Top & Flop

Was uns diesen Monat ­begeistert. Und ­worauf die Welt lieber verzichtet hätte.

YEAH: Blur veröffentlichen am 24. April mit »The Magic Whip« ihr erstes Studioalbum seit sechzehn ­Jahren. Das freut alle »Girls & Boys«. Hier kann man jetzt schon reinhören: bit.ly/blurwhip

LEBENSFILM: Dieses Video ­erklärt David Bowies schillernde Karriere in weniger als einer ­Minute: bit.ly/bowie_cv

ABSOLUTE AUSNAHME: Wer für die nächste Zugfahrt ein lustiges, kluges iPhone-Spiel sucht, in dem man nicht permanent zu In-App-Käufen ­genötigt wird: »Alto’s Adventure« macht extrem Spaß und sieht wirklich wunderschön aus.

FOTORECYCLING: Wenn NEON- Redakteurin Martina Kix absolut gar nichts zu tun hat, veranstaltet sie eine Bastelstunde mit ihren Insta­gram- Bildern. Auf weevmee.com werden die Fotos zu abstrakten Teppichen,­ ­picattoo.com macht ­da­raus temporäre Tattoos.

KLICK GEGEN DIE KRISE: Diese Webseite gibt gute Ratschläge, was man noch alles mit seinem Leben ­anfangen könnte, außer einfach so im Job weiterzuwurschteln wie ­bisher: bit.ly/lebensrat

IT’S A MATCH: Für alle, Leslie Clios Ziel: ein Grammy. Der erste Schritt: ein Grammy-Poster in der Wohnung. denen ­Tinder zu glattrasiert ist. Die Datingplattform bristlr.com bringt Bartträger mit Bartfans zusam- Musik men. Darauf hat die Welt gewartet.

WICHSEN GEGEN ATOM- Nicht Helene Fischer KRAFT: Lustige Idee, aber am Ende wohl doch nur Werbung Die Sängerin Leslie Clio besitzt ein seltenes Talent: Sie hat keine für eine Pornowebseite: das »Wank Band«, das beim Angst vor dem Mainstream und macht gute Musik. ­Masturbieren Energie fürs Smart- phone erzeugt: bit.ly/wankband1

ECHT UNGEIL: Bumsbekenntnisse Text: Martina Kix in Buchform gibt es wirklich genug. Karibik-Gefühl zum Anklicken bei Insta­ nen Insta­gram-Nutzern und vielen ­Sängerinnen Nun versucht auch der Riva Verlag mit gram: In einem Video schwenkt Leslie Clio unter­scheidet: eine gute Melodie und Attitüde, »Warum nur einen lieben, wenn ich ­alle haben kann? Bekenntnisse einer einen knallroten Föhn im Takt. Warmer Wind ein bisschen Glamour und Humor. Nymphomanin« (16,99 Euro), auf bläst aus dem Gerät und bringt die Blätter einer Leslie Clio hat keine Angst vor dem Main- den »Shades of Grey«-Zug aufzusprin- Yuccapalme, die vor einer Raufasertapete steht, stream. Nicht nur mit ihrer 1950er-Jahre-Col- gen. Kerstin Scholz schreibt über den »perfekten Sex«. Soso. zum Tanzen. Ein Klavier spielt die Melodie legejacken-Retroästhetik erinnert sie an Stars von »My heart ain’t that broken«, und Leslie wie Lana Del Rey oder Taylor Swift. Auch die BRAUCHT KEIN MENSCH: Clio singt im Flower-Print-Anzug und mit ver- fröhlichen Popsongs ihres Albums »Eureka« Vielleicht verwendet man ­diesen Satz zu leichtfertig – bei wurschtelter blonder Perücke: »Feeling pretty klingen nach Sandstrand und Sonnencreme, dem neuen »Selfie-Toaster« fine. Savin’ all my time now. Love is no friend nach Kopf­hörer aufsetzen und einen Berg stimmt er wirklich. Mit dem digi- of mine.« Allein in diesem sechs Sekunden lan- runterradeln. Leslie Clio will keine Kunst für talen Küchengerät kann man ein Selfie in das Weißbrot einbrennen. Schmeckt gen, wackeligen Smartphone-Video zeigt die Leute mit einem Abschluss in Poststrukturalis- uns gar nicht. bit.ly/selfietoaster1 28-jährige Sängerin, was sie von 300 Millio- mus und Mash-up machen, sondern Songs für

