Clemens-Brentano-Preis 2011 Für Wolfgang Herrndorf Die Jury

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Clemens-Brentano-Preis 2011 Die Jury für Wolfgang Herrndorf

Der mit 10.000 Euro dotierte Clemens-Brentano- Sprache nimmt den Jugendslang auf und ver- Julian David Klevesath Förderpreis für Literatur der Stadt Heidelberg wandelt sich in bleibende Literatur.« Student (Heidelberg) 2011 geht an Wolfgang Herrndorf. Er erhält den Preis für seinen Roman Tschick (Rowohlt Verlag, Der Clemens-Brentano-Preis der Stadt Heidelberg Uwe Kossack Berlin 2010). Wolfgang Herrndorf, geboren 1965 wird seit 1993 jährlich im Wechsel in den Sparten Literatur-Redakteur in Hamburg, studierte Malerei in Nürnberg. Er Erzählung, Essay, Roman und Lyrik an deutsch- (Baden-Baden) arbeitete als Illustrator beim Haffmanns Verlag sprachige Autorinnen und Autoren vergeben, die Ursula März und für die Zeitschrift Titanic. 2002 veröffentli- mit ihren Erstlingswerken bereits die Aufmerk- Literaturkritikerin (Berlin) chte er seinen Debütroman In Plüschgewittern samkeit der Kritiker und des Lesepublikums auf (Zweitausendeins). 2007 folgte sein Erzählband sich gelenkt haben. Der Preis ist deutschlandweit Marius Meller mit dem Titel Diesseits des Van-Allen-Gürtels einmalig, da die Jury sowohl mit professionellen Literaturkritiker (Berlin) (Eichborn Verlag). Literaturkritikerinnen und -kritikern als auch mit

Studierenden des Germanistischen Seminars der Scarlett Meyer In der Jury-Begründung für den Brentano-Preis Universität Heidelberg besetzt ist. Studentin (Heidelberg) 2011 heißt es: »Wolfgang Herrndorf gelingt mit Tschick eine anrührende Geschichte zweier Der Preis wird am 19. Juli 2011 durch Bürger- Annika Helena Siewke Halbwüchsiger, die sie als zwei moderne Tau- meister Dr. Joachim Gerner in Heidelberg an Studentin (Heidelberg) genichtse in die bundesdeutsche weite Welt Wolfgang Herrndorfs Schriftstellerkollegin und schickt. Sie begeben sich auf eine hochkomische Laudatorin Kathrin Passig überreicht, die den Burkhard Spinnen Tour durch die deutsche Provinz. Herrndorfs Preisträger Wolfgang Herrndorf vertritt. Schriftsteller (Münster)

Geleitwort des Oberbürgermeisters der Stadt Heidelberg

Mit dem Clemens-Brentano-Preis fördert die Die Zusammenarbeit mit Studierenden des Stadt Heidelberg erfolgsversprechende Schrift- Germanistischen Seminars der Universität stellerinnen und Schriftsteller, die bereits durch Heidelberg ist das besondere und einzigartige erste Veröffentlichungen auf sich aufmerksam Charakteristikum des Clemens-Brentano- gemacht haben und für ihre weiteren Projek- Preises der Stadt Heidelberg. Die Dozentinnen te Unterstützung verdienen. Der Preis ist mit Dr. Michaela Kopp-Marx und Dr. Friederike 10.000 Euro dotiert und wird seit 1993 alter- Reents betreuen jährlich im Wintersemester nierend in den Sparten Essay, Erzählung, Lyrik das Seminar »Praxis der Literaturkritik am und Roman vergeben. Dieses Jahr wurde Beispiel des Brentano-Preises«, aus dem drei der Preis dem Autor Wolfgang Herrndorf für Studierende in die Jury des Brentano-Preises seinen Roman Tschick zuerkannt. »Tschick«, gewählt werden und dort zusammen mit pro- so beschreibt es die Frankfurter Allgemeine fessionellen Literaturkritikerinnen und -kritikern Zeitung treffend, »erzählt von einem Aufbruch, den Preisträger auswählen. Die Arbeit der einer Freundschaft und einer Rückkehr, es Jury in dieser Zusammensetzung ist nicht nur ist ein Road-Movie und eine Coming-of-Age- äußerst spannend, sie bietet den Studierenden Story, ein Abenteuer- und ein Heimatroman. zugleich die Möglichkeit, wertvolle Erfah- Vor allem aber ist es ein großartiges Buch, rungen im Literaturbetrieb zu sammeln. egal, ob man nun dreizehn, dreißig oder ge- fühlte dreihundert ist.« Ich danke an dieser Stelle den beiden genann- ten Dozentinnen sowie den studentischen Jury-

