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Charel Schmit Traumfabrik Von der realistischen Vision zum politischen Stückwerk

Gerade mal zwei Erwähnungen findet der raum darstellt (108 373). Die Planungs- 1. Die Nordstad wird nicht als „Mittel- Landesnorden im CSV-LSAP-Koalitions- region Zentrum-Norden, zu der die zentrum mit Versorgungsschwerpunkt abkommen und Regierungsprogramm Nordstad zählt, verzeichnet in diesem im Norden“ (IVL 2004)5 angesehen, son- vom 4. August 2004: zum einen sollen die Zeitraum insgesamt 12 761 neue Ein- dern als nationalen Wirtschaftsstandort. Industriebrachen in ebenso wie in wohner (immerhin 11,78% des nationa- Ries betont an mehreren Stellen die Be- anderen Landesteilen Berücksichtigung len Zuwachses).3 deutung der wirtschaftlichen Aktivitä- finden, zum anderen soll die Nordstad ten, sowohl Industrie als auch andere als eines von sechs IVL-Pilotprojekten Gewerbe; nicht weniger als sieben Indus- im Rahmen der Landesplanung voran- Nordstad 1973: Eine realistische triezonen werden benannt. Im derzei- getrieben werden.1 Das im Januar 2004 Vision vor 35 Jahren tigen Entwicklungsplan ist eine „zone veröffentlichte Integrative Verkehrs- und Somit hat sich die Vision von Adrien d’activité économique“ auf Fridhaff bei Landesplanungskonzept (IVL) sieht die Ries (1933-1991) bislang nicht erfüllt, vorgesehen. Nicht allein die öf- Ausarbeitung eines Entwicklungsplanes nachdem die Nordstad innerhalb der fentliche Hand, sondern die Betriebe der für die Nordstad vor; diese soll im Sin- folgenden Jahrzehnte auf eine Bevölke- Region sind die großen „Investitions- ne eines „Tripol“-Modells als dritter rungszahl von 30 000 bis 40 000 Einwoh- träger“ für die Nordstad. Es wundert Entwicklungsraum zur Alternative für nern ansteigen könnte. Vor genau 35 Jah- denn auch nicht, dass sich für Ries die Luxemburg-Stadt und Esch/Alzette wer- ren stellte der Jurist und Ökonom Adrien Nordstad bis erstrecken muss, den. Demnach knüpft man im politi- um die Industrie- und Gewerbegebiete schen Landesnorden hohe Erwartungen im Bissener Tal und auf Roost mit ein- an die Realisierung einer Idee, die ihren zubeziehen. Ausgang in den frühen siebziger Jahren So wie eine Regierung ohne gefunden hat und seither die Phantasie Mitglied aus der Minettemetropole 2. Ries spricht dezidiert das politische Problem der Nordstad an – elektorales und vieler Regionalpolitiker und Landespla- Esch/Alzette unvorstellbar ist, so ner beflügelt. politisches Leichtgewicht auf nationaler dürfte es auch zukünftig keine Ebene: „Mä Dir kënnt lech ganz gutt eng Zur Nordstad zählen heute die 6 Gemein- geben ohne Mitglied aus der lëtzebuergesch Regéierong virstellen ouni den Bettendorf, Colmar-Berg, Diekirch, Nordstad. ee Minister vun Déikrich, oder vun Ettel- Erpeldingen, Ettelbrück und . breck, vu Schieren oder vu Colmer-Bierg, Sie verzeichnen derzeit 21 879 Einwoh- well all dës Uertschaften eenzel nët an ner, vergleichbar mit der Stadt Differdin- Ries aus Biwels, damals hoher Beamter d’Wo falen.