278 Bücher . Zeitschriften

Rudolf Böhlke, Joachim Spill, Die Hoffnung von Böhlke, Spill und Stürz auf Gerd W. Stürz: Das entfesselte die wunderbare Erlösung von den Problemen des angeschlagenen Sozialstaats ruht auf drei Wirtschaftswunder. Ein Gedanken- Säulen – Wirtschaftswachstum, Privatisierung spiel zur Zukunft Deutschlands, und Politik als Management. Diese Säulen Gustav Kiepenheuer Verlag wiederum gründen alle auf einer gemeinsa- Leipzig 2003, 192 S., (17,90 €) men Basis: auf der erschreckend naiven und im Kern anti-demokratischen Idee der Verbe- triebswirtschaftlichung der Gesellschaft. Die Ausgerechnet das Land mit der günstigsten »Deutschland AG« wird so aus dem Sprich- Entwicklung der Lohnstückkosten unter allen wortschatz umstandslos in die Wirklichkeit G8-Nationen, der »Exportweltmeister« Deutsch- überführt und als alternativlose gesellschaftli- land, hat allergrößte Probleme mit seinen che Daseinsform für alle Ewigkeit verallge- Sozialsystemen. Das pfeifen die Spatzen in- meinert. Die Regierung – eigentlich der Auf- zwischen von allen Dächern. Ob im Bildungs- sichtsrat der »Deutschland AG« – besteht aus bereich, bei der Krankenversicherung oder Experten, die nicht Minister, sondern »Pro- beim Rentensystem – von der anhaltend hohen jektleiter« heißen und die alle vier Jahre ge- Massenarbeitslosigkeit gar nicht zu reden –, meinsam einen, von Wirtschaftsprüfern (vor- überall ist der Reformdruck gewaltig. Daß nun zugshalber von der Ernst & Young AG!?) ausgerechnet die Regierung die Reform-Taube testierten »Geschäftsbericht« vorlegen und in der Hand hielte, kann jedoch niemand ernst- diesen dann von der Aktionärsversammlung haft behaupten. Nie wurde dieses Land so (genannt: »Bürgerausschuß«; bestehend aus schlecht regiert wie heute – die Halbwertzeit »Fachleuten der Wirtschaft, des Finanzwe- der mit Berufung auf ein hilfloses Kommis- sens, der Hochschulen, der Kultur sowie der sionsgewese schließlich verkündeten ›Reform‹- sozialen Bereiche«; alle sind vertreten, Unter- Projekte ist so niedrig, daß ein einfacher Ta- nehmer, Juristen und natürlich Steuerberater, schenrechner genügt, um herauszufinden, daß nur der einfache Mitbürger offenbar nicht!? – die verheißene Wirkung (wenn sie überhaupt vgl. S. 11) diskutieren lassen. Am Ende folgt eintritt) noch vor dem Ende der gegenwärtigen die Neuwahl des Aufsichtsrats. ›And the win- Legislaturperiode verpufft sein wird. ner is?‹ – Natürlich die jedem politischen Um all dies noch ein weiteres Mal detailliert Theater abholde Partei der Freien Bürger mit zu beschreiben und eindringlich Veränderungen (nur noch) 68,84 Prozent der Stimmen anzumahnen, dazu bedurfte es des vorliegenden (2,7 Prozent weniger als vier Jahre zuvor! – Buches wahrlich nicht. Die Fakten sind hinläng- vgl. S. 183). Dies alles geschieht im Jahre lich bekannt. Es kommt jedoch darauf an, wie 2018. Grundlage für diesen wunderbaren ge- sie interpretiert werden. Und genau die Art und sellschaftlichen Wandel ist die »Rückbesin- Weise, wie das allgemein Bekannte gedeutet nung auf tradierte Tugenden und Werte« wird – nämlich in Form einer konservativen (S. 180), von Intellekt, Geschick und (Hand- Utopie –, macht den Reiz des »Gedankenspiels« werks)Fleiß und der konsequente Umbau des der drei Manager-Autoren von der Ernst & Sozialstaats zur »privatisierten Solidarge- Young AG aus. Das Rezept, das sie der geneig- meinschaft« (S. 18); jener »Glücksgesell- ten Öffentlichkeit zumuten, erweist sich aller- schaft« (S. 118 passim), in der der »notorische dings als ideologisch-bornierte Mixtur aus klein- Antikapitalismus der 68er-Generation« (der bürgerlichem Traditionalismus, anti-demokrati- am aktuellen deutschen »Niedergang« insbe- schem Marktfundamentalismus und naivem sondere Schuld ist) endlich durch eine ›allge- Wunderglauben – überhaupt scheint in den meine Besessenheit vom Kapitalismus‹ und Köpfen deutscher Bourgeois spätestens seit dem durch »gesunden Nationalgeist« (S. 120) er- Nachkriegs»wirtschaftswunder« und dem »Fuß- setzt und überwunden wurde. Alle sind wis- ballwunder« von Bern 1954 der Wunderglaube sensgesellschaftlich vernetzte und digitali- den Realitätssinn weitgehend verdrängt zu ha- sierte Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft, ben. Ohne »Wunder« geht offenbar gar nichts schämen sich wieder, der Solidargemeinschaft