. H. WESSEL Entwürfe für das deutsche Weltmeisterschaftsaufgebot 1954*, Fußball-Lehrer Herberger (1949): „Werner kein Verteidiger!

Fußball „ . . . Lichterloh!!!“ SPIEGEL-Reporter Hans-Joachim Noack über den Mythos und das legendäre Notizbuch

n den Wochen des April 1954, die er Zu den letzten Geheimnissen als ziemlich quälend im Gedächtnis Ibehält, schläft der Trainer schlecht. des Fußballs zählte bisher das Notizbuch „des Chefs“, des langjährigen Trainers „Brennende Fragen“ lasten ihm auf der der Fußball-Nationalmannschaft, Sepp Herberger. Keiner hat es je länger in der Seele – das „Problem Alfredo“ etwa, an Hand gehalten, nur für eine ZDF-Fernsehserie blätterte der Pensionär Herberger dem er lange herumdoktert, um sich 1967 kurz in ausgewählten Seiten. Selbst Lieblingsschüler , der eng- endlich „den Tatsachen zu beugen“. ste Vertraute des „Chefs“, beteuert, er habe es „nie gesehen – aber ich bin mir si- Der Fußball-Lehrer erkennt, daß es cher, daß es existiert hat“. Die Aufzeichnungen wollte Herberger, der durch den keineswegs „allein die Spielkunst“ ist, WM-Sieg von 1954 zum „Fußball-Weisen“ verklärt wurde, in seine Memoiren ein- die den Sieg erzwingt, und er handelt arbeiten. Er stellte sie nie fertig: In seiner Schreibwut hatte er, wie erst jetzt entsprechend. Statt den Frankfurter Fi- sichtbar wurde, über 300 Aktenordner gefüllt. Nach seinem Tod 1977 bewachte ligrantechniker in sein Witwe Ev mit Argusaugen die Notizen: „An Seppls Sachen kommt mir keiner ran.“ Team einzubauen, der ihm fast so sehr Als jetzt, sechs Jahre nach Evs Tod, das Herberger-Haus in Weinheim an der Berg- am Herzen liegt wie der geliebte Fritz straße verkauft wurde, übernahm die „Sepp-Herberger-Stiftung“ des Deutschen Walter, entscheidet er sich für „das Ge- Fußball-Bundes den Nachlaß. Er wird derzeit in der Frankfurter DFB-Zentrale von genstück“. zwei Absolventen der Kölner Sporthochschule aufgearbeitet – einer ist der frühe- Mit dem Nürnberger , re Nationalspieler Wolfgang Weber, der sein erstes Länderspiel unter dem Trai- einem „unverdrossenen Kämpfer“, ge- ner Herberger bestritt. Der DFB wird seinen „Goldschatz“, so der für die Stiftung winnt der deutsche Bundescoach Sepp verantwortliche Justitiar Götz Eilers, in der Aula seines neuen Kongreß- und Schu- Herberger im darauffolgenden Juli in lungszentrums den Fußballfans zugänglich machen – rechtzeitig zum 100. Ge- der Schweiz den Weltmeistertitel. Das burtstag Sepp Herbergers im übernächsten Jahr. „Wunder von Bern“ versetzt die Repu- blik in einen Glückstaumel. Für den

