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Corona Magazine 2/2019

Der Verlag in Farbe und Bunt BESCHREIBUNG & IMPRESSUM

Das Corona Magazine ist ein traditionsreiches und nicht- kommerzielles Online-Projekt, das seit 1997 die Freunde von Science-Fiction, Phantastik und guter Unterhaltung mit Informationen und Hintergründen, Analysen und Kommen- taren versorgt.

Seit dem Wechsel des Projekts zum Verlag in Farbe und Bunt im Herbst 2014 erscheint es im zeitgemäßen E-Book- Gewand.

Redaktion Uwe Anton, Reiner Krauss, Bettina Petrik, Thorsten Walch, Reinhard Prahl, Alexandra Trinley, Oliver Koch, Lieven L. Litaer, Birgit Schwenger, Sven Wedekin, Kai Melhorn, Armin Rößler, Rüdiger Schäfer, Anna Pyzalski, Sharine Jansen, C. R. Schmidt, Bernd Perplies

Chefredakteur Medienjournalist & Autor Björn Sülter schreibt Romane (Be- yond Berlin, Ein Fall für die Patchwork Kids) & Sachbücher (Es lebe Star Trek), ist Experte für SYFY und mit Kolumnen und Artikeln bei Quotenmeter, Serienjunkies, in der GEEK! oder im FedCon Insider vertreten.

Dazu präsentiert er seinen beliebten Podcast Planet Trek fm und ist als Hörbuchsprecher und Moderator aktiv. Er lebt mit Frau, Tochter, Pferden, Hunden & Katze auf einem Bauernhof irgendwo im Nirgendwo Schleswig-Holsteins.

2 Ausgabe #347, Februar 2019 1. Auflage, 2019 ISBN 978-3-95936-154-5 © Februar 2019 / Alle Rechte vorbehalten

Der Verlag in Farbe und Bunt Gneisenaustraße 103 45472 Mülheim an der Ruhr

Herausgeber | Mike Hillenbrand Chefredakteur | Björn Sülter Layout, E-Book-Satz & Cover | Björn Sülter

Corona Webseiten | www.corona-magazine.de Kontakt | [email protected]

3 +49 (0) 201 / 36 03 68 01 [email protected] http://www.ifub-verlag.de/ https://www.ifubshop.com/

4 VORWORT

Liebe Leserinnen und Leser, das neue Jahr ist bereits mächtig durchgestartet und hat uns in allen Bereichen der Phantastik mit neuem Futter versorgt.

Als spannend empfinde ich aktuell die neu aufgeflammte Diskussion über die Qualität von Star Trek: Discovery, sowie die Vergleiche mit Formaten wie The Orville und The Expan- se. Aus diesem Grund befasst sich auch unser Thorsten Walch im Thema des Monats mit diesen Fragen.

Meine Meinung ist: Es spielt keine Rolle, wer den längsten Überlichtantrieb besitzt (um mal im schönen Bild meines Kollegen zu bleiben). Es ist vielmehr ein wunderbares Zei- chen für uns Nerds, dass es aktuell dermaßen viel qualitativ hochwertig produzierte SF im TV gibt!

Zusammen mit den großen Playern im Kinobereich (Marvel, DC, Disney) und all den phantastischen Stoffen im Literatur-,

5 Hörbuch-, Hörspiel- und Spielbereich sowie darüber hinaus, bleiben aktuell doch wirklich keine Wünsche offen, oder?

Genießen wir also gemeinsam die Vielfalt und sparen uns doch einfach die kleinkarierten Scharmützel. Solange für jeden etwas dabei ist, fällt es eigentlich ziemlich leicht, das alte James-Bond-Motto zu bemühen: Leben und leben lassen!

Und nun wünsche ich Ihnen viel Freude an der aktuellen Ausgabe des Corona Magazine, die unsere Redaktion wie immer mit viel Herzblut für sie vorbereitet hat.

Ihr Björn Sülter Chefredakteur

6 TERMINE – TREFFEN SIE UNS!

Sie treffen den Verlag in Farbe und Bunt und das Corona Magazine in den kommenden Monaten auf folgenden Ver- anstaltungen an:

30. März 2019, Starbase Charity Con, Osnabrück

Geschäftsführer & Herausgeber Mike Hillenbrand und Chef- redakteur & Verlagsleiter Björn Sülter sind als Gäste geladen und werden den Verlag und das Corona Magazine vertreten sowie Lesungen abhalten.

Björn Sülter liest aus »Es lebe Star Trek«.

4./5. Mai 2019, UniCon, Kiel

Chefredakteur und Verlagsleiter Björn Sülter ist mit dem Verlagsstand vertreten und wird von Autoren begleitet.

Jannika Hauch liest aus »Unter der Sonne«.

6.-10. Juni 2019, FedCon, Bonn

Chefredakteur und Verlagsleiter Björn Sülter ist mit einem Stand vertreten und wird von Autoren & Redakteuren begleitet.

Björn Sülter liest aus »Es lebe Star Trek« und »Beyond Berlin«.

7 TIPPS FÜRS LESEVERGNÜGEN

Ich habe gar keinen eBook-Reader« ist eine häufig gehörte Aussage, wenn es darum geht warum ein phantastisch interessierter Mensch noch kein neues Corona Magazine gesehen und gelesen hat.

Beispielsweise sind Kindle Paperwhite und Tolino tolle eBook-Reader, sie können tausende von Büchern in einem schmalen, robusten Gerät mitnehmen und dank mattem eInk-Display und dezenter Hintergrundbeleuchtung sowohl in der Sonne am Strand als auch abends, ohne Taschen- lampe, im Bett lesen.

Jede Ausgabe ihres Corona Magazines kann ganz selbstver- ständlich auch auf ihrem Smartphone, iPhone oder Compu- ter geschaut und gelesen werden. Hier haben sie gar die volle Farbkraft unserer Bilder in den Beiträgen.

Wie das geht? Amazon-Kunden installieren sich idealer- weise die Kindle-App oder schauen im Browser selbst, genau wie beim Tolino webreader. Windows 10 Nutzer

8 können gar ein lokales eBook ganz einfach mit dem integ- rierten Edge-Browser öffnen.

Schauen sie uns somit in Zukunft auf vielen Geräten und sagen sie es allen weiter, die noch nicht wussten wie sie uns lesen können und freuen sie sich somit auf ein Magazin von und in »Farbe und Bunt«.

Kindle-App für Windows und iOS https://www.amazon.de/kindle-dbs/fd/kcp

Tolino webReader https://mytolino.de/tolino-webreader-ebooks-online-lesen/

9 Ihr Reiner Krauss Autor und eBook-Gestaltung

10 PODCAST

Ab sofort hat das Corona Magazine einen eigenen Podcast: Deep Inside mit Joshua Hillenbrand.

Die erste Ausgabe ist bereits online.

Via Soundcloud: https://soundcloud.com/user-104747826

Via RSS-Feed: http://feeds.soundcloud.com/users/sound- cloud:users:521030382/sounds.rss

11 THEMA DES MONATS

Discovery vs Orville – Wer hat den längsten ... Überlichtantrieb?

von Thorsten Walch

Na endlich: Es gibt – eigentlich schon seit Herbst 2017 – wieder einen Zankapfel für streitlustige Science-Fiction-Fans, die ja im Fandom recht zahlreich vertreten zu sein scheinen.

Bis vor einiger Zeit war zumindest hier und da noch Star Wars der Stein des Anstoßes für viele Trekkies, auch »Trekker« oder schlicht »Star Trek-Fans« genannt. Da wurde gern eine geradezu beispiellose Feindschaft zwischen den beiden Fan-Gruppen herbeigeredet, die sich allerdings nur sehr bedingt als tatsächlich existent erwies. Und nachdem Star Trek-Erneuerer J. J. Abrams die Regie von Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht übernommen hatte und der Film ebenso zwiespältig von der Fan-Gemeinde

12 aufgenommen worden war wie einst 2009 das Star Trek-Reboot, war es ohnehin verdächtig ruhig geworden bei den »Besser als/schlechter als«-Verfechtern.

Satte 20 Jahre war 2018 das Ende der letzten vergleichbaren Fehde da bereits her gewesen: 1998 war Babylon 5 nach fünf Staffeln eingestellt worden. Seither war nur noch Star Wars als Auslöser für entsprechende Reibungen verblieben ... jedenfalls solange, bis eben Abrams kam.

Und nun ist es mit dem Burgfrieden wieder einmal vorbei. Zu verdanken ist das diesmal Seth MacFarlane.

Das bessere Star Trek, das gar keins ist

»Seth Mac... wer?«, fragen viele Star-Trek-Fans aus der genannten, äußerst speziellen Diskutier-Fraktion nicht ohne Trotz, wenn dieser Name fällt.

Dabei müssten es zumindest die »Treksperten« unter ihnen besser wissen: Der 1973 geborene Drehbuchautor, Filmproduzent, Regisseur, Sänger, Komiker, Synchronsprecher und Schauspieler, der unter anderen die bissigen Zeichentrickserien Family Guy und American Dad erdachte (und auch teilweise selbst stimmlich untermalte), ist seit seiner frühen Kindheit ein großer Star Trek-Fan. Als Fähnrich Rivers hatte er in den Jahren 2003 und 2004 sogar Gastauftritte in den Episoden Die Vergessenen und Die Heimsuchung der dritten bzw. vierten Staffel von Star Trek: Enterprise. Betrachtet man die kultische Verehrung, mit der so mancher Star Trek-Fan auch Statisten aus seinem Lieblings-Universum bedenkt, klingt die »Seth Mac... wer?«-Frage doch ziemlich scheinheilig.

13 Aber andere Statisten haben natürlich nicht das gewagt, was sich MacFarlane erlaubt hat: mit Star Trek zu konkurrieren nämlich. Oder zu behaupten, mit ihrer Konkurrenz als erstes da gewesen zu sein ... und, am Allerschlimmsten, damit auch noch Recht zu haben.

Copyright: FOX

Exakt 14 Tage vor der Erstveröffentlichung der (aktuell noch) neuesten Star Trek-TV-Inkarnation Star Trek: Discovery am 24. September 2017 auf CBS All Access in den USA, feierte nämlich die Serie The Orville auf Fox Premiere. Wer gut rechnen kann, weiß, dass die Rede vom 10. September ist.

Bei der deutschen Produktion Raumpatrouille – Die phantastischen Abenteuer des Raumschiffes Orion hatte man ziemlich genau 51 Jahre zuvor wenigstens den Anstand besessen, sie erst neun Tage nach dem Start der ersten Folge der klassischen Originalserie Raumschiff Enterprise zu zeigen. Nicht so bei Orville.

Und ab hier wird das Ganze interessant, um nicht zu sagen skurril.

14 Da war im Vorfeld einer neuen Star Trek-Produktion plötzlich noch eine andere Serie am Start, die viele vertraute Komponenten beinhaltete, wenngleich sie diese zu variieren verstand. Es gab nicht wenige Star Trek-Fans, die bereits nach der ersten Episode einen regelrechten Freudentaumel erlebten.

Der Weltraum ... unendliche Weiten. Wir schreiben das Jahr 2418. Dies sind die Abenteuer des Raumschiffs Orville, das eine nicht näher bezeichnete Zeitspanne lang unterwegs ist, um fremde Welten zu entdecken, neues Leben und neue Zivilisationen ...

Der Geist des Verfassers dieser Kolumne ist gerade erfüllt von so viel Zähneknirschen, dass er die Fortsetzung dieses Prologs lieber unter den Tisch fallen lässt. Übrigens kommt dieser in der Serie definitiv nicht vor, und falls jemand eine andere Meinung hat, ist er vielleicht gerade dem Mandela-Effekt erlegen (der eine völlig andere Geschichte ist).

Auch Orville schildert jedenfalls eine farbenfrohe Zukunftswelt, in der die Menschheit und die mit ihr verbündeten außerirdischen Spezies Kriege, Hungersnöte und Rassenkonflikte zumindest weitestgehend hinter sich gelassen haben, um die Galaxis zu erforschen. Dies geschieht mit Hilfe der 3.000 überlichtschnellen stromlinienförmigen Raumschiffe der »Planetarischen Union«, zu der sich besagte Völker zusammengeschlossen haben. Eins davon ist die besagte Orville, die zumindest in der deutschen Fassung der Serie schon mal tatsächlich ein »U.S.S.« vorangestellt bekommt.

Captain Ed Mercer (MacFarlane höchstselbst) ist der Kommandant der Orville. Leider hat er sich ein Jahr zuvor

15 von seiner Ehefrau Kelly Grayson (Adrianne Palicki) getrennt, nachdem er sie in flagranti bei Paarungs-Aktivitäten mit dem blauhäutigen Retepsianer Darulio (gespielt vom früheren Mädchenschwarm Rob Lowe) erwischt hat. Unglücklicherweise lässt sich Grayson kurz nach Mercers Kommandoübernahme als dessen neuer Erster Offizier auf die Orville versetzen.

Ansonsten gehören die Bordärztin Dr. Claire Finn (Penny Johnson Jerald, die bereits bei Star Trek: Deep Space Nine dabei war), alleinerziehende Mutter zweier Söhne, und Mercers alter Akademie-Kumpel Lt. Gordon Malloy (Scott Grimes) als Steuermann zur Brückencrew. Genauso wie Hipster Lt. Cmdr. John LaMarr (Musiker J. Lee) als Navigator, der zu der nur aus Männern bestehenden Alien-Rasse der Moclaner gehörende Lt. Cmdr. Bortus (Peter Macon) als Zweiter Offizier, und die superstarke Xelayanerin Lt. Alara Kitan (Halston Sage) als Sicherheitsoffizierin. Als Wissenschaftsoffizier kommt noch der vom Planeten Kaylon stammende Androide Isaac (Mark Jackson) dazu. Yaphit (Norm MacDonald) vom Volke der gallertartigen Gelee hingegen tut als Ingenieur seinen Dienst im Maschinenraum unter Chefingenieur Steve Newton (Larry Joe Campbell).

So weit, so gut

Bereits in der Pilotepisode wird deutlich, was sicher als Vorbild für Orville herhalten musste: Die bonbonfarbene Farbgebung und der gesamte Stil lassen an gewisse Fernsehserien aus den 1980er-Jahren denken. Um kein weiteres Öl ins Feuer zu gießen, lassen wir Vergleiche mit Raumschiffen mit dem Buchstaben »D« am Ende des Namens lieber weg (ups, schon passiert ...). Es sei jedoch angemerkt, dass MacFarlane ein bekennender Fan dieser

16 gewissen Serie ist und stilistische Anleihen möglicherweise nicht dem Zufall geschuldet sind.

