MAX LIEBERMANN LOVIS CORINTH

AUSSTELLUNG 26. 8. BIS 6. 10. 1990

KUNSTSALON FRANKE Lichtentaler Straße 14 7570 Baden-Baden KUNSTSALON FRANKE Tel. (0 72 21) 2 50 09 Fax (0 72 21) 3 82 97 BADEN-BADEN Hans-Jürgen Imiela Liebermanns liegen in Berlin bei Karl Steffeck und die Mauer seines Ateliergebäudes diente ihm als farbige lebenslange Zuneigung zu ihm und Franz Krüger haben Kulisse. Aus vielen Einzelstudien, die beachtliche Fri- Da nun einmal Max Liebermann, Lovis Corinth und etwas mit dem Hineingewachsensein – noch dazu sche und Genauigkeit der Beobachtung verbinden, Max SIevogt gerne als die großen Repräsentanten des Juden Max Liebermann – in diese Zusammen- baute er seine Komposition zusammen. Schon damals eines sogenannten deutschen Impressionismus be- hänge zu tun. Lovis Corinth wuchs in Tapiau und in Kö- entwickelte er eine Fähigkeit, die sich weiterhin als zeichnet werden, ergibt sich zwangsläufig die Frage, nigsberg in Ostpreußen auf. Er hatte das Gymnasium höchst hilfreich erweisen sollte. Er benutzte zwar das welche Argumente es denn eigentlich für eine solche besucht und zehrte später noch von dem, was er dort Studien material, aber er hütete sich davor, ihm in jeder Beziehung gibt. Von der Geschichte der deutschen Ma- an Eindrücken mitgenommen hatte. Als beide anfingen Einzelheit »wortgetreu« zu folgen. Die lebendige Sicher- lerei im neunzehnten Jahrhundert her gesehen ist mit zu studieren, zeigte sich, daß Liebermann empfängli- heit der Ausführung war zugleich die Weiterleitung Recht längst darauf hingewiesen, daß – wenn das Jahr cher war für Strömungen von Malerei in seiner Gegen- eines Impetus, der sich nicht auf die Art der Mache 1874 als Datum für das Reifestadium der französischen wart. Sein Weg nach Weimar, die Begegnung mit den beschränkt, sondern das innerliche Beteiligtsein beim impressionistischen Malerei in Anspruch genommen Werken des Michael Lieb von Munkácsy, schließlich Tun meint, das bis in jeden Strich fühlbar bleiben soll, wird – von einer auffälligen Verspätung geredet werden die Übersiedlung nach Paris und Barbizon, das alles der zu Papier gebracht wird oder auf die Leinwand. Das muß. sind erstaunliche Entscheidungen und sie gingen doch, hatte er an den Bildern des Frans Hals beobachtend In diesem Jahre 1990 fand im Wallraf-Richartz- wird an den Impressionismus Monets gedacht, am gelernt. Später nannte und definierte er das als Phanta- in Köln eine Ausstellung unter dem Titel »Landschaft Zeitgenössischen vorbei. Liebermann lernte eben da- sie in der Malerei. im Licht-Impressionistische Malerei in Europa und mals Munkácsy kennen und nicht Wilhelm Leibl, wohl Bei der Motivfindung ging Liebermann immer von der Nordamerika« statt, mit der versucht wurde, Erschei- aber in Paris . In den neunziger Jahren Erfahrung des Sehens aus. Das war selbst bei sei- nungsphänomenen auf die Spur zu kommen. Dabei äußerte er sich Erich Hancke gegenüber: »Ich stehe nen wenigen thematischen Kompositionen so. Dabei stellte sich wohl heraus, daß – wird von manchen Ame- noch auf dem Boden Courbets«. konnte er, was ihn augenblicklich gereizt hatte, rasch rikanern abgesehen – im Bereich von Landschaftsma- In dieser Ausstellung fehlen selbstverständlich die notieren, meistens in kleinformatigen Ölstudien, die lerei das Vorbild Claude Monets erst recht spät Nach- bedeutenden Stationen, die durch die Hauptwerke er später hervorzog, um sie als Grundlage für eine Bil- folge fand. Die Situation würde sich allerdings ganz benennbar sind. Sie kamen längst in die öffentlichen didee zu verwenden, aus der schließlich die endgültige anders darstellen, wenn sich die Auseinandersetzung Sammlungen. Das ist in sofern kein Verlust, weil in- Komposition erwuchs. Der »Schweinemarkt in Haar- auf das Figurenbild richtet. Dann müßte der Name zwischen diejenigen Zeugnisse, die als Vorbereitung lem« von 1884 gehört mit anderen damals gemachten Édouard Manet fallen. In Deutschland ist das Erschei- entstanden, in ihrer selbstverständlichen Eigenart aner- Notizen an den Beginn, die beiden Fassungen des The- nungsbild tatsächlich, was die Malerei um die Jahrhun- kannt sind. In ihrer Frische und Unmittelbarkeit fällt es mas von 1891 und 1894 sind das Ergebnis. Anders ist dertwende und gleich danach betrifft, von Manet her ihnen nicht schwer, die Aufmerksamkeit des Betrach- die Situation beim Papageienmann. 1881 bereits hatte einfacher zu begreifen. ters von heute in Anspruch zu nehmen (es sei denn Liebermann aus dem Amsterdamer Zoo eine kleine Jedoch bis es dazu kam, mußten zunächst einmal of- allerdings, er ist offen genug, sich spezifischen Werten Version mitgebracht. Das in der Ausstellung gezeigte fenbar ganz andere Wege beschritten werden. Das in von Malerei zu erschließen). Bild von 1902 gehört in die Reihe der unmittelbaren dieser Ausstellung zur Verfügung stehende Material Liebermann ging von Barbizon aus, wo er meinte, in Vorarbeiten zu dem Gemälde in Essen. bestätigt, was ganz allgemein gilt. François Millet sein gemäßes Vorbild gefunden zu ha- Die Stationen der Liebermannschen Entwicklung sind Max Liebermann und Lovis Corinth, von unterschiedli- ben. Es ging ihm eindeutig um die Figurenkomposition in den achtziger und frühen neunziger Jahren durch chen Voraussetzungen ausgehend, machten zunächst und er orientierte sich bald bei seiner Themenwahl in die Arbeitsbilder zu benennen. Anfangs wählte er Tätig- einmal Stationen ihrer eigenen Entwicklung durch, die den nördlichen Niederlanden. Dort gab es mit der keiten in Innenräumen, dann siedelte er die Begeben- sie zwar vorbereiteten auf das Verständnis von Intenti- Schule von Den Haag eine bedeutende Gruppierung heiten, auf ganz wenige Gestalten reduziert, im onen, wie sie von den französischen Impressionisten von Künstlern, zu deren Motivbereichen er Zugang be- Freilicht an. Der Weg führte von den »Netzflickerin- vorgegeben waren, aber die Ergebnisse einer sich kam, und mit Jozef Israels war er befreundet, trotzdem nen«, 1884, über die »Frau mit Ziegen«, 1890, zum vollziehenden Auseinandersetzung kamen erst recht richtete er sein Augenmerk nicht auf die Landschaft. »Schreitenden Bauern«, 1894, dem ersten großforma- spät zum Vorschein. Auf das Jahr 1898 darf als Ori- Er zeichnete viel und er machte Skizzen vor der Natur, tigen Bild, das Liebermann vollends vor dem Modell entierungshilfe hingewiesen werden. In Berlin wurde jedoch das waren für ihn bestenfalls Ereignisräume, in in der freien Natur gemalt hatte. Manche Momente damals die Secession gegründet. Außerdem eröffne- die er die Gestalten seiner Kompositionen unterbrachte. dieser Kompositionen sind auf die Berührung mit Jo- ten Bruno und Paul Cassirer ihren Kunstsalon, in dem Ihm gelangen überraschende Einblicke in augenblick- zef Israels zurückzuführen, wie die Schwere des ver- beste Beispiele französischer Malerei in heute schier lich ihn anregende Konstellationen und er konnte spon- hangenen Himmels oder die Mühsal des Daseins der unbegreiflicher Dichte und Fülle gezeigt sind. tan Gesehenes in Malerei umsetzen und zugleich At- einfachen Menschen. Zu solchen Bildideen gehört der Max Liebermann ist 1847 geboren und Lovis Corinth mosphärisches genau übertragen. Allerdings genügte »Junge mit Ziegen«, um 1888, und die Fassung mit 1858 (SIevogt war nochmals zehn Jahre jünger). Der das vorerst noch nicht seinen Ansprüchen. Das zeigen den »Kartoffelbuddlern« um 1894, aber trotz mancher großstädtische Berliner hatte schnelleren Zugang zu deutlich die Entstehungsvorgänge seiner Bilder, wie der anderer zugehöriger Arbeiten ist es hier nie zum groß- der künstlerischen Tradition in einer Stadt, die in seiner »Freistunde im Amsterdamer Waisenhause«. An Ort formatigen Gemälde gekommen. Jugendzeit und bis zu dem Zeitpunkt, als er bereits 57 und Stelle malte er 1876 einige erstaunliche Skizzen. Neben der Weite der umgebenden Natur, die sich als Jahre alt war, bestimmt wurde durch das alles überra- Als er 1882 die großformatige Fassung schuf, arbeitete karge Landschaft zeigt, gibt es Freilichtmotive, die ei- gende und wohl gelegentlich quälende Vorbild Adolph er daran in München. Er steckte Modelle in die ent- nen ganz intimen Charakter haben und die innenraum- von Menzels (1815–1905). Die künstlerischen Anfänge sprechenden Kleider, die er mitgebracht hatte, und die haft wirken, entsprechend gemessener im Bildgesche-

4 5 hen. Hier dringt das Sonnenlicht in Reflexen durch das hinausgingen. Bei Corinth geschah das im Winter jahrzehnten geradezu zum Mittelpunkt seiner Malerei Spätwerk zu verfolgen, Zeuge eines Verklingens zu Laubwerk der Bäume. Die »Allee in einer holländischen 1887/88 in Berlin im Freundeskreis mit Karl Stauffer- wurde. Liebermann malte Gartenmotive in Nordwijk. werden, wo immer wieder das Malenkönnen und Ma- Ortschaft«, um 1896, ist ein Beispiel dafür. Sie steht Bern und Max Klinger. Corinth wie SIevogt haben dann Sie muten wie behütete, stille Innenräume an, geglie- lendürfen Corinth aus seinen tiefen Depressionen holte in weiterem Zusammenhang mit dem »Sonntagnach- in den neunziger Jahren in München, nach Gründung dert von Menschenhand und mit wenigen Hinweisen und die Kraft zum Zeugnis seiner Meisterschaft gibt. mittag in Laren« zu dem die Zeichnung eines der Mäd- der dortigen Sezession, 1892, bald Anteil an der Bewe- auf Eleganz und Benutzung. Lovis Corinth starb 1925. Max Liebermann, der längst chen gehört, die dort auf der Allee entgegenkommen. gung des Jugendstils gehabt. Die langsame Lösung In der National-Galerie in Berlin hing ein Bild, das die in die Rolle eines Patriarchen hineingewachsen war, Sie ist wieder Beispiel für die Intensität, mit der sich davon war zugleich die Annäherung an jene künstleri- Cassirers 1899 nach Berlin gebracht hatten: Édouard lebte bis 1935 und mußte mit ansehen, wie Unver- Liebermann um das Zustandekommen seiner Werke sche Gesinnung, wie sie in Berlin vorbildlich durch Max Manets »Garten in Rueil«, ein Spätwerk, dessen Wir- stand und Bösartigkeit sein Lebenswerk zu zerstören bemühte und zugleich für die beherrschte Sicherheit, Liebermann vertreten worden ist. kungsintensität noch auffälliger bei SIevogt nachgewie- drohten. Lovis Corinth mußte nicht mehr Zeuge der be- mit der eine in die weitere Komposition gehörende Corinth ist mit seiner thematischen Vielfalt sicher der sen werden kann. Liebermann konnte sich ihm ebenso schämenden Aktion »Entartete Kunst« werden, die viele und noch dazu in Bewegung begriffene Einzelgestalt schwierigere Fall. Er hing viel beharrlicher als Lieber- nicht entziehen. Daran und an die Nordwijker Bilder seiner Werke aus den Museen holte. geradezu individuellen Rang erhalten kann. Wie Lie- mann an der Figurenkomposition als der ihn am meis- schloß er an, als er 1912 begann, auf seinem Anwesen bermann es versteht, auf die im Unbeobachteten blei- ten fordernden Aufgabe. Doch wie bei Liebermann in Wannsee künstlerisch tätig zu werden. Dort wohnte bende Geste zu reagieren, zeigt das Bild eines kleinen und bei SIevogt löste sich die Überdehnung, die durch er mit seiner Familie in den Sommermonaten. Den Mädchens am Tisch, um 1898, oder wie er die Stille die inhaltlich bestimmte Motivwahl verursacht war, Winter verbrachte er in seinem Stadthaus neben dem eines Raumes einfängt, die »Gasse in Leiden«. durch die Beschäftigung mit Möglichkeiten oder künst- Brandenburger Tor. Von da aus war es nicht weit bis in Liebermann hatte anfangs Schwierigkeiten mit der lerischen Grundvoraussetzungen, wie sie ihm z. B. den Tiergarten. Als die Reisen in das Ausland unmög- Darstellung des Meeres, einer Thematik, die er sehr durch Werke von Édouard Manet vorbildlich vor Augen lich geworden waren, fand er hier seine Motive, die von zurückhaltend seit der Mitte der neunziger Jahre auf- traten. Da letztlich alle Werke Corinths einen sehr per- einer erstaunlichen Gelassenheit sind und nichts von griff, mit den Fassungen der »Badenden Knaben«, die sönlich beziehbaren Hintergrund haben, ist es wohl dem Weltgeschehen spürbar werden lassen. dann um die Jahrhundertwende und bis 1913 hin eine verständlich, daß Charlotte Berend, seiner Schülerin Das Anwesen in Wannsee ist gar nicht sehr ausge- der wichtigsten Komponenten bleiben sollte. An den und Frau, ein großer Anteil an der Weiterentwicklung, dehnt, für Liebermann bot es immer neue Anregungen »Badenden Knaben« läßt sich, wie an den »Reitern d. h. Klärung, sogar Befreiung von manchen inhaltlichen und indem er sich gleiche Motive unter ähnlichem am Strand« und einigen Sportbildern zeigen, wie eine Überforderungen zukam. Der Erlebnisbereich der In- Blickwinkel vornahm, konnte er den Veränderungen fol- urbane Note die Auffassung der Motive durchdrang, je timität, in dieser Ausstellung belegt durch »Beim Auf- gen, die das Aussehen des Gartens und seiner Bezirke mehr er allerdings die Themen seiner Arbeitsbilder da- stehen«, 1910, gehört zu den ganz unverwechselbaren durchmachten. Das üppige Wachstum und das som- für aufgeben mußte. und selbständigen, wesentlichen Leistungen Corinths. merliche Blühen geleiteten ihn geradezu in seinen far- Die große Leistung Liebermanns ist um die Jahrhun- Daneben sind insbesondere noch Bildnisse glanzvolle big intensiven Spätstil. dertwende unbestritten gewesen und fand nicht zuletzt Höhepunkte im Schaffen dieser Jahre. Das Haus mit seinen beruhigten architektonischen Ausdruck in Aktivitäten, die geradezu kunstpolitischen Der Ausbruch des ersten Weltkrieges brachte fühlbare Formen; an den Fassaden hamburgisch und nieder- Charakter hatten. Nach der Gründung der Secession, Einschnitte, spätestens mit 1914 begann das Spätwerk ländisch geprägt, war für ihn nicht zuletzt menschlich 1.898, deren erster Präsident er wurde, kam zum Vor- bei Liebermann, ebenso wie bei Corinth und SIevogt. erfüllendes Refugium. Aus solchem Empfinden heraus schein, daß Berlin zweifellos aufgrund der bewegenden Corinth ging in sofern dabei voran, als er nach einer muß sein Gedanke verstanden werden, sich und seine künstlerischen Begebenheiten nunmehr Hauptstadt ge- schweren Erkrankung im Dezember 1911 mühsam sich Familie in dem Kaminzimmer als Ereignisort, in einem worden war. Indem es Liebermann und Leistikow ge- wieder zurechtfinden mußte. Er hatte sich seinen Gruppenbildnis zu malen. Der gleiche Raum taucht lang, in den Bannkreis der Secession wohl alle Künstler neuen Weg zu suchen, der identisch war mit dem Ab- sogar, wie dazu Haus und Garten, in einem seiner Illus- von Rang zu ziehen, manche von ihnen sogar veranlas- schied nehmen von manchen Themenbereichen. Doch trationswerke auf, in den Zeichnungen zu Goethes sen konnte, nach Berlin überzusiedeln, war eine unver- selbst da, wo das unmittelbare Zupacken und das »Ein Mann von fünfzig Jahren«. gleichliche Situation entstanden. Andere Komponenten Überbordende vitaler Kräfte langsam verebbten, blieb Das gehört ebenfalls hinzu. Liebermann illustrierte sind hinzugekommen, die ebenfalls Teile einer glanz- immer noch die Erlebnisfähigkeit, für die Corinth neue Werke derjenigen Dichter, deren Sprache sein eigenes, vollen Entwicklung wurden und die Hauptwirkungszeit Ausdrucksformen suchte und fand. Sogar, was unge- niveauvolles Sprachverständnis geprägt hatten: außer der Secession überdauerten, zumindest bis 1933 hin. lenk anmutet, beweist sich bei intensiver Beschäfti- Goethe, Heinrich von Kleist, Heinrich Heine, Theodor Zu denjenigen, die von München nach Berlin kamen, gung als stimmig im Gesamtbild einer Zeichnung oder Fontane. gehörten Lovis Corinth und Max SIevogt. Bei beiden eines Gemäldes. Das Refugium als Alterssitz gibt es bei Max SIevogt kann aufgezeigt werden, wie sie als Jüngere zuvor von Liebermann hatte zwar zuvor immer schon Bildnisse seit 1914, seit er Neukastel bei Landau in der Pfalz Veränderungen in den achtziger Jahren beeindruckt gemalt, jedoch erst nach der Jahrhundertwende nahm erwarb. waren, die Liebermann niemals berührten. Sie haben ihre Zahl sichtbar zu. Das hatte etwas mit den Erwar- Corinth suchte sich neben Berlin seinen zweiten Arbeits- wie er, ähnlich angefangen: Sie waren in München ge- tungen des Publikums zu tun, das sich der Secession ort in Urfeld am Walchensee. Hier entstand die Reihe wesen und waren in Berührung mit der Leibl-Nachfolge zugehörig fühlte. Ähnlich im Gesamtgefüge des Schaf- seiner bedeutenden Landschaften. Für Corinth gilt ähn- gekommen. Am Ende der achtziger Jahre jedoch über- fens steht es mit den Landschaften. Liebermann malte liches wie für Liebermann. Die Landschaft ist als Ge- schichteten sich die Erfahrungen der Ableitungsformen gelegentlich in den Niederlanden die Dünen, das Hin- genstand seiner Malerei erst spät an der Entwicklung des deutschen Realismus mit gedanklichen Konzepti- terland, selten das Meer ohne das, was sich als Strand- teilhabende Aufgabe gewesen. Das darf auch für das onen, die ihnen das Aufsuchen von Erlebnisbereichen leben am Ufer abspielte. 1908 und 1909 gibt es dann Stilleben gesagt werden. Dafür erlauben es Landschaft ermöglichten, die über die Erscheinung des Sichtbaren sozusagen Vorboten dessen, was in den letzten Lebens- und Stilleben (neben den Porträts), den Weg durch das

6 7 MAX LIEBERMANN Ölgemälde Zeichnungen Nr. 1 Stallinneres mit Schafen Charakteristisch für die Zeichnung ist das auffällige Federzeichnung auf Papier Interesse am Gegenlicht, das um die Schafe im Vorder- um 1875 grund herum eine leuchtende Kontur erscheinen läßt. 27,8 x 24,4 cm In weiterem Sinne vergleichbar ist deswegen die signiert rechts unten »Zimmermannswerkstatt«, nach Gustav Pauli in Zand- voort gemalt1. Erich Hancke nennt als Datum 18752. Am nächsten kommt der vorliegenden Zeichnung das kleinformatige Gemälde eines Stallinneren mit Scha- fen3, das möglicherweise im selben Innenraum ent- standen ist, vielleicht noch in Barbizon oder schon in den Niederlanden.

Anmerkungen 1 G. Pauli. M. Liebermann, S. 243, Abb. 25; H. Rosenhagen. Liebermann 19001, S. 12, Abb. 9; Kunst und Künstler XII, 1914, S. 79. 2 E. Hancke. M. Liebermann, 19141, S. 528. 3 Stallinneres. Öl auf Pappe 19,8 x 24,9 cm, bez.: M Liebermann (u.r.). Vgl. Kat. Nr. 2.

10 11 Nr. 2 Stallinneres Es könnte sich um den gleichen Schafstall handeln, Öl auf Karton wie auf der Zeichnung Kat. Nr. 1 um 1875 Sehr ähnlich ist die Verwendung des Gegenlichtes, des 19,8 x 24,9 cm sogenannten contre-Jour-Effektes, der seit den siebzi- signiert rechts unten ger Jahren in der europäischen Malerei, vor allem dann in den achtziger Jahren ein weitverbreitetes Motiv war. Liebermann gelangt bei dieser, sicher an Ort und Stelle niedergeschriebenen Studie zu einer Freizügigkeit, die es zugleich fast schwer macht, den gegenständli- chen Befund zu erkennen. Das gibt es in der gleichen Zeit bei wenigen Arbeiten, die in ähnlicher Weise hell beleuchtete Partien vor dunklem Fond zeigen1. Dem raschen Duktus entspricht die pastose Verwendung der Farbe, die insbesondere in den hellen Partien eine fri- sche Lebendigkeit suggeriert.

Anmerkungen 1 Vergleichbar ist ein Stallinneres. 25,5 x 17,5 cm, bez.: M Liebermann (u.l.). Abb. Nachtragswerk III zur Großen Katalogaus- gabe. Moderne Galerie Heinrich Thannhauser, München, 1918, Taf. 100.

12 13 Nr. 3 Studie zur Freistunde im Amsterdamer Im Sommer des Jahres 1876 ging Liebermann nach Waisenhaus Haarlem, um nach den Gruppenbildnissen des Frans Öl auf Papier auf Karton Hals zu kopieren. Von dort aus kam er nach Amster- um 1881 dam, wo ihm im Straßenbild die Waisenmädchen auf- 36 x 21 cm fielen. Ihre Kleider in schwarz und rot entsprachen den signiert rechts unten (Nachlaßstempel) Farben derjenigen Stadt, in der sie lebten. Es gelang ihm sogar, einen Blick in den Innenhof des Waisenhau- ses, gebaut 1634, zu werfen, dessen Eindruck seinen Wunsch intensivierte, dort malen zu können. Jedoch verweigerten ihm die Leiterinnen die Erlaubnis. Erst nachdem er zufällig den Radierer William Unger ge- troffen und mit ihm darüber gesprochen hatte, gelang die schwierige Vermittlung. Liebermann malte damals kleinformatige Ölskizzen und zeichnete1. Die Bildidee wurde schließlich im Jahre 1882 ver- wirklicht. Die Arbeit an der Komposition begann im Frühsommer, wurde aber unterbrochen durch die Tätig- keit an anderen Werken (Schusterwerkstatt, Klöpplerin) und dann im Herbst und Winter abgeschlossen. Lieber- mann malte nicht in Amsterdam, sondern in München, in seinem Atelier in der Landwehrstraße. Außer den Studien von 1876 standen ihm als anschauliche Hilfs- mittel Kleider von Waisenhausmädchen zur Verfügung, die er aus Holland mitgebracht hatte. Die Mauer des Atelierhauses benutzte er als Hintergrund2. Gegenüber der ursprünglichen Fassung des Motivs hat sich der Blickwinkel verändert, indem der Ereignisbe- reich intimisiert ist. Liebermann erreichte das durch die Art der Überschneidung der umfassenden Architektur und durch die Einfügung der Bäume (anstelle der nied- rigen Büsche auf den Studien von 1876). Die hilfreiche Wirkung des Sonnenlichts, das durch die Zweige in Reflexen auf den Boden und über die Gestalten fällt, hatte er kurz zuvor für sich anläßlich der Beschäftigung mit dem »Altmännerhaus in Amsterdam« entdeckt3. Zu dem Bestand der in München gemalten Vorarbeiten gehört die Studie nach den beiden Mädchen, die auf dem ausgeführten Bild links aus der Tiefe kommen. Von der rechten Gestalt (mit dem in die Hüfte gestütz- ten Arm) gibt es eine weitere Version4, die in der Physi- ognomie ausführlicher behandelt ist.

