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RadioReport Recht Aus der Residenz des Rechts Dienstag, den 04. April 2017 http://www1.swr.de/podcast/xml/swr1/radioreport-recht.xml

Der Deutscher Herbst – Vor 40 Jahren wurde Generalbundesanwalt ermordet

Tagesschau: Hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Guten Abend meine Damen und Herren. Generalbundesanwalt Buback ist heute ermordet worden. Bei dem Anschlag in Karlsruhe wurde auch sein Fahrer getötet. Ein Sicherheitsbeamter liegt mit schweren Verletzungen in Krankenhaus. Von den Tätern fehlt offenbar trotz bundesweiter Fahndung jede Spur.

Klaus Hempel: Viele haben sicher noch die Fernsehbilder im Kopf: Die Opfer, die zugedeckt auf der Straße liegen; der zerschossene Mercedes, mit dem sie unterwegs waren. Kommenden Freitag, am 7. April, jährt sich dieses Attentat. Vor 40 Jahren machte sich ein Killer-Kommando der RAF auf den Weg, um den damaligen Generalbundesanwalt Buback zu erschießen. Es war der Auftakt zum sogenannten Deutschen Herbst, der die gesamte Republik monatelang in Atem hielt. Martin Roeber fasst die Ereignisse von damals zusammen.

Martin Roeber: 7. April 1977, 9 Uhr morgens: Generalbundesanwalt Siegfried Buback ist in seinem blauen Dienst-Mercedes auf dem Weg zu seinem Arbeitsplatz. Das Ziel: der Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Am Steuer:

1 sein Fahrer Wolfgang Göbel. Auf der Rückbank: Justizhauptwachtmeister Georg Wurster. Als der Wagen an einer roten Ampel auf der Linkenheimer Landstraße hält, nähert sich von hinten rechts ein von Günther Sonnenberg angemietetes Motorrad Suzuki GS 750. Als die Ampel auf Gelb springt, feuert der Beifahrer mit einem Selbstladegewehr Heckler & Koch 43 mindestens 15 Schüsse auf die Insassen des Dienstwagens. Die Flucht der Mörder gelingt mit einem in der Nähe bereitstehenden Alfa Romeo. Als Sicherheitskräfte eintreffen, sind Generalbundesanwalt Siegfried Buback und der Fahrer Wolfgang Göbel bereits tot. Georg Wurster, Leiter der Fahrbereitschaft der Bundesanwaltschaft, stirbt eine Woche später. Warum saß er eigentlich im Dienstwagen? Seine Tochter:

Sabine Reichel: Zufällig saß er hinten drin, weil von Herrn Buback das Privatauto war kaputt, es ging an diesem Morgen nicht. Und mein Vater sollte schauen, ob er es wieder in Gang bringt. Und das hat er wohl auch geschafft. Und war dadurch zufällig im Auto mit drin.

Martin Roeber: Hätten die Sicherheitsbehörden gewarnt sein können? Alexander Prechtel, Staatsanwalt und langjähriger Pressesprecher von Buback-Nachfolger Kurt Rebmann erinnert sich.

Alexander Prechtel: Man hatte eine ganze Zeit davor herausbekommen von den Ermittlungsbehörden, dass irgendetwas geplant war, was das Schlagwort Margarine hatte. Aber damit konnten die Ermittlungsbehörden nichts anfangen. Als es passiert war mit Generalbundesanwalt Siegfried Buback, war klar, damit war „SB“, die Initialen von Siegfried Buback gemeint, eine Margarine.

Martin Roeber: Kurz nach dem Anschlag meldete sich die RAF mit einem Schreiben zu Wort: Ein Kommando „“ übernahm die Verantwortung für die Morde. Begründung: Buback sei für die Morde an Ulrike Meinhof, und direkt verantwortlich. Wegen der Beteiligung an dem Anschlag wurde im Juli 1980 zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, und im April 1985.

Klaus Hempel: Ein Beitrag von Martin Roeber. Wer auf dem Motorrad saß und wer geschossen hat, das wurde bis heute von den Ermittlungsbehörden nicht herausgefunden. Eisernes Schweigen bis heute bei den Tatbeteiligten.

2 Einer der ersten, die an diesem 7. April 1977 am Tatort waren, das war ein SWR-Kollege: Kameramann Kai Leitz. Er war damals 21 Jahre alt und hatte vor 40 Jahren noch als Kamera-Assistent gearbeitet. Sarah Renner hat sich mit ihm unterhalten und ihn gefragt, wie er diesen Tag erlebt hat.

