Gerhard Bronner Kabarettist Und Autor Im Gespräch Mit Christoph Lindenmeyer
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BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/alpha/forum/vor0409/20040913.shtml Sendung vom 13.09.2004, 20.15 Uhr Gerhard Bronner Kabarettist und Autor im Gespräch mit Christoph Lindenmeyer Lindenmeyer: Herzlich willkommen, meine Damen und Herren, zu einer neuen Ausgabe von Alpha-Forum. Gastgeber bin ich heute in einem Hotel in München- Bogenhausen und mein Gast, Gerhard Bronner, ist ein Gast, der Hotels auf der ganzen Welt von innen kennt: Er ist weit gereist, halb ein Amerikaner, halb ein Österreicher, ein bisschen beides, dennoch ein Weltbürger. Ich freue mich, dass Sie heute kommen konnten. Schon bei Ihrem Beruf beginnt für mich ein gewisses Problem: Sie hatten nämlich viele Berufe. Bronner: Zu viele. Lindenmeyer: Und Sie haben sie noch: Sie sind Autor, Sie sind Komponist, Sie haben gesungen... Bronner: "Gesungen" ist übertrieben. Lindenmeyer: Sie haben moderiert und Sie waren Fernsehregisseur. Sie haben vor einigen Jahren ein wunderschönes Buch verfasst, das jetzt in einer Neuauflage im Amalthea Verlag herauskommt. Es trägt den Titel "Tränen gelacht" und ist ein Buch über den jüdischen Humor. In diesem Buch schreiben Sie noch vor dem Vorwort einen wunderbaren Satz: "Moses gab uns das Gesetz, Rabbi Jehoshua von Nazareth gab uns die Liebe, Karl Marx gab uns das soziale Gewissen, Freud gab uns die Selbsterkenntnis und Einstein sagte, alles ist relativ." Ist diese Art der Relativitätstheorie vielleicht auch ein Motto für Ihr Leben? Bronner: Ja, wahrscheinlich. Ich bin daraufgekommen, dass man sich auf nichts verlassen kann. Man muss alles relativieren zu dem, was gerade passiert. Das ist nicht immer leicht, das ist nicht immer angenehm, aber ich glaube, es ist notwendig. Man kann das auch primitiver ausdrücken: Man muss sich nach der Decke strecken können. Lindenmeyer: Das haben Sie bereits sehr früh getan, nämlich in Ihrer Jugend. Sie stammen aus einem Elternhaus in Wien-Favoriten, einem jüdischen Elternhaus... Bronner: Ich glaube, wir sollten hier kurz erklären, was Favoriten ist. Lindenmeyer: Ein Arbeiterviertel in Wien. Bronner: Ja, man kann sagen, ein Proletenviertel. Das war es zumindest in meiner Zeit. Lindenmeyer: Und auch stark geprägt durch Böhmen. Bronner: Ja, die Böhmen waren ein integrierender Bestandteil von Favoriten. Das kam nämlich daher, dass die Böhmen und Mähren als Gastarbeiter nach Wien geschleift worden waren, um dort die Ringstraße zu erbauen. Viele davon sind dabei umgekommen und die Überlebenden haben sich dann eben im Süden Wiens angesiedelt, haben selbstverständlich auch Nachkommen bekommen. Und einige dieser Nachkommen haben sogar Karriere gemacht: Drei davon wurden Bürgermeister, zwei wurden Bundespräsidenten, das ist doch sehr beachtlich. Wenn man das auf heute relativiert, dann kommt man drauf, dass in ungefähr 50 bis 60 Jahren einer der Bürgermeister von Wien einen türkischen Namen haben müsste. Das klingt heute etwas abwegig, aber genauso abwegig war es früher zu behaupten, dass diese Nachkommen der Böhmen eines Tages Bürgermeister bzw. Staatsoberhaupt werden würden. Das nennt man Assimilation. Es gibt Leute, die das hassen, die hier von "Unvolk" und weiteren Blödheiten sprechen. Ich jedoch halte das für eine ganz normale Entwicklung, denn wenn die Wiener immer nur auf sich selbst angewiesen gewesen wären, würde Wien sehr traurig aussehen. Lindenmeyer: Ihre Familie war ja jüdisch, aber nicht sehr religiös. Bronner: Meine Mutter glaubte zwar, religiös zu sein, aber in Wirklichkeit war sie nur abergläubisch. Mein Vater, sofern er überhaupt eine Religion hatte, war es die Sozialdemokratie: An die hat er innig geglaubt – bis an sein Lebensende. Das war aber eine Religion, die ihm selbst auf die Dauer mehr geschadet als genützt hat. Ich glaube, dass die Sozialdemokratie als Geschichtsfaktor eine ziemlich wichtige Angelegenheit war. Ob sie es heute noch ist, wage ich nicht zu behaupten. Das werden spätere Historiker feststellen können. Lindenmeyer: Sie relativieren schon wieder. Bronner: Ja, ich bin's gewohnt. Wissen Sie, als die Sozialdemokratische Partei gegründet wurde, haben sie sich gewisse Ziele gesteckt. Diese Ziele sind schon längst erreicht worden, z. T. sogar weit über das hinaus, was man sich damals vorgenommen hat. Es sind jedoch bis heute noch keine neuen Ziele gefunden worden. Das ist ja überhaupt das Problem der meisten heutigen Parteien: All ihre Ideologien stammen aus dem 19. Jahrhundert. Die wenigsten politischen Parteien – vielleicht mit der möglichen Ausnahme der Grünen – sind in der Lage gewesen, ihre Ideologien auf die heutigen Notwendigkeiten umzustellen. Warum sind die Grünen eine Ausnahme? Was sie politisch und wirtschaftlich wollen oder können, das kann ich nicht beurteilen, denn