Musikalische Praxis Als Lebensform
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Eva-Maria Houben Musikalische Praxis als Lebensform Musik und Klangkultur | Band 27 Eva-Maria Houben (Prof. Dr. phil.), geb. 1955, lehrt Musikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Musiktheorie an der TU Dortmund. Sie ist auch als Komponis- tin, Organistin und Pianistin tätig. Eva-Maria Houben Musikalische Praxis als Lebensform Sinnfindung und Wirklichkeitserfahrung beim Musizieren Die frei zugängliche digitale Publikation wurde ermöglicht mit Mitteln des BMBF-Projektes OGeSoMo der Universitätsbibliothek Duisburg-Essen. In die- sem Projekt wird Open Access für geistes- und sozialwissenschaftliche Mono- grafien gefördert und untersucht. Informationen und Ergebnisse finden Sie unter https://www.uni-due.de/ogesomo. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deut- schen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 Lizenz (BY-SA). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell, sofern der neu ent- standene Text unter derselben Lizenz wie das Original verbreitet wird. (Lizenz-Text: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de) Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellen- angabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. wei- tere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber. Erschienen 2018 im transcript Verlag, Bielefeld © Eva-Maria Houben Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: mekcar / fotolia.com Satz: Justine Buri, Bielefeld Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar Print-ISBN 978-3-8376-4199-8 PDF-ISBN 978-3-8394-4199-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected] Inhalt Vorwort | 9 ERSTER TEIL 1. Zugänge | 15 1.1 Eine musikalische Situation: Tun und Geschehen-Lassen | 15 1.2 Musik – wozu? Angesichts | 17 1.3 (Er-)Finden von Praktiken | 20 1.4 Üben: Exercises | 27 1.5 Brauchbar? Notation und Wirklichkeit der Ausführung | 33 2. Musikalische Praxis | 37 2.1 Annäherung an den Begriff. Brennpunkte, Schnittmengen | 37 2.2 Sinn und Bedeutung | 47 2.3 Wirklichkeiten? – Welten? | 60 2.4 Sprechen, Rede, Redeweise | 66 3. Sprachfindungen | 73 3.1 Intersubjektive Sinngebungen – Sinnzusammenhänge (Alfred Schütz) | 73 3.2 Verkörperungen (Simone Mahrenholz) | 86 3.3 Grenzen, Schwellen – und Übergänge | 98 ZWEITER TEIL 1. Tasten | 111 1.1 Ludwig van Beethoven: Klaviersonate Nr. 32 c-moll op. 111, 1. Satz (Maestoso. Allegro con brio ed appassionato) (1821/22). Einzelereignisse – Desorientierung. Neuorientierung? | 113 1.2 Johann Sebastian Bach: Fantasia in g für Orgel BWV 542 (um 1720). Historische Positionierung: handgreiflich | 117 1.3 Frédéric Chopin: Prélude Nr. 2 a-moll, aus: 24 Préludes op. 28 (publ. 1839). Zärtliche Verbindungen in verstörendem Kontext: der zweihändige Pianist | 123 1.4 Aurèle Stroë: 3ème Sonate pour Piano (en palimpseste) (1947/1957/1990-1991). Brüche – das Klavier als Trommel. Raumgreifende Bewegungen | 125 1.5 Robert Schumann: Kreisleriana. Fantasien für Piano-Forte op. 16 (1838; rev. 1850). Praxis körperlichen Zeigens: Alles auf einmal | 133 1.6 Luigi Nono: …..sofferte onde serene… per pianoforte e nastro magnetico (1976). Pulsationen: Lebenszeichen. Tasten als Verlängerungen des Körpers, der Finger | 137 2. Viele | 139 2.1 Anton Webern: Fünf Stücke für Orchester op. 10, I (1911-1913) – Christian Wolff: For 1, 2 or 3 people (1964). Allein, zu zweit, zu mehreren im Gruppenverbund (1) | 140 2.2 Wolfgang Amadeus Mozart: Serenade in B (»Gran Partita«) (KV 361), Largo/Molto allegro – Adagio (vermutlich 1783-84). Allein, zu zweit, zu mehreren im Gruppenverbund (2) | 145 2.3 Ludwig van Beethoven: Symphonie Nr. 5 c-moll op. 67 (UA 22.12.1808). Einzelner und Gruppenverbund: das Recht, in Erscheinung zu treten – die Verheißung und die Herausforderung des Wir | 149 2.4 John Cage: Music for (1984-87). Koinzidenz. Gemeinsame Erfahrung eines Wir als Auch-da-Sein | 159 3. Solo | 163 3.1 Claude Debussy: Syrinx pour flûte seule (1913) – Anastassis Philippakopoulos: song 6 for bass flute or alto flute or flute (2010). Sich-selbst-Zuhören – Atembögen – das abwesende Du | 164 3.2 Johann Jacob Froberger: Lamentation (Partita in C; FbWV 612) (1654) – Meditation (Partita in D; FbWV 620) (1660). Nachhören – »avec discrétion« | 168 3.3 Istvàn Zelenka: »The trumpet shall sound!