mehr. zur Last zu fallen, haben ihre Rentenan- Bücher . Zeitschriften 279 sprüche längst den internationalen Finanz- bare deutsche Natur und gehören abgebaut!) märkten überantwortet und freuen sich an noch den Sozialstaat; was er braucht ist Wirt- Sport und Spiel – sofern sie Zeit dafür haben, schaftswachstum (sieben Prozent pro Jahr denn mit der dekadenten Spaßgesellschaft war mindestens – egal wo es herkommt und wel- schon 2014 ein für alle Mal Schluß. che Folgen es zeitigt). Welch eine Utopie! – Wir wären endlich Und was ist mit dem Nichtwissensarbeiter, wieder wer; und zwar keine pazifistischen, mit dem, der nicht per Computer wählt, und anti-amerikanischen Weicheier in der »alter- was mit Menschen mit Behinderung? Wer nativen Kuschelecke«, sondern Vorreiter kapi- weiß? – Im Wunderbuch kommen sie jeden- talistischer Ideale und natürlich Exportwelt- falls nicht vor! Da diese Gruppen zusammen meister (Fußballweltmeister darf 2018 Polen eh nur um 60 Prozent der Bevölkerung aus- werden, aber nur wenn Deutschland ins End- machen, handelt es sich offensichtlich um eine spiel kommt, versteht sich!). zu vernachlässigende Größe, deren Einbezie- Die Basis dieser Utopie ist in der Vorstel- hung nur geeignet wäre, die schöne Utopie in lungswelt der Autoren längst vorhanden. Da eine häßliche Illusion zu verwandeln… wäre zum Beispiel das ›wunderbare‹ deutsche So einfältig die Vision der drei Wirtschafts- Schulsystem, das auf gar keinen Fall durch die prüfer von der »ewigen kapitalistischen ›sozialistische‹ Ganztags-Gesamt-Schule mo- Glücksgesellschaft« auch daherkommen mag, dernisiert werden darf. Statt dessen bedürfe eines macht sie mit allem Ernst deutlich: Nicht es wieder der Erziehung zu Zucht, Fleiß und nur im Kanzleramt und in linken Studier- Ordnung, um bei PISA an die Spitze zu kom- stuben wird über die Lösung der anstehenden men. Ferner könnten wir auf den bekannter- Probleme nachgedacht. Der Kampf um die maßen nicht nur dichtenden, sondern auch geistige Hegemonie bei der unausweichlich denkenden ›deutschen‹ Intellekt (auch »Lei- notwenigen Überwindung des Reformstaus stungsdenken« genannt!) zählen, der durch die hat längst mit aller Schärfe begonnen – und sozialen Entsicherung des einzelnen nur wie- alle politischen Lager sind gut beraten, die an- dererweckt werden mußt, statt in der Spaß- deren ›Wettbewerber‹ nicht zu unterschätzen. gesellschaft dem Spieltrieb zu erliegen. Und ARNDT HOPFMANN schließlich wäre da das individuelle Gewinn- und Geltungsstreben – wer möchte sich schließlich heute noch »Prolo« nennen lassen, Klaus Kinner (Hrsg.): wenn es endlich gilt, wieder ›wer‹ zu sein? Es lebe das (wieder erlaubte) »gesunde nationale Menetekel 17. Juni 1953, Selbst-Bewußt-Sein« (S. 180)! Rosa-Luxemburg-Stiftung Widersprüche bei der Herleitung ihrer Sachsen e. V. Leipzig 2003, »Glücksgesellschaft« stören die Autoren we- 333 S. (14 €) nig – der familiengebundene Selbstverwerter seiner Arbeitskraft muß natürlich räumlich und einkommensmäßig ›dynamisch‹ sowie Mit der nunmehr 4., der erst kürzlich publi- unbedingt ›flexibel‹ sein, er muß sein Geld zierten durchgesehenen und korrigierten 3. Auf- ausgeben, um die Konjunktur anzukurbeln lage, ist der zur Konferenz der Rosa-Luxem- und gleichzeitig möglichst viel auf seine kapi- burg-Stiftung Sachsen »Menetekel 17. Juni talsgedeckte Rente sparen und er braucht nur 1953« im Frühjahr vorgelegte »Reader« über ein borniertes, auf seine spätere Verwertung seine Vorläufer weit hinausgewachsen: Genau zugeschnittenes Crash-Kurs-Wissen, das aller- besehen liegt vor uns nicht mehr ein beglei- dings auf möglichst breiter akademischer Bil- tendes Lesematerial, sondern ein »ordentliches«, dung beruhen sollte. Was er aber auf jeden ein komplettes Buch, das einen wesentlichen Fall nicht braucht, ist ein ›Anspruchsdenken‹, Teil der Diskussion im linken Spektrum über was seine soziale Sicherung angeht. Der mo- das Gedenkereignis erschließt. Mit zwei Ein- derne Wissensarbeiter braucht weder eine le- schränkungen: Die Autoren bewegen sich in benswerte Umwelt (die Windgeneratoren, den Bahnen der – hier nützlicher- und begrü- zum Beispiel, verschandeln nur die wunder- ßenswerterweise abgedruckten – Erklärung 280 Bücher . Zeitschriften des Parteivorstandes der PDS zum 50. Jahres- risch-theoretischer Art sind Schütrumpfs