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Sendung vom 23.10.2009, 20.15 Uhr

Reiner Calmund Ehemaliger Fußball-Manager im Gespräch mit Dr. Susanne Zimmer

Zimmer: Meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zum alpha-Forum, unser Gast ist heute Reiner Calmund. Herr Calmund, ganz herzlich willkommen, ich freue mich auf unser Gespräch. Calmund: Ich danke für die Einladung. Zimmer: Sie sind ehemaliger Fußballfunktionär, Kolumnist, Autor, Medienprofi. Sie seien, wie ich irgendwo gelesen habe, "ein Rentner mit 13 Jobs". Wer sitzt denn jetzt eigentlich vor mir? Calmund: Ich bin schon ein umtriebiges Kerlchen, denn ich hätte ja 2004 nach meinem Rücktritt auch ein bisschen angeln, Rosen züchten oder Hecken schneiden können. Aber das war alles nichts für mich. Ich war immer gewöhnt, im roten Bereich zu drehen, und das mache ich nach wie vor. Das ist allerdings nicht mehr so anstrengend wie früher, nicht im Hinblick auf die vielen Termine und den Zeitaufwand, sondern deswegen, weil ich früher im Fußball immer darauf angewiesen war, dass die Jungs mit den kurzen Hosen unten auf dem Rasen den Ball zwischen die weißen Balken geschossen haben. Wenn die das weniger oft gemacht haben als der Gegner, dann hat mich das zum Schluss Lebensqualität gekostet, viel Lebensqualität sogar. Zimmer: Und das muss ja nun nicht sein. Calmund: Ja, das musste nicht sein. Als Manager konnte ich alles: zanken, streiten wie die Kesselflicker mit den Spielern, mit deren Beratern, mit dem Verein, mit den Verbänden und auch und sehr gerne mit den Medien, denn ich hatte eine dicke Haut. Ich konnte also diesbezüglich in allen Tonlagen spielen. Nur eines war klar: Bei den Ergebnissen, die die Mannschaft erzielt hat, wurde ich immer empfindlicher, wurde meine Haut immer dünner. Am Ende habe ich sogar gesagt: "Mensch, Fußball wäre so schön, wenn nur diese Spiele nicht mehr wären!" Und heute kann ich den Fußball wieder richtig genießen. Ich habe 2006 die Weltmeisterschaft erlebt: auf der einen Seite als Fernseh- und TV-Experte. Ich habe sie aber auch als Botschafter für Nordrheinwestfalen erlebt und selbstverständlich auch für einige Sponsoren. Und ich habe die WM last, not least als Fan erlebt: Ich habe das genossen! Ich habe mitgefiebert! Aber der Adrenalinpegel war dabei trotzdem auf Normalniveau. Zimmer: Nun gibt es ja eine schöne Autobiografie mit dem Titel "fußballbekloppt" von Ihnen. Das heißt aber doch, auch wenn wir gerade in der Vergangenheitsform gesprochen haben, dass Fußball zu Ihrem Leben gehört. Ordnen Sie heute noch alles dem Fußball unter? Calmund: Bei Weitem nicht mehr. Aber ich habe dem Fußball wirklich viel zu verdanken. Bayer Leverkusen hat mir viel zu verdanken und ich habe Bayer Leverkusen viel zu verdanken. Wenn man erfolgreich arbeiten will, dann muss man positiv bekloppt sein: Insofern stimmt dieser Titel "fußballbekloppt" einfach. Auch wenn man im Fernsehen oder im Radio gute Geschichten machen will, dann muss man ein bisschen bekloppt sein. Das gilt genauso für einen Politiker, einen Unternehmer usw. All diese Menschen müssen positiv bekloppt sein, denn sonst könnte der Betreffende nicht erfolgreich arbeiten. Zimmer: Man muss also schon ein bisschen verrückt sein, oder? Calmund: Ja, man muss sich eben immer mit der Sache identifizieren, wenn man einen Job hat. Ich sage immer: Kompetenz und Leidenschaft sind für mich die Formel zum Erfolg. Und zur Leidenschaft zählt eben auch mit dazu, dass man sich mit seinem Job, mit seinem Produkt – ich damals mit dem Fußball, Sie mit dem Fernsehen, dem Radio – identifiziert. Auch mit seinem Team, mit seinen Mitarbeitern muss man sich identifizieren. Wenn man das nicht machen kann, wenn man sich am Morgen sagt: "Ach, muss ich da wirklich auch heute wieder hin, obwohl es mir dort nicht gefällt?" Wenn es so ist, wird da nichts daraus. Es geht also nicht nur um Siegeswillen, Einsatzwillen, Teamgeist, Motivation usw., also um die üblichen Schlagworte. Nein, zunächst einmal geht es um die Identifikation mit dem, was man tut, mit der Firma, in der man arbeitet, und mit deren Produkt. Zimmer: Ihre erste große Liebe war der Fußball. Wann hat Sie denn diese Liebe gepackt? Klassischerweise bereits als kleiner Junge? Calmund: Ja, schon als kleiner Junge. Ich bin ja groß geworden in einem sogenannten "Rhein-Braun"-Gebiet: Da war damals alles grau in grau, das war sozusagen unser ganzer Charme. Das Ganze nannte sich Kolonie: Die Eltern arbeiteten alle bei "Rhein-Braun", wo Braunkohle abgebaut wurde. Was hatten wir zu Hause bei uns? Nichts! Wenn wir auf die Toilette wollten, mussten wir über den Hof gehen. Gebadet wurde ein, zwei Mal in der Woche in der Waschküche in einer Wanne. Das waren einfach noch andere Zeiten damals. Der billigste Sport, den es für uns gab, war der Fußball: Die Teppichstangen im Hof waren das Tor oder wir nahmen einfach zwei Steine, die die Pfosten markieren sollten. Auch ein Ball war günstig zu bekommen. Der Fußball war damals bereits Volkssport Nummer 1! 1954 war ich sechs Jahre alt, als Deutschland Weltmeister wurde. Das war so relativ bald nach dem Krieg unglaublich wichtig für das Selbstvertrauen der Deutschen: für die deutsche Industrie, die deutschen Politiker und auch für den kleinen Mann von der Straße, denn auch sie waren wieder wer. Fußball war einfach billig, den konnte man sich leisten und deswegen war der Fußball die Sportart Nummer 1. Daneben haben wir als Kinder im Wald höchstens noch ein bisschen Räuber und Gendarm gespielt. Wir hatten ja nicht viele Spielsachen. Fußballspielen konnte man mit mehreren, d. h. der Fußball war kommunikativ und man konnte sich integrieren und lernen, sich zu behaupten. Aber man lernte auch, sich anzupassen. Der Fußball war einfach eine wunderbare Schule. Der Fußball war also bereits seit meiner Kindheit mein Sport. Ich kann mich gut erinnern, wie das damals war im Jahr 1954. In unserem Örtchen hat es damals nur einen einzigen Fernseher gegeben, und das mit einer Bildschirmgröße von vielleicht gerade 30 mal 20 Zentimeter. Das heißt, eigentlich musste man da schon fast mit der Lupe draufschauen. Wenn man als kleiner Junge dann auch noch 30 Meter weit weg stand, hat man natürlich unglaublich viel gesehen. Aber wir haben selbstverständlich mitgefeiert und auch gleichzeitig mit Radio gehört, diese berühmte Reportage von Herbert Zimmermann. Das war schon eine tolle