09 Manca.Indd

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09 Manca.Indd ADMINISTORY ZEITSCHRIFT FÜR VERWALTUNGSGESCHICHTE BAND 2, 2017 SEITE 185–206 DOI:10.2478/ADHI-2018-0021 Die Verwaltungsgliederung Preußens zwischen historisch-ständischen, administrativ-staatlichen und liberal- politischen Interessen (1815–1867) ANNA GIANNA MANCA Einleitung Die Verwaltungsgliederung Preußens, insbesondere das Kaum verfügbar sind Arbeiten, welche die Gesichtspunk- Thema der Verwaltungsbezirke, erfreut sich im Moment te thematisieren, die bei der Einführung beziehungswei- keiner besonderen verwaltungshistorischen Aufmerk- se Neubegrenzung sowie bei der Infragestellung oder samkeit. Und wer sich anschickt, einen Blick auf die His- Abschaffung von Verwaltungsbezirken im 19. Jahrhun- toriographie zum preußischen Staat zu werfen, muss zur dert entscheidend waren. Erst auf diesem Weg wäre es Kenntnis nehmen, dass der Forschungsstand kein besse- möglich, die in der Einleitung dieses Bandes aufgeworfe- rer ist als für die übrigen ehemaligen Staaten des Deut- ne Frage zu beantworten, wozu bestimmte Räume kon- schen Bundes (1815–1866). stituiert beziehungsweise beibehalten wurden,4 und zu Es werden zwar nach wie vor Studien veröffentlicht, erkennen, dass mit der Einrichtung eines neuen Staatsge- die den einen oder anderen preußischen Verwaltungs- bildes beziehungsweise dessen Reform fast immer auch bezirk zum Gegenstand haben. Dabei setzen sich die neue Verwaltungsbezirke mit der Rechtfertigung gebildet Verfasser vorwiegend mit der Geschichte territorialer werden, dass neuere, ›passendere‹ Verwaltungsbezirke Grenzen oder hervorragender Beamten auseinander. Sel- als staatliche Integrationsfaktoren unerlässlich seien. Da tener, aber anspruchsvoller ist der Versuch, die historisch der Staat, wie die Einleitung besagt, »nicht nur in Räumen bedingte Veränderung des Zuständigkeitsbereichs der je- existiert« und »Räume konstituiert und nutzt«, sondern weiligen führenden Bezirksbehörde (Oberpräsident, Re- selbst Raum ist,5 äußert sich Staatspolitik gewöhnlich gierungspräsident, Landrat) darzustellen.1 Hingegen feh- zunächst als Raumgestaltungs- und Raumhandhabungs- len neuere gesamtstaatlich angelegte Forschungsstudien,2 gewalt. In diesem Zusammenhang ist besonders das Ein- insbesondere solche, die für die Ebene eines bestimmten richten von Verwaltungsbezirken nichts anderes als eine Verwaltungsbezirks die ganze preußische Monarchie be- politische Tätigkeit, welche die Vorarbeit für die Etablie- rücksichtigen und sich bemühen, über die zahlreichen rung einer ›neuen‹ Verwaltung leisten soll. Besonderheiten eines einzelnen Bezirks hinauszugehen Die am Anfang des 19. Jahrhunderts von Grund auf neu und die Gemeinsamkeiten hervorzuheben.3 eingerichteten Provinzialverwaltungsbezirke in Preußen © 2017 Anna Gianna Manca. Published by Sciendo. This work is licensed under the Creative Commons Attribution 4.0 license (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/). AD INISTORY 2/2017 sollten primär zur »Integration räumlicher Einheiten« und der verfassungsgeschichtlichen Forschung in eine beitragen; nach dem Wiener Kongress sollten nämlich fruchtbare Wechselbeziehung zu bringen, sondern auch alte und neugewonnene Gebiete, wie die rheinischen und das Verständnis der verfassungsgeschichtlichen und der sächsischen, den Weg zu einem ruhigen Miteinander historisch-politischen Gründe erleichtern, auf welche die finden. Die Einführung der Provinzen sollte aber im da- unumstrittenen Besonderheiten der inneren und äußeren maligen Preußen gleichzeitig die Herstellung einer »Ver- Organisation des preußischen Verwaltungsstaats – vor bindung von Orten, Dingen und Menschen«6 der alten allem die Vierstufigkeit der inneren Verwaltung unter Gesellschaft (selbstständige Gutsbezirke, Feudal- und stän- dem Innenminister – zurückzuführen sind. dische Rechte, ständische Kommunallandtage et cetera) Mein Aufsatz, der die Frage der Verwaltungsbezirke mit den entsprechenden des nachnapoleonischen Zeit- in einer neuen gesamtstaatlichen Perspektive behandelt, alters ermöglichen; sie sollte es erleichtern, den Ballast hebt vor allem die zentrale politische Rolle hervor, die der Reste der altständischen Gesellschaft in den sich ab- innerhalb des staatlichen Raums und der verwaltenden zeichnenden neuständischen Staat mitzuschleppen.7 Die Tätigkeit von den Provinzialverwaltungsbezirken und Einbindung von Menschen, Dingen und Orten der alten ihren Hauptbehörden eingenommen wurde. Auf dieser priviligierten Gesellschaft war nämlich die Bedingung Basis ist es möglich, den revolutionären Versuch ihrer der Anerkennung der »legitimen Existenz« des neu einzu- Abschaffung durch den liberal-demokratischen Flügel der richtenden preußischen Staates »as a significant factor in Verfassungskommission der preußischen Nationalver- political and social life«;8 