Dr. Richard David Precht Bestsellerautor Im Gespräch Mit Jochen Kölsch

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Dr. Richard David Precht Bestsellerautor Im Gespräch Mit Jochen Kölsch BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 09.11.2009, 20.15 Uhr Dr. Richard David Precht Bestsellerautor im Gespräch mit Jochen Kölsch Kölsch: Zu unserer Sendung alpha-Forum begrüße ich Sie sehr herzlich, meine Damen und Herren. Wie fühlt man sich, wenn man einen Bestseller geschrieben hat, wenn viele Hunderttausend Exemplare des eigenen Buchs von noch mehr Lesern studiert werden und die einsamen Gedanken, die man sich als Autor gemacht hat, auf einmal die große, die ganz große Öffentlichkeit finden? Zu Gast bei alpha-Forum ist heute der Erfolgsautor Richard David Precht, Schriftsteller, Publizist, Essayist. Wie geht es Ihnen jetzt mit diesem wirklich überwältigenden Erfolg, den Sie in den letzten Jahren erzielt haben? Precht: Das ist natürlich nicht leicht in wenigen Sätzen zu sagen. Mein Leben hat sich durchaus verändert z. B. dadurch, dass sehr viele Veranstaltungen hinzugekommen sind, dass sehr viele Medientermine hinzugekommen sind usw. Aber ich glaube, dass das mit mir selbst nicht so viel gemacht hat. Das war ja bereits mein sechstes Buch und ich kannte die Höhen und Tiefen des Literaturbetriebs bereits vorher schon recht gut. Natürlich rechnet man nicht damit, ein so erfolgreiches Buch zu schreiben. Das kommt einem schon immer noch so ein bisschen wie geträumt oder auch unrealistisch vor. Nachdem das Buch so erfolgreich war und in die Bestsellerlisten aufstieg, war es über mehrere Wochen hinweg nicht lieferbar. Da hätte man sich auch durchaus vorstellen können, man hätte das Ganze nur geträumt, weil man dieses Buch in den Buchhandlungen ja gar nicht zu sehen bekam. Kölsch: Geisteswissenschaftler, und Sie sind ja ein solcher, machen eher selten Karriere, sondern fahren manchmal – das ist fast schon ein Stereotyp geworden – auch Taxi. Was war denn in Ihrem Leben der entscheidende Wendepunkt, sodass sich das gedreht hat? Sie müssen diesen Erfolg ja auch gewollt haben, denn Sie sind ja nicht irgendwie ein einsamer Autor, dem es egal ist, ob er gelesen wird. Precht: Ich glaube, es gibt nur wenige Autoren, denen es völlig egal ist, ob sie gelesen werden oder nicht. Aber ich hatte, da ich ja davor bereits mehrere Bücher mit wechselhaftem Erfolg geschrieben hatte, eine Grundlage, von der ich leben konnte. Das heißt, die Gefahr, mir mein Geld als Taxifahrer verdienen zu müssen, bestand nur am Ende meiner Universitätszeit. Aber ich habe nicht einmal einen Führerschein bzw. ich habe einen, kann aber nicht Auto fahren. Von daher wäre Taxi fahren eh nicht wirklich eine Alternative gewesen. Ich habe vom Schreiben meiner Bücher und von journalistischer Arbeit immer ganz ordentlich leben können, und zwar auch schon vor diesem Buch. Insofern hat mich das Buch jetzt nicht aus einer Existenzkrise gerettet, wie man sich das bei Geisteswissenschaftlern ansonsten vielleicht vorstellen könnte. Es war auch so, dass der Verlag selbst bereits eine gewisse Erwartung hatte, dass sich das Buch ganz gut verkaufen würde, weswegen er auch entsprechend in Vorleistung gegangen ist. Trotzdem wäre dieser Erfolg nicht denkbar gewesen, wenn sich nicht Elke Heidenreich so stark für mein Buch eingesetzt hätte. Das Buch hat sich von September 2007, als es erschienen ist, bis zur Sendung von Elke Heidenreich etwa 10000 Mal verkauft. Das ist für ein philosophisches Sachbuch bzw. Einführungsbuch bereits eine beachtliche Zahl. Aber das ist noch weit, weit entfernt davon, ein Bestseller zu sein. Kölsch: Das heißt, Ihr Buch verkaufte sich ein halbes Jahr lang ganz normal gut. Precht: Es war jedenfalls überhaupt kein bestsellerverdächtiger Verkauf. Durch Elke Heidenreich ist mein Buch dann aber in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Von da an setzte die Mundpropaganda ein, die natürlich durch zahlreiche Auftritte von mir im Fernsehen auch noch verstärkt wurde. Und irgendwann wurde das zu einem Selbstläufer. Kölsch: Nach meiner Einschätzung hatten Sie es aber doch von Anfang an darauf angelegt, ein breites Publikum zu erreichen mit Ihrem Buch "Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?". Eigentlich ist das ein sehr origineller, aber gleichzeitig auch schon wieder fast abschreckender Titel. Das Strickmuster, das Sie in diesem Buch verwenden, ist eine Mischung aus Zugänglichkeit und Tiefe und gibt dem Leser sehr viel. Precht: Die ursprüngliche Idee dieses Buchs war nicht, einen Bestseller zu schreiben, sondern ein Buch zu schreiben für meine Stiefkinder. Das stand wirklich am Anfang dieses Buchs. Es sollte also ursprünglich ein philosophisches Einführungsbuch für Jugendliche sein. Ich habe vor zweieinhalb Jahren geheiratet und schon vor vier Jahren kam ich in den Genuss, drei Stiefkinder zu bekommen, die sich unter meiner beruflichen Tätigkeit nicht