Bei aller Orientierung an anderen Produktionen jedoch gibt es deutliche Unterschiede. Wer MacFarlanes andere Werke kennt, weiß, was gemeint ist. Ein gutes Beispiel ist seine Western-Satire A Million Ways to Die in the West, in der er eine Vorliebe für nicht gerade sensible Scherze präsentiert. Das geschieht bei Orville auch, etwa, wenn Malloy vorgeworfen wird, Raumschiff-Interieurs mit grafischen Darstellungen des männlichen Genitals verziert zu haben, oder wenn Yaphit Finn recht eindeutige Angebote macht. Aber Orville kann auch ziemlich ernst. So entpuppt sich etwa das aus einem Ei geschlüpfte Kind von Bortus und seinem Lebenspartner Klyden (Chad Coleman) als weiblich und erweist sich damit in den Augen von Moclanern als Missgeburt. Woraufhin sich die Orville-Crew mit der Frage auseinandersetzen muss, ob man die Kleine, ohne deren Meinung einholen zu können, geschlechtlich umwandeln darf oder nicht. Und Isaac wird nach einem Shuttle-Absturz auf einem atomar verseuchten Planeten mal eben zum Ersatzvater der beiden unmöglichen Söhne von Finn.

Discovery vs Orville

Zur selben Zeit, als die ersten Episoden der Konkurrenz erstmals im TV liefen, präsentierte CBS mit Discovery eine Serie, in der es nur äußerst selten etwas zu lachen gab und die auch ansonsten erheblich bedeutungsschwerer aufgezogen ist als die Konkurrenz von 20th Century Fox. Und so begann es.

Es dauerte kaum vier Wochen, bis es in den sozialen Netzwerken nur so von Kommentaren von Star Trek-Fans wimmelte, die über Orville herzogen und die Serie als

17 »dummdreiste Nachahmung« bezeichneten. Antworten von frischgebackenen »Orvis« ließen nicht lange auf sich warten, die entgegneten, dass ihre neue Lieblingsserie hundertmal mehr vom Geist des Gene Roddenberry transportiere als Discovery.

Derweil flog die U.S.S. Discovery erst mitten hinein in den Krieg gegen die Klingonen und danach ins Spiegeluniversum, während die »U.S.S.« (pfui!) Orville ein der Natur nachempfundenes Generationenraumschiff entdeckte, das einst von einem von Liam Neeson dargestellten Charakter geschaffen worden war. Und sich Charlize Theron als böser Zeitreisenden entgegenstellen musste.

Äußerste Genugtuung bereitete es den »Anti-Orvis« sicherlich, dass die Konkurrenz-Serie nicht ohne arge Schwankungen durch das Quotenrennen driftete. Dem Argument wurde entgegengehalten, dass es längst nicht so viele CBS All Access- und -Abonnenten gibt wie ganz alltägliche Fernsehzuschauer.

Wie so oft zerbrachen an dem erbitterten Konkurrenzkampf Freundschaften, wenngleich nicht wenige davon ausschließlich virtueller Natur gewesen sein dürften, während gegenseitig reichlich Gülle über die jeweiligen Tabernakel gegossen wurde. Glücklicherweise handelte es sich auch dabei lediglich um virtuelle.

Was bleibt, ist die Frage aller Fragen: Wieviel Star Trek steckt in Orville? Die Antwort ist enttäuschend einfach: kein bisschen. Weil Star Trek eben Star Trek ist, und The Orville ist The Orville.

Zugegeben, es haben bereits Star Trek-Veteranen wie André Bormanis und Brannon Braga in Sachen Produktion und

18 Regie an The Orville mitgearbeitet. Jonathan Frakes (William T. Riker in Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert) hat eine ganz besonders gelungene Episode inszeniert.

Robert Picardo, der Darsteller des Doktors in Star Trek: Raumschiff Voyager, hat in einer Folge den Vater von Kitan gespielt. Und angeblich ist Sir Patrick Stewart höchstpersönlich an einem Gastauftritt in Orville interessiert. Na und?

Der einstige Showrunner von Enterprise, Manny Coto, ist als Produzent an der neuen Staffel von American Horror Story beteiligt. Macht das diese Serie auch zu einem Star Trek-Nachäffer? Diese Leute machen nur ihren Job, und das bei Weitem nicht so verbiestert, wie viele Fans ihrer Produkte ihrer Freizeit-Leidenschaft frönen.

Orville zeigt dem Zuschauer eine Welt, die der von Star Trek ähnlich ist. Das schon. Das aber nicht, weil man unbedingt ein grandioses Original nachahmen möchte, sondern weil man sich so vor diesem verbeugt. Die Vorstellung einer Zukunftswelt ohne die Probleme der Gegenwart ist nun einmal verlockend und macht Hoffnung, vielleicht bis hin zum Bestreben eines so manchen Individuums, genau diese Art von Zukunft durch persönlichen Einsatz möglich zu machen.

Wer eher die andere mögliche Seite der Medaille sehen will, für den gibt es die ebenfalls sehr empfehlenswerten Serien The Expanse und Altered Carbon: Das Unsterblichkeitsprogramm. Zumindest im Fall der erstgenannten, sehr erfolgreichen Reihe verwundert es den Verfasser bis heute, dass es bisher keine Internetkampagne gegen derlei »Anti-Star Trek« gibt. Vielleicht ist ihm diese aber auch lediglich entgangen.

19 Das Universum ist groß, liebe Trekkies, Trekker, Orvis und Anti-Orvis. Mr. Spock hielt, zumindest in den Star Trek-Romanen, bekanntlich stets das »IDIC«- beziehungsweise »UMUK«-Prinzip hoch: Unbeschränkte Möglichkeiten in unbeschränkter Vielfalt. Es gibt nicht nur Platz für einen einzigen Serien-Kosmos.

Ja, Orville ist, neben anderen Aspekten, auch eine Hommage an das Star Trek vergangener Zeiten. Aber weder MacFarlane noch Bormanis haben je mit einem einzigen Wort erwähnt, dass sie »das bessere« oder »das andere« Star Trek zu machen gedenken.

Gut, Frakes hat das Ganze bei einem Convention-Auftritt einmal ein wenig durcheinandergewürfelt. Aber könnte das nicht reine Absicht gewesen sein, um die Wogen ein wenig zu glätten?

Warum freuen sich die Fans nicht einfach darüber, dass es neben echten neuen Star Trek-Produkten auch ein Kontrastprogramm gibt, das Star Trek recht ähnlich und doch etwas völlig anderes ist? Schließlich feierten anno 2000 auch und gerade Star Trek-Fans den Film Galaxy Quest – Planlos durchs Weltall ganz besonders. Manche sprachen damals sogar davon, der Film sei »weit mehr Star Trek« als das meiste, das damals unter dem Markennamen herausgebracht wurde.

Galaxy Quest hat Star Trek damals übrigens kein bisschen geschadet. Ebenso wenig wie es Orville heute tut.

Es ergeht abschließend folgender Rat insbesondere an die Leute, die noch immer die sozialen Netzwerke mit Hasstiraden fluten: Lehnt euch einfach zurück und genießt

20 sowohl Star Trek als auch Orville, am besten relativ gleichzeitig. Das hat der Verfasser dieser Kolumne auch getan und dabei festgestellt, dass etwaige Ähnlichkeiten überaus wohltuend sein können und dass man im dem einen manchmal genau das findet, was man beim anderen vermisst hat.

Und ein zweiter Rat an die Fans von entweder dem einen oder dem anderen, die das nicht können oder wollen: Jeder, und das sei wiederholt, jeder Fernseher hat eine meist rote Abschalttaste.

Aus die Maus, Schluss im Bus und duster in Bottrop.

21 UNENDLICHE WEITEN – DIE STAR-TREK-ECKE

Stars aus Star Trek in anderen Rollen – Teil 40: Anson Mount

von Thorsten Walch

Captain Christopher Pike, die Vierte ...

Zu Beginn der zweiten Staffel von Star Trek: Discovery gab es nach dem Serientod des bisherigen Captains Lorca (Jason Isaacs) naturgemäß einen Kommandowechsel. Der neue Oberbefehlshaber des bei Fans nicht unumstrittenen neuesten Star Trek-Raumschiffs ist Pike, eine im Universum des Gene Roddenberry bereits seit Zeiten der klassischen Originalserie Raumschiff Enterprise bekannte Figur. Anson Mount, um den es heute in dieser Ausgabe dieser Artikelreihe gehen soll, ist bereits der vierte Darsteller Pikes. Im ersten Pilotfilm von Raumschiff Enterprise, Der Käfig ursprünglich dargestellt von Hollywood-Star Jeffrey Hunter,

22 übernahm der Schauspieler Sean Kenney die Rolle des nach einem Raumunglück schwerbehinderten Pike in der einzigen Raumschiff Enterprise-Doppelfolge (Talos IV – Tabu – Teil 1 und Teil 2). Hunter hatte die Rolle kein weiteres Mal spielen wollen und war daher nur in der aus Der Käfig entnommenen Rahmenhandlung der Folge zu sehen.

Ein in Star Trek-Kreisen geläufiges Gerücht besagt übrigens, dass Hunter zu Zeiten der Dreharbeiten bereits tot gewesen wäre. Dieser verstarb aber erst zweieinhalb Jahre später, nämlich am 27. Mai 1969, mit lediglich 42 Jahren an den Folgen eines schweren Treppensturzes.

Pikes dritter Darsteller sollte Bruce Greenwood sein, der die Rolle in den beiden ersten neuen Kinofilmen aus der sognannten Kelvin-Zeitlinie verkörperte, also in Star Trek und Star Trek Into Darkness. In dieser Version blieb der Figur zumindest das tragische Schicksal ihres Unfalls erspart (allerdings starb Pike stattdessen bekanntlich durch Khans Hand).

Der neueste Darsteller Mount kann wie seine Vorgänger auf eine beachtliche Karriere in Film und Fernsehen zurückblicken.

Kind berühmter Eltern

Anson Adams Mount IV wurde am 25. Februar 1973 als einziges Kind der in Sportkreisen berühmten Profi-Golferin Nancy Smith und dem für die Zeitschrift Playboy als Sportredakteur tätigen Anson Mount II in White Bluff im US-Bundesstaat Tennessee geboren. Warum seinem Namen die römische »IV« statt der eher logisch erscheinenden »III« angefügt wurde, ließ sich von der Redaktion leider nicht ermitteln.

23 Wie der Großteil seiner Kollegen interessierte sich auch der junge Anson bereits früh in seinem Leben für die Schauspielerei. Nach seinem Abschluss an der Dickson County High School im Jahr 1991 besuchte er bis 1995 die University Of South, um schließlich bis 1998 beim Columbia University For MFA Acting Program eine Schauspielausbildung zu absolvieren.

Erste Rollen

Mounts Laufbahn begann bereits beim Fernsehen. 1999 war er in je einer Episode der damals höchst erfolgreichen Serien Ally McBeal und Sex and the City zu sehen.

Außerdem wirkte er zwischen 2000 und 2001 in Form eines wiederkehrenden Gastparts in fünf Folgen der Feuerwehr-Drama-Serie Third Watch – Einsatz am Limit mit. Der erste Film des damals 27-jährigen Jungschauspielers wurde im Jahr 2000 die Independent-Produktion Tully der Regisseurin Hilary Birmingham. In dem Drama ist er in der (Titel-)Rolle eines desillusionierten jungen Mannes auf der schwierigen Suche nach der wahren Liebe und nach dem Sinn des Lebens zu sehen. Der nächste Film folgte im gleichen Jahr: Im Teenie-Horror-Streifen Düstere Legenden 2 – Final Cut von John Ottman spielte Mount als Toby das typische »arme Opfer« in dieser Art von Film.

Britney Spears

Mounts nächster Film wurde 2002 das Melodram City by the Sea von Michael Caton-Jones, das in Form von Hollywood-Star Robert De Niro mit einen überaus prominenten Hauptdarsteller aufwarten konnte. Mount, der die Nebenrolle des Dave Simon verkörperte, lernte den

24 charismatischen Schauspieler während der Dreharbeiten kennen.

Offensichtlich war De Niro ein Fan von Pop-Sternchen Britney Spears, die damals gerade mit den Vorbereitungen für den Kinofilm Not a Girl beschäftigt war. De Niro erfuhr, dass Mount die männliche Hauptrolle als Spears‘ Liebhaber Ben abgelehnt hatte, da er sich hiervon gelinde gesagt nichts versprach. De Niro überredete ihn, den Part doch zu übernehmen.

Das Endergebnis war leider durchwachsen: Obwohl sich der Film eigentlich wacker an den weltweiten Kinokassen schlug, erntete er geradezu verheerende Kritiken und wurde (zu Unrecht!) überall als Flop verspottet. Und Mount? Der erhielt 2002 auf der einen Seite den »Teen Choice Award« für sein Mitwirken, zum anderen erntete er im gleichen Jahr die »Goldene Himbeere« als männlicher Teil des »Schlechtesten Leinwandpaars« gemeinsam mit Spears. Nun ja ...

13 Episoden

Zu einem ausgesprochenen Kultfilm in Insider-Kreisen hingegen entwickelte sich das ebenfalls 2002 entstandene Sportler-Drama Poolhall Junkies, unter der Regie von Mars Callahan (der auch die Hauptrolle spielte). Mount übernahm die Nebenrolle des Chris. Der Film lehnt sich leicht an den berühmten Hollywood-Klassiker Haie der Großstadt mit Paul Newman als Billard-Profi an und spielt ebenfalls in diesem Milieu.

Es folgte für Mount 2003 die Rolle als der großspurige Miner Weber in der Schüler-Dramedy Die Schlachten von Shaker Heights von Efram Potelle und Kyle Rankin.

25 Im Fernsehen wirkte Mount derweil in einer Folge der zweiten Staffel der Serie Smallville als der schmierige Geschäftsmann Paul Hayden mit.

Es folgten die 13 Episoden der nur kurzlebigen Krimiserie Line of Fire zwischen 2003 und 2004, in der Mount den Undercover-Agenten Roy Ravelle darstellte. Gleichfalls 2004 spielte Mount im Thriller The Warrior Class den Jung-Anwalt Alec Brno, der sich mit der Mafia persönlich anlegte.

In einer erneut nur 13 Folgen umfassenden Drama-Serie namens The Mountain hatte Mount von 2004 bis 2005 die Hauptrolle des Will Carver inne, der um ein von der Schließung bedrohtes Wintersportressort kämpft.

Ebenfalls 2005 war Mount bei einer Episode von J. J. Abrams‘ Mystery-Klassiker Lost dabei, sowie in einer kleinen Rolle im Kino-Drama In den Schuhen meiner Schwester neben Cameron Diaz, Toni Collette und Shirley MacLaine. 2006 wurden es erneut nur die 13 Episoden einer Serie, diesmal in der im Law & Order-Serien-Universum spielenden Anwaltsserie Conviction. Den stellvertretenden Distrikt-Anwalt Jim Steele spielte Mount jedoch 2007 noch einmal in einer Einzel-Episode der Hauptserie.