126 Freie Zeit Burnt Impressions Youtube, Pornhub / Shirlaine Forrest, Youtube, / Tribble Will , Archiv Michi Reimers / Jazz Fotos: Howling die Massen, mit einfachen Tonfolgen, guter stieg auf Platz elf in den Charts ein und brachte­ Laune und viel Energie. ihr eine Echo-Nominierung. Millionen haben Das Interview findet dann auch nicht in ihre Videos auf Youtube gesehen, Tausende fol- einer Hipster-Bar ohne Namensschild in - gen ihr bei Instagram, jetzt soll der nächste Neu­kölln statt, sondern in einem kleinen Café Schritt folgen: Stadionpop! an der Eberswalder Straße im Prenzlauer Berg, Ein Teil ihres Erfolgs verdankt Clio sicher ein Ort, an den die Touristen aus Bielefeld strö- der Tatsache, dass es in Deutschland nieman- men, wenn sie sich die hippe Hauptstadt an- den wie sie gibt: einen weiblichen Popstar, der schauen wollen, totaler Mainstream, hier fühlt nicht Helene Fischer heißt. Eine Sängerin, die sie sich zu Hause. »Ich bin ein Gewohnheits- jung ist und schön und der man deutlich an- typ und kom­me mehrmals in der Woche her«, merkt, dass sie im Jahr 2015 zu Hause ist und Howling sind der australische RY X und Frank Wiedemann, der wiederum eine Hälfte des sagt Clio. Ihre blonden Haare hat sie zu einem nicht in der Kostümkiste der Popmusik. House-Schwergewichts Âme und Mitbetreiber des Dutt gebunden. Grauer Lack bröckelt von ihren Popstars waren früher mal Menschen, die ­alle immer wieder glücklich machenden Labels Nägeln. Sie wirkt so sympathisch, dass man strahl­ten und funkelten und die man aus siche- ­Innervisions ist. 2012 hatten die beiden Erfolg mit- dem namensgebenden Track »Howling«, der immer sich nicht wundert, dass der Name Leslie Clio rer Distanz anhimmelte – wie ferne Sterne. noch in vielen Ohren feststeckt. Jetzt folgt das Album. tatsächlich in ihrem Personalausweis steht. Ir- Heute erwarten die Fans nicht länger nur Songs gendwie hätte man sie gern als beste Freundin, und ab und zu ein Konzert, sondern fordern Klingt wie: Die Tristesse, die sich am Morgen nach einer durch- weil sie vor Aufregung manchmal Schnappat- Nähe und authentische Infos. Die sozialen getanzten Nacht manchmal einstellt. Das Feiern kann mung bekommt und doch ein bisschen cooler Netzwerke haben nicht nur das Marketing ver- traurig machen, weil es einen daran erinnert, dass ist als man selbst. Und weil alles, was sie macht, ändert, sondern auch den Vertrieb und die Pop- ­alles Schöne mal zu Ende geht. Die Platte passt zum Runterkommen. Und stellt die Balance wieder her. so leicht aussieht. produktion selbst. Anfang des Jahres lud In Castingshows wie »DSDS« oder »Pop- ­Beyoncé zum Beispiel das Video zum Song stars« müssen sich die Kandidaten ja immer »7 11« ins Netz, auf dem sie in Sweatshirt und »Sacred Ground«, Monkeytown/Counter Records, von asozialen Juroren anbrüllen lassen, dass sie Panties in einem Hotel herumtanzt. Das Video ­erscheint am 1. Mai nicht hart genug arbeiten, nicht genug geben wirkte, als sei es mit einem älteren Handy ge- und das Prinzip Blut, Schweiß und Stimmband­ filmt geworden. Die Lo-Fi-Ästhetik hatte Les- entzündung nicht verstanden hätten. Aber wäre lie Clio schon 2013 in ihrem Video »I couldn’t The Very Best es nicht schön, wenn die Popmusik manchmal care less« eingeset­zt, in dem sie mit Tambour- so wäre, wie sie klingt: einfach und spaßig und major-Mütze herum­albert; ein Quatschvideo, wundervoll? Fragt man Leslie Clio, sagt sie: wie es jeder Freun­deskreis jede Woche produ- »Ich mach das halt so!