wirklich etwas vorstellen konnten. Wir hatten dann relativ viele schöne Gespräche zusammen am Sonntagmorgen beim Frühstück oder abends beim Essengehen, wo ich ihnen auch durchaus mal auf der Papiertischdecke eines Restaurants den dialektischen Materialismus erklärte. Dabei konnte ich feststellen, dass das zumindest zeitweilig und bei einigen von ihnen gut funktionierte. Das heißt, sie haben sich das angehört und fanden ganz interessant, was ich gesagt habe. Ich dachte mir dann, dass man die Fähigkeit, einen komplizierten Sachverhalt so erklären zu können, dass Jugendliche ihn spannend finden, tatsächlich umsetzen und so ein Einführungsbuch schreiben sollte. Nachdem ich die ersten Kapitel geschrieben hatte, meinte der Verlag, das sei wunderbar – aber nicht nur für Jugendliche interessant. Und dann habe ich das ausgeweitet als Einführungsbuch für ein erwachsenes Publikum. Gleichzeitig habe ich dabei die Gunst der Stunde genutzt und meine eigenen Gedanken zu all diesen Themen, die ich mir ja schon viele Jahre vorher gemacht hatte, einfach mal zu ordnen und aufzuräumen. So sieht also die Ursprungsgeschichte dieses Buchs aus. Kölsch: Sie haben das sehr leserfreundlich gemacht: Im Grunde genommen ist jedes Kapitel ungefähr zehn Seiten lang und besteht aus einer bestimmten Mischung. Sie stellen das Thema vor und stellen dazu eine Frage, die letztlich jeden irgendwo angeht. Dann kommen Sie auf ein oder zwei spannende Figuren aus der Wissenschaftsgeschichte, aus der Philosophie, aus der Geistesgeschichte zu sprechen, die sich genau damit beschäftigt haben. Man lernt also diese Personen kennen und lernt dabei auch etwas über das jeweilige Thema. Und zuletzt gibt es auch noch praktische bzw. anekdotische und nachvollziehbare Anwendungsbeispiele für den Leser. Ganz am Ende eines Kapitels gibt es wie bei jeder guten Fernsehserie auch einen sogenannten Cliffhanger, der eine gespannte Erwartung auf das nächste Kapitel erzeugt. Das ist dramaturgisch, handwerklich ungeheuer präzise gebaut. Precht: Ich habe und hatte eigentlich schon immer ein starkes pädagogisches Ethos. Natürlich möchte ich, dass der Leser diese Gedanken in der schönstmöglichen Form präsentiert bekommt und Lust hat, das Buch zu lesen. Es gibt ja kein größeres Kompliment – ob man nun Romane schreibt oder Sachbücher –, als wenn einem die Leute sagen: "Ich habe Ihr Buch gerne gelesen." Wenn sie also nicht nur sagen, sie haben daraus etwas gelernt, sondern dass sie gerne etwas daraus gelernt haben. Wir wissen heute über die Psychologie relativ gut, was einen anspricht und was einen nicht anspricht. Wir alle wissen auch ohne wissenschaftlichen Background, dass das reine Ausbreiten von Theorien irgendwann langweilt oder ermüdet. Das heißt, man muss dann zwischendurch Ruhebänke einbauen, bei denen der Leser das Gefühl hat, er könnte sich da neben einen Philosophen setzen und ihn als Menschen ein wenig kennenlernen. Über das Kennenlernen eines Menschen interessiert man sich dann auch für dessen Theorie. Das ist ja auch im Alltagsleben so. Es kommt nur relativ selten vor, dass man sich für irgendeine Theorie an sich interessiert. Stattdessen interessiert man sich zuerst für eine Person und dann erst für das, was diese Person zu sagen hat. Das kommt wirklich häufig genug vor. Genau dieses Prinzip habe ich jedenfalls in meinem Buch umgesetzt. Im Grunde genommen ist das also eine Art von psychologischer Alltagserfahrung, die ich da verarbeitet habe. Das hat aber nichts mit einem kalkulierten Bestseller zu tun, denn ohne Elke Heidenreich wäre das Buch kein Bestseller geworden. Es war auch nicht so, dass ich am Schreibtisch gesessen und mir gedacht hätte: "Mit diesen schönen Tricks, die ich da benutze, schreibe ich einen Bestseller!" Davon war ich wirklich weit entfernt. Nein, ich wollte einfach nur dem Leser Lust machen, dieses Buch zu lesen und dann auch dabei zu bleiben. Kölsch: Ich hatte das auch gar nicht in einem negativen Sinne verstanden, denn ich meine, das ist einfach Handwerk, und zwar gutes Handwerk – so wie ja auch Fernsehserien manchmal gutes Handwerk sind. Sie gehen in Ihrem Buch von der Grundfrage aus: "Wer bin ich?" Diese Frage betrifft ja letztlich jeden Menschen. Und dann schlüsseln Sie nacheinander auf: Was ist Wahrheit, was ist Sprache, was ist Gedächtnis, ob wir andere Menschen brauchen, ob das Leben einen Sinn hat und ob es Gott gibt. Es ist absolut verständlich, wenn Sie sagen, dass Sie Ihren Stiefkindern und überhaupt Jugendlichen diese Grundfragen etwas näher bringen wollen, und zwar so, dass sie das erstens gerne lesen und zweitens auch noch verstehen. Dafür muss es aber, meine ich, irgendwo einen biografischen Hintergrund geben: Wie kommt man auf so etwas? Sie haben Philosophie und Germanistik und dergleichen studiert und lebten dann in dieser universitären Welt, die Sie aber nicht so ganz zufrieden gestellt hat, wenn ich
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