Geschichte. Das war übrigens auch der Beginn des Fernsehens, denn erst danach gingen die Absatzzahlen für Fernsehgeräte in Deutschland in astronomische Höhen. Zimmer: Was muss man denn mitbringen, wenn man so angefangen hat, um dann zu einem wirklichen Global Player im Fußballgeschäft zu werden? Calmund: Wie gesagt, es braucht zuerst einmal die Identifikation. Und dann muss man viel arbeiten, denn es fällt einem nichts in den Schoß. Ich habe das von meiner Mutter mit in die Wiege gelegt bekommen. Ich habe ja vor Kurzem zum ersten Mal einen Halbmarathon mitgemacht und bei diesem Anlass haben die Ärzte zu mir gesagt: "Ihre Mutter und Ihr Vater haben Ihnen wirklich gute Gene mitgegeben!" Alle Blutwerte sind in Ordnung, das Cholesterin ist in Ordnung, ebenso der Puls usw. Und noch etwas ganz Wichtiges hat mir meine Mutter mitgegeben: arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten! Sie war ein riesengroßes Vorbild für mich, obwohl sie selbst sehr, sehr hart vom Schicksal getroffen worden war. Am Ende des Krieges ist ihr Vater gefallen, ihre Mutter gestorben, der älteste Bruder, der dann die Familie geführt hat, ist bei seiner ersten Feindfahrt im U-Boot ums Leben gekommen. Die älteste Schwester hatte noch im Krieg geheiratet: Dieser junge Mann ist bei seinem ersten Einsatz an der Front ums Leben gekommen. Die übrigen Kinder waren dann in verschiedenen Waisenhäusern verstreut. Meine Mutter war damals bereits im Kloster, aber dann wurden die Geschwister doch noch alle zusammengeführt. 1948 ist dann der kleine Calli auf die Welt gekommen, also ich. Sie hat meinen Vater geheiratet, aber recht bald Krach mit ihm bekommen, woraufhin er zur Fremdenlegion abgehauen ist, wo er dann leider ebenfalls gefallen ist. Wenn man all das mitgemacht hat und dann sieht, was sie daraus gemacht hat, dann nötigt einem das großen Respekt ab. Sie hat es wirklich immer verstanden, aus 50 Pfennig eine Mark zu machen. Wenn mich heute jemand fragte, wen ich am liebsten zum Essen einladen würde, den Papst, Obama oder sonst eine Berühmtheit, dann würde ich immer sagen: "Meine Mutter soll noch einmal vom Himmel runterkommen, damit ich ihr sagen kann, wie gut es mir geht." Besonders happy wäre sie, wenn sie mitbekäme, wie gut es ihren Enkelkindern und ihrem Urenkel geht. Das wäre für sie der schönste Tag überhaupt, und für mich wäre es auch ein wunderbarer Tag. Sie hatte ja keine wirkliche Schulbildung und doch hat sie sich dann in diesen Nachkriegsjahren durchgesetzt: Sie war sich nicht dafür zu schade, an dem Ort, an dem wir dann später wohnten, morgens in einem Café zum Putzen zu gehen: Sie hat dort alles sauber gemacht, von der Backstube bis zum Ladengeschäft. Nachmittags ging sie dann mit ihrem schwarzen Kleidchen und der weißen Schürze als Serviererin und hat dabei dann wirklich gut verdient. Zusammen mit meinem Stiefvater hat sie sich dann ein Reihenhaus gekauft. Das ging natürlich nur deswegen, weil uns die "Rhein-Braun" weggeschickt hatte von unserem Ort, weil dort Kohle drunterlag. Aus diesem Grund bekamen wir günstig ein Grundstück. Aber wir hatten dann auch früh schon ein Auto und konnten sogar in Urlaub fahren. Das waren alles tolle Geschichten. Aber das lief immer unter dem Motto: "Arbeiten, arbeiten und noch einmal arbeiten!" Denn damit kann man dann nämlich das Glück auch erzwingen. Zimmer: Aus diesem Grund war Ihre Mutter für Sie das ganz große und prägende Vorbild. Calmund: Sie war und ist für mich das ganz große Vorbild. Zimmer: Und dann haben Sie aus einer Werksmannschaft, denn Bayer Leverkusen war ja zunächst einmal nicht mehr und nicht weniger als eine Werksmannschaft, einen Spitzenverein geformt. Calmund: Ja. Zimmer: War das für Sie klar, dass das Ihr Ziel ist? Hatte das mit dieser Power zu tun? Oder hat sich das nach und nach so ergeben? Calmund: Mein Ziel war immer, zu gewinnen. Ich habe heute noch immer deswegen Theater mit meiner Frau und auch mit meinen Kindern, die mich ja bereits zum dreifachen Opa gemacht haben. Mein Prinzip bei den Kindern und auch bei den Enkelkindern war immer: Gut, bis zum Alter von fünf, sechs Jahren lasse ich sie gewinnen bei solchen Spielen wie Mau-Mau oder "Mensch ärgere dich nicht". Aber danach wird es ernst, von da an lasse ich sie nicht mehr gewinnen. Deswegen gibt es dann auch ab und zu mal Zoff in der Bude, vor allem wenn ich dann sage, dass sie einfach lernen müssen, mit Niederlagen leben zu können. Ich gewinne aber nicht nur, sondern ich hänsle sie dann sogar. So ist das auch, wenn ich mit meinen Kumpels Skat spiele. Im Fußball ist es genauso: Als junger Kerl hatte ich sehr früh eine massive Sportverletzung und konnte deswegen nicht mehr weiterspielen. Also habe ich meine Fußballtrainerlizenz gemacht, und später auch meine Organisationsleiterlizenz beim DFB. Und dann habe ich als Medienmann angefangen zu schreiben: zuerst einmal kleine Berichte, später dann war ich für mehrere Seiten Lokalsport zuständig. Dadurch habe ich schon frühzeitig neben meinem Betriebswirtschaftsstudium gut verdient, denn ich habe Groß- und Außenhandelskaufmann gelernt. Und ich habe auch gleich mit 18, 19 Jahren geheiratet, worauf dann auch bald meine erste Tochter zur Welt kam. Ich sage immer: Einmal probiert, direkt geklappt. Zimmer: Respekt! Calmund: Das war ja auch die Zeit um 1968 herum. Ich war immer politisch interessiert, auch heute noch: Ich bin für Schwarzrotgold, also nicht für eine einzelne Farbe, sondern ich bin für Deutschland und dafür, was für uns als Land das Beste ist. Aber bei mir ging es damals eben auch darum, wie die Familie überleben kann: Also habe ich studiert und wollte mich noch weiterbilden, habe in der Zeitung gearbeitet und habe Nachwuchsmannschaften trainiert. Ich habe vor allem Jugendauswahlmannschaften trainiert: Das war allerdings noch in der Zeit, bevor ich dann diesen Medizinball verschluckt habe, der mir heute noch im Magen liegt. Eine Jugendauswahlmannschaft setzte sich damals aus dem Landkreis Köln zusammen: Das waren sozusagen die jungen Edelbauern und nicht die aus der Stadt. Mit mir als Trainer haben wir dann alle anderen Auswahlmannschaften z. B. aus Bonn oder Aachen geschlagen. Also wurde gesagt: "Mensch, der Calli muss was können!" Mit "Frechen 20", also mit einer Fußballmannschaft aus der Stadt Frechen mit 20000, 30000 Einwohnern, sind wir dann auch gleich Landesmeister geworden. Dabei haben wir den 