Jörg Roesler Die Wiederaufbaulüge der Bundesrepublik Oder: Wie sich die Neoliberalen ihre »Argumente« produzieren

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Rosa-Luxemburg-Stiftung

JÖRG ROESLER Die Wiederaufbaulüge der Bundesrepublik Oder: Wie sich die Neoliberalen ihre »Argumente« produzieren

Karl Dietz Verlag Berlin Mit 9 Abbildungen Bildnachweis: Karl Dietz Verlag Berlin (8), Frankfurter Rundschau (1)

Jörg Roesler: Die Wiederaufbaulüge der Bundesrepublik (Reihe: Texte / Rosa-Luxemburg-Stiftung; Bd. 43) Berlin: Karl Dietz Verlag 2008

ISBN 978-3-320-02137-5

© Karl Dietz Verlag Berlin GmbH 2008 Satz: Jörn Schütrumpf Umschlag: Heike Schmelter unter Verwendung eines Fotos von M. Detering ICA Deutschland Druck und Verarbeitung: MediaService GmbH Bärendruck und Werbung Printed in Blick zurück nach vorn? 7

Die Wiederaufbaulüge 11

Das marktwirtschaftliche Rezept des »wohlmeinenden Diktators« 15

Die ersten Wochen nach der Währungs- und Wirtschaftsreform: Gewinner und Verlierer 25

Aufkommender Unmut und spontane Unruhen 31

Der Umgang mit dem Unmut in der Bevölkerung 37

Die »Stuttgarter Vorfälle« vom 28. Oktober 1948 47

Der limitierte Generalstreik vom 12. November 1948 57

Erste Reaktionen auf den »heißen Herbst« 71

Die Einrichtung einer Sozialen Marktwirtschaft als Ausdruck des tatsächlichen Kräfteverhältnisses 81

Vom Nutzen eines Blicks zurück in die Geschichte 93

Anhang

Abkürzungsverzeichnis 98 Chronik der Ereignisse 99 Genutzte Literatur und Quellen 105 Der Autor 111 Blick zurück nach vorn?

Dieses Buch handelt von den Anfängen einer nationalen Wirtschaftsordnung, die unter dem Namen Soziale Marktwirtschaft in der Bundesrepublik zu einem Be- griff, zu einer Marke, zu einer Ikone geworden ist. Die Entstehung der Sozialen Marktwirtschaft ist durch eine Kette von Ereignissen charakterisiert, über die sich wirtschafts- bzw. ordnungspolitische Entwicklungsbrüche realisierten. Zwei die- ser Ereignisse sind heute jedermann bekannt und werden immer wieder (gern) be- schrieben: die Währungsreform vom Ende Juni 1948 und der mir ihr verbundene Übergang von der Bewirtschaftung, d. h. der Lenkung der Wirtschaft mit Hilfe ad- ministrativer Entscheidungen zur Regulierung der Wirtschaft über den Markt. Bei den anderen für die Herausbildung der Sozialen Marktwirtschaft bedeutsamen Er- eignissen handelt es sich um Protestaktionen, die auf ihrem Höhepunkt im Oktober/ November 1948 in einem Fall sogar zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwi- schen Militär, Polizei und Demonstrierenden führten, die sogenannten Stuttgarter Vorfälle und im anderen Fall um einen Generalstreik in zwei der drei Westzonen. Auf diese Ereignisse wird in der bisherigen Geschichtsschreibung über die Bun- desrepublik, im Unterschied zu Währungs- und zur Wirtschaftsreform, wenig ein- gegangen. Die »Stuttgarter Vorfälle« werden fast vollständig verschwiegen. Der Phase der Massenmobilisierung, von mir als »heißer Herbst 1948« bezeich- net, steht im Mittelpunkt der Darstellung, auch wenn sie vergleichsweise kurz war. Sie war eine bewusste Antwort auf die Währungsreform und die damit verbunde- nen ordnungspolitischen Entscheidungen, insbesondere auf deren sozialpolitischen Konsequenzen. Sie war die Antwort der Bevölkerungsmehrheit auf die vor allem durch getragenen Entscheidungen und auf den sozialen Druck auf die werktätige Bevölkerung, die von ihnen ausging. »Die Massen haben selten in die deutsche Geschichte eingegriffen«, schreibt der US-amerikanische Historiker und Deutschlandkenner Charles Maier. Schon deshalb lohnt es sich, auf die Er- eignisse des »heißen Herbstes 1948« mehr als nur en passant einzugehen. Vor al- lem ist dies aber notwendig, weil die Massenmobilisierung – auch für die deutsche Geschichte nicht gerade typisch – einen Wandel bewirkte. Sie führte zu einer Kor- rektur