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Mann, den nun alle in den Himmel he- legendäre Notizbuch in Brusttaschen- ben, ist das auch das Resultat einer format, das er immer bei sich trug. schmerzlichen Verzichtsleistung. Fußball sei auch deshalb interessant, Wie schwer es dem damals berühmte- hatte der listige „Bundessepp“ aus dem sten unter den deutschen Fußball-Wei- Mannheimer Vorort Waldhof gern ge- sen fiel, seine Traumelf zu formen, läßt bräbelt, „weil mer net weiß, wie’s aus- sich mit einer aufschlußreichen Materi- geht“ – ein mit leichter Hand unter das alsammlung belegen. 18 Jahre nach des Volk gestreuter lakonischer Spruch, für Trainers Tod (und nachdem sein Haus den ihn sogar das feine FAZ-Feuilleton in Weinheim-Hohensachsen jetzt ver- zum „Philosophen“ emporhob. Doch im kauft werden mußte) lagert in der Schriftlichen fehlt ihm solche lockere Frankfurter DFB-Zentrale dessen üppi- Distanz. ges Privatarchiv. In seinen Konvoluten, die er als Ver- In den knapp drei Jahrzehnten seiner satzstücke für spätere Memoiren ge- Tätigkeit von 1936 bis ’64 galt der ge- dacht haben mag, präsentiert sich statt lernte Mechaniker als ein eher wortkar- dessen ein angestrengt erfolgsorientier- ger Mensch („Der Ball ist rund“) – sein ter Trainer. „Wir kannten unseren erstaunlicher Nachlaß zeigt, welcher Weg“, überschreibt der „Feldherr und Mitteilungsdrang in ihm loderte. Auf Feldwebel“, wie er sich selber nennt, überschlägig 300 dickleibige Leitz-Ord- markige Losungen, die an Tagesbefehle ner schätzt man das zum Teil noch in erinnern. Den ihm anvertrauten „Sport- Kartons verpackte Erbe. kameraden“ verlangt er „Klarheit im Zwar finden sich in ihm auch jede Wollen“ ab. Menge Zeitungsausschnitte, aber dazwi- Mit zuweilen rätselhaften Halbsätzen schen steht in Hülle und Fülle Original- füllt der kritische Beobachter am Spiel- text Herberger. Den Kern seiner Dos- feldrand die Seiten seines Ringbuches, siers bilden Abhandlungen, die Briefen das die Phantasien einer ganzen Fußbal- ähneln und deren Adressat er offenbar ler-Generation beflügelte: „Kohli ge- selber ist. Erstmals zum Vorschein stern wieder . . . na, ich will nichts sa- kommt – in Gestalt loser Blätter – jenes gen!!!“ heißt es da seltsam mehrdeutig. „Helmut Rahn . . . Lichterloh!!!“ hält er * Links: siehe Kasten Seite 166; unten: Max Mor- sibyllinisch in steiler Handschrift fest. lock, , , Werner

ASSOCIATED PRESS PHOTO Liebrich, , Hans Schäfer am 4. Juli „Werner kein Verteidiger! Was nun? Was nun? Und wer?“ 1954 in Bern. Und wer?“ Im Vorfeld der Weltmeister- WEREK Fußball-Weltmeister Deutschland*: „Wir kannten unseren Weg“

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schaft in der Schweiz tippt der „Chef“ (Fritz Walter) auf seiner Olympia-Schreibma- schine im mühsamen Zwei-Finger-Suchsy- stem ein besonders heikles Kapitel. Es geht dabei um die Fra- ge, ob er den Lauterer ins Abwehrzentrum beor- dern soll. „W. für J.“? Oder doch eher umgekehrt? Den väterlichen Trai- ner plagen Skrupel, zumal er in seinem bisherigen Mittelläu- fer, dem „quirligen“ HSVer Jupp Posipal, einen ebenfalls starken Mann anzubieten hat. Der droht nun mit De- pressionen auf den be- Mit Fritz Walter absichtigten Rollen- tausch zu reagieren („Wo bleibt die Wut?!!!“ wundert sich Herberger); aber ver- mutlich gerade deshalb gibt er am Ende dem

„robusteren Werner“ SÜDD. VERLAG den Vorzug. Mit Nationalkader im Trainingslager 1953 Der „Knackpunkt Bundestrainer Herberger: „Feldherr und Feldwebel“ Posipal – W. Liebrich“ schlägt sich in vielen Faszikeln in im- In den „Trick“ sei „noch nicht mal mer neu formulierten Selbstanfragen der DFB-Präsident eingeweiht wor- nieder – Beweis für einen bis zur Ma- den“, frohlockt er in seinen Aufzeich- nie sich steigernden Wiederholungstick nungen. Der sensationelle „Endsieg“, des ewigen Grüblers. Auf Dutzenden der dem darniederliegenden Nach- von Zetteln bringt er ohne jede Ab- kriegsdeutschland einen ungeahnten weichung die ihm am besten erschei- Selbstbewußtseinsschub beschert, nende Mannschaft zu Papier, um dann macht ihn schon erkennbar stolz. plötzlich eine Alternative in seine Triumphierend rechnet der Feldherr Schemata einzuzeichnen. „Wer rechts? da mit Menschen ab, deren Wendig- Erhardt? Laband?“ Er verwirft den keit er stellvertretend in der Person Gedanken. seines Spielausschuß-Mitglieds Hans Natürlich weiß der erfahrene Prakti- Deckert anklagt. Betrunken – „unter ker, daß es „eine unseren hochstreben- A. stehend“ –, mokiert sich der Trai- den Wünschen entsprechende Mann- ner etwas prüde über den jubelnden LLER schaft niemals geben wird“; es fällt Funktionär, habe der noch kurz vor ihm nur schwer, sich nach solcher Er- dem Turnier erregt eine drastische