tag des 17. Juni 1953 »Sozialismus entsteht in Überlegungen zur Rolle der Arbeiterklasse. Er und aus der Gesellschaft« und der der bei die- kommt zu dem Resultat, daß diese sich in den sem angesiedelten Historischen Kommission Juni-Tagen einen privilegierten Platz bis zum »Der 17. Juni – eine spontane Arbeitererhe- Untergang der DDR erkämpfte, indem sie der bung«. Und: Die politische Geschichte und SED die Macht überließ und sich selbst sozia- die literarische Reflexion stehen weiterhin im ler Sicherheit vergewisserte. Angelika Klein Blickfeld, so daß wirtschafts-, sozial- und stellt auf dichter archivalischer Basis die hart- ideologiegeschichtliche Aspekte peripher blei- näckige Arbeiterrevolte im Bezirk dar, ben. Letzteres ist schlicht zu respektieren, da den Protest der Arbeiter gegen deren Verurtei- man praktisch schwerlich von Konferenzen lung als »faschistischer Putsch« einbegriffen. mit begrenztem Umfang eine komplette Dar- In nunmehr zwei Beiträgen (Siegfried legung erwarten kann; ersteres folgt den in Prokop, Bernau; Erhart Schulz, Jena) wird kritischer Forschung gewonnenen Resultaten nachgewiesen, daß politisch konzeptionell, der Redner und ihrer daraus geborenen Ein- doch auch praktisch-aktiv die Rolle der Intel- sicht, daß nur die entschiedene Abkehr von ligenz größer als bisher angenommen war. den ideologisch kreierten Geschichtslegenden Wilfriede Otto (Berlin) wendet sich, gestützt der SED den Boden bietet, neueren Verzerrun- auf neue Forschungsergebnisse, in einer sehr gen und ideologischen Konstruktionen selbst- gründlichen Studie der größten und bis 1989 gewiß entgegenzuwirken. Neulegendenbildung schärfsten inneren Auseinandersetzung in der exerzierten Medien und einige Autoren wis- Geschichte der SED 1953 zu – dem Schwan- senschaftlicher Publikationen mit maßloser ken des Politbüros »zwischen Stalin und letz- Stilisierung des 17. Juni 1953 zur Revolution ter Selbstfindung«, dem Druck der sowjeti- à la Frankreich 1789 und zum Grundstein für schen Führung schließlich zur Änderung des den Weg nach 1989/90 wahrhaft exzessiv. Kurses auf Sozialismus, die verworrene Lage Lagen der ersten Auflage ausschließlich innerhalb der SED bis hin zu dem Ergebnis, Materialien der Leipziger Konferenz zugrunde, daß mittels Eingriffen der KPdSU die Stellung so sind nunmehr die weiteren Veranstaltungen der SED – genauer wäre: des Politbüros – als der Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen in Machtzentrum der DDR seitdem eindeutig Dresden und Chemnitz hinzugekommen. festgeschrieben war. Dazu gesellen sich die erwähnten Dokumente Die schon an dieser Stelle sichtbaren äußeren aus der PDS sowie Nachdrucke der »Thesen« Einwirkungen kommen ausdrücklich in zwei Jörn Schütrumpfs (Berlin) »Schwierigkeiten gedanken- und quellenreichen, Wissen und mit der Klasse« und der Aufsatz Elke Scherst- Einsichten erweiternden Aufsätzen zur Spra- janois (Berlin) über die Rolle des sowjetischen che: Neben, wie erwähnt, Scherstjanoi mit Hohen Kommissars W. S. Semjonow bei den einer überaus aufschlußreichen Studie ist es Juni-Ereignissen. Der Band ist damit mehr als Karl-Heinz Gräfe (Freital), der den Blick auf doppelt so umfangreich wie anfangs. Er glie- die umfassende Krise des Staatssozialismus in dert sich nun in die vier Abschnitte Geschichte Europa 1953 weitet und damit einen, auch in (S. 11-219), PDS und 17. Juni (S. 235-247), den Thesen der Historischen Kommission, oft literarische Reflexion (S. 249-287) und zeit- vernachlässigten gravierenden Aspekt nach- genössische literarische Dokumente (S. 288- haltig ins Gespräch bringt. Interesse verdient 320); ein Personenregister und das Verzeich- ebenfalls die Untersuchung Werner Abels nis der Autoren runden das Buch ab. (Kleinschirma) im Kontext der 2. Parteikonfe- Seinem Anliegen nach kann man sich den renz der SED über die »Austreibung des Beitrag Jochen Cˇernys (Berlin) »Eine geschei- ›Luxemburgismus‹« aus der SED«, zurückrei- terte Revolution?