Mitgliedern Julian Klevesath, Scarlett Meyer und Annika Siewke für ihre engagierte Mitar- beit bei der Preisvergabe 2011. Ebenso danken möchte ich Uwe Kossack, Ursula März, Marius Meller sowie Burkhard Spinnen, die nun als Profis vier Jahre lang Mitglieder der Jury waren. Sie werden im Zuge der Preisvergabe 2012 abgelöst durch die Literaturkritikerinnen und -kritiker Markus Clauer, Ina Hartwig, Felicitas von Lovenberg und Hubert Winkels.

Wolfgang Herrndorf gratuliere ich sehr herzlich zum Clemens-Brentano-Förderpreis 2011 und wünsche ihm alles Gute.

Dr. Eckart Würzner Oberbürgermeister

»Wenn man erst anfängt, mit Slang um sich zu schmeißen, wird man doch schon im nächsten Jahr ausgelacht.« Kathrin Passig im Gespräch mit dem Preisträger Wolfgang Herrndorf

In der Rowohlt-Revue hieß es schon Man wird ja nicht wirklich mit der des zwanzigsten Jahrhunderts gestor- vor Erscheinen Ihres Buches: »Bei einer Schreibkunst Salingers verglichen. Von ben, sondern irgendein menschen- bestimmten Sorte Bücher schreiben Re- der man, wie man sich bei den kennt- scheuer, nicht mehr schreibender, filme- zensenten so verlässlich wie einfallslos: nislosen Nachrufen auf den Mann zu- hassender Waldschrat. Wenigstens, Salinger, Fänger im Roggen, Holden letzt überzeugen konnte, im deutschen was filmehassend und nicht schreibend Caulfield«. Ein Versuch, gleichzeitig den Feuilleton ohnehin kaum noch eine betrifft, hätte man mit zehn Sekunden Salinger-Vergleich ins Gespräch zu brin- Ahnung hat. Sondern mit dem Thema Googeln das Gegenteil rausfinden kön- gen, sich ironisch davon zu distanzieren seines vermeintlichen Hauptwerks. nen. Und wie man in vielen in den USA und die Rezensenten zu mehr Originali- kurz nach seinem Tod aufgetauchten tät anzuhalten. Hat das funktioniert? Sie halten den »Fänger im Roggen« Zeugnissen lesen konnte, war es mit nicht für sein Hauptwerk? »menschenscheu« auch nicht weit her. Wolfgang Herrndorf: Ich musste eine Runde Bier ausgeben, als die erste Nein. Nine Stories. Aber egal, ist ja Dann sprechen wir jetzt mal über Rezension ohne Salinger erschien. Aber beides toll. »Tschick«. Warum ein Jugendroman? es hat eine Weile gedauert. Was hat Sie an den Nachrufen ge- Ich habe um 2004 herum die Bücher Und wie ist das so? Ärgerlich, weil stört? meiner Kindheit und Jugend noch mal man sieht, wie sich der Aufziehschlüs- gelesen, Herr der Fliegen, Huckleberry sel im Rücken des Rezensenten dreht? Man bekam nicht den Eindruck, es sei Finn, Arthur Gordon Pym, Pik reist nach Oder heimlich doch schmeichelhaft? gerade einer der größten Schriftsteller Amerika und so. Um herauszufinden,