Anmerkungen 1 E. Hancke. M. Liebermann, S. 104–118; G. Busch. M. Liebermann, S. 172–177; Hans-Joachim Ziemke. Die Gemälde des 19. Jahrhunderts. Städelsches Kunstinstitut Frankfurt am Main. Frankfurt 1972, S. 198–199; Ausst.: 1979/80 Berlin/München. M. Liebermann, Nr. 49; außerdem zu den Fassungen von 1876: Nr. 27, 28; Ausst.: 1970 . M. Liebermann als Zeichner, Nr. 4. 2 E. Hancke. M. Liebermann, S. 168–172. 3 E. Hancke. M. Liebermann, S. 157–164. 4 E. Hancke. M. Liebermann, S. 164.

14 15 Nr. 4 Schweinemarkt in Haarlem seine Frau, mit denen sie in den nächsten Wochen Öl auf Holz zusammenblieben. Zu kurzen Aufenthalten besuchten 1884 sie Laren bei Hilversum, Delden und Uhle. Liebermann 17,2 x 39,3 cm zeichnete viel und trotz der fortgeschrittenen Jahreszeit signiert und datiert »1884« links unten entstanden einige Ölskizzen nach landschaftlichen Mo- Provenienz: Dr. Heinrich Leibrecht, Kalifornien tiven, dazu noch erste Niederschriften, aus denen sich später Bildideen entwickeln sollten. In Haarlem trennten sich die Israels von den Lieber- manns, die noch dort blieben, da die neue Wohnung in Berlin, in der Beethovenstraße, noch nicht bezugsfähig war. Neben einigen Kopien nach Frans Hals3, dessen Werke Liebermann hier 1876 ausführlich studiert hatte, interessierte ihn diesmal besonders der Schweine- markt. Die ortsübliche Bezeichnung des Platzes ist »botermarkt«. Hier zeichnete Liebermann Bewegungsstudien, fer- ner malte er Einzelgestalten4 und vor allem einige, im Format nicht sehr aufwendige Skizzen der Gesamtsi- tuation. Der Standpunkt war jeweils der gleiche. Zwei Fassungen zeigen den von Bäumen umstandenen lee- ren Platz mit dem Blick auf die schräg verlaufende Zeile niedriger Häuser5. In der Nähe tauchen neben dem Baum lediglich eine oder zwei Gestalten auf. Es hat geregnet und in den Pfützen spiegeln sich die Pfosten, die das mittlere Carré zusätzlich eingrenzen. Auf zwei weiteren Arbeiten ist das Marktgeschehen dargestellt6. Es sind Pferche mit Schweinen auszuma- chen, etwas entfernt Reihen von Zelten. Bei der vor- liegenden Fassung ist die architektonische Umgebung zugunsten der Schilderung des Ereignishaften durch den oberen Bildrand abgeschnitten. Das auffällig lang- gestreckte Format kommt bei Liebermann in diesen Jahren gelegentlich vor, wenn er eine spezifische At- mosphäre konzentrieren möchte. Als er dann 1891 und 1894 das Motiv des Schweinemarktes wieder aufnahm (die Mannheimer Fassung datierte er irrtümlich 1886, auf ein Jahr, in dem er gar nicht in Haarlem gewesen war), veränderte er die jahreszeitliche Voraussetzung7. An die Stelle des Herbstes mit den laublosen Bäumen trat die sommerliche Helligkeit des Sonnenlichts und dazu kam das Erzählerische des Marktgeschehens.

Anmerkungen 1 E. Hancke. M. Liebermann, S. 195–197. Biographische Begebenheiten hatten in der zweiten 2 Helmut R. Leppien. Der zwölfjährige Jesus im Tempel von Max Lieber- Hälfte des Jahres 1884 Max Liebermann in Anspruch mann. Hamburger Kunsthalle, o.J. (1989). genommen. Zu Beginn verließ er München1, wo ihm 3 E. Hancke. M. Liebermanns Kopien nach Frans Hals. In.: Kunst und Künstler XIV, 1916, S. 525–534. zwar unter Künstlern der ihm zustehende Respekt ge- 4 E. Hancke. M. Liebermann, S. 322–323. zollt wurde, er anderseits jedoch durch die unleidliche 5 Schweinemarkt in Haarlem Affäre anläßlich der Ausstellung des »Zwölfjährigen a) Versteigerung 1955, Hamburg, Graphik Handzeichnung-Gemälde Plas- tik. Dr. Ernst Hauswedell, 18. Juni, Nr. 689, Taf. X; b) Privatbesitz. Jesus im Tempel«, 1879, inneren Abstand gewonnen 6 Schweinemarkt, 1884. Pappe. 33,5 x 53,2 cm, bez.: M. Liebermann 84 hatte2. Wieder in Berlin, heiratete er am 14. Septem- (u.I.). Sammlung Schäfer, Schweinfurt. Abb.: Kunst und Künstler XXX, ber 1884 Martha Marckwald. Die Hochzeitsreise ging 1932, S. 14; Fritz von Ostini. Die Galerie Thomas Knorr in München. München 1901, S. 107; Ausst.: 1979/80 Berlin/München, M. Liebermann, dann zunächst nach Wiesbaden und von dort aus nach Nr. 46. Scheveningen. Liebermanns trafen Jozefs Israels und 7 E. Hancke. M. Liebermann, S. 321–330.

16 17 18 19 Nr. 5 Netzflickerinnen Zu den wenigen landschaftlichen Studien, die Max Lie- Öl auf Holz bermann 1884 von seiner Hochzeitsreise mitbrachte, um 1887 gehörte eine Wiese mit ausgebreiteten Netzen und 53 x 73,9 cm Segeln. Er hatte sie gemalt, als er Jozef Israels in Sche- signiert rechts unten veningen besuchte, der ebenfalls das gleiche Motiv Leihgabe W. Schuller, Wertheim 1886/87 aufnahm1. Als Liebermann sich dann an die Arbeit machte, die Anregung in eine Komposition umzusetzen, zeichnete und malte er 1887 in Katwijk2. Mit der Ausführung des Gemäldes begann er im Winter desselben Jahres. Die Fertigstellung unterblieb zunächst, da Liebermann er- krankte und erst zu Anfang des Jahres 1889 die Arbeit beenden konnte. Die Ölskizze von 1884 zeigt nur links im Hintergrund wenige am Boden sitzende und mit der Ausbesserung der Netze beschäftigte Frauen. Der Horizont liegt hoch, in der Nähe des oberen Bildrandes. In den Zeichnun- gen und anderen Studien aus Katwijk zog Liebermann die Gestalten der Arbeitenden bis in den Vordergrund, von wo aus sie, entsprechend der »Grundrißform« der ausgelegten Netze, gestaffelt bis in die Tiefe des Raumes ihren Platz gefunden haben. Sie bleiben dabei zumeist unterhalb der Horizontlinie. Von solchen Notizen ausgehend, begann dann eine Veränderung der Auffassung zu größerer Ausdrucksin- tensität hin, die die künstlerischen Mittel ebenso wie das Inhaltliche betraf. Zeichen- und Malstil wurden hef- tiger. Über der Ebene, deren Tiefenraum zeitweise ver- kürzt wurde, trat die schwer bewölkte Himmelszone in Erscheinung3. Davor rückten einige stehende Frauen als aufragende Silhouetten, ausgesetzt dem an ihren Kleidern zerrenden Wind. Dieses Stadium der Bildidee ist in dem vorliegenden Gemälde erreicht. Es ist, insge- samt gesehen, einer anderen Skizze nächstverwandt4, mit der Max Liebermann, indem er die Isolation auf die eine nach links gewendete Frau vollzog, den Weg für die endgültige Fassung gefunden hatte.

Anmerkungen 1 Netzflickerinnen. Pappe 26 x 35,5 cm, bez.: M Liebermann 84 (u.r.). Abb.: E. Hancke, S. 195; Kunst und Künstler XIII, 1915, S. 413; G. Busch. M. Liebermann, S. 253; dort ebenfalls die Komposition von Jozef Israels. 2 Die Netzflickerinnen. Leinwand. 180 x 226 cm, bez.: M. Lieberman (u.r.). Hamburg, Kunsthalle.E. Hancke. M. Liebermann, S. 227–239; G. Busch. M. Liebermann, S. 57–62; Zum Studien material: Eva Maria Krafft/Carl- Wolfgang Schümann. Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle. Hamburg 1969, S. 181–182. 3 Netzflickerinnen. Kreidezeichnung. Abb.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 229; G. Busch. M. Liebermann, S. 59; Vgl. ferner die Studie zu den Netzflickerinnen. Holz. 43,2 x 62,8 cm, bez.: M. Liebermann 87 (u. Mitte); ehem. Sig. Gustav Kirstein, Leipzig; Sig. Georg Schäfer, Schweinfurt. Abb.: Kunst und Künstler XV, 1917, S. 474; Ausst.: 1917 Berlin. M. Liebermann, Akademie, Nr. 86, Abb.: 1979/80 Berlin/München. M. Liebermann in seiner Zeit, Nr. 57. 4 Netzflickerinnen. 69,5 x 91 cm, bez.: M Liebermann 87 (u.r.). Abb.: G. Busch. M. Liebermann, S. 61; Ausst.: 1927 Berlin, M. Lieber- mann. Akademie, Nr. 27, Abb.

20 21 Nr. 6 Junge mit Ziegen (aus Katwijk) Erich Hancke, der bestorientierte Kenner der künst- Öl auf Karton lerischen Entwicklung von Max Liebermann, hat, 1890 entsprechend der Entstehungsgeschichte des Bildes, 45,5 x 58,7 cm das Motiv des Jungen, der zwei Ziegen grasen läßt, in signiert und datiert »1890« links unten den Zusammenhang der »Frau mit den Ziegen«, 1890, Leihgabe Kölner Privatsammlung eingeordnet.1 Danach ist Liebermann zunächst von der Idee ausgegangen, die in der vorliegenden Fassung in Erscheinung tritt. In Bezug darauf sind einwandfrei ei- nige Zeichnungen zu identifizieren, Bewegungsstudien nach dem Jungen und nach den Ziegen.2 Darunter gibt es Formulierungen, die weitgehend dem Gemälde ent- sprechen. 3 Bei der Dünenlandschaft hielt sich Lieber- mann an Vorarbeiten, die zu der »Karre in den Dünen«, 1887, gehören.4 Für die Datierung darf die erste Skizze für die »Frau mit den Ziegen« herangezogen werden, die sich ur- sprünglich auf der Rückseite der ersten Fassung der »Gedächtnisfeier für Kaiser Friedrich in Bad Kösen« befand.5 Da dort bereits der Motivwechsel von dem Jungen zu der Frau hin eingetreten ist, dürfen die ge- zeichneten und die gemalte Fassung des »Jungen mit Ziegen« in das Jahr 1888 datiert werden. In Malweise und Farbigkeit stimmt das vorliegende Bild und dazu noch nahezu in den Ausmaßen – mit der Skizze in Hannover überein. Verändert hat sich der Ausdruck, der durch das Verhältnis der menschlichen Gestalt zu den beiden Tieren zustandekam. Der Junge hat keine Schwierigkeiten mit dem Bewegungsspiel, in das er hineingezogen wurde. Er ist, wie die Frau, im verlorenen Profil gesehen. Aber die Mühsal des Anstei- genmüssens, um über die Horizontlinie hinauszuge- langen, das Ziehen und Gezogenwerden, die Last des Vorankommens, gibt der großformatigen, endgültigen Fassung dann ihre unverwechselbare Qualität.

Anmerkungen 1 Erich Hancke. Max Liebermann, S. 230–235; Frau mit Ziegen, 1890. München, Neue Pinakothek. Abb.: Gustav Pauli. Max Liebermann, 88; E. Hancke. M. Liebermann, 233; Erich Steingräber. Neue Pinakothek München. Erläuterungen zu den ausgestellten Werken. 1981, 197–198. 2 Skizzenbuchblatt. Kunsthalle Mannheim. In: Ausst. Kat.: Max Liebermann. Berlin/München 1979/80, Nr. 241, Junge mit Ziegen. Dresden, Kupfer- stichkabinett. In: E. Hancke. M. Liebermann, S. 235; Ausst. Kat.: Für Max Liebermann. Berlin 1985, Nr. 45; Junge mit Ziegen. Abb.: H. Wolff. Zeich- nungen von M. Liebermann, 35; Studie zum Ziegenbild. Abb.: Julius Elias. Die Handzeichnungen M. Liebermanns, 16 und 18; Hans Rosenhagen. Liebermann, 1900, Abb. 53, S. 54. 3 Junge mit Ziegen in den Dünen. a) ehem. Bremen, Kunsthalle. Abb.: M. Liebermann. Die Phantasie in der Malerei. Hrsg. von Günter Busch. Frankfurt am Main 1978, Abb. 10; b) M. Liebermann. XXV Zeichnungen. Berlin MDCCCIC, Taf. 8; H. Wolff. Zeichnungen von M. Liebermann, 38; c) Berlin, Nationalgalerie. Abb.: H. Rosenhagen. Liebermann, 1900, Abb. 54, S. 55. 4 E. Hancke. M. Liebermann, S. 235, Abb. S. 241; G. Pauli. M. Liebermann, 82. 5 E. Hancke. M. Liebermann, S. 235; Ehem. Richard Israel, Berlin. Öl auf Pappe. 46 x 63 cm; Ludwig Schreiner. Die Gemälde des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts in der Niedersächsischen Landesgalerie Han- nover. München 1973, Nr. 636.

22 23 Nr. 7 Spielende Kinder im Tiergarten zu Berlin Die Schwierigkeiten der Zuordnung beruhen auf der Kreide, über Bleistift und Deckweiß, auf Papier Tatsache, daß als Ereignisorte für Motive des Kinder- um 1890 spielplatzes mit wiederkehrenden, ähnlichen EinzeImo- 24,5 x 32,8/33,4 cm menten, der Hofgarten in München und der Tiergarten signiert rechts unten in Berlin angegeben werden. Dabei reicht die zeitliche Spanne der in diesen Zusammenhang gehörenden Arbeiten von 1879 bis 1898. Die später, seit den Jah- ren des ersten Weltkrieges im Tiergarten entstandenen Malereien und Zeichnungen sind daneben leicht zu unterscheiden und davon abzusetzen. Die der vorliegenden Fassung nächst verwandte Va- riante ist von Hans Ostwald publiziert.1 Liebermann benutzte hier die gleiche Technik, dazu kommen in ähnlicher Weise die Gruppe der Frauen links mit dem Kinderwagen und dem schrägstehenden Baum, die spielenden Kinder im Hintergrund, ferner vorne das Mädchen mit dem Eimer und der Schaufel, sowie vor allem die beiden am Boden hockenden Mädchen. Damit sind Gestaltverbindungen genannt, von denen einige offenbar bereits in die Anfangszeit der Beschäf- tigung mit der Thematik gehören. Das betrifft insbe- sondere die Gruppe der Frauen auf der Bank und die beiden in der Komposition nahegerückten Kinder. Sie erscheinen auf dem »Kinderspielplatz im Hofgarten zu München«2, der von Erich Hancke (im Katalogteil der Ausgabe von 1914) auf 1879 datiert wird3. Leider geht er sonst nicht auf dieses und die verwandten Motive ein. Die vorne spielenden Kinder sind zudem noch aus- zumachen auf einer Fassung in Privatbesitz (mit den Frauen)4 und zwei weiteren (von Gustav Pauli publi- zierten) Varianten5. Die komplizierten Verschränkungen bestätigen die Tatsache, daß die beiden Kinder bzw. das Kind mit den bloßen Armen allein auf Fassungen des »Münchner Biergartens« vorkommen6.

Anmerkungen 1 Hans Ostwald. Das Liebermann-Buch. Berlin 1930, Abb. 37, S. 75, dazu die Radierung: Spielende Kinder, 1890, Schiefler 1923, Nr. 14, Abb.: Christian Lenz. Max Liebermann »Münchner Biergarten«, München 1986, Abb. 53. 2 Kinderspielplatz im Hofgarten zu München, 1879. Öl auf Pappe 16,5 x 29 cm, bez.: Liebermann (u.I.). Winterthur, Stiftung Oskar Reinhart. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 50; H. Ostwald. Das Liebermann-Buch, Abb. 182, S. 359; Die Kunst für Alle XVI, 1900/01, S. 160; Katalog Stiftung O. Reinhart, Winterthur 1971, Nr. 271; Skizze dazu: Pappe 17,5 x 27,5 cm, bez.: M. Liebermann (u.I.). Versteigerung: 1926, Berlin. Die Sammlung Theodor Schall und Werke aus Hamburgischem Privatbe- sitz. Paul Cassirer/Hugo Helbing, 26. Oktober, Nr. 62, Taf. XXIII; Feder- zeichnung 20,1 x 14,1 cm, bez.: M. Liebermann (u.r.), Abb. 1987 Düssel- dorf, 60 Zeichnungen vor 1900, C. G. Boerner, Neue Lagerliste Nr. 86, Nr. 59, S. 62/63. 3 Erich Hancke. Max Liebermann 1914, S. 530. 4 Holz 17,5 x 30 cm, bez.: M Liebermann (u.r.), ehem. Sig. Engelbrecht, Hamburg. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 51; H. Rosenhagen. Lieber- mann 19001, Abb. 26, S. 29; Die Kunst für Alle XVI, 1900/01, S. 160; dazu eine lavierte Zeichnung: 23 x 32 cm, bez.: MLiebermann (u.r.). In: Ausst. Kat. 1970 Mainz. M. Liebermann als Zeichner, Nr. 9. 6 Chr. Lenz. Max Liebermann »Münchner Biergarten«; dort zusätzlich: Biergarten (Ein Winkel im Luxemburggarten) Holz 35 x 26 cm, bez.: M Lieberman (u.r.), Abb. 19; dgl. G. Pauli. M. Liebermann, S. 32.

24 25 Nr. 8 Kartoffelernte Das Thema beschäftigte Max Liebermann erstmals seit Öl auf Karton dem Herbst 1874, als er in Barbizon arbeitete. Die im um 1894 Frühjahr 1875 vorläufig vollendete Fassung schenkte er 34 x 49,3 cm Johann Sperl. Sie zeigt einen weiträumigen Ereignisbe- signiert rechts unten reich, in dem sich die Arbeitenden bis in die Tiefe, bis Leihgabe W. Schuller, Wertheim vor die entfernte Waldkulisse staffeln. Mehrere EinzeI- studien für dieses Bild sind nachzuweisen1. Die vorliegende Fassung gehört in den weiteren Zu- sammenhang von Arbeitsbildern aus den frühen neun- ziger Jahren. Julius Elias datiert eine Zeichnung mit vier im Vordergrund nebeneinander und in verlorenem Profil gesehenen Kartoffelbuddlern auf 1891 und er nennt als Entstehungsort Zandvoort2. Auf sie geht ein Pastell mit dem Datum 1894 zurück3. Dasselbe Jahr nennt Erich Hancke für ein weiteres Pastell, das sich ehemals in Hamburger Privatbesitz befand4. Es zeigt zwei nach rechts gewendete Männer bei ihrer Tätigkeit. Zu unterscheiden sind zwei mögliche Varianten. Die beiden zuerst genannten Arbeiten von 1891 bzw. 1894 zeigen einen verhältnismäßig hoch liegenden Horizont. In einiger Entfernung ist eine weitere Person und im anderen Fall ein Wagen mit Pferd davor auszumachen. Hier ist ein Pastell im Landesmuseum Mainz anzu- schließen5 und eine Zeichnung, die Hans Rosenhagen veröffentlichte6. Die vorliegende Fassung hat mit dem Pastell, das Erich Hancke erwähnt, einen tiefliegenden Horizont gemein- sam, unter dessen Linie die geduckt Arbeitenden blei- ben. Diese Art von Einpassung ist möglicherweise als Anregung von Jean-François Millet zu verstehen.

Anmerkungen 1  Kartoffelernte, 1874/75. Leinwand 108,5 x 172 cm, bez.: M Liebermann 75 (u.r.). Kunstmuseum der Stadt Düsseldorf. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 19; F. Stuttmann. M. Liebermann, Abb. 3; G. Busch. M. Liebermann, S. 152–153; Die Kunst für Alle XXX, 1914/15, S. 215; Deutsche Kunst und Dekoration XXXIX, 1916/17, S. 25; Ausst.: 1979/80 Berlin/München, M. Lie- bermann, Nr. 16; Rolf Andree. Die Gemälde des 19. Jahrhunderts. Kata- loge des Kunstmuseums Düsseldorf IV. Düsseldorf 1968, S. 62. 2 J. Elias. Die Handzeichnungen M. Liebermanns, Taf. 23; 3 Kartoffelbuddler. Pastell 58 x 73 cm, bez.: M Liebermann 94. Privatbesitz. 4 Kartoffelbuddler. Pastell 57 x 74 cm, ehem. Sig. Albert Wolffson, Hamburg. E. Hancke. M. Liebermann 19141, S. 537; Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. XX; G. Hermann. M. Liebermann, S. 135; Liebermann Mappe. Heraus- gegeben vom Kunstwart. München 1907. 5 Kartoffelbuddler. Pastell 62 x 76 cm, bez.: MLiebermann (u.r.). Mainz, Lan- desmuseum. Ausst.: 1984 Mainz, Graphische Blätter von M. Liebermann und L. Corinth, Nr. 1. Auf dieses Pastell bezieht sich Liebermann mit seiner Radierung von 1896, Schiefler 39 Abb.: Hans Rosenhagen. Lieber- mann 19001, S. 104, Abb. 113 6 H. Rosenhagen. Liebermann 19001, S. 62, Abb. 62, vgl. ferner die Zeich- nung: Feldarbeit. Kohle und Tusche 11 x 16 cm, bez.: M Liebermann (u.r.) Mannheim, Kunsthalle. Lit.: Walter Stephan Laux. Salon und Sezession. Zeichnungen und Aquarelle 1880–1918, Nr. 85, die Zeichnungen und Aquarelle der Kunsthalle Mannheim, Band 6. Weinheim 1989.