1. FC Köln oder auch Alemannia Aachen besiegt. Und so wurde dann eben auch irgendwie Bayer Leverkusen auf mich aufmerksam. Dort wurde ich Nachwuchschef und Stadionsprecher und Spielerbeobachter, also das, was man heute einen Fußballscout nennt. Später, als Manager, habe ich dann das modernste Scouting überhaupt eingeführt: z. B. gleich mit der Unterstützung durch PCs. Das Ganze lief bei mir immer nach dem Motto: Die Schnellen schlagen die Langsamen und nicht nur die Großen die Kleinen. Auch das hängt natürlich mit Arbeit, Arbeit, Arbeit zusammen und hängt natürlich auch von diesem berühmten Quäntchen Glück ab, dass man im richtigen Moment an der richtigen Stelle ist. Zimmer: Ein Chef, der gewinnen will! Was sind Sie denn eigentlich für ein Chef? Sind Sie ein einsamer Entscheider, ein schwieriger Chef oder ein Teamplayer? Calmund: Es gibt da ja dieses fiese Gerücht, dass die meisten, die mit mir zusammengearbeitet haben, gesagt hätten: "Wenn du mit dem Calmund arbeitest, freust du dich aufs Sterben." Das war zwar ein fieser Spruch, aber er trifft insofern zu, als ich immer sehr, sehr viel verlangt habe. Aber ich war – und das bin ich bis zum heutigen Tag – mit einer sozialen Kompetenz ausgestattet: Mir geht es wirklich immer darum, auch soziale Kompetenz zu zeigen. Zimmer: Also auch mal die Arme aufzumachen. Calmund: Das gehört einfach dazu. Heute ist ja die Zeit des Shareholder Value: Es heißt, alles, was keine schwarzen Zahlen schreibt, wird abgeschafft. Auf diese Weise können dann große Unternehmenschefs sagen, sie hätten nun keine leichte rote Zahl mitzuschleppen, sondern eine dicke schwarze Zahl im Jahresergebnis erreicht. Viele überlegen einfach nicht, was sie da mit Menschen veranstalten. Natürlich gibt es auch viele Unternehmen, die sich gesundschrumpfen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das heißt, man kann nicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren. Aber ich glaube, dass auch viele diesen Trend ausnutzen. Auch jetzt in der Finanzkrise, in der Weltwirtschaftskrise werden eigene Fehler ganz schnell nicht mehr wirklich analysiert, sondern eben mit dieser Krise begründet. Auch unangenehme Entscheidungen wie z. B. der Abbau von Arbeitsplätzen werden gerne mit der Finanzkrise begründet. Sicherlich ist es in bestimmten Situationen erforderlich, dass man auch Stellen abbauen muss, dass man den Gürtel enger schneller muss, dass man die Kosten, dass man die Investitionen nicht nur drei Mal sondern 25 oder gar 50 Mal abwägen muss. Aber das ist eben auch eine Zeit, in der viel angeblich "alter Ballast" abgeworfen wird: Dass da aber auch oft Menschen mit Familie und Kinder dahinterstehen, müssten sich die Unternehmen – nicht nur bei uns, sondern auf der ganzen Welt – viel stärker vor Augen führen, weswegen sie einfach mehr soziale Verantwortung zeigen müssten. Zimmer: Kommen wir zurück zur Person Reiner Calmund. Günter Netzer hat Sie einmal als "gemütlichen Dicken" beschrieben. So wie ich Sie hier erlebe und wie Sie auch die Öffentlichkeit erlebt, scheint mir das anders zu sein: Fühlen Sie sich denn durch die Aussage Netzers richtig beschrieben? Calmund: Doch, ich kann schon auch ein richtig gemütlicher Dicker werden. Wenn man mal schön essen geht und quatschen kann, dann bin ich ein ganz anderer Reiner Calmund. Zimmer: Das ist dann die Zeit, in der Sie gelassen sein können. Calmund: Im Job selbst ist das anders. Im Job habe ich schon auch mal einen vom Stuhl runtergehauen, weil mir das Hemd, also der Verein Bayer Leverkusen, einfach näher saß als die Jacke. Da habe ich dann ein Pflaster draufgeklebt und dann war es wieder gut. Aber wenn ich z. B. mit meiner Frau in den Urlaub fahre und dann auch das Handy "wegwerfe", weil nun wirklich Feierabend ist, dann habe ich durchaus die Möglichkeit, den Schalter umzulegen und zu relaxen. Zimmer: Sie können also auch loslassen? Calmund: Ja, sicher, aber wenn ich den Schalter einschalte, dann bin ich auf voller Betriebstemperatur: Da geht es dann immer auch in den roten Bereich hinein. Zimmer: Das Lob der Langsamkeit im Berufsleben werden Sie also nie singen. Calmund: Nein, sicher nicht. Was ich im Berufsleben hasse, ist, wenn Leute keine Kompetenz haben und dann auch noch arrogant sind. Wenn jemand etwas nicht versteht, dann muss man sagen: "Gut, du bist für einen anderen Job geeignet, aber nicht für diesen!" Aber wenn einer dumm und ahnungslos ist und dann auch noch arrogant, dann ist das etwas, was ich hasse wie die Pest. Aber ansonsten bin ich im Job schon auch ein vernünftiger und umgänglicher Mensch. Ich will nur, dass die Menschen das, was sie in ihrem Rahmen können, auch wirklich tun, dass sie in ihrem Rahmen Gas geben. Ich selbst bin ja aus ganz, ganz einfachen Verhältnissen vorwärtsgekommen und deswegen kann ich mich auch immer sehr gut in die Menschen hineinversetzen, die in den "kleineren Etagen" arbeiten. Ich sage daher auch immer: Wir oben können lenken oder Gas geben, wie wir wollen, aber wenn die Leute unten nicht aufgrund ihrer Identifizierung mit dem Unternehmen leidenschaftlich Gas geben, dann bewegt sich gar nichts. Das gilt für einen Sportverein genauso wie für ein Unternehmen oder eine Fernsehanstalt. Der Intendant einer Rundfunkanstalt kann die besten Pläne haben: Wenn seine Leute nicht Gas geben, dann könnte er schalten und lenken und bremsen, soviel er mag, es würde trotzdem nicht so laufen, wie er sich das vorstellt. Das heißt, man ist auf die Leute angewiesen: Das ist heute im Berufsleben eben auch ganz wichtig geworden. Denken Sie an Jürgen Klinsmann und Bayern München: Natürlich braucht man gute Fitnesstrainer und Ernährungsberater und Mediziner und Scouts und Spielanalytiker usw. Das haben heutzutage alle Spitzenvereine, d. h. dafür gibt es keine Fleißkärtchen mehr. Was man heute stattdessen braucht, weil es ganz, ganz wichtig geworden ist, ist People Management oder Personal Management. Ich habe das vor Kurzem noch mit dem Bruno Labbadia besprochen, der ja gegen Ende der letzten Saison als Trainer mit Leverkusen so ein bisschen in die Krise kam. Er hat dabei immer ganz stur gesagt: "Ich gehe meinen Weg!" Ich habe ihm gesagt: "Bruno, selbst wenn das, was du willst, hundertprozentig richtig ist – wenn es dir nicht gelingt, deine Spieler, dein Team, deine Truppen hinter dich zu bringen, dann schaffst du's nicht, auch wenn du zu 100 Prozent recht hast. Du