Géza Pálffy: Eine Alte Regionalmacht Innerhalb Einer Neuen Monarchie: Das Königreich Ungarn Von Der Schlacht Bei Mohács (152
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Online-Handbuch zur Geschichte Südosteuropas Géza Pálffy Eine alte Regionalmacht innerhalb einer neuen Monarchie: Das Königreich Ungarn von der Schlacht bei Mohács (1526) bis zum Frieden von Karlowitz (1699) – eine Ereignisgeschichte aus Band 1: Herrschaft und Politik in Südosteuropa bis 1800 Inhaltsverzeichnis 1. Osmanische Expansion und Türkengefahr in Südost- und Ostmitteleuropa (bis zum Fall Ofens, 1541) 2. Die osmanischen Eroberungen in Ungarn (1541–1591) 3. Der erste moderne Krieg im Karpatenbecken (1591–1606) 4. Am Nebenkriegsschauplatz zweier Großmächte (1606–1660) 5. Neuer Türkenkrieg, Magnatenverschwörung, Kuruzzenaufstand (1660–1683) 6. Die Rückeroberung Ungarns von den Osmanen (1683–1699) Zitierempfehlung und Nutzungsbedingungen für diesen Artikel 2 Géza Pálffy Eine alte Regionalmacht innerhalb einer neuen Monarchie 1. Osmanische Expansion und Türkengefahr in Südost- und Ostmitteleuropa (bis zum Fall Ofens, 1541) Durch die Eroberungen der Osmanen auf dem Balkan veränderte sich die Landkarte von Südosteuropa im 14. und 15. Jahrhundert fundamental. Nach der Unterwerfung der bul- garischen Teilherrschaften und der lange Zeit von Skanderbeg gehaltenen albanischen Gebiete wurde der osmanische Staat mit der Einnahme Konstantinopels (1453), der Haupt- stadt des einst bedeutenden Byzantinischen Reichs, zu einer bedeutenden Regionalmacht. Mit der anschließenden Eroberung Serbiens (1459) und Zentralbosniens (1463) waren die Osmanen nur einen einzigen Schritt vom Status einer Weltmacht entfernt. Diesen tat Sul- tan Selim I. (1512–1520) mit der Eroberung eines beträchtlichen Teils der islamischen Welt des Nahen Ostens (1514: Iran; 1516: Syrien; 1517: Ägypten). Dank dieser Gebiets- zuwächse wandelte sich das Osmanische Reich Anfang des 16. Jahrhunderts von einer den Balkanraum und Kleinasien dominierenden südosteuropäischen Regionalmacht zu einem Weltreich und damit zu einem entscheidenden politischen Faktor in der europäischen Poli- tik. Ihr unvergleichlich großes stehendes Heer suchte in Europa wie auch in Asien seines- gleichen, es kontrollierte eines der wichtigsten Handelsrouten zwischen Ost und West, und dank des hier effektiven Systems der Steuereintreibung konnte der Fiskus Jahr für Jahr einen beachtlichen Überschuss erzielen. Selims Sohn, Sultan Süleyman I. (1520–1566) erbte 1520 ein prosperierendes und gefes- tigtes Reich, das bereits aufgrund seiner materiellen und natürlichen Ressourcen nicht allein einen immer größeren Einfluss auf die Geschicke Südosteuropas ausübte, sondern auch auf Ostmitteleuropa ausstrahlte. Die hier feststellbare geopolitische Stoßrichtung ist mit dem Umstand zu erklären, dass der ambitionierte junge Herrscher und seine politisch-militäri- sche Elite ganz besonders dahingehend wirkten, die Macht des Königreichs Ungarn zu bre- chen, des einzigen verbliebenen bedeutenden Konkurrenten um die Vorherrschaft in der Region. Ein wesentlicher Schritt in diese Richtung bestand in dem Versuch, das sich in unga- rischen Händen befindliche Belgrad/Beograd/Nándorfehérvár – im zeitgenössischen deut- schen