26 27 Nr. 9 Schreitender Bauer nicht verzeihen konnte. Wie sehr ich ihn verletzt hatte, Kreide merkte ich, als er mir nun erklärte, warum er gerade 1894 auf dieses Bild stolz sei. Es sei das erste Mal, daß es 30,6 x 23 cm ihm gelungen, eine so große Leinwand vollkommen signiert rechts unten zu beherrschen, und zwar vor der Natur – denn es war Ausstellungen: bis zum letzten Strich draußen gemalt – und etwas so »Max Liebermann in seiner Zeit« Berlin/München Frappantes zu schaffen. ‚Der Mann kann nur dort gebo- 1979/1980, Katalog Nr. 263 mit Abbildung Seite 539 ren sein‘ meinte er, auf das Bild deutend!« Literatur: Das Motiv hat seine Herkunft von weiträumig ange- »Max Liebermann – XXV Zeichnungen in legten Zeichnungen, in denen eine durch die Dünen Lichtdrucken«, Berlin 1899, Paul Cassirer, stapfende Gestalt eines Mannes erscheint2, der, wie mit Abbildung Tafel 22 die »Frau mit Ziegen«3, 1890, in verlorenem Profil ge- sehen ist. Erst dann erfolgte die Verknappung auf die nahegesehene Person. Alle im Ausdruckgehalt ähn- lichen Kompositionen mit Motiven, die Liebermann in den nördlichen Niederlanden gefunden hatte, sind während der Entstehung begleitet von Zeichnungen und Ölstudien, die die Grundlage für die Arbeit an der endgültigen Fassung im Atelier gaben. Das dem »Schreitenden Bauern«4 zugehörige Material zeigte sehr bald eine auffällige Konzentration auf die Erschei- nung des Mannes, seine Haltung ebenso wie seine Physiognomie. Damit geht gut überein, daß die Stu- dien verhältnismäßig großformatig sind. Bei ihnen ist, verglichen mit dem ausgeführten Bild, der Schreitende näher am linken Bildrand, der die Kiepe überschneidet. Auf der endgültigen Formulierung ist die Gestalt an die Mittelachse gerückt. Es gibt ein anschauliches Dokument zur Entstehung des Bildes. Ludwig Volkmann5 publizierte 1903 in sei- ner Untersuchung: Naturprodukt und Kunstwerk, Pho- Erich Hancke hat über seine erste Begegnung mit dem tographien, die Liebermann bei der Arbeit in Katwijk »Schreitenden Bauern« im Herbst des Jahres 18941 zeigen und außerdem sein Modell. geschrieben: »Ende September traf er wieder in Berlin ein, und ich eilte in sein Atelier, voll Ungeduld, seine Anmerkungen 1 E. Hancke. M. Liebermann, S. 328–329. mitgebrachten Arbeiten zu sehen. Als ich eintrat, war 2 Datierungsfragen sind gelegentlich umstritten: In den Dünen. Abb. H. Ro- er damit beschäftigt, eine Leiste aus dunkelrotem Holz senhagen. Liebermann 1900. S. 99, Abb. 106; In den Dünen. Ausst.: 1985 um ein mächtiges Bild zu probieren. Es war der ›Schrei- Berlin. Für M. Liebermann, S. 20; H. Wolff. Zeichnungen von M. Lieber- mann, S. 18; Mann in den Dünen. In.: Die Kunst XIX, 1904, S. 175; tende Bauer‹. Mehrere kleine Leinwände, denselben In den Dünen. Karlsruhe. Staatliche Kunsthalle. In.: Ausst. Kat. 1985 Mann in ganzer oder halber Figur darstellend, standen Berlin. Für M. Liebermann, S. 20. im Atelier herum. – Nach der ersten Begrüßung be- 3 Frau mit Ziegen. Leinwand. 127 x 172 cm, bez.: M. Liebermann 90 (u.I.). München, Neue Pinakothek. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 88; E. gann Liebermann ‚Wissen Sie, das mit den zerlegten Hancke. M. Liebermann, S. 233; G. Busch. M. Liebermann, S. 62–64. Farben, das ist alles Unsinn. Ich habe es jetzt wieder 4 Schreitender Bauer. Leinwand. 200 x 161 cm, bez.: M. Liebermann (u.r.). gesehen, die Natur ist einfach und grau.‘ Dann fragte Königsberg, Schloß. Abb.: H. Rosenhagen. Liebermann 19001, S. 68, Abb. 69; 19272, S. 48, Abb. 47; G. Pauli. M. Liebermann, S. 110; Die er mich, wie ich das große Bild fände. – Schon ehe Kunst für Alle XII, 1896/97, S. 227; Studie (Gesamtgestalt). Leinwand. er seine Sinnesänderung ausgesprochen hatte, war 93 x 69,5 cm, bez.: M. Liebermann 94 (u.r.); Studie (Halbfigur). Leinwand. 101 x 71 cm, bez.: M. Lieberman 94 (u.r.). Abb.: E. Hancke. M. Lieber- sie mir beim ersten Blick auf dieses Bild klargewor- mann, S. 329; Kopfstudie. Kreide 41,7 x 32,2 cm. Berlin, Nationalgalerie. den. Es gefiel mir nicht, obwohl es mir imponierte. Abb.: Liebermann. XXV Zeichnungen, Berlin 1899, Taf. 10; H. Rosenha- Imponieren mußte es. Im Atelier zog es die Blicke mit gen. Liebermann 19001, S. 69, Abb. 68; L. Brauner. M. Liebermann. Berlin 1968, Nr. 8; Zwei Kompositionsstudien, auf einem Blatt mit zwei Skizzen Macht auf sich. Es hatte etwas Schlagendes. Aber eine zu »Schafherde«. Feder 19 x 26,5 cm. Ausst. Kat. Berlin 1981, Berliner Absichtlichkeit, ein Pathos in der Auffassung und die Sezession. Neuer Berliner Kunstverein, Nr. 262. Kopfstudie. Schwarze Gewaltsamkeit der Malerei stießen mich ab. Ich war Kreide 23 x 17 cm, bez.: M Liebermann (u.l.). Ausst. Kat. 1979/80 Berlin/ München. M. Liebermann, Nr. 264. so unvorsichtig meine Meinung nicht zu verbergen und 5 Ludwig Volkmann. Naturprodukt und Kunstwerk. Dresden 1903. Abb. 37– kränkte dadurch Liebermann so, daß er es mir lange 39; Ausst. Kat. 1979/80 Berlin/München, M. Liebermann, S. 38–39.

28 29 Nr. 10 Garten mit blühenden Sonnenblumen Je mehr, seit den neunziger Jahren, Figurenkompo- Öl auf Holz sitionen entstanden, deren Handlungsträger sich im um 1895 Freilicht befinden, um so häufiger gibt es Skizzen von 26,5 x 35,7 cm landschaftlichen Motiven. Manchmal wurden sie der signiert rechts unten – links unten signiert und Ereignisraum für die menschlichen Gestalten (vgl. Frl. Hermann gewidmet. Kat. Nr. 17). Fast alle haben intimen, innenraumhaften Charakter. Abgesehen von stilistischen Argumenten, erlaubt es ein äußerliches Motiv, die Verbindung von dem hier vorliegenden Bild zu einem Gemälde herzustellen, das in ähnlicher Weise Sonnenblumen zeigt1. Es will scheinen, als ob Liebermann dort an Ort und Stelle ein besonderes Interesse an ihrer intensiven Gelbfarbigkeit gefunden habe. Das deutete sich bereits 1890 an, als er erstmals im Altmännerhaus in Zandvoort gearbeitet hatte. Die genaue Datierung bleibt schwierig. Bei dem ver- gleichbaren Bild handelt es sich um einen »Garten mit Sonnenblumen«. Dort treten allerdings die Architek- turen stärker in Erscheinung. Sie bilden einen nahen räumlichen Abschluß nach hinten hin. Zu jedem der voneinander unterscheidbaren kleinen Gebäude gehört ein Garten, der von einem Bretterzaun begrenzt wird. Bei dem vorliegenden Motiv ist nur links eine schräg fluchtende Hauswand auszumachen, an der entlang ein Weg führt. Parallel dazu erstreckt sich bis nach rechts eine Rasenfläche, unterteilt von einem einfachen Bal- ken auf Pfosten. Davor und dahinter stehen die Son- nenblumen. Es darf angenommen werden, daß sich dieser Garten ebenfalls in Zandvoort befindet. Beiden Bildern, dem vorliegenden und dem Vergleichsbeispiel in Hannover – gemeinsam ist die Freizügigkeit im Ma- lerischen, die sich bei Liebermann immer dann unkom- plizierter zeigt, wenn er sozusagen unbelastet an seine Aufgabe herangehen kann. Dieses Verhalten ist recht gut zu ermessen an den Arbeiten aus Zandvoort, bei denen er in den Rahmen von Garten und Architekturen die menschlichen Gestalten einfügte2.

Anmerkungen 1 Garten mit Sonnenblumen (Altmännerhaus in Zandvoort). Holz 37,8 x 46 cm, bez.: M. Liebermann 95 (u.r.). Hannover, Niedersächsiche Landesgalerie. Abb.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 295; F. Stuttmann. M. Liebermann, Abb. 37; L. Schreiner. Die Gemälde des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts in der Niedersächsischen Landesgalerie Han- nover, Nr. 638; Ausst.: 1985 Baden-Baden. Deutsche Impressionisten aus dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover, Nr. 6. 2 Holländische Dorfecke. Altmännerhaus in Zandvoort, 1890. Pastell 60,5 x 94 cm, bez.: M. Lieberman (u.l.). Hamburger Kunsthalle. Lit.: E. M. Krafft und C.-W.-Schümann. Katalog der Meister des 19. Jahrhunderts in der Hamburger Kunsthalle, Nr. 1582, S. 183 (mit weiteren Hinweisen). – Auf der Bleiche. Leinwand 42,5 x 61,5 cm, bez.: M. Lieberman 89 (u.r.). Verst.: 1986 München. Galerie Wolfgang Ketterer, 112. Auktion, 24. No- vember, Nr. 759. – Wäschetrocknen. Pappe 38 x 58 cm, bez.: M. Lieber- mann 90 (u.I.). Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 89; Die Kunst für Alle XXXII, 1916/17, S. 408.

30 31 Nr. 11 Studie eines gehenden Mädchens Die ursprüngliche Bildidee zu »Sonntagnachmittag in Kreide auf grauem Tonpapier Laren« stammt aus dem Jahre 1882 oder 1883. Erich 1896 Hancke verweist dabei auf Ähnlichkeiten bei der Anord- 42,7 x 32 cm nung der Mädchen mit der »Freistunde im Amsterda- signiert links unten mer Waisenhaus« von 1882. Die Vielzahl der Figuren, Ausstellungen: Mädchen und Jungen, wollte Liebermann dann im »Für Max Liebermann« – Nationalgalerie Berlin (Ost) Herbst 1894 in einer verhältnismäßig großformatigen 1985, Katalog Nr. 61 mit Abbildung Seite 74 Fassung des Motivs wiederverwenden, die aber über Literatur: einen Anfangszustand nicht hinausgelangte. Erst wäh- Hans W. Singer – »Zeichnungen von Max Liebermann« rend eines Aufenthaltes in Laren, 1896, beschäftigte Zweiter Band, Leipzig 1912, Tafel 13 ihn das Thema erneut, als er in der breiten, alleeartigen Dorfstraße den geeigneten Ereignisort entdeckte1. Er reduzierte die Zahl der entgegenkommenden Mädchen auf insgesamt sieben (in zwei Reihen hintereinander); drei Jungen ließ er, beieinanderstehend, rechts hinten und klein, in einiger Entfernung erscheinen2. Die Landschaft malte Liebermann vor der Natur. An- ders verfuhr er mit den Gestalten der Mädchen, die er in das aus den Niederlanden mitgebrachte Bild im Ate- lier hineinmalte. Für sie zeichnete er Figurenstudien, verhältnismäßig großformatig, als Zeugnisse seiner überragenden Fähigkeit, menschliche Gestalten, die in Bewegung begriffen sind und die doch letztlich in den Zusammenhang einer Gruppe gehören, als geradezu statuarisch gesehene Einzelpersönlichkeiten zu begreifen3. Die Fassung des Gemäldes von 1896 wiederholte er zwei Jahre später in vergrößertem Format.

Anmerkungen 1 Erich Hancke. M. Liebermann, S. 355. 2 Sonntagnachmittag in einem holländischen Dorfe, um 1882–83. Abb.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 356; Studie – Sonntagnachmittag. Pappe 32 x 47 cm« bez.: M. Liebermann (u.r.). Abb.: Katalog der Moder- nen Galerie Heinrich Thannhauser München, 1916, S. 96; mit Ausblick auf die Zuvderzee links. Pappe. 27,5 x 46,5 cm, bez.: M. Liebermann (u.r.). Saarbrücken, Saarlandmuseum. Abb.: Rudolf Bornschein. Moderne Galerie Saarbrücken, 1976, Abb. 21; Ausst.: 1960 Karlsruhe. Liebermann- Corinth-Slevogt, Nr. 6. Sonntagnachmittag in Laren, 1896. ehem. Samm- lung Karl von der Heydt, Berlin. Abb.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 357; Wiederholung, 1898. Leinwand 110 x 147 cm. Sammlung Georg Schäfer, Schweinfurt. ehem. Sammlung Albrecht Guttmann, Berlin. Abb.: H. Rosenhagen. Liebermann 19001, S. 97, Abb. 103; 19272, S. 53, Abb. 53; G. Pauli. M. Liebermann, S. 120; Die Kunst für Alle XVI, 1900/01, S. 168; Deutsche Kunst und Dekoration XXXIV, 1916/17, S. 37; Versteige- rung 1917 Berlin, Sammlung Albrecht Guttmann, Paul Cassirer und Hugo Helbing, 18. Mai, Nr. 46. In den gleichen Werkbereich gehört: Dorfstraße in Laren, um 1896. Pappe 30,5 x 46,1 cm, bez.: M. Liebermann 98 (u.l.). ehem. Sammlung Friedrich Sarre, Neubabelsberg. Abb.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 371. 3 Vgl. die ebenfalls zugehörige Zeichnung: Studie eines gehenden Mäd- chens nach links, 1896. Kreide. 50,5 x 39,8 cm, bez.: MLiebermann (u.l.) Leipzig, Graphische Sammlung. Ausst.: 1985 Berlin. Für Max Liebermann, Nr. 62.

32 33 Nr. 12 Allee in einer holländischen Ortschaft Es gehört zu den auffälligen Tatsachen im Schaffen von Öl auf Holz Max Liebermann, daß die Landschaft als selbständige um 1896 Aufgabe im Bereich seiner Malereien erst sehr spät in 37 x 27 cm Erscheinung tritt. Das erstaunt um so mehr, da er seit signiert rechts unten seinen künstlerischen Anfängen ungewöhnlich häu- fig landschaftliche Motive zeichnete, wobei ihm sehr Unterschiedliches, bei innerstädtischen Architekturen angefangen bis hin zu Feldern, Dünen, Dorfstraßen interessierte. Die Zahl der gemalten Landschaften blieb daneben sehr gering. Sie sind fast alle kleinformatig. Gelegentlich läßt sich belegen, daß landschaftliche Mo- tive als Ereignisraum für Figurenbilder ihre Entstehung verdanken. Baumbestandene Dorfstraßen Liebermanns gibt es aus Laren: Sonntagnachmittag in Laren, 1896, Schul- gang in Laren, 18981 und Kirchgang in Laren, 18992. Das Motiv mit den knapp gekennzeichneten Gestalten und den sich ausbreitenden Sonnenreflexen und die Malweise gestatten es, die vorliegende Fassung in die Nähe der »Dorfstraße in Laren« zu rücken und an die gleiche Ortschaft zu denken3.

Anmerkungen 1 Abb. G. Pauli, M. Liebermann, S. 121; E. Hancke. M. Liebermann, S. 375. 2 Abb.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 377, 379. 3 Straße in Laren, um 1896. Pappe 29 x 45 cm, bez.: M. Liebermann 98 (u.r.). ehem. Sig. F. Sarre, Neubabelsberg. Abb.: E. Hancke, M. Lieber- mann, S. 371; Zeichnungen: a) H. Wolff. Zeichnungen von M. Liebermann, Taf. 20; J. Elias. Die Hand- zeichnungen M. Liebermanns, Taf. 11; b) H. Wolff. Zeichnungen von M. Liebermann, Taf. 51.

34 35 Nr. 13 Auf dem Felde – Pflügender Bauer Die Darstellung der Feldarbeit gibt es im Schaffen Max Öl auf Karton Liebermanns in der Frühzeit, als er in Weimar studierte 1897 und dann in Barbizon malte. Die »Kartoffelernte« von 34 x 49 cm 1874/751 und die »Arbeiter im Rübenfelde«, 18762 ge- signiert rechts unten hören zu dem Themenbereich. Weitere Werke aus den Erich Hancke (1914) Seite 538 gleichen Jahren nennt Erich Hancke. Provenienz: Dann erfolgte eine Wiederaufnahme in den frühen Auktionshaus Lepke, Berlin, Oktober 1912 Nr. 48 neunziger Jahren, als sich Liebermann mit den »Kartof- Abbildung Tafel 35 – Auflösung Sammlung Galerie felbuddlern« beschäftigte (vgl. Kat. Nr. 8), Im weiteren J. Friedmann Sinne sind »Der Schreitende Bauer«, 1894 (vgl. Kat. Sammlung Schwersenz, Berlin Nr. 9) »Der Sitzende Bauer in den Dünen«, 18963, und der »Bauer mit Kuh«, 18974, hinzuzurechnen. Einige der zuvor entwickelten Figurenkompositionen kehrten dann bei den Wandbildern wieder, die Lieber- mann 1897 bis 1899 für das Schloß Klink in Mecklen- burg malte5. Anscheinend erst in diesem Zusammen- hang entstand das vorliegende Gemälde, das zwar den pflügenden Bauern im Gegensinne zeigt, aber ande- rerseits so viele Ähnlichkeiten aufweist, daß an einer Beziehung nicht gezweifelt zu werden braucht.

Anmerkungen 1 Kartoffelernte, 1874/75. Düsseldorf, Kunstmuseum; s. die Angaben bei Kat. Nr. 8 2 Arbeiter im Rübenfelde, 1876. Leinwand 98 x 209 cm, bez.: M. Lieber- mann (u.r.). Hannover, Niedersächsische Landesgalerie. Lit.: Ludwig Schreiner. Die Gemälde des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover. Nr. 632 und Skizze Nr. 630; Ausst.: 1979/80 Berlin/München, M. Liebermann, Nr. 23. 3 Sitzender Bauer in den Dünen, 1896. Leinwand 108,3 x 151,5 cm, bez.: M Lieberman (u.r.). Leipzig, Museum der Bildenden Künste. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 106; H. Rosenhagen. Liebermann 19001, S. 72, Abb. 74; 19272 n. S. 33, Abb. 31. W. Kurth. M. Liebermann, Abb. 18; Die Kunst für Alle XIV, 1898/99 S. 161; Deutsche Kunst und Dekoration XXXIX, 1916/17, S. 37; Ausst.: 1965 Berlin. M. Liebermann. Deutsche Akademie der Künste. 4 Bauer mit Kuh, 1897. Leinwand 63 x 88 cm, bez.: M Liebermann (u.l.). Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 107; H. Rosenhagen. Liebermann 19001, S. 81, Abb. 85. 5 Wandbilder im Schloß Klink, 1897–1899. Lit.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 371–378; Abb. G. Pauli. M. Liebermann, S. 114–118; H. Rosenhagen, Liebermann 19001, S. 96, Abb. 101–102.

36 37 Nr. 14 Spielendes Mädchen Darstellungen kleiner Kinder kommen bei Max Lie- Öl auf Holz bermann bereits ziemlich früh im Schaffen vor. Seit 1898 1875/76 beschäftigte ihn das Thema der Kleinkinder- 32 x 23,8 cm schule und der Geschwister.1 Kinder erscheinen auf signiert und datiert »98« links oben den Spielplätzen im Tiergarten2, und auf »Münchner Provenienz: Biergarten« oder auf dem »Schulgang in Laren«.3 Bruno und Paul Cassirer, Berlin 1898 entstand im selben Ort das Bild mit zwei Bauern- Austellungen: mädchen vor einer grünen Böschung, zu dessen Ausar- Kunstverein Hannover No. 801 beitung Erich Hancke meint: »... da sie auf einen Wurf vor der Natur hingeschrieben ist, jene Unmittel- barkeit der Auffassung und Handschrift besitzt, die bei Liebermann einen durch nichts zu ersetzenden Vorzug darstellen.«4 Bei dem rechten, jüngeren der beiden Bauernmädchen handelt es sich offenbar um das gleiche Kind, das er auf dem vorliegenden Bild spielend darstellte. Dafür spricht die Kleidung, das lange braune Kleid, ebenso wie die physiognomische Ähnlichkeit. Ungleich über- zeugender ist hier die mit ungekünstelter Anteilnahme verknüpfte Sicherheit beim Erfassen der gespannten Zuwendung des Mädchens auf einen Vorgang, wobei die Intimität des Geschehens ungestört und der Anlaß unwichtig bleibt.

Anmerkungen: 1 Kleinkinderschule. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 21, 37; E. Hancke. M. Liebermann, S. 97, 115; Geschwister. Abb. G. Pauli. M. Liebermann, S. 23. 2 Vgl. Kat. Nr. 7 3 G. Pauli. M. Liebermann, S. 121; E. Hancke. M. Liebermann, S. 375. 4 Zwei Bauernmädchen, 1898. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 123; E. Hancke. M. Liebermann, S. 381.

38 39 Nr. 15 Mann auf dem Feldweg Mit dem »Schreitenden Bauern« (vgl. Kat. Nr. 9) hatte Öl auf Karton Liebermann 1894 eine Grenzposition erreicht. Er malte 1898 das großformatige Bild vollends vor dem Modell in der 35 x 48 cm natürlichen Umgebung. Bei aller Genugtuung darü- signiert und datiert »98« rechts unten ber, eine solche Aufgabe bewältigt zu haben, war ihm Provenienz: wohl doch klar geworden, daß ein Weiterkommen auf Auktion – Nachlaß Sammlung Albrecht Guttmann durch dem hier begangenen Pfad nur schwer möglich war. Paul Cassirer und Hugo Helbing, Berlin, Das Abstandsuchen geschah allerdings nicht durch die 1917, Katalog Nr. 45 mit Abbildung. Beschäftigung mit völlig anderen Darstellungsberei- chen, sondern die Lösung erfolgte über die Auseinan- dersetzung mit Motiven, die zunächst sehr verwandt scheinen. Liebermann blieb bei der Einzelgestalt in landschaftli- cher Umgebung. Der Zeichner und der Maler hatten an dem Vorankommen gleichermaßen Anteil. Liebermann ersetzte die Statik der menschlichen Gestalt durch freiere Gestik. Die zugehörenden Arbeiten sind dabei zunächst kleinformatig geblieben. Es gibt ebenso einen Fischer beim Aufhängen der Netze, einen schreitenden Bauern mit Kiepe1 und ähnliche Motive von Gestalten, die um sich freien Raum haben. Zeichnend ging Lie- bermann 1896 hinter einem Bauern her, der eine Kuh führt2. Er erneuerte und modifizierte auf diese Weise seine Kenntnis von Bewegungsvorgängen. Das kam dem Zeichenstil und der Malweise zugute. Indem es Liebermann gelang, Abkürzungen für solche Vorgänge zu finden, entfernte er sich zugleich allmählich von der Vorstellung, daß die Selbständigkeit einer in sich geschlossenen Figurenkomposition nur zu erreichen sei, wenn zugleich ein hohes Maß an Verdeutlichung gewährleistet bleibt. Erst langsam begann sich jener Zwiespalt zu lösen, der für ihn zwischen der spontanen Niederschrift vor dem Objekt der Darstellung und der Verwirklichung einer Bildidee bestand. Ein Beispiel für das Vorantasten ist der »Mann auf dem Feldweg«. Er ist im Begriff, zum Gehen anzusetzen und sich aus der ihn wie schützend hinterfangenden Kulisse von Haus und Bäumen zu lösen. Das Atmosphärische, wie der Wind von der Düne herüberweht, wird zum Bestand- teil der überzeugenden Einheit von Lebensraum und menschlichem Verhalten.

Anmerkungen 1 Fischer, Netze aufhängend. Pappe 28,5 x 22 cm, bez.: M. Lieberman (u.r.) Verst. 1987 München, Auktion 174, Karl & Faber, 25./26. November, Nr. 961, Taf. 42. Schreitender Bauer. Leinwand. 70 x 88 cm, bez.: M. Lieberman 95 (u.r.). Privatbesitz. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 107; Kunst und Künstler XV, 1917, S. 128; Ausst. Kat. 1979/80 Berlin/ München, M. Liebermann, Nr. 71. 2 E. Hancke. M. Liebermann, S. 356; Bauer und Kuh, 1896. Leinwand 63 x 88 cm. bez.: M. Liebermann (u.l.). Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 107; H. Rosenhagen. Liebermann 19001, S. 81, Abb. 85. – Zeichnungen: a) Abb. E. Hancke, S. 354; b) Schwarze Kreide 26,9 x 36,1 cm, bez.: M. Liebermann (u.l.). Hannover, Niedersächsisches Landesmuseum. Ausst. 1979/80 Berlin/München, M. Liebermann, Nr. 280; c) Abb.: Die Kunst für Alle XXII, 1906/07, S. 189.