“ Erst der politisch-adminis- gen (20 443), der Planungsregion Norden in der Europäischen Kommission, das trative Zusammenschluss der Nordstad- (-) (20 615) oder dem Leitbild einer „Nordstad“ vor. Im Rah- Gemeinden wird verhindern, dass eine Kanton (25 348).2 Im Zeitraum men der Jubiläumsfeierlichkeiten zum Regierung an ihnen vorbei regieren kann. von 1987 bis 2006 haben die 6 Nordstad- 80. Wiegenfest des Diekircher Geschäfts- Derzeit zählt die Nordstad einen Kam- Gemeinden einen Zuwachs von 4 176 verbandes, die am 2. Juni 1973 stattfand merpräsidenten (Lucien Weiler), zwei Einwohnern verzeichnet, was lediglich und lokale wie nationale Prominenz Député-maire (Bim Diederich und Jean- 3,85% des gesamten Bevölkerungszu- anlockte, trug Adrien Ries die Resultate Paul Schaaf), einen Fraktionschef (Charles wachses für Luxemburg in diesem Zeit- einer Umfrage vor, die der Geschäftsver- Goerens), jedoch weder einen Staatsrat band im April 1973 in der Region durch- noch einen „administrateur délégué“ auf geführt hatte.4 höchster Verwaltungsebene. Die Rand- Charel Schmit, u. a. Mitbegründer der Lobby fir de gemeinden stellen derzeit ebenfalls vier Norden, war kommunal- und regionalpolitisch bis Drei Aspekte sind aus heutiger Sicht aus Landespolitiker (Claude Adam, Fernand 2005 engagiert. Seit 2004 ist er enseignant-chercheur an der Universität Luxemburg in der Forschungseinheit dieser programmatischen Rede hervor- Etgen, Aly Kaes, Marco Schank). Zuletzt INSIDE und im Studiengang „Soziale Arbeit“. zuheben: war Charles Goerens als Außen- und 32 Dossier forum 278

Umweltminister Regierungsmitglied von zung waren „plans d’aménagement par- mehr überdurchschnittlich anwachsen 1999 bis 2004 und unterbrach für kurze tiel ou global“ (Art. 11) vorgesehen. Das werde. Mit ihrer Prognose für das Jahr Zeit die „Regierungsabstinenz“ der Nord- aktuelle Landesplanungsgesetz vom 21. 2010 lagen sie mit einer Einwohnerzahl stad. Vor ihm war es René Steichen, der als Mai 1999 sieht hierzu „plans directeurs von 26 021 EW über dem aktuellen Stand ehemaliger Diekircher Député-maire von sectoriels“ und „plans directeurs régio- von 24 520 in der „zone urbaine“. Blieb 1984 bis 1992 Regierungsmitglied war, naux“ vor. Das erste Programme directeur die Nordstad hinter den Erwartungen bevor er als EU-Kommissar nach Brüssel von 1978 spricht von einer „agglomé- der Landesplanungspolitiker zurück? wechselte. Er löste damals den aus Ettel- ration du Nord“, die sich aus den Gemein- Der gleiche Regionalentwicklungsplan brück stammenden Zentrumspolitiker den Ettelbrück, Diekirch und Schieren greift nur teilweise eine Idee auf, die in Ernest Mühlen ab, der von 1979 bis 1984 sowie den Ortschaften Gilsdorf, Colmar, der politischen Öffentlichkeit im Norden Minister war. So wie eine Regierung Berg, Erpeldingen und Ingeldorf zusam- seit den 80er Jahren viel gefordert und ohne Mitglied aus der Minettemetropole mensetzte. In der zweiten Auflage des in jeder Wahlversammlung lautstark ver- Esch/Alzette unvorstellbar ist, so dürfte Programme directeur von 1985 wird eine kündet wird: die „Dezentralisierung“ es auch zukünftig keine geben ohne Mit- großzügiger definierte „zone urbaine“ staatlicher Verwaltungen und öffentli- glied aus der Nordstad. Fraglich bleibt, eingeführt, die das aktuelle Gebiet der cher Einrichtungen. Immerhin werden ob das Einwohnerszenario des IVL, das Nordstad sowie der Gemeinde Bissen die Ansiedlung des Office national du bis 2020 einen Bevölkerungszuwachs umfasst aufgrund deren industriellen remembrement in Wintger, die Dezen- von ca. 8 000 EW vorsieht, eine nennens- Bedeutung. tralisierung der Nationalbibliothek und werte Veränderung mit sich bringen wird, Der erste Entwicklungsplan für die Re- allgemein das Verhindern weiterer Zen- wenn gleichzeitig von einem Zuwachs gion Norden8, zu der damals ebenfalls tralisierungen von Dienststellen im In- von 17 200 