ob die wirklich so gut waren, wie ich Mit generationsspezifischen Aus- lässt. Ich glaube nicht, dass Jugend sie in Erinnerung hatte, aber auch, um drücken und Angewohnheiten sind Sie ein spezielles Problem darstellt, auch zu sehen, was ich mit zwölf eigentlich dabei sparsam umgegangen. Trotzdem wenn Scheitern da oft spektakulärer für ein Mensch war. Und dabei habe muss man ja herausfinden, was 1995 wirkt. Meine aktuelle Lieblingsstelle ich festgestellt, dass alle Lieblingsbü- Geborene so mit ihrer Zeit und ihrem ist aus Nick Hornbys Slam, da sagt der cher drei Gemeinsamkeiten hatten: Geld anfangen. Sie sind Jahrgang jugendliche Ich-Erzähler allen Ernstes: Schnelle Eliminierung der erwachsenen 1965, woher wissen Sie das? »Zum Beispiel konnte ich plötzlich zwei Bezugspersonen, große Reise, großes neue Skatingtricks, nachdem ich mich Wasser. Ich habe überlegt, wie man Ich weiß es nicht. Aber das kam mir wochenlang öffentlich blamiert hatte. diese drei Dinge in einem halbwegs re- gar nicht so problematisch vor, dass es (Ich nehme mal an, nicht alle von euch alistischen Jugendroman unterbringen sich um Jugendliche handelt. sind Skater, also sollte ich eins lieber könnte. Mit dem Floß die Elbe runter gleich sagen, damit es nicht zu schreck- schien mir lächerlich. In der Bundesre- Natürlich ist das problematisch. Wie lichen Missverständnissen kommt. publik des 21. Jahrhunderts als Ausrei- kommt man zu der Überzeugung, dass Skating = Skateboardfahren. Wir sagen ßer auf einem Schiff anheuern: Quark. die Jugendlichen schon genau so sein nie Skateboardfahren, also hab ich Nur mit dem Auto fiel mir was ein. werden wie man selbst? das Wort hier in dieser Geschichte zum Zwei Jungs klauen ein Auto. Da fehlte letzten Mal verwendet. Und falls ihr zwar das Wasser, aber den Plot hatte Nicht problematischer als Handwerker, so blöd seid, euch vorzustellen, ich ich in wenigen Minuten in meinem Ärzte oder Lokführer, wenn man die würde Faxen auf dem Eis machen, Kopf zusammen. im Roman auftauchen oder sprechen selber schuld.)«

Das ist Wahnsinn. gen Büchern hatte: dass man teilhat an Scheiße? Große Erzählung oder Müll? einem Dasein und an Menschen und Ja, das ist Wahnsinn. Wobei ich mir am Bewusstsein von Menschen, an Da können Sie nicht ernsthaft eine nicht einbilde, es perfekt gemacht etwas, worüber man sonst im Leben Antwort erwarten. Zum Müll: Ich zu haben. Ich hab meinem Erzähler etwas zu erfahren nicht viel Gelegen- kann mich zum Glück nicht an vieles einfach zwei Wörter gegeben, die er heit hat, selbst, um ehrlich zu sein, in erinnern. Ich lese auch nicht allzu endlos wiederholt, und den Rest über Gesprächen mit Freunden nur selten viel Gegenwartsliteratur, aber ich bin die Syntax geregelt. Wenn man erst und noch seltener in Filmen und dass der König des ersten Kapitels. Ich anfängt, mit Slang um sich zu schmei- es einen Unterschied gibt zwischen hab von fast allem, was rauskommt, ßen, wird man doch schon im nächsten Kunst und Scheiße. Einen Unterschied mindestens das erste Kapitel gelesen. Jahr ausgelacht. zwischen dem existenziellen Trost einer Oder eine Seite oder einen Absatz. großen Erzählung und dem Müll, von Der Segen des Älterwerdens: Man In Ihrem Blog heißt es: dem ich zuletzt eindeutig zu viel ge- braucht nur noch einen Absatz, um »Ich bin Schriftsteller, und man wird lesen habe, eine Unterscheidung, zu wissen, dass einen was nicht inter- nicht glauben, dass Literatur mich sonst die mir nie fremd war, aber unter Ge- essiert. Mitunter reicht auch schon kaltgelassen hätte. Aber was jetzt wohnheit und Understatement lange der erste Satz: »Vom Licht wussten zurückkehrt beim Lesen, ist das Gefühl, verschüttet.« sie alles.« Zack, nächstes Buch. das ich zuletzt in der Kindheit und Was war der Müll, von dem Sie zu Pubertät regelmäßig und danach nur viel gelesen haben? Und wo würden Versetzen wir uns ins Jahr 2030. Ihr noch sehr sporadisch und nur bei weni- Sie »Tschick« einordnen? Kunst oder Buch ist seit zehn Jahren Schullektüre.