« eher als Auftakt des ersten chend bis in die KPD der 20er Jahre. Abschnitts denn als Schluß – den ohnehin Die literarischen Reflexionen des 17. Juni jeder weiß – vorstellen, denn er behandelt 1953 analysieren einfühlsam und gedanken- akribisch und instruktiv die Deutungs- und voll Klaus Schumann, Klaus Pezold (beide Wertungsgeschichte des 17. Juni 1953 bis in Leipzig) und Jens-Fietje Dwars (Jena) am unsere Tage. Ebenso übergreifend histo- Denken, Schaffen und politischen Verhalten Bücher . Zeitschriften 281 der Schriftsteller Bertolt Brecht, Johannes R. hier schon im Vorfeld versucht, den ›richtigen‹ Becher, Anna Seghers, Stefan Heym und Erich Mann auf den ›richtigen‹ Platz zu stellen; die Loest. Die beigefügten Texte dieser Autoren Soldaten wurden chemisch gedopt, irritierte veranschaulichen ihre unmittelbaren Reaktio- Soldaten wurden soweit wie möglich in Ruhe- nen. Das fatale Fazit Schumanns ermißt das stellung geführt, es wurde versucht, ihnen mit durchgängige Dilemma: Offenkundig waren autogenem Training, mit Gruppentherapie etc. Schriftsteller, »die ihren Realismus wie Brecht die Angst zu nehmen oder mit Hilfe ideologi- kritisch grundierten [...] bei der Krisenbewäl- scher Schulung und chemischer Aufputscher tigung unerwünscht und blieben es bis 1989«. die Motivation zu reaktivieren« (S. 346). Der Die »Chance des Fiaskos« 1953 (Dwars) en- Verweis des Autors auf die spezifischen »Aus- dete, weil politisch ungenutzt, schmucklos mit formungen« der deutschen Militärpsychiatrie dem Fiasko der DDR. in der Ära des Nationalsozialismus allerdings Die in dem Buch vertretenen Ansichten wer- zeigt, daß sich die materiellen und ideologi- den nicht überall in der PDS und unter den schen Grundlagen der Disziplin bis heute deutschen Linken Zustimmung finden, dazu nicht verändert haben: Krieg ist eine patholo- stören sie manches herkömmliche Bild zu gische Situation, in der die Brutalität und der sehr. So bleibt zu hoffen, daß das Gewicht der Zwangscharakter der gesellschaftlichen Ver- ausgebreiteten Forschungsergebnisse erneut hältnisse im Kapitalismus überdeutlich zutage Anstöße zu weiteren vertiefenden Überlegun- treten. Soldaten, die unbewußt dagegen aufbe- gen und zur Revision von Legenden und Au- gehren und diverse »Kriegsneurosen« ent- genscheinurteilen vermittelt. wickeln, werden von Militärpsychiatern mit ERNST WURL dem Ziel therapiert, ihre Funktionstüchtigkeit für die kriegerische Produktion wieder herzu- Das Buch kann bezogen werden über die stellen. Die behandelnden »Arztsoldaten« sind Rosa-Luxemburg-Stiftung Sachsen e. V., dabei nicht ihrem hippokratischen Eid ver- Harkortstr. 10, 04107 Leipzig. pflichtet, sondern der Staatsräson. Tel. 0341-0608531. E-Mail: Die Selbstverpflichtung der Psychiater auf [email protected] die Staatsräson führte im Ersten Weltkrieg zu einem »Bannbruch« im Bereich der psychia- trischen Behandlungsmethoden (S. 31 ff.). Die Roland Müller: Protagonisten der relativ jungen medizini- schen Disziplin wollten ihre Nützlichkeit un- Wege zum Ruhm. ter Beweis stellen, indem sie möglichst viele Militärpsychiatrie im Zweiten Kriegsneurotiker in möglichst kurzer Zeit wie- Weltkrieg – das Beispiel Marburg, der »fronttauglich« machten. Ihre Vorgehens- PapyRossa-Verlag Köln 2001, weise war denkbar einfach: »Die Erinnerung € an den gefürchteten Kriegsdienst sollte vor 431 S. (25,54 ) den aktuellen Erlebnissen eines höchst unan- genehmen Lazarettaufenthaltes verblassen« Roland Müller beschließt seine Arbeit über die (S. 34). Der Patient wurde zum Feind, »Kriegs- deutsche Militärpsychiatrie im Zweiten Welt- neurose« zum Synonym für »Drückebergerei«, krieg mit folgender Einschätzung: »Die Mi- »Therapie« bedeutete schließlich nichts an- litärpsychiatrie, wie sie hier beschrieben deres als »medizinisch verschleierte Folter«, wurde, ist Vergangenheit. Ihre Ausformung wie Müller in Anlehnung an Roth formuliert gehört einer anderen Epoche an.« Heute, so (S. 123). Das Instrumentarium reichte von der Autor unter Berufung auf Karl Heinz Roth, »Gewaltexerzieren«, »Dauerbädern« und Peter Riedesser und Axel Verderber, orientiere »Scheinoperationen« über gewaltsame Übun- man sich bei der Bundeswehr eher an »moder- gen mit schmerzhaften Stromgaben bis hin zu nen Formen der Panikprävention und Panik- Isolationshaft. Zu den Behandlungsmethoden behandlung«. Deren Grundzüge entwickelten zählten außerdem Zwangsarbeit und Elektro- die Therapeuten des Sanitätsdienstes der Luft- schocks. All ihren Anstrengungen zum Trotz waffe zwischen 1939 und 1945: »So wurde mußten die Militärpsychiater schließlich mit 282 Bücher . Zeitschriften ansehen, wie sich einige der als »linke Psy- Verfügung rückte der Staat auch nicht ab, als