EW in der Südregion ausge- Bissen, und Colmar-Berg hin- vestitionsplan vorgesehen. Die Dezentra- gangen wird. zugenommen wurde, erscheint 1991. lisierungsbilanz fällt jedoch heute sehr 3. Als Kind seiner Zeit vertritt Adrien Geprägt durch die Debatten der Umwelt- mager aus: nicht eine einzige nationale Ries einen festen Glauben in die positiven bewegung in den 70er und 80er Jahren Einrichtung wurde in den vergangenen Wirkungen der Raumplanung, die ein sprechen sich die Autoren für eine vor- 35 Jahren nördlich von Mersch angesie- Jahr später 1974 mit dem Landespla- sichtige Entwicklung aus, keine zusätz- delt. Immerhin richtete das Kulturminis- nungsgesetz eingeführt und mit dem lichen Industrie- und Wirtschaftszonen terium 1992 eine regionale Zweigstelle Programme directeur von 1978 dekliniert im Landesnorden, Agrotourismus und in Diekirch ein; später auch der Service werden wird. Es ist schon erstaunlich, vorsichtiger Umgang mit dem Land- national de la jeunesse. Rezente Versuche wie er, von der Technologie überzeugt, schaftsverbrauch innerhalb der bestehen- scheiterten ebenfalls: das vom ehemaligen anrät, die Detailplanung für die Nord- den Bebauungspläne. Die „zone urbaine“ Innenminister Michel Wolter (1994-2004) stad einem „interdisziplinären Team wird als dynamischste Region im Norden in Aussicht gestellte Wasserwirtschafts- von Spezialisten“ anzuvertrauen, die im angesehen, ohne jedoch auf die Ries’sche amt wird in der Südregion angesiedelt Auftrag der Gemeinden und des Innen- Idee einer wachstumsorientierten „Nord- werden. Sowohl die Dezentralisierung ministeriums diesen „Entwicklungspool“ stad“ einzugehen. Die Autoren gehen von staatlichen Stellen als auch die (Ries) als tatsächlich neue Stadt entwi- auch davon aus, dass der hohe Bevölke- dezentrale Ansiedlung von privatwirt- ckeln und die eine tatsächliche Alterna- rungszuwachs, der im Bipol Ettelbrück- schaftlich geschaffenen Arbeitsplätzen tive zu Luxemburg-Stadt werden soll. Diekirch in den Jahren 1960 bis 1970 bleibt ein bislang nicht eingetretenes Der raumplanerische Optimismus hält stattfand, abgeflaut sei und auch nicht Szenario zur strukturellen Stärkung des bis heute an: « Le descriptif conceptuel et le dispositif législatif nous procurent Kartenlegen in der Nordstad: Dieser Auszug der CSV-Karte aus dem Wahljahr 1979, als die CSV aus der Oppo- aujourd’hui un savoir cohérent et une sition stürmt, zeigt eine großzügige Umgehungsstraße als Straßenbauprojekt, ganz im Sinne der von Adrien Ries vision précise de l’aménagement du ter- 1973 geforderten Verkehrsprojekte. Diese Umgehungstraße verschwindet in den Folgejahren von den CSV-Land- karten bis 1999 die „Nordstraße“ (Mersch-Luxemburg) erneut auftaucht. Eine weitaus weniger großzügige Variante ritoire », so Jean-Paul Schaaf in dem im soll im Rahmen des Programms „Mobilitéit 2020“ endlich Wirklichkeit werden. Die CSV-Karte von 1979 zeigt viele Juni 2008 erschienenen Jubiläumsband andere Projekte, die heute längst Realität sind, u. a. die Collectrice du sud und die Saarautobahn. Ausreichendes zur 100-Jahr-Feier der Stadt Ettelbrück6. und aktuelles Bildmaterial zur Vision Nordstad liefern www.nordstad.lu und www.nordstad.org. Kohärentes Wissen über die Nordstad lieferte auch bereits Adrien Ries anno 1973, eingebettet in eine allgemeine Ana- lyse der luxemburgischen Wirtschaft.7 An einem Mangel an Wissen scheint die realistische Vision der Nordstad, damals wie heute, nicht zu leiden.

