- 17. Jahrhunderts erhalten. Allerdings hatten die oben hörige der Hofgesellschaft wie der Minister von Vier- beschriebenen Krisenerscheinungen des 17. Jahr- eck und der General von Gersdorf zu Groß Behnitz

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer 21 12 Kolorierter Stammbaum der Familie von Bredow, 18. Jahrhundert (BLHA Potsdam) oder die verschwägerten Familien von Kameke/von der neuen Geschlechter entwickelten eine Boden- Golofkin in Gutenpaaren. Dazu kamen nobilitierte ständigkeit (von Risselmann, von Monteton). Die Bürgerliche, die am Hof unterschiedliche Funktionen meisten verkauften dagegen ihre Güter nach ein oder ausübten (von Katsch zu Döberitz, Etatminister; von zwei Generationen wieder oder vererbten sie an andere Risselmann zu Schönwalde, Geheimrat und Wissen- Familien weiter. Der Verlust der traditionellen Bin- schaftler; von Weiler zu Falkenrehde, Obrist). Eine dungen zwischen einem Rittergut und seiner alten weitere Gruppe stellten die seit dem späten 17. Jahr- Eigentümerfamilie führte vor allem im östlichen Ha- hundert zugewanderten Angehörigen des französisch- velland bis 1945 in vielen Fällen zu weiteren Besitz- hugenottischen Adels dar (du Rosey zu Schönwalde, wechseln, bei denen Güter nicht selten nur noch als von Chalezac zu Perwenitz, von Monteton zu Priort). Spekulationsobjekte dienten. Obwohl sich diese Familien durch Lehns-, Kredit- und An der Verdrängung der alten Familien aus dem Heiratsbeziehungen in die ländlich-adlige Gesellschaft residenznahen Raum im 17./18. Jahrhundert hatten des Havellandes einfügten, wuchsen bei ihnen eher auch die brandenburgischen Landesherren einen nicht selten solch feste Beziehungen zu ihrem Besitz, wie es geringen Anteil. Wie andere deutsche Fürsten bemüh- bei den alten Familien zu beobachten ist. Nur wenige ten sie sich in dieser Zeit verstärkt, den Adel zugunsten

22 Udo Geiseler des landesherrlichen Domänenbesitzes und zur Ent- tierte Familie Borsig, die mit Groß Behnitz ein äußerst wicklung einer Residenzlandschaft aus seinen Gütern traditionsreiches Gut erwarb. Nennhausen und Groß- auszukaufen. Kurfürst Friedrich Wilhelm, Kurfürst/ wudicke kamen an die ebenfalls nobilitierte Familie König Friedrich III./I. (1657 / 1688–1713) und König Jaeckel. Döberitz gelangte in den Besitz des Holz- Friedrich Wilhelm I. (1688 / 1713–40) erwarben so vor händlers Rogge, die jüdische Verlegerfamilie Mosse allem im Teltow und im Niederbarnim, aber auch im kaufte Dyrotz, und der Fabrikbesitzer Hanley erwarb Potsdamer Raum umfangreichen Güterbesitz.31 Nicht das ehemalige Amtsvorwerk in Perwenitz. Auch in selten wurde dabei auf den ortsansässigen Adel Druck entfernteren Regionen erlangten bürgerliche Unter- ausgeübt, um ihn zur Veräußerung seines Besitzes zu nehmer Gutsbesitz. Der jüdische Bankier Schwabe bewegen (von Einsiedel auf Buchow-Karpzow). Im Ge- kaufte das Bredowsche Gut in Damm bei Friesack. biet des heutigen Landkreises Havelland erreichten die Nennhausen sowie Teile von Stechow und Kotzen Erwerbungen der Landesherren allerdings nicht den kamen später an den rheinischen Industriellen Graf Umfang wie in anderen Gebieten. Doch wurden mit von Westerholt-Gysenberg und Großwudicke an den Perwenitz und Paaren (1711 zum Amt Oranienburg) mehreren Aufsichtsräten deutscher Konzerne ange- sowie Berge und Lietzow (1720 erworben, mit Wachow hörenden Herrn von Gontard. Nicht zu vergessen sind und Gohlitz zum Amt Nauen/Berge zusammengefaßt) an dieser Stelle Agrarunternehmer bürgerlicher Her- sowohl Amtsträger (von Chalezac) als auch alte Familien kunft wie die bereits erwähnten Schurigs. (von Hake, von Döberitz) aus dem Havelland verdrängt. Fast alle der Genannten errichteten auf ihren neuen Der Verlust des traditionellen