so weit habe ich mich mit deren Ideologie nicht auseinander gesetzt. Aber dass die Umwelt geschont bzw. gerettet werden muss, das ist meiner Meinung nach ein Dogma, an das ich viel eher glaube als an die Unbefleckte Empfängnis oder dass die Juden trockenen Fußes durchs Rote Meer geschritten sind und weitere solche Blödheiten. Dazu hat man sich jedoch noch nicht durchgerungen, nämlich eine Ideologie für das 21. Jahrhundert zu finden. Lindenmeyer: Sie sagen, Ihr Vater habe ein Leben lang an die Sozialdemokratie geglaubt. Ihre Familie war überhaupt sehr stark sozialdemokratisch geprägt. Ihr älterer Bruder, der Sie erzogen hat, hat Sie wohl schon relativ früh politisch sozialisiert, überzeugt oder wie auch immer ich das ausdrücken soll. Bronner: Das lag ganz einfach daran, dass sich meine Eltern keinen Kindergarten leisten konnten. Lindenmeyer: Ihr Vater war Tapezierer. Bronner: Ja, und meine Mutter war Näherin. Mein Bruder hat mich dann damals zu den so genannten "Roten Falken" gesteckt: Das war eine sozialistische Ausgabe der Pfadfinder. Weil wir eben keinen Kindergarten bezahlen konnten, war ich halt bei den "Roten Falken". Und bis zum heutigen Tag ist es so, dass, wann immer ich mit einem politischen Problem konfrontiert werde, meine erste spontane Reaktion die sozialdemokratische ist. Erst dann, wenn ich noch einmal darüber nachdenke, kann es passieren, dass ich drauf komme, vielleicht haben die Sozialdemokraten in diesem besonderen Fall doch nicht ganz Recht. Man muss dann eben seine Meinung revidieren können. Das ist etwas, was die wenigsten Sozialdemokraten bereit sind zu tun. Lindenmeyer: Aber Ihr Verhältnis zu den damaligen österreichischen Sozialdemokraten ist heute in der Rückerinnerung nicht mehr von so etwas wie Hassliebe geprägt, sondern von einem gewissen Abstand, von einer Verklärung. Bronner: Ja, absolut. Und das fiel mir umso leichter, da der nachmalige Bundeskanzler Bruno Kreisky ein Freund meines älteren Bruders gewesen ist. Sie sind nämlich miteinander in die Schule gegangen. Er war sehr oft bei uns zu Hause, der Kreisky. Er hat mir damals ein Gedicht beigebracht, das ich hier zitieren möchte: "Ich bin kein Jud, ich bin kein Christ, ich bin ein kleiner Sozialist." Als ich das meiner Mutter aufgesagt habe, war sie entsetzt. Sie hat gemeint: "Versündige dich nicht!" Mein Vater hat es sehr komisch aufgenommen – und ich eigentlich auch. Lindenmeyer: Ihr älterer Bruder hat Sie erzogen, aber er ist dann später genauso wie Ihr Vater in ein Konzentrationslager, nämlich nach Dachau gekommen. Bronner: Richtig. Lindenmeyer: Und Ihr jüngerer Bruder war damals bereits bei Straßenkämpfen in Wien umgekommen. Bronner: Entschuldigung, das war der älteste Bruder. Lindenmeyer: Er kam jedenfalls bei Straßenkämpfen ums Leben. Bronner: Ja, das war 1934. Lindenmeyer: Erinnern Sie sich noch an den Tag, als die Nachricht kam, dass der ältere Bruder tot ist? Bronner: Natürlich erinnere ich mich daran, sogar sehr genau. Das war eine wirkliche Tragik, einerseits. Andererseits wussten wir, dass er ungefähr zwei Wochen lang Höllenqualen unter einer tuberkulösen Hirnhautentzündung litt, die er bekommen hatte. Die Ärzte haben uns gesagt: "Wenn er jemals gesund werden sollte, dann wird sich sein Hirn davon nie wieder erholen." Wir mussten also damit rechnen, dass er dann, wenn er diese Hirnhautentzündung übersteht, geistig gestört bleiben wird. Was tut man in so einem Fall? Will man ein geistig gestörtes Mitglied der Familie haben oder will man ein Ende mit Schrecken haben? Das war eines dieser furchtbaren Dilemmas, die wir damals durchschreiten mussten. Ich war zu der Zeit ein kleiner Bub, ich habe das also noch nicht so richtig begriffe. Ich war erst zwölf Jahre alt. Aber für meine Eltern war das natürlich etwas Furchtbares: Soll man auf eine Genesung hoffen oder soll man hoffen, dass er gnädig sterben darf? Er ist dann gestorben. Lindenmeyer: Würden Sie denn heute sagen, dass Sie damals eine besonders harte Kindheit hatten in Wien? Bronner: Ja, das würde ich heute sagen, aber damals ist mir das natürlich noch nicht bewusst gewesen. Denn ich kannte ja keine anderen Menschen, die eine andere Art von Kindheit gehabt hätten. Es war damals eine Selbstverständlichkeit, dass man Hunger hatte, dass man immer zu wenig Geld hatte, dass man sich all das, was man gerne gehabt hätte, nicht leisten konnte. Andere Menschen kannte ich nicht. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an einen sehr prägnanten Ausspruch eines Geschäftsfreundes meines Vaters. Ich hörte ihn nämlich eines Tages in seiner Werkstatt sagen: "Die einzigen, die heut noch was zum Fressen haben, sind die Delikatessenhändler, die können wenigstens das auffressen, was sie nicht verkauft haben!" Das war eine Art Lebensmotto damals. Und es hatte natürlich zur Folge, dass ich auch Delikatessenhändler werden wollte –