chopathen«, sprich Kriegsgegner, eingestuften Psychiater ... darauf drängten. Im Gegenteil: Soldaten an der revolutionären Erhebung von angesichts der Kriegslage wurde im Septem- 1918/19 beteiligten: »Die Beteiligung der ber 1944 selbst die Antragstellung untersagt« Kriegsneurotiker am Revolutionsversuch (S. 256). wurde von den Psychiatern ... nicht nur als Woraus aber resultierte der maßlose Verfol- nachträgliche Bestätigung ihrer denunzieren- gungseifer der Marburger »Arztsoldaten«, der den Diagnostik und als Rechtfertigung ihrer sich insbesondere bei Langelüddeke auch in Behandlungsmethoden im Ersten Weltkrieg seiner Funktion als psychiatrischer Gutachter rezipiert, sondern als Schreckensbild bei vor Militärgerichten niederschlug (S. 174 ff.)? Versagen zukünftigen militärpsychiatrischen Müller kommt zu folgendem Schluß: »Die Handelns« (S. 44). militärpsychiatrische Brutalisierung erklärt Ihre im Ersten Weltkrieg gewonnenen Ein- sich aus der Geschichte der Psychiatrie als sichten konnten die deutschen Psychiater dann Fachdisziplin, des Psychiaterstandes und des im Zweiten Weltkrieg rücksichtslos in die Tat politischen Konservatismus, nicht des Natio- umsetzen, wie Müller am Beispiel der Mar- nalsozialismus« (S. 303). Der Aufstieg der burger Reservelazarette III und IV nachweist. Psychiatrie zur medizinischen Fachrichtung Ersteres war der Universitätsnervenklinik un- war untrennbar mit dem Militär verbunden. ter Leitung von Ernst Kretschmer zugeordnet, Während des Ersten Weltkriegs, der vom Gros letzteres gehörte zur Landesheilanstalt und der Psychiater in ihrer Eigenschaft als Bürger- stand unter Leitung von Albrecht Langelüd- liche und Deutsch-Nationale lebhaft begrüßt deke. In der Universitätsnervenklinik wurde wurde, erfolgte die Erhebung der Militär- systematisch gefoltert, wobei ihr Leiter mitun- psychiater in den Offiziersstand. Es kam zum ter hinsichtlich der Brutalität seiner Behand- »Bannbruch« – der Kriegserklärung an die lungsmethoden noch über die Vorgaben von Patienten. Als diese, zumeist Arbeiter, 1918/ Heeressanitätsinspektion und NSDAP-Dienst- 1919 die Herrschaft der bürgerlichen Eliten stellen hinausging: »Starke faradische Ströme insgesamt in Frage stellten, verwandelte sich waren aller Wahrscheinlichkeit nach von An- die Verachtung für die als »minderwertig« und fang an in der Kriegsneurotikerbehandlung »abartig« Eingestuften in Haß. Aber nicht nur verboten, sicher aber von Anfang bis Ende des der Wunsch nach Rache für das erlittene »No- Krieges vom Einverständnis des Patienten ab- vembertrauma« ließ die deutschen Psychiater hängig. Ab Januar 1943 war allein der gal- im NS-Staat ihren »Wunschstaat« erblicken: vanische Strom zulässig, aber auch nur dann, »Seine Ideologie entsprach dem biologisti- wenn ›einfache Suggestionsverfahren‹, also schen Weltbild fast aller deutschen Psychiater, Verbalsuggestion, Hypnose etc. erfolglos ge- ihre Forderungen waren Parteiprogramm, ihre blieben waren. (...) Die Behandlung der konservativen politischen Ziele waren die Kriegsneurotiker in der Marburger Universi- Ziele des Nationalsozialismus, und er besei- tätsnervenklinik fand ... demnach nicht ge- tigte alle gesetzlichen Schranken, die das psy- zwungenermaßen, sondern zweifelsfrei vor- chiatrische Handeln bisher einengten, bzw. schriftswidrig statt« (S. 140). machte deutlich, daß Verstöße nicht geahndet Sowohl Kretschmer als auch sein Kollege würden. Patienten wurden nun zu freiverfüg- Langelüddeke stellten ihre Tätigkeit aus voller baren Versuchskaninchen. Das Projekt des Überzeugung in den Dienst der »Rassen- gesunden Volkskörpers in der nächsten Gene- hygiene«. Allerdings erwies sich die von ih- ration lief an. Psychiater konnten Patienten bei nen vehement geforderte Zwangssterilisierung Bedarf straffrei foltern« (S. 305). psychisch kranker Soldaten bald als kontra- Die Angehörigen einer Disziplin, deren Re- produktiv: »Die Rassenhygiene war militä- putation auf dem rigorosen Einsatz der Folter risch störend. Dies war der Grund für die Ste- beruht, entwickeln notwendigerweise einen rilisationseinstellung zu Kriegsbeginn. Alle besonders starken Korpsgeist. Mit diesem Kräfte sollten gebündelt werden. Nur in ›drin- hatte Müller noch in den neunziger Jahren zu genden‹ Fällen durfte sterilisiert werden, die kämpfen, als er Patientenakten, auf