40 41 Nr. 16 Reiter am Strand Knaben« (Vgl. Kat. Nr. 19) richtete sich nicht nur die Öl auf Karton Aufmerksamkeit auf das Thema des Meeres, zu dem um 1900 Liebermann in den nördlichen Niederlanden seltsamer- 32,6 x 41 cm weise lange keinen Zugang gefunden hatte, zugleich signiert links unten entfernte er sich von der Vorstellung, daß ein Motiv Provenienz: notwendigerweise eine inhaltliche Bedeutsamkeit ha- Auktionshaus Hugo Helbing, München, 1927, Katalog ben müsse. Der spürbare Distanzgewinn brachte ihn Nr. 121 mit Abbildung auf Tafel VIII. zu Gestaltbereichen, die er nunmehr ohne Vorbehalte als Maler tätig durchforschen konnte. Die Zahl der Arbeitsbilder ging auffällig zurück, an ihre Stelle traten Inhalte von ganz andersgearteter Gegen- wärtigkeit. Die Menschen, die er vorher in ihrem Tun dargestellt hatte, lebten ebenso in seiner Zeit, aber die Einfachheit ihrer alltäglichen Existenz vollzog sich im Abgesondertsein. Manche Erscheinungsformen von Gegenwart drangen anscheinend gar nicht bis zu ih- nen vor oder: Liebermann gab ihnen keinen Zugang in seine Kompositionen. Nirgendwo gibt es zum Beispiel ein modernes Verkehrsmittel zu sehen, wie die Eisen- bahn, die längst das Land vielspurig durchfuhr. Liebermann hatte sich immer in vielen Zeichnungen und anderen Studien auf seine Kompositionen vorbe- reitet. Es lassen sich für manche Gemälde ganze Rei- hen zusammenstellen. Diese Studien, niedergeschrie- ben vor dem Motiv, verselbständigten sich seit der Zeit um die Jahrhundertwende. Sie wurden eigenständige Werkreihen, Varianten, in denen die jeweilige künstleri- sche Fragestellung umkreist ist. Neben den »Badenden Knaben« sind es insbesondere die »Reiter am Strand«, mit denen Liebermann eines seiner Anliegen beispielhaft vorbringt. Roß und Reiter befinden sich im Randbereich von Strand und Wel- len, die aus der Tiefe herankommen und die an dem gleichen atmosphärischen Ereignis teilhaben, wie der Wind und die zugleich übereinstimmen mit der Bewe- gung der Gestalten im Vordergrund. Die Fähigkeit, eine so geartete Einheit darstellen zu können und trotzdem die fühlbaren Wirkungskräfte, die von den Gestalten ausgehen, beizubehalten, ist sicher ein Grund für das Abstandhalten zu den koloristischen Die künstlerische Entwicklung Max Liebermanns in Konsequenzen der französischen Impressionisten. Bei den neunziger Jahren verlief nicht nur folgerichtig über ihnen – insbesondere bei Claude Monet und bei Alfred die zunehmende Beschäftigung mit Freilichtmotiven Sisley – ist der Mensch Bestandteil der Erscheinung und dabei allmählich zu einer freieren Beweglichkeit geworden und er muß darum seine vitale Existenz auf- seiner Gestalten in erweiterter räumlicher Umgebung. geben, er kann nur noch als Chiffre auftauchen. Malerei und Farbigkeit machten einen ebenso entschei- Über die badenden Knaben hinaus kommt in den denen Wandel durch, – über die Auseinandersetzung Reitern am Strand noch ein anderes Moment hinzu. mit den koloristischen Konsequenzen der Franzosen Die meisten von ihnen sind sportliche Reiter. Das gibt (in den Schweinemarktbildern), wobei die anschließend ihnen jenen Anflug großstädtischer Qualität, ohne die von Liebermann geäußerte Feststellung (die Erich Han- Liebermanns künstlerisches Tun seit der Jahrhundert- cke überliefert)1, daß die Natur in der Anschauung grau wende nicht mehr denkbar ist. sei, doch wohl einen Hintergrund haben muß, der über das momentane Nicht-Zurechtkommen hinausging. Anmerkungen Mit den verschiedenen Fassungen der »Badenden 1 E. Hancke. M. Liebermann, s. 238.

42 43 Nr. 17 Gasse in Leiden Die Identifizierung des Ortes der dargestellten Si- Öl auf Karton tuation mit Leiden geht auf Erich Hancke zurück. um 1900 Das Motiv ist von Max Liebermann für seine Kom- 45,9 x 38,2 cm position »Holländische Gasse« (bei Erich Hancke: signiert rechts unten Gäßchen in Leiden) verwendet. Das erwähnte Bild ist allerdings tiefenräumlicher angelegt. Vorne links kommt eine Frau, rechts ist in der Hauswand eine Tür auszumachen.1 Auf der vorliegenden Skizze handelt es sich um das- selbe Motiv. Dafür spricht insbesondere die rück- wärtige Fassade mit den Fenstern, die den Bereich abschließt. Ein Pastell, das insgesamt gesehen der bildhaften Komposition nähersteht, bestätigt die Iden- tifizierung.2 Die belebenden Lichtreflexe rühren dem- nach von Sonnenstrahlen her, die durch das Laubwerk von Bäumen fallen. Die Zeichnung und das Gemälde sind von Ausgegli- chenheit bestimmt, zu der die Haltung der Frau im Vordergrund beiträgt. Die Skizze mutet daneben unmit- telbarer an. In dem verkürzt einbezogenen Raum sind rechts, an der Ecke der dort quer verlaufenden Gasse, zwei sich unterhaltende Frauen auszumachen, von de- nen aus ein weißgekleidetes Kind, offensichtlich mit weit aufgerissenem Mund, laufend nach vorne kommt. Von einem der durch die Bäume fallenden Sonnen- strahlen getroffen, bringt es ein Moment von unruhiger Lebendigkeit in die Abgeschiedenheit des intimen in- nenräumlichen Zustandes. Die Malweise bleibt frei von jedem Bemühen um kennzeichnende Deutlichkeit. Das Geschehen drängt sich nicht als inhaltliches Moment auf. Die Mittel sind souverän verwendet, Gegenstand von Malerei, bei der die Farbigkeit mit wenigen Nuancen auskommt. Die Intensität des spontan niedergeschriebenen Gefüges von Strichführung konzentriert sich in der Gestalt des Mädchens. Sie tritt in Verbindung mit den irritierenden Reflexen links oben und wird dabei geradezu für die Bildwirkung zum gleichwertigen Helligkeitseffekt – im Verhältnis zu den ruhig hingestrichenen weißen Partien an der Rückwand.

Anmerkungen 1 Erich Hancke. M. Liebermann 19141, S. 539. Abb.: G. Pauli. M. Lieber- mann, S. 131; Kunst und Künstler XV, 1917, S. 479. 2 Holländische Gasse. Pastell. Abb. K. Scheffler. M. Liebermann 19122, S. 207; Kunst und Künstler I, 1903, S. 138. – Vgl. ferner die im atmosphä- rischem ähnliche Zeichnung »Holländische Dorfecke mit kleinen Mäd- chen«. Ausst. Kat. 1979/80 Berlin/München, M. Liebermann, Nr. 251.

44 45 Nr. 18 Papageienmann im Amsterdamer Zoo Papageienallee mit Zoobesuchern. Auf dem Aquarell in Öl auf Leinwand Bremen hat sich Liebermann bei der kleinformatigen 1902 Wiederholung auf demselben Blatt für das Hochformat 84 x 70 cm entschieden. signiert und datiert »02« rechts unten Die aus der Literatur bekannten vier Ölskizzen haben Provenienz: alle Hochformat. Am Beginn könnte die Fassung in Sammlung Henry Newman, Hamburg Stuttgarter Privatbesitz stehen5. Hier fällt das Standmo- Literatur: tiv des Mannes ebenso auf wie seine Kleidung und der Gustav Pauli, »Klassiker der Kunst, 1911« Band 19, Weg verläuft in anderer Weise als bei den übrigen Bei- Max Liebermann, Abbildung Seite 140 spielen. Außerdem scheint es sich um einen jüngeren Leihgabe Mann zu handeln. Der Papagei, dessen Schaukel der Wärter im Begriff ist abzunehmen, hat auf der Zeichnung in Hannover Kopf und Balg nach unten hängend. Die anderen Ölskizzen zeigen im Unterschied dazu den Papageien aufrecht sitzend. Bei der Skizze der ehemaligen Sammlung Stransky6 befindet sich an dem Gestell in der linken Hand des Mannes, der rechte der Papageien oberhalb. Es handelt sich um einen weißen Kakadu. Auf einer Fassung in Aachener Privatbesitz7 bleibt der rechte, höher sitzende Vogel nur angedeutet; aber es handelt sich um einen buntfarbigen, wie bei der vorliegenden Fassung und dem Bild in Essen. Erich Hancke blieb bei der Frage nach der Datierung ungenau. Während er im Text seiner Monographie eine Entstehung im Jahre 1901 nahelegt, nennt er im Ka- talogteil der Ausgabe des Buches von 1914 das Jahr 1902. Ferner verweist er auf die im Frühjahr 1901 ent- standenen Fassungen des gleichen Motivs von Max SIevogt, die dieser in Frankfurt am Main malte, und merkt an, daß beide Künstler sich unabhängig vonein- ander entschlossen haben8. Liebermann zog mit sei- nen Bildern aus dem Zoologischen Garten in Amster- dam Konsequenzen, zu denen Erich Hancke feststellte: »...daß er sich nun so schönfarbige Objekte, wie die bunten exotischen Vögel es sind, wählte, er, dem lange Zeit die Welt nicht ’assez gris‘ sein konnte.«

Anmerkungen Das Motiv des Papageienmanns beschäftigte Max 1 Papageienmann, 1881. Abb.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 403. 2 Liebermann erstmals um 1881 im Amsterdamer Zoo. Leinwand 102 x 72 cm, bez.: M. Liebermann (u.l.). Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, 141; Jutta Held. Katalog der Gemälde des 19. Jahrhun- 1 Er malte die Skizze eines frontal stehenden Wärters . derts. Essen 1971, Nr. 104. Erst zwanzig Jahre später griff er auf das Motiv zurück. 3 Schwarze Kreide 29,9 x 37,7 cm, bez.: M. Liebermann (u.l.). Hannover, Städtische Galerie, Sig. Wrede. Abb.: Lothar Brauner, Max Liebermann. Am Ende der Werkreihe steht das Bild im Besitz des Berlin 1986, Nr. 14, Ausst. Kat. 1979/80 Berlin/München. Max Lieber- Folkwang- in Essen2. mann in seiner Zeit, Nr. 314; 1985 Baden-Baden, Deutsche Impressionis- Entsprechend seiner Arbeitsweise bereitete Max Lie- ten aus dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover, Nr. 20. 4 Bleistift und Aquarell 31,7 x 45,7 cm, bez.: Herrn Fritz Weber zur Erinne- bermann ein solches Bild sorgfältig vor. Im Besitz des rung an M Liebermann (u.r.). Abb.: G. Busch. M. Liebermann, S. 202; Kestnermuseums in Hannover gibt es eine Zeichnung3. Ausst. Kat. 1988 Mainz. Das Aquarell von Dürer bis Nay, Nr. 169. Die Kunsthalle Bremen erwarb eine aquarellierte Blei- 5 Pappe 63 x 39 cm, bez.: M Liebermann (u.r. mit Faksimilestempel). 4 Abb.: Ausst. Kat. 1974 Recklinghausen. Was war was ist. 25 Jahre Aus- stiftzeichnung . Demnach dachte Liebermann zunächst stellungen der Ruhrfestspiele, Nr. 152. an eine querformatige Fassung. Sie enthält allerdings 6 Leinwand 98 x 69 cm, bez.: M Liebermann 1902 (u.r.). Abb.: G. Pauli. bereits wichtige Einzelheiten, wie die Stellung des M. Liebermann, 140; Cicerone VIII, 1916, S. 205. 7 Leinwand 85 x 65 cm, bez.: M Liebermann (u.r.). Ausst. Kat. 1964 Aachen. Mannes links in der Komposition, dessen nach oben Deutsche Kunst im 20. Jahrhundert. ausgestreckter rechter Arm und den Blick entlang der 8 E. Hancke. M. Liebermann, S. 403.

46 47 Nr. 19 Badende Knaben an Ort und Stelle weiteres Material zu sammeln. 1898 Öl auf Karton, um 1900 schließlich, nach verschiedenen Änderungen, war das 33 x 48,2 cm, signiert links unten Gemälde vollendet.5 Endlich muß noch eine weitere Fassung erwähnt werden, an der Liebermann im Winter 1899–1900 in Die Beschäftigung Max Liebermanns mit dem Thema Berlin auf Grundlage von Studien aus Scheveningen der badenden Knaben kann geradezu stellvertretend arbeitete.6 Der wichtigste Unterschied zu den zuvor für sein künstlerisches Weiterkommen stehen. Der erprobten Möglichkeiten liegt in dem wieder ver- Hinblick darauf gestattet es Stationen einer Entwick- änderten Blickwinkel und damit der Anordnung der lung zu verfolgen, an derem vorläufigen Ende ein Bei- Gestalten. Der Blick geht unmittelbar auf die Wasser- trag zu jener Erscheinungsform von Malerei steht, die oberfläche mit den aus den Wellen kommenden oder als deutscher Impressionismus charakterisiert ist. in sie hineinsteigenden Badenden. Diese Variante ist Hauptbilder lassen sich zu einer Werkreihe ordnen. die von Liebermann wohl am häufigsten verwendete Am Beginn steht die großformatige Komposition »Im geworden. Die Jungen tragen Badehosen oder sie sind Schwimmbad«, an der Liebermann 1875 bis 1877 ar- unbekleidet, während einige auf den beiden anderen beitete.1 Sie zeigt den Blick in einen bis zum Rand des Kompositionen, deren Ursprung in Holland liegt, der Meeres hin offenen Schuppen. Dort sind im nahen frühen von 1875–77 und der ersten unter Einbeziehung Bildbereich zehn Knaben auszumachen, die sich aus des Meeres, lange dunkle Hosen mit Hosenträgern dem Wasser auf die Plattform hochziehen, sich dort ab- anhaben. Das weist sie als Landeskinder aus. Es sind trocknen und in ihre Kleider schlüpfen. Die Bewegungs- keine Badegäste, wie z.B. später bei den Nordwijker haltungen sind von geradezu statuarischer Qualität und Strandbildern. tatsächlich sind wohl mittelbare Beziehungen zu anti- Das vorliegende Bild gehört in den Zusammenhang ken Skulpturen ebenso auszumachen wie zu Vorbildern der Komposition von 1896–98, obwohl die Jungen am aus dem Schaffen Michelangelos. Strand nicht nach links, sondern nach rechts ausge- Liebermann war zu dem Motiv 1875 in Zandvoort ange- richtet sind. Vielleicht ist es 1896 in Zandvoort gemalt. regt und er hatte die Komposition in Paris ausgeführt. Dafür könnte die Art des Ausschnittes sprechen: der Erich Hancke erinnerte sich an sie, und er erwähnt obere Bildrand verläuft auf Kopfhöhe der Gestalten; die sie anläßlich des Hinweises auf die Wiederaufnahme drei vorderen sind in ihrer beruhigten Haltung sehr ge- des Themas in einer Radierung und dazu mit einigen nau eingesetzt. Studien aus Bad Kösen.2 Dort gibt es zwar verwandte Bewegungshaltungen, aber der Handlungsraum ist er- Anmerkungen 1 Im Schwimmbad, 1875–77. Leinwand 180 x 225 cm, bez.: M Liebermann weitert. Die badenden Jungen befinden sich vorne im (u.I.). Privatbesitz. Lit.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 96, 98–99; Kunst und Wasser der Saale, andere sind am Ufer, unter Bäumen, Künstler XXIII, 1925, S. 35–36; Ausst. 1979/80 Berlin/München. im Begriff sich anzuziehen. Die Umgebung ist aller- M. Liebermann, Nr. 30. – 2 Badende Knaben bei Bad Kösen. Es gibt zwei Varianten: 1 Radierung 1896, Schiefler 43. Ausst. 1979–80 Berlin/München, dings seitlich und im Hintergrund durch die dunklen M. Liebermann, Nr. 440; dazu die Zeichnungen: a) Kreide und Deckweiß Baumkulissen begrenzt. 12 x 16 cm, bez. MLiebermann (u.l.). Privatbesitz; b) Abb. H. Wolff. Zeich- Als die während mehrerer Jahre verschwundene erste nungen von M. Liebermann, Taf. 55; c) Abb. J. Elias. Die Handzeichnungen M. Liebermanns, Taf. 17. – 3 Badende Jungen. Leinwand 45 x 54,5 cm, Fassung von 1875–77 in der Mitte der zwanziger Jahre bez.: M Liebermann 95 (u.I.); ehem. Sig. A. Rothermundt, Dresden-Bla- wieder auftauchte, hat Liebermann sie selbst restau- sewitz. Abb.: G. Pauli M Liebermann, S. 105; dazu Zeichnungen: a Kreide riert und dabei vor allem, rechts am Ausblick auf das 14,4 x 18,8 cm, bez. M. Liebermann (u.l.). ehem. Sig. H. Stinnes. Ausst. 1977 Berlin. Vom kleinen Prinz zur Berliner Göre, Nr. 52; b Abb. J. Elias. Die Meer, weitgehend überarbeitet. Zeichnungen M. Liebermanns, Taf. 35. Frau Liebermann, 1895. Leinwand Der Hinweis darauf wäre weniger von Belang, wenn 96 x 120 cm. Weimar. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 108; H. Rosenha- Liebermann, der doch so lange schon zu Aufenthalten gen. Liebermann 19001, S. 64, Abb. 64; 19272 , S. 45, Abb. 45. – 4 Badende Knaben, 1896–98. Leinwand 122 x 151 cm, bez.: M Liebermann in die nördlichen Niederlande kam, die Darstellung des 98 (u.r.). München, Neue Pinakothek. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, Meeres für sich als Unmöglichkeit ansah. Erst 1895, als S. 119; H. Rosenhagen. Liebermann 19001, S. 82, Abb. 86; 19272, S. 54, er seine Frau, auf einer Terrasse liegend, in Schevenin- Abb. 54; E. Hancke. M. Liebermann, S. 353, K. Scheffler. M. Liebermann 19222, S. 142; W. Kurth. M. Liebermann, Taf. 29; G. Busch. M. Liebermann, gen malte, bezog er als Hintergrund die Wasseroberflä- S. 200, Abb. 182; die Kunst für Alle XII, 1896/97, S. 241; Kunst und Künstler che mit ein.3 XXV, 1927, S. 387; Ausst. 1979/80 Berlin/München, M. Liebermann, Nr. Im Winter 1895–96 begann die Arbeit an dem nächsten 72. – Zeichnungen: a) H. Wolff. Zeichnungen von M. Liebermann, Taf. 54; b) Ausst. Kat. 1979 Vom zeichnerischen Entwurf zur Druckgraphik. Galerie Bild mit badenden Jungen, das diese nunmehr auf ei- Pels-Leusden, Nr. 64 a; c) Abb. H. Wolff. Zeichnungen von M. Liebermann, nem schräg nach hinten verlaufenden Strand und links Taf. 52. – 5 E. Hancke. M. Liebermann, S. 352–353. – 6 Badende Knaben, in den ankommenden Wellen zeigt.4 Liebermann malte 1899/1900. Leinw. 112 x 151 cm, bez.: M. Liebermann (u.r.). ehem. Slg. A. Guttmann, Berlin. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 127; H. Rosenhagen. nach Figurenstudien, die er in seinem Berliner Atelier Liebermann 19001, S. 109, Abb. 112; 19272, S. 54, Abb. 54; Die Kunst für Alle machte. Erst 1896 ging er dann nach Zandvoort, um XV, 1899/1900, S. 461; Deutsche Kunst und Dekoration XXXIX, 1916, S. 39.

48 49 Nr. 20 Garten in Nordwijk-Binnen Vielleicht hat sich Liebermann eines Werkes erinnert, Öl auf Leinwand das er längst gut kannte: Édouard Manets »Garten in 1909 Rueil« von 18826 und das der Nationalgalerie in Berlin 70 x 88 cm gehörte. Sicher beginnt mit den Bildern aus Nordwijk signiert und datiert »09« links unten die Folge jener Gartenansichten, die dann seit 1910 Provenienz: den Maler zunehmend beschäftigten, nachdem sein Paul Cassirer Haus in Wannsee beziehbar und der Garten angelegt Sammlung C. Steinbart, Groß-Lichterfelde war. Sammlung Frau Henry P. Newman, Hamburg Ausstellungen: Anmerkungen Kunsthaus Zürich, Juni bis Juli 1923, Katalog Nr. 76 1 Allee in Rosenheim, 1894. Leinwand. 91 x 65 cm, bez.: M. Liebermann mit Abbildung Tafel XXIII (u.l.). Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 103; E. Hancke. M. Liebermann, Literatur: S. 303; H. Rosenhagen. Liebermann 19272, S. 49, Abb. 49; F. Stuttmann. M. Liebermann, Abb. 33; G. Busch. M. Liebermann, S. 194, Abb. 180; Die Gustav Pauli, »Klassiker der Kunst, 1911« Band 19, Kunst für Alle XXII, 1906/07, S. 190. – Allee in Overveen, 1895. Leinwand. Max Liebermann, Abbildung Seite 228 90 x 72 cm, bez.: M. Liebermann (u.l.). Privatbesitz. Abb.: G. Pauli. M. M. J. Friedländer. M. Liebermann, S. 137, Abb. 75 Liebermann, S. 104; E. Hancke. M. Liebermann, S. 349; F. Stuttmann. M. Liebermann, Abb. 34; G. Busch. M. Liebermann, S. 195, Taf. 23; Die Kunst für Alle XXII, 1906/07, S. 441; Kunst und Künstler XXV, 1927, S. 399; Ausst.: 1979/80 Berlin/München. M. Liebermann, Nr. 70. 2 Bei Nordwijk, 1906/07. Pappe 46 x 69 cm, bez.: M. Liebermann (u.l.). Berlin, Nationalgalerie. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 169; K. Scheffler. M. Liebermann 19122, S. 159; F. Stuttmann. M. Liebermann, Abb. 50; L. Brauner. M. Liebermann Nr. 19; G. Busch. M. Liebermann, S. 223, Taf. 37; Kunst und Künstler V, 1907, S. 193. – Zeichnungen: Holländische Land- schaft. Kreide 26,5 x 33,5 cm, bez.: M. Lieberman (u.I.), Hamburger Kunst- halle, ehem. Sig. Johannes Guthmann. Abb.: Carl Georg Heise. Große Zeichner des XIX. Jahrhunderts. Berlin 1959, Nr. 134. – Landschaft bei Nordwijk. Abb.: G. Busch. M. Liebermann, S. 222, Abb. 200; – Dünenland- Die Landschaft erscheint als selbständige Aufgabe im schaft. Kohle. 33 x 49,5 cm, bez.: M.Liebermann (u.r.). Kunstmuseum St. Schaffen Max Liebermanns spät. Dabei muß allerdings Gallen. Abb.: Katalog der Zeichnungen und Aquarelle aus dem 19. Jahr- die Frage nach dem Bildformat berücksichtigt werden. hundert, 1978, Nr. 32, S. 42. – Bei Nordwijk, 1908. Abb.: E. Hancke. M. Liebermann, S. 471. – Dünenlandschaft. Leinwand 48 x 59 cm, bez.: Es gibt seit den künstlerischen Anfängen kleinforma- M. Liebermann (u.I.). ehem. Sig. Oscar Schmitz, Dresden. Abb.: tige Niederschriften vor der Natur (vgl. Kat. Nr. 10) und K. Scheffler. M. Liebermann 19122, S. 158; H. Ostwald. Das Liebermann- vor allem eine Vielzahl von Zeichnungen. In den neun- Buch, S. 343, Abb. 173. 3 Landhaus in Hilversum, 1901. Leinwand 65 x 80 cm, bez.: M. Lieber- ziger Jahren interessierten den Maler gelegentlich Al- mann (u.l.). Berlin, Nationalgalerie (es handelt sich um das Anwesen der leen1. Seit 1907 entstanden bei Nordwijk Ausblicke von Familie Bredius). Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 130; W. Kurth. M. 2 Liebermann, Abb. 25; F. Stuttmann. M. Liebermann, Abb. 41; L. Brauner. der Düne in das Flachland . M. Liebermann, Nr. 12; G. Busch. M. Liebermann, S. 197, Taf. 24; Ludwig Im Zusammenhang des vorliegenden Werkes darf auf Justi. 200 Bilder der Nationalgalerie. Berlin 1926, Nr. 118; Ausst.: 1979/80 einige Bilder von 1901 verwiesen werden, die eine Villa Berlin/München, M. Liebermann, Nr. 79; – Zeichnungen: a) Holländisches 3 4 Landhaus im Park. Kreide 30 x 48 cm, bez.: M. Liebermann (u.r.). Verst.: in Hilversum und den Park von Jan Tabak zeigen. Ver- 1927 Berlin. Sammlung Leo Lewin. P. Cassirer und H. Helbing, 12. Ap- gleichbar ist die Intimität des Innenraumhaften und die ril Nr. 105, Taf. LVII. – b) Parklandschaft mit Haus. Kreide 34,5 x 50 cm, Eigenschaft, daß es sich um die Darstellung von Gär- bez.: MLiebermann (u.l.). Versteigerung wie a), Nr. 107. – c) Villa. Kreide 29 x 38 cm, bez.: M. Liebermann (u.l.). Abb.: 1917 Nachtragswerk II zur ten, also der von Menschen geordneten und gepfleg- Großen Katalogausgabe 1916, Heinrich Thannhauser, München, Abb. 68. ten Natur handelt. – d) Landhaus in Hilversum. Kreide 10,9 x 18,8 cm. Leipzig, Museum der Dem »Garten von Nordwijk« geht unmittelbar eine Bildenden Künste. Abb.: L. Brauner. M. Liebermann, Nr. 12. 4 E. Hancke. M. Liebermann 19141, S. 539. – Vergl. ferner: Das Godeffroy- 5 Fassung von 1908 voraus , der Blick auf von hellen, ge- sche Landhaus im Hirschpark in Nienstetten, 1902. a) Pastell 31 x 42 cm, schwungen verlaufenden Wegen eingefaßte Rasenflä- Hamburger Kunsthalle Abb.: Kunst und Künstler I, 1903, S. 135; Eva-Maria chen, darin blühende Rabatten und Kübel mit Agaven. Krafft und Carl Wolfgang Schümann. Katalog der Meister des 19. Jahr- hunderts in der Hamburger Kunsthalle. Hamburg 1969, Nr. 1601, S. 186. Nahe der dunklen, abschließenden Baumkulisse sind b) Landhaus bei Hamburg. Kreide 18,5 x 14,2 cm. Abb.: J. Elias. Die Hand- weiße Gartenstühle an einen runden Tisch gelehnt. Bei zeichnung M. Liebermanns, Taf. 40; G. Busch. M. Liebermann, Abb. 79, S. 100. dem Garten von 1909 kommt die – in der Lage des 5 Garten bei Nordwijk. Leinwand 61 x 78 cm, bez.: M. Liebermann (u.I.). Augenpunktes leicht angehobene – Schrägansicht des ehem. Sig. Leopold Biermann, Bremen; Sig. Zitzmann, Erlangen. Abb.: G. Motivs ebenso vor, aber einige Bäume sind gestaffelt Pauli. M. Liebermann, S. 208; Kunst und Künstler VII, 1909, S. 194; Kunst und Künstler XXIII, 1925, S. 288; Verst.: 1925 Berlin. Sammlung eines bis in den Vordergrund gezogen. Dadurch tritt die Ab- süddeutschen Kunstfreundes (d. i. Zitzmann). P. Cassirer und H. Helbing, folge von verschatteten und im Sonnenlicht liegenden 3. März, Nr. 97a. – Zeichnung: Garten in Nordwijk. Abb. H. Wolff. Zeich- Partien auffälliger in Erscheinung. Der Komplementär- nungen von M. Liebermann, Taf. 78. 6 Édouard Manet. Garten in Rueil, 1882. Nationalgalerie Berlin. Verzeich- kontrast Rot-Grün bleibt verhalten in temperierten Be- nis der Gemälde und Skulpturen des 19. Jahrhunderts. Berlin 1976, reichen. Dazu tritt in der Himmelszone das Blau. S. 240–242.