Bessere und schwächere Filme

2006 hatte Mount zunächst noch in dem auf seinen Hauptdarsteller, den Rapper Snoop Dogg, zugeschnittene Episoden-Horrorfilm Hood of Horror mitgewirkt, der übrigens von weit besserer Qualität ist, als sein Titel erahnen lassen mag. In der Episode The Scumlord spielte Mount den rassistischen Vatermörder Tex Jr.

26 Auch der Streifen All the Boys Love Mandy Lane, ebenfalls von 2006, gehört dem Horror-Genre an und zeigt Mount als den knüppelharten Marine Garth. Dieser Film besitzt trotz Amber Heard in der weiblichen Hauptrolle »SchleFaZ«-Qualität.

2007 folgte für Mount der hierzulande nicht gezeigte TV-Film The Cure, eine kleine Rolle als Larry im Thriller Walk the Talk sowie der Kurzfilm Privacy Policy.

Mehr Beachtung erfuhr 2008 das von David Pomes inszenierte Independent-Aussteiger-Drama Cook County, das Mount als den zivilisationsmüden Bump zeigte. Im gleichen Jahr spielte er die Rolle des Robert Kissel in dem auf Tatsachen beruhenden TV-Krimi Die Robert und Andrew Kissel Story über ein mordendes Brüderpaar.

2010 folgte das Beziehungsdrama Last Night – Nur eine Nacht mit Keira Knightley, in dem Mount als Neal eine Nebenrolle spielte.

Als Coach Milkens im Football-Drama Straw Dogs – Wer Gewalt sät von Regisseur Rod Lurie sah man Mount 2011, und auch als Nick McMullen im Jugend-Drama Runaway Girl mit Chloë Grace Moretz in der Hauptrolle.

Endlich eine langlebigere Serie

Zwischenzeitlich konnte man Mount auch wieder im Pantoffelkino bewundern, und diesmal nicht nur 13 Episoden lang. In den 57 Folgen der knüppelharten, realistischen Western-Serie Hell on Wheels spielte er den zwiespältigen und nur äußerst begrenzt sympathischen ehemaligen Konföderations-Soldaten und Ex-Sklavenhalter Cullen Bohannon, der auf der Suche nach dem Mörder

27 seiner Familie in den Bau der ersten transkontinentalen Eisenbahn der Vereinigten Staaten nach dem Bürgerkrieg involviert wird.

Einer seiner Co-Stars war übrigens Colm Meaney, den Star Trek-Fans bestens als Chief Miles O'Brien aus Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert und Star Trek: Deep Space Nine kennen. Die Serie war höchst erfolgreich und hielt sich zwischen 2011 und 2016 fünf Staffeln lang.

Weitere Filme

2012 wirkte Mount im Doku-Drama Code Name: Geronimo über die Jagd auf Osama bin Laden mit, in der Rolle des Marines Cherry, sowie im gleichen Jahr als Alex Rosen neben Action-Star Jason Statham im Actionthriller Safe – Todsicher.

Der Thriller Non-Stop mit Liam Neeson in der Haupt- und Mount in der Nebenrolle als Jack Hammond folgte schließlich 2014, genau wie die Rolle des Keegan im Thriller Der Auftrag – Für einen letzten Coup ist es nie zu spät! mit John Travolta und Christopher Plummer.

Die Rolle des Richard Cartigan in der romantischen Komödie Mr. Right von 2015 ist der bisher letzte Kinoauftritt von Mount.

Erneut eine kurze Serie

Im Jahr 2017 folgte nochmals eine nur wenige Folgen umfassende TV-Serie mit Mount in der Hauptrolle. Auf diesmal leider sogar nur acht Episoden schaffte es Marvel's Inhumans, da sich die Serie nicht gegen die übergroße Konkurrenz aus den eigenen Reihen des Comic-Universums

28 durchsetzen konnte und bei Fans schlecht ankam. Mount spielte die Rolle des Blackagar »Black Bolt« Boltagon, des Anführers der zurückgezogen lebenden, genetisch veränderten »Inhumans«.

Willkommen an Bord, Captain!

Und nun also wurde Mount zum neuen Captain der Discovery ernannt, was im Frühsommer 2018 bekanntgegeben wurde. Es ist stark anzunehmen, dass die Produzenten der Serie bereits mindestens seit Ende 2017 auf der Suche nach dem Darsteller des neuen Captains gewesen sind, und Mounts preisgekrönte Darstellung in Hell on Wheels dürfte sie auf den Mimen aufmerksam gemacht haben.

Bis Captain Pike seinen Unfall erleidet, der ihm die Fähigkeit zu laufen ebenso nimmt wie seine Stimme, gehen im regulären Star Trek-Kanon zwar noch einige Jahre ins Land. Andererseits besagen nicht totzukriegende Gerüchte, dass die U.S.S. Discovery in jeder neuen Staffel einen neuen Captain bekommen wird.

Doch: Nichts Genaues weiß man nicht. Nun heißt es erst einmal abwarten und Raktajino trinken.

Privates

Mount ist seit dem 20. Februar 2018 mit der gebürtigen Kanadierin Darah Trang-Mount verheiratet. Diese ist hauptberuflich als Fotografin sowie im Finanzgeschäft tätig. Bisher hat das Paar noch keine gemeinsamen Kinder.

29 WERBUNG

30 TREKminds – die Star Trek News

von Thorsten Walch und Reinhard Prahl

Staffel 2 von Star Trek: Discovery verfügbar

Das neue Jahr begann mit vielen Neuigkeiten zum Lieblings-Franchise von vielen Corona Magazine-Redakteuren, die einen mehr, die anderen weniger erfreulich. Welche in welche Kategorie gehören, das liegt wie bei so gut wie allem im Leben ganz im Auge des Betrachters.

Seit den Morgenstunden des 18. Januar 2018 kann etwa auf Netflix die zweite Staffel von Star Trek: Discovery angesehen werden, im Vergleich zur amerikanischen Erstveröffentlichung bei CBS All Access mit einem Tag Verspätung. Die Kritiken zu den bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe veröffentlichten drei Episoden legen nahe, dass die neue Staffel deutlich positiver von der Fangemeinde

31 aufgenommen wird als die umstrittene erste. Die insgesamt 15 Episoden von Staffel 2 werden, sofern nicht wie bei der ersten eine Halbstaffel-Pause eingelegt wird, in wöchentlichem Veröffentlichungs-Rhythmus bis einschließlich 26. April 2019 zu sehen sein.

Kritiken der Redaktion zu den bisherigen Folgen sind in der Episoden-Guide-Kolumne dieser Ausgabe zu finden.

Short Treks ebenfalls in deutscher Fassung bei Netflix

Die zwischen 10 und 18 Minuten langen sogenannten Short Treks, die lange Zeit lediglich in den USA bei CBS zu sehen gewesen waren, wurden zur freudigen Überraschung der Fans pünktlich am 17. Januar 2019, zum Start der neuen Staffel von Discovery, bei Netflix veröffentlicht. Sie sind in der Kategorie »Trailer und mehr« im Untermenü der Hauptserie zu finden. Die Short Treks sollen übrigens auch im Anschluss an die Veröffentlichung von Staffel 2 fortgesetzt werden.

Zu den bisherigen findet sich in dieser Ausgabe des Corona Magazine ebenfalls ein Episoden-Guide.

Neuigkeiten zur »Picard«-Serie

Es gibt weitere Neuigkeiten zu der in Vorbereitung befindlichen, bislang noch titellosen »Picard«-Serie von CBS. Sir Patrick Stewart wird beispielsweise nicht nur als Darsteller in der Serie mitwirken, sondern bekleidet auch den Posten eines ausführenden Produzenten. Dies sichert ihm einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf Stil und Handlung der neuen Serie zu.

32 Geplant sind Stewart zufolge 10 Episoden, die einer strengen Handlungschronologie folgen werden und den Zuschauern vorkommen sollen »... wie ein zehnstündiger Film«, wie Stewart in einem Interview äußerte.

Die Dreharbeiten für die Serie sollen kommenden April starten. Die Veröffentlichung bei CBS und anschließend hoffentlich bei Netflix ist für Ende 2019 geplant.

Auch wurde bekannt, dass die Figur des Jean-Luc Picard in der neuen Serie nicht mehr der Captain der Enterprise oder von einem anderen Raumschiff sein, sondern eine gänzlich andere Funktion erfüllen wird. Sonderlich überraschend ist dies angesichts des Alters des Hauptdarstellers sicherlich nicht.

Weiter unbekannt ist, ob es Gastauftritte von anderen Darstellern aus Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert geben wird. Relativ fest steht hingegen, dass Jonathan Frakes (nicht nur William T. Riker in Das nächste Jahrhundert, sondern auch Regisseur von etlichen Star Trek-Episoden) auch für die Picard-Serie auf dem Regie-Stuhl Platz nehmen wird.

»Jonathan Frakes kann kommen und drehen, was er will – er ist phänomenal«, verkündete der Star Trek-Hauptverantwortliche Alex Kurtzman kürzlich in einem Interview.

Sektion-31-Serie mit Michelle Yeoh

Für ein überaus gespaltenes Echo sorgte die offizielle Bekanntgabe, dass es neben der neuen Serie zu Captain Picard eine weitere geben wird, in deren Mittelpunkt die frühere Imperatorin Philippa Georgiou aus dem

33 Spiegel-Universum und ihre Tätigkeit für die geheimnisvolle »Sektion 31« stehen werden. Michelle Yeoh wurde bereits bezüglich ihrer Mitwirkung an der Serie bestätigt. Bereits in einer nicht in der eigentlichen Folge enthaltenen Bonus-Szene der letzten Discovery-Episode der ersten Staffel, Nimm meine Hand wurde die Kontaktaufnahme eines Sektion-31-Agenten namens Leland (Alan Van Sprang) mit Georgiou gezeigt.

Star Trek-Fans weltweit kritisieren die Möglichkeit, dass die mörderische Diktatorin Georgiou in der neuen Serie möglicherweise zur (Anti-)Heldin umfunktioniert werden könnte, was sehr von der Philosophie des Roddenberry'schen Film- und TV-Universums abweichen würde.

Die Information, wann die als Spin-off zur Star Trek: Discovery konzipierte neue Serie ihre Premiere erleben wird, ist bislang noch ausständig. Zu sehen sein wird sie zumindest in den USA einmal mehr auf CBS, eine Veröffentlichung hierzulande bei Netflix scheint daher sehr wahrscheinlich.

Gleich zwei Star Trek-Animationsserien?

Dass bei CBS auch an einer neuen Star Trek-Zeichentrickserie mit dem Titel Star Trek: Lower Decks gearbeitet wird, die von Mike McMahan konzipiert wird und in humorvoller Weise von den Vorgängen innerhalb der »unteren Ränge« eines eher unwichtigen Sternenflotten-Schiffs erzählen wird, ist bereits seit den vergangenen Herbstmonaten bekannt. Die neue Zeichentrickserie wird sich eher an ein erwachsenes Publikum wenden.

34 McMahan äußerte in einem Interview: »Ich möchte eine Serie über die Leute machen, die die gelbe Patrone in den Essens-Replikator stecken, damit am anderen Ende eine Banane rauskommen kann.« Nun wurde allerdings bekannt, dass parallel an einer zweiten Star Trek-Zeichentrickserie gearbeitet wird, die im Gegensatz zu Lower Decks für ein junges Publikum gedacht ist.

Laut Kurtzman ist das Ziel, nicht nur die Definition von Star Trek zu erweitern, sondern intime und emotionale Geschichten in einer kurzen Laufzeit zu erzählen und somit auch jungen Zuschauern den altersgerechten Zugang in das Star Trek-Universum zu ermöglichen. Die neue Serie soll zudem mit einer anderen Animationstechnik realisiert werden als Lower Decks, was ihr einen eigenständigen Look verleihen soll.

Star Trek im Kino

Äußerst turbulent ging es in den letzten Monaten bezüglich eines neuen Star Trek-Kinofilms zu. Die wohl entscheidendste Nachricht war, dass die Produktion des geplanten vierten Star Trek-Films mit der Crew rund um Chris Pine als Captain James T. Kirk seitens Paramount auf unbestimmte Zeit auf Eis gelegt wurde. Hintergrund sind unter anderem wohl Unstimmigkeiten bezüglich der Gage von Hauptdarsteller Pine sowie von Gaststar Chris Hemsworth, der in dem neuen Streifen in seiner Rolle als Kirks Vater George zurückkehren sollte.

Paramount-Präsident Wyck Godfrey machte jedoch am 24. Januar 2019 in einem Interview eine verheißungsvolle Äußerung, nämlich, ob es denn nicht denkbar wäre, das Kino-Star Trek in die Hände von Quentin Tarantino zu legen.

35 Damit rückt das heiße Diskussionsthema des letzten Jahres wieder in den Vordergrund, auch wenn es sich dabei nicht um eine offizielle Ankündigung handelt. Noch immer ist völlig unklar, welche Pfade der exzentrische Filmemacher mit seiner Version von Star Trek beschreiten wollen würde, welches Schiff nebst Crew er hierbei einzusetzen gedenkt oder ob er selbst auf dem Regiestuhl Platz nehmen möchte. So oder so, da Tarantino nicht zu den eiligsten Filmemachern gehört, wird zumindest in den nächsten beiden Jahren nicht mit einer Rückkehr von Star Trek ins Kino zu rechnen sein.

William Shatner, Wil Wheaton und die Big Bang-Theorie

Star Trek-Altstar William Shatner (Captain Kirk in der klassischen Originalserie Raumschiff Enterprise), der im kommenden März stolze 88 Jahre alt wird, wird in einer der Episoden der zwölften und letzten Staffel der Erfolgs-Sitcom The Big Bang Theory einen Gastauftritt zusammen mit den nerdigen Helden Sheldon, Leonard, Raj und Howie absolvieren.

Bereits mehrere von Shatners Star Trek-Kollegen, darunter George Takei (Hikaru Sulu in Raumschiff Enterprise) und Leonard Nimoy (Mr. Spock in Raumschiff Enterprise), der allerdings nur eine Episode lang der Produktion seine Stimme lieh, und auch Wil Wheaton (Wesley Crusher aus Das nächste Jahrhundert) waren in früheren Episoden der Serie zu sehen. Bereits vor einigen Jahren hatte man Shatner einen Gastauftritt angeboten, bei dem er eine übersteigerte Version seiner selbst spielen sollte, dies hatte der Mime seinerzeit jedoch abgelehnt.

36 Neben Shatner werden in bezeichneter Episode, in der es um das Pen-&-Paper-Rollenspiel Dungeons & Dragons gehen soll, einmal mehr Wheaton mitwirken, außerdem Basketball-Legende Kareem Abdul-Jabbar sowie der Regisseur und Schauspieler Kevin Smith.