deren Aus- Verfahren wurden eingeschränkt. Von dieser wertung seine Arbeit maßgeblich basiert, in Bücher . Zeitschriften 283 der Marburger Universitätsnervenklinik ein- Von den 83 Schriftstücken, die das Buch wie- sehen wollte. Erst eine unmißverständliche dergibt, können hier beispielshalber nur wenige Klagedrohung konnte die Klinikleitung dazu angeführt werden. bewegen, ihrer Informationspflicht schließ- Dokument Nr. 1 ist die »Verfügung« des spä- lich doch noch nachzukommen (S. 329 ff.). ter sogenannten Neuen Kurses durch den Mini- Somit liegt jetzt eine »exemplarische Schilde- sterrat der UdSSR (S. 38-43). Sie wurde schon rung konkreten militärpsychiatrischen Han- mehrmals abgedruckt, durfte hier aber keines- delns auf der bisher unerforschten Ebene eines falls fehlen. Was manche Interpreten ignorie- Reservelazaretts« vor, die Einblick in die ren: Die »Gesundung der politischen Lage« Struktur der Militärpsychiatrie im Zweiten wurde nicht etwa verordnet, um die DDR zu Weltkrieg gibt und allein dadurch weit über verewigen, sondern als Voraussetzung für die eine »lokalhistorische Briefmarkensammlung« »Schaffung eines einheitlichen, demokrati- (S. 13) hinausweist. schen, friedliebenden, unabhängigen Deutsch- PEER HEINELT lands« (S. 40). Das war zunächst auch der Aus- gangspunkt für die Selbstkritik der SED-Führer, so für Otto Grotewohl, als er die selbstverschul- Wilfriede Otto: dete »Kluft« zwischen Regierung und Volk als »Gefährdung unserer Politik hinsichtlich der Die SED im Juni 1953. Einheit Deutschlands« und »unserer gesamten Interne Dokumente, Friedenspolitik« bezeichnete (S. 147) – und (Rosa-Luxemburg-Stiftung zwar in der 14. ZK-Tagung, einer am Abend des Texte 10), Karl Dietz Verlag 21. Juni eröffneten Nachtsitzung des Zentralko- € mitees der SED, deren höchst aufschlußreiches Berlin 2003, 304 S. (14,90 ). stenographisches Protokoll hier erstmals veröf- fentlicht wird (S. 146-188). Erst in der Vorwoche des 50. Jahrestags einer Das Zentralkomitee stand noch unter dem bereits übersättigten Öffentlichkeit vorgestellt, Eindruck der Erhebung. Fred Oelßner und Kurt fand eines der wichtigsten der mehr als 20 dem Hager bekundeten sogar Verständnis für »Wut« 17. Juni 1953 gewidmeten neuen Bücher nicht und »Haß« (S. 180 u. 182), mit denen Arbeiter die ihm gebührende Aufmerksamkeit. Eines der den Funktionären entgegentraten, stimmten wichtigsten nenne ich es, weil hier – nach einer aber doch der Diskriminierung dieser Rebellion gemeinverständlichen, knappen Einführung – als einer »faschistischen Provokation« (S. 189) erstmals alle Beratungen dokumentiert werden, zu. Allein Rudolf Herrnstadt zog aus dem Kon- die das Politbüro des Zentralkomitees vom flikt zwischen der Partei und dem Gros der 3. Juni bis zum 23. Juli 1953 abhielt: Wilfriede Klasse die gebotenen Konsequenzen, als er im Otto veröffentlicht die Protokolle nebst Anlagen Beschlußentwurf für die nächste (15.) ZK-Ta- sowie Aufzeichungen, die von Teilnehmern vor, gung zunächst die »Gründe« benannte – Miß- in und nach den Sitzungen angefertigt wurden. achtung und Bevormundung der Werktätigen, Die erstmalige Erschließung und weitestge- Dogmatismus und Sektierertum, Personenkult hende Entzifferung der handschriftlichen Noti- und Bürokratismus (S. 228 f.) – und dann zen war der schwierigste Teil dieser insgesamt schrieb: »Hunderttausende unserer Funktionäre, verdienstvollen Arbeit und verdient besondere die besten, erkennen diese Schwächen, rebellie- Anerkennung. Daß alle hier vorgestellten Un- ren gegen sie«, und »Millionen parteiloser terlagen bis 1989 topsecret waren, versteht sich Werktätiger« zeigen sich entschlossen, »gegen ja. Daß aber die handschriftlichen Notizen er- die Partei aufzutreten, wenn die Überwindung halten blieben und nicht weisungsgemäß ver- der Schwächen [...] ein neues Mal nicht zielbe- nichtet wurden, verdanken wir, wie uns die Her- wußt genug in Angriff genommen wird. In der ausgeberin wissen läßt (S. 14), ausschließlich Kombinierung dieser beiden großen Kräfte [...] einer couragierten Archivarin! Und erst diese liegt die Chance, die Partei innerhalb weniger Notizen verhelfen uns zum Verständnis dessen, Monate zu erneuern« (S. 229 f.). was den Protokollen, da sie lediglich Entschei- Dieser äußerst wichtige Text wurde erstmals dungen festhalten, nicht zu entnehmen ist. 