50 51 Nr. 21 Junger Reiter – Pferdeknecht am Strand Die atmosphärische Einheit der »Reiter am Strand«, Öl auf Leinwand damit die in vieler Hinsicht greifende Erfahrung von 1909 Bewegung, hat Max Liebermann über einige Jahre hin 66 x 80 cm beschäftigt. Die parallele Anordnung von Strand, Reiter signiert und datiert »09« rechts unten und herankommenden Wellen ist überall anzutreffen Erich Hancke (1914) Seite 544 und außerdem noch der verhangene Himmel, in des- Provenienz: sen Wolken – ganz ohne Aufdringlichkeit – ähnliche Wir- Paul Cassirer, Berlin kungskräfte, wie sie bei den Gestalten und dem Was- Werner Rolfes, Frankfurt am Main ser fühlbar sind, die Erlebniseinheit mitbestimmen. Ausstellungen: Die Konzentration auf die drei Komponenten erlaubt Galerie Goldschmidt, Frankfurt, »Max Liebermann, es Liebermann, die Komposition zu den Rändern hin Werke aus Frankfurter Privatbesitz«, Dezember 1927, offenzulassen. Nach allen Richtungen hin ist der Raum Katalog Nr. 36 mit Abbildung. scheinbar dehnbar. Es gibt keine vordergründig sichern- The Johannesburg Art Gallery, Johannesburg, »Equus« den Rahmenbezüge. Trotzdem ist das Bildgeschehen April-Mai 1982 Katalog Nr. 41 verspannt in ein kaum fühlbares System von Orientie- Literatur: rungshilfen. Dabei kommt den Horizontalen der Wellen- Gustav Pauli, »Klassiker der Kunst, 1911« Band 19, linien eine besondere Funktion zu, sichtbar an den zwei Max Liebermann, Abbildung Seite 224 weißen, gegeneinander versetzten Parallelen. Eine solche Feststellung ist aufschlußreich angesichts der häufig zitierten und für die Grenzen des »norma- len« Sehverständnisses damals erschreckenden pho- tographischen Aufnahmen, die Eadweard Muybridge von laufenden Menschen und Tieren gemacht hatte. Liebermann kannte solche Tatbestände zweifellos. Je- doch die bloße Einsicht in die Fehlbarkeit des menschli- chen Auges, wenn es um rasche Bewegungsvorgänge geht, das Studium der Photographien, hätte dem Maler keinen entscheidenden Impuls für seine künstlerischen Bildkomponenten gegeben. Anscheinend hat Liebermann zu manchen Gelegenhei- ten bestimmte Modelle zur Verfügung gehabt. Der in dieser Fassung gemalte »Reitknecht« kehrt auf einem anderen, fühlbar bewußter komponierten Bild wieder1 und dort kombiniert mit einem Motiv, das sich schon zuvor an anderer Stelle nachweisen läßt2.

Anmerkungen 1 Reiter am Strand. Abb.: Wilhelm F. Burr. M. Liebermann. Mainz 1910, Abb. 33; Deutsche Kunst und Dekoration XXXIX 1916/17, S. 39. 2 Pferdeknechte am Strand. Leinwand 66 x 85 cm, bez.: M. Liebermann 1902 (u.l.). ehem. Sig. J. Stern, Berlin; Eduard Arnhold, Berlin; Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 133; Die Kunst für Alle XIX, 1903/04, S. 157. – Vgl. ferner die Lithographie von 1910, Schiefler 112.

52 53 Nr. 22 Porträt Gerhart Hauptmann keiten darstellen, die in Hamburg geboren waren, die Öl auf Leinwand Verbindung mit der Stadt hatten oder Deutschland in um 1912 ihrer Zeit repräsentierten. Bereits das erste Bildnis der 55,1 x 45,3 cm Reihe hatte Max Liebermann gemalt, den Bürgermeis- signiert Mitte rechts ter Carl Friedrich Petersen, 18917. Provenienz: Da die Hamburger Fassung des Porträts von Gerhart Galerie Kornfeld & Klipstein, Bern, Auktion 146, Hauptmann weitgehend aufgrund von Studienmate- November 1972, Katalog Nr. 136 rial entstand, darf das hier vorliegende Kopfbildnis in Sammlung A. Stoll Zusammenhang des Werkes für Breslau gebracht wer- den. Eine weitere Bildnisstudie, die den Dargestellten in dem gleichen Körperausschnitt zeigt, wie auf den Fassungen in Breslau und Hamburg, befindet sich im Besitz des Berlin-Museums. Zu Beginn des Jahres 1913 hatte Alfred Lichtwark geschrieben: »Die beiden Hauptmann haben unsern nächsten Freunden große Freude gemacht. Wir behalten natürlich den zweiten. Aber es war mir doch sehr lieb, sie beide hier in Muße studieren zu können. Ich schicke das Breslauer umge- hend zurück«.8 Noch während M. Liebermann an dem Porträt ar- beitete, schrieb er am 6. November 1912: »…einen schöneren Kopf gibts kaum, wenigstens, wenn man ihn im Ensemble betrachtet, der Bau des Kopfes ist wirklich schön und ich bin überzeugt, daß sein Äußeres nicht wenig zu seinen Erfolgen beigetragen hat. Er ist der deutsche Dichter, auch weil er so aussieht. – Er ist auch liebenswürdig, aber doch zu sehr mit sich be- schäftigt (vielleicht auch zu verwöhnt), um für Andere Interesse zu haben… er ist wenig mitteilsam und be- obachtet mehr als er selbst gibt«.9 Dem siebzigjährigen Max Liebermann widmete Ger- hart Hauptmann einen Beitrag, der mit den »Urteilen« anderer 1917 in Kunst und Künstler erschien.10 Das erste Bildnis Gerhard Hauptmanns entstand be- 1 reits 1892 , in einer Zeit, aus der es noch wenige Por- Anmerkungen träts des Dichters gibt. Damals waren »Die Weber« 1 G. Hauptmann a) Pastell 1892. ehem. Slg. Fürst Liechtenstein. Abb. G. gerade geschrieben. Aus dem Jahre 1897 stammt Pauli. M. Liebermann, S. XIX; H. Ostwald. Das Liebermann-Buch, S. 245, 2 Abb. 120. – b) Pastell, um 1892, 78,8 x 59,5 cm. Berlin, Staatsbibliothek. eine Bildnisbüste von Max Kruse . Lovis Corinth malte Abb.: G. Busch. M. Liebermann, S. 67, Abb. 54; Ausst.: 1979/80 Berlin/ Hauptmann 19003. Damals gehörten er und mit ihm München, M. Liebermann, Nr. 258. Walter Leistikow, Ludwig von Hofmann, Bernt Grän- 2 Fritz Stahl. Max Kruse. Berlin (um 1923). Gerhart Hauptmann, 1897, Taf. V. 3 Lovis Corinth. Gerhart Hauptmann, 1900. Werkkatalog, verfaßt von Char- volt und Ernst Sattler zu Gerhart Hauptmanns Freund- lotte Berend – Corinth, Nr. 202. schafts- und Rosenbund4, einem Kreis, zu dem Max 4 L. Corinth. Das Leben Walter Leistikows. Ein Stück Berliner Kulturge- Liebermann sicherlich aus innerer Distanz keinen Zu- schichte. Berlin 1910, S. 104. 5 G. Hauptmann. Leinwand 114 x 91 cm. Breslau, Schlesisches Museum gang gefunden hätte. für Bildende Kunst. Abb.: Kunst und Künstler XI, 1913, S. 179. Im Oktober und November 1912 schaffte Liebermann 6 G. Hauptmann. Leinwand 118,5 x 92 cm, unbezeichnet. Hamburger dann die erste Fassung des Bildnisses für das Schle- Kunsthalle. Abb.: F. Stuttmann. M. Liebermann, Abb. 66; G. Meißner. M. 5 Liebermann, Abb. 89; G. Busch. M. Liebermann, S. 71, Abb. 55; Eva Ma- sische Museum für Bildende Kunst in Breslau . Ihm ria Krafft und Carl-Wolfgang Schümann. Katalog der Meister des 19. Jahr- folgte im Dezember desselben Jahres die zweite Fas- hunderts in der Hamburger Kunsthalle. Hamburg 1969, Nr. 1594, S. 195. sung. Sie entstand im Auftrag von Alfred Lichtwark für 7 Bürgermeister Carl Friedrich Petersen, 1891. Leinwand 206 x 119 cm, 6 bez.: M. Lieberman (u.r.). Hamburger Kunsthalle. Abb.: E. M. Krafft und die Hamburger Kunsthalle . Hauptmann wurde damals C.-W. Schümann. Katalog der Meister des 19. Jh., Nr. 1696, S. 184. fünfzig Jahre alt. 8 Alfred Lichtwark. Briefe an Max Liebermann. Herausgegeben von Carl Lichtwark hatte bereits 1889 eine »Sammlung von Schellenberg. Hamburg 1949. Brief vom 18. Januar 1913, S. 311. 9 A. Lichtwark. Briefe an M. Liebermann, S. 307, Anm. 1. Bildern aus Hamburg« gegründet, innerhalb deren Be- 10 Kunst und Künstler XV, 1917, S. 496. Möglicherweise ist die vorliegende stand es eine Vielzahl von Porträts gibt, die Persönlich- Bildnisstudie die Vorlage für die Lithographie von 1922, Schiefler 355.

54 55 Nr. 23 Wannseegarten mit blühenden Rosen Ein weiterer, identifizierbarer Motivbereich, neben Öl auf Leinwand dem mit der Gartenfassade, befindet sich seitlich des um 1920 Hauses. Ein Weg, gelegentlich von Stufen unterbro- 54,5 x 75,5 cm chen, führt auf eine durchfensterte Gebäudefront zu, signiert rechts unten die durch eine Reihe von Baumstämmen sichtbar wird, Ausstellungen: deren Zweige rundförmig geschnitten sind. Wallrat-Richartz Museum, Köln, dort als Parallel zu dem Weg erstreckt sich links, hinter Rabat- Leihgabe bis 1987 ten und Stauden, ein langgestrecktes niedriges Ge- Literatur: bäude, möglicherweise das Gärtnerhaus. In der Mauer Verzeichnis der Gemäldesammlung des Wallraf-Richartz befindet sich ein Fenster mit aufgeklappten Läden. Museum’s zu Köln, Nummer 714, mit Abbildung auf Die Berliner National Galerie besaß ein Gemälde, das Seite 281. denselben Bildbereich zeigt, nur in der Gegenrichtung gesehen. Es ist 1918 entstanden1. Darauf erscheint das gleiche Beet und unmittelbar vor der hellen Wand links blühen hochstengelige Malven. Der vordere Streifen zum Weg hin ist niedrig bepflanzt. Auf der vorliegenden Fassung ist dieser Streifen ebenfalls zugewachsen. Für einen weiteren Vergleich gibt es von 1922 eine Version, die, auf dem Weg stehend, die Enkelin Max Lieber- manns mit einem Schmetterlingsnetz zeigt, und wo der Bewuchs ähnlich ist2. Malweise und Farbigkeit bestäti- gen einen solchen Befund, der für die Entstehung der vorliegenden Fassung in den zwanziger Jahren spricht.

Anmerkungen 1 Garten in Wannsee, 1918. Leinwand 71 x 90,5 cm, unbezeichnet ehem. National Galerie Berlin. Abb.: F. Stuttmann. M. Liebermann, Abb. 71; Paul Ortwin Rave und Ludwig Thormaehlen. Zweihundert Bilder der National- galerie erworben 1910 bis 1925 von Ludwig Justi. Berlin 1926, Nr. 120; Berliner Almanach 1947. Hrsg. Walther G. Oschilewski und Lothar Blanva- let Berlin 1947, n. S. 97; Ausst: 1927 Berlin. M. Liebermann, Nr. 79; Abb. – 2 Wannseegarten, 1922. Leinwand. 76 x 100 cm, bez.: M Liebermann 1922 (u.r.). Verst: 1927 Berlin. Sammlung Leo Lewin, Breslau. Paul Cassirer und Hugo Helbing, 12. April, Nr. 17.

56 57 Nr. 24 Spaziergänger im Tiergarten zu Berlin Tiergartenmotive beschäftigten Max Liebermann ver- Öl auf Leinwand hältnismäßig früh. Die anfangs, bis in die Zeit um 1890 um 1920 entstandenen Beispiele sind allerdings manchmal mit 40 x 50,5 cm unterschiedlichen Ortsnamen verbunden worden: Jar- signiert links unten dins du Luxembourg und Hofgarten in München kom- men vor. Nach den Arbeiten, die um 1890 entstanden (vgl. Kat. Nr. 7), setzte anscheinend erst in der Zeit des ersten Weltkrieges erneut das Interesse an dem topo­ graphisch nahegelegenen Bereich ein. Nach dem Tode seiner Mutter, 1892, war Max Liebermann in das Haus seines Vaters am Pariser Platz, dort unmittelbar rechts neben dem Brandenburger Tor, gezogen. Er konnte in den Tiergarten hineinsehen. Es gibt zwar einen Fensterausblick dorthin1, aber das Innere des Wald-Park-Bezirks beschäftigte ihn seit etwa 1915. Die Reisen in die nördlichen Niederlande waren unmöglich geworden. Im Sommer hielt sich Lieber- mann häufig und zunehmend länger auf seinem Anwe- sen in Wannsee (vgl. Kat. Nr. 25) auf. Den Herbst und Winter verbrachte er in seinem Stadthaus. Das hing mit dem jeweiligen Wetter zusammen. Die Tiergartenbilder sind zumeist kleinformatig, genaue Daten selten. Eine verhältnismäßig sichere Ausgangs- position gibt eine Fassung in der Niedersächsischen Landesgalerie zu Hannover2. Sie hat mit dem vorlie- genden Bild gemeinsam, daß der Fußgängerweg nicht seitlich begleitet wird von einer Fahrstraße, die auf einer anderen Serie von Tiergartenbildern erscheint. Die sonst noch vergleichbaren Motive sind unter sich ähnlich, ohne daß der genaue Standpunkt genannt werden kann, den Liebermann bezog3. Wenige Schritte beiseite veränderten die Situation. Es war Krieg, wovon nichts spürbar ist. Die Spazier- gänger sind unterwegs. Das Motiv ist in jedem Falle großstädtisch bestimmt, von Gelassenheit geprägt, die Ausdruck einer Überlegenheit des gealterten Max Liebermann ist, der längst für die Berliner Malerei in die Rolle des legitimen Nachfolgers von Adolph Menzel hineinwuchs. 1917 zeigte die Königliche Akademie der Künste im Juli und August die Ausstellung zum sieb- zigsten Geburtstag des Künstlers. Tiergartenbilder sind wohl bis in die zwanziger Jahre entstanden.

Anmerkungen 1 Eingang zum Tiergarten. Pastell 60 x 80 cm, Abb.: Hans Ostwald. Kultur und Sittengeschichte Berlins. Berlin o.J., S. 189. 2 Tiergarten. Leinwand 40 x 50,2 cm, bez.: M Liebermann (u.I.). Hannover, Niedersächsische Landesgalerie. Lit.: Ludwig Schreiner. Die Gemälde des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts in der Landesgalerie Hanno- ver, Nr. 649; Ausst.: 1985 Baden-Baden. Deutsche Impressionisten aus der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover, Nr. 24. 3 Tiergarten im Herbst. Holz 33,5 x 42,5 cm, bez.: M Liebermann (u.l.). Verst. 1987 London. Impressionist and Modern Paintingsand Sculpture (Part 11). Christie‘s, 31. März, Nr. 83.

58 59 Nr. 25 Wannseegarten (Terrasse vor dem Gartenhaus Familie draußen besucht hatte, schrieb er an die Kom- in Wannsee) mission für die Verwaltung der Hamburger Kunsthalle: Öl auf Leinwand »Den Grundplan zum Garten habe ich entworfen«. Und um 1920 er konnte berichten: »Liebermann hat schon zwei Bil- 43,5 x 65,5 cm signiert links unten der daraus gemalt und verkauft, ehe sie noch einmal ausgestellt waren«.2 Haus und Garten in Wannsee erhielten ihre volle Bedeutung jedoch erst, nachdem der Ausbruch des ersten Weltkrieges die Reisen in die nördlichen Nie- derlande unmöglich gemacht hatte. Die Aufenthalte in den Sommermonaten wurden länger, nicht zuletzt weil der Garten bei den zunehmenden Schwierig- keiten mit Nahrungsmitteln teilweise für den Anbau mit Gemüse umgepflügt wurde. Nach 1918 trat dann zunehmend die ursprüngliche Idee wieder in Erschei- nung, weil seine Rolle als Nutzgarten ausgedient hatte und das Wachstum von Bäumen und Zierpflanzen sich durchsetzte. Liebermann hat den von Lichtwark geordneten Bezir- ken innerhalb der gar nicht sehr ausgedehnten Grund- fläche des Gartens eine Vielzahl von Motiven abge- wonnen. Was mit den Bildern aus Nordwijk, 1908 und 1909, begann (vgl. Kat. Nr. 20) vollendete sich. Wie nie zuvor im Schaffen überwiegen im Bestand der Arbeiten die Gemälde, dazu gibt es Pastelle, dafür anscheinend nur sehr wenige Zeichnungen. Die Motivbereiche lassen sich identifizieren. Lieber- mann modifizierte Einzelheiten, aber er hielt sich an den Tatbestand, der ihm hier ständig vor Augen war. Lebensbereich und Arbeitsstätte sind identisch. An- scheinend wurden, gemessen an der Zahl der entstan- denen Werke, nur wenige Bilder datiert. Vielleicht wird es einmal, wenn das zugehörige Material in genügen- der Dichte dokumentiert ist, möglich sein, aufgrund der sich über die Jahre hin ändernde Bebauung und des Wachstums eine leidliche Ordnung herzustellen. Eine Gruppe von Werken zeigt die Gartenfassade oder doch Teile davon mit der Terrasse davor, an deren vor- deren Rand Kübel stehen, die zeitweise mit Agaven besetzt waren. Auf der vorliegenden Fassung erscheint hinten rechts ein schlanker, heller Pfeiler. Es ist das Postament für eine Bronzeplastik gewesen, ein Exem- plar des »Fischotters« von August Gaul, das Lieber- Max Liebermann hatte ein Grundstück in Wannsee, an mann 1910 erwarb.3 der Großen Seestraße, erworben und das Wohnhaus errichten lassen. Im Sommer des Jahres 1910 war er dort eingezogen. An der Gestaltung des Gartens, der Anmerkungen sich bis zum Seeufer erstreckt, war Alfred Lichtwark 1 Einzelheiten zu Alfred Lichtwark, Max Liebermann und den Wannseegar- beratend beteiligt gewesen.1 In Briefen an die Tochter ten, s. Literaturnachweis in diesem Katalog. 2 Des Künstlers Garten in Wannsee, 1910. Leinwand. 67 x 81 cm, bez.: und an Max Liebermann selbst machte er ausführliche M. Liebermann 10 (u.l.). Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 234. – Vorschläge, vor allem für die Einteilung in Heckenquar- dgl. Leinwand 75 x 90 cm, bez.: M Lieberman 1910 (u.l.). ehem. Sig. Ro- tiere, jedoch betraf seine Aufmerksamkeit genauso die thermundt, Dresden-Blasewitz. Abb.: G. Pauli. M. Liebermann, S. 235; E. Hancke. M. Liebermann, S. 474. Bepflanzung mit Bäumen, Sträuchern und Blumen. Als 3 August Gaul. Fischotter. Ausst. 1985 Berlin. Für Max Liebermann, er im Oktober 1910 erstmals Liebermann und seine Nr. 316; 1987 Berlin. Kunst in Berlin 1648–1987, Kat. Nr. H 51.

60 61 Nr. 26 Schlittschuhläufer im Tiergarten zu Berlin In den Jahren des ersten Weltkrieges und danach Öl auf Leinwand wandte sich das Interesse des Malers erneut dem 1922 längst bekannten Tiergarten zu1. Den Winter verbrachte 39,4 x 53 cm er in seinem Stadthaus am Pariser Platz. Seit spätes- signiert und datiert »1922« rechts unten tens 1919 gab es neben den Motiven mit Spazier- Leihgabe gängern – im Herbst und Frühling – Fassungen, die den verschneiten Park zeigen. Dann sind es nicht die üblichen Wege, auf denen sich die meist jugendlichen Schlittschuhläufer bewegen, sondern die zugefrorenen Wasserarme, die – von der Spree ausgehend und sich gelegentlich erweiternd – im Neuen See münden. Auf einem Bild von 19192 kommen die winterlich ver- mummten Gestalten unmittelbar aus der Tiefe. Bei zwei anderen Gemälden3 (eines davon ist auf 1921 datiert) breitet sich die Eisfläche bis zu den seitlichen Rändern aus. Die vorliegende Fassung zeigt wieder einen Weg­verlauf und ist darin der 1923 entstandenen Radierung verwandt4. Die »Schlittschuhläufer« gehören zu den Sportbildern Max Liebermanns, die es etwa seit der Jahrhundert- wende als Reiter am Strand, Tennis- oder Polospieler gab. Ganz offenbar interessierte den Maler das Neben­ einander verschiedener Bewegungshaltungen, die sich aus dem gleichen Tun mehrer Beteiligter ergab.