Neuntklässler stöhnen, wenn sie den »Heldenreise« aufmerksam machte, sofort darauf hinaus, dass zum allge- Namen Wolfgang Herrndorf hören. ein Schema, nach dem angeblich fast meinen Ziel erklärt wird, was der Autor Welche Fragen zum Buch müssen in jeder Hollywood-Film funktioniert. selbst am besten kann und schon seit Aufsätzen beantwortet werden? Da müssen die Protagonisten unter Jahren praktiziert. Das sind keine Theo- anderem immer ein solches Elixier rien, das ist das, was sich heranbildet in Ich fürchte, man wird sich im Deutsch- finden. Hab ich natürlich gleich ein- kleinen Hasen, wenn es nachts dunkel unterricht am Symbolträchtigen auf- gebaut. wird im großen Wald. hängen, an der Schlussszene ... Nur damit Ihre Helden es eine Minu- Gustav Seibt stellt »Tschick« in ... in der Maik unter Wasser in einem te später aus dem Fenster schmeißen ... seiner Besprechung für die Süddeut- Swimmingpool die Hand seiner Mutter ist das eine subtile Kritik an irgendwel- sche Zeitung in die Tradition der deut- hält, während oben die Polizei wartet ... chen Erzählformen? schen Romantik, Tieck, Eichendorff. Sie verwandeln, meint Seibt, »das ... oder an der Szene mit dem Elixier. Nein, bestimmt nicht. Allgemeine vermeintlich bestens bekannte und Das bin ich jetzt auch schon häufiger Ansichten zur Literatur habe ich nie erschlossene Mitteleuropa südlich von gefragt worden, was das für ein Elixier gehabt und nie verstanden. Mehr Berlin in ein zauberisches Irgendwo«. ist, das der Alte mit der Flinte den Engagement! Mehr Realismus! Mehr »Tschick« als ein Buch der deutschen beiden da aufdrängt. Aber das weiß Relevanz! Ist doch alles Quatsch. So- Romantik, geschrieben mit amerika- ich ja auch nicht. Das war nur, weil bald Schriftsteller irgendeine Form von nischen Mitteln. War das tatsächlich mich beim Schreiben jemand auf die Theorie ausmünzen, läuft sie immer so beabsichtigt?

Ich weiß nicht, ob Seibt das so meint, Im Gegensatz zu meinen Helden bin Das liegt daran, dass ich das Buch mit aber das wäre ja generell erst mal ich nie in Ostdeutschland gewesen und einer großen Unterbrechung in zwei nicht falsch. Nur dass man von »be- habe die Reise nur mit Google Maps Zügen geschrieben und das nicht absichtigt« bei mir nicht wirklich spre- unternommen. Da kann man von oben gemerkt habe. Also, es ist mir dann na- chen kann. Ich plane so was nicht nicht sehen, wie hoch die Berge sind. türlich selbst aufgefallen, aber ich hab und denke mir beim Schreiben mei- Aber ich war nie ein großer Freund der es auch nicht mehr geschafft, es ganz stens erst mal nicht viel außer »es Recherche. Ich habe versucht, Gegenden rauszuschmeißen. sollte nicht langweilig sein« und wo zu beschreiben, wie Michael Sowa sie das dann hinsteuert, kann einem bei malt: Auf den ersten Blick denkt man, Warum nicht? einem Roadmovie ja auch angenehm genau so sieht es aus in der Natur! Und egal sein ... ich merke gerade, dass wenn man genauer hinschaut, sind es Meine Güte, ich war in Eile. Ich hab ich mich in erz-romantische Positionen vollkommen durchkonstruierte Sachen, das Kapitel, wo Tschick in die Klasse verrenne. die archetypischen Landschaften wie in kommt, an einem Tag zusammenge- idealen Tagträumen. hauen. Da war irgendwie so ein Ansatz In Wirklichkeit verlassen Sie Berlin zum Alkoholismus bei ihm und ... Ich doch nie. Was hat es mit den Land- Maiks Mutter ist Alkoholikerin, hab versucht, das noch relativ dezent schaften auf sich, die Maik und Tschick auch Tschick hat ein Alkoholproblem. abzubiegen. Am Anfang war sogar durchreisen, wo gibt es diese Mondland- Warum gleich zwei Trinker? Das Buch geplant, dass Tschick durch den Roman schaften? Wo die Berge, »ungeheuer handelt ja von etwas ganz anderem. durchsäuft oder so. Und das kollidierte hoch und mit Steinzacken obendrauf«? dann zu sehr mit der Mutter, so dass

