Kapitalismus Oder Markt
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Kapitalismus oder Markt- zit wird deutlich, dass diese Momente wirtschaft? in außereuropäischen Formen des Kapitalismus, die Kocka dankenswer- Jürgen Kocka, Geschichte des Kapi- terweise einbezieht, nicht immer ge- talismus, Verlag C. H. Beck-Wissen, geben sind. München 2013, 144 S., 8,95 Euro/ Ellen Meiksins Wood, Der Ursprung In den folgenden Teilen befasst sich des Kapitalismus. Eine Spurensu- der Autor mit der Herausbildung des che, LAIKA Verlag, Hamburg 2015, Kapitalismus in Form des Kauf- 231 S., 28 Euro/ Georg Fülberth, mannskapitalismus (II), der Rolle der Kapitalismus. PapyRossa Verlag- europäischen Expansion in koloniale Basiswissen, Köln 2015, 126 S., 9,90 Räume (III) und dem industriellen Euro Kapitalismus (IV), d.h. dem „Kapita- lismus in seiner Epoche“ (77). Erst Lange Zeit war zumindest im deut- diese etwa seit 1800 datierende Pro- schen Sprachraum „Kapitalismus“ ein duktionsweise besitzt die eingangs Schimpfwort, galt als ideologisch auf- aufgeführten Merkmale, erst jetzt geladener Versuch, die freie (wahlwei- werden diese „zum dominierenden se: soziale) Marktwirtschaft zu verun- wirtschaftlichen Regulierungsmecha- glimpfen. Damit ist spätestens seit nismus“, der die „fortwährende Um- 2008 Schluss, der Begriff Kapitalis- wälzung der Produktion“ bewirkt mus „ist…voll in den wissenschaftli- (83), wie Kocka unter Bezug auf chen Diskurs zurückgekehrt“ (6), wie Marx ausführt. Dazu gehört notwen- der renommierte Historiker Kocka in dig die Lohnarbeit, die in seiner Defi- seiner historischen Einführung ein- nition aber keine Rolle spielt. Kapita- räumt. Als Nichtmarxist macht er deut- lismus gibt es in diesem Sinne erst als lich, dass der Begriff hierzulande nicht Industriekapitalismus, vorher habe nur marxistisch geprägt ist, dass das dieser lediglich ein „Inseldasein“ ge- Bild der kapitalistischen Wirtschafts- führt (84). Bezeichnungen wie Han- und Gesellschaftsordnung sowohl von delskapitalismus oder Finanzkapita- Marx als auch von Max Weber und Jo- lismus für Erscheinungen vor dem In- seph Schumpeter geprägt ist. dustriekapitalismus sind also eigent- Am Anfang (Teil I) steht eine Defini- lich inkonsequent. tion. Demnach ist Kapitalismus durch In Teil IV behandelt der Verf. innere drei Merkmale gekennzeichnet: indi- Strukturveränderungen der kapitalis- viduelle Eigentumsrechte, Märkte als tischen Gesellschaft, wobei er zwei Koordinierungsinstanz und Kapital Elemente hervorhebt: den Wandel als Grundlage von Akkumulation vom Eigentümer- zum Managerkapi- (20/21). Außerdem gehört zum mo- talismus einerseits und Veränderun- dernen Kapitalismus die Institution gen der Lohnarbeit andererseits. Au- des privaten Unternehmens, das ßerdem beschreibt er Verschiebun- „Selbständigkeit gegenüber dem gen im Verhältnis Staat/Wirtschaft Staat“ (21) besitzt. Kocka hält diese und untersucht die Tendenz zur Fi- Definition, die aus der nordwesteuro- nanzialisierung, die er als Nieder- päischen Form des Kapitalismus ab- gangsphänomen charakterisiert, aber geleitet ist, nicht überall durch: Impli- letzten Endes nicht erklären kann: Buchbesprechungen 187 Denn der Übergang vom „Sparkapi- des Kapitalismus