1974 bis 2009: Unglaubliche Geschichten der Dezentralisierung Auf Grundlage des Raumplanungsgeset- zes vom 20. März 1974 wird unter der sozialliberalen Koalition (1974-1979) ein erstes Programme directeur am 6. April 1978 verabschiedet. Für dessen Umset- Juli 2008 Gemeinden 33

Landesnordens. Immerhin lässt der De- Firmen aus dem gesamten ,grünen Sek- beitung spezifischer BTS-Ausbildungen, zentralisierungsboom, der seit 1999 den tor‘: Landwirtschaft, Natur- und Um- ungewisse Zukunft für das Laboratorium Süden zu Recht ereilt, auch die Herzen weltschutz, Lebensmittelherstellung der Ackerbauverwaltung u.v.m. im Norden hoffen. und -kontrolle, Biotechnologie, Life- Sciences und ähnliche vor- und nachge- Die Flut an Leserbriefen und Kongressre- lagerte Wirtschaftsbereiche.“11 solutionen, die bis heute anhält, konnte 1997 bis 2007: Dekade der bislang nicht verhindern, dass im Jahr- positiven Nordstad-Literatur Im Konzeptpapier listen die Autoren zehnt des IVL viel Nordstad-Prosa vor- und der verpassten Chancen! nicht weniger als 33 (bestehende und liegt, aber kaum konkrete Projekte sei- geplante) staatliche Dienststellen, genos- tens des Staates und der Gemeinden Fast wäre die Nordstad in den regiona- senschaftliche oder privatwirtschaftlich tatsächlich in die Tat umgesetzt wur- len Sagenschatz eingegangen, hätte nicht organisierte Betriebe und Verbände auf, den, so auch nicht die nette Idee eines Landesplanungsminister Alex Bodry eine die in der Nordstad-Wirtschaftszone regionalen „centre d’intervention“ für Entwicklungsstudie in Auftrag gegeben. angesiedelt sind oder werden könnten. Feuerwehr und Zivilschutz, das auf Frid- Im Vorfeld des 1999 verabschiedeten Die Initiatoren dieser „realistischen Vi- haff entstehen soll(te). Das 2002 durch Landesplanungsgesetzes und der Ausar- sion“ wollten damals die Gunst der IVL- ein interkommunales Syndikat Diekirch- beitung des neuen Programme directeur Stunde nutzen und verhindern, dass das Ettelbrück begründete Conservatoire de 9 liefern Zeyen&Baumann im Jahr 1997 Luxemburg des 21. Jahrhunderts am musique du Nord verdankt sein Entste- Überlegungen, die der Nordstad im Pro- Landesnorden vorbeizieht. Bei den dama- hen weniger der Nordstad als vielmehr gramme directeur zu eigenen politischen ligen Amtsinhabern im Landesplanungs-, der landesweiten Reorganisation der Prioritäten verhelfen. Hervorgehoben Hochschul- und Landwirtschaftsminis­ Musikschulen. wird der wirtschaftliche Entwicklungs- terium stießen sie auf wenig Gegen- bedarf der Nordstad: Sie soll Arbeits- liebe und gerieten zudem innerparteilich Initiativen wie der Late Night Bus Nord- platz-Pol bleiben und „activités tertiaires mächtig unter Druck. stad, der Schachclub Nordstad, die Zu- de haut niveau“ anziehen, sowie auf in- sammenarbeit der beiden Jugendhäuser, terkommunaler Basis verwaltete Indus- das Theaterfestival Nordstad Spektakel, trie- und Gewerbezonen zur Verfügung Die Dezentralisierungsbilanz der 44 km lange Adrien-Ries-Wander- stellen.10 Vor allem die Vorstellung, die weg12 oder das Nordstad-Archiv13 sind Nordstad könne als „bipolares Mittelzen- fällt [...] sehr mager aus: nicht dank des Einsatzes einzelner Privatper- trum“ neben Luxemburg-Stadt und Esch/ eine einzige nationale Einrichtung sonen und Bürgervereinigungen entstan- Alzette ein drittes alternatives urbanes wurde in den vergangenen den. Sie verankern den Nordstad-Gedan- Zentrum für Luxemburg darstellen, löst 35 Jahren nördlich von Mersch ken in der Bevölkerung. eine Welle basisdemokratischer Begeiste- angesiedelt. Im gleichen Zeitraum entsteht derzeit ein rung