Anmerkungen 1 E. Hancke. Max Liebermanns Kunst seit 1914. In: Kunst und Künstler XX, 1922, S. 340. Der gesamte Beitrag ist 1923 als eigenes Kapitel übernom- men in die zweite Auflage der Monographie, S. 507–528. 2 Schlittschuhläufer. Leinwand. 42 x 53,5 cm, bez.: MLiebermann 1919 (u.l.). Versteigerung 1986 London. Impressionist and modern paintings and sculpture. Christie’s, 1. Dezember, Nr. 30. 3 a) Kunst und Künstler XX, 1922, S. 338; b) Leinwand 39,5 x 49,5 cm, ehern. Sammlung A. Ebering, Magdeburg. 4 Eislauf, 1923. Ätzung und Kaltnadel 12,5 x 17,5 cm. Achenbach 59

62 63 Nr. 27 Flavio stürzt nachts in das Zimmer seiner Tante Die Tätigkeit als Illustrator beschäftigte Max Lieber- Federzeichnung auf Papier mann, sehr im Unterschied zu Max SIevogt und sogar 1922 zu Lovis Corinth, erst sehr spät. Seit 1915 entstanden 13,9 x 16,3 cm Lithographien zu Erzählungen des Heinrich von Kleist1 signiert links unten Illustration zu Goethes Novelle und 1917 erschienen in Kunst und Künstler drei Litho- »Der Mann von fünfzig Jahren« Buchausgabe S. graphien zu Goethes »Bassompierre«2. Ihnen folgte bald die Auseinandersetzung mit zwei weiteren Texten von Goethe, mit dessen »Novelle«3 und »Der Mann von fünfzig Jahren«. Die Buchausgabe des erstgenann- ten Werkes erschien 1921 und des zweiten im folgen- den Jahr bei Bruno Cassirer. »Der Mann von fünfzig Jahren« ist Bestandteil von »Wilhelm Meisters Wanderjahre« und findet sich dort im dritten bis fünften Kapitel. Die vorliegende Zeich- nung bezieht sich auf die Begebenheit, wie Flavio auf der Suche nach seinem Vater nachts in das Zimmer seiner Tante stürzt, die er dort mit ihrer Tochter Hilarie vorfindet. Erich Hancke hat noch vor Erscheinen der Illustrationen in Kunst und Künstler über eine Besonderheit des Text- verständnisses geschrieben: »Für Liebermann spielen sich die Goetheschen Novellen und zumal »Der Mann von 50 Jahren« in Wannsee ab, Haus, Park und See geben den Schauplatz, und die Bewohner des Hauses identifizieren sich mit den Gestalten der Dichtung… In der Szene, wo Flavio in höchster Aufregung herein- stürzt, erkennen wir in den beiden erschrocken empor- fahrenden Damen Liebermanns Gattin und Tochter. Die- sen Beispielen ließen sich noch beliebig viele andere hinzufügen, die zeigen, wie Liebermann aus der um- gebenden Wirklichkeit, zuweilen, aber selten, auch aus seinen Studien schöpft. Dennoch bleibt er nirgends an der Realität haften: alles ist idealisiert, aber voll Leben und die Phantasie befruchtender Natur… Die Zeich- nungen sind von Liebermann mit der Feder entworfen und von O. Bangemann und, zum kleineren Teil, von Hönemann in vollkommener Treue und ungewöhnlicher Kunstfertigkeit in Holz geschnitten worden«4.

Anmerkungen 1 54 Steinzeichnungen zu Kleinen Schriften von Heinrich von Kleist. Berlin, Bruno Cassirer, 1917. Schiefler 249. 2 Bassompierre von Goethe mit drei Originallithographien von Max Lieber- mann. In: Kunst und Künstler XV, 1917, S. 463–466. 3 Johann Wolfgang Goethe. Die Novelle mit Zeichnungen von Max Lieber- mann verlegt bei Bruno Cassirer, Berlin. Schiefler XIX–XXVIII; S. Achen- bach Anhang 1a/VI. 4 E. Hancke. Max Liebermanns Kunst seit 1914. In: Kunst und Künstler XX, 1922, S. 346–348; dgl. M. Liebermann 19232, S. 517–518; Sigrid Achen- bach. Die Druckgraphik Max Liebermanns, S. 117–123. Zu Oskar Bange- mann: Max J. Friedländer. Der Holzschneider Bangemann. In: Kunst und Künstler XXVIII, 1930, S. 317–319. Hans Vollmer. Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts, Erster Band. Leipzig 1953, S. 107; O. Bangemann: geb. 1882 in Braunschweig, gestorben 1959 in Berlin.

64 65 Nr. 28 Blumengarten in Wannsee Es handelt sich möglicherweise um den gleichen Weg, Öl auf Holz wie bei Kat. Nr. 23, an dem die blühenden Stauden um 1925 stehen. Das ursprünglich Akkurate der Anlage ist kaum 31,6 x 41 cm noch auszumachen. Bäume und Blumen verwachsen signiert rechts unten miteinander. Es möchte scheinen, als ob sie Züge von Provenienz: Gealtertsein tragen. An die Stelle der Übersichtlichkeit Galerie Koch, Hannover ist wuchernde Üppigkeit getreten. Der Maler steht im Schatten. Vor der dunklen Kulisse der Bäume leuchten die vom vollen Licht getroffenen Blüten auf. Sie sind nicht mehr voneinander zu unterscheiden, sie ver- fließen miteinander und erscheinen als farbigste und hellste Partie in der Mitte der Komposition.

66 67 Nr. 29 Familienbild (Die Familie Liebermann) Im Rahmen der geöffneten Tür links steht abwartend Öl auf Leinwand eine Bedienerin. Eine genauere Überprüfung der hier 1926 vorliegenden Fassung ergibt, daß sie sich anfänglich 57,5 x 72 cm dort ebenfalls befunden hat, aber nachträglich übermalt signiert und datiert »1926« rechts unten wurde. Spuren der Gestalt sind auszumachen. Abgese- Leihgabe W. Schuller, Wertheim hen von geringen Verschiebungen bei der Anordnung der Personen, ist die Zahl der seitlich hängenden Bilder auf drei reduziert. Die vorliegende Fassung gehört in den Zusammenhang Diesen möglichen zweiten Platz in der Reihenfolge der Beschäftigung Max Liebermanns mit einem Grup- der Entstehung bestätigt die dritte Fassung6. Die Tür penporträt, auf das er in einem Brief an Gustav Kirstein links ist geschlossen. Zwischen Liebermann und seiner in Leipzig vom 12. Oktober 1928 aus Wannsee Bezug Tochter ist der Schwiegersohn, Kurt Riezler, eingefügt. nahm: »Sie haben ganz Recht: das kleine Bildchen, Die beiden kleinformatigen Fassungen sind räumlich dessen glücklichen (?) Besitzer Sie sich nun nennen verknappt und sie zeigen eine andere Anordnung der dürfen, ist der erste Entwurf zu einem großen Bilde, Personen7. Geblieben ist vorne links, in gleicher Hal- das leider nie fertig geworden ist, obgleich ich nie ein- tung, Max Liebermann. Hinter ihm steht sein Schwie- gehendere Studien als gerade zu diesem Bild machte. gersohn. Die Tochter ist unter die Hals-Kopie gerückt Oder haben gerade diese Vorbereitungen in Gestalt und die Enkelin sitzt auf der Sessellehne neben Frau von zwei Ölbildern von je 50 x 75 Centimetern es ver- Liebermann. Diese gleiche Anordnung findet sich auf hindert? Vor bald 60 Jahren sagte mir der alte Menzel einem Doppelporträt von 19268. (der übrigens damals noch nicht der alte Menzel war) Der Gedanke an ein Familienbild war zuvor schon ein- ‘Skizzen soll man überhaupt nicht malen’. Vielleicht ver- mal aufgetaucht, kurz nachdem Liebermann das Haus schießt man in der Skizze sein Pulver zu früh. Jeden- in Wannsee bezogen hatte. Er »…hatte die Absicht, falls freue ich mich, daß die Skizze in so gute Hände auf die Wände einer Loggia ein Familienporträt zu gekommen ist«.1 maIen. Die Komposition war entworfen. Im weißen Offenbar hat sich Liebermann doch mehr mit der Bild- Sommeranzug, den Panamahut in die Stirn geschoben, nisaufgabe beschäftigt, als der Hinweis auf die zwei steht der Künstler auf einer sonnigen Wiese, im Be- Ölskizzen vermuten läßt. Allerdings erlaubt die Texts- griff, Frau und Tochter, die einige Schritte von ihm ent- teIle nicht den Schluß, daß Liebermann mit der Arbeit fernt sich gelagert haben, in ein Skizzenbuch zu zeich- an der großformatigen Fassung begonnen hat. nen. Das Ganze war als eine Art Triptychon gedacht. Entsprechend den von ihm angegebenen Maßen sind Die Idee wurde aber schließlich wieder aufgegeben«9. bislang drei Arbeiten nachzuweisen, zu denen das hier vorliegende Bild gehört. Außerdem gibt es zwei unter sich ähnliche, im Format kleinere Varianten und zwei Anmerkungen 1 Zeichnungen. Jedenfalls ist der Ort der Darstellung zu Max Liebermann. Siebzig Briefe. Herausgegeben von Franz Landsberger. Bücherei des Schocken Verlags 84. Berlin 1937, S. 77. identifizieren. Es handelt sich um das Kaminzimmer 2 Erich Hancke. Liebermanns Kopien nach Frans Hals. In: Kunst und in der Villa Max Liebermanns in Wannsee. Auf allen Künstler XIV, 1916, S. 525–534, Abb. S. 527. – Interieur im Hause Max Liebermanns, 1926. Bleistift 14 x 22,2 cm, unbezeichnet. Ausst. Kat.: 1970 genannten Arbeiten ist an der Rückwand in der Mitte Mainz, M. Liebermann als Zeichner. Nach den Beständen der Sammlung die von Liebermann 1876 in Haarlem gemalte Teilkopie Franz-Josef Kohl-Weigand (St. Ingbert), Nr. 97, Abb. S. 78. nach dem Schützenstück der St. Georgsdoelen, 1627, 4 Abb.: Ruth Göres. M. Liebermanns Handzeichnungen in der National-­ 2 Galerie. In.: Staatliche Museen zu Berlin. Forschungen und Berichte, von Frans Hals auszumachen . Band 11, 1968, Taf. 13, Abb. 3. Für die Datierung sind die beiden Zeichnungen hilfreich. 5 Selbstbildnis im Kreis der Familie I. Leinwand. 54 x 75 cm, bez.: M Lieber- Eine befindet sich auf der Rückseite eines auf den mann (u.r.). Privatbesitz. Abb.: H. Rosenhagen. Liebermann 19272, 3 Abb. 88, S. 89; Hans Ostwald. Das Liebermann-Buch, Abb. 137, S. 277; 19. Mai 1926 datierten Schreibens , die andere ist von Karl Römpler. Der Deutsche Impressionsmus. Dresden 1958, Abb. 35. Liebermann auf dasselbe Jahr datiert4. Beide Zeichnun- 6 Selbstbildnis im Kreis der Familie III. Leinwand. 56,5 x 72 cm, bez.: gen gehören möglicherweise in das Anfangsstadium M Liebermann (u.r.). Sammlung Georg Schäfer, Schweinfurt; ehem. Sig. Janos Plesch, Berlin. der Beschäftigung. Dafür spricht, daß die erstgenannte 7 Selbstbildnis im Kreis der Familie. Öl auf Holz 32 x 40 cm. bez.: M Lieber- seitlich der Kopie nach Frans Hals insgesamt sechs mann (o.r.). Ausst.: 1935 Düsseldorf. Gemälde alter und neuer Meister. gerahmte Bilder zeigt. Die gleiche Anordnung findet Galerie Stern, Nr. 132, Taf. 32. – dgl.: Öl auf Holz 33 x 41 cm, bez.: 5 M Liebermann (o.r.). September 1928 bei Otto H. Nathan, München. sich auf der bislang am häufigsten publizierten Skizze . 8 Frau Martha Liebermann und Maria Riezler. bez.: M. Liebermann (o.r.). Die dargestellten Personen können leicht benannt wer- Versteigerung: 1932 Berlin, Sammlung Max Böhm. Lepke, Kat. 2058, den. Es handelt sich um (den zeichnenden) Max Lieber- 15. November, Nr. 66. 9 E. Hancke. M. Liebermann, S. 481. Die Dargestellten: Max Liebermann; mann, seine Tochter, Käthe Riezler, seine Enkelin Maria Martha Liebermann (1858–1943); Käthe Riezler, geb. Liebermann (1885– und um seine Gattin. 1952); Kurt Riezler (1882–1955); Maria White, geb. Riezler (geb. 1917).

68 69 LOVIS CORINTH Ölgemälde Zeichnungen Aquarelle

71 Nr. 30 Waldinneres bei Bernried Seit dem Oktober 1891 war Lovis Corinth wieder in Öl auf Leinwand München. 1892 malte er in Kraiburg, Bernried und 1892 ­Dachau. Sehr zögernd beschäftigte er sich mit land- 94 x 110 cm signiert und datiert »1892« unten Mitte schaftlichen Motiven. Bildnisse und andere Figuren­ Berend-Corinth Nr. 96 mit Abbildung auf Seite 316 bilder überwogen alles im Repertoire. Es gibt von 1892 Provenienz: außer dem vorliegenden Bild noch eine am Starnberger H. Schlittgen, München See entstandene »Kiefer am Wasser«1. P. Ramadier, München Privatbesitz Ausstellungen: Das sehr intim gesehene Motiv zeigt von etwas erhöh- ­Landesmuseum Hannover, 1950, Nr. 12 tem Standpunkt den Blick entlang eines Bachverlaufs, Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 1975, der seitlich begleitet wird von Böschungen. Keine Him- Katalog Nr. 10 mit Abbildung auf Seite 118 melszone ist auszumachen und nur rechts weitet sich der Ausblick etwas in eine Baumkulisse. Die Abgeschiedenheit der landschaftlichen Situation hat wohl etwas zu tun mit Vorstellungen, wie sie von den Künstlern in Neu-Dachau propagiert wurden. Auf- fällig ist dabei allerdings das Durchwobensein des Mo- tivs mit Sonnenlichtreflexen, die durch das Laubwerk fallen. Das macht die Orientierung nicht leichter, trägt aber entscheidend zum atmosphärischen Befund bei. Die Frage stellt sich, woher die Anregungen gekom- men sein mögen. Corinth hatte, als er nach München zurückkehrte, die persönliche Bekanntschaft mit Wil- helm Trübner gemacht. Das brachte sicher mehr Kon- sequenzen für das Figurenbild. In Trübners Atelier gab es eine hervorragende Sammlung eigener Werke, dazu solcher von Wilhelm Leibl und anderer aus dem Freun- deskreis aus der Zeit gleich nach 1870. Trübner begann zwar um 1890 die neue Serie seiner Landschaften, aber die sehen sehr anders aus. Es bleibt die höchst vorsichtig zu erörternde Unterstellung, daß Corinth Malereien von Max Liebermann gesehen hat. Die Schwierigkeiten beruhen nicht zuletzt auf der Son- derstellung des Bildes im Schaffen. Bereits im folgen- den Jahr 1893 hatte sich Corinth als Landschaftsmaler soweit der Auffassung von Walter Leistikow genähert, daß sich ein weiterer Vergleich erübrigt. Das Bild ge- hörte einmal Hermann Schlittgen2, der als Zeichner für die »Jugend« wenige Jahre später seinen Namen machen sollte. Er kannte Corinth und war mit ihm 1893 in der »Freien Vereinigung«, die sich von der Münchner Sezession getrennt hatte. Dort gehörten ferner hinzu: Wilhelm Trübner, ebenso wie Otto Eckmann und Peter Behrens, Thomas Theodor Heine, Hans Olde und Max SIevogt.

Anmerkungen 1 Kiefer am Wasser, 1892. Leinwand 95 x 120 cm. Gemalt ebenfalls in Bern- ried. Werkverzeichnis Nr. 98 2 Hermann Schlittgen (1859–1930) Erinnerungen.2 19261, S. 275; 19472, S. 200.

72 73 Nr. 31 Beim Aufstehen Begriff sich zu erheben, noch benommen stützt sie Öl auf Leinwand, 1910 sich nach den Seiten. Sie greift auf diese Weise aus, 51 x 51 cm, signiert rechts oben entfaltet sich in der Fülle ihrer leiblichen Existenz. Das Berend-Corinth Nr. 420 mit Abbildung Seite 108 herabrutschende Nachtgewand gibt den Körper frei. Provenienz: Der Blick ist abgewendet. Es fehlt jedes anzügliche Dr. K. Lilienfeld, Dresden Kokettieren mit dem Betrachter. Die Intimität des Ge- Van Diemen-Lilienfeld Gallery New York schehens wird nicht verletzt. Morton D. May, St. Louis Das Bild gehört, kunsthistorisch gesehen, in die Reihe Ausstellungen: Berliner Sezession 1913, Nr. 87 jener Darstellungen aus dem Daseinsbereich der Frau, Berlin, Nationalgalerie 1926, Nr. 125 den der Zeichner einmal entdeckte, dem Wolfsburg, Stadthalle 1958, Nr. 78 Goya am Ende des achtzehnten Jahrhunderts folgte. St. Louis, University, The Morton D. May Collection, In der Malerei hatte Édouard Manet dann diesen 1960, Nr. 23 Gegenstand zu einem Hauptanliegen gemacht. Der Denver, Art Museum, The Morton D. May Collection, Hinweis auf ihn erfolgte nicht zufällig. Seit der Jahr- 1960, Nr. 26 hundertwende spätestens war Manet das Leitbild für (Wanderausstellung die später nach Los Angeles, San die wichtigsten Künstler4, die sich im Kreis der Berliner Diego, San Francisco, Youngstown, Akron, Pittsburgh, Sezession zusammenfanden. Die Spuren bei Lovis Washington D.C., Baltimore und Kansas City ging) Corinth sind verfolgbar. Im Jahr 1910 noch sollte mit Portland, Art Museum, German Expressionist Paintings der Ausstellung der Manets der Sammlung Pellerin bei from the Collection of Morton D. May, 1967, Nr. 52 Paul Cassirer der erneute Anstoß zur Auseinanderset- Bielefeld, Kunsthalle, Sammlung Morton D. May, 1968, zung sichtbar werden5. Nr. 34. (Wanderausstellung die später nach Köln, Der für Corinth bewegende persönliche Hintergrund ei- Karlsruhe und Wien ging) ner solchen Auffassung ist mit dem Hinweis auf einen Literatur: F. Schulze, Art News, Nr. 61 Seite 24 Vergleich zu bekräftigen. Es gibt ein Selbstbildnis von 1900, das den Maler vor seiner Staffelei zeigt, auf der Im Mai 1910 war Lovis Corinth mit seiner Frau sowie das erwähnte Morgenbild aus demselben Jahr steht6. seinen beiden Kindern Thomas und Wilhelmine in die Indem es hinter ihm erscheint hat es seinen Sinn als Sommerfrische nach Thaur bei Innsbruck gefahren1. Bild im Bilde. Es steht für die Gegenwelt zu Corinths Er selbst kehrte anscheinend jedoch bald nach Berlin eigener, damals tief deprimierten Verfassung. Seitdem zurück, um dort an dem Golgatha –Triptychon für die Charlotte Berend dann 1901 in sein Atelier als Schüle- Evangelische Kirche seiner Vaterstadt Tapiau2 (bei Kö- rin eingetreten war, begann er allmählich das negative nigsberg) zu malen. Ferner war er in Hamburg, wo das Selbstverständnis zu überwinden und durch sie veran- Porträt des Henry Simms entstand und bei Carl Glantz laßt begann er Themenbereiche neu zu begreifen. in Klein-Niendorf in Mecklenburg; außerdem schrieb er Im Jahre 1904 war der Sohn Thomas, 1909 die Toch- an dem Buch über Walter Leistikow. ter Wilhelmine geboren. Von dem Aufenthalt in Tirol, Am 28. Juni fuhr er abermals nach Thaur. Während brachte Corinth nicht nur das vorliegende Bild mit, son- dieses nun folgenden Aufenthalts wird »Beim Auf- dern dazu noch das Porträt seiner Frau im Liegestuhl7 stehen« gemalt sein. Es verdankt seine Entstehung und nicht zuletzt die Inntallandschaft8. Mit anderen einer augenblicklich angetroffenen Situation. Bei der Werken erweist sich das Tun im Jahre 1910 span- Dargestellten handelt es sich zweifellos um Charlotte nungsvoll als einer der unzweifelbaren Höhepunkte im Berend. Das Motiv kommt bereits bei einem frühen Schaffen. 3 Gemälde von 1900 vor . Der Unterschied der Auffas- Anmerkungen sung ist leicht zu benennen. Dort ist ein ungeniert auf 1 Zu den biographischen Einzelheiten: Lovis Corinth. Eine Dokumentation, dem Bettrand sich räkelndes und gähnendes Mäd- S. 134–137, 346–347. 2 Golgatha-Triptychon, 1910. Evangelische Kirche Tapiau. Werkverzeichnis chen gezeigt. Durch das rückwärtige Fenster fällt das 411. Gegenlicht. 3 Morgens, 1900. Leinwand 74 x 60 cm. Werkverzeichnis 193. 4 Hans-Jürgen Imiela. Zur Rezeption des deutschen Impressionismus. Die Gegenstände in der Komposition von 1910 sind die In: Beiträge zur Rezeption der Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts. gleichen: Das Bett, die geschwungenen Armlehnen Ludwig Grate gewidmet. München 1975, S. 73–83. eines Sessels und dazu noch rechts ein Tischchen mit 5 Emil Waldmann. Édouard Manet in der Sammlung PeIlerin. In: Kunst und Künstler VIII, 1910, S. 387–398. Wasserflasche und Glas sind auszumachen. Gegen- 6 Selbstporträt ohne Kragen, 1900. Leinwand 73 x 60 cm, unbezeichnet. über der Fassung des Motivs von 1900 ist die Situation Berlin-Museum. Werkverzeichnis 198. völlig beruhigt. In dem nicht sehr tiefen Raumgefüge 7 Frau Corinth im Liegestuhl, 1910. Leinwand 82 x 100, bez.: Lovis Corinth Tyrol 1910 (o.r.). Privatbesitz. Werkverzeichnis 435. steht vor der planparallel verlaufenden Rückwand das 8 Inntallandschaft, 1910. Leinwand 75 x 99 cm, bez.: Lovis Corinth (u.I.). Lager, darauf sitzt, frontal gesehen die Frau. Sie ist im Berlin, Nationalgalerie. Werkverzeichnis 441.