durchsetzen soll – talismus“ zum „Pumpkapitalismus“, im Rahmen einer Theorie des Kapi- den er als Moment der „Destabilisie- talismus, die den Klassenkampf zwi- rung des Kapitalismus“ begreift schen Arbeit und Kapital nicht kennt, (95/96), ist eine Beschreibung der eine kaum zu beantwortende Frage Finanzialisierung, keine Erklärung. Das Buch von Ellen Meiksins Wood In seinem Ausblick (Teil V) ist Ko- (eine Übersetzung ihres im engli- cka bezüglich der Lebensfähigkeit schen Sprachraum als Klassiker gel- des Kapitalismus optimistischer als tenden Werks von 2002), der leider im vierten Teil: Beeindruckt „von unlängst verstorbenen renommierten den immensen Fortschritten“, die der britischen Marxistin, langjährige Re- Kapitalismus hervorgebracht hat dakteurin von ‚New Left Review‘ (124), kann er doch nicht umhin, das und Mitherausgeberin der Zeitschrift Verhältnis Kapitalismus und Demo- ‚Monthly Review‘, beschäftigt sich kratie als zutiefst problematisch zu speziell mit der Entstehung des Kapi- kennzeichnen: „Auf grundsätzlichs- talismus, d.h. mit der Thematik, die ter Ebene bleibt die Diskrepanz zwi- Kocka in den Teilen I bis III behan- schen dem an universalisierbaren delt. Ihre Position ist, gelinde gesagt, Werten orientierten Verständigungs- ungewöhnlich: Die klassische Analy- und Gestaltungsanspruch demokrati- se, die den Kapitalismus als eine aus scher Politik einerseits und der sich dem westeuropäischen Feudalismus, demokratischer Politik und morali- vermittelt vor allem über das Kauf- scher Gestaltung entziehenden Dy- mannskapital, herausgewachsene namik des Kapitalismus andererseits Produktionsweise definiert, verwirft ein Dauerproblem.“ (127) Dieser sie in Bausch und Bogen als „Kom- Satz ist eigentlich eine vernichtende merzialisierungsmodell“ (21). So- Kritik am Kapitalismus: Ein System, wohl bürgerlichen wie marxistischen dessen Dynamik sich dauerhaft de- Historikern, die die Ursprünge des mokratischer Gestaltung entzieht, ist Kapitalismus in Handel und städti- angesichts der Entwicklung der Pro- scher Wirtschaft sehen, hält sie ent- duktivkräfte lebensgefährlich. Woher gegen: „Tendenziell ist diese Kon- er seinen historischen Optimismus zeption mit einer Geschichtstheorie hinsichtlich der Zivilisierbarkeit die- verbunden, in der der moderne Kapi- ses Systems bezieht, bleibt unklar: talismus das Ergebnis eines natürli- „Gegenwärtig sind überlegene Alter- chen und beinahe unausweichlichen nativen zum Kapitalismus nicht er- Prozesses ist, der bestimmten, uni- kennbar. Aber innerhalb des Kapita- versellen, transhistorischen und un- lismus sind sehr unterschiedliche Va- veränderlichen Gesetzen folgt.“ (27) rianten und Alternativen denkbar und Sie unterstellt damit (fast) allen mar- zum Teil auch beobachtbar. Um ihre xistischen Historikern die Position Entwicklung geht es. Die Reform des von Adam Smith und seinen Anhän- Kapitalismus ist eine Daueraufgabe. gern, die den Kapitalismus als Ent- Dabei spielt Kapitalismuskritik eine faltung des dem Menschen angebo- zentrale Rolle.