er jetzt nur noch in der ersten Szene war das bei »Tschick«? Ein 14-jähriger weiter nichts Rücksicht nehmen. Das schwer nach Alkohol riecht. Es gibt ja Herrndorf? Buch kapiert einfach jeder. auch andere Dopplungen, das ist mir erst später aufgefallen, dass es zwei Geht Ihnen das so beim Schreiben? In Ihrem nächsten Buch geht es um Krankenhausszenen gibt. Der alte Amnesien, Explosionen und geheime Ul- Mann war auch doppelt, der eine ist Schon. Keine konkrete Person, aber trazentrifugenbaupläne. Also ein Thriller. jetzt ein junger Mann, der sieht dem einen schlauen Leser, der alles kapiert. alten überhaupt nicht mehr ähnlich. In gewisser Weise. Man kann das Gan- Dafür gibt’s im nächsten Buch schon Ja, das ist auch ein Leser, den ich mir ze aber auch dem Genre des Trottel- wieder einen Alten, der mit einem immer vorstelle. Wenn ich komplizier- romans zuschlagen. Alle handelnden Gewehr schießt. Den krieg ich auch tere Sachen schreibe, denke ich mir Personen sind Trottel. Die Araber sind nicht mehr rausgeschrieben. einen freundlich zugewandten Leser, dumm, faul und stinken, die Europäer der intelligent genug ist und auf der sind ausnahmslos arrogante Rassisten Besitzt Ihr Vater nicht eine Win- Höhe seines geistigen Horizonts ver- und Päderasten, die Amerikaner foltern chester? suche ich dann auch herumzukrebsen. alles, was ihnen in den Weg kommt, Aber bei diesem Jugendroman war das und hinter allem stecken – selbstver- Jajaja. Erzählen Sie mir was Neues. nicht so. Wenn man einen Roman für ständlich – die Juden. Vierzehnjährige macht, dessen Erzähler Man hat ja oft einen bestimmten Le- einfach genug ist, um auch für Elfjäh- Irgendwelche Vorbilder in diesem ser im Kopf, für den man schreibt. Wer rige verständlich zu sein, muss man auf Genre?

Bei Thrillern kenne ich mich selbst nicht für Science Fiction rum. das hat nur damit zu tun, dass man es aus. Für den Ton hatte ich so Stendhal irgendwann leid ist, in einer 1-Zimmer- im Hinterkopf. Braucht es dafür Sportsgeist? Oder Hinterhofwohnung zu wohnen. Langeweile mit dem Ausprobierten? Stendhal hat nie über Spionage Aber die Sache mit dem Bestseller geschrieben ... Bei mir ist es eher Steuerungsunfähig- hat »Tschick« ja jetzt erledigt. keit. Auf die meisten Sachen komme ... doch, hat er, jedenfalls über so ein ich, wenn ich irgendwas Mittelmäßiges Das kann ich mir auch nicht erklären, Komplott zur napoleonischen Zeit ... sehe oder lese. Schlechte Sachen sind woran das liegt. Buchhandel, Wer- zu schlecht, bei guten fällt mir vor bung, Rezensionen – keine Ahnung. ... na gut, aber viele andere Autoren Bewunderung nichts ein, aber bei Mit- Mein Lektor warf neulich die Theorie interessieren sich einfach nicht für un- telmäßigem denke ich ganz oft, man ein, »es könnte auch am Buch liegen«. terschiedliche Genres, sondern kleiden müsste nur hier und da ein bisschen Aber ich bin vom Literaturbetrieb so nur ab und zu Themen und Figuren an den Stellschrauben drehen ... und gründlich durchdesillusioniert, dass ich neu ein, Terry Pratchett, Martin Walser. so weiter. In welchem Genre ich damit das nicht glaube. Ihr eigener Output ist ziemlich eklek- lande, ist zweitrangig. tisch. Berlin-Popliteratur, Kurzgeschich- Außerdem hatte ich mit diesem Thriller Welche Illusionen waren das, die Sie ten, Jugendroman, Thriller ... im Ernst mal die Absicht, einen Best- da verloren haben? seller zu schreiben. Das hat nichts mit Als nächstes liegt hier ein Konzept Kunst oder ihrem Gegenteil zu tun, Illusionen ist vielleicht auch übertrie-