1990 in einer Fachzeitschrift veröffentlicht, fand 284 Bücher . Zeitschriften damals aber wenig Beachtung. Ob das wirklich Klaus Schubert, Martina Klein: »kein Reformprogramm« war, wie die Herausge- Das Politiklexikon, Verlag J. H. W. berin meint (S. 25), darüber kann nun leichter ge- stritten werden. Ansatzweise erkenne ich ein sol- Dietz Nachf. Bonn 2003 (3. Aufl.), ches Programm schon in Herrnstadts hier erst- 327 S. (15,80 €) mals publizierten »Notizen« für die Politbürosit- zung vom 13. Juni (S. 102-108). Und wenn Herrnstadt im Beschlußentwurf für das 15. Ple- Die Reihe vorliegender Politiklexika erweitert num klarstellt: »Es geht darum, eine Deutsche der Bonner Dietz-Verlag um ein Paperback mit Demokratische Republik zu schaffen, die für über 1300 Stichwörtern. Das von Martina Klein, ihren Wohlstand, ihre soziale Gerechtigkeit, ihre Mitarbeiterin der Düsseldorfer Hans-Böckler- Rechtssicherheit, ihre zutiefst nationalen We- Stiftung, und dem Münsteraner Politikprofessor senszüge und ihre freiheitliche Atmosphäre die Klaus Schubert verantwortete Buch wendet sich Zustimmung aller ehrlichen Deutschen findet« erkennbar nicht an Fachwissenschaftler, sondern (S. 223) – fordert er da keine Partei- und Staats- an politisch interessierte Menschen, bei denen al- reform? Deutlich wird hier auch, daß ihm die lerdings grundlegende Kenntnisse vorausgesetzt Partei nicht Selbstzweck war und die Zweckbe- werden. stimmung der DDR eine gesamtdeutsche. Für diesen Adressatenkreis ist das »Politiklexi- Zu den wichtigen Erstveröffentlichungen kon« sehr hilfreich. Weniger zur internationalen gehören des weiteren das Protokoll der Sitzung, Politik, wohl aber zu Deutschland und der Eu- in der das Politbüro diesen Entwurf, von Rudolf ropäischen Union bleibt kein wesentlicher Be- Herrnstadt mit Hilfe von erarbeitet, griff unerklärt. Freilich fallen wegen der Vielzahl am 3. Juli ablehnte (S. 218), sowie Grotewohls der Stichwörter einzelne Begriffserklärungen Aufzeichnungen vom 8. und über den 9. Juli, die recht knapp aus, so daß gelegentlich zur Vertie- erkennen lassen, wie nahe Ulbrichts Ablösung fung zu anderen Nachschlagewerken zu greifen gewesen war und woran sie endgültig scheiterte. wäre. Auf Recherchemöglichkeiten im Internet Schon am 23. Juni hatte die sowjetische wird von den Herausgebern verwiesen. Parteiführung gefordert, daß die Deutschen »un- Nicht alle Stichwörter wurden bei der Neu- verzüglich mit jeglicher Verwirrung in der auflage aktualisiert. So wird bei der Erklärung Führung Schluß machen« (S. 197). Darauf hätten von Überhangmandat auf die Bundestagswah- Ulbrichts Kritiker sofort reagieren müssen. Am len von 1994 und 1998, nicht aber auf die Wahl 8. Juli kam ihr Mißtrauensvotum (S. 242-244) 2002 eingegangen. Positiv dagegen sind zahl- viel zu spät – nicht nur wegen Berijas »Entlar- reiche gute schematische Darstellungen, die ge- vung« und Verhaftung (am 26. Juni), über die eignet sind, komplexe Sachverhalte nachvoll- Grotewohl, Ulbricht und Oelßner am 9. Juli in ziehbar werden zu lassen. Hilfreich auch die Moskau informiert wurden (S. 244 f.). zahlreichen Verweise auf verwandte und an- Zuletzt das Protokoll der am 23. Juli abgehal- grenzende Begriffe. tenen Sitzung: Da wird vor allem die 15. ZK-Ta- Insgesamt somit ein ernsthaftes Buch. Poli- gung vorbereitet (S. 288 f.), die am 26. Juli Anton tikwissenschaftlern sagt man ohnehin keinen Ackermann, Rudolf Herrnstadt, Hans Jen- großen Hang zum Humoristischen nach. Unter dretzky, und aus den AutorInnen des »Politiklexikons« muß sich dem Politbüro entfernt, und es ergeht der Auftrag jedoch ein heimlicher Fußballfan befinden, der zur Herausgabe einer Sammlung jener Be- die alte Rivalität zwischen Deutschland und schlüsse (S. 291 f.), in denen die Parteiführung Holland auch hier einfließen läßt. So findet sich die Verurteilung der jugoslawischen Partei durch zwischen Opposition und Ordnungspolitik die Kominform-Tagung (November 1948) sowie ebenso überraschend wie erheiternd das Stich- den Rajk- und den Slánsky-Prozeß (September wort Oranjegevoel: (niederl.: Oraniengefühl. O. 1949 und Dezember 1952) ausgewertet hatte, bezeichnet ein plötzlich aufkommendes Virus in womit sie die Stalinisierung der SED vorantrieb. den Niederlanden während internationaler Sport- JOCHEN CˇERNY veranstaltungen und bewirkt, daß sich das ganze Land in Orange einfärbt. Der Virus bedeutet keinerlei Gefahr für die Nachbarländer.« (S. 212) Bücher . Zeitschriften 285