aus. nationales Zukunftsprojekt auf Belval- Im Juni 2000 wird die Vereinigung „Denk- Ouest, bei dem sich der Staat in kürzes- fabrik Nordstad“ ins Leben gerufen. Pro- Immerhin wurde kräftig für diese Idee ter Zeit (1999-2004) zu einem milliar- tagonisten sind vor allem parteipolitisch mobilisiert und aus einem überparteili- denschweren Investitionsprogramm und engagierte Bürger, die meisten von ihnen chen Rundtischgespräch am 5. Februar einem konkreten Dezentralisierungsplan ziehen nach den Gemeindewahlen von 2002 entstand schließlich die Vereini- verpflichten konnte, nicht zuletzt auf- 2005 in die Gemeinde- oder Schöffen- gung Lobby fir de Norden, die am 6. grund des AGORA-Mitgesellschafters räte ein (so Gründungspräsident Fränk November 2003 in Diekirch gegründet Arcelor Mittal. Wir dürfen also hoffen: Thillen und Maurice Losch, Déi Gréng; wurde. Aus dem Grundsatzprogramm Die beste Zeit steht der Nordstad noch Paul Bonert und Pascal Nicolay, CSV; sprudeln ebenfalls Ideen, wie das „bipo- bevor! Francis Dahm, DP) und bewerkstelligen lare Mittelzentrum“ Ettelbrück-Diekirch heute den notwendigen „Marsch durch endlich attraktiver werden soll, ob durch die Institutionen“. Die Denkfabrik betei- den Ausbau der „innerstädtischen Schie- 2005 bis 2008: Von der Vision ligt sich aktiv an der Ausarbeitung eines nenverbindung in der Nordstad“ oder das zum Masterplan für die nächsten LEADER-Projektes in der Nordstad, doch Angebot von postsekundären Studien- 35 Jahre im April 2003 scheitert dieses Projekt an programmen wie ein BTS in Umwelt, Noch vor den Gemeindewahlen 2005 dem Rückzug der damaligen Schöffen- Energie, Landwirtschaft und Tourismus. gelingt es dem neuen Innenminister Jean- räte von Diekirch und Ettelbrück aus Von der Idee eines „Grünen Zentrums“ Marie Halsdorf, die Nordstad-Gemein- finanziellen Gründen. als Wirtschaftsmotor für die Nordstad- den zur Zusammenarbeit zu überzeu- Zu einem Höhenflug landesplanerischer Region spricht in Zeiten von Biosprit gen; eine erste Konvention wird am 26. Phantasie kommt es im Jahre 2001 im und Klimawandel niemand mehr. Im September 2005 zwischen den Gemein- Vorfeld des Universitätsgesetzes. Die Gegenteil, wortlos und tatenlos assistiert den Bettendorf, Diekirch, Erpeldingen, Jugendorganisation der CSV lanciert die man an der langsamen und schrittwei- Ettelbrück und Schieren unterzeichnet, Idee eines „Gréngen Zentrum Uni-Nord- sen Demontage des „endogenen ‚grünen‘ der sich Colmar-Berg am 24. April 2006 stad“, einer Bio-Region für Luxemburg, Potentials“: Minimalistische Standortlö- in der Neuauflage der Konvention an- d. h. „einer besonderen Wirtschafts- und sung für die Ackerbauschule im Schatten schließt. Vereinbart wird ein 5-jähriger Verwaltungszone bzw. eines Service- des keltischen „Däiwelsälter“ in Gilsdorf, Planungsprozess, die Einführung eines Centers für möglichst viele Einrichtun- Abwanderung der Luxlait auf Roost, Comité technique und eines Comité poli- gen, öffentliche Dienststellen, Verwal- Ansiedlung der Direktion des Wasser- tique Nordstad, der kopräsidiert wird tungen sowie Forschungsinstitute und wirtschaftsamtes im Süden, keine Ausar- vom Innenminister und jeweils einem 34 Dossier forum 278