“ (128) Es fragt sich renen Triebs zum Tausch betrachten allerdings, wer die ‚Zivilisierung‘ (48). Indem sie das tut, gibt sie aber 188 Z - Nr. 105 März 2016 einen guten Überblick über einige bis Faktor bei der Unterscheidung des heute wichtige innermarxistische Kapitalismus von allen anderen Debatten, so die Auseinandersetzung Formen der ‚kommerziellen Gesell- zwischen Sweezy und Dobb („Über- schaft‘ war die Herausbildung be- gangsdebatte“ – 51), die Kritik Ro- stimmter gesellschaftlicher Eigen- bert Brenners an André Gunder tumsverhältnisse, die Marktimperati- Frank und Immanuel Wallerstein und ve hervorbrachten, und kapitalisti- – last but not least – die Arbeiten von sche ‚Bewegungsgesetze‘, die der Perry Anderson über den europäi- Produktion auferlegt wurden.“ (92) schen Feudalismus und Absolutis- Das ist sicher richtig, auch wenn mus. Auch wenn man Woods rigide nicht klar wird, warum diese Fest- Kritik nicht teilt, so macht sie – wie stellung im Gegensatz zu Analysen ich meine – doch einen wichtigen stehen soll, die die Ursprünge des Punkt, wenn sie hervorhebt, dass Kapitalismus in Handel und städti- Handelsprofit – „billig kaufen, teuer scher Wirtschaft sehen. Wie man verkaufen“ – nichts mit kapitalisti- weiter sehen wird, ist sie aber mit ih- scher Akkumulation durch die An- rer Betonung der Eigentumsverhält- eignung von Mehrwert zu tun hat nisse selbst nicht konsequent: Denn (23). Das richtet sich gegen die ver- die besagten Eigentumsverhältnisse schiedenen Varianten der Weltsys- bestehen – mit Marx – in der Tren- temtheorie, die Kapitalismus mit un- nung der Produzenten von den Pro- gleichem Tausch verwechseln, aber duktionsmitteln, d.h. in der Eigen- auch gegen verbreitete Formeln, die tumslosigkeit der Arbeitenden. Das Handelskapitalismus und Indus- im Hinterkopf habend liest man spä- triekapitalismus nur als Entwick- ter, in Teil III, mit Verwunderung: lungsetappen eines Systems sehen: „Die spezifische Dynamik, die wir Wood zufolge hat Handel nicht un- mit dem Kapitalismus assoziieren, bedingt etwas mit Kapitalismus zu war also in der englischen Landwirt- tun; die sich im Feudalismus heraus- schaft bereits vor der Proletarisie- bildenden Formen von Handelskapi- rung der Arbeiterschaft vorhanden.“ tal und städtischer Wirtschaft hätten Und weiter: „Tatsächlich war diese nicht notwendig zum Kapitalismus Dynamik ein wesentlicher Faktor, führen müssen: „…der Kapitalismus der in England die Proletarisierung war nur eines der möglichen Ergeb- der Arbeiter hervorgebracht hat.“ nisse des Übergangs vom Feudalis- (151) Für Wood sind Lohnabhängig- mus.“ (194) keit, d.h. kapitalistische Eigentums- Auch wenn man bereit ist, ihr über verhältnisse, also Folge, nicht Trieb- den Teil I hinweg („Geschichten des kraft des Kapitalismus. In Wirklich- Übergangs“) zu folgen, so wird das keit sind für sie nicht die Eigentums- in Teil II („Der Ursprung des Kapita- verhältnisse, sondern die Konkur- lismus“) und Teil III („Der Agrarka- renz, der „Marktimperativ“ (94), pitalismus und darüber hinaus“) zu- Hauptmerkmal des Kapitalismus. nehmend schwerer. Gewendet gegen Von Kapitalismus kann demnach erst das „Kommerzialisierungsmodell“ die Rede sein, wenn außerökonomi- argumentiert sie: „Der entscheidende sche Formen der Mehrproduktaneig- Buchbesprechungen 189 nung verschwunden sind, wenn die zwang, ihre eigene ökonomische Steigerung von Ausbeutung und Pro- Entwicklung in eine kapitalistische