Sarah Renner: Die Sonne scheint an diesem Gründonnerstag im Jahr 1977. Für Anfang April ist es ziemlich warm. Kai Leitz will gerade von zu Hause losfahren zum Studio des damals noch Süddeutschen Rundfunks in Karlsruhe als das Telefon des Kameraassistenten klingelt. Ein Fotograf rät ihm: Fahre mal zur Orangerie, da ist irgendwas passiert. Kai Leitz macht sich sofort auf den Weg.

Kai Leitz: Plötzlich kam von überall Polizei. Ich konnte noch bis ganz dicht heranfahren und habe meine Kamera geschnappt und habe dann schon gesehen: Oh je, da liegen zwei Personen, eine auf dem Grünstreife abgedeckt, und eine mitten auf der Kreuzung. Dann habe ich den schwarzen Mercedes gesehen, habe mich noch gewundert, wieso, da ist doch gar nichts. Der hat nur vorne eine Delle. Ich kannte den Generalbundesanwalt. Das war ja das, was mich so schockiert hatte. Wir waren zwei Tage vorher da und haben ihn interviewt. Er war ja öfters bei uns. Er ist ohne Personenschutz mit dem Fahrrad durch die Gegend gefahren. Und plötzlich liegt er da.

Radiosprecher: Gegen neun Uhr wurde auf das Dienstfahrzeug von Generalbundesanwalt Buback ein Anschlag verübt.

Sarah Renner: Leitz dreht - die einzigen Filmaufnahmen, die es vom Tatort gibt.

Kai Leitz: …so schnell und so viel ich eben konnte. Es waren damals 30-Meter-Filmrollen. Ich habe das nicht aufgenommen, ohne dass er abgedeckt war. Mein Chef kam dann, Gott sein Dank, schnell. Ich habe ihm die Filmrollen gegeben, und er ist dann damit nach Stuttgart gedüst ins Kopierwerk. Und wir haben es dann tatsächlich in die 12-Uhr-Tagesschau geschafft. Die haben das dann schon gesendet.

Tagesschau: Hier ist das deutsche Fernsehen mit der Tagesschau. Generalbundesanwalt Buback ist heute ermordet worden

Sarah Renner: Wenig später sperrt die Polizei den Tatort weiträumig ab. Eigentlich, sagt Leitz, war er froh, als er da weg konnte.

3 Kai Leitz: Der ganze Tag war ja dann katastrophal für uns alle. Das hat mich auch tief bewegt, und ich habe auch geheult. Das war richtig blöd damals für mich, ich war 21, da ist man ein kleiner Junge. Und dann mit einer Kamera mit der Verantwortung, es ist ja keiner da. Du musst jetzt hier draufhalten und das machen.

Sarah Renner: Der Schock kommt in Schüben.

Kai Leitz: Die Woche war dann voll mit Drehs. Dann kam ja die GSG 9 und hat alles auseinandergenommen. Dann haben wir in der Kirche schon die Proben gedreht und damals dann auch die Trauerfeier. Und da erst, so richtig ist es mir da bewusst geworden, dass es politisch natürlich eine große Aussagekraft hatte. Genau das, was die auch damit bewirken wollten.

Sarah Renner: Viel hat sich durch die Tat verändert. Einen Generalbundesanwalt, der mit dem Fahrrad zum Interview geradelt kommt, den hat es seitdem nicht mehr gegeben.

Kai Leitz: Früher war da keine Schranke, das war ja ein Spazierweg. Und heute in die Bundesanwaltschaft zu kommen, das geht nur noch mit Voranmeldung, wir werden kontrolliert. Unser Auto wird abgespiegelt unten. Es ist heute nicht mehr so einfach, an den GBA ranzukommen.

Sarah Renner: Kai Leitz wird diesen Tag, diesen furchtbaren sonnigen Gründonnerstag, nie vergessen.

Kai Leitz: Immer wenn ich daran vorbeifahre, dann kriege ich eine Gänsehaut, und das tut mir immer noch unheimlich weh. 40 Jahre sind wirklich eine sehr, sehr lange Zeit. Ich habe auch in der Zwischenzeit sehr, sehr viel erlebt. Aber trotzdem: Dieses Ereignis, das berührt mich jedes Mal wieder. Dieser Gründonnerstag, den werde ich nie mehr aus meinem Gedächtnis herauskriegen.