Besitzgeflechtes vor Gütern repräsentative Herrenhäuser oder bauten die allem im Residenzraum ließ die Rittergüter nach den vorhandenen Objekte zum Teil recht aufwendig um. Agrarreformen immer stärker auch in den Blick ver- (Abb. 13) Dazu legten sie Parks an und gestalteten mögender Stadtbürger geraten. Landbesitz als Geld- manchmal auch die Dörfer neu (Borsig in Groß anlage bei gleichzeitiger Möglichkeit, sich einen tradi- Behnitz). Nicht selten ist zu beobachten, daß diese tionsreichen, repräsentativen Landsitz zu verschaffen, Familien großen Wert darauf legten, sich durch äußere lockten ab Mitte des 19. Jahrhunderts bürgerliche Unter- Zeichen in eine Reihe mit den alten Adelsgeschlechtern nehmer, sich in havelländische Rittergüter einzukau- zu stellen. So setzte von Jaeckel sein Wappen an der fen. Das berühmteste Geschlecht war dabei die im Empore der Nennhausener Kirche neben die der frü- Maschinenbau vermögend gewordene, später nobili- heren adligen Patronatsherren. Nach seinem Tod ließ

13 Nennhausen, Herrenhaus, Parkseite, Foto um 1900

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer 23 er sich in der barocken Kirche zu Großwudicke in der 14 Generalfeldmarschall Hans Günther von Kluge Gruft der bekannten Familie von Möllendorff be- (1882–1944) statten. Mit beidem demonstrierte er die lineare Fort- führung adliger Herrschaftstradition durch seine Per- son bzw. seine Familie und damit seine eigene Standes- erhöhung. Es existieren kaum Nachrichten darüber, wie die alten Adelsgeschlechter auf das Eindringen bürgerli- cher bzw. nobilitierter Familien in ihre Kreise und in den von ihnen dominierten Rittergutsbesitz reagier- ten. Einige Zeichen sprechen aber für ein Bemühen, sich deutlich abzugrenzen, auch wenn normale Kon- takte sicher gepflegt wurden. Heiratsbeziehungen zwi- schen solchen Familien sind jedoch selten zu beobach- ten, und wenn es sie gab, dann sprachen nicht selten mit ihren Familiengeschichten dennoch eine ständi- finanzielle Gründe für diese Verbindungen. sche Herkunft und adlige Herrschaftstradition, durch Als bewußte Abgrenzungsbemühung von den neu- die man sich von den vermögenden, aber viel später adligen Geschlechtern sind wohl die ab Mitte des 19. nobilitierten Familien abgrenzen konnte. Jahrhunderts entstehenden gedruckten Chroniken Rückblickend muß spätestens seit den 1930er Jah- alter adliger Familien zu bewerten, mit denen diese ren von einer fortschreitenden Auflösung der mittel- ihre langen Herrschaftstraditionen einer breiten Öf- alterlichen Adelsgesellschaft im havelländischen Raum fentlichkeit darlegten.32 Zwischen 1872 und 1890 gesprochen werden, die mit der Katastrophe 1945 erschien beispielsweise die von Friedrich Ludwig Wil- endgültig festgeschrieben wurde. Dabei haben nicht helm Graf von Bredow auf Liepe (mit Unterstützung zuletzt Rittergutsbesitzer des Havellandes mit ver- des Archivrates George Adalbert von Mülverstedt) sucht, diese Katastrophe aufzuhalten, indem sie sich bearbeitete dreibändige Geschichte seines Geschlech- dem NS-Regime gegenüber distanziert verhielten (von tes. Andere Familiengeschichten folgten. Ribbeck zu Ribbeck) und sich teilweise sogar den Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches sah Widerstandsgruppen um Stauffenberg und Goerdeler sich ein großer Teil der traditionsreichen Geschlechter anschlossen. Die Teilnahme havelländischer Ritter- schließlich als Bewahrer der »alten Ordnung« und gutsbesitzer am Widerstand ist bislang nicht unter- organisierte sich in Parteien und Vereinigungen, die sucht. Bekannt ist, daß der Kreisauer Kreis mehrfach lange Zeit eine Rückkehr zur Monarchie befürworte- in Ernst von Borsigs Herrenhaus in Groß Behnitz tagte ten.33 In diese Zeit fällt auch die zweite