rotierenden Bürgermeister (derzeit Jean- haben soll als diejenigen im Zentrum und Diekirch aus dem Ranking der 10 bevöl- Paul Schaaf bis 2009). Es folgen Bür- Süden. Bis zu den Gemeindewahlen 2017 kerungsreichsten Gemeinden Luxem- gerforen, Strategiekonferenzen und die soll ein weiteres Entscheidungs- und burgs verdrängt.18 Ob das Projekt „Nord- Vorstellung des Masterplans am 27. Ok- Finanzierungsorgan auf der Ebene der stad“ die neue „communauté urbaine“ tober 2007, dem die sechs Gemeinderäte Planungsregion Zentrum-Norden hinzu- jemals wieder an die drei vorderen in einer gemeinsamen Erklärung am 22. kommen. In Zukunft könnte es also vor- Plätze dieses Rankings19 katapultieren Mai 2008 zustimmten. kommen, dass der Late Night Bus Nord- wird, wie es die IVL-Formel des „Tripols stad für das Zeltfest in Bissen jeweils zu Luxemburg-Esch/Alzette-Nordstad“ sug- Der Masterplan soll die „Vision Nordstad“ einem Drittel von der Gemeinde, von der geriert, ist heute mehr als ungewiss. Der konkretisieren und definiert auf Anhieb Nordstad und vom Regionalsyndikat fi- Traum eines „städtischen Zentrums im neun Leitprojekte: (1.) Bis 2020 kommen nanziert wird! grünen Norden“ aber ist noch lange nicht 7 000 Einwohner in „Wohnbauclustern“ ausgeträumt und wird weiterhin viele und den Siedlungskernen hinzu, (2.) ein Zum Zukunftsszenario und politischen bezaubern ... und ablenken. interkommunales Gewerbegebiet auf Kräfteverhältnis dieser neuen kommu- Fridhaff entsteht, (3.) ein besseres Nord- nalpolitischen Architektur gehört die stad-Marketing, (4.) eine gemeinsame Frage, inwiefern der Merscher Kanton Jugendarbeit, (5.) bessere Kooperation im 1 Déclaration gouvernementale du 4 août 2004 – weiterhin schneller wachsen wird als die Accord de coalition . S. 64-66. « Le projet de la Nord- Bereich Schulentwicklung, (6.) Gesamt- Nordstad. Neben einer großen Bauland- stadt dont l’IVL a confirmé l’importance sera également konzept „Neue Mobilität“, (7.) Freiraum- reserve in den einzelnen Gemeinden wird dynamisé. » entwicklung, Naherholung und Touris- die Modernisierung des Bahnhofsviertels 2 Berechnung auf Grundlage von www.statistiques. mus, (8.) eine Zentrale Achse Nordstad public.lu (30. Juni 2008) 3 Berechnungen im Rahmen des RESONORD-Projektes (ZAN) ohne Zugverkehr und (9.) Einrich- der LEADER-Region Clervaux-Vianden (2006-2008) ten eines multifunktionellen interkom- Inwiefern ist es noch realistisch 4 Die Rede von Adrien Ries vom 2.6.1973 kann nach- munalen Syndikats bzw. einer Entwick- anzunehmen, dass bis 2020 gelesen werden auf http://sentier.nordstad.org/ lungsgesellschaft. 5 „Die Nordstad soll mit einem umfangreichen Angebot tatsächlich 7 000 zusätzliche an Arbeitsplätzen und Dienstleistungen als multifunktio- Der Zustimmung der Gemeinden zum und möglichst hoch qualifizierte naler Raum und Zentrum für den ländlichen Raum im Masterplan ging ein heftiger Sturm im Norden von Luxemburg entwickelt werden.“ IVL, S. 8 Arbeitsplätze in der Nordstad 6 Schaaf Jean-Paul: „La ville centenaire sur le chemin Wasserglas voraus: Die Divergenz mit de l’avenir“. In: . 100 Joer Stad 1907-2007 . Transportminister Lucien Lux, der die entstehen werden? Ettelbrück Juni 2008. S. 57-64. Masterplan-Idee einer ZAN ohne Zug- 7 Ries, Adrien: „L’économie luxembourgeoise – Luxem- linie missbilligt, führte u. a. zur Schöffen- bourg An 2000. Problèmes particuliers“. In: Université mit der bereits begonnenen staatlichen internationale des Sciences comparées . ratsumbildung in Erpeldingen, bei der Études économiques luxembourgeoise. Luxembourg 16 Abweichler von der Masterplan-Philoso- Rekonversion des Agrocenter-Geländes 1973. Die Publikation enthält im Kapitel V „Un exemple phie abgestraft wurden. Zu Irritationen in Mersch schnell neue Realitäten schaf- d’aménagement du territoire : La Nordstad“ die raum- fen und attraktiv für tatsächliche Dezen- planerischen Vorschläge und Resultate der Umfrage des in der Nordstad führte zuletzt auch die Diekircher Geschäftverbandes von April 1973, an der Standortlösung für die Ackerbauschule tralisierungsprojekte von Verwaltungen sich 146 von 700 angeschriebenen „stakeholder“ aus ohne vorherige Absprache im Comité und Privatinvestoren werden. Mersch, die der Nordstad-Region beteiligten. politique oder etwa die Kompromiss- realistische Alternativ-Vision? 