74 75 Nr. 32 Frau Luther läßt. Es fehlt noch die Rose, die schließlich über dem Pastellkreiden Kopf des Hündchens angesteckt ist. Dafür befindet 1911 sich auf dem Tisch neben der Dargestellten ein großer 62,8 x 45,9 cm signiert rechts unten Blumenstrauß. Diese Verminderung des Rottons inner- halb der Farbkomposition ist für die Wirkung der Nuan- cen von Blau wichtig. Inwieweit sie Aufschluß über das Verständnis der Persönlichkeit geben, hat Gert von der Das Porträt der Frau Luther entstand zu Beginn des Osten analysierend beschrieben5. Jahres 19111. Am 5. Februar schrieb Lovis Corinth an Frau Charlotte Berend-Corinth berichtete dem Verfasser Hermann Luther in Magdeburg: »Ich würde sehr gerne dieses Textes von der äußeren Extravaganz der Er­ und mit Vergnügen Ihre Frau Gemahlin malen, denn scheinung. Die gebürtige Belgierin kam mehrfach zu sowohl Kopf wie Erscheinung ist sehr kapriziös und den Corinths. Sie brachte für die Kinder Geschenke, würde schon so zum Malen reizen«2. mit denen sie kaum umzugehen verstanden. Das Durch diesen Hinweis ist ein Zeitraum benannt, in Sich-Verströmen, hinter dem wohl das Wissen um Al- dem sich Corinth mit zwei für ihn wichtigen weiteren leinsein als Wesenszug stand, kommt stärker auf dem Auftragsporträts beschäftigte, denjenigen des Althisto- Gemälde heraus. Aber die Zeichnung ist aufschlußrei- rikers Eduard Meyer3. Im November 1910 hatte Alfred ches Zeugnis der Annäherung an einen schwierigen Lichtwark den Anstoß gegeben, da er ein Porträt des Menschen. 1855 in Hamburg geborenen Gelehrten für die von ihm 1889 begründete »Sammlung von Bildern aus Anmerkungen 1 Bildnis der Frau Luther. Leinwand 115,5 x 86 cm, bez.: Lovis Corinth 1911 Hamburg« wünschte. Die erste Fassung entstand in pinxit (o.l.). Hannover. Niedersächsische Landesgalerie. Werkkatalog Taf. der Wohnung des Dargestellten. Im März 1911 machte IX; L. Schreiner. Die Gemälde des neunzehnten und zwanzigsten Jahr- sich Corinth abermals an die Arbeit und er malte das hunderts in der Niedersächsischen Landesgalerie Hannover, Nr. 181. 2 eh. Berend-Corinth. Werkkatalog S. 112; s. ferner den vorausgehenden zweite Porträt des Althistorikers, der vor dem Fenster Brief von Hermann Luther an Lovis Corinth vom 2. Februar 1911, in: Tho- des Dekanatszimmers in der Berliner Universität steht, mas Corinth. Lovis Corinth, Eine Dokumentation, S. 140. 3 mit dem Ausblick auf die Hedwigskirche und die Oper Hans-Jürgen Imiela. Die Porträts Lovis Corinths, S. 159–169; Alfred Hent- zen. Die Entstehung der Bildnisse des Historikers Eduard Meyer von Unter den Linden neben ihm. L. Corinth in der Hamburger Kunsthalle. Dargestellt an Hand der Briefe Wie wichtig Corinth den Auftrag zum Bildnis der Frau von A. Lichtwark, L. Corinth und E. Meyer. In: Jahrbuch der Hamburger Kunstsammlungen 6, 1961, S. 177 ff.; Helga Hofmann und Janni Müller- Luther nahm, belegt eine einfache Tatsache, die es mit Hauck. Katalog der Meister des zwanzigsten Jahrhunderts in der Ham- dem ersten Eduard Meyer-Porträt gemeinsam hat. Er burger Kunsthalle. Hamburg 1969, S. 22–23. beschäftigte sich, wie es sonst durchaus nicht bei ihm 4 Bildnis Frau Luther. Pastellkreiden 65 x 44,6 cm, bez.: Lovis Corinth 1909 (u.r.). Hamburger Kunsthalle. Abb.: Wolf Stubbe. Erwerbungen der üblich war, mit Vorarbeiten. Zur ersten Fassung des Graphischen Sammlung im Jahre 1966. In: Jahrbuch der Hamburger Eduard Meyer gibt es drei Zeichnungen und zur Frau Kunstsammlungen Band 12, 1967, S. 198–199. – Bildnis Frau Luther. Luther sind bislang ebenfalls drei Studien bekannt ge- Pastell 68 x 50 cm, bez.: Lovis Corinth (u.r.). Verst. 1957 München. Kunst 15.–20. Jahrhundert. Karl & Faber. Auktion 62, 14./15. November, Nr. 412. worden: die vorliegende Farbstiftzeichnung und zwei Die rückwärtige Beschriftung nennt die Kabarettistin Else Kupfer als die Pastelle4. Dargestellte. Hier muß geprüft werden, ob sie überhaupt von Corinth Eines davon zeigt die Dargestellte mit dem breitkrem- stammt. Alle Einzelheiten sprechen eindeutig für die Identifizierung mit Frau Luther. Else Kupfer ist 1910 von Oskar Kokoschka porträtiert. Ein pigen Hut auf dem Kopf, den sie auf dem ausgeführten physiognomischer Vergleich der Bildnisse bleibt negativ, siehe z.B. die Bild trägt. Auf der Vorarbeit, im Besitz der Hamburger Frisur. Allein das Hündchen auf dem Schoß reicht für eine Gleichsetzung nicht aus. Kunsthalle, fehlt der Hund und Frau Luther trägt einen 5 Gert von der Osten. L. Corinth. München 19551, S. 88–89. kleineren Hut mit spitz nach hinten hochstehenden Federsträußen; zudem sitzt sie frontal. Innerhalb der Reihenfolge ist dieses Porträt nach der vorliegenden als erste Version einzuordnen. Frau Luther war für das Porträt nach Berlin, in das Atelier Corinths in der Klopstockstraße gekommen. Sie sitzt auf den Studien in dem gleichen Möbel, wie auf dem Gemälde und der kleine Hund ist ebenfalls vorhanden. Bei der ersten Zeichnung ist die Haltung mit den auf den Lehnen liegenden Unterarmen gelöster, die Art der Zuwendung gelassener. Frau Luther trägt immer das- selbe blaue Überkleid, wie auf dem ausgeführten Por- trät, aber eine andere Spitzenbluse, die den Hals frei-

76 77 Nr. 33 Orientalischer Teppichverkäufer rät eines stehenden Mannes im Freilicht. Angesichts Öl auf Leinwand, 1913, 182 x 120 cm des Reichtums von Bildnisformen, die das Schaffen signiert rechts oben: Kerchir Oman marchand de Corinths beinhaltet, bleibt die getroffene Wahl bemer- Tapis de Tunis pinxit Lovis Corinth 1913 Beaulieu kenswert. Corinth hatte in seinem Handbuch »Das Berend-Corinth Nr. 555 mit Abbildung Seite 588 Erlernen der Malerei« eher skeptisch Abstand zum Provenienz: Sammlung Wilhelmine Corinth-Klopfer, Freilichtbildnis bezogen2, allerdings zuvor mit seinem New York, Privatbesitz Conrad Ansorge, 19033, und dann 1911 mit dem Porträt Ausstellungen: Berliner Sezession, 26. Ausstellung, des Carl Hagenbeck4 für Alfred Lichtwark und damit für 1913, Nr. 254; Berliner Sezession 1918, Nr. 77 Hamburg den Gegen­beweis geliefert. Kunsthaus Bern, Nr. 16; Kunsthaus Zürich, Nr. 28, 1924 Der Kerchir Omar ist in sofern eine Sonderform, als es Nassauischer Kunstverein, Wiesbaden, 1926, Nr. 18 sich um die Darstellung eines Menschen aus einem Sächsischer Kunstverein, Dresden, 1927, Nr. 75 ganz anderen ethnischen Zusammenhang handelt. Die Neue Sezession München, 1929, Nr. 27 sprachlichen Schwierigkeiten untereinander mögen Hagenbund Wien, 1929, Nr. 27 eine noch so geringe Rolle gespielt haben. Corinth Everhart Museum of Art, Scranton, Pa. USA, 1936 nähert sich mit seinem Bildnis trotzdem einem The- Dayton Art Institute, Dayton Ohio, USA, 1936 menbereich, der mit Orientalismus nur sehr allgemein Davenport Municipal Art Gallery, Davenport, USA, 1936 zu charakterisieren ist. Die typische Thematik fehlt. Er Denver Art Museum, Denver Colorado, USA, 1937 nimmt sein Motiv aus der unmittelbaren Gegenwart. The Westermann Gallery, New York, USA, 1937, Nr. 6 Der Teppichhändler ist von Tunis aus wegen der Ge- Alger House Museum, Detroit, Michigan, USA, 1937 schäfte, die er machen möchte, an die Riviera gespült. Rochester Memorial Art Gallery, Rochester, USA, 1937 Die Häuser und die Palme hinten muten nur wenig Albany Institute of History and Art, Albany, USA, 1937 ­orientalisch an. Germanic Museum, Cambridge, Mass. USA, 1938 Kerchir Omar steht sehr nahe im Bild. Sein Kopf mit Milwaukee Art Institute, Milwaukee, USA, 1938 dem roten Fes darauf ist vor die weiße Rückfläche, be- William RockhilI Nelson Gallery of Art, Kansas City, 1938 stehend aus der Hauswand, gerückt. Sein Platz in der Wolfsburg Stadthalle, 1958, Katalog Nr. 110 Bildmitte ist flankiert von dem dargebotenen Objekt Museum Folkwang, Essen, November 1985 – seines Handelns, dem Teppich, auf der einen Seite. Auf Januar 1986 Nr. 51 mit Abbildung der anderen öffnet sich ein dunkler Zugang in das Ge- Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München, 1986, bäude. Hier ist die neben Kopf und Schulter des Darge- Nr. 51 mit Abbildung stellten angebrachte, ausführliche Bezeichnung auffäl- Literatur: G. Biermann Nr. 116 »Das interessante Blatt«, lig. Beim Nachgehen der Zeilen ist leicht festzustellen, Wien, 11. April 1929 wie Corinth sie nicht in einem Zuge niederschrieb, G. Biermann »Lovis Corinth«, Leipzig, 1922, Abb. 116, S. 110 sondern (wie meistens naß in naß) dunkel vor hell be- gann und leuchtend vor dunkel endete. Das hat neben Lovis Corinth kommt auf den Dargestellten in seinem der formalen Komponente einen Bedeutungssinn. Aufsatz unter dem Titel »Italienischer Sommer« zurück, Bezeichnungen sind häufig bei Corinth aufschlußreich. der ursprünglich 1914 im »Berliner Tageblatt« veröffent­ Die Erscheinungsebene der Wörter tritt irgendwie in licht wurde und dann 1920 in den »Gesammelten Beziehung zu den Ornamenten des Teppichs. Der Dar- Schriften«1. Er schreibt dort vom Reisen an die Riviera, gestellte steht in der Tageshelle, als sei er herausge- den Eindrücken in den Städten, von Malwünschen und kommen aus dem Dunkel rechts, um mit dem Teppich als er über Monte Carlo berichtet, erinnert er sich: »Am zugleich eine rätselhafte Buntheit vorzuweisen, die wie heitersten ist es aber auf dem weiten Platz zwischen die Schilderung eines märchenhaften Landes anmutet dem Hotel de Paris und dem Café de Paris. Dort gibt und die zur Begegnung mit dem Unwirklichen einer für es Musik und Menschengewimmel wie bei einem den Augenblick sichtbar gewordenen Existenz wird5. großen Volksfest. Dazwischen preisen orientalische Teppichhändler ihre Teppiche an, indem sie von der Schulter bis zum Boden die Stoffe mit all ihren Farben Anmerkungen und Mustern ausbreiten. Diese Figuren sind für mich 1 Lovis Corinth. Gesammelte Schriften. Maler = Bücher Band 1, Berlin 1920. Italienischer Sommer, S. 73–76. – .2 Lovis Corinth. Das Erlernen besonders malerisch. Meinen Freund, den Teppich- der Malerei. Berlin o.J., S. 123. – 3 Conrad Ansorge, 1903. Leinwand händler Kerchir Omar aus Tunis, habe ich bereits le- 141 x 125 cm. bez.: Conrad Ansorge Lovis Corinth pinxitos. München, Neue bensgroß porträtiert. Seine Station war Mentone, aber Pinakothek. Werkverzeichnis Nr. 264. – 4 Carl Hagenbeck mit dem Walroß »Pallas«, 1911. Leinwand 200 x 271 cm, bez.: Lovis Corinth pinxit October er kam mit rührender Pünktlichkeit nach Beaulieu, wo 1911. Hamburger Kunsthalle. Werkverzeichnis Nr. 450. – 5 Charlotte Berend- ich mich aufhielt, und stand mir mit aufopferndem Fleiß Corinth erwähnt den Keschir Omar in ihren Lebenserinnerungen nur kurz: Modell.« Einige Momente sind zusammengekommen. »In Beaulieu hat er den ‚Teppichhändler‘ Omar gemalt, ein Gemälde, das ich liebe und das seltsamerweise beim Publikum nicht den Anklang gefun- Es handelt sich zunächst um das lebensgroße Port- den hat«. Mein Leben mit Lovis Corinth. Hamburg 1947, S. 102. 78 79 Nr. 34 Ariadne auf Naxos ln den Jahren 1913 und 1914 hatte Lovis Corinth für Links König Theseus, in seinem Schoß schlafend Ludwig Katzenellenbogen, für den Festsaal in dessen Ariadne, die Tochter von König Minos. In der Mitte Anwesen in Freienhagen, großformatige Wandbilder Bacchus im Gefährt mit Gefolgschaft. ausgeführt. Die Hauptthemen waren »Odysseus im Öl auf Leinwand Kampf mit den Freiern« sowie »Ruggiero und Ange- 1913 lika«; dazu gehörten die Autorenbilder Homer und 116 x 147 cm Ariost sowie ein Bacchant und eine Bacchantin1, Co- signiert und datiert »1913« rechts unten rinth sah sich, wie nicht zuvor, veranlaßt großformatige Berend-Corinth Nr. 569 mit Abbildung auf Seite 595 Kompositionen mit antiker Thematik zu schaffen. Ein Provenienz: solcher Auftrag entsprach zweifellos seinem Bewußt- Altred Krupp, Essen sein, Figurenmaler zu sein. Von der Vorstellung des Arndt von Bohlen und Halbach, München grand genre der französischen Akademie und dem Ausstellungen: damit verbundenen Anspruch ist er wohl nie abgewi- Berliner Sezession, 26. Ausstellung, 1913, Nr. 256 chen. Nur mutet es dann doch ein wenig wie Ironie Berliner Sezession, 1918, Nr. 64 an, daß er sich an die Arbeit machte, als er bereits an- Nationalgalerie Berlin, 1923, Nr. 67 dere Wege zu gehen sich anschickte, die zunehmend Literatur: bestimmt waren von den Veränderungen, die seine Kunst für Alle, 28. Jahrgang, 1913, Seite 460 eigene Existenz betroffen hatten. G. Biermann, Nr. 128, Seite 117 In den weiteren Zusammenhang dieser Rückkehr zur thematischen Komposition (oder dem literarischen Figurenbild) gehört die 1913 gemalte »Ariadne auf Naxos«. Der jugendliche Dionysos ist über das Meer gekommen und er wird, begleitet von dem ihm zu- stehen den Gefolge, als Triumphator Ariadne zu sich nehmen. Der Reigen der auf Kopfhöhe schwebenden Genien mutet wie eine Leihgabe aus dem Repertoire der meerfahrenden Aphrodite an. Links vorne hockt am Boden der erschrocken auffahrende Theseus. Die schla- fende Ariadne liegt auf seinem Oberschenkel. Daß Co- rinth diese Version wählte, fällt auf, also nicht diejenige mit der von Theseus verlassenen Ariadne. Noch einmal versucht Corinth seine Erfahrungen beim Darstellen komplizierter Körperhaltungen zur Anwen- dung zu bringen, um sein Umgehenkönnen damit unter Beweis zu stellen. Trotzdem kann er sich nicht davor bewahren, ihn vielleicht selbst überraschende Einsichten auf sein Verständnis des mythologischen Geschehens zu übertragen. Von dem ruhig stehenden, jugendlichen Dionysos gleitet die Denkrichtung über die tanzende und das Tamburin schlagende Begleiterin hin zu Theseus, dessen Geste mehr als Überraschtsein meint, eher Ausdruck eines dem Entsetzen nicht frem- den Verstörtseins ist.

Anmerkungen 1 Bacchantin, 1913. Leinwand 227 x 110 cm. Werkverzeichnis 567; Bacchant, 1913. Leinwand 227 x 110 cm. Werkverzeichnis 568; Die Freier im Kampf gegen Odysseus, 1913. Leinwand 227 x 213 cm. Werkverzeichnis 571; Odysseus im Kampf mit den Freiern, 1913. Leinwand 227 x 273 cm; Zwei liegende Knaben, 1914. Leinwand. 47 x 133 cm. Werkverzeichnis 609; Andromeda mit Drachen, 1914. Leinwand 227 x 209 cm. Werkverzeichnis 610; Der getötete Drache, 1914. Leinwand 49 x 131 cm. Werkverzeich- nis 611; Zwei Tiger, 1914. Leinwand 40 x 160 cm. Werkverzeichnis 612; Ariosto, 1914. Leinwand 226 x 55 cm. Werkverzeichnis 613; Homer, 1914. Leinwand 227 x 54 cm. Werkverzeichnis 614. – Peter Hahn. Das literarische Figurenbild bei Lovis Corinth. Dissertation Tübingen 1970, S. 127–128.

80 81 82 83 Nr. 35 Charlotte Berend-Corinth lesend Die Bildniszeichnung ist um 1912 entstanden. Sie zeigt Bleistift und Farbstift auf Papier die charakteristischen Kennzeichen des beginnenden um 1918 Spätstils. Dazu gehören die Konzentration auf wenige, 40,5 x 34,5 cm besondere Ausdruckskomponenten und daneben das signiert rechts unten Außer-Acht-Lassen anderer Partien; so wirkt der rech­te Rückseitig Skizze einer Frau Arm wie verkümmert. sich die Haare hochsteckend. Dargestellt ist eine lesende Frau. Disproportionen ver- Provenienz: helfen dazu, die Intensität fühlbar zu machen, mit der Marcello Grassmann, Sao Paulo sie bei ihrem Tun ist. Diese Aufmerksamkeit auf Stille hin ist seit 1912 im Schaffen fühlbarer als wohl zuvor, wenn es auch Beispiele dafür gibt, wie tief Corinth bei seinem Verständnis für beruhigende und beruhigte Er­scheinungsformen des Menschlichen gehen konnte. Bei der Dargestellten handelt es sich höchst wahr­ scheinlich um Charlotte Berend. Allerdings muß immer wieder Vorsicht bei der Frage nach der physiognomi­ schen Ähnlichkeit angemahnt werden. Doch die Haare und manche Züge im Antlitz sprechen für die Identi- fizierung. Dazu gehört nicht zuletzt die Intimität des Vor­gewiesenen. Wenn es ihm um die Bildnisaufgabe ginge, hätte der Zeichner wohl kaum dieses Mit-Sich- Selbst-Beschäftigtsein aufgesucht. Die Konzentration der Zeichnung auf den Kopf und auf die Vorgänge, die sich in dem Antlitz abspielen, erhalten von den Dar- stellungsmitteln ihre Bestätigung. Die Hinwendung, das Blicken in das Buch wird durch wenige, scheinbar belanglose Einzelheiten intensiviert. Der Halsausschnitt ist von einem roten Band eingefaßt, das links sichtbar ge­macht ist. Der ebenfalls rot gesäumte Kragen ist nur unterhalb des Kopfes gezeichnet (er fehlt links der Bro- sche vollends), er führt somit die Blickintensität weiter.

84 85 Nr. 36 Frauenraub Die Lust an thematischen Kompositionen blieb, doch Öl auf Holz sie schob sich auf zwei Themenbereiche zusammen. 1918 Bei dem gewichtigeren ging es um die Passion. Am 94,8 x 75,7 cm signiert und datiert »1918« links unten Ende der Werkreihe steht hier der Ecce Homo von Berend-Corinth Nr. 726 mit Abbildung auf Seite 687 1925. Provenienz: Der andere Themenbereich, für den es im Schaffen H. Oppenheim, Kassel zuvor wohl noch vielseitigere Voraussetzungen gab, Dr. H. Bethge, Berlin nicht zuletzt weil er sich unabhängiger von literarischen Lütze, Berlin Vorbildern ausweiten konnte, hängt im weitesten Sinne Ausstellungen: mit dem Dionysischen zusammen. Das Ergriffensein Kunstverein Kassel, 1926, Nr. 52 vom Rauschhaften der Existenz hat Lovis Corinth als Galerie F. Gurlitt, Berlin, 1931 Lebenserfahrung bejaht sicher sogar dann noch, als er Staatsgalerie Stuttgart, Inv.-Nr. L 1090 aus der Aktualität vitaler Vorgänge herausgenommen Darmstadt, 1919, Mathildenhöhe, Kunst des Jahres, war. Das Thema des Frauenraubes gehört hierher. Es Nr. 37 mit Abbildung meint allgemein die Begegnung der Geschlechter, hat etwas mit dem Mann als Eroberer zu tun, wobei das Gewaltsame zugleich Werbung bedeutet. Das Thema hatte Corinth 1904 beschäftigt.1 Zwei rauhbeinige Ge- sellen versuchen eine nackte Frau auf ein Pferd zu zie- hen, was dem einen offensichtlich nicht gut bekommt. Dem späten Werk von 1918 fehlt jede Eindeutigkeit. Gelegentlich ist es als Raub der Helena bezeichnet. Jede Spur von Modellhaftem ist ausgeschieden. Es kann der Darstellung noch nicht einmal genau entnom- men werden, ob der Mann links mit seiner weitaus- holenden SchrittsteIlung das Boot besteigt oder es verläßt. Hat er die Frau aus der mauerbewehrten Stadt geholt oder bringt er sie dorthin? Das Segel des Bootes bildet eine düstere Folie, vor der sich schemenhaft der Ruderer, ein Krieger mit Speer und eine dritte Gestalt abheben, vielleicht noch eine Frau. Der Boden unter dem Mann leuchtet goldgelb und die gleiche Farbe ist in dem Haar zu finden. Eine lange Strähne verläuft wellenförmig in dem hellen Blau der Wasseroberfläche. Allen und allem ist die Körperlichkeit entzogen. ­Geblieben ist eher eine Ahnung von Ereignishaftem, das sich so zugetragen haben mag und in dem noch Erinnerungen an tatsächliche Begebenheiten durch- scheinen. Die Handlungsträger sind stellvertretend für Namen, die nicht mehr genannt zu werden brauchen. An die Stelle der Historie ist die freie Imagination getreten.

Anmerkungen 1 Frauenräuber, 1904. Leinwand 102 x 125 cm, bez.: Lovis Corinth 1904 (u.l.). Stadtverwaltung Berlin-Schöneberg. Werkverzeichnis 303; dazu ferner die Studie Werkverzeichnis Nr. 302.

86 87 Nr. 37 Stilleben mit Früchten, Gemüse und Geflügel Innerhalb des Gesamtgefüges vom Schaffen Lovis Motorischen, denen Corinth ausgesetzt war und mit Öl auf Leinwand ­Corinths kommt das Stilleben mit Beispielen in unun- denen sie etwas zu tun haben, erklärt die zustandege- 1918 terbrochener Reihenfolge seit 1908 vor. Zuvor gibt es kommene Wirkung nicht allein. Die zuckende Beweg- 98 x 136 cm signiert und datiert »1918« rechts oben nur wenige Exemplare, aber dann ist die Bildaufgabe lichkeit hilft der Einsicht weiter, daß alles Sichtbare in Berend-Corinth Nr. 744 mit Abbildung auf Seite 698 nicht mehr fortzudenken, d. h. sie hat ihren Anteil an eine Zone des Übergangs gerückt ist, in der es noch Provenienz: der Weiterentwicklung. einmal den Prachtglanz seines Daseins entfalten kann. F. Gurlitt, Berlin Das vorliegende Werk fällt zunächst durch seine Aus- In der Mitte der Komposition liegt ein toter Fasan. Er A. Heß, Erfurt maße auf. Doch das gab es ebenfalls schon vorher: darf als direkter Hinweis bestätigen, wie bei Corinth Privatsammlung Schweiz 1911 bei dem sog. Geburtstagsbild1 und dem »Hymnus die Frage nach der Endlichkeit die Anschauung durch- Ausstellungen: an Michelangelo«2, ferner 1914 mit einem »Blumen- drungen hat. Wolfsburg, Stadthalle 1958, Katalog Nr. 156 korb«3 und 1916 mit einem weiteren Blumenbild4. Ab 1969 als Leihgabe in der Staatlichen Kunsthalle Das Stilleben hängt in der Entwicklung von Malerei Karlsruhe häufig mit dem Bildnis und dann mit der Landschaft Galerie Pels-Leusden, Berlin, Zeitspiegel I, Ausstellung zusammen. Im Verständnis der Rangordnung der Ge- 1986, Seite 72/73 mit Abbildung. genstände gehören sie alle Kategorien an, die ziemlich Literatur: weit unten bzw. außerhalb der Wertskala angesiedelt Lovis Corinth, Selbstbiographie, Leipzig, 1926 waren. Das ist – aus der Rückschau gesehen – von Leihgabe weniger Belang, wenn z. B. an die niederländische Ma- lerei gedacht wird. Trotzdem mag zunächst eine solche Vorstellung doch »unterschwellig« Bedeutung für Lovis Corinth gehabt haben. Er stellte an sich den Anspruch, Figurenmaler zu sein. Stilleben haben einen inhaltlich zu bestimmenden Bild­ sinn. Dem hat sich Corinth ebenfalls nicht entzogen (wenn er bei ihm auch anders zu verstehen ist als im 17. und 18. Jahrhundert). Zunehmend seit 1912 ­bedeuteten die dargestellten Dinge mehr als »schö- nen Schein«. Im neunzehnten Jahrhundert ist eher an ­solche Unverbindlichkeiten geglaubt worden. Bei ­Corinth ist geradezu greifbar, wie die Wahl der Gegen- stände mehr als zufälliges oder geordnetes Arrange- ment wurden. Der breite Tisch, der sich durch die gesamte Komposi- tion zieht, ist zur Ereignisebene gemacht. Es gibt kaum Tiefenraum. So sind durch den Korb mit den Äpfeln die Bestandteile nach vorne gekippt. Sie kommen auf den Betrachter zu. Sie sind ausgebreitet. Obwohl die Fläche, auf der sie liegen, keine durchgehende Ebene ist, hat diese Art von Überhäufung andererseits nichts mit Konstruktionsabsichten im Sinne von Paul Cézanne zu tun. Corinth bleibt bei der existenziellen Beschaffen- heit. Bei den Blumenstilleben sind die Veränderungen, die Corinth mehr unterlaufen als daß er sie registrie- rend einbezieht, deutlicher auszumachen. Aber bei dem vorliegenden Bild fallen ebenfalls die Dunkelhei- ten auf, die sich zu Schwärzen vertiefen können. Sie

konturieren dabei die einzelnen Formen nicht, sondern Anmerkungen sie scheinen vielmehr aus der Tiefe zu kommen. Die 1 Großes Stilleben mit Figur »Geburtstagsbild«, 1911. Leinwand Substanz ist dadurch (oder dabei) im Begriff, ihre Le- 150 x 200 cm, bez.: Lovis Corinth pinxit s/l Petermann (o.l.). Köln, Wallraf- Richartz-Museum. Werkverzeichnis 463. bensfülle preiszugeben. Diese Entwicklung setzt mit 2 Hymnus an Michelangelo, 1911. Leinwand 138 x 199 cm, bez.: Lovis zunehmender Entschiedenheit seit 1918 ein. Corinth 1911 (o.l.). Werkverzeichnis 481. In der malerischen Oberfläche gibt es Partien, bei de- 3 Blumenkorb mit Amaryllis, Flieder, Rosen und Tulpen, 1914. Leinwand 109 x 140 cm, bez.: Lovis Corinth 1914 (o.r.). Werkverzeichnis 632. nen die schräggeführten Strichlagen auffallen, so im ­Blumenkorb mit Satyr und Muschel, 1916. Leinwand 120 x 125 cm, linken oberen Teil des Bildes. Die Behinderungen im bez.: Lovis Corinth 1916 (o.r.). Werkverzeichnis 678.