Phase, in der und daß der General von Kluge auf Böhne (Abb. 14) viele Familiengeschichten herausgegeben wurden.34 nach einem geglückten Attentat auf Hitler die Maß- Damals griff die Entwurzelung alter Geschlechter auch nahmen der Putschisten in Frankreich hätte koordi- auf Gebiete über, die weiter von Berlin entfernt waren. nieren sollen. Er wurde nach dem 20. Juli 1944 zum Es war die Phase, in der Familien wie die von Bredow, Selbstmord genötigt. Hingerichtet wurde nach dem von Stechow, von Knoblauch, von der Hagen im gescheiterten Attentat der General von Hase, Stadt- westlichen Havelland bzw. von Katte im Elbe-Havel- kommandant von Berlin. Seine Schwester, eine ver- Winkel wegen wirtschaftlicher Krisenerscheinungen witwete Frau von der Hagen auf Rhinow, blieb an- umfangreichen Güterbesitz verloren. Mußte man sich scheinend von Repressalien weitgehend verschont und aufgrund veränderter ökonomischer Rahmenbedin- konnte als Opfer des Naziregimes nach 1945 in Rhinow gungen auch von einem Teil seines angestammten bleiben und sogar ihr Herrenhaus behalten. Des wei- Besitzes trennen, so dokumentierten die Geschlechter teren erhielt sie Bodenreformland. (S. 26, Abb. 15)

24 Udo Geiseler Herrenhäuser und ihre Besitzer 1945–1990 Angehörige dieser Geschlechter verkrafteten den Zu- sammenbruch jedoch nicht und setzten ihrem Leben Am 21. September 1944, acht Monate vor Ende des beim Einmarsch der Roten Armee selbst ein Ende. Ob Zweiten Weltkrieges, wandte sich die Parteikanzlei der mancher seinen Besitz vorher selbst anzündete, wie NSDAP mit einem Schreiben an alle Gauleiter, in dem beispielsweise im Falle von Wagenitz vermutet wird, ist es hieß: »Der Führer hat befohlen, daß, da der Kampf nicht nachzuweisen. Allerdings glückte nicht jede auf weiten Abschnitten auf deutschen Heimatboden Flucht. An der Elbe gelang es vielen Rittergutsbesitzer- übergegriffen hat und deutsche Städte und Dörfer familien nicht mehr, das Gebiet der Westalliierten zu zum Kampfgebiet werden, unsere Kampfführung fa- erreichen, so daß man den Rückweg antreten mußte. natisiert werden muß. [...] Die Härte des Kampfes Nur wenige von ihnen konnten vorübergehend in ihre kann dazu zwingen, nicht nur Besitztum zu opfern, alten Herrenhäuser zurückkehren. Die meisten zogen sondern es aus Kampfgründen zerstören zu müssen in andere Gutsgebäude (Verwalter-, Pächter- oder oder durch Kampf zu verlieren. Dieser Kampf um Sein Forsthäuser) oder wurden von Dorfbewohnern auf- oder Nichtsein des deutschen Volkes macht in seiner genommen (von Bredow zu Buchow-Karpzow). Im Härte auch nicht vor Kunstdenkmälern und sonstigen Zuge der Bodenreform hat man die Familien dann kulturellen Werten halt.«35 offiziell enteignet und die Gutsländereien aufgeteilt.36 Es ist bislang nicht untersucht worden, welche Die Altbesitzer wurden ausgewiesen oder sollten an Konsequenzen diese Richtlinie für die märkischen sogenannten »Sammelstellen« interniert werden. Da- Herrenhäuser hatte. Das nördliche Havelland war im bei hatten sich die westhavelländischen Gutsbesitzer- Frühjahr 1945 Hauptkampflinie. Warum beispiels- familien im Raum Perleberg (Prignitz), osthavellän- weise das berühmte Herrenhaus in Wagenitz in den dische Geschlechter im Kreis Beeskow-Storkow einzu- letzten Kriegstagen in Flammen aufging, konnte nie finden.37 Der Hintergrund dieser Bestimmungen ist geklärt werden. Die Zahl der Herrenhäuser, die durch unklar. Ob die Geschlechter in Gebiete umgesiedelt direkte Kriegseinwirkung zerstört wurden, ist auf dem werden sollten, in denen sich mit ihren Namen keine Gebiet des heutigen Landkreises mit fünf Objekten Besitz- und Herrschaftstraditionen verbanden, müs- relativ gering. Nicht beziffern läßt sich allerdings der sen weitere Untersuchungen