William Morgan Sheppard ist gestorben

Der Schauspieler William Morgan Sheppard ist am 6. Januar 2019 im Alter von 86 Jahren in Los Angeles verstorben. Der gebürtige Brite war in einer Vielzahl von Kinofilmen wie Die Seewölfe kommen oder In einer kleinen Stadt sowie in TV-Serien wie Max Headroom, MacGyver oder Babylon 5 zu sehen.

Star Trek-Fans jedoch kannten Sheppard vornehmlich als brutalen klingonischen Gefängnis-Aufseher in Star Trek VI: Das unentdeckte Land (1991) sowie aus der Episode Das fremde Gedächtnis aus der zweiten Staffel von Das nächste Jahrhundert als Datas »Großvater« Ira Graves. Ebenfalls war er der Alien-Pilot Qatai in der Star Trek: Raumschiff Voyager-Folge Das ungewisse Dunkel. Einen letzten Auftritt im Star Trek-Universum hatte Sheppard 2009 in J. J. Abrams' Reboot-Film als ein Wissenschaftsminister des Planeten Vulkan.

Live long and prosper, Sir!

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38 Aufbruch in eine neue Ära – Captain Picard kehrt zurück

von Reinhard Prahl

Seit Alex Kurtzman den Ausbau des Star Trek-Universums übernommen hat, scheint die Fanwelt wieder in Ordnung zu sein. Zwar wurde der vierte Kinofilm aus der sogenannten Kelvin-Zeitlinie zunächst auf Eis gelegt. Dafür reiht sich in puncto Serien eine gute Nachricht an die nächste.

Nicht nur, dass Star Trek: Discovery ein großer Erfolg und Staffel 2 gerade angelaufen ist. Außerdem wurden, wie bereits in den News erwähnt, neben dem Discovery-Spin-off rund um Michelle Yeohs beliebte Figur Philippa Georgiou zwei Animationsserien angekündigt. Eine davon soll sich bekanntlich mehr auf Kinder fokussieren. Dies ist eine weise Entscheidung, wie der Autor dieser Kolumne findet.

Bei der anderen mit den Namen Star Trek: Lower Decks ist Ideengeber und Autor Mike McMahan, aus dessen Feder eher derbe Kost wie South Park und Rick and Morty stammt. Es ist also quasi Usus, dass man sich mit dem neuen Star Trek-Comedy-Format eher an Erwachsene wendet.

Captain Picard – zurück auf des Captains Stuhl?

39 Vornehmlich von den Alt-Fans wird allerdings wahrscheinlich keiner der neuen Star Trek-Ableger so sehnlichst erwartet wie die Show rund um den ikonischen Captain Jean-Luc Picard. Mehr als 16 Jahre wartet das Fandom schon auf seine Rückkehr. Mit Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert, Star Trek: Deep Space Nine und den vier Kinofilmen Star Trek: Treffen der Generationen, Star Trek: Der erste Kontakt, Star Trek: Der Aufstand und Star Trek: Nemesis ist der Teil des Franchise, in dem Sir Patrick Stewart seine Spuren hinterlassen hat, mit Abstand der größte. Selbst das Kino-Reboot von J. J. Abrams aus 2009 kommt daran nicht vorbei. So gehört die Zerstörung des Planeten Romulus durch einen großen Kataklysmus, im Gegensatz zum Rest der Filme, zum etablierten Kanon.

Es verwundert also nicht, dass Jubelstürme durch die Fanbase hallten, als Stewart am 4. August 2018 auf der Star Trek Las Vegas Convention verkündete, dass er erneut in seine Paraderolle schlüpfen würde. Auf Twitter war sodann folgendes Statement zu lesen: »Es ist eine unerwartete aber herrliche Überraschung, aufgeregt und bestärkt als Jean-Luc Picard zurückzukehren und in ihm neue Dimensionen zu erforschen.«

Dass diese Nachricht für das Fandom mehr als aufregend war, versteht sich von selbst. Denn nach dem unrühmlichen Ende der Picard-Ära im Jahr 2002 herrschte erdrückender Stillstand bei Star Trek. Die 2001 gestartete Prequel-Serie Star Trek: Enterprise stieß insgesamt auf wenig Gegenliebe und wird bis heute kontrovers diskutiert. Immerhin war eine ganze Generation von Fans zwischen 1987 und 2001 mit den Abenteuern rund um die Captains Picard, Benjamin Sisko und Kathryn Janeway aufgewachsen. 21 Staffeln und 526 Episoden mit mehr als 394 TV-Stunden hatten die Fans

40 gesehen. Es ist retrospektiv betrachtet evident, dass es ein Prequel schwer haben musste.

Doch auch mit Nemesis war der Erfolgshorizont weit überschritten gewesen. Der Film fiel bei Kritikern und beim Publikum gnadenlos durch. Zu viele vertiefende Szenen und Einblicke in das Seelenleben der Figuren wurden zugunsten unnötiger Actioneinlagen aus der Endfassung entfernt.

Diese wurden erst später auf den Special-Edition-DVD- und den Blu-ray-Boxen veröffentlicht und gewähren heutzutage einen Einblick in das verschenkte Potential des Streifens.

Spekulationen statt Spekulatius

Die riesige Freude über die Rückkehr von Picard auf den Fernsehbildschirm ist überall im Netz spürbar. Auf Facebook und in den einschlägigen Foren überschlagen sich die News geradezu. Viele träumten zunächst natürlich von einer neuen Enterprise und neuen Abenteuern mit der alten Crew, möglicherweise im Serial-Format.

Diese Fantasie wurde von Stewart selbst allerdings schon sehr früh zunichtegemacht. Noch im oben erwähnten Auftritt erläuterte der britische Schauspieler, dass die neue Serie 20 Jahre nach dem letzten Kinofilm ansetzen wird. Ein völlig neuer Picard soll zu erleben sein. Wie ein im November 2018 veröffentlichtes Statement von Michael Chabon (einer der Autoren der neuen Show) gegenüber IGN vermuten lässt, scheint Stewart mit seiner Figur tatsächlich neue Grenzen austesten zu wollen.

»Er bringt uns wirklich dazu, zu versuchen, etwas ganz Neues und Fremdes mit dem Charakter zu machen. Und deshalb will er ihn spielen. Damit er etwas spielen kann, das

41 den Charakter ehrt und ihm treu bleibt. Stewart will sehen, wie Jean-Luc Picard Erfahrungen sammelt, Abenteuer erlebt und sich in Situationen wiederfindet, in denen wir ihn noch nicht gesehen haben.«

Faktencheck

Wie es aussieht, wird der Captain diese Abenteuer zwar nicht direkt mit seiner altangestammten Crew erleben, Cameo-Auftritte sind allerdings keineswegs ausgeschlossen, wie The Hollywood Reporter am 8. Januar 2019 verkündete. Auf die Frage, ob es ein Wiedersehen mit alten Weggefährten geben könne, antwortete Kurtzman: »Alles könnte passieren.«

Klar ist außerdem bereits seit einigen Monaten, dass es sich nicht um eine Miniserie, sondern um ein auf mehrere Staffeln ausgelegtes Format handelt.

Über den Plot ließ sich bislang nicht sehr viel herausfinden. Die Serie beginnt im Jahr 2399, also rund 20 Jahre nach Nemesis. Bekannt wurde auch, dass Metamorphe eine gewisse Rolle spielen könnten. Mit dieser Bezeichnung dürfte allerdings weniger die Shapeshifter-Rasse der Gründer aus Deep Space Nine gemeint sein.

Ein aktuelles Detail entstammt dem vorzitierten Hollywood Reporter-Artikel. Einen größeren Raum in der Produktion werden wohl die erwähnte Zerstörung des Planeten Romulus und die Auswirkungen auf das Gleichgewicht des Alpha- und Beta-Quadranten einnehmen. So berichtet Kurtzman weiter: »Picards Leben hat sich durch den Zerfall des Romulanischen Imperiums drastisch verändert.«

42 Ein derartiges Ausgangsmaterial, verbunden mit dem oben erwähnten Metamorph-Thema könnte die Figur des Picard um zahlreiche Facetten bereichern. Da ist es gut zu wissen, dass Stewart nicht nur als Hauptdarsteller, sondern auch als einer der ausführenden Produzenten fungieren wird.

Wie sich das Ganze letztlich entwickeln und was auf dem TV-Schirm zu sehen sein wird, bleibt abzuwarten. Derzeit reden sich die Autoren gemeinsam mit Stewart sicherlich noch die Köpfe heiß, auch wenn es mit großer Sicherheit inzwischen erste Drehbruchentwürfe geben dürfte. Der Drehbeginn ist in jeden Fall für April 2019 angesetzt.

Ende 2019 werden wir ihn dann endlich erleben: den Anbruch einer neuen Ära in der »Next Generation«.

Star Trek: Discovery – Episoden-Guide: Short Treks

von Thorsten Walch

Da Netflix nach anfänglichen Unstimmigkeiten die sogenannten Short Treks zum Start der zweiten Staffel von Star Trek: Discovery nun doch auch in Deutschland herausgebracht hat, möchte die Corona 43 Magazine-Redaktion natürlich auch diese 10- bis 15-minütigen Kurzfilme in einem Episoden-Guide würdigen.

Die Short Treks-Ausgaben wurden zwar allesamt deutsch synchronisiert, haben jedoch im Gegensatz zu den regulären Discovery-Episoden ihre Originaltitel beibehalten.

Episode # 1: Runaway

Erstveröffentlichung auf CBS All Access: 4. Oktober 2018

Deutsche Erstveröffentlichung auf Netflix: 17. Januar 2019

Regie: Maja Vrvilo

Inhalt: Deprimiert nach einer Diskussion mit ihrer Mutter Siobhan (Mimi Kuzyk) via Subraumfunk macht Fähnrich Tilly (Mary Wiseman) in der Schiffsmesse die Bekanntschaft der jungen Xaheanerin Me Hani Ika Hali Ka Po (Yadira Guevara-Prip), kurz »Ka Po« genannt. Diese ist mittels xaheanischer Technologie unbemerkt auf die Discovery gelangt, da sie sich vor der Krönung als Herrscherin ihres Volkes drücken möchte. Tilly, die ansonsten hundertprozentig auf Befehle geeicht ist, sieht sich plötzlich in der Situation, eigene Entscheidungen treffen zu müssen. Dabei entwickelt sich in kurzer Zeit eine tiefe Freundschaft und Verbundenheit zwischen den beiden gar nicht wirklich unterschiedlichen Frauen ...

Kritik: Die erste Short Treks-Episode gehört wenig überraschend ganz Fan-Liebling Tilly, die sich natürlich exakt so verhält, wie man es aus der regulären Serie gewohnt ist. Neue Facetten an dem bereits weitgehend fertig ausgebauten

44 Charakter gibt es in der Gag-reichen kleinen Geschichte nicht zu entdecken. Auch bleibt offen, was genau den im Vorfeld mehrmals angesprochenen Interims-Faktor des Kurzfilms ausmacht. Übrig bleibt ein spaßiges Gimmick zur Hauptserie, das man als Star Trek-Fan gern gesehen haben kann – aber nicht unbedingt muss.

Episode # 2: Calypso

Erstveröffentlichung auf CBS: 8. November 2018

Deutsche Erstveröffentlichung auf Netflix: 17. Januar 2019

Regie: Olatunde Osunsanmi

Inhalt: Der Raumfahrer Craft (Aldis Hodge) findet sich nach der Havarie seines Raumschiffs an Bord der U.S.S. Discovery wieder, allerdings ist diese von der kompletten Besatzung verlassen worden. Craft beginnt, mit der Schiffs-KI zu kommunizieren, die einige Zeit später ein menschliches Erscheinungsbild (verkörpert von Annabelle Wallis) annimmt. Während die beiden einen tiefgründigen Dialog beginnen, in dessen Verlauf Craft allmählich dahinterkommt, was aus der Crew der Discovery geworden ist, bahnt sich eine Beziehung zwischen dem Menschen und der (in gewissem Umfang empfindungsfähigen) Maschine an. Doch Craft möchte selbstverständlich nicht den Rest seines Lebens auf dem verlassenen Schiff verbringen ...

Kritik: War Short Trek # 1 lediglich ein spaßiges Nebenerzeugnis, hat man es hier mit einem echten kleinen Meisterwerk zu tun. Zwar bleibt bis zum Schluss völlig unklar, inwiefern es sich bei der Geschichte um einen kanonischen Vorausblick

45 auf das eventuelle Serien-Ende von Star Trek: Discovery handelt – der hoffentlich noch einige Jahren auf sich warten lassen wird –, aber für sich betrachtet ist Calypso ein überaus philosophisches, eigenständiges Werk.

Science-Fiction-Klassiker-Enthusiasten bleiben natürlich Anklänge an ein großes Vorbild wie Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum nicht verborgen, aber gerade das macht Calypso, mit etwas über 18 Minuten Laufzeit der längste der Short Treks, letztlich aus. Star Trek einmal ganz anders!

Episode # 3: The Brightest Star

Erstveröffentlichung auf CBS: 6. Dezember 2018

Deutsche Erstveröffentlichung auf Netflix: 17. Januar 2019

Regie: Douglas Aarniokoski

Inhalt: Der junge Kelpianer Saru (Doug Jones) lebt auf dem Planeten Kaminar mit seiner Schwester Siranna (Hannah Spear) und seinem Vater Aradar (Robert Verlaque) zusammen. Die auf etwa mittelalterlichem Entwicklungsstand befindlichen Kelpianer haben unter dem räuberischen Raumfahrer-Volk der Ba’ul zu leiden, das regelmäßig Opfer seitens der Kelpianer verlangt, um diese offensichtlich zu verzehren. Eines Tages gelingt es Saru, ein Stück Ba’ul-Technologie in seinen Besitz zu bringen, und zwar einen Langstreckensender. Saru gelingt es, das Gerät funktionsfähig zu machen und ein Signal in den Weltraum zu senden. Aufgefangen wird es von einem Schiff der Sternenflotte, das prompt die junge Lt. Georgiou (Michelle Yeoh) nach Kaminar entsendet ...

46 Kritik: Und damit wissen wir auch, wie Saru einst an Bord der Discovery gelangte. Schön anzuschauen, sicherlich unterhaltsam und von allen Beteiligten gewohnt routiniert gespielt. Nur: Logisch ist das Ganze nicht.

Wurde nicht erst in der zweiten Episode der neuen Discovery-Staffel, New Eden, die zu dieser Zeit noch »General Order One« genannte Hauptdirektive der Sternenflotte thematisiert? Offensichtlich reicht es bisweilen aus, wenn ein Bewohner eines vergleichsweise primitiven Planeten überlegene Technologie anzuwenden lernt, um diesen sang- und klanglos in die höheren Welten des Raumfahrtzeitalters mitzunehmen. Nein ... Trotz des hohen Unterhaltungsfaktors hätte wesentlich mehr aus dieser Geschichte gemacht werden können.