88 89 90 91 Nr. 38 Magdalena mit Perlenkette im Haar Das Thema des weiblichen Aktes kommt im Unter- Öl auf Leinwand schied zum Anteil im Schaffen bis 1911 seit dem Jahre 1919 1912 seltener vor. Dem Verständnis dieser Thematik ist 71 x 47 cm dann die Unmittelbarkeit sinnlicher Ausstrahlungsfähig- signiert und datiert »1919« rechts oben keit entzogen. Das Suchen nach neuer Dimension be­ Berend-Corinth Nr. 758 mit Abbildung auf Seite 707 stimmt die hier vorliegende Fassung des Halbaktes als Provenienz: Maria Magdalena. A. Degner, Berlin Die Gestalt ist von den Bildrändern eng umgrenzt. Es V. Hartberg, Berlin bleibt ihr kein Handlungsraum. Sie ist sehr nahegese­ Auktion Keller und Reiner, Berlin, Juli 1923 hen und neben bzw. unter ihr ist der Totenschädel W. Gurlitt, München ein­gefügt. Motivisch (oder als Bildaufgabe) handelt es Ausstellungen: sich ganz allgemein gesehen um die Darstellung eines Berliner Sezession 1919–20 Nr. 14 Halbaktes, bei dem, nicht zuletzt wegen der räumlichen Kunstsammlung Stadt Königsberg, 1924 Nähe, mit der Ausdrucksgebärde das Physiognomische Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 1975, gekennzeichnet ist. Geste und Attribute kommen aus Katalog Nr. 74 mit Abbildung auf Seite 174 der Bildtradition. Die Kette im Haar und das Armband Museum Folkwang, Essen, November 1985 – Januar weisen auf die Sünderin, wobei ein geradezu modi­ 1986 Nr. 12 mit Abbildung scher Unterton nicht auszuschließen ist. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München, Januar– Die Farbigkeit ist in auffälliger Weise reduziert. Die In- März 1986 Nr. 12 mit Abbildung karnattöne kehren im Hintergrund rechts oben wieder. Literatur: Links ist der Hintergrund dunkel. Dieser Wechsel wie­ P. Steiner, »Lovis Corinth, derholt sich im Gegensinne im Antlitz: die Hälfte links dem Ostpreußen« Königsberg 1925 ist beleuchtet, diejenige rechts im Schatten. Der Toten- schädel liegt auf der Seite, von der das Licht kommt. Vielleicht meint es, daß die Wandlung der Büßerin et­ was mit der Einsicht in die Todesbestimmtheit zu tun hat.

92 93 Nr. 39 Weiblicher Halbakt – Akt mit großer Halskette Der weibliche Halbakt mit Halskette hat mit der gleich- Öl auf Leinwand zeitigen »Magdalena mit Perlen kette im Haar« die 1919 zurückgenommene Farbigkeit gemeinsam, dazu die 72 x 47 cm Kennzeichnung der Bildniszüge und nicht zuletzt das signiert und datiert »1919« links oben Bildformat. Berend-Corinth Nr. 759 mit Abbildung auf Seite 707 Es liegt aber offenbar ein anderer Bildgedanke zu- Provenienz: grunde. Die Frau ist nicht in das Wechselspiel von Be- Dr. H. Si mon, Grünstadt, Pfalz leuchtung und Verschattung gezogen und sie tritt mit Auktion Helbing, München, 1931, mit Abbildung ihrer Ausdrucksgeste selbstbewußter auf. Sie wendet Auktion Ketterer, Stuttgart, November 1955, Tafel 41 sich nach links und es fehlt das schmerzhafte Drehen Privatbesitz des Kopfes weg von der Körperrichtung. Ausstellungen: Sie sieht sich offenbar selbst im Spiegel und prüfend Städtische Galerie im Lenbachhaus, München, 1975, entdeckt sie den Glanz ihrer Erscheinung im Schmuck Katalog Nr. 75 mit Abbildung auf Seite 175 der Kette. Auf diese Weise entsteht so etwas wie ein Leihgabe Gegenbild zur Büßerin, und darum wird durch sie eben- falls die Vanitas-Vorstellung als Hintergrund sichtbar.

94 95 Nr. 40 Augustusbrücke in Dresden An Karl Schwarz, den Verfasser des Katalogs seiner Aquarell auf Papier Druckgraphik, schrieb Lovis Corinth am 6. Juni 1919: 1919 »Heute hoffen wir mit Familie nach Dresden zu fahren 37,2/6 x 26,4/7 cm –, zur Erholung und Amusement.« Thomas Corinth signiert und bezeichnet »Dresden – Pfingsten 1919« notierte ergänzend dazu, daß sie im Hotel Bellevue Mitte unten wohnten, wo Corinth aquarellierte, während seine Frau in der Oper zeichnete. Das mit »Pfingsten« bezeichnete Aquarell zeigt offen- bar einen Ausblick aus dem genannten Hotel, dessen Gebäude sich damals hinter der Oper befand. Vorne liegt ein Lastkahn am Kai, das Gebäude links könnte zum Großen Packhof gehören. Dann handelt es sich bei der hinteren Bogenkonstruktion um die Marien- brücke. Topographische Genauigkeit lag sicher nicht im künstlerischen Interesse Corinths. Das Gegenständli- che ist mit kaum glaublicher Freizügigkeit unter Benut- zung weniger Farben verwandelt zu Schemen, die die Realität nur noch ahnen lassen. Es geht nicht um die Schilderung des Motivs aus einer lebensvollen Stadt, sondern die malerische Vereinfachung macht sie zu einem Erinnerungsbild, das durchsichtig geworden sich entzieht.

Anmerkung 1 Lovis Corinth. Eine Dokumentation, S. 251.

96 97 Nr. 41 Selbstporträt Die zahlreiche Reihe der Selbstbildnisse setzt sehr früh Aquarell auf Papier ein und als Lovis Corinth dann in seinem Handbuch um 1917/1918 »Das Erlernen der Malerei« 1908 formulierte: »Das 31,4 x 24,9 cm beste und willigste Modell aber ist ‚man selbst‘. Das Selbstporträt ist von allen Malern gepflegt worden«1, hatte er schon damit begonnen, sich jedes Jahr um die Zeit seines Geburtstages zu malen. Alle Stationen seines künstlerischen Werdens und Han- delns sind damit belegt und viele Ausdrucksvarianten bezeugen die Ernsthaftigkeit seiner Selbstbefragung, sogar dann noch, wenn er sich nach außen hin selbst- bewußt zeigen möchte und aufzutrumpfen scheint. Die Selbstbildnisse sind – insgesamt gesehen – die scho- nungslosesten Beispiele von Darstellung im Repertoire seiner Äußerungen. Es gibt aus den neunziger Jahren, bis eben jenseits der Jahrhundertgrenze, deprimierte Selbstbildnisse. Solche fragwürdige Selbsterforschung hat nicht aufgehört. Sie nahm in manchmal erschreckender Weise seit 1912 zu. Die als Stationen des Lebens verstandenen Selbstzeug- nisse sind die Gemälde, jedoch es gab daneben immer Beispiele in anderen Techniken, vor allem als Zeichnung, Radierung und Lithographie. Das Aquarell tauchte wohl erst verhältnismäßig spät auf. Meistens steht es den Gemälden näher als den anderen Niederschriften. Das zeigt sich in einer Art von Gehaltenheit und in dem Be- mühen um Bewahrung von Distanz. Unter dieser Vor- aussetzung soll das hier vorliegende Selbstbildnis abge- setzt werden von Bekundungen des Zeichners, der seit spätestens 1918 schonungslos die eigene Verfassung in das Spiegelbild zu zerren sich nicht scheute. Der Zeich- ner fand zu einer deprimierten Unmittelbarkeit, die ihre Parallelen in Passagen der Selbstbiographie hat. Solche Niederschriften sind schnell realisiert und machen die augenblickliche Verfassung des Alleinseins erschre- ckend deutlich. Darum ist es auch so schwierig, zu ei- ner zeitlich geordneten Reihenfolge zu gelangen, wenn das jeweilige Blatt nicht, wie allerdings häufig, auf den Tag genau datiert ist. Das vorliegende Aquarell ist wohl 1917 oder 1918 ent- standen. Es zeigt das souveräne Umgehenkönnen mit der Technik. Die Farbigkeit ist reduziert auf wenige Nuancen. Die eine, linke, Seite des Kopfes ist beleuchtet. Das Weiß des Kragens tritt hervor, ebenso wie es die Partien an Wange und Schläfe tun. Fast das gesamte Gesicht ist verschattet. Von rechts schiebt sich ein Streifen heran, macht das Vorgebeugtsein des Kopfes sichtbar. Der Maler sieht sich an. Es gibt innerhalb der Darstellung keinen Hinweis auf die Tätigkeit. Das Blicken aus den Grau-Grün-Schwarztönen heraus ist unübersehbar for- schend und resignierend zugleich. Anmerkungen 1 L. Corinth. Das Erlernen der Malerei. Berlin, o.J. (1908), S. 122

98 99 Nr. 42 Terrasse am Walchensee Die überragende Bedeutung dieser zweiten Wirkungs- Aquarell auf Papier stätte neben Berlin beruht zunächst einmal auf der 1920 Tatsache, daß sich Corinth in bis dahin unbekanntem 32,7 x 42 cm Ausmaß mit der Landschaftsmalerei beschäftigte. Da signiert und datiert »1920« Mitte unten das gut dokumentierte Werkverzeichnis von Charlotte Berend vorliegt, kann festgestellt werden, daß die Landschaft zuvor in seinem Schaffen erstaunlich selten vorkommt. Das bestätigt eine Äußerung, die sich in der Selbstbiographie findet und mit der Corinth auf Walter Leistikow eingeht: »Erstens war er Landschafter und ich Figurenmaler«2. Nur zögernd hat er dann seit 1912, auf seinen Reisen an die Riviera, in Italien nach Mecklenburg und Ost- preußen Interesse an diesem Gegenstand von Malerei entdeckt. Das Ergebnis der Walchenseeaufenthalte beruht nicht nur in der Reihe der Gemälde, dazu kommen andere Gestaltungsmedien: die Aquarelle, Zeichnungen, die Radierungen und die Lithographien. Urfeld und der Walchensee waren nicht nur neben Berlin zur zweiten festen Station im Lebensverlauf geworden, das Refu- gium ist geradezu identisch mit einem wesentlichen Aspekt des Spätwerks. Die Selbstbildnisse, auf denen Corinth sich vor dem Ausblick auf die Fläche des Sees darstellte, bestätigen den inneren Zusammenhang mit dem Existenzbewußtsein3. Der den Corinths gehörende Bereich ist nicht sehr ausgedehnt gewesen. Corinth behielt fast immer den hochgelegenen Standpunkt bei, der ihm die Ausblicke in verschiedene Richtungen ermöglichte. Die auf dem vorliegenden Aquarell dargestellte sogenannte Terrasse kommt mehrfach als Motiv vor, jedesmal ist sie unter einem anderen Aspekt gesehen. Die Technik ist denkbar sorglos und souverän gehand- habt. Ohne Vorzeichnung hat Corinth die Aquarellfarben unmittelbar und breitflüssig aufgetragen. An manchen Stellen verschwimmen die Partien ineinander. Der Farbigkeit ist die vordergründige Vitalität entzogen. Vielleicht entstand das Blatt im Winter. Die Brauntöne, herrührend von welkem Laub, kommen ähnlich bei Bil- dern vor, die die Landschaft verschneit zeigen. Corinth Den 21. Juli 1918, als Lovis Corinth sechzig Jahre alt war vom 27. Dezember 1920 bis zum 11. Januar 1921 wurde, feierten er und seine Familie am Walchensee. in Urfeld gewesen. Sie wohnten im Hotel Fischer in Urfeld. Anläßlich der Rückkehr im folgenden Jahr, im Juli–August 1919, Anmerkungen wurde ein Grundstück erworben und zugleich begann 1 Über die Aufenthalte am Walchensee orientiert am ausführlichsten der unter der Aufsicht von Charlotte Berend der Bau des Ausstellungskatalog: Lovis Corinth. Die Bilder vom Walchensee. Vision eigenen Hauses, das Ende September bereits bezogen und Realität. 1968 Regensburg und Bremen. 2 Lovis Corinth. Selbstbiographie, S. 148. werden konnte. Von da ab kamen die Corinths fast 3 Hans-Jürgen Imiela. Am Walchensee entstandene Selbstbildnisse. In: regelmäßig im Hochsommer und um die Jahreswende. Ausst. Kat. Die Bilder vom Walchensee, S. 81–93. Zum Verhältnis Corinth- Walchensee s.: Horst Uhr. Pink clouds, Walchensee. The »Apotheosis« of Der letzte Aufenthalt Lovis Corinths dauerte vom a mountain landscape. In: Bulletin of the Detroit Institute of Arts. Vol. 55, 26. Dezember 1924 bis zum 8. Januar 19251. Nr. 4, 1977, S. 209–215.

100 101 Nr. 43 Kind zu Pferde Die Bildnisse, die am Walchensee entstanden, haben Auf dem schwarzen Pony »Strupp« reitet des Künstlers in sofern einen persönlichen Charakter, als sie ihren Tochter Wilhelmine, geführt vom Knecht Franz Bader, Anlaß im vertrauten Umgang mit nahestehenden am Walchensee Menschen haben. Seit dem Erwerb des Anwesens in Öl auf Holz Urfeld im Jahre 1919 kamen die Corinths bis zum Jahre 1920 1925. Die Landschaft stand ganz zweifellos im Mit- 40 x 50 cm telpunkt des künstlerischen Interesses und neben ihr signiert und datiert »1920« links oben waren es allerdings die Selbstporträts, die Corinth vor Berend-Corinth Nr. 801 mit Abbildung auf Seite 732 dem Ausblick auf den See zeigen und die seine Schaf- Provenienz: fensintensität ergreifend belegen. Frau Kaiser, Berlin Bereits 1919 radierte Corinth einen Zyklus, den er »Bei Kunsthandlung Reiß den Corinthern« nannte1. Er enthält Blätter aus Berlin Sammlung Hackert, Halle/Saale und von Urfeld und er ist so etwas wie ein Rechen- Versteigerung Hecht, Berlin, November 1928, Katalog schaftsbericht über das Leben, das sich nun an zwei Nr. 642 Tafel 18 festen Orten abspielte. Sammlung Dr. F. Rothmann, London Mit Alltäglichkeit, im Sinne von Ausspannen, hat das Galerie Rosenbach, Hannover vorliegende Bild zu tun. Wilhelmine Corinth, die Dar- Ausstellungen: gestellte, hat über ihre »Kindheit am Walchensee« Berliner Sezession, 1920, Nr. 19 geschrieben2. Sie geht zwar bei diesen Erinnerungen Wolfsburg, Stadthalle, 1958, Katalog Nr. 172 von einem Skizzenbuch aus, das sie als Weihnachtsge- Staatliche Kunstsammlungen Kassel, Inv. Nr. L 33, schenk für den Vater in Batik-Papier eingebunden hatte 1963 und das ihr dieser 1923 mit Zeichnungen versehen Kunsthalle Bremen, 22. Juni – 17. August 1986 Nr. 14 schenkte, aber darin finden sich eben jene Gestalten, mit Abbildung Seite 38 – die außer ihr auf dem Bild auszumachen sind. »Die Bilder vom Walchensee – Vision und Realität«. Bei dem Mann im Vordergrund handelt es sich um den Knecht Franz, dessen Aussehen Corinth auf einer Ra- dierung des Corinther-Zyklus festgehalten hatte. Das Pferdchen hieß »Strupp«. Charlotte Berend »hatte das klapprige Pferd im Hungerjahr 1919 für 100 Mark vom Schlachtermesser losgekauft, und so wurden wir Pfer- debesitzer«. Strupp kommt in dem erwähnten Skizzen- buch vor und es gibt sogar eine Photographie, auf der Wilhelmine reitend zu sehen ist, während ihr Vater den Kopf des Tieres streichelt3. Das Bild entstand während des fünften Aufenthaltes der Familie am Walchensee, der vom 13. Juni bis zum 5. August 1920 dauerte. Die sommerliche Atmosphäre taucht mit den hellen Reflexen auf. Das Pferd und der Knecht, der es hält, sind dunkelfarbig. Entfernt und erhöht, angetan mit einem roten Kleid und umgeben vom Grün der Vegetation, erscheint die Gestalt des Mädchens.

Anmerkungen 1 Bei den Corinthern. 14 Radierungen von Lovis Corinth. Schwarz 380. Von Corinth und über Corinth. Ein Künstlerbuch von Lovis Corinth und Wilhelm Hausenstein. Leipzig 1921. 2 Wilhelmine Corinth-Klopfer. Kindheit am Walchensee. In: Lovis Corinth. Die Bilder vom Walchensee. Ausst. Kat. 1986 Regensburg und Bremen, S. 43–50. 3 dass. S. 46, 26.

102 103 Nr. 44 Am Walchensee Die Aquarelle vom Walchensee sind beste Beispiele Aquarell auf Papier des Umgangs Corinths mit dieser Technik, die er in 1923 Urfeld zu äußerster Freiheit entwickelt hat. Vielleicht 25 x 31 cm sind darin nur einige Stilleben vergleichbar. Charlotte signiert links unten Berend hat gelegentlich über äußere Begebenheiten Provenienz: geschrieben, die mit der Entstehung solcher Arbeiten Galerie Koch, Hannover zusammenhängen. Danach hat Corinth nicht spontan Ausstellungen: zu malen angefangen, sondern das voraussichtliche »Die Bilder vom Walchensee – Vision und Realität« – Tun am nächsten Tag auf eine ihm eigentümliche Ostdeutsche Galerie Regensburg vom 27.4.–15.6. 1986, Weise vorbereitet. Er hat sich nach den Aussichten für Abbildung Seite 207 Nr. 117 das Wetter erkundigt, um technische Vorbereitungen gebeten und sich dann abends zurechtgesetzt: »Nun steht das weiße Papier ihm gegenüber und er redet kein Wort mehr. Er raucht und schaut aufs Papier, ernst und ruhig, ganz tief versonnen. Inzwischen besuche ich die schlafenden Rosen, bewundere die Leuchtkäfer und atme die starke Luft, die nachts von den Bergen kommt. – Corinth sitzt da immer noch so still, bis die Zigarre aus ist, dann seufzt er schwermütig: ‚Ach Gott, wenn nur das Aquarellieren nicht so schwer wäre, so naß und so überhaupt, – Na, aber, ich denk‘, ich werd‘s schon kriegen. Was meinst? Ja, na, und du meinst, daß bestimmt die Sonne scheint?‘ Und so geht er schlafen oder träumt im Dunkel weiter von der Sonne, dem Wasserspiegel und seiner neuen Arbeit. – Ich möchte nun behaupten, daß das neue Aquarell fertig ist. Es steht schon auf dem Papier, das da still an die Stuhl- lehne gelehnt die Nacht über zu warten hat. Es ist fer- tig – ja – es muß morgen nur noch gemalt werden«. Die Freiheit im Technischen, das Malen naß in naß, hatte sich langsam herausgebildet, insbesondere seit 1912. Frühere Arbeiten sind eher aquarellierte Blei- stiftzeichnungen. Es klingt paradox, je mehr die ma- nuelle Fertigkeit durch den verringerten Aktionsradius schwieriger wurde, um so direkter äußerten sich seine Ausdrucksmittel. Er mag wohl nie routiniert gewesen sein, wenn diesem Begriff etwas angehängt wird, was mit Leichtsinn zu tun hat. Aber er entließ doch aus seiner Mache die frappierende Könnerschaft. Unter seinen Händen verformten sich die Dinge und sie nah- men Qualitäten an, die nur durch ihn so in Erfahrung gebracht wurden. In alles, was er malte, oder in einem anderen Medium bewerkstelligte, übertrug er die Fülle seiner Einsichten. Es gibt Beispiele von Bildinhalten, die die leidvollen Seiten seiner Existenz durchscheinen lassen. Alle seine landschaftlichen Motive vom Wal- chensee vermitteln das tiefe Ergriffensein von einer unauslöschlichen lebendigen Fülle.

Anmerkungen 1 Charlotte Berend-Corinth. Mein Leben mit Lovis Corinth. Hamburg 1947, S. 160.

104 105 Nr. 45 Frauenporträt Aquarell auf Papier 1925 34,2 x 25 cm signiert und datiert »1925« rechts unten Leihgabe »Kölner Privatsammlung«

106 107 Literatur Wagner, Anna. Max Liebermann in Holland. Nachbarn. Lovis Corinth Schwarz, Karl. Das Graphische Werk von Lovis Corinth. Bad Honnef 1973 Berlin 19171. 19222 Max Liebermann Wolff, Hans. Zeichnungen von Max Liebermann. Berend-Corinth, Charlotte. Mein Leben mit Lovis Singer, Hans W. Zeichnungen von Lovis Corinth. Arnolds Graphische Bücher. Zweite Folge, Band 4. ­Corinth. Hamburg 19471; München 19532 ­Meister der Zeichnung. Achter Band. Leipzig 1921 Achenbach, Sigrid. Die Druckgraphik Max Liebermanns. Dresden 1922 Berend-Corinth, Charlotte. Die Gemälde von Lovis Steiner, Paula. Lovis Corinth dem Ostpreußen. Phil. Dissertation Heidelberg 1974 ­Corinth. Werkkatatog. Mit einer Einführung von Hans Königsberg 1925 Avenarius, Ferdinand. Liebermann-Mappe. Herausge- Konrad Röthel. München 1958 Stuhlfauth, Georg. Die religiöse Kunst im Werke Lovis geben vom Kunstwart. München o. J. (1907) Ausstellungskataloge Bertrand, Robert. Lovis Corinth. Collection Les Maitres. Corinths. 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Legenden aus dem Künstlerleben. Ausstellungskataloge Hancke, Erich. Max Liebermann. Berlin 19141; 19232 (St. Ingbert). Berlin 19091. 19183 Hermann, Georg. Max Liebermann. Berlin 1903 Katalog und Einführung von Hans-Jürgen Imiela. Corinth, Lovis. Das Leben Walter Leistikows. 1950 Hannover. Lovis Corinth. Gedächtnisausstellung Klein, Rudolf. Max Liebermann. Die Kunst, Band 55/56. Gesellschaft für bildende Kunst in Mainz, 1970 Ein Stück Berliner Kulturgeschichte. Berlin 1910 zur 25. Wiederkehr seines Todestages. Landesmuseum Berlin 1906 Corinth, Lovis. Selbstbiographie. Leipzig 1926 Hannover Kuhn, Alfred. Max Liebermann. Gedanken und Bilder. Corinth, Lovis. Gesammelte Schriften. Maler-Bücher 1958 Wolfsburg. Lovis Corinth. Gedächtnisausstel- Kleine Delphin-Kunstbücher 27. Bändchen. München Band 1. Berlin 1920 lung zur Feier des hundersten Geburtsjahres 1967 1923 Corinth, Lovis. Eine Dokumentation. Zusammengestellt Karlsruhe. Lovis Corinth. Das Porträt. Badischer Kurth, Willy. 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108 109 Impressum:

Herausgeber: Kunstsalon Franke, Baden-Baden Mitglied im Verband der Kunst- und Antiquitätenhändler Baden- Württemberg; Mitglied C.I.N.O.A., Verband der Internationalen Kunsthändler.

Bearbeitung: Hans-Jürgen Imiela

Abbildungen: Alle Bildformate sind in Höhe x Breite angegeben

Photographien: Studio Stix GmbH, 7500 Karlsruhe

Gesamtherstellung: Grafisches Zentrum Technik, 7257 Ditzingen-Heimerdingen

Auflage: 3000

© Copyright 1990 Der Herausgeber und die Autoren