kannst im Fußball nicht gewinnen, wenn du die Leute nicht hinter dich bringst." Es gibt ganz große Trainer auf der Welt wie z. B. Guus Hiddink und Leo Beenhakker, die für Kompetenz stehen. Das sind Trainer, die sowohl Real Madrid und viel große Vereine in Europa wie auch meinetwegen Trinidad Tobago oder auch Südkorea trainiert haben. Aber auch da wird elf gegen elf gespielt und auch da gibt es nur einen Ball im Spiel. Aber die Menschen dort haben eine andere Mentalität, haben einen anderen religiösen Hintergrund und zu vielen, vielen Dingen eine völlig andere Einstellung. Da kommt es dann wirklich auf das Personal Management, aufs People Management an. Das muss man heute können. Zimmer: Das heißt, man muss die Leute auch motivieren können. Calmund: Ja, das heißt auch Motivation. Aber das heißt auch, dass man die Leute begeistert, sie mit auf die Reise nimmt. Zimmer: Es gibt ja leider nicht immer nur Siege. Wie gehen Sie denn mit Niederlagen um? Calmund: Schwer. Ich hatte ja vorhin schon gesagt, dass ich nur ganz schlecht verlieren kann. Meine Niederlagen haben mir schon sehr weh getan. Zimmer: Welche hat denn am meisten geschmerzt? Calmund: Sie tun mir alle weh, wie ich sagen muss. Sicherlich hätte ich ganz gern einmal die Schale gewonnen, wie ich ehrlich zugebe. Wenn man ein paar Mal kurz davor ist, deutscher Meister zu werden, dann ist das schon bitter. Wir sind hier ja nicht weit von Unterhaching entfernt: Damals mussten wir im letzten Saisonspiel auswärts in Unterhaching nur unentschieden spielen. Davor hatten wir groß aufgespielt beim Hamburger SV, der dann letztlich Dritter wurde. Wir hatten Bremen und auch alle anderen souverän weggeputzt und dann fuhren wir nach Unterhaching. Wie gesagt, uns reichte ein Unentschieden zum Meistertitel. Wir hatten in dieser Saison insgesamt nur zwei Spiele verloren! Wir hatten ein Mittelfeld vom Allerfeinsten mit Ze Roberto, dem "schwarzen Brasilianer" links, mit Bernd Schneider, dem "weißen Brasilianer" rechts: Die beiden hatten damals noch überhaupt kein Moos auf dem Rücken, sondern waren noch taufrisch. Zimmer: Es wäre also alles richtig gewesen. Calmund: Ja, wir hatten noch den Emerson, der in dieser Saison zum besten Bundesligaspieler gewählt wurde. Wir hatten als offensiven Mittelfeldspieler vor ihm den – und was geschah? Die bekamen in Unterhaching das Spiel nicht in den Griff! Und der Ballack machte dann sogar noch ein Eigentor. Das war also eine reine Nervenangelegenheit. Das heißt, das war keine Frage der Qualität mehr, denn wir standen ja kurz vor dem Triumph. Der DFB-Präsident war in Unterhaching, um uns die Schale zu überreichen, die Musik spielte und alles war bereit. Seitdem kann ich z. B. das Lied "Anton aus Tirol" vom DJ Ötzi nicht mehr hören, denn dieses Lied wurde vor dem Spiel gespielt, in der Halbzeit, bei jedem Tor der Unterhachinger – zwei Stück! – und bei jeder Tormeldung aus München und nach dem Spiel. Das heißt, ich habe dort in Unterhaching dieses Lied acht Mal gehört. Seitdem kann ich dieses Lied, so schön es ist, wirklich nicht mehr hören. Zimmer: Wie stehen Sie dann wieder auf nach so einer Niederlage? Calmund: Das ist auch ein Motto von mir: immer wieder aufstehen. Ich habe ja vorhin gesagt, dass Kompetenz und Leidenschaft die Formel für den Erfolg darstellt. Es kommt aber letztlich nicht nur darauf an, was man kann und was man tut, sondern es kommt auch darauf an, dass man Niederlagen wegstecken kann. In der verkürzten Form heißt das berühmte Zitat von Churchill: "Hinfallen darf man, aufstehen muss man!" Das gilt selbstverständlich zuerst und auch im engeren Kreis, im privaten Umfeld. Ich bin vor einiger Zeit 60 Jahre alt geworden: In dieser Zeitspanne musste ich erleben, wie der eine oder anderer Freund oder auch frühere Förderer von mir stirbt oder an einer schweren Krankheit erkrankt. Das habe ich leider auch in der Familie selbst schon erlebt: Das sind dann natürlich immer ganz bittere Schicksalsschläge. Aber es muss trotzdem weitergehen, auch in der Familie. Man hat seine Kinder, man hat seine Enkelkinder, man muss den Job weitermachen und muss zusammen mit der Lebensgefährtin oder Frau weitermachen: Es geht immer weiter, es muss weitergehen, auch im privaten Bereich – trotz aller Schmerzen und Probleme. Wenn es also im privaten Bereich nach solchen harten Schicksalsschlägen weitergeht, dann muss es doch möglich sein, dass es auch in einem Sportverein weitergeht nach Niederlagen. Ich habe in meinem Buch ja geschrieben, dass die Zahl 7 meine Lieblingszahl ist und was sie für mich bedeutet. Der Fußball steht bei mir auf Platz 7. Ich liebe den Fußball und habe z. B. auch Weltmeisterschaften erlebt, als Botschafter, als Fan, als TV-Mann, als Vereinsmanager. Ich habe mit dem Verein Spiele in der , im UEFA-Cup und auch in der Champions League erlebt. Und dennoch steht der Fußball bei mir nur auf dem siebten Platz. Warum? Weil es nur ein Spiel ist. Platz 1 nimmt bei mir der Tod meiner Mutter ein. Ich hatte ja immer Angst vor dem Sterben und war dann, das will ich wirklich in sehr großen Anführungszeichen verstanden wissen, "sehr zufrieden", dass ich sie am Sterbebett begleiten konnte auf ihrem Weg hoffentlich in den Himmel. Das hat mir viel Angst vor dem Tod genommen. Auch dass ich im letzten Jahr in Indochina, also in Vietnam das Grab meines leiblichen Vaters gefunden habe, war für mich sehr wichtig. Das hat selbst nach 50 Jahren bei mir emotional unglaublich viel bewegt. Zimmer: Das war wichtig für Sie. Calmund: Das war ganz wichtig! 