kenntnis auszurichten. In der Abge- Verjüngung seines Teams gefordert: FOTOS: H. MÜ schiedenheit seines Hohensachsener „Ein wirkliches Meisterwerk an Ge- Mit , Hinterstübchens werkelt ein notori- dächtniskraft!“ scher Perfektionist, der die ihm gesetz- Der nebst Adenauer nun populärste „Männer“ verlieren jetzt öfter, und der ten Grenzen allenfalls in der Theorie Deutsche gilt fortan als der große Zau- erboste Herberger ortet unerbittlich die akzeptiert. berer; selbst im fernen Südamerika entstandenen Schwachstellen im Team. Monate brütet er so über der rühmt man den germanischen El Ma- Der Torhüter , immerhin ein Schwierigkeit, wie sich in der Schweiz go, den Zauberer. Doch der oberste gepriesener „Fußball-Gott“, fällt in Un- die eindeutig favorisierten Ungarn täu- der Berner Helden mißtraut den Eh- gnade. Dessen Leichtsinn, „dieses Fan- schen lassen könnten, und es kommt ren. In Wahrheit sähen „die anderen“, gen und Aufnehmen flacher Bälle mit ihm tatsächlich eine Idee. Dem im Fi- schreibt er zum ersten Jahrestag seines einer Hand“, war dem strengen Coach nale glorreichen 3:2 geht zunächst ein- Titelgewinns, die DFB-Auswahl als stets ein Dorn im Auge. mal das mutwillig in Kauf genommene „Glücks- und Dusel-WM . . . eine Der wieder über seinen Aufstellungen 3:8-Desaster gegen die Magyaren Welt gegen uns!“ sich zerknirschende Chef plant den voraus – für den alten Fuchs die „ei- In solche Worte fließt sehr deutlich durchgreifenden Umbau der ja ohnedies gentliche Leistung“ seiner Kar- auch die eigene Unruhe über den schon auseinandergelaufenen Elf. „Die riere. einsetzenden Niedergang ein. Seine Lage: sorgenvoll!“ notiert er knapp und

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wendet sich einem Konzept zu, das dann erst acht Jahre danach verwirklicht wer- den wird: Bereits im Frühling 1955 ent- wickelt der ausdauernde Tüftler seine „Grundzüge der “. Der Avantgardist Sepp Herberger ana- lysiert die seinerzeit noch in Oberligen zergliederte Fußball-Landschaft und gei- ßelt scharf die Verschwendungssucht der Vereine. Die fatale Angewohnheit, sich „mit überspitzten Etats“ in den Spielbe- H. MÜLLER H. WESSEL Förderer Herberger, Nationalspieler Schnellinger, Herberger-Zensuren: „Derwall fehlt jede Schnelligkeit im Handeln“

ren beginnt. Pfeile stertes Mitgehen und verpflichtende durchschießen nun un- Kameradschaft“ zu trainieren ist ihm vermittelt die Skizzen, wichtiger, als die Halbstürmer oder die er en masse in Außenläufer in neue Spielsysteme zu Vorbereitung auf die integrieren. Noch am Fuße des Cham- Weltmeisterschaft pionats ’62 in Chile mahnt er in einem 1958 in Schweden an- Rundschreiben seinen Spielerkreis, „an fertigt. „Wandernde die in der Schweiz verfolgten Grund- Stürmer“ und „nach sätze zu denken“. vorne“ sich orientie- Und wer könnte die besser verkör- rende Verteidiger tau- pern als der engste Vertraute Herber- chen in seinen Model- gers, der immer wieder hervorgehobe- len auf. ne „F. W.“, „mein verlängerter Arm“, Daß er dann zu gu- „der geniale Führer“? Sosehr der treu- ter Letzt doch bei der sorgende Pater familias des deutschen alten Ordnung nach Fußballs auch anderen, etwa dem dem brüchig ge- schwierigen Helmut Rahn, die Treue