ben, ich komme ja schon von der Ich konnte nicht das, was ich wollte. schmerzfrei ansehen kann. Man Malerei, da ist es ähnlich, oder noch Außerdem war man mit Realismus und kann auch die Augen schließen und schlimmer. Roger Willemsen hat neu- Lasurmalerei an einer Kunsthochschule nach zwei Sekunden weitergehen. lich was Kluges dazu gesagt. Er hatte in den Achtzigern nicht wirklich gut Als Leser, der in einem Tausend-Seiten- das sehr elegant formuliert, dass es aufgehoben. Ich hab am Ende nur Roman feststeckt, ist man sehr lange im Literaturbetrieb etwa ein Dutzend noch Comics gemacht. Bei denen wur- sehr allein und bekommt leicht Kopf- Gruppen gibt in Deutschland, meistens den dann irgendwann die Bilder immer schmerzen. Das hat in der Evolution Kritikerzusammenballungen mit ein kleiner und der Text immer größer und der Literatur etwas Grundsolides und paar Autoren, die der Kritiker immer irgendwann gab es überhaupt keine angenehm Konventionelles wie den wieder bespricht und die auch unterei- Bilder mehr. Und ich war auch froh, mit Roman hervorgebracht. Da wird es die nander auf ungute Weise zusammen- bildender Kunst nichts mehr zu tun zu bildende Kunst nicht mehr hinbringen. hängen und dann auch das Übliche haben. In 200 Jahren wird außerdem völlig klar mit den Preisvergaben ... aber das ist sein, dass die Leistung der bildenden uninteressant. Fragen Sie Willemsen, Was ist besser an der Literatur als an Kunst der Jahrtausendwende Grand der konnte das so formulieren, dass es der Malerei? Theft Auto war und nicht dieser sub- interessant war. ventionierte Nachdenkquatsch in zehn Die Kundenfreundlichkeit. Es ist ein Meter hohen Hallen, hergestellt von Sie haben Malerei studiert und auf- großer Nachteil der bildenden Kunst Leuten mit drei Zahnrädern im Gehirn gegeben, warum? gegenüber der Literatur, dass man und begutachtet von Leuten ohne ein sich auch große Quadratmeter Unsinn einziges.

Sie haben für die »Titanic« sogar In Literatur und Drehbuch wurden dernden und fortschrittlichen Umgang mal Prominentenfotos abgemalt, weil in den letzten 15 Jahren alle Begrün- mit Handys im Kino gesehen und ich das für die Redaktion billiger war, als dungen durchprobiert, warum die dachte eine Weile, dass sie das Span- die Bildrechte einzuholen. Wenn Sie als Figuren als Erstes ihrer Handys entklei- nungsproblem jetzt vielleicht in den Maler so erfolgreich gewesen wären det werden müssen. Natürlich macht Griff kriegen. wie als Autor, würden Sie dann auch das die Arbeit des Autors einfacher, so harsch über die bildende Kunst aber es kann ja nicht ewig so weiter- Im Film, ja. Bei »The Wire« geht urteilen? gehen. Wird die Literatur das Handy es viele Folgen lang zentral um die eines Tages assimilieren, so wie sie ja Handys der Dealer. Schwer zu sagen. Aber ich hatte diese auch die Einführung des Festnetztele- Einstellung im Wesentlichen auch fons nach einer Weile verkraftet hat? In Wie die Tiere bei Wolf Haas gibt es schon vor dem Studium. Im Übrigen Werden Autoren neue Erzählstruk- auch eine gute Handyszene: Er sitzt im habe ich von meiner Malerei zehn turen finden, die weniger als heute Flakturm im Wiener Augarten im Dun- Jahre lang leben können. Was in dem auf ungleiche Informationsverteilung keln, hat keinen Empfang und versucht, Bereich auch so eine Art Erfolg ist. und Unerreichbarkeit angewiesen sich im Licht des Displays zurechtzufin- sind? den. Aber das sind Ausnahmen. Seit- Maik und Tschick lassen beim dem ist meines Wissens nicht viel nach- Aufbruch in die Walachei ihre Han- Als 2002 Infernal Affairs rauskam, war gekommen, weder im Kino noch in der dys zurück, Zitat: »damit nicht jeder ich sehr begeistert. Da hab ich zum Literatur. Schon Departed, das Remake Schwanzlutscher uns orten kann«. ersten Mal einen eleganten, plotför- von Infernal Affairs, war ja vollkommen