Sprachgebrauch auch Griechisch Weißenburg genannt – einzunehmen.1 Dazu schie- nen die Machtverhältnisse aus der Sicht der Osmanen besonders günstig zu sein; denn, wie aus Tabelle 1 hervorgeht, konnte sich der seit 1102 als Union bestehende ungarisch-kroa- 1 Zur Neuinterpretierung der osmanischen Eroberungsstrategien gegen Ungarn: Pál Fodor, Otto- man Policy Towards Hungary, 1520–1541, in: ders., In Quest of the Golden Apple. Imperial Ideology, Politics, and Military Administration in the Ottoman Empire. Istanbul 2000, 105– 169 und István Zombori (Hg.), Fight against the Turk in Central-Europe in the First Half of the 16th Century. Budapest 2004. Eine andere und viel kritisierte Konzeption des Aktionsradius der Osmanen in Europa bietet Géza Perjés, The Fall of the Medieval Kingdom of Hungary: Mohács 1526–Buda 1541. = Boulder/Co., Highland Lakes/NJ 1989 (East European Monographs, 255). 3 Géza Pálffy Eine alte Regionalmacht innerhalb einer neuen Monarchie tische Staatenbund,2 weder hinsichtlich der Gebietsgröße, der Bevölkerungszahl, der Ein- künfte noch der Heeresstärke ernsthaft mit dem Osmanischen Reich messen. Dessen Staats- gebiet war um ein fünffaches größer, die Bevölkerungszahl viermal so hoch, es war dem Königreich gegenüber wirtschaftlich weit überlegen und im Gegensatz zu diesem verfügte es über ein straff organisiertes und gedrilltes stehendes Heer; dabei galt der ungarisch-kroa- tische Staat in Mitteleuropa weiterhin als ein bedeutender politischer Faktor, der die öster- reichischen Erblande oder die Länder der böhmischen Krone gebiets- und bevölkerungsmä- ßig deutlich übertraf. Hinzu kam, dass die ungarischen und böhmischen Gebiete zu dieser Zeit durch die Person von Wladislaw II. (1490–1516) und später durch Ludwig II. (1516– 1526) in Personalunion verbunden waren, was ihre Position stärkte. Tabelle 1: Das Osmanische Reich und das Königreich Ungarn-Kroatien um 1520 im Vergleich3 Osmanisches Reich Königreich Ungarn-Kroatien 2 Gebiet in km 1 500 000 320 000 Bevölkerungszahl 12–13 000 000 3 300 000 Jährliche Staatseinkünfte 4–5 000 000 250–260 000 in goldenen Gulden Armeestärke 100–120 000 30–40 000 Ab 1521 wuchs die sog. „Türkengefahr“ – ein zeitgenössischer Begriff, der die Bedrohungssitu- ation vermittelt – im Karpatenbecken bedrohlich an. In diesem Jahr eroberte das Osmanische Reich Belgrad, Semlin/Zemun/Zimony, Sabatsch/Šabac und den südöstlichen Teil von Syr- mien, wodurch das Königreich Ungarn eine strategisch überaus wichtige Region ihres Territo- riums verlor, was ihr südliches Grenzverteidigungssystem entscheidend schwächte. Der spät- mittelalterliche ungarische Staat war dadurch größter Gefahr ausgesetzt, denn zwischen Belgrad und Ofen/Buda lagen wenig größere Festungen, die die Osmanen hätten aufhalten können.4 2 Neueste Forschungsresultate zu den ungarisch-kroatischen Beziehungen finden sich bei Milan Kruhek (Hg.), Hrvatsko-mađarski odnosi 1102.–1918. Zbornik radova [Kroatisch-ungarische Beziehungen, 1102–1918. Studiensammlung]. Zagreb 2004 (Biblioteka Hrvatska povjesnica; Posebna izdanja). 3 Géza Pálffy, The Kingdom of Hungary and the Habsburg Monarchy in the Sixteenth Century. Boulder/Co., Wayne/N.J., New York 2009 (East European Monographs, 735; CHSP Hunga- rian Studies Series, 18), 25 (Tab. 2). 