Klaus Hempel: Kai Leitz ist damals Kamera-Assistent gewesen und war als einer der ersten am Tatort – Sarah Renner hat ihn zu seinen Erinnerungen befragt. Der Deutsche Herbst 1977, das war eine ganze Serie von Anschlägen, die mit dem Attentat auf Siegfried Buback und seine Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster begann. Wenig später wurde der Vorstandssprecher der Jürgen Ponto ermordet. Es folgte die Entführung und Ermordung von Arbeitgeberpräsident . Dann die

4 Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut. Die Geiseln konnten befreit werden. Es folgten die Selbstmorde der inhaftierten RAF-Führungsmitglieder Baader, Ensslin und Raspe, die der ersten Generation der RAF angehörten. Bernd Wolf schildert die Anfangsjahre der Roten Armee Fraktion.

Bernd Wolf: Zweiter April 1968: In brennen zwei Kaufhäuser. Zwei der vier Brandstifter heißen: und Gudrun Ensslin. Im Herbst 68 der Prozess. Die Kaufhausbrandstifter werden zu je drei Jahren Haft verurteilt, tauchen aber unter. Gudrun Ensslin:

Gudrun Ensslin: Die Tendenz, in der sich die spätkapitalistische Gesellschaft so ungeheuer deutlich fortbewegt, nämlich hin zum Faschismus, das kann man wirklich mit einem Auge sehen.

Bernd Wolf: Unter den Prozessbeobachtern war auch die Journalistin Ulrike Meinhof. Sie hat Sympathie für die Angeklagten und Verständnis für deren, wie sie meint, Protest gegen den Vietnamkrieg der USA. Baader, Ensslin und Meinhof treffen sich im Untergrund. Später wird Meinhof sagen:

Ulrike Meinhof: Wir sind engagiert für diejenigen, die sich versuchen zu befreien von Terror und Gewalt. Und wenn ihnen ein anderes Mittel als das des Krieges nicht übrig bleibt, dann sind wir für ihren Krieg.

Bernd Wolf: 14. Mai 1970: Ein Donnerstag, die Geburtsstunde der RAF. Längst hat Ulrike Meinhof ihren Mann und die beiden Kinder verlassen. Mit Gudrun Ensslin und anderen befreit sie den wieder inhaftierten Andreas Baader aus der Haft. Es folgt der Aufbau der RAF. Militärische Schulung in Jordanien, nach der Rückkehr Banküberfälle, Sprengstoffanschläge, Schriften an die Öffentlichkeit, das Konzept „Stadtguerilla“. Die Motive: Antiimperialismus, Befreiungskrieg, Anarchismus, Volkskrieg gegen das Schweinesystem. Mai 1972: Eine Serie von Bombenanschlägen, unter anderem auf die US- Hauptquartiere in Heidelberg und Frankfurt. Vier US-Soldaten sterben- und auf das Springer-Hochhaus in Hamburg, 17 Verletzte. Juni 1972: Die Verhaftungen von Andreas Baader, Holger Meins, Jan Carl Raspe, Gudrun Ensslin, Brigitte Mohnhaupt, Ulrike Meinhof. Die Führung der RAF im Knast. Die Zellen akustisch isoliert, schnell ist von Isolationsfolter die Rede. November 1974: Hungerstreik, Zwangsernährung. Am 9. November 1974 stirbt Holger Meins an den Folgen des Hungerstreiks. Der damalige RAF- Verteidiger Otto Schily beschuldigt den Staat.

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Otto Schily: Dass die beteiligten staatlichen Instanzen offenbar bereit sind, eher den Tod der Gefangenen in Kauf zu nehmen, als sich zur Herstellung medizinisch angemessener, humaner Haftbedingungen zu entschließen.

Bernd Wolf: Einen Tag nach Holger Meins’ Tod wird der Berliner Gerichtspräsident von Drenkmann ermordet. 1975: Die RAF ändert ihre Strategie, vorrangiges Ziel jetzt: inhaftierte RAF- Gefangene frei pressen. Nach der Entführung des Berliner CDU-Chefs Lorenz kommen so fünf Terroristen frei. Dann aber: Stockholm - die RAF besetzt die deutsche Botschaft, erschießt zwei Beamte, nimmt Geiseln, die Bundesregierung Helmut Schmidt aber lehnt einen Gefangenenaustausch ab. 9. Mai 1976: Ulrike Meinhof wird erhängt in ihrer Zelle in Stuttgart-Stammheim aufgefunden. Selbstmord. Die erste Generation der RAF geht zu Ende, die zweite entsteht. Sie ist die brutalere. Das Terrorjahr 1977 steht bevor, der deutsche Herbst.