50 Jahre sind ja doch eine lange Zeit, aber ich kann mich als 60-Jähriger eben schon noch erinnern, wie das war, als ich vier, fünf Jahre alt war und mein Vater zum letzten Mal im weißen Ausgehanzug der Fremdenlegion bei uns zu Besuch war. Zimmer: Sie können sich also an Ihren Vater noch erinnern, obwohl Sie erst sechs Jahre alt waren, als er starb. Calmund: Ich kann mich noch gut an ihn erinnern. Ich kann mich auch noch gut an das Haus erinnern, in dem mein Opa und meine Oma väterlicherseits gewohnt haben. Es war so, dass ich selbst dann auch immer einen weißen Anzug haben wollte: Zur Hochzeit von meiner Tante und der zweiten Hochzeit meiner Mutter wollte ich auch unbedingt einen weißen Anzug haben. Man muss sich vorstellen, was es bedeutet hat damals, so einen weißen Anzug zu besorgen. Auch bei der goldenen Hochzeit meines Opas väterlicherseits trage ich, wie man auf einem Foto in meinem Buch sehen kann, einen weißen Anzug. Ich wollte also bereits in ganz jungen Jahren immer einen weißen Anzug haben: Dieses Bild meines Vaters im weißen Anzug hatte mich also geprägt. Das Schlimme war, dass kurz nach meinem Vater auch mein Opa und meine Oma gestorben sind. Sie waren doch mein großer Halt gewesen, weil meine Mutter so viel arbeiten musste. Gegen Ende seines Lebens wurde mein Opa blind: Ich glaube, ich habe deswegen das Quatschen gelernt! Denn ich habe ihn dann immer durch den Ort geführt und musste ihm alles erzählen, was ich sah. Damals gab es im ganzen Ort nur ein einziges Auto, das dem Arzt gehörte, insofern war das also nicht so gefährlich für einen Vier-, Fünfjährigen. Am Schluss mussten wir immer zum ehemaligen Kloster Benden gehen, wo es früher noch einen Gutshof, also einen Landwirtschaftsbetrieb gegeben hat. Dort war er der Vorarbeiter, also sozusagen der Hans Dampf in allen Gassen gewesen. Ich musste ihm dann immer sagen, ob alles in Ordnung ist … Zimmer: Sie waren seine Augen! Calmund: Ja, ich war seine Augen. Im Rahmen meines sozialen Engagements habe ich hier in München ja einen ähnlichen Fall erlebt, nämlich mit Verena Bentele, die ebenfalls sehr, sehr stark sehbehindert ist und trotzdem Biathlon betreibt. Sie hatte sich mal gewünscht, dass ich ihr Köln zeige. Ich war dabei nervös wie bei meinem ersten Rendezvous als junger Kerl: Wie mache ich das, wenn ich mit dieser jungen Frau, die nicht sehen kann, auf der Domplatte stehe und ein Haufen Leute zu mir kommen und ein Foto machen wollen mit mir? Aber es lief dann ganz wunderbar, ich habe ihr den Dom erklärt und den Rhein gezeigt usw. Am Schluss waren wir dann in der Altstadt ein Kölsch trinken: Da haben wir Schnittchen gegessen und auch gesungen. Und am Ende fuhr sie ganz glücklich nach Hause. Wissen Sie, was das Schönste war? Auch ich fuhr unwahrscheinlich glücklich nach Hause. Denn meine Probleme, die ich am Morgen noch hatte, sind nach diesem Tag absolut klein geworden. Deswegen sage ich auch immer: Versucht bitte immer alle, etwas Soziales zu machen. Ich weiß schon, man ist engagiert, man ist stark eingebunden in seinen Job, aber wenn man so etwas macht, dann hilft das z. B. nicht nur den Menschen mit Behinderung, sondern dann hilft das auch den Helfern ohne Behinderung. Meistens ist es ja so, dass wir Menschen ohne Behinderung mehr Hemmungen haben, auf diese Menschen zuzugehen. So kann man also denen helfen und sich selbst dabei auch. Das funktioniert selbst dann, wenn man das nur alle zwei Monate mal macht. Zimmer: Darf ich noch einmal auf diese Spurensuche zurückkommen? Sie haben das Grab Ihres Vaters in Vietnam gesucht und gefunden? Was war die Motivation dafür? Calmund: Meine Mutter hatte immer zu mir gesagt, dass es ihr großer Wunsch wäre, dass ich das Grab meines Vaters besuche. Damals in den 50er Jahren führten ja die Franzosen Krieg mit Vietnam. Später kamen die Amerikaner und es war für lange Zeit unvorstellbar, nach Vietnam zu reisen. Es hat mich damals aber vor allem noch etwas anderes daran gehindert, dem genauer nachzugehen. Mein Vater war tot, alle meine leiblichen Großeltern waren tot und wir mussten aus dem Ort wegziehen, in dem ich aufgewachsen war, weil alles weggebaggert wurde. Wir zogen zwar nur 20 Kilometer weiter, aber für mich war das damals wie ein Erdteilwechsel. Zimmer: Das heißt, man gibt da eben auch Wurzeln auf. Calmund: Ja, die ganzen Wurzeln waren weg und es war eine völlig andere Situation für uns. Meine Mutter hat auch noch einmal geheiratet und mein Stiefvater war unwahrscheinlich gut zu mir. Meine Stiefgroßeltern wurden für mich der volle Ersatz, auch im Hinblick auf die Liebe. Da hat dann meine Mutter eben gedacht, dass es doch besser sei, wenn man im Hinblick auf meinen Vater nicht in den alten Wunden wühlt, da doch mit den neuen Stiefgroßeltern ohnehin alles gut sei. Und es wurde natürlich früher schon auch gerne das Mäntelchen der Verschwiegenheit über bestimmte Probleme gedeckt. Als ich dann später anfing, nach dem Grab zu suchen, hatte ich natürlich zunächst einmal keinerlei Anhaltspunkte. Reinhold Beckmann hatte mich zusammen mit Rudi Assauer in seine Sendung eingeladen: In seiner Sendung konfrontierte er mich dann mit dieser Sache. Danach hagelte es von Zuschriften von Fremdenlegionären, unter denen ja doch ein großer Zusammenhalt bestand früher. Mir haben dann aber auch das französische Verteidigungsministerium und die heutige Führung der Fremdenlegion geholfen. Aber auch die deutschen Behörden haben mich unterstützt wie z. B. der deutsche Botschafter in Hanoi, Herr Schulze. Sehr große Unterstützung erfuhr ich auch von den vietnamesischen Behörden. So konnte ich das Grab meines Vaters finden, das ich ohne diese Hilfe niemals gefunden hätte. Das hat mich dann zusätzlich veranlasst, mal etwas aufzuschreiben, denn ich wurde ja 60 Jahre alt: Ich wollte dieses Buch am Anfang gar nicht schreiben, aber ich dachte mir dann, dass das mit dem Grab meines Vaters eben doch ein Thema ist, über das ich schreiben sollte. Deswegen steht am Anfang meines Buches auch: "Für meine Frau und für meine Kinder". Im weiteren Sinne ist es natürlich auch meinen Enkeln gewidmet. Ich habe damals gedacht, dass ich das Buch schreibe und dann eine Auflage von 10 Stück davon machen werde: für meine fünf Kinder, meine drei Enkelkinder und meine Frau – und ein Exemplar für mich. Aber als das dann für so interessant hielt, habe ich zugestimmt, dass dieses Buch wirklich als Buch erscheint. Netterweise war dann auch noch eine sehr tüchtige Lektorin mit beteiligt. Vom Inhalt her wurde da nichts mehr verändert, höchstens mal da ein Komma und dort eine flüssigere Satzstellung usw. Der schöne Nebeneffekt war dann, denn das war gar nicht meine Intention gewesen, dass wir mit diesem Buch bereits nach zwei, drei Wochen auf der Bestsellerliste des "Spiegels" standen. Das war sicherlich zusätzlich schön und es freute mich natürlich, dass mein Buch den Leuten gefällt. Wie gesagt, es ist ja auch nicht nur Fußball drin in diesem Buch. Ich wollte eigentlich schreiben, dass ich jetzt 60 Jahre alt bin, dass ich also jetzt quasi in der 60. Minute bin, dass ich aber wie im Fußball gerne 90 Minuten spielen würde. Ich will also 90 Jahre alt werden und dann vielleicht noch ein paar Verlängerungsminuten hinten dran bekommen. Zimmer: Ich wollte es gerade