4 Siehe zu den bedeutenden Auswirkungen des Falls von Belgrad Ferenc Szakály, Nándorfehérvár, 1521: The Beginning of the End of the Medieval Hungarian Kingdomn, in: GézaDávid / Pál Fodor (Hgg.), Ottomans, Hungarians, and Habsburgs in Central Europe. The Military Con- fines in the Era of the Ottoman Conquest. Leiden, Boston, Köln 2000 (The Ottoman Empire and its Heritage, Politics, Society and Economy, 20), 44–76. 4 Géza Pálffy Eine alte Regionalmacht innerhalb einer neuen Monarchie Wie groß die Türkengefahr damals eingeschätzt wurde verdeutlicht die Unterstützung durch den in Wien residierenden österreichischen Erzherzog Ferdinand von Habsburg, die er seinem Verwandten, König Ludwig II., angedeihen ließ. Er unterstützte ihn nämlich fortan regelmä- ßig mit Truppen zur Verteidigung der kroatischen und slawonischen Gebiete, die dadurch ebenso seine österreichischen Länder (vor allem Krain, Steiermark und Kärnten) schützten.5 Doch trotz aller Verteidigungsanstrengungen durch die ungarische Kriegsführung nahmen die Osmanen in den nächsten Jahren zahlreiche Grenzfestungen ein (1522: Orschowa/Orşova, Knin, Skradin; 1524: Severin/Szörény(vár) und bereiteten damit ihren nächsten großen Angriff gegen Ungarn vor. Nach der Einnahme von Belgrad 1521 arbeitete nämlich die osmanische Kriegsführung eindeutig darauf hin, einen möglichst signifikanten Teil des Königreichs Ungarn zu erobern und in erster Linie die königliche Residenz- und Hauptstadt, Ofen, einzunehmen. Zur Verwirklichung dieses Zieles wandten die Osmanen auch gegenüber Ungarn die Stra- tegie der stufenweisen Eroberung an, die sich in Kleinasien und auf dem Balkan zumeist bewährt hatte. Nachdem bis Mitte der 1460er Jahre jene „Pufferstaaten“ besetzt werden konnten, die Ungarn schützend umgaben – Bulgarien, Serbien und Bosnien –, schwäch- ten die Osmanen das ungarisch-kroatische Grenzverteidigungssystem bis 1521 mit perma- nenten Streifzügen und rieben es letztendlich auf.6 Obwohl Sultan Süleyman 1526 in erster Linie aufgrund der krisenhaften innenpolitischen Situation im Reichsinnern – zu nen- nen wäre vor allem der Janitscharenaufstand in Istanbul – und von Seiten seiner größten- teils vom Balkan stammenden politischen Elite zu einem Krieg auf dem europäischen Fest- land gedrängt wurde, fügte er der Streitkraft des Königreichs Ungarn in der Schlacht bei Mohács binnen weniger Stunden eine entscheidende und zugleich vernichtende Niederlage zu. In Anbetracht des enormen Unterschieds der Kräfteverhältnisse (75 000–80 000 osma- nische gegen 25 000–26 000 christliche Soldaten) war der osmanische Sieg vom 29. August 1526 fast unvermeidlich, obwohl das Heer von König Ludwig II. eines der truppenstärks- ten war, das von einem europäischen christlichen Herrscher des späten Mittelalters mobili- siert werden konnte.7 Die Niederlage bei Mohács veränderte das Schicksal Ungarns und Mitteleuropas für Jahr- hunderte. Einerseits endete damit die territoriale Einheit des spätmittelalterlichen mit Kro- atien vereinigten Ungarn, dieses traditionsreichen europäischen und über die Region hin- 5 Vgl. Géza Pálffy, The Origins and Development of the Border Defence System against the Ottoman Empire in Hungary (Up to the Early Eighteenth Century), in: ebenda,