klären. Fest steht jedoch, durch Plünderungen entstandene Verlust an Kunst- daß sich fast alle verbliebenen Geschlechter dieser und Kulturgütern, der sowohl von sowjetischen und Umsiedlung durch erneute Flucht nach West-Berlin polnischen Truppen oder von ehemaligen Zwangsar- oder in die westlichen Besatzungszonen entzogen. beitern als auch von Teilen der deutschen Bevölkerung Selbst Familien, die als Verfolgte des Naziregimes ausging (Ribbeck, Hohennauen II, Pessin, Görne, anerkannt waren, wie die von Ribbeck zu Ribbeck, Paretz). Dazu kam, daß man unmittelbar nach Kriegs- mußten das Havelland verlassen.38 Lediglich die er- ende pragmatisch dachte und handelte. Die aus den wähnte Eva von der Hagen und wenige, zumeist ältere Gebieten östlich der Oder nach Brandenburg ge- adlige Witwen wurden auch weiterhin im Havelland flüchteten und vertriebenen Menschen benötigten geduldet. alles zum Leben, und so wurde wertvolles Hausinven- Das Schicksal der Gutsanlagen und Herrenhäuser tar oft mehr als unsachgemäß verwendet (Rhinow). sollte mit dem Befehl Nr. 209 der Sowjetischen Militär- Der kalte Winter 1945/46 wird sein übriges getan administration (SMAD) vom 9. September 1947 (Ab- haben. Viel Mobiliar und auch ganze Gebäudeteile, rißbefehl) entschieden werden.39 Er beinhaltete die wie möglicherweise der Verandaanbau am damals Auflage, binnen kürzester Zeit neue Wohn- und Wirt- noch vorhandenen Herrenhaus in Möthlow, wurden schaftsgebäude für die im Zuge der Bodenreform verheizt. entstandenen Bauernwirtschaften anzulegen. Zur Ge- Die alten Familien hatten bis dahin ihre Güter zum winnung von Baumaterial sollten vor allem ehemalige größten Teil verlassen. Mehrere, vor allem betagte Herrenhäuser und Gutsgebäude abgebrochen werden.

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer 25 Die Abrisse hielten sich auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Havelland jedoch in Grenzen. Bis 1970 wurden lediglich zehn weitere Herrenhäuser (u.a. Fer- chesar, Briesen, Groß Behnitz, Zollchow) abgetragen, obwohl seitens der SMAD wiederholt eine Forcierung der Abbrüche befohlen wurde. Die Gründe für die Erhaltung der Herrenhäuser waren vielschichtig und vor allem vom Pragmatismus vor Ort bestimmt. So stellte man beispielsweise beim Abriß des Herren- hauses in Kotzen (Abb. 16) fest, daß die Ausbeute an verwertbarem Baumaterial äußerst gering war, da die Innenwände des Gebäudes aus Lehmfachwerk be- standen. Verwendbare Steine brachte nur der Abbruch der massiven Außenwände. Eine Erhaltung des Ge- bäudes hätte der Gemeinde weit mehr nutzbaren Raum für Wohnungen und soziale Zwecke gebracht. Überhaupt waren die Herrenhäuser um diese Zeit mit Flüchtlingsfamilien belegt, für die noch kein neuer Wohnraum zur Verfügung stand. Schon aus diesem Grund widersetzten sich vor allem Gemeindevertreter und Pfarrer dem Abrißbefehl. Dem Widerstand des Ortsbürgermeisters war es beispielsweise zu verdan- ken, daß das Herrenhaus in Senzke nicht abgetragen 15 Verleihung von Bodenreformland an Eva von der Hagen wurde und statt dessen als Schule verwendet werden (DStA Brandenburg) konnte. Aus Pessin, wo das alte Herrenhaus der Familie von Knoblauch abgerissen werden sollte, ist ein Brief des Bürgermeisters an das brandenburgische Innen- ministerium vom 15. Juli 1948 erhalten, in dem es heißt: »Das Haus ist ein Fachwerkbau aus dem 15. Jahrhundert (1412) und steht unter Denkmalschutz. Seit dem Zusammenbruch wird das Haus als Bürger- meisterei und für andere Zwecke, wie VdgB, Jugend- heim und Kindergarten genutzt. Da das Haus günstig in der Mitte des Dorfes liegt und nicht den Charakter 16 Kotzen, Herrenhaus, Hofseite, Foto nach 1900 eines Herrenhauses hat, ist es für oben genannten Zweck besonders geeignet. Das Gebäude hat eine Einzellage, so daß später nichts daran erinnern wird, daß es einst ein Gutshaus war.«40 Das Haus blieb erhalten. In ihm wurden später eine Kindertagesstätte, eine Arztpraxis, das Gemeindeamt und die Bibliothek sowie Wohnungen eingerichtet. Solche Nutzungen wurden auch vielen anderen Herrensitzen auf dem Land zuteil. In nicht weniger als 24 Herrenhäusern waren zumindest zeitweise Schulen