sagen: Wir hoffen doch auf Verlängerung. Calmund: Ja, aber um das zu erreichen, muss man eben auch etwas tun für die Gesundheit, damit man nicht verletzt ausscheidet oder die Rote Karte bekommt. Das waren so die zwei Punkte, die mich dazu gebracht haben, das mit diesem Buch auch tatsächlich zu machen: damit später die Kinder und vor allem die Enkelkinder wissen, wie der Alte eigentlich getickt hat. Zimmer: Wir sehen, Reiner Calmund ist auch ein großer Familienmensch, wir hören hier eine ganz starke und große Liebe zu Ihrer Familie heraus. Wir haben in diesem Gespräch auch erfahren, wie prägend das alles war, was Sie in Ihrer Kindheit erlebt haben. Möchten Sie denn Ihren Kindern ein Vorbild sein als Vater? Calmund: Ich mache ja auch da kein Hehl daraus, dass ich kein guter Vater gewesen bin. Ich habe sie zwar alle geliebt, aber … Zimmer: Was ist denn ein guter Vater? Calmund: Das ist ein Vater, der sich doch mehr um die Erziehung der Kinder, um die Schulbildung usw. kümmert, der mehr an ihrer Seite ist und nicht so sehr viele Fehler macht wie ich. Wenn die Kinder was hatten, war ich halt nicht da oder hatte keine Zeit für sie. Meine Tochter schreibt in meinem Buch ja auch selbst darüber. Bei uns zu Hause hatten wir, da es ja noch kein drahtloses Telefon und auch kein Handy gegeben hat, das längste Telefonkabel der Welt. Meine älteste Tochter, die mir schon drei Enkel geschenkt hat, erzählt: "Immer wenn ich meinen Vater gesucht habe, bin ich einfach an dieser Schnur entlang gegangen. Da saß dann der Papa und hat gesagt, ich soll zur Mama gehen und sie fragen." So etwas ist natürlich kein guter Vater. Sie hätte so gerne mit mir über ihre Freunde gesprochen, über Schulprobleme usw. Mein Part war, im Urlaub groß aufzutreten und alles wettzumachen: Dabei habe ich meine Kinder natürlich nach Strich und Faden verwöhnt, sodass meine Frau dann zehn, elf Monate gebraucht hat, um sie wieder auf die Reihe zu bringen. Zwischendurch gab es mit mir Kirmesbesuche, Zirkusbesuche usw. Übrigens war ich gestern Abend auch beim Zirkus Roncalli mit meinem Enkel und dessen Freund: Die beiden hatten einen Heidenspaß dabei – und ich auch. So etwas mache ich also bis heute gerne. Da gab es dann natürlich auch Popcorn und ein Eis und Zuckerwatte und davor waren wir noch bei McDonalds gewesen usw. usf. Ich versuchte halt, all das wieder wettzumachen, was ich durch meinen Job vernachlässigt hatte. Sie mussten dann mit mir auf die Kirmes gehen und dort auf die Schiffschaukel und die Achterbahn usw. – ob sie wollten oder nicht. Zimmer: Noch einmal zur Frage des Vorbilds: Was würden Sie Ihren Kindern gerne mitgeben wollen? Calmund: Natürlich versuche ich ihnen zu vermitteln, dass man arbeiten, arbeiten und nochmals arbeiten muss. Es ist so wichtig wie das Atmen, kein Faulenzer zu werden. Und dabei spielt es keine Rolle, ob man oben oder unten arbeitet: "Wenn du höher willst, musst du mehr lernen, musst du auch das nötige Quäntchen Glück haben. Und wenn nicht, kann man auch mit einem kleineren Einkommen ein glückliches, zufriedenes Leben führen!" Diese Einstellung haben meine Kinder aber auch Gott sei Dank übernommen – natürlich auch von ihrer Mutter, also meiner geschiedenen Frau. Das heißt, das ist bei meinen Kindern nicht nur mein Verdienst, wofür ich auch sehr dankbar bin. Und ansonsten versuche ich ihnen halt zu vermitteln, dass man soziale Kompetenz braucht im Leben: dass man nett ist, dass man zuverlässig ist, ehrlich usw. Gut, man kann auch mal schwindeln, das gehört zum Leben auch mit dazu, denn das haben wir doch alle schon mal gemacht. Wenn ich jetzt sagen würde: "Seht mal, was euer Papa für ein ehrlicher, lieber Kerl gewesen ist im Beruf", dann würde das einfach nicht der Wahrheit entsprechen. Wenn wir alle zusammensitzen, sagt meine Tochter z. B., dass mein zweiter Enkel seine Hausaufgaben nicht immer macht und dass ich als sein Opa dazu doch mal was sagen soll, dass ich ihn mal kräftig schimpfen soll. Ich aber sage meinem Enkel, dass ich früher die Hausaufgaben auch nicht gemacht habe. Ich bekam immer so ein Hausaufgabenheft mit nach Hause, in dem meine Mutter erst einmal nachgucken musste, was ich als Hausaufgaben aufhatte. Früher hat man das ja bei uns "Päckchen" genannt, wenn man Aufgaben rechnen musste, wenn man einen Aufsatz schreiben musste usw. Wenn ich das erzähle, bekommt mein Enkel natürlich große Augen, aber meine Tochter sagt zu mir: "Mensch, warum sagst du das denn dem Buben?" "Die sollen doch wissen, dass auch wir nicht alle perfekt waren, dass wir auch Fehler gemacht haben. Das hilft den Kindern doch viel mehr, als wenn er den Eindruck bekommt, dass der Opa, der ja auch ein bisschen bekannt ist in der Öffentlichkeit, immer alles perfekt und bombig erledigt hätte." Ich war dann ja auch in der Sendung "6! Setzen!" von Günther Jauch und brachte mein Grundschulzeugnis mit. Da standen ein paar Dreier und auch eine Vier drin. Mein Umfeld war entsetzt, dass ich dieses Zeugnis mit in die Sendung genommen habe. Die meisten anderen, die mit in der Sendung waren, hatten ihr Grundschulzeugnis gerade nicht "gefunden". Ich aber habe es mitgenommen. Warum? Weil ich einfach sagen und den Kindern zeigen wollte: "So war ich noch in der Grundschule!" Danach muss man arbeiten und sich anstrengen, denn dann kann man auch noch bessere Zeugnisse erreichen: Wenn man sich damit identifiziert, wenn man daran arbeitet, dann kann man in seinem Job auch noch mehr erreichen, die Einser und Zweier im Zeugnis helfen nur am Anfang. Zimmer: Und darauf kann man dann auch stolz sein. Auf was sind Sie denn stolz? Calmund: Ich bin stolz auf meine Frau, auf meine Kinder, auf meine Enkel: Das ist das Wesentliche, auf das ich stolz bin. Wenn man älter wird, wird man ja Gott sei Dank auch etwas vernünftiger – obwohl es immer noch so brennt und kribbelt. Zimmer: Kommen wir zum bereits angesprochenen Stichwort "Gesundheit". Der Kampf gegen die Pfunde ist ja ein bisschen ein ärgerliches Thema, aber Sie haben diesen Kampf aufgenommen. Calmund: Ja, ich habe diesen Kampf sogar schon vor Jahrzehnten aufgenommen, ihn aber immer nur verloren. Ich habe durch meine vielen Diäten auch abgenommen, aber in der Endabrechnung habe ich dann doch mehr zugenommen als abgenommen. Ich sage immer, dass das an meinem Schweinehund bzw. an meinem Drecksack im Ohr liegt: Er hat mich jahrzehntelang immer ganz leicht überreden