Episode # 4: The Escape Artist

Erstveröffentlichung auf CBS: 3. Januar 2019

Deutsche Erstveröffentlichung auf Netflix: 17. Januar 2019

Regie: Rainn Wilson

Inhalt: Harcourt Fenton »Harry« Mudd (Rainn Wilson) sitzt wieder einmal in der Sch... Patsche. Diesmal ist er einem tellaritischen Raumschiff-Kommandanten (gespielt von Harry Judge) in die Hände gefallen, der ihn einer geheimnisvollen Kopfgeldjägerin (verkörpert von Barbara Mamabolo) abgeluchst hat. Während der Tellarit Mudd all die unerfreulichen Dinge verkündet, die ihn am Zielpunkt erwarten, rekapituliert dieser, wie er in diese erneute

47 jammervolle Lage geraten ist – erwartungsgemäß eine Verkettung aller möglichen und vor allem unmöglichen Umstände. Doch wäre Harry Mudd nicht Harry Mudd, wenn er nicht auch dieses Mal ein ganz besonderes Ass im Ärmel hätte, um seinen Kopf wieder einmal halbwegs unbeschadet aus der Schlinge zu ziehen ...

Kritik: Das nennt man Spaß. Und zwar Spaß pur. Auch für The Escape Artist gilt, dass man das Filmchen keineswegs unbedingt kennen muss, um der weiteren Handlung der Hauptserie zu folgen, aber in diesem Werk finden sich zumindest keine nur schwer nachvollziehbaren Entscheidungen wieder, sondern es gibt schlicht und einfach den angesprochenen Fun-Faktor. Das neue Lieblings-Star Trek-Ekel bekommt kräftig auf die Nase, dann noch einmal, und am Ende ist es dennoch Mudd, der lacht.

Von Machwerken von diesem Schlag – und natürlich à la Calypso – hätten die Short Treks deutlich mehr gebrauchen können.

Short Trek # 5 wurde übrigens bereits für den 25. April 2019 in den USA angekündigt, wie immer auf CBS. Es wäre sehr erfreulich, wenn man hierzulande diesmal dann schneller in den Genuss der Appetithappen kommen würde.

48 Star Trek: Discovery – Episoden-Guide: Folgen 2.01 - 2.03

von Thorsten Walch

Es geht weiter mit dem Episoden-Guide zu Star Trek: Discovery! Naturgemäß widmet sich die Corona Magazine-Redaktion an dieser Stelle den bisher veröffentlichten Folgen der zweiten Serienstaffel, die seit Mitte Januar in den USA bei CBS All Access sowie in Deutschland und dem Rest der Welt bei Netflix zu sehen sind.

Generell lässt sich sagen, dass wohl auch der Serie gegenüber kritisch eingestellte Zuschauer zugeben müssen, dass man seit der untypischen ersten Staffel einiges dazugelernt hat.

Wie immer ergeht an dieser Stelle eine Warnung an Leser, die die Episoden noch nicht gesehen haben: Der eine oder andere Spoiler wird sich nachfolgend mit ziemlicher Sicherheit finden.

Folge 2.01: Bruder (Brother) 49 Deutsche Erstveröffentlichung auf Netflix: 18. Januar 2019

Regie: Alex Kurtzman

Inhalt: Auf dem Weg zum Planeten Vulkan, wo der bis dahin noch unbekannte neue Captain der Discovery das Kommando übernehmen soll, wird das Schiff von der berühmten U.S.S. Enterprise kontaktiert (siehe Episode 1.15, Nimm meine Hand). Der Captain der Enterprise, Christopher Pike (Anson Mount) informiert den amtierenden Discovery-Kommandanten Lt. Saru (Doug Jones), dass er mit sofortiger Wirkung das Kommando übernimmt. Pike erklärt, dass die Enterprise bei der Untersuchung von sieben geheimnisvollen Signalen an unterschiedlichen Punkten der Galaxis schwer beschädigt wurde und eine längere Reparaturzeit im Raumdock benötigen wird. Bis auf ein einziges sind diese Signale mittlerweile verschwunden.

Pike bringt zunächst seinen bisherigen Ersten Offizier mit an Bord, schlicht »Nummer Eins« (Rebecca Romijn) genannt, sowie seinen Wissenschaftsoffizier Lt. Connolly (Sean Connolly Affleck). Dies bringt bei Michael Burnham (Sonequa Martin-Green) die Frage nach dem Verbleib ihres Adoptivbruders Mr. Spock auf. Pike sagt ihr jedoch nur knapp, dass Spock sich nicht an Bord der Enterprise befinde. Dann bricht die Discovery zu ihrer ersten Mission unter dem neuen Captain auf, um das verbliebene letzte Signal zu untersuchen. Dieses stammt von einem entlegenen Asteroidengürtel, in dem einer der Brocken aus Dunkler Materie zu bestehen scheint.

Ferner entdeckt die Crew dort die schwer beschädigte U.S.S. Hiawatha, die seit dem Krieg gegen die Klingonen in dem

50 Gürtel havariert ist. Chefingenieurin Denise »Jett« Reno (Tig Notaro) ist das einzige sich bei Bewusstsein befindliche Crewmitglied und hält ihre teilweise schwer verletzten Schiffskameraden mit überaus unorthodoxen Methoden am Leben. Vom Ende des Krieges weiß sie noch nichts.

Bei der Untersuchung geraten Burnham sowie Pike, Nummer Eins und Connolly in eine tödliche Gefahrensituation, die Connolly schließlich das Leben kostet. Burnham kann Pike zwar retten, hat dabei aber eine mysteriöse Begegnung mit einem geisterhaften roten Engel. Da sie das Ganze für eine Halluzination hält, behält sie den Vorfall vorerst für sich.

Mysteriöses erfährt Burnham aber auch, als sie Spocks Quartier auf der Enterprise aufsucht. Allem Anschein nach hatte der (Halb-)Vulkanier bereits geraume Zeit vor deren Auftreten Alpträume von den sieben Weltraum-Erscheinungen ...

Kritik: »Zu wenig klassische Star Trek-Elemente!«, lautet bekanntlich eine beliebte Kritik zur ersten Staffel von Discovery. Bereits in der ersten Folge der zweiten Staffel wird dieser Kritikpunkt entkräftet. Obwohl der Plot zeitgemäß und daher wesentlich action-lastiger daherkommt als frühere Episoden, weht doch der Wind vom großen Unbekannten in der Galaxis recht deutlich in der Eröffnungsfolge. Man hält sich nicht mit großangelegten Einführungssequenzen bezüglich des neuen Captains auf, sondern präsentiert Mount als Pike schon nach wenigen Minuten der Handlung als den neuen Mann in der Mitte, der erheblich sympathischer rüberkommt als sein Vorgänger Captain Lorca (Jason Isaacs), dafür aber auch weniger facettiert.

51 Die Handlung der Episode ist angenehm frei von Föderations-Politik und schildert die Rückbesinnung der Serie auf altbekannte Stilmittel. Die Discovery ist ein wissenschaftliches Forschungsschiff. Punkt.

Völlig freisprechen von Kritik kann sich Bruder deswegen freilich nicht: Mit Burnham und gar Pike selbst gehen gleich zwei führende Kommando-Offiziere auf eine Außenmission ungewissen Ausgangs, was den inneren Commander Riker des Verfassers dieser Zeilen ungemein aufbringt. Ferner hätte es angesichts des großen Brimboriums rund um den neuen Spock-Darsteller Ethan Peck sicher nicht geschadet, ihn wenigstens einmal in einer Rückblende kurz zu präsentieren.

Eins der für den Kolumnisten erfreulichsten Details dieser Episode ist jedoch die Figur der »Jett« Reno. Comedians als Darsteller in »ernsthaften« Serien haben in der Vergangenheit diesen des Öfteren nicht eben gutgetan, entsprechend groß war hier die Skepsis. Doch das aufrichtige Bemühen, die neue Figur nicht zu mögen, scheiterte kläglich, und mittlerweile freut sich der Verfasser bereits auf das weitere Auftauchen der gelungen eingeführten und auch gut gestalteten Figur (wenngleich er sich nicht vorstellen kann, dass Reno ihre Crewkameraden wirklich alleine gerettet hat).

Folge 2.02: New Eden (New Eden)

Deutsche Erstveröffentlichung auf Netflix: 25. Januar 2019

Regie: Jonathan Frakes

Inhalt:

52 Als die Discovery ein weiteres mysteriöses Signal auffängt, das aus dem entlegenen Beta-Quadranten stammt, beschließt Pike, den eigentlich ruhenden Sporenantrieb des Schiffs ein weiteres Mal einzusetzen. Dies bringt Lt. Paul Stamets (Anthony Rapp) in eine persönliche Zwickmühle: Er fürchtet, bei der Nutzung des Myzel-Netzwerks erneut dem Echo seines verstorbenen Lebenspartners Dr. Hugh Culber (Wilson Cruz) zu begegnen. Fähnrich Sylvia Tilly (Mary Wiseman) kann ihm jedoch behilflich sein, mit seinen Bedenken zurechtzukommen.

Bei besagten Koordinaten angekommen, macht die Crew der Discovery eine unerwartete Entdeckung. Dort befindet sich ein Planet, auf den während des Dritten Weltkriegs auf der Erde im 21. Jahrhundert eine bunt zusammengewürfelte Gruppe von Menschen unter ungeklärten Umständen transferiert wurde. Die alten Legenden der unfreiwilligen Kolonisten besagen, ein mächtiger Engel habe das bewerkstelligt. Zum Dank für ihre Rettung haben die Leute eine aus sämtlichen irdischen Religionen zusammengewürfelte »Multi-Religion« geschaffen, um ihrem himmlischen Retter zu danken. Der »Weißen Kirche« steht eine religiöse Führerin (gespielt von Sheila McCarthy) vor. Außerdem ist der Planet durch eine sich anbahnende kosmische Katastrophe vom Untergang bedroht.

Ein aus Burnham, Pike sowie Lt. Joann Owosekun (Oyin Oladejo) bestehendes Landungsteam gibt sich als Besucher vom nördlichen Kontinent des Planeten aus und sucht nach einer Möglichkeit, die Planetenbevölkerung zu retten, ohne dabei die Hauptdirektive zu verletzen. Einzig der wissenschaftlich gebildete Jacob (Andrew Moodie) ahnt, dass die Besucher mehr sind, als sie zu sein scheinen.

53 Auf der Discovery derweil wurde Tilly beim Versuch, eine Lösung für das Problem zu finden, schwer verletzt. Doch statt sich zu erholen, tüftelt sie weiter und erhält dabei Unterstützung von einem jungen Crewmitglied namens May Ahearn (Bahia Watson), das eigentlich weder an Bord sein dürfte noch kann ...

In der Rahmenhandlung schließlich erfährt Burnham von Pike, dass Spock seinen Urlaub abgebrochen und sich in psychiatrische Behandlung begeben hat. Außerdem offenbart sie Pike ihre Begegnung mit dem mysteriösen roten Engel ...

Kritik: Die zweite Staffel bleibt wacker auf Kurs in Sachen »Back to the Roots«. Mit ein paar kleineren Abstrichen könnte man sich New Eden gut auch als Folge der klassischen Originalserie Raumschiff Enterprise oder von Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert vorstellen. Zwar dürfte so manch ein Spock-Fan ein entrüstet-leidvolles »Schon wieder nicht!« Beim Genuss der Folge gestöhnt haben, aber immerhin hat man mittlerweile eine ziemlich spannende kleine Nebenhandlung rund um ihn bekommen.

Ansonsten: »Trek at its best« mit auch hier nur eher kleinen Schönheitsfehlern. Im eigentlichen Handlungsmittelpunkt steht einmal mehr die Haupt-Direktive zur Nicht-Einmischung in die Entwicklung von Zivilisationen in ihrer Prä-Warp-Ära. Wie man erfährt, heißt die Oberste Direktive zu Zeiten der Discovery noch »General Order One«. Wie schon in mehreren Star Trek-Folgen in den vorangegangenen Serien muss Pike diese ganz gewaltig zurechtbiegen, um an Aufzeichnungen von jenen Ereignisse zu gelangen, durch die es die Kolonisten auf den Planeten verschlagen hat. Merkwürdigerweise hat so etwas selten

54 echte Konsequenzen, und man fragt sich bisweilen, ob die Direktive nicht eher eine Empfehlung ist.

Als außerordentlich positiv zu bewerten ist es, dass mittlerweile auch Crewmitglieder, die bisher bestenfalls Kurzauftritte hatten, größere Aufgaben erhalten, in diesem Fall Owosekun.

Wissenschaftlich interessierten Zuschauern hingegen dürfte der allzu sorglose und anscheinend nicht ganz gefährliche Umgang mit der dunklen Materie ein wenig säuerlich aufstoßen. Die offen Befehle ignorierende Tilly scheint zudem unter Gedächtnisproblemen zu leiden, wenn es um ihre neue Freundin Ahearn geht. Und dann wird sie für ihr Fehlverhalten auch noch von Saru geherzt und gelobt.

Wie heißt es so schön? Ein Haar findet sich auch in der besten Suppe. Doch hat man dieses erst mal herausgeangelt, bleibt in diesem Fall eine spannende Star Trek-in-Reinkultur-Folge übrig, bei der nur das »Fiction« vielleicht ein klein wenig zu sehr vor dem »Science« rangiert.

Folge 2.03: Lichtpunkt (Point of Light)

Deutsche Erstveröffentlichung auf Netflix: 1. Februar 2019

Regie: Olatunde Osunsanmi

Inhalt: Die Discovery hat ein Rendezvous mit dem vulkanischen Langstreckenschiff von Botschafter Sarek. Allerdings befindet sich dieser nicht an Bord, dafür aber seine Gemahlin Amanda Grayson (Mia Kirshner), die Burnham zu sprechen wünscht. Grayson ist in den Besitz von

55 klassifizierten Unterlagen gelangt, die Aufschluss über das Schicksal von Spock geben, die allerdings nicht die ohne Autorisation von Pike einzusehen sind. Nach anfänglichen Zweifeln gibt der Captain seine Zustimmung.

Die drei erfahren Schwerwiegendes: Spock wird beschuldigt, im Rahmen seiner geistigen Erkrankung drei Sternenflotten-Offiziere getötet zu haben und ferner aus einer psychiatrischen Einrichtung geflohen zu sein. Grayson vertraut Burnham an, dass auch Spock den »Roten Engel« seit seiner Kindheit immer wieder gesehen hat, was ihn sowohl geprägt als auch schwer belastet hat.