26 Udo Geiseler oder Kindertagesstätten untergebracht. In fast genau- sprach damit den vorherrschenden politischen Denk- so vielen Objekten hat man längerfristig Wohnraum mustern, in denen man sich nach 1945 bewegte. Die geschaffen. Außerdem saßen in diesen Häusern nicht Entkleidung vieler Herrenhäuser von schmückendem selten die Verwaltungen der landwirtschaftlichen Betrie- Beiwerk war oft eine Folge ihres verhinderten Abrisses. be oder die Gemeindeverwaltungen. Weitere Herren- Dieses ist auch an anderen havelländischen Herren- häuser im heutigen Landkreis wurden als Altenheime, häusern zu beobachten. In Senzke und Vietznitz (mög- Arbeiterwohnheime, Gaststätten, für Verkaufsstellen licherweise auch in Buschow) verschwanden die Turm- und als Kultureinrichtungen genutzt. Solche Verwen- aufbauten, in Liepe brach man die Zinnenbekrönung dungen haben in vielen Fällen den Bestand der Ge- über dem Eingang ab, und in Stechow wurde der ge- bäude gesichert. Völlig unverständlich ist allerdings samte Eingangsbereich zugemauert und verlegt. Die der Gebrauch des spätbarocken Herrenhauses in Schön- Liste der Beispiele ließe sich fortsetzen. Einen trauri- walde als Getreidesilo, der dem Gebäude nicht nur den gen Höhepunkt bildet dabei die »Metamorphose« des größten Teil seiner architektonischen Besonderheiten, spätbarocken Gebäudes in Buchow-Karpzow, das als sondern vor allem auch einen Teil seiner Würde nahm. Herrenhaus heute kaum noch erkennbar ist. (Abb. 17) Die vorgestellten Nutzungsarten brachten oftmals Die Methode, den herrschaftlichen Gebäuden ihr entstellende Umbauten mit sich. Aus heutiger Sicht historisches Antlitz zu nehmen, wurde auch auf die sind viele der aus fachlicher Unkenntnis, aus Mangel Gutsanlagen übertragen. Wirtschaftsgebäude ließ man an Baustoff oder auch aus Interesselosigkeit am Cha- verfallen, baute sie völlig um, verband sie mit anderen rakter des Gebäudes getroffenen baulichen Entschei- Gebäuden oder verfremdete sie auf andere Art und dungen nicht mehr nachzuvollziehen. Aber jede Ver- Weise. Auch in dieser Hinsicht verfuhr man in Buchow- änderung an der Bausubstanz hatte ihr konkretes Karpzow sehr konsequent, wo man durch das gewach- gesellschaftliches Umfeld, das betrachtet werden muß, sene Gutsareal eine Straße baute. Genauso entschieden wenn man die damaligen Entscheidungen bewerten handelte man in Zollchow, wo das Herrenhaus abge- will. rissen, das Witwenhaus völlig verändert, die Wirt- Die verzerrenden Umbauten hatten nicht zuletzt schaftsgebäude geteilt und die Wappentiere der Fami- ideologische Hintergründe. Ein wesentliches Argu- lie von Katte von der Gutseinfahrt entfernt wurden. ment des Pessiner Bürgermeisters gegen den Abriß Es wird deutlich, daß das Schicksal der Herrenhäu- seines Herrenhauses war der Umstand, daß man das ser häufig von den vor Ort handelnden Personen Gebäude nicht mehr als solches erkennen konnte. abhing. Wo sich stärkerer Widerstand regte, wie in Wohl aus diesem Grund ist das Anwesen gerettet Senzke oder Pessin, konnten Abrisse oder absolut worden. Mit dem Abschlagen des Knoblauchschen entstellende Umbauten eingeschränkt werden. Wappens am Fachwerkturm des Gebäudes verwischte Demgegenüber ist von Abrißbefürwortern auch man weitere Spuren der »Junkerherrschaft« und ent- versucht worden, mittels Sabotage vollendete Tat-