können. Immer wenn ich gesagt habe: "Nächste Woche fange ich ohne Wenn und Aber wieder mit dem Sport und gesunder Ernährung an!", kam er daher. Wenn es z. B. ein leckeres Essen gegeben hat, hat mir dieser kleine Drecksack im Ohr gesagt: "Ach, lass uns erst übernächste Woche damit beginnen!" Und ich? Ich habe gesagt: "Weiß du was? Du hast mich überredet! Das riecht so lecker, das sieht so schön aus! Warum nicht erst übernächste Woche damit anfangen?" So ging das Jahr für Jahr. Jetzt mit dem Buch und dem Gedanken an die "60. Minute" bzw. an die 60 Jahre muss ich sagen: Alle meine Werte diesbezüglich waren zur Überraschung der Mediziner in der Sporthochschule in Köln eigentlich sehr ordentlich. Aber wie gesagt, daran ist der liebe Gott "schuld", diese Gene habe ich von meinem Vater und meiner Mutter. Nach neun Monaten Abnehmen habe ich jetzt natürlich sensationelle Werte: Alle Blutwerte sind nicht nur in der Norm, sondern sogar in der Top-Norm. Der Cholesterinwert ist bombig, der Blutdruck mit 120 zu 80 ist ideal, mein Ruhepuls liegt bei ungefähr 50. Das sind Werte, die ich mit nur wenig Training erreicht habe, denn ich bin ja nicht gelaufen, sondern ich bin nur ein bisschen strammer gewalkt. Mit Sport, mit Bewegung kann man schon viel erreichen. Ich kann daher nur jedem sagen, dass ich meinen Schweinehund mit zwei Dingen überlistet habe: Der erste Punkt ist der Teamgeist, denn ich habe das nur zusammen mit Joey Kelly, mit der Sporthochschule Köln, mit meinem Fitnesstrainer, meiner Frau geschafft. Als Teamplayer fühle ich mich nämlich dieser Mannschaft gegenüber verpflichtet: Die strengen sich an und deswegen muss ich mich auch anstrengen. Deshalb sage ich: Macht zusammen mit Freunden, mit Kollegen, mit der Familie Sport! Zwei, drei Mal in der Woche schafft jeder. Ich hatte früher ja auch immer meine Ausreden und habe gesagt: "Schau doch auf meinen Terminkalender! Wenn ich nicht so viele Termine hätte, würde ich ja gerne Sport machen!" Aber eines steht fest: Wenn man zwei, drei Mal in der Woche Sport macht, dann ist man nicht nur körperlich leistungsfähiger, fitter, sondern auch im Hinblick auf die Birne. Darüber gibt es ja auch Studien, das ist hundertprozentig begründet. Die Zeit für den Sport abzuknapsen, ist also nicht nur für den Körper gesund, sondern auch gut für die geistige Leistungsfähigkeit und daher auch gut für den Job. Ich kann das nur jedem raten. Und dann sollte man eben auch gesünder essen. Ich habe in dieser Zeit kein einziges Mal Hunger gehabt. Ich habe lediglich Trennkost gemacht, mich also nicht von Knäckebrot oder Körnern ernährt. Das ist mir sehr gut bekommen. Natürlich habe ich auch mal gesündigt, das gehört einfach mit dazu. Und so geht dann das Gewicht peu à peu langsam runter: Mein Bauchumfang ist um knapp 20 geringer geworden und mein Gewicht hat sich um knapp 30 Kilo verringert. Ich wollte diese 30 Kilo eigentlich erst innerhalb eines Jahres schaffen, aber jetzt habe ich sie bereits nach neun Monaten erreicht. Wobei es aber so ist, dass man im ersten Jahr nur 15 Prozent des Gewichts verlieren sollte, dass man da also lieber langsam machen sollte. Im Bauch befinden sich ja diese gefährlichen Fette, die auch Entzündungen und Krankheiten auslösen können. Auch wenn Sie das vielleicht nicht sehen können: Ein bisschen Luft habe ich aus dem Medizinball bereits rausgelassen. Auch wenn ich mit 60 Jahren noch gute Werte habe, weiß ich doch, dass sich das irgendwann über Nacht ändern kann: Da kommt dann der Mann mit dem Bambusknüppel und haut einem auf den Schädel – und von da an stimmt dann gar nichts mehr. Zimmer: Sie haben sich also schon intensiv damit beschäftigt. Calmund: Es gehört also auch dazu, fit zu sein und ein bisschen Sport zu treiben, wenn man Lebensqualität genießen will. Zimmer: Worauf verzichten Sie am schwersten? Calmund: Ich bin ja ein Lust- und Stressfresser. Bei der Europameisterschaft im letzten Jahr hatte ich ja Lust und Stress gleichzeitig von morgens bis abends. Die ofenfrischen Jungschweinebraten mit Klößen in Österreich waren da schon sehr verführerisch. Und wenn es hinterher auch noch einen Palatschinken oder einen Kaiserschmarrn gegeben hat, habe ich auch nicht abgewunken. Das ist natürlich eine geradezu tödliche Verbindung: Soße, Klöße, Fleisch und Mehlspeisen. Ich weiß, es lag nicht an meinen Genen, dass ich da wieder zugenommen hatte. Nein, da haben mir meine Eltern keinen Erbfehler in die Wiege gelegt: Ich hab mir diesen Bauch einfach als Leckermäulchen gerne angefressen. Zimmer: Und Sie kochen auch selbst gerne. Calmund: Ja, das stimmt, ich mache ja auch mit bei der Sendung "Die Kocharena", wo wir mittlerweile schon auf über 50 Folgen gekommen sind. Viele sagen mir ja heute: "Mensch, du hattest doch früher nur mit Fußball zu tun. Was machst du da jetzt?" Denen kann ich nur antworten: "Fußball? Das sind elf gegen elf und gespielt wird mit jeweils unterschiedlichen Taktiken." Ich kenne das doch alles: Da wird mit einem Stürmer gespielt oder mit zweien, da wird im Mittelfeld mit einer Raute gespielt, mit zwei Sechsern im Mittelfeld, mit Viererkette in der Abwehr, mit Halskette, Hundekette … Das kann ich alles auswendig. Ich hatte mir aber schon als kleiner Junge immer gewünscht, eines Tages Schiffskoch zu werden, weil ich auch zu Hause immer schon gekocht habe und mir dazu gerne Freunde eingeladen habe. Und verreist bin ich immer schon gerne. Also wollte ich Schiffskoch werden. Auch heute verreise ich noch gerne: Momentan sind wir gerade mit dem Programm "Iron Calli" unterwegs: reisen und abnehmen und trotzdem gut essen. Verfolgt werden kann das alles auf dieser Internetseite "ironcalli", für die wir vom Deutschen Gesundheitsforum sogar schon den deutschen Health Media Award bekommen haben. Ich habe selbst meinen Halbmarathon gemacht usw. Ich sage einfach, wenn man alle drei Monate sein Auto zur Inspektion in die Werkstatt fährt, um dort den Ölstand, die Bremsen usw. kontrollieren zu lassen, dann muss man das auch mit seinem Körper machen. Ich bin jetzt 60 Jahre alt, und mein Pumpe tickt rund um die Uhr, meine Organe, der ganze Körper arbeitet jeden Tag 16, 17 Stunden im roten Bereich. Da muss es einfach klick machen bei mir! Ich kann also nicht mein Auto schön brav immer zur Inspektion fahren, während ich selbst nichts für den Erhalt meiner Fitness tue. Zimmer: Das ist auch ein Sieg, oder? Calmund: Ja, das ist