« ziert. Der einzige Unterschied: Leslie Clio kann Dabei ist Clio eine Veteranin der Musikbran­ wirklich gut singen! che. Als Kind sang sie über zwei Jahre in der Pop verkauft heute die Illusion von Intimi- Kinderfernsehserie »Dingsda«. »Als ich zwölf tät. Wenn Taylor Swift von ihrer Katze am Bein Jahre alt war, habe ich zu Sängerinnen aufge- gekratzt wird, sehen wir das auf dem Smart- blickt«, erzählt sie, »bei allem, was ich tue, den­ phone. Und Leslie Clio postet ein Foto mit Gur­ ke ich an diese Mädchen, die heute vielleicht kenmaske im Gesicht. Das Posten und Teilen Ma-la-wi. Der Name muss auf der Liste der zu mir schauen.« Nach dem Abitur reiste die ist für sie kein Druck, es gehört zu ihrem We- ­schön­sten Ländernamen ganz weit oben stehen. Der Hamburgerin mit dem Rucksack durch die Welt sen. Und wer jetzt bei dem ganzen Gerede von ­malawische Sänger Esau Mwamwaya und der und sang Jazzsongs in ranzigen Kneipen. 2009 Echtheit und Transparenz enttäuscht ist, dass ­schwedische Produzent Johan Hugo bilden The Very Best. Die beiden trafen sich vor Jahren in London zog sie nach Berlin und musste zunächst kell- Leslie Clio ihre Konzerte akribisch plant, jeden und bringen nun bereits ihre dritte und bislang beste nern, um die Miete zu bezahlen. Irgendwann Schritt und jeden Ton bewusst setzt, der ist nur ­Platte heraus. Klar. Mwamwaya und Hugo haben die stellte eine Freundin sie Nikolai Potthoff von naiv. Man kann authentisch sein und gleich­ Tracks ja auch in Ma-la-wi aufgenommen. Tomte vor, mit dem sie ihr erstes Album »Gla- zeitig professionell. Klingt wie: dys« schrieb. Clio hatte Angebote von mehre- Leslie Clio ist gerüstet für die neue Zeit und Die Musik brüllt so König-der-Löwen-in-your-face- ren Plattenfirmen, wollte aber zu Universal – sie hat große Ziele. Auf die Innenseite ihrer mäßig AFRIKA!, dass man sich fast genieren möchte. Aber sie macht halt auch unglaublich viel Spaß. Es vor allem, weil sie an dem Laden lange Zeit täg­ Wohnungstür­ hat sie ein Foto des Musikpreises ist eine Kunst, derart optimistische Musik zu lich auf dem Weg zur U-Bahn vorbeigegangen Grammy geklebt. »Ohne den trete ich nicht aus ­schreiben, ohne damit allen auf den Senkel zu gehen. war. der Welt«, sagt sie. Immer wenn sie die Woh- Leslie Clio sagt vor allem Sätze wie: »Auf nung verlässt, erinnert das Bild sie daran, was meinen Konzerten sollen die Leute tanzen und sie da draußen in der Welt vorhat. • »Makes a King«, Moshi Moshi Records, bereits glücklich sein. Ich will glücklich sein.« Wenn ­erschienen es aber wirklich stimmt, dass ihre Karriere kei- nem Masterplan folgt und sie ihre Songs nicht nach den Vorgaben von Zielgruppenanalysen afrikanisch leise melancholisch Dancefloor schreibt, sondern einfach macht, was ihr selbst gefällt, dann hat sie auf jeden Fall einen mas- »Eureka«, Universal, erscheint sentauglichen Geschmack. Ihr erstes Album am 17. April Electro entspannt Pop

Fotos: Jon Bergman, Pias Cooperative Jon Bergman, Fotos: Freie Zeit 127