Christian Hißnauer

BILD Die Stasi hat mitgeschossen!? Eine Einleitung zur Aktualität der RAF im medialen Diskurs

Die Geschichte der RAF beginnt irgendwann zwischen dem 2. Juni 1967 (Tod Benno Ohnesorgs) und dem 14. Mai 1970 (Befreiung von ). Mit der Selbstauflösungserklärung vom 20. April 1998 endet die faktische Historie der Roten Armee Fraktion – zuende ist sie damit nicht. Im Gegenteil: In den letzten Jahren hat die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Linksterrorismus der 1970er Jahre wieder deutlich an Schärfe gewonnen. Das zeigt insbesondere die hitzige Debatte um die Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt und das Gna- dengesuch von . Werner Birkenmaier weist zurecht darauf hin, dass die Öffentlichkeit von ähnlichen Fällen in der Vergangenheit kaum Notiz nahm. Haftentlassungen und Begnadigungen waren oftmals bloße Randnotizen in der täglichen Nachrichtenflut:

Erst jetzt, als Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar freikommen sollten, schlugen die Wellen hoch. Das hatte nicht allein damit zu tun, dass sie zu den führenden Köpfen der RAF zählten und zu den mit Abstand härtesten Strafen verurteilt wurden, sondern vor allem damit, dass sie sozusagen die letzten Repräsentanten der Terroristen sind, von denen man noch Antworten einfordern kann. 1

Die letzten zwei Jahre haben jedoch gezeigt, dass noch von anderer Seite Antwor- ten eingefordert werden müssen: In Stammheim ist in deutlich größerem Umfang als bislang bekannt abgehört worden. Der Polizist, der Benno Ohnesorg erschoss, entpuppt sich als Stasi-Mitarbeiter. Die Ex-Terroristin hatte nicht näher geklärte Verbindungen zum bundesdeutschen Verfassungsschutz. Mögli-

 Birkenmaier, Werner: »Das Bild der RAF-Opfer in der Berichterstattung«. In: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Die Opfer der RAF. : G. Braun 2009, S. 34–49, hier S. 36. BILD Die Stasi hat mitgeschossen!? 157 cherweise hat der Geheimdienst sie im Mordfall Buback sogar gedeckt. Innen- minister Schäuble lehnt eine Offenlegung der Akten ab. – Ihr Schweigen brechen sollen nur die Ex-Terroristen. Jenseits der faktischen Aufklärung historischer Tatbestände stellt sich die Frage nach dem gesellschaftlichen Umgang mit dem sozialen Phänomen RAF. Oliver Tolmein weist darauf hin, dass die Aktualisierung der RAF im öffentlichen Bewusstsein Konjunkturen unterliegt (zumindest wenn man sich an den Höhe- punkten der medialen Aufmerksamkeit orientiert):

Der Deutsche Herbst 1977 beschäftigt im Rhythmus der Jahrestage die Öffentlichkeit: 1987, 1997, 2002 und jetzt 2007. Jedes dieser Da- ten hatte einen anderen Schwerpunkt 2, denn nicht nur die Medien folgen dem Diktat, dass auch Erinnerung stets Neues präsentieren oder wenigstens ungewohnte Perspektiven eröffnen soll. 3

Geschichte in Form medialer und / oder kultureller Erinnerung verändert sich fortwährend. Bspw. erleben wir seit 2008 eine neue Hochphase in der filmischen Auseinandersetzung mit dem RAF-Terrorismus. Dabei deutet sich nach der Entpolitisierung / Historisierung in den Jahren 1997 bis 2004 in den neuen Fil- men wie Gott schützt die Liebenden (2008), Schattenwelt (2008 / 9) und Es kommt der Tag (2009) Individualisierung von Schuld, Gnade und Reue als Thema ab (während Mogadischu [2008], Der Baader-Meinhof Kom- plex [2008] oder Dutschke [2009] noch stärker der Historisierung folgt):

Mit dem Streben nach dem Individuellen verbindet sich ohnehin die Frage nach Gnade und Reue, denn Gnade kann es nur für einen einzelnen Menschen geben, und bereuen kann auch nur der einzel- ne. Mit der Individualisierung tritt der deutsche Terrorismus in sein letztes Stadium ein. Was einmal politisch gemeint war, verwandelt sich zurück ins Persönliche. 4

 Ausführliche Analysen liegen zu diesem Aspekt allerdings bislang nicht vor. Die Auseinandersetzung mit der medialen Darstellung der RAF fokussiert in der Regel die 1970er Jahre.  Tolmein, Oliver: »Politisch motivierte Gewalt und die Schwierigkeit des Bereuens – die RAF, ihre Op- fer und das Strafrecht«. In: Haus der Geschichte Baden-Württemberg (Hg.): Die Opfer der RAF, S. 85–102, hier S. 85.  Birkenmaier: »RAF-Oper«, S. 37. 158 Christian Hißnauer

Die vorliegenden Beiträge des Panel analysieren die RAF als mediales Phänomen. Cordia Baumann untersucht Darstellungstendenzen im fiktionalen Spielfilmen (1975–2008). Christian Hißnauer befasst sich mit der erinnerungskulturellen Re- präsentation des so genannten Deutschen Herbst in dokumentarischen und semi- dokumentarischen Film- und Fernsehproduktionen seit 1978. Julia Kloppenburg analysiert am Beispiel der Debatte um Brigitte Mohnhaupt und Christian Klar im Jahr 2007, inwiefern Nachrichtenmagazine wie die Tagesthemen durch be- stimmte Darstellungsweisen die Etablierung einer moral panic begünstigen kön- nen. Das verbindende Element der drei Artikel ist die Frage nach den geschichts- und erinnerungspolitischen Implikationen der medialen RAF-Repräsentation für die Gegenwart.