DPA wordenen WM-System hält – das Herz gehört Fritz Walter; ei- Chef Herberger, Assistent Schön: „H. überempfindlich“ bleibt, mag an seinen ne symbiotische Beziehung. Wertvorstellungen lie- Wenn denn je in seiner schriftlichen trieb zu stürzen – „alles rein kommer- gen. Den Fußball-Lehrer Sepp Herber- Hinterlassenschaft Spuren von Ängsten ziell!!“ –, werde erst abebben, wenn ger scheint der Protagonist einer allge- sichtbar werden, haben die mit dem der DFB endlich den Zusammenschluß meinen Lebensschule zu bremsen, der „guten F. W.“ zu tun. Daß der brave organisiere. in der Hauptsache der Tugendpflege Musterschüler aus nach Da irrt der Prophet, aber er ahnt die entscheidende Bedeutung zuspricht. der WM in Schweden – er ist da 37 – neue Zeit voraus – einen unvermeidli- In kaum einem Aktenbündel fehlt es seine internationale Laufbahn beendet, chen Wandel, der ihm auch mehr und an Merksätzen darüber, was er im zeit- möchte der von ihm abhängige Bun- mehr in seinen Grafiken „moderner gemäßen Pathos „die festen Funda- destrainer schlichtweg nicht zur Kennt- Mannschaftsgefüge“ die Hand zu füh- mente meiner Arbeit“ nennt: „Begei- nis nehmen.