8 Ministère de l’Aménagement du territoire et de l’Environnement: Région d’aménagement Nord – projet losigkeit in der Finanzierungsfrage des Inwiefern ist es noch realistisch anzu- de plan d’aménagement global . Luxembourg Avril 1991. Musikkonservatoriums. 9 nehmen, dass bis 2020 tatsächlich 7 000 Zeyen & Baumann (1997): Etude de développement “NORDSTAD“ englobant les communes de Bettendorf, Es ist offen, inwiefern sich das Comité zusätzliche und möglichst hoch quali- Diekirch, , Ettelbruck, Schieren . L’évolution politique Nordstad gegenüber der Regie- fizierte Arbeitsplätze in der Nordstad de la population, la structure socio-économique, le entstehen werden? Wo und in welchen développement foncier, les équipements, les scénarios . rung emanzipieren wird. Die angespann- Ministère de l’Aménagement du territoire (Hrsg.); te Finanzlage in Diekirch und Ettelbrück Wirtschaftsbereichen, wenn bereits die Luxemburg lässt wenig Spielraum für politische Al- Regierung an anderer Stelle davon aus- 10 Programme directeur. MIAT 2003. S. 8 leingänge. So wird auf fast natürliche Art geht, dass sich die Entfernung der Nord- 11 CSJ-Norden: Gréngen Zentrum – eng Bio-Regio fir und Weise und aus finanziellen Engpässen region zu den Forschungs- und Hoch- Lëtzebuerg, August 2001. http://www.csj-norden. lu/csjdokutheik/grengenzentrum2.pdf die Nordstad zur Notwendigkeit. Jeder schulstandorten nachteilig auswirken 12 http://sentier.nordstad.org/ kleine Schritt in diese Richtung wird man wird und deshalb so genannte „structures 13 17 http://www.wort.lu/pdf/Bibliotheken/DiekirchRegio- als großes visionäres Ereignis zu feiern relais“ vorschlägt? nalarchiv.pdf wissen, selbst wenn es sich dabei ledig- 14 Der Masterplan ist auf der offiziellen Nordstad- lich um die Aufarbeitung von Versäum- Dem unbeteiligten Beobachter zeigt sich Internetseite www.nordstad.lu dokumentiert. nissen aus der nahen Vergangenheit han- heute ein ambivalentes Bild: Nach 35 15 Rapport de la commission spéciale Réorganisation delt, wie etwa beim Nordstadlycée, das Jahren gibt es heute eine konsensfähige territoriale du Luxembourg (19.6.2008). Doc. parl. 5890. 16 Ein Teil des Geländes wird bereits heute vom Lycée im Herbst 2007 an einem provisorischen Zukunftsrhetorik, aber die Mühen der Ebene stehen den Akteuren noch bevor, technique pour professions éducatives et sociales ge- Standort seinen Betrieb aufnahm. nutzt und soll demnächst das Neie Lycée beherbergen. um einen mehr als ehrgeizigen Plan 17 Cadre de référence stratégique national, Objectifs Folgt man dem jüngsten Bericht der umzusetzen, der schnell von anderen « Compétitivité régionale et emploi » et « Coopération Parlamentskommission zur Territorial- Entwicklungen auf der Landesebene ein- territoriale européenne » 2007-2013 (8 octobre 2007) reform15, so wird eine „communauté ur- geholt werden könnte, etwa die Lage der www.eco.public.lu 18 baine“ Nordstad das nun beabsichtigte öffentlichen Finanzen. In den vergange- Ettelbrück im Jahr 2007 und Diekirch 1998. 19 In der Tat waren 1851 Diekirch und Ettelbrück die interkommunale Syndikat ablösen. Er- nen 35 Jahren haben Hesperingen, Kayl zweit- und drittgrößte Ortschaft im damals noch jungen staunlich, dass sie weniger Kompetenzen und Sanem die Städte Ettelbrück und Großherzogtum.