« – Stillstück für einen Violoncellisten, mit gleichzeitigen Umweltklängen und ohne Publikum (1990). Beschäftigung »per se« – im offenen Raum | 174 3.4 Antoine Beuger: pour être seul(e), sans réserve für klavier (2009). Allein-Sein: sich verlieren, sich verloren geben | 177 4. Duo | 179 4.1 Federico Mompou: Cantar del Alma. Pour Piano et Chant (1951). Text: Saint Jean de la Croix. Getrennt-Sein in der Liebe | 180 4.2 Jürg Frey: Buch der Räume und Zeiten für zwei Ausführende (1999) – Jürg Frey: Ohne Titel (Zwei Violinen) (1995/96). Auch-da-Sein – nicht identifizierbare Differenz | 183 4.3 Ludwig van Beethoven: Violinsonate Nr. 10 G-Dur op. 96, 2. Satz (Adagio espressivo) (1812). Aufeinander-zu-Gehen. Näherungen | 188 5. Trio | 191 5.1 Franz Schubert: Trio in Es D 929 op. 100, 2. Satz (Andante con moto) (1827). Unterschiedliche Schicksale – gemeinsam | 191 5.2 Arnold Schönberg: Streichtrio op. 45 (1946). Trio-Körper in Pulsation: drei Körper sein, ein Körper werden. Ein Körper bleiben? | 196 5.3 Mathias Spahlinger: 128 erfüllte augenblicke. systematisch geordnet, variabel zu spielen. für stimme, klarinette und violoncello (1975). Kontinuität als Utopie. Werden von (je eigenen) Ordnungen | 198 6. Quartett | 203 6.1 Ludwig van Beethoven: Streichquartett Nr. 10 Es-Dur op. 74 (»Harfenquartett«), 1. Satz, Einleitung Poco Adagio (1809). Aufeinander-angewiesen-Sein in Freiheit | 204 6.2 Helmut Lachenmann: Gran Torso. Musik für Streichquartett (1971/72; rev. 1978). In-Erscheinung-Treten im Freien | 208 7. Über Grenzen hinaus | 213 7.1 Risiko? Hans-Joachim Hespos: seiltanz. szenisches abenteuer (1982) | 214 7.2 Virtuosität? Franz Liszt: Etudes d’exécution transcendante (1826, 1838, 1851) | 217 7.3 Unvorhersehbarkeit? Karlheinz Stockhausen: Spiral für einen Solisten (1968) | 221 8. In der »Arche des Augenblicks« | 223 Werkeverzeichnis | 225 Literatur | 231 Vorwort Musik – wozu? »Es wird Klang gegeben. Es gibt Klang, es gibt Klänge. Es wird still. Das ist alles, was ich auf die Frage nach dem Wozu von Komposition zu sagen weiß.«1 Mit der Frage nach der »Musikalischen Praxis als Lebensform« wird der Ak- zent auf das Tun der Ausführenden verlagert; es sind weniger die Komponis- ten, auch weniger die Zuhörer, als vielmehr die Ausführenden, die in diese Situation des Hörens hineingestellt werden: eine Situation des Tuns und Ge- schehen-Lassens.2 Als Ausführender bin ich zugleich auch Hörer; und Hören kann einerseits ein (aktives) Tun sein, widerfährt einem aber auch, stößt einem auch zu. Wenn vom Musizieren oder von der Ausführung gesprochen wird, kommt leicht das Tun der Ausführenden allein in den Blick. Sobald aber Stille mit ins Spiel kommt (und nicht nur dann – aber in stillen Momenten wird es womöglich öfter offensichtlich), spitzt sich die Situation des Miteinander-Da- Seins, des Für-Sich-Da-Seins zu. Ich kann mich als Ausführender zwischen Tun und Geschehen-Lassen begeben; kann die Erfahrung machen, dass ich nicht alles im Griff haben muss – und es auch nicht kann. Die Situation öffnet sich für Geschehen und Teilhabe. Die Ausführenden spielen nicht nur ein Instrument oder singen nicht nur, sie setzen sich zugleich auch einer Situation aus – einer Situation in einem be- stimmten Raum, an einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Beziehung zu anderen Mitspielern, zu Personen auch, die an- oder abwesend sein können. Istvàn Zelenka macht eine spezifische Haltung der Ausführenden aus: »Der ›Musiker‹ soll mit der gleichen Intensität sein Instrument zum Klin- gen bringen und seiner Umwelt zuhören, sie betrachten. Diese Aktionsfolge (Komposition) soll das aufmerksame Betrachten, das intensive Zuhören und 1 | E.-M. Houben: Hector Berlioz, S. 188. 2 | Im folgenden Text wird weitgehend die maskuline grammatische Form verwendet. Das geschieht aus Gründen der besseren Lesbarkeit. 10 Musikalische Praxis als Lebensform die unermüdlich Fragen stellende Reflexion friedlich fördern.«3 Ausführung umfasst hier vielerlei Arten von Aktivitäten. Nicht-Handeln wird ebenso wichtig wie hörbares und/oder sichtbares Han- deln. Stille (und mit Stille den verschwindenden Klang) einzulassen, bedeutet, sich auch dem auszusetzen, was jetzt und hier, in dieser Situation, geschehen oder passieren kann. Antoine Beuger verweist auf den Zusammenhang zwi- schen Stille und Ereignis: Stille als Ruhe vor dem Sturm oder auch nach dem Sturm.4 Er unterscheidet zwischen »Sein« und »Stattfinden«: Ein Ereignis fin- det statt – danach sind die Dinge anders als zuvor: »such a difference can be life changing or of historical significance.« Diese Andersheit kann große Resonan- zen auslösen: kann ein individuelles Leben ändern oder auch von historischer Tragweite