Zur gleichen Zeit kommt es zu einer schweren Prüfung für die frischgebackene klingonische Kanzlerin L’Rell (Mary Chieffo) und ihren Adjutanten und Fackelträger Ash Tyler (Shazad Latif), vormals bekanntlich »Voq«. Kol-sha (Kenneth Mitchell), der Vater des in Staffel 1 getöteten Kol, sägt mit brutalen Methoden am Stuhl der neuen Kanzlerin, die er als Föderations-Kollaborateurin sieht. L’Rells Onkel eröffnet Tyler schließlich ein wohlgehütetes Geheimnis: L’Rell ist die Mutter eines Kindes, das Voq zum Vater hat. Eine Eröffnung, die der Klingone kurz darauf mit seinem Leben bezahlt.

Damit nicht genug erfährt Kol-sha ebenfalls von dem Kind und entführt es, um L’Rell so zum Rücktritt zu zwingen.

Hilfe kommt auf überaus unerwartete Weise durch Ex-Imperatorin Georgiou (Michelle Yeoh), die bekanntermaßen mittlerweile unter Anleitung des verschlagenen Leland (Alan Van Sprang) für die sogenannte »Sektion 31« arbeitet.

Probleme ganz anderer Art hat Fähnrich Tilly: Im Zuge ihrer Ausbildung im Trainingsprogramm wird sie immer wieder

56 von der geisterhaften Erscheinung ihrer verstorbenen alten Schulfreundin Ahearn heimgesucht, die den Captain der Discovery zu sprechen wünscht. Bei diesem handelt es sich Ahearns Einschätzung nach jedoch nicht um Pike. Als das Phantom Tillys Trainingseinheiten torpediert, offenbart diese sich ihrem neuen Mentor Saru und Pike. Die anschließende Untersuchung der vermeintlichen Geistererscheinung offenbart Überraschendes ...

Kritik: Jetzt will man's aber ordentlich wissen bei Star Trek: Discovery. Gleich drei relativ gleichbedeutende Handlungsstränge nebeneiner präsentiert die vorliegende Folge. Zwar schafft man es, keinen wirklich zu kurz kommen zu lassen (wenngleich der Tilly/Ahearn-Handlungsstrang eine ziemlich unlogische Auflösung erfährt), doch fühlt sich so mancher Zuschauer wahrscheinlich reichlich überfordert von dem Tohuwabohu der hin- und herspringender Szenarien.

Da ist zum einen die Eröffnung bezüglich des offenbar durchgedrehten Spock, den man erneut nicht zu sehen bekommt, dann sind da die Machtkämpfe im klingonischen Imperium. Ein Teil der Klingonen hat nun übrigens wieder Haare, da in der ersten Staffel geflissentlich vergessen wurde zu erwähnen, dass diese sich in Kriegszeiten die Haare abschneiden (sic!). Dafür sieht ein Teil von ihnen nun den Magog aus der Serie Gene Roddenberry’s Andromeda sehr ähnlich, was besonders auf L’Rells Onkel und seine Getreuen zutrifft.

Dafür bekommt der Zuschauer die Auflösung, was es mit dem gealterten Kol auf den ersten damals veröffentlichten Promotion-Fotos auf sich hat, und es gibt ein Wiedersehen

57 mit Georgiou, die hier schon fleißig Werbung für ihre eigene kommende Serie macht.

Und schließlich die jedenfalls zeitweise gleichfalls durchgedrehte Tilly ...

Summa summarum eine spannende und auch in einigen Punkten erhellende Folge, bei der weniger aber ganz klar mehr gewesen wäre. Wenigstens zwei Episoden hätte man all diesen Handlungssträngen schon gönnen sollen, anstatt die Ereignisse sich derart überschlagen zu lassen.

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59 PHANTASTISCHES SEHEN

Bird Box – Schließe deine Augen

von Oliver Koch

Es ist gut, dass der Horror-Film Bird Box – Schließe deine Augen mit Sandra Bullock von Netflix produziert wurde, denn so wurde zahlreichen Kinogängern eine kleine Enttäuschung erspart. Denn obwohl der Streifen den erfolgreichsten Filmstart auf Netflix hinlegte und innerhalb von sechs Tagen stolze 45 Millionen Aufrufe aufweisen konnte, kann er nicht vollends überzeugen.

Zu viele Schwächen

Zu inkonsequent, zu viele Logiklöcher und offene Enden: Im Windschatten des 2018-Megahits A Quiet Place musste Bird Box unweigerlich wie ein Abklatsch wirken, der er nicht ist.

Immerhin basiert Bird Box auf dem gleichnamigen Roman von Josh Malerman und ist in seiner Erzählweise ganz anders aufgebaut. Den Versuch, eine durchgehende Story mit Charakteren zu erzählen, die in Blindheit leben, wie es A

60 Quiet Place mit dem Element der Stille tat, kann Bird Box schon allein wegen seiner Vorlage nicht unternehmen.

Stattdessen bietet er in Form von Rückblenden zahlreiche Dialogszenen, die auch erforderlich sind.

Letztlich ist es trotz solcher großartigen Darsteller wie Bullock und John Malkovich die fehlende Klasse, die Bird Box anhaftet. Während bei A Quiet Place das Mysterium rund um die Aliens funktioniert, bleibt die Auflösung bei Bird Box schwammig. Der Film macht einfach nicht genug aus der Tatsache, dass niemand etwas über die Fremden weiß und vermittelt das Geheimnisvolle nur in Grundzügen.

Copyright: Netflix

Da irritiert es noch mehr, dass die Menschen, die die Alien sehen, nicht mehr durchdrehen, sondern sich befreit und glücklich fühlen. Das Apokalyptische des Beginns wird somit ad absurdum geführt, und man weiß nicht, was man von den Aliens und dem Geschehen halten soll, oder was der Film eigentlich ausdrücken will.

61 Deutet der furiose Beginn des Films noch auf einen Science-Fiction/Horror-Thriller hin, wird das Machwerk später viel mehr zum Drama, dann wiederum zur Endzeit-Dystopie, all das allerdings ohne eindeutige Tendenz. Es mag einen die Vermutung beschleichen, dass die Verfilmung möglichst das ganze Spektrum abdecken wollte.

Mau und einigermaßen unspannend bleibt das filmische Resultat im Endeffekt allein dadurch. In den heimischen vier Wänden, wo man je nach Belieben jederzeit stoppen oder sich vom Filmgenuss ablenken lassen kann, mag so etwas weniger ins Gewicht fallen. Im Kino wäre das Halbgare des Werks wohl deutlich mehr aufgefallen.

Daher ist es in der Tat wirklich gut, dass Netflix diese trotz Cinemascope-Format eher als Fernsehfilm funktionierende Produktion vor der Kinoauswertung bewahrt hat.

Bird Box – Schließe deine Augen

Mit: Sandra Bullock, Trevante Rhodes, John Malkovich, Sarah Paulson

Regie: Susanne Bier

124 Minuten

Verleih: Netflix

62 Fritz Langs Das Testament des Dr. Mabuse – Tolles Mediabook mit kleinen Schwächen

von Reinhard Prahl & Thorsten Walch

Fritz Lang ist ohne Zweifel einer der größten Regisseure des 20. Jahrhunderts. Stummfilm-Meisterwerke wie Die Nibelungen: Kriemhilds Rache und Die Nibelungen: Siegfrieds Tod, Metropolis und Frau im Mond sind längst legendär.

63 Copyright: Alive

Kein Thema scheint Lang jedoch bis zum Ende seiner Karriere so sehr in den Bann gezogen zu haben wie das des »Mad Scientist« Dr. Mabuse mit seinen unverkennbaren Mystery-Einschlägen.

Bereits Dr. Mabuse, der Spieler war an den Kinokassen ein großer Erfolg gewesen.

Im selben Jahr, in dem das sozialkritische Science-Fiction-Werk Metropolis die Kinokassen eroberte, feierte der Tonfilm mit Der Jazzsänger von Alan Crosland seinen großen Durchbruch. Nachdem Lang bereits 1931 mit M – Eine Stadt sucht einen Mörder (Platz 78 in den Top 250 der IMDb-Charts) bewiesen hatte, dass er der neuen Technologie hervorragend gewachsen war, wagte er sich gemeinsam mit seiner Haus-und-Hof-Autorin Thea von Harbou 1932 endlich an die Mabuse-Fortsetzung Das Testament des Dr. Mabuse. 1933, kurz nach der Übernahme der Regierungsgewalt durch die Nationalsozialisten, wurde die Aufführung des Films in Deutschland allerdings 64 verboten, sodass die Erstaufführung am 21. April 1933 schließlich in Budapest stattfand. Am 12. Mai 1933 feierte man in Österreich noch einen großen Erfolg, bevor der Regisseur 1934 in die USA übersiedelte. Hier lag der Streifen bis 1943 auf Eis und wurde erst dann einem größeren Publikum vorgestellt.

Im Jahr 1960 wagte sich Lang ein letztes Mal mit Die 1000 Augen des Dr. Mabuse an den Stoff.

Fünf weitere Spielfilme anderer Regisseure folgten, die sich aber mit der Zeit immer mehr an der in den 1960er-Jahren beliebten Edgar-Wallace-Reihe zu orientieren schienen. 1971 nahm sich der Wegbereiter des spanischen Exploitationfilms Jesús Franco des Stoffes an und drehte Dr. M schlägt zu. 1989 folgte der bislang letzte Ableger aus Frankreich namens Dr. M von Claude Chabrol.

Zur Box

Das Testament des Dr. Mabuse ist zwar in zahlreichen DVD- und Blu-ray-Varianten erhältlich. Was Alive – Vertrieb und Marketing in Zusammenarbeit mit der Nero-Film AG, der Atlas Film GmbH, der Praesens-Film AG und Die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen mit dem vorliegenden Mediabook auf die Beine gestellt hat, ist allerdings aller Ehren wert.

Bereits die Box selbst fühlt sich hochwertig an und lehnt sich optisch stark an das originale Kinoplakat an. Ärgerlich ist nur, dass das hässliche FSK-16-Logo aufgedruckt und nicht –geklebt ist. In der heutigen Zeit sollte den Herstellern klar sein, dass Sammler es hassen, Cover auf diese Art verunstaltet zu sehen. Das ist aber auch fast schon das

65 einzige Manko der Produktion, denn bereits die Rückseite präsentiert sich aufgeräumt und stimmig.

Das Innenleben kann ohne weiteres als erstklassig bezeichnet werden. Der Film liegt auf DVD und Blu-ray vor und ist endlich in ungekürzter Fassung zu sehen. Das Bild auf der BD zeigt sich liebevoll restauriert und scharf. Der Ton wurde auf DTS-HD MA aufpoliert, wobei man sich aufgrund des Alters des Werks selbstverständlich weiterhin mit einer Mono-Spur zufriedengeben muss.

Kernstück des Produkts ist jedenfalls das wundervolle 22-seitige Mediabook mit vielen Archivbildern.

Einleitend äußern sich Martin Koerber (Die Deutsche Kinemathek) und Thomas Worschech (Deutsches Filminstitut – DIF e.V.) zur Restaurierung und Digitalisierung. Eine von Koerber verfasste aufschlussreiche und interessante Geschichte des Films schließt sich auf vier Seiten an. Sodann folgen einige begleitende Abdrucke aus dem Presseheft zum Film von 1933, die sich näher mit den Außenaufnahmen und den Filmtechniken der frühen 1930er-Jahre befassen. Filmfans mit einem Hang zu technischen Details werden begeistert sein. Ein Artikel vom Darsteller des Kriminalkommissar Karl Lohmann, Otto Wernicke, der ebenfalls dem Presseheft entnommen ist, und eine kritische Kurz-Biographie zu Lang von Koerber runden das informative Booklet ab.

Als zusätzlicher Bonus und kleines Highlight legen die Verfasser noch einen maßstabsgerecht verkleinerten Abzug des Original-Kinoplakats bei.

Fazit

66 Alles in allem hat man sich mit dem Mediabook zu Das Testament des Dr. Mabuse sehr viel Mühe gegeben. Optik und Haptik gehen voll in Ordnung, die Ausstattung gestaltet sich üppig.

Zu bemängeln ist in erster Linie eben der Druck des FSK-Logos, und auch einige Extras auf den Datenträgern wären sicherlich nett gewesen. So können etwa auf YouTube Interviews mit Lang abgerufen werden, die in der erwähnten Biografie sogar explizit angesprochen werden. Trotz dieser kleinen Kritikpunkte ist der auf Amazon bezifferte Preis von EUR 21,99 mehr als angemessen.

Glass – Insights von M. Night Shyamalan

von Anna Pyzalski

Wenn David Dunn und »Die Bestie« aufeinandertreffen, kann man durchaus von einer actionbepackten Szene ausgehen. Und genauso fängt auch Teil 3 der sogenannten Eastrail 177-Trilogie von M. Night Shyamalan an.

67 Copyright: Disney

Hintergrundgeschichte

Dunn (Bruce Willis) kennt der Zuschauer des seit Monaten mit viel Spannung erwarteten Films Glass natürlich bereits aus Unbreakable – Unzerbrechlich. Was kaum jemand weiß: Schon vor 18 Jahren hätte »Die Bestie« (James McAvoy) einen Auftritt in diesem Film haben sollen, damals selbstverständlich noch wesentlich jünger als man ihn heute kennt.

Aber bekanntlich bekam McAvoy mit Split stattdessen später seinen eigenen Teil der Reihe. Und in Glass darf er gleich mit ganzen 22 Persönlichkeiten aufwarten.

Wie Shyamalan im Interview mit der Corona Magazine-Redaktion vor Kurzem erklärte, führten die schauspielerischen Fähigkeiten McAvoys am Set nach jeder Szene zu Applaus, was die Dreharbeiten etwas hinauszögerte. Genau deswegen hätte er den theatralischen Schauspieler aber ja auch für diese Rolle auserwählt.

68 Das große Finale

In Glass nunmehr befindet man sich als Zuseher mit den drei Hauptdarstellern in einer Psychiatrie. Ja, mit allen dreien: Auch der Strippenzieher aus Unbreakable, Elijah Price aka Mr. Glass (Samuel L. Jackson) ist mit von der Partie, genau wie ein großer Teil der Besetzung der vorhergehenden Filme. Es hat tatsächlich etwas von einem Familientreffen, wenn man alle Vorgänger kennt.

Und genau das macht diese Fortsetzung hier aus: Man muss sie eben wirklich als einen Teil des zusammenhängenden Universums betrachten. Als 19 Jahre von einem Plans und nicht nur von einem Plan von Mr. Glass selbst, sondern auch von einem Plan von Shyamalan. Wer die Geschichte dieses Regisseurs ein wenig verfolgt, weiß, dass er sowohl Split als auch Glass komplett aus eigener Tasche finanziert hat, damit er diese Filme so umsetzen kann, wie er es gerne hätte, und damit die eigentliche Story von Unbreakable im Laufe der Reihe Sinn machen würde.