Dennoch zum Abschluß eine humorlose Be- werkschaftsbundes in Bernau, der späteren merkung: Daß ausgerechnet beim rückseitigen Hochschule der Gewerkschaften »Fritz Heckert«. Klappentext niemand in Verlag und Herstellung Seit 1960 Professor für deutsche Literatur und die Tücken des Trennprogrammes erkannte, Leiter des Germanistischen Instituts an der Uni- stellt einen der Schönheitsfehler dar, wie sie im versität Warschau, wechselte Höhle 1963 an die Zeichen personell verknappter Lektorate leider Universität Halle-Wittenberg, wo er bis 1992 bei vielen Verlagen zu konstatieren sind. tätig war. Schwerpunkte seiner wissenschaftli- FRIEDHELM WOLSKI-PRENGER chen Tätigkeit waren und sind die Autoren Gotthold Ephraim Lessing und Franz Mehring. Zu erwähnen ist auch Thomas Höhles »lang- »Dem freien Geiste freien Flug«. jährige Mühewaltung für Gottfried August Bür- ger und das Bürger-Museum in Molmerswende«, Beiträge zur deutschen Literatur auf die Günter Hartung (Halle) eingangs seines für Thomas Höhle. Beitrags über »Reichardts ›Lenore‹-Vertonung« Hrsgg. v. Dieter Bähtz, Manfred hinweist. Nun auf das achte Lebensjahrzehnt zu- Beetz u. Roland Rittig. Schriften gehend, ist der Emeritus noch immer fleißig. Momentan arbeitet Prof. Höhle an seinen Me- der Ernst-Ortlepp-Gesellschaft e.V. moiren. Nr. 2, Leipziger Universitätsverlag Die Festschrift für Thomas Höhle enthält 13 Leipzig 2003, 183 S., (15 €) Aufsätze, die mehr als zwei Jahrhunderte deut- scher Literatur beleuchten. Die Spanne reicht von der in der Mitte des 18. Jahrhunderts ge- Den 75. Geburtstag des halleschen Germanisten gründeten »Gesellschaft der schönen Wissen- Prof. Dr. Thomas Höhle nahmen Freunde, ehe- schaften in Halle«, die Hans-Joachim Kert- malige Kollegen und Schüler zum Anlaß, den scher (Halle) vorstellt, bis hin zur Bearbeitung Wissenschaftler mit einem Kolloquium zu eh- des Dramas »Der Hofmeister« von Jakob Mi- ren. Die vom Germanistischen Institut der hal- chael Reinhold Lenz durch Bertolt Brecht im leschen Universität, der Ortsvereinigung der Jahre 1950. Die im Zuge dieser Arbeit geknüpf- Goethe-Gesellschaft Halle e.V. sowie der Ernst- ten Kontakte zur Klassikerstadt betrachtet Ortlepp-Gesellschaft e.V. getragene Veranstal- Lothar Ehrlich (Weimar) in seinem Beitrag tung hatte gut sechs Monate nach dem Geburts- »Brecht und Weimar«. Eröffnet wird der Band tag Thomas Höhles, am 22. Juni 2002, im mit einer Analyse des Großgedichts »Rede des Schloß Moritzburg zu Zeitz – dem Sitz der Ort- ewigen Juden« von Ernst Ortlepp. Rüdiger Zie- lepp-Gesellschaft, die eine der jüngsten literari- mann (Halle) hat diese Dichtung nicht nur einer schen Vereinigungen im mitteldeutschen Raum eingehenden Untersuchung unterzogen, son- ist – stattgefunden. Ein Vers des unglücklichen dern bereitet sie derzeit auch zur Publikation Dichters Ernst Ortlepp (1800-1864) lieh sowohl vor. Wie Roland Rittig, der zum Herausgeber- dem Ehrenkolloquium als auch der daraus her- gremium gehört, ist auch Ziemann im Vorstand vorgegangenen Festschrift für Thomas Höhle der Ortlepp-Gesellschaft. den Titel: »Dem freien Geiste freien Flug«. Das schön gestaltete Buch, dessen feuerwehr- Thomas Höhle wurde 1926 in Aue geboren, roten Einband eine Zeichnung schmückt, die wuchs aber in Düsseldorf und Kassel auf. Dem der Berliner Künstler Dieter Goltzsche dem Ju- 1944 in Göttingen abgelegten Abitur folgte die bilar zueignete, ist eine bleibende Würdigung Einberufung zur Wehrmacht. Seiner antifaschi- für einen vielseitigen und – Manfred Beetz erin- stischen Haltung folgend, gehörte er nach dem nert am Beginn seines Beitrages über Schillers Zweiten Weltkrieg zu den Mitbegründern der dramaturgische Rhetorik in »Wallenstein« KPD in Göttingen. 1947 übersiedelte er nach daran – auch rhetorisch höchst gewandten Ge- Leipzig, wo er studierte und bei Ernst Engel- lehrten, dem zeit seines Wirkens als Hochschul- berg und Hans Mayer promovierte. Von 1951 lehrer vor allem daran gelegen war, künftigen bis 1959 leitete Thomas Höhle das Institut für Deutschlehrern und Literaturhistorikern eine deutsche Literatur und kulturelle Massenarbeit gediegene Ausbildung zu bieten. an der Bundesschule des Freien Deutschen Ge- KAI AGTHE