17 Buchow-Karpzow, Herren- haus, Straßenseite, Foto 2000

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer 27 sachen zu schaffen. In Vieritz hat man die Brandstifter flüchten sehen; der nach dem Feuer begonnene Abriß wurde später gestoppt. In Groß Behnitz ließ man das Herrenhaus nach einem Brand offensichtlich bewußt mit schadhaftem Dach stehen, damit Witterung und Vandalismus ungehindert wirken konnten, bis der Abriß nicht mehr zu vermeiden war. Völlig unbekannt sind die Gründe, die zum Abbruch des Herrenhauses in Briesen führten. Obwohl nach 1945 als erhaltens- wert eingestuft, wurde es in den 1950er Jahren plötz- lich abgerissen. Ob bauliche Gründe dafür den Aus- schlag gaben oder ideologische – durch seine Vergan- genheit als Sitz eines berühmten preußischen Generals 18 Hohennauen I, Herrenhaus, Innenhof, Foto 2000 aus dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 verkör- perte das Haus militärisch-preußische Traditionen –, anderen Regionen müssen klären, ob die hier regi- bleibt unklar. strierten Abrisse tatsächlich im Zusammenhang mit Betrachtet man Zeiträume, in denen Herrenhäuser den veränderten gesellschaftlichen Bedingungen in im heutigen Landkreis Havelland auffallend häufig der DDR standen.41 abgerissen wurden, fallen zwei Perioden besonders ins Gewicht: die Zeit vom Ende des Krieges bis etwa 1960 Havelländische Herrenhäuser seit 1990 – sowie später vor allem die 1970er Jahre. In letzterem eine Zwischenbilanz Fall verwundert es, daß ausgerechnet nach dem Sturz Walter Ulbrichts, zu dessen Zeit in Berlin und Pots- Im Jahr 2001, mehr als zehn Jahre nach der deutschen dam die Stadtschlösser gesprengt wurden, eine neue Einheit, bietet der Zustand der Herrenhäuser im Land- Abrißwelle auf dem Land einsetzte. Sie kann nur als kreis Havelland ein vielschichtiges Bild. Von den 47 Folge der auf dem VIII. SED-Parteitag 1971 verkün- erhaltenen Objekten stehen lediglich neun unter Denk- deten »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« malschutz. Zwei Objekte wurden seit 1990 abgerissen angesehen werden, die auch ein umfangreiches Woh- (Klein Behnitz nach einem Brand 1997, Wassersuppe nungsbauprogramm beinhaltete. Bei der Ausweisung 1999/2000). Unklare Eigentumsverhältnisse hatten des dafür benötigten Baugrundes war man in den vielfach zur Folge, daß die Nutzer der verbliebenen ländlichen Regionen bemüht, wertvolle landwirt- Gebäude auszogen und die Häuser teilweise schon schaftliche Nutzfläche zu schonen. Andere Bauflächen recht lange leer stehen. Dadurch entfielen notwendige wurden gesucht. Es boten sich die zunehmend leer- Erhaltungsmaßnahmen, so daß sich der Verfall man- stehenden, verfallenden Herrenhäuser und Gutshöfe cherorts beschleunigte (Ohnewitz, Schwanebeck, zum Abbruch an, um auf deren Fundamenten neue Möthlitz). Auch unsachgemäße Nutzungen oder halb- Wohngebäude zu errichten. Beobachtungen im Ha- herzige Sanierungsversuche führten zu weiterem Ver- velland scheinen dies zu bestätigen. In Rhinow ent- fall (Jerchel, Hohennauen I, Görne). (Abb. 18) standen nahe der abgerissenen Gutsbauten Platten- Die Versäumnisse aus den Jahren 1945–90 sind wohnblöcke. In Wolsier errichtete man Einfamilien- nicht in zehn Jahren, ja vielleicht nie mehr aufzuholen, häuser, zum Teil auf den Fundamenten des kurz zuvor schon gar nicht mit ausschließlich öffentlichen Mit- abgebrochenen Herrenhauses. In Großwudicke, Schön- teln. Allerdings sollte man die Häuser, die mittelfristig holz und Haage ist ähnliches zu beobachten. Diese nicht zu sanieren sind, zumindest vor Vandalismus Beispiele konzentrieren sich besonders im Gebiet des und Verunreinigung schützen bzw. ein Mindestmaß ehemaligen Kreises Rathenow. Untersuchungen in an konservatorischen Maßnahmen in Betracht ziehen.