Als eigenständiger Film jedoch, würde die Autorin dieses Artikels behaupten, hat Glass kaum eine Chance, wirklich zu funktionieren. Das Vorwissen, das durchaus notwendig ist, um die Handlung zu durchschauen, wird dem neuen Betrachter einfach fehlen.

Lobend hervorzuheben ist in diesem Werk wie so oft der Auftritt von McAvoy, der mit jeder seiner Persönlichkeiten vollends überzeugt. Auch Willis macht seine Sache gut, wenn er auch leicht verblasst gegenüber McAvoy, und das, obwohl er in früheren Filmen weitaus weniger Einsatz zeigt. Einzig Sarah Paulson konnte die Verfasserin nicht zu 100 % überzeugen, und das obwohl sie gerade in den Szenen

69 zusammen mit McAvoy eine hervorragende Leistung hätte bringen können. Beide Schauspieler wurden schließlich im Theater ausgebildet, aber irgendwie ging die Rolle der Psychologin in diesem Streifen unter, und man könnte sie durchaus als »flach« bezeichnen.

Beeindruckend in Glass ist die sehr reduzierte Nutzung von CGI-Effekten, die bei sonstigen Comic-Verfilmungen viel häufiger zum Einsatz kommen. So wurde die erste Actionszene mit Dunn und Der Bestie mit nur einer einzigen bewegbaren Kamera in einem Durchgang gedreht. Der einzige CGI-Moment hier wurde in Form eines Tischs eingefügt. Mehr Elemente dieser Art gibt es in diesem Film nicht. Wieder einmal typisch Shyamalan.

Fazit

Für Fans der Reihe wird dieser Film ein guter Abschluss sein, auch wenn das Ende in der heutigen Zeit so nicht ganz funktionieren würde. Als alleinstehender Film versagt er leider ein wenig, auch wenn die Autorin dieses Artikels diese Aussage wirklich ungern trifft, da sie ein großer Shyamalan-Fan ist.

Sie bleibt jedenfalls gespannt auf weitere Projekte dieses Regisseurs.

70 Aquaman – Von der Witzfigur zum Franchise-Erretter

von Bettina Petrik

DC hat es schon nicht leicht. Auf dem Comic-Markt immer Marvels größter Konkurrent, waren in Sachen Adaption die Gehversuche immer irgendwo zwischen Kassenschlager und Mega-Flop angesiedelt. Hier mal ein (Bat-)Nipplegate in den wenig beliebten Joel-Schumacher-Filmen von 1995 und 1997, da ein Film mit einer völlig unglaubwürdigen Halle Berry als titelgebende Catwoman (2004), der die Bemühungen, auch weiblichen Superhelden mehr Hauptrollen zu geben, gleich wieder um 10 Jahre zurückwarf. Daneben aber auch Popkultur-Ikonen wie die Comedy-gefärbte Batman-Serie aus den 1960er-Jahren und Christopher Nolans Trilogie rund um denselben Superhelden, der am Ende des Tages eigentlich immer den Tag retten konnte, wenn Warner Bros. Pictures schon länger mehr keinen Hit für das Comic-Haus zu produzieren vermochte. DC kann es, wenn die richtigen kreativen Köpfe am Hebel sitzen, deswegen gab es durchaus Anlass zur Hoffnung, als die Verantwortlichen angesichts des riesigen

71 Erfolgs des Marvel Cinematic Universe seit 2008 dasselbe Konzept für ihre kommenden Verfilmungen anstrebten.

Seit Veröffentlichung des ersten Teils des DC Extended Universe, Man of Steel (2013) gab es für das Filmstudio allerdings mehr Auf und Abs als in den ganzen Jahrzehnten zuvor zusammen. So manch einer betrachtete das Projekt bereits als gescheitert, angesichts der teils extrem negativen Reaktionen sogar von Hardcore-Comic-Film-Fans auf Machwerke wie Suicide Squad aus 2016 (gerade mal 27 % positive Bewertungen auf Rotten Tomatoes). Nicht nur ein Kritiker fragte sich, ob es angesichts der teils qualitativ unterirdischen Drehbücher für DC nicht besser wäre, zurück zu eigenständigen Filmen zu gehen. Immerhin zeigte 2017 der Ausreißer nach oben, Wonder Woman, mit überdurchschnittlichen Bewertungen sowohl von Publikum als auch von der Presse, dass man immer noch konnte, wenn man wollte.

Und dann kam Ende letzten Jahres Aquaman.

Der mit den Fischen spricht

Was vielen Nicht-Comic-Kennern nicht bewusst sein dürfte: Es hat wohl kaum je einen unwahrscheinlicheren Charakter gegeben, der ein praktisch schon gescheitertes Franchise retten sollte als Arthur Curry aka Aquaman (Jason Momoa).

Nicht nur aufgrund seines sehr farbenfrohen gold-grünen Comic-Kostüms wurde dieser Charakter selbst von vielen DC-Fans bis vor kurzem nur wenig ernst genommen. Auch der Running Gag, dass Currys Superkraft die wäre, mit Fischen zu reden, machte die Figur nicht gerade zum Franchise-Liebling.

72 Copyright: DC/Warner Bros

Umso erstaunlicher auf den ersten Blick, dass Curry in dem ansonsten vom Publikum nur wenig geliebten Ensemble-Film Batman v Superman: Dawn of Justice (2016) allen mit seinem trockenen Humor und seiner politischen Unkorrektheit die Schau stahl. Seitdem war durchaus auch der nur moderat Comic-interessierte Kinobesucher gespannt auf das Solo-Outing des Helden. Dass dieses aber eine unfassbare Summe von momentan 1.101,87 Millionen Dollar einspielen würde, und das, obwohl die Kritiker den Film als durchschnittlich sehen und auch die Publikumsbewertung bei gerade mal 78 % auf RT liegt …

Damit hätte wohl in seinen kühnsten Träumen keiner der Macher gerechnet.

Woran liegt’s?

73 Nicht ein ganz so überraschtes Gesicht macht vielleicht der intensiv im Fandom verwurzelte Fantasy-Kenner. Dass Momoa dem Stereotypen des Halbwilden immer seinen ganz eigenen Stempel aufdrückt, beweist schon, dass man sich auch Jahre später immer noch an seinen Charakter in Game of Thrones (seit 2011) erinnert, obwohl der wie so viele andere rasch das Zeitliche segnete.

Mit der Darstellung von Curry ist Momoa aber noch ein größeres Kunststück gelungen, und das ist nicht zuletzt auch Regisseur James Wan (Conjuring-Filme) zu verdanken. Auch das ein Name, dem vor allem Horror-Fans längst zu vertrauen gelernt haben, wenn es um übernatürliche Produktionen geht. Wans ganz große Stärke sind die Charaktere hinter den Geschichten, die Emotion hinter der Action. So wie er seit Jahren selbst Horror-Angsthasen für das Schicksal der Dämonenjäger Ed und Lorraine Warren begeistert, hebt er Curry von der Fassade einer atemberaubenden CGI-Kulisse ab.

Und nicht zuletzt ist der durchschlagende Kassenerfolg des Films, der eine Fortsetzung längst außer Frage stellt, auch den progressiven Bemühungen in Sachen Vielfalt bei DC zu verdanken. Weil hier eben kein blonder Schönling im orangefarbenen Latex auf einem Delfin surfend durch Kalifornien schippert. Im Gegenteil: Damals noch Zack Snyder, der nach einer privaten Familientragödie bei diesem Projekt nur ausführender Prozent war, eröffnete einem anfangs noch skeptischen Momoa, dass man sich genau solche Comic-Authentizität in Bezug auf die Herkunft des Charakters nicht wünsche. Stattdessen würde man Momoas rituelle Tattoos über seinen ganzen Körper erweitern und seine polynesischen Wurzeln (Momoa ist Hawaiianer) in das Setting mit einfließen lassen.

74 Und damit wurde auf mehr auf eine Weise trotz eines auch diesmal nicht perfekten Drehbuchs ein ganz großer Triumph konstruiert.

Auch die Vermarktung macht‘s

Um eins klarzustellen: Groß etwas Neues hat auch Aquaman als Superhelden-Vorgeschichte in Zeiten absoluter Superhelden-Übersättigung storytechnisch nicht zu bieten.

Von dem verkannten Königssohn der Unterwasserwelt, der bei den Menschen aufwächst, bis hin zum Thronfolgestreit mit dem fehlgeleiteten Bruder hat man wirklich alles in Filmen dieser Art schon mal gesehen. Da kann man sich als Rezensent sogar die ausführliche Inhaltsangabe sparen.

Natürlich gibt es auch die Verlobte eines anderen, die sich der Titelheld schnappt, hier in Form von Mera (Amber Heard), die man ebenfalls schon aus Dawn of Justice kennt. Und am Ende besteigt der lange verlorene König natürlich trotzdem den Thron, obwohl er es unter gar keinen Umständen niemals-nicht wollte.

Aber Momoa verhält sich nicht, als ob er in einem Unterwasser-Aufguss von anderen Superhelden-Filmen auftritt. Er sieht auch definitiv nicht aus wie ein weiterer Marvel-Held mit dem schönen Vornamen Chris. Momoa ist anders, und es ist ihm vollkommen egal. Anstatt gelangweilt bei der Filmpremiere über den blauen Teppich zu flanieren, versammelt er an seiner Seite viele der anderen polynesischen Schauspieler aus dem Film, darunter Temuera Morrison, von dem sich Star-Wars-Fans ohne Zweifel gefragt haben, wann man dieses Gesicht mal wieder in Hollywood sehen würde ... Und dann bebt der Teppich

75 gleich zweimal, an zwei Premierenorten, unter den Kriegerschreien und –Tänzen eines waschechten neuseeländischen Hakas. Morrison und Momoa nimmt man ihre berührende, respektvolle Vater-Sohn-Beziehung im Film auch deshalb ab, weil sie beide ihre so sehr mit dem Meer verbundene Herkunft mit genauso viel Leidenschaft wie Würde präsentieren.

Wer könnte besser den Ozean und das Leben darauf und darin präsentieren?

Technisch einwandfrei

Dazu kommt die Optik – wer sich bei einem der ersten Promotion-Bilder vielleicht noch über ein Getty-Stockfoto eines Hais lustig gemacht hat, wird beim Filmgenuss eines Besseren belehrt. Die verschiedenen Unterwasservölker und ihre Konflikte werden mit einer überwältigenden Detailflut präsentiert, die zur Abwechslung sogar mal wieder die Extra-Euros für die 3D-Vorführung rechtfertigt. Wer sich nach dem Kinobesuch nicht wünscht, auf seinem eigenen gepanzerten Seepferd in die Schlacht zu reiten, hat geschlafen.

Und sicher nicht vor Langeweile. Die Story entwickelt sich Schlag auf Schlag. Einerseits der Konflikt zwischen den Völkern, angetrieben von den Intrigen von Orm (hier greift Wan schlauerweise auf sein bewährtes Zugtier Patrick Wilson zurück), und dann Currys Kampf mit seinen eigenen Wurzeln und seine Suche nach der Vergangenheit. Heards und Momoas cool-süße Chemie macht auch das Seitenabenteuer ihrer Schnitzeljagd nicht zuletzt wegen der Kulisse der wunderschönen Landschaft Siziliens zu einem Erlebnis.

76 Etwas früh muss man sich leider von Black Manta (Yahya Abdul-Mateen II) verabschieden, der trotz nachvollziehbarer Rache-Ambitionen ein wenig mehr Zeit im Rampenlicht hätte vertragen können.

Überhaupt ist doch sehr viel dieser geschichtsträchtigen Comic-Welt von Atlantis in das Filmabenteuer hineingepackt worden, sodass das Erzähltempo oft sehr hektisch wirkt. Auch der Humor zündet nicht immer ganz so, wie er soll, und wer mit Momoas schamlosen Suff- und Pipi-Witzen nichts anfangen kann, ist bei Benedict Cumberbatch im Neben-Universum vielleicht doch besser aufgehoben.

Reicht, weiter so

Wer im wahrsten Sinne des Wortes gern mal abtauchen will, und eine durchaus berührende Familiengeschichte eines wachsenden Helden erleben, garniert mit leicht bekleideten, gestählten, nassen Männerkörpern, Unterwassermonstern und atemberaubenden Schauplätzen, der ist bei diesem Film hingegen genau richtig gelandet.

Fortsetzung mehr als verdient. Gerne weiter so, DC. Dann klappt’s auch irgendwann mit dem zusammenhängenden Universum.

77 Chaos im Netz – Wer ist eigentlich … Ralph?

von Sharine Jansen

Zum letzten Weihnachtsfest haben meine Kinder neben reichlich Schokolade auch 3-D-Kino-Geschenkboxen bekommen. Da diese Zuwendung aus dem Bekanntenkreis eher unerwartet kam, konnte ich mich der Situation nicht rechtzeitig entziehen, wie so oft mit einer mütterlichen Wissenslücke konfrontiert zu werden. Während die Teenagerfraktion eher zurückhaltend aber trotzdem freundlich ein »Danke« in Richtung Gönner hauchte und die Trophäe schnell in Sicherheit brachte, hüpfte die Teenager-Anwärterschaft mit der Geschenkbox wedelnd und nuschelnd um mich herum:

78 »Mama, Mama, Mama! GehschtDuMitmirinRalfreischschwei?«

Beim Blick auf meinen Schokolade kauenden Sohn, der mir immer noch erwartungsvoll die Blechbox fast ins Gesicht drückte, formte sich in meinem Kopf eine Erinnerung an die Fernsehwerbung einer Diätmarke aus vergangenen Zeiten (»Wer ist eigentlich Paul?«), und ich hörte mich fragen: »Wer ist eigentlich … Ralph?«

Dem entgleisten Gesichtsausdruck meines Kindes konnte ich entnehmen, dass ich mit dieser Frage wohl wieder mal eine Senioren-Mutter-Punktlandung vollzogen hatte.

Copyright: Disney

Da ich mich aber noch lange nicht so alt fühle, wie ich in diesem Moment gewirkt haben muss, nahm ich umso motivierter das Projekt Chaos im Netz in Angriff.

Das Experiment

79 An einem Sonntag, kurz nach Kinostart von besagtem Film in Deutschland am 24. Januar 2019, packte ich also meine Schar ins Auto, mit dem Ziel, meine aktuelle Wissenslücke zu schließen und wieder eine Up-to-date-Mami zu werden.

Leider konnten wir ausgerechnet die Boxen, die das Thema angestoßen hatten, gar nicht verwenden, da der Streifen nicht dreidimensional angeboten wurde, daher sorgte ich als erprobte Super-Mami für ein kleines Bonbon und fand Alternativen, nämlich D-Box-Sitze (hört sich fast genauso an wie 3-D-Box – ist aber etwas völlig anderes).