auch ein Sieg. Und dann kommt eben noch hinzu, dass ich das öffentlich mache. Viele verstehen das nicht und fragen: "Warum hast du das so öffentlich betrieben?" Ich werde das von jetzt an auch ein bisschen zurückfahren, aber für die Startposition, für den Anfang war das wichtig, war das auch in dieser Form wichtig mit Fernsehen usw. Denn da musste ich mir einfach sagen: "Oh, nächste Woche bin ich beim Jauch, da werde ich auf die Waage gestellt und ein paar Millionen Zuschauer schauen zu. Da muss ich jetzt unbedingt etwas tun, damit das keine Blamage wird." Zimmer: Lassen Sie uns jetzt am Ende doch auch noch über schöne Dinge sprechen. Wenn wir über sportliche Erfolge sprechen: Was war denn der schönste Sieg für Sie? Calmund: Oh, das ist schwer. Natürlich könnte ich jetzt sagen, dass das die Titel gewesen sind, die wir gewonnen haben: also den DFB-Pokal, den UEFA- Cup usw. Sehr schön war auch, dass wir 1996 in wirklich allerletzter Sekunde den Klassenerhalt geschafft haben. Auch das war unglaublich nervenaufreibend. Da spielte Rudi Völler sein letztes Punktspiel überhaupt: Am Montag darauf war das Abschiedsspiel von ihm und einer internationalen Auswahl gegen die damals aktuelle Nationalmannschaft geplant. Zu diesem Spiel kamen aus aller Welt Rudis Spielkollegen und Freunde. Und am Samstag davor diesen Klassenerhalt zu schaffen, das war schon toll. Das Tragische war, dass wir in diesem letzten Saisonspiel gegen den unmittelbaren Abstiegskonkurrenten Kaiserslautern spielen mussten. Bei Kaiserslautern spielte damals noch der Andi Brehme, also ein Mann, mit dem Rudi Völler zusammen in Italien gespielt hat und mit dem er viele, viele Spiele gemeinsam in der Nationalmannschaft absolviert hatte. Ich werde dieses Bild am Ende des Spiels nie vergessen, wie sich die beiden da in den Armen lagen und geheult haben: Der eine abgestiegen, der andere drin geblieben. Es war nicht nur für den Rudi Völler wichtig, sondern schon auch für den ganzen Verein. Wir brauchten diese Aufbruchsstimmung auch, um ein neues Stadion zu bauen, um eine neue und bessere Infrastruktur aufbauen zu können, d. h. wir haben damals nicht nur in Beine investiert, sondern auch in Steine. Insofern war es schon sehr, sehr wichtig, dass wir dringeblieben sind. Natürlich kann man darüber lamentieren, dass wir in einer Saison drei Mal nur Zweiter geworden sind. 2002 wurden wir Zweiter in der Bundesliga und verloren das Endspiel der Champions League gegen Real Madrid und das Endspiel um den DFB- Pokal gegen Schalke 04. Ich kann jedenfalls immer nur sagen: Wann war denn das letzte Mal eine deutsche Mannschaft im Endspiel der Champions League? Seitdem waren alle deutschen Klubs meilenweit davon weg, ins Finale der Champions League zu kommen. Wir hatten sicherlich das Glück, eine Topmannschaft beisammenzuhaben und bis in die Schlussphase der Saison auch nur wenige Verletzte beklagen zu müssen. In diesem Jahr 2002, als wir drei Mal Zweiter wurden, hat es dann aber immer nur geheißen: "Jedes Mal, wenn es darauf ankommt, verlieren die Leverkusener!" Mich hat diese Aussage immer schwarz geärgert, weil ich gesagt habe: Wir hatten in der ersten Gruppenphase der Champions League den FC Barcelona und Olympique Lyon als Gegner. Aber wir haben uns durchgesetzt. In der zweiten Gruppenphase schieden gegen uns Juventus Turin und Arsenal London aus, die beide jeweils zwei Monate später in ihren Ländern nationale Meister wurden. Im Viertelfinale und Halbfinale haben wir dann den FC Liverpool und Manchester United rausgeworfen. Und dann war im Endspiel das "königliche" Real Madrid unser Gegner, das gerade 100-jähriges Bestehen feierte: mit Zinédine Zidane und Raul und Roberto Carlos usw., die damals noch jung und leistungsfähig waren. Wir haben uns in diesem Spiel vor einem Milliardenpublikum viele Sympathien erspielt. Alleine in der Nachspielzeit hat der Madrider Torhüter drei Mal großartig gegen uns gehalten. Wir haben uns da wirklich ordentlich verabschiedet. Natürlich hat es wehgetan, dass wir in dieser Saison drei Mal nur Zweiter geworden sind, aber ich habe damals gesagt, dass ich als Verantwortlicher im Verein mit aller Macht dafür eintrete, dass wir auf diesem Weg weitergehen werden. Natürlich will auch ich immer Erster werden und nicht Zweiter, aber das war für den Verein Bayer Leverkusen – mit dieser Größenordnung, mit dieser Struktur – ein riesengroßer Erfolg. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog hat damals geschrieben, und das hat mich sehr gefreut: "Wenn wir doch nur überall wie Leverkusen Zweiter werden würden, Zweiter in der Bildung, Zweiter im Verschuldungsniveau usw., dann wären wir doch glücklich." Ich habe damals den Journalisten, denen es natürlich auch nicht allen gefallen hat, dass wir drei Mal Zweiter geworden waren, gesagt: "Wenn Ihr alle Zweiter werden würdet in Europa, dann könntet Ihr heute Nacht vor lauter Freude gar nicht mehr einschlafen." Zimmer: Herr Calmund, Sie haben nun Ihren 60. Geburtstag hinter sich. Welche persönlichen Pläne haben Sie denn noch für die "restliche Spielzeit" und die "Verlängerung"? Calmund: Dass ich gesund bleibe, dass auch meine Frau und meine Kinder und Enkelkinder gesund bleiben, dass es auch in meinem Freundeskreis möglichst wenig Einschläge gibt. Und sonst? Wenn man mal hinfällt in diesem Alter, dann tut das höllisch weh und da ist dann auch gleich mal was gebrochen, aber ab diesem Alter muss man damit ganz einfach leben. Wichtig ist mir also, dass alle in meiner Familie und meine guten Freunde gesund bleiben und dass meine Kinder und Enkel in dieser etwas schwierigeren Welt ihren Platz finden im Beruf, im privaten Bereich, sodass man irgendwann sagen kann: "Unter dem Strich haben wir gewonnen!" Und ich kann nur sagen: Jetzt im Moment, nach 60 Minuten, liege ich in Führung und dieses Ergebnis würde ich gerne bis zum Spielende in der 90. oder 93. Minute halten wollen. Wenn ich dann noch einigermaßen fit sein sollte, hätte ich auch gegen eine Verlängerung nichts einzuwenden. Zimmer: Und der Schwung bleibt, sechzig Jahre hin oder her: Die Power bleibt. Calmund: Ja, die Power bleibt. Zimmer: Meine Damen und Herren, das war das alpha-Forum mit Reiner Calmund. Herr Calmund, ich bedanke mich ganz herzlich für dieses Gespräch und ich bedanke mich bei Ihnen zu Hause für Ihr Interesse. Auf Wiedersehen.

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