28 Udo Geiseler Die Herrenhäuser sind ein Teil regionaler Kulturge- zu unterstützen und zu begleiten. Dabei sollten alle schichte, für die eine breite öffentliche Verantwortung Fördermittel ausgeschöpft sowie die verschiedensten besteht. Eigentums- und Nutzungsformen wohlwollend ge- Es gibt im Landkreis aber auch erfreuliche Bei- prüft werden. Die kommerzielle Nutzung eines sanier- spiele für eine »Renaissance« von Herrenhäusern. ten Hauses (Falkenrehde, Buschow, Hohennauen II) Schloß Paretz wurde unlängst durch das Land Bran- ist besser als ein leerstehendes verfallendes Gebäude. denburg denkmalgerecht rekonstruiert. Eine Künst- Auch die Rückkehr früherer Eigentümer bzw. ihrer lergruppe hat das Senzker Herrenhaus gepachtet, setzt Nachfolger sollte gefördert werden, wenn die Kon- es schonend instand und betreibt dort ein soziokul- zepte stimmen und die gesellschaftlichen Bedingun- turelles Künstlerzentrum. Vor allem aber gelingt es gen vor Ort es zulassen.42 In Lochow ist dies bereits zunehmend, privates Kapital zur Sanierung von Herren- geschehen. Werden die verschiedenen Bemühungen häusern zu mobilisieren. Auf diese Weise konnte das konsequent fortgesetzt, unterstützt und ausgebaut, bereits abgeschriebene Gebäude in Kleßen denkmal- dann sollte es möglich sein, weitere historische Bau- gerecht wiederhergestellt werden. (Abb. 19) Ähnliches substanz in den ländlichen Regionen des Landkreises geschieht derzeit in Schönwalde, Nennhausen, Hohen- zu erhalten. Die Bedeutung der Herrenhäuser als nauen I und Liepe. Auch für Görne und den Gutshof historische, kulturelle und damit auch touristische Groß Behnitz sind Lösungen in Sicht. Nicht vergessen Zentren wird weiter zunehmen. Nicht zuletzt können werden sollten auch weniger medienträchtige, jedoch in diesem Zusammenhang neue Arbeitsplätze ent- nicht minder engagierte Bemühungen alter und neuer stehen, von denen so viele im Zuge struktureller Ver- Nutzer, Herrenhäuser bzw. deren Reste in kleinen änderungen auf dem Land verlorengegangen sind und Schritten zu erhalten bzw. instand zu setzen (Lochow, weiter verloren gehen. Ein Grund mehr, sich auch in Wolsier, Bredow, Selbelang, Wansdorf). Es bleibt die Zukunft für ein bedeutendes Stück Kulturerbe zu Aufgabe öffentlicher Verwaltungen, private Initiativen engagieren.

19 Kleßen, Herrenhaus, Parkseite, Foto 2000

Havelländische Herrenhäuser, Rittergüter und ihre Besitzer 29 Anmerkungen Göse, F., Die Struktur des Kur- und Neumärkischen Adels im 1 Ich verweise an dieser Stelle auf den einleitenden Beitrag von Spiegel der Vasallentabellen des 18. Jahrhunderts, in: FBPG Peter-Michael Hahn in der neu bearbeiteten Herausgabe des (NF), 2.1992.1, S. 25-46, hier S. 44f. Ansichtenwerkes von Alexander Duncker. Die dort wiederge- 20 Martiny 1938, S. 29. gebenen Beobachtungen zur Adelsgeschichte in Brandenburg 21 Vgl. Harnisch, H.: Kapitalistische Agrarreformen und Indu- und der Niederlausitz sind zu einem erheblichen Teil in diese strielle Revolution, Weimar 1984, S. 268ff. Darlegung havelländischer Verhältnisse eingeflossen. Vgl. 22 Auch die Grafen von Königsmarck auf Plaue (ehemals Kreis Hahn, P.-M.: Neuzeitliche Adelskultur in der Provinz Bran- Havelland, heute Stadt Brandenburg a. d. Havel) verhinderten denburg, in: Hahn, Lorenz 2000, Bd. 1, S. 19–56. den Bau einer Eisenbahnstrecke über ihr Gutsland. 2 Herrmann, J.: Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle 23 Carsten 1988, S. 145. Groß-Berlins und des Bezirkes Potsdam, Berlin 1960, S. 160ff., 24 Seidel, D.: Die Brüder Schurig – bedeutende Landwirte des S. 194ff. Osthavellandes, in: RathHK 45.2001, S. 79–83. 3 Schultze 1940, S. 44ff. 25 Wille 1937, S. 60ff. 4 Für den Untersuchungsraum vgl. Mangelsdorf 1994. 26 Schmidt 1992, S. 47. 