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Noch vor Chile bedrängt er Fritz Wal- tel“ unter dem 20. 5. 55, 20.10 Uhr, ei- sondern bastelt weiter an seinen Mann- ter allen Ernstes, in eine „Geheimsa- nen um wenige Minuten verspäteten schaftsaufstellungen. che“ einzuwilligen. Der auf Coups ver- Anruf seines Assistenten Hennes Weis- „Halblinks: Netzer – oder?“ kritzelt sessene Herberger hat sich in den Gag weiler. Er habe ihn dieserhalb „in den der Pensionär im Frühjahr ’74 vor der verrannt, seinem nun 41jährigen Zieh- Senkel“ gestellt: „Ich sage ihm, daß er Weltmeisterschaft im heimischen sohn „verdeckt“ einen Platz freizuhal- die wichtigsten Voraussetzungen für sei- Deutschland an den Rand eines Zei- ten. Aber der eh etwas schüchterne ne Aufgabe nicht mitbringt.“ tungsausschnitts, um dann weiter unten Fritz („leider Bammel . . .!“) scheut das Insonderheit geht ihm nun auch die den von ihm für besser gehalte- Risiko. Presse auf den Nerv, die „von Experten nen Mann anzudienen: „ . . . nein, Das Turnier in Südamerika mißrät nur so strotzt“ und deren Bärendienste Overath“, seiner Schnelligkeit wegen. ihm dann auch zur zweitschlechtesten er heftig attackiert. Sepp Herberger Doch nach außen dringen solche Ei- seiner Weltmeisterschaften. Die Deut- zürnt ihr, sie versuche, den Jungstar genentwürfe nur noch selten. Herber- schen scheiden da bereits im Viertelfina- Uwe Seeler zum Spielmacher hochzuju- ger zieht die Lehren aus einer „Ange- le aus – für den enttäuschten und jetzt beln – und das „in völliger Verkennung legenheit“ von 1966, als er in der Pres- selbst im Rentenalter stehenden Chef ist seiner wahren Fähigkeiten“. Die Konse- se zum Berater bei der WM in England das die Folge eines ihm fehlenden gei- quenz nach des Trainers Deutung: „Er vorgeschlagen wird, sein Nachfolger stesverwandten Partners. Er trauert gefällt sich selbst in dieser Rolle!“ Helmut Schön aber dagegen beim DFB dem Mann hinterher, der als „einziger Nein, auch der populäre Hamburger protestiert: „Notiz vom 1. 2. in obiger meine Gedanken auf das Spielfeld über- ist für ihn nicht die Kraft, die den F. W. Sache . . . H. überempfindlich.“ tragen konnte“. ersetzen könnte – er schätzt den Uwe Der kleine Mann mit dem Knitterge- Daß es andererseits immer wieder zwar, sieht ihn aber vor der WM in sicht, Träger des Großen Bundesver- Versuchungen gab, neben dem Heros Chile in eine tiefe Formkrise verstrickt. dienstkreuzes, zieht sich nun endgültig Fritz Walter eine neue Leitfigur aufzu- Statt seiner baut der Coach jetzt vor al- auf sich selbst und seine Fans zurück. bauen, belegen die in den Unterlagen lem auf den Schalker , Im Trainingsanzug vor seiner Schreib- gespeicherten Briefkopien. „Streng ver- den er als einen „mit allen Ölen gesalb- maschine hockend, sucht er die noch traulich“ öffnet sich der Trainer so etwa ten, gerissenen Burschen“ umgarnt. immer reichlich fließende Post zu be- dem Dürener Karl-Heinz Schnellinger. Doch die Nominierung des „Schwatten“ antworten – in einem der letzten Briefe In einem Schreiben von anrührender In- wird dann schnell zum Flop. eine Grußbotschaft aus der Schweiz. timität („Ich habe für Sie ein Bild von Sepp Herberger, dem gefeierten In- Die Ansichtskarte zeigt Spiez, jenen mir mit Widmung beigelegt“) bemüht er stinktpsychologen, scheint allmählich Ort, an dem die Berner Wunderelf an- sich, dem hochtalentierten Horst Szy- die Witterung abhanden zu kommen. no ’54 ihren „Geist“ fand. „Dieses maniak nahezukommen. Der Gedanke, seinen Rücktritt einzu- schöne Fleckchen Erde“, schreibt Sepp Doch die Verhältnisse sind nun nicht reichen, beginnt in ihm zu rumoren, und Herberger und meldet sich dann mit mehr so wie ehedem. Die beiden Kandi- im Juni 1964 vollzieht er den Ausstieg. dem obligaten „Nach Diktat verreist“ daten erliegen der von Herberger bitter Als erster erfährt es der Fritz. ab. registrierten „Abwanderungssucht“ und Nur, was treibt ein Mensch, dessen 80jährig stirbt der Trainer am 28. verflüchtigen sich nach Italien. „Der Fußballer-Philosophie („Nach dem April 1977. Stunden zuvor hat er noch Ausverkauf des deutschen Fußballs“ hat Spiel ist immer vor dem Spiel“) im Lau- aus dem Fernsehsessel das 5:0 der für ihn begonnen, der ihm sogar den in fe der Jahre sein ganzes Leben erfaßt Deutschen gegen Nordirland ver- Holland kickenden Schützen des Berner hat? Natürlich kann der nicht loslassen, folgt. Y 3:2 entfremdet. „Abends An- ruf von Rahn: Ich sage ihm, daß ich nicht mehr an ihn glau- be.“ Der Bundessepp ist häufiger schwer frustriert – der Groll über den „Stand und Gang der Dinge“ läßt sich aus seinen Aufzeichnungen ablesen. Der Verteidiger wird da kalt zum „Not-Natio- nalspieler“ heruntergeschrie- ben. Einem Newcomer na- mens Jupp Derwall – Anfang der Achtziger selbst Bundes- trainer – spricht der strenge Vorgänger fast alle Eigen- schaften ab, die er von ei- nem Klassemann erwartet: „Kein Nationalspieler! Fehlt jede Schnelligkeit im Han- deln . . .!“ In Phasen des Drucks wan- delt sich der sanfte Betreuer, der zuweilen sogar an die Wä- sche seiner Schützlinge denkt („50 x weiße Unterziehhosen nötig“), zum schnarrenden

Kompaniechef. Akribisch no- SVEN SIMON tiert der auf einem „Tageszet- Pensionär Herberger (1975): „Nach dem Spiel ist immer vor dem Spiel“

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