altbacken. Und ich selbst hab’s auch Berlin, Januar 2011 nicht so mit Handys. Den Krimi, an dem (In gekürzter Version wurde das Interview ich gerade schreibe, habe ich jedenfalls veröffentlicht bei www.faz.net) vorsichtshalber 1972 angesiedelt und zwar genau aus diesem Grund.

Wirklich aus diesem Grund?

Na ja, der ist ja am Reißbrett entwor- fen. Ich habe mir überlegt, Spannung, ich kann keine Spannung, und wenn ich jetzt noch ein Handy habe, mein lieber Mann, wie soll ich das denn regeln? Ich will Verfolgungsjagden in der Wüste!

Vielen Dank für das Gespräch!

Der Preisträger

Wolfgang Herrndorf, geboren 1965 in Ham- Mit Tschick wurde Wolfgang Herrndorf 2011 burg. Studium der Malerei in Nürnberg. Ar- für den Preis der Leipziger Buchmesse in der beitete als Illustrator für den Haffmans-Verlag Kategorie Belletristik nominiert. Der »träume- und für die Zeitschrift Titanic. 2002 erschien rische, schräge, lustige und überaus liebevolle sein Debütroman In Plüschgewittern. 2007 er- Roman« (Süddeutsche) stand auf der Bestsel- hielt Herrndorf für seinen Erzählband Diesseits lerliste und besticht mit einer Sprache »präzise des Van-Allen-Gürtels den Deutschen Erzäh- bis ins Detail, liest sich dabei aber immer so lerpreis, mit dem sein »ironisches und melan- locker, dass man leicht vergisst, wie schwierig cholisches Spiel mit zeitgenössischen so ein selbstverständlicher Ton hinzubekom- Wirklichkeiten« (Jurybegründung) ausge- men ist.« (FAZ) zeichnet wurde. 2004 gewann er zudem den Kelag-Publikumspreis in Klagenfurt. Wolfgang Herrndorf schreibt im Internetforum Wir höflichen Paparazzi und auf dem preisge- krönten Weblog Riesenmaschine. Wolfgang Herrndorf lebt als freier Autor in Berlin.

Die Laudatorin

Kathrin Passig, geboren 1970 in Deggendorf, 2003 gründete Kathrin Passig mit Kollegen die studierte Germanistik und Anglistik. Für ihre virtuelle Firma Zentrale Intelligenz Agentur. Erzählung Sie befinden sich hier erhielt Passig Der von der ZIA betriebene Weblog Riesenma- 2006 den Ingeborg-Bachmann-Preis und den schine erhielt 2006 den Grimme Online Award Kelag-Publikumspreis bei den Klagenfurter und 2007 den Erik-Reger-Preis der Zukunfts- Tagen der Deutschsprachigen Literatur. initiative Rheinland-Pfalz. Kathrin Passig arbeitet in Berlin als Sachbuchautorin, zuletzt erschien Verirren – Eine Anleitung für An- fänger und Fortgeschrittene (Rowohlt 2010, zusammen mit Aleks Scholz).