die alte Gesellschaft war kon- sammlung angemessen zu würdigen, wie es von der bis- kret zu verankern im neuen Staatsgebäude, in der Neu- herigen, insbesondere verwaltungsgeschichtlichen Histo- einteilung des Staatsraums. riographie noch nicht getan worden ist. Zuerst werde ich Die Überzeugung, dass die 1815 unternommene Neu- auf die Ursprünge der um die Mitte des 19. Jahrhunderts begrenzung von Provinzialverwaltungsräumen bezie- bestehenden Territorialeinteilung Preußens eingehen und hungsweise -bezirken von Anfang an im Interesse der dabei den historischen Rahmen vergegenwärtigen, der ständisch privilegierten Gesellschaftsschichten erfolgt den preußischen Verwaltungsbezirken jene Ausprägung war, wagten die preußischen Minister und ihre höheren verlieh, die für das lange 19. Jahrhundert und teils bis Beamten erst 1848 auszusprechen, als sie sich entschlos- 1945 maßgebend geblieben ist. Dann stelle ich die Ein- sen, gegen die Provinzialverwaltungsbezirke Stellung zu führung einer Staatseinteilung nach Provinzen vor. Sie beziehen. Der Eindruck, dass auch im Preußen des be- führte zur Organisation der inneren Verwaltung in vier ginnenden 19. Jahrhunderts die Wende zu einem ›mo- Instanzen unter dem Minister (Provinzen, Regierungsbe- derneren‹ Verwaltungsstaat nur unter der Bedingung der zirke, Kreise, Gemeinden). Nur während der Revolution »Entgrenzung von öffentliche[n] und private[n]« Interes- von 1848 konnte sie nochmals debattiert und in Frage ge- sen gelingen konnte,9 ist nicht von der Hand zu weisen. stellt werden. An den dritten Abschnitt des Beitrags wer- Eine reine, nur ›öffentliche‹ Verwaltung hat es übrigens den sich einige allgemeine Bemerkungen anschließen. im 19. Jahrhundert lange, wenigstens bis in die 1870er Jahre, nicht gegeben. Für das Ausbleiben einer gesamtpreußischen Behand- Die moderne Provinzialeinteilung lung des Themas Verwaltungsbezirke wären sowohl his- des preußischen Staates torische als auch historiographische Gründe anzugeben. Jedenfalls ist es kein Zufall, wenn die Aufforderung, das Der preußische Staat, der nach der Niederlage Napoleons Forschungsdefizit zu überwinden, vom Ausland kommt. fast das gesamte Gebiet zurückbekam, das er mit dem Til- Dieses kann von der Gewinnung einer gesamtstaatlichen siter Frieden von Juli 1807 an die Franzosen verloren hat- Perspektive für einen europäischen verwaltungsgeschicht- te, darunter die am linken Rheinufer gelegenen Gebiete, lichen Vergleich profi tieren. Die Neu- beziehungsweise war aus unterschiedlichen Territorien zusammengesetzt; einige waren sogar politisch unabhängig gewesen.10 In Wieder eröffnung einer gesamtpreußischen Forschungs- Anna Gianna Manca — Die Verwaltungsgliederung Preußens Anna Gianna Manca — Die Verwaltungsgliederung perspektive würde es nämlich nicht nur ermöglichen, dieser Situation versprach eine neue Einteilung des preu- 186 die Ergebnisse jeweils der verwaltungsgeschichtlichen ßischen Territoriums zu jener politischen Integration der AD INISTORY 2/2017 Monarchie beizutragen,11 die eine schriftliche Verfassung Bollwerke, die Provinzen, beseitigt wissen wollte. In sei- und eine vom Volk gewählte Nationalvertretung hätten nem Gesamtplan von 1810/1811 konnte man sogar lesen, vervollständigen sollen.12 dass »die Absonderung nach Provinzen dem National- Während in Preußen noch eine deprimierte Nach- charakter des Volkes geschadet habe«; sie sei eine Quelle kriegszeitstimmung herrschte, wurde am 30. April 1815 von Separationsinteressen gewesen, man habe immer nur die Verordnung »wegen verbesserter Einrichtung der an die Provinz gedacht und darüber den Staat vergessen. Provinzial-Behörden« erlassen.13 Sie sah für das Gebiet Deshalb sollte die ganze bisherige Provinzialverfassung der Monarchie jene Aufteilung in Provinzen, Regierungs- für aufgehoben erklärt werden mit Einschluss der dar- bezirke und Kreise vor, die bis 1945 Bestand haben soll- auf gegründeten Kommunalverhältnisse in Ansehung der te.14 Dieser in der Form einer Kabinettsorder erlassenen landschaftlichen Kreditsysteme, der Feuerassekuranz- Verordnung folgte am 3. Juli eine »Instruktion, die Aus- sozietäten und des Provinzialkriegsschuldenwesens. Als führung der Verordnung vom 30. April 1815 wegen verbes- Hauptgesichtspunkt bei der Einteilung sollte zuerst die serter Einrichtung der Provinzialbehörden betreffend«. geographische Lage in Betracht kommen, um möglichst Vom damaligen Staatskanzler, Finanz- und Innenminister arrondierte Verwaltungssprengel zu erhalten. Die Auf- Hardenberg erlassen,15 wurde diese an jeden der 25 den teilung nach Provinzen und die daraus entsprungene künftigen Regierungsbezirken vorangestellten ›Organi- Provinzialverfassung sollten abgeschafft werden und an sations-Commissare‹ adressiert, welche die Reform um- ihre Stelle durchwegs gleiche Verwaltungsgrundsätze
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