5 Vgl. BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 78 Kopiare, u.a. Nr. 61/1 u. 27 Escher, F.: Die ländliche Sozialstruktur des Havellandes unter 61/2 mit den sehr detaillierten Lehnbriefen von 1571. besonderer Berücksichtigung der slawischen Bevölkerung, in: 6 Zu den konjunkturellen Schwankungen in der Geschichte der Ribbe 1987, S. 311–340, hier S. 322. Agrarwirtschaft vgl. u.a. Abel 1962, Achilles 1991. 28 Ribbe, W.: Herkunft, Ausbildung und weitere Entwicklung 7 Hahn 1979, S. 107f. der Herrschaftsformen des Adels, in: Ribbe 1987, S. 247–267, 8 Schulze, H. K.: Die Besiedlung der Mark Brandenburg im hier S. 259. Hohen und Späten Mittelalter, in: JGMOD 28.1979, S. 45– 29 Vgl. dazu für die Prignitz: Enders 2000, S. 7. 178, hier S. 116ff., S. 136. 30 Vgl. dazu auch Ledebur, L. v.: Die in dem Zeitraum von 1740 9 Sehr anschaulich dargestellt bei Odebrecht 1843. bis 1840 erloschenen altadeligen Geschlechter der Mark Bran- 10 Die Separierung von Wohnbereichen verschiedener Guts- denburg, in: MF 2.1843, S. 374–388. inhaber aus einer Familie läßt sich vor allem auf den ehemals 31 Vgl. Göse 1995. bedeutenden, auch in der Frühneuzeit noch bewohnten Bur- 32 Einige solcher Familiengeschichten führen sogar den bezeich- gen beobachten. In Wolfshagen/Prignitz blieben die verschie- nenden Begriff »altadlige Familie« im Titel. denen Wohnbereiche der Herren Gans zu Putlitz nach einem 33 Vgl. Pomp, R.: Brandenburgischer Landadel und die Weima- vom Kammergericht vermittelten Vergleich durch eine Mauer rer Republik. Konflikte um Oppositionsstrategien und Eliten- getrennt, vgl. Enders 1999, S. 42. Auf der ehemaligen Burg konzepte, in: Adamy, Hübener 1996, S. 185–218. Golzow in der Zauche waren die Wohnsitze der Herren von 34 In den 1930er Jahren bemühte sich die Familie von der Hagen, Rochow Anfang des 17. Jahrhunderts durch einen Wasser- eine aufwendige Familiengeschichte zu erarbeiten, vgl. DStA graben separiert, vgl. Geiseler, U.: Von der Burg zum Schloß Brandenburg (Dep. Pfarrarchiv Rhinow) Rh 299/242. – Zur Geschichte eines märkischen Rittersitzes, in: 3./4. 35 Schumann, F. (Hg.): Zieh dich warm an. Soldatenpost und JberHVBrand (NF) 3/4.1995, S. 45–50, hier S. 47. Heimatbriefe aus zwei Weltkriegen, Berlin 1989, S. 278, Anm. 11 BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 78 I, Gen. Nr. 83. 36 Diese Problematik wurde aus unterschiedlicher Sichtweise 12 Vgl. Hahn, Lorenz 2000, Bd. 1, S. 36, Karte 3. zuletzt beleuchtet in: Fikentscher, R., Schmuhl, B., Breitenborn, 13 Geiseler 2000, S. 147ff.; für die Prignitz vgl. auch Enders K. (Hg.): Die Bodenreform in Sachsen-Anhalt. Durchfüh- 1999, S. 46. rung – Zeitzeugen – Folgen, Halle a. d. Saale 1999. 14 Für die Prignitz sehr detailliert bei Enders 1995, S. 1ff. 37 BLHA Potsdam, Ld. Br. Rep. 250 Ohvl, Nr. 970; Bredow 15 Schröer 1966, S. 82.; Bredow 1872–1890, Bd. 1, S. 281. 1984 (Anhang: Ausweisungsbescheid für Hasso von Bredow 16 Wille 1937, S. 32f. auf Buchow-Karpzow). 17 Specht 1908, S. 9ff. 38 Finker, K.: Eine adlige Familie in Umbruchzeiten. Das Schick- 18 Vgl. dazu diverse Gutsbeschreibungen in den erhaltenen Guts- sal der Familie von Ribbeck im Havelland (1933–1945), in: archiven im BLHA Potsdam, Pr. Br. Rep. 37, u.a. Gutsarchiv Adamy, Hübener 1996, S. 219–237. Hohennauen und Gutsarchiv Pessin-Buschow sowie Inventare, 39 Teilweise abgedruckt bei Maether 1999, S. 72. die in den Hypothekenbüchern havelländischer Güter enthal- 40 Maether, B.: Des Bürgermeisters rettender Brief. Pessiner ten sind (Pr. Br. Rep. 23 A, RHD, Nr. 316ff.). Kleinod aus Fachwerk, in: MAZ, 04.12.1992. 19 Martiny 1938, S. 19f.; Die Zusammenfassung des Ritterguts- 41 Ich danke Herrn Dr. Matthias Wagner, Potsdam, in diesem besitzes führte im 18. Jahrhundert zu einem spürbaren Rück- Zusammenhang für seine wertvollen Hinweise. gang der Zahl adliger Vasallen im Altkreis Havelland, vgl. 42 Zu dieser Problematik vgl. Feldmeyer 1997.

30 Udo Geiseler