Klaus Hempel: Ein Beitrag von Bernd Wolf. Jahrzehnte hat es gedauert, um die Taten der RAF aufzuarbeiten, und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Vor rund fünf Jahren, im Juli 2012, wurde die frühere RAF-Terroristin wegen Beihilfe zum Mord an Buback und seinen zwei Begleitern vom Oberlandesgericht Stuttgart verurteilt, zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren. Von diesem Prozess hatte man sich erhofft, endlich zu erfahren, wer die tödlichen Schüsse abgegeben hat. Aber das ist nach wie vor unklar, so der heutige Generalbundesanwalt Peter Frank.

Peter Frank: Wir würden das auch gerne wissen. Wir haben in all diesen Jahren immer wieder kriminaltechnische Untersuchungen vorgenommen, um genau herauszufinden, wer saß auf dem Motorrad hinten? Und wer hat geschossen? Uns ist es nie gelungen anhand aller kriminaltechnischen Möglichkeiten festzustellen, wer dies war. Die RAF-Täter selbst schweigen dazu. Dieses Schweigekartell müsste aufgebrochen werden, um das herauszufinden. Aber dies ist uns leider nicht gelungen. Das ist für die Bundeanwaltschaft und für die Ermittler, für jeden Ermittler nicht befriedigend. Aber solange die Täter schweigen, können wir das nicht herausfinden.

Klaus Hempel: Dennoch will Generalbundesanwalt Peter Frank die Hoffnung nicht aufgeben, dass vielleicht doch noch einer der Tatbeteiligten irgendwann redet.

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Peter Frank: Vielleicht gibt es doch irgendwann einmal einen dieser RAF-Täter, der doch noch mal von Einsicht und Reue offenlegt, was damals konkret passiert ist. Was man damals verabredet hat, wie man damals konkret vorgegangen ist. Das wäre für uns ein wichtiger Schritt nach vorne. Und ich glaube auch ein wichtiger Schritt für die Angehörigen der Opfer, konkret zu erfahren wer den Vater, wer den Mann, wer den Bruder erschossen hat.

Klaus Hempel: Generalbundesanwalt Peter Frank zum Attentat auf Siegfried Buback und dessen Begleiter Wolfgang Göbel und Georg Wurster. Für die Angehörigen sind die Ereignisse von damals immer noch sehr belastend. Wie sehr sie bis heute darunter leiden, und wie sehr der Anschlag ihr Leben prägte, das können Sie morgen Abend in einer Fernseh- Dokumentation sehen: „Die offenen Wunden des RAF-Terrors – Der Fall Buback“, morgen Abend um 20 Uhr 15 im SWR-Fernsehen. Einer der Autoren ist ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt.

Holger Schmidt: Wir sprechen in dem Film mit Sabine Wurster, der Tochter von Georg Wurster, die 13 Jahre alt war, als ihr Vater ermordet worden ist. Seit etwa 2007, seit die ganze Debatte wieder losgegangen ist um eine mögliche Begnadigung von RAF-Terroristen, aber auch die Frage, wie aufgeklärt die Taten eigentlich sind, seit dieser Zeit hat Sabine Wurster sich selbst noch einmal viele Fragen gestellt. Und hat auch eine Forderung an die Terroristen, die sie in unserem Film erhebt: Dass sie nämlich einfach wissen möchte, wer geschossen hat. Und dann ist vielleicht noch ganz interessant, dass wir auch im Gerichtssaal in Stuttgart-Stammheim vorbeischauen mit dem früheren Staatsschutzvorsitzenden Richter Herrmann Wieland und mit Rainer Griesbaum, der beim Generalbundesanwalt lange die Terrorismusverfahren geleitet hat. Mit ihnen gehen wir auf Spurensuche. Und stellen fest, dass auch dieser Gerichtssaal schon fast etwas Lebenslängliches hat. Dass es dort nämlich eine Tradition der Richter und Staatsanwälte gab, die Tage, die man dort gegen die RAF und andere Terrororganisationen prozessiert hat, abzustreichen mit bunten Kreidestrichen, ganz ähnlich wie Häftlinge das in einem Gefängnis tun. Das sind Bilder, die hat man, nach meinem Eindruck, so auch noch nie gesehen. Das ist eine ganz unbekannte Seite des Stammheimer Gerichtsgebäudes. Und auch das spielt in unserem Film eine Rolle.

Klaus Hempel: „Die offenen Wunden des RAF-Terrors – Der Fall Buback“, zu sehen morgen Abend um 20 Uhr 15 im SWR-Fernsehen.

7 Das war der SWR1 Radioreport Recht: Der Deutscher Herbst – Vor 40 Jahren wurde Generalbundesanwalt Siegfried Buback ermordet. Vielen Dank fürs Zuhören. Am Mikrofon war Klaus Hempel.

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