Die bisherigen Preisträger

2010 | Essay 2006 | Essay Sven Hillenkamp Stefan Weidner Das Ende der Liebe. Mohammedanische Versuchungen Gefühle im Zeitalter unendlicher Freiheit 2005 | Erzählung 2009 | Erzählung Anna Katharina Hahn Andreas Stichmann Kavaliersdelikt Jackie in Silber Felicia Zeller 2004 | Lyrik Einsam lehnen am Bekannten Raphael Urweider Das Gegenteil von Fleisch 2008 | Lyrik Ann Cotten 2003 | Roman Fremdwörterbuchsonette Andreas Maier Klausen 2007 | Roman Clemens Meyer 2002 | Essay Als wir träumten Doron Rabinovici Credo und Credit

2001 | Erzählung 1997 | Erzählung Sabine Peters Daniel Zahno Nimmersatt Doktor Turban

2000 | Lyrik 1996 | Lyrik Oswald Egger Barbara Köhler Herde der Rede / Der Rede Dreh Blue Box Hendrik Rost Jörg Schieke Fliegende Schatten Die Rosen zitieren die Adern

1999 | Roman 1995 | Roman Norbert Niemann Gabriele Kögl Wie man’s nimmt Das Mensch

1998 | Essay 1993 | Erzählung Benjamin Korn Günter Coufal Kunst, Macht und Moral Am Fenster

Satzung über die Stiftung des Clemens Brentano Förderpreises für Literatur der Stadt Heidelberg

(Heidelberger Stadtblatt vom 28. April 1994) ¹ ben werden für die literarischen Gattungen: Erzählung, Essay, Roman, Lyrik. Aufgrund von § 4 der Gemeindeordnung für Baden-Württemberg in der Fassung vom § 3 03. Oktober 1983 (GBl. Seite 578), zuletzt (1) Als Preisträger / Preisträgerinnen kommen geändert durch Gesetz vom 08. November Schriftsteller und Schriftstellerinnen in Be- 1993 (GBl. Seite 657) hat der Gemeinderat tracht, die aufgrund ihrer bisherigen Arbeiten der Stadt Heidelberg am 14. April 1994 außergewöhnliche Leistungen auf dem Gebiet folgende Satzung beschlossen: der Literatur erwarten lassen.

§ 1 (2) Der Autor / die Autorin soll mindestens Die Stadt Heidelberg stiftet in Erinnerung an ein, aber nicht mehr als drei literarische Bücher Clemens Brentano den Clemens Brentano in deutscher Sprache veröffentlicht haben. Förderpreis für Literatur, der nach den Bestim- mungen dieser Satzung vergeben wird. Bei der Gattung Essay werden nicht nur Bücher, sondern auch Zeitungs- und Zeit- § 2 schriften veröffentlichungen berücksichtigt; Der Brentano-Preis beträgt 10.000,00 € es entfällt die Vorgabe, dass der Autor / die (zehntausend Euro). Er soll jährlich verge- Autorin mindestens ein Buch veröffentlicht

haben muss. Bei Zeitungs- und Zeitschriften- Der Förderpreis kann nur einmal an dieselbe ¹ Geändert durch Satzung veröffentlichungen sollten zwei weitere Texte Person verliehen werden. vom 5. April 2001 entsprechender Qualität vorliegen. (2) Der Förderpreis wird durch den/die ge- ² Die Änderungssatzung (3) Bei den Gattungen Erzählung und Roman setzliche/n Vertreter/-in der Stadt Heidelberg vom 5. April 2001 tritt am muss das auszuzeichnende Buch im Jahr übergeben. Über die Verleihung wird eine 1. Juni 2001 in Kraft. vor der Preisvergabe erschienen sein. Bei den Urkunde ausgehändigt. Gattungen Essay und Lyrik muss das auszuzeichnende Buch oder die auszuzeichnende § 5 ² Zeitungs- und Zeitschriftenveröffentlichung Die Satzung tritt am Tage nach der öffent- in den letzten beiden Jahren vor der Preisver- lichen Bekanntmachung in Kraft. gabe erschienen sein. Gleichzeitig tritt die Satzung über die Stiftung § 4 des Brentano-Stipendiums der Stadt Heidel- (1) Über die Vergabe des Förderpreises ent- berg vom 13. August 1991 (HD-Amtsanzeiger scheiden Persönlichkeiten, die von einer vom vom 01. August 1991) außer Kraft. Kulturausschuss eingesetzten Kommission bestimmt werden. Diese Kommission besteht aus je einem/r Vertreter/-in der Fraktionen.

Impressum

Herausgeber Stadt Heidelberg, Kulturamt

Redaktion Alexandra Eberhard

Mitarbeit Julia Münzer

Layout & Satz Caroline Pöll, Heidelberg

Druckerei City-Druck Heidelberg

Weitere Informationen www.heidelberg.de/kulturamt

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