Mit Nachos und Cola bewaffnet nahmen wir erwartungsvoll Platz und hatten schnell herausgefunden, wo so ein D-Box-Sitz seine Steuerung hat. Ohne zu wissen, was das Ganze genau bedeutet, stellte ich das Ding einfach mal auf die stärkste Stufe ...

Worum geht’s eigentlich in dem Film?

Randale-Ralph (gesprochen im Original von John C. Reilly) und seine Freundin Vanellope (gesprochen von Sarah Silverman) sind zwei virtuelle Spielfiguren, die mit ihren Freunden in der Welt der guten alten Arcade-Spiele leben.

Die Existenz von Vanellopes »Zuhause« – dem Spiel Sugar Rush – gerät allerdings in Gefahr, als durch die Verkettung ungünstiger Umstände das Steuerlenkrad abbricht und das Gerät aufgrund seines Alters nur noch durch ein ausschließlich bei eBay erhältliches Ersatzteil gerettet werden könnte. Allerdings sieht der Spielhallenbesitzer aufgrund des erhöhten Preises keinen wirtschaftlichen Nutzen und entscheidet sich, das Spiel zu verschrotten. Für Ralph und Vanellope beginnt ein Wettlauf mit der Zeit.

80 Ohne sich den Dimensionen des Internets bewusst zu sein, schleichen sie sich über den W-LAN-Router der Spielhalle ins Netz und versuchen eigenständig, das fehlende Ersatzteil über die Auktionsplattform zu erwerben ...

An dieser Stelle verneige ich mich das erste Mal ehrfürchtig vor der Phantasie der Drehbuchautoren.

Süße und aufregende Umsetzung

Habt ihr euch schon einmal Gedanken gemacht, wie ein personifiziertes Pop-up aussieht? Oder welche Arbeit die Browser-Suchleiste täglich damit hat, für alle Suchanfragen per Autovervollständigung die richtigen Vorschläge zu erraten? Und was eigentlich mit uns passiert, wenn wir durch einen Link auf eine Website geleitet werden? Nein? Ich auch noch nicht.

Deswegen empfand ich es als umso schöner, mich auf solche Überlegungen einzulassen, mit Ralph und Vanellope durch Datenautobahnen zu flitzen und auf all die für uns im Alltag so selbstverständlich gewordenen Funktionen und Websites zu gelangen. Hier haben die kreativen Köpfe Phil Johnston und Pamela Ribon wirklich viel Geschick bewiesen, all den doch recht technischen Funktionen Leben einzuhauchen und aus dem grauen World Wide Web eine pulsierende Metropole mit allen Facetten einer farbenfrohen und vielseitigen Gesellschaft zu machen.

In der Werkstatt der Walt Disney Animation Studios wurden die Figuren und Szenen grafisch genauso eindrucksvoll und ergreifend umgesetzt. Schnell hatten mich die beiden Hauptcharaktere mit ihren charmanten Persönlichkeiten für sich gewonnen. So heizte die kleine Vanellope meinen fürsorglichen Mutterinstinkt an, und mit Ralph konnte ich

81 ständig mitfiebern, wie sein guter Wille zunächst immer für Chaos sorgte.

Nun möchte ich daran erinnern, dass ich mich ja in einem dieser ominösen D-Box-Sitze befunden habe, und wer Ralph reicht bereits gesehen hat, mag sich nun denken können, dass ich mir da ganz geschickt einen für dieses erste Live-Erlebnis sehr passenden Film ausgesucht habe.

Sowohl Vanellopes Rennen im unschuldig- kindlichen Sugar Rush als auch in Slaughter Race, dem coolen, dreckigen, verruchten Gang-Rennspiel im Internet, waren für uns alle ein Erlebnis in neuen Dimensionen. Hier geht mein Dank gleich noch einmal an die beiden Regisseure, und darüber hinaus auch an Henry Jackman, der für den Film die Musik komponierte. Ich fühlte mich in allen Szenen musikalisch einwandfrei versorgt. Ob der nötige Speed in Rennszenen, die angemessene Spannung bei unerlaubten Handlungen der Hauptfiguren, die Dramatik oder Ironie, die Komik ... Jackman hat alles passend untermalt und somit noch mehr Möglichkeiten geschaffen, mit den Hauptcharakteren gemeinsam alle Abenteuer zu erleben und zu meistern – mit oder ohne D-Box-Sitz.

Wer – so wie ich – die 1980er-Jahre er- und gelebt hat, stößt in diesem Film neben den typischen Figuren der damaligen und heutigen Zeit auch auf den einen oder anderen Hit aus vergangenen Tagen. Wem ginge nicht das Herz auf, wenn sich eine Vanellope und ein Ralph unerlaubt ins Internet schleichen und dabei ausgerechnet von Michael Jacksons Bad begleitet werden? Bei mir hat es auf jeden Fall Begeisterung hervorgerufen!

Fazit

82 Nein, ich wusste nicht, wer Ralph ist ... in der Tat eine Wissenslücke. Sogar eine sehr große. Nach 112 Minuten Film-Laufzeit, jeder Menge Nachos und Cola hatte ich einen weiteren Streifen auf meiner Liste mit »Kann ich mir immer wieder angucken«-Filmen, und zwar einen mit dem Zusatz: »Muss ich mir noch oft ansehen«.

Ganz gewiss hat Chaos im Netz so viel Inhalt und Selbstironie sowie den nötigen Nostalgie- und Wiedererkennungseffekt, dass es unmöglich scheint, alles beim ersten Mal direkt zu realisieren. Ein Film, bei dem die Hintergrundszenen genauso wertvoll sind wie die eigentliche Haupthandlung. Ein Film, der wach hält und fasziniert ...

Aber nur weil Mutti begeistert ist, heißt das ja nicht, dass wirklich alles gut ist. Während ich viele unterhaltsame Minuten erlebte, allerdings aufgrund der D-Box-Sitze zwischenzeitlich nicht immer überzeugt von der Idee von Nachos war, während ich mich mitreißen ließ von dem Abenteuer, ein Held zu werden und bis zum Ende mitfieberte, ob eine Freundschaft wohl hält, wenn man seine alten Schuhe abstreift und neue Ufer kennen lernen möchte … Währenddessen betrachtete mein Junior das Ganze wohl aus einer etwas anderen Perspektive. Befragt nach dem Filmende nach seiner Expertenmeinung bekam ich folgende Antwort: »Weißt du, Mama ... Der Film war gut, aber es fehlte etwas ... Wenn du den ersten Teil gesehen hättest, wüsstest du, was ich meine. Es fehlt etwas ...«

Bisher ist es für mich ein Geheimnis, was er meint. Ich muss den Genuss des ersten Teils definitiv dringend nachholen. Falls ihr ihn schon gesehen habt, empfehle ich euch den zweiten schon alleine deswegen, damit ihr wisst, was fehlt

83 und mitreden könnt.

Solltet ihr auch Ralph-Neulinge sein, schaut euch das Machwerk trotzdem an, unbedingt! Ihr werdet nichts vermissen, sondern ein ähnlich kurzweiliges Erlebnis haben wie ich.

Mir reicht´s – ich geh jetzt mein Einhorn streicheln.

Chaos im Netz

Mit: John C. Reilly, Sarah Silverman, Gal Gadot Regie: Phil Johnston, Rich Moore

112 Minuten

Verleih: Walt Disney Animation Studios

84 WERBUNG

85 Star Trek: Discovery auf Blu-ray – Top oder Flop?

von Reinhard Prahl

Ein Vorweihnachtsgeschenk für Nerds: Seit dem 22. November 2018 ist die erste Staffel des neuesten Star Trek-Ablegers Star Trek: Discovery im Handel erhältlich.

Copyright:

Fans ohne Zugang zu Netflix mussten sich in diesem Fall lange gedulden. Schon am 12. Februar 2018 war »Disco«, wie die Show gern liebevoll genannt wird, auf dem 86 Streamingdienst erschienen. Sie löste unter den Geeks bekanntlich ähnlich heiße Debatten aus wie 16 Jahre zuvor Star Trek: Enterprise. Die DVD-Veröffentlichung der letzten Star Trek-TV-Produktion vom Gespann Rick Berman/Brannon Braga ließ jedoch letztlich keine Wünsche offen. Zahllose Stunden an interessanten Specials erfreuen auch heute noch das Fan-Herz.

Doch erfüllen auch die CBS Television Studios die hohen Erwartungen, wie es die bisherigen Releases stets konnten? Oder müssen Käufer der neuen Staffelbox zurückstecken?

Optisch sehr gut

Die Antwort ist ein aussagekräftiges »jein«.

In Sachen Qualität lässt man sich bei CBS nicht lumpen und hält so an althergebrachten Traditionen fest. Abgesehen von dem ansprechenden Slimcase, das mit einem Pappschuber in erhabener Schrift ausgestattet ist, lässt auch der Inhalt der Box so gut wie keine Wünsche offen.

Die Menüführung wurde schlicht aber ansprechend gestaltet und orientiert sich so passend am Intro der Serie. Die einzelnen Episoden lassen sich leicht finden und anwählen. Die 15 Folgen wurden großzügig auf vier Silberscheiben verteilt. Die Einzelanwahl der Episoden offenbart zudem Promos oder, sofern vorhanden, Extended und Deleted Scenes.

Sowohl Bild- als auch Tonqualität verwöhnen Auge und Ohr. Auf der Box befinden sich Tonspuren in Deutsch, Englisch, Französisch, Japanisch und Italienisch in DTS, lediglich die spanische Synchronisation muss sich mit Surround-Sound 5.1 begnügen. Zudem werden in zehn Sprachen Untertitel

87 angeboten. Das Bild präsentiert sich knackig scharf und in hervorragender Farbbrillanz. Das war allerdings auch kaum anders zu erwarten; alles andere hätte in der heutigen Zeit ein absolutes No-Go bedeutet.

Fast ist nicht perfekt

Die Box bietet mit insgesamt zehn mehr oder weniger langen Featurettes interessante Einblicke in die Entstehung der Serie. Anders als bislang üblich sind die Kurz-Dokus nicht auf einem eigenen Datenträger untergebracht. Leider kommen Interviews insgesamt etwas zu kurz. Auch Inhalte zu den bislang sträflich vernachlässigten Nebenfiguren wären eine nette Ergänzung gewesen.

Andererseits werden Features zum Design, der Entwicklung des Score, der Beschaffung und Herstellung der Requisiten, zum Kostümdesign und mehr geboten.

Begeisterte Cosplayer dürften sich an den Specials Beam die Requisiten hoch und Kleider Machen Leute erfreuen. Hier gibt es sich sicherlich einiges abzuschauen.

Besonders gelungen ist auch ein kurzes Behind-the-Scenes-Featurette mit dem Namen Fresslust, in dem die Food-Designer über die Herstellung von »außerirdischen« Speisen berichten. Leider ist der Bericht etwas kurz gehalten, dafür aber recht informativ.

Als Minuspunkt verbuchen lässt sich, dass zumindest auf der Standard-Edition keinerlei Audiokommentare zu entdecken sind. Gerade motiviert gesprochene Kommentare führen den interessierten Zuhörer oft tief hinter die Kulissen. Es ist schade, dass man hier an entsprechenden

88 Aufzeichnungen gespart hat. Hoffentlich bessert CBS diesbezüglich zur Veröffentlichung von Staffel 2 nach.

Erwähnenswert ist zudem, dass die Short Tracks nicht auf den Datenträgern enthalten sind. Zwar waren bis zum Erscheinungsdatum der Blu-ray-Box noch nicht alle vier Kurzfilme auf CBS All Access erschienen. Als Vorab-Schmankerl für die zahlende Kundschaft wäre dieser Bonus aber sicherlich drin gewesen.

Fazit

Abgesehen von diesen wenigen Schwachstellen ist die Blu-ray-Box von Discovery sehr gut gelungen und absolut ihr Geld wert.

Ausstattung

671 Minuten 1080p High Definition 2.00:1 Sprachen: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Spanisch (Dolby Digital 5.1) Untertitel: Deutsch, Englisch, Dänisch, Finnisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Norwegisch, Spanisch, Schwedisch

Featurettes Entdecke die Discovery: Die Konzepte und das Casting von Star Trek: Discovery Im Schatten von Giganten: Die Erschaffung des Discovery-Sounds Annehmlichkeiten: Blick hinter die Kulissen der Make-Up-Artists Die Erschaffung des Weltalls Beam die Requisiten hoch

89 Die Abenteuer einer Frau: Vorstellung der starken weiblichen Charaktere vor und hinter der Kamera Kleider machen Leute: Entstehung der spektakulären Kleider, Uniformen und Rüstungen Star Trek: Discovery: Die Reise der ersten Staffel Easter Egg: Fresslust

Perlentaucher: Trax – Zurück in die Zukunft – Zu wenig beachteter Klassiker

von Thorsten Walch

Wie? Wo? Was? Marty McFly und Doc Emmett Brown mit ihrem Delorean in Serie?

90 Copyright: Warner Bros

Nein, nein, Kommando zurück. Der deutsche Untertitel der Serie – Zurück in die Zukunft hat nichts mit der erfolgreichen und beliebten Filmreihe von Robert Zemeckis und Steven Spielberg gemein. Davon gab es zwar ebenfalls eine Serien-Adaption, aber nur in Zeichentrick-Form.

Time Trax hingegen hat mit McFly nicht wirklich etwas zu tun ... Wenn schon, dann eher mit Dr. Sam Beckett und Al Calavicci, die ihrerseits gewissermaßen Epigonen von McFly und Brown waren ...

Ziemlich verwirrend, nicht wahr? Das haben die meisten Zeitreisegeschichten an sich. Um diesem Zustand abzuhelfen, fangen wir noch einmal ganz von vorne an ...

Im Silver Age des phantastischen Fernsehens

Zu weit wollen wir jedoch nicht ausholen. Es sei lediglich gesagt, dass das phantastische Fernsehen Anfang der 1990er-Jahre sein Silbernes Zeitalter erlebte, nachdem das Goldene Zeitalter zweifellos zwischen den 1960er- und den 1970er-Jahren stattgefunden hatte. In den frühen

91 1980er-Jahren hatte V – die außerirdischen Besucher kommen zumindest Achtungserfolge in Insider-Kreisen gefeiert und war hierzulande zum Renner in den Videotheken geworden.

Ab 1987 gab es dann bekanntlich Raumschiff Enterprise – Das nächste Jahrhundert, das von Staffel zu Staffel erfolgreicher wurde. Schließlich plante man sogar eine Ableger-Serie, und die Allgemeinheit der TV-Produzenten wurde sich des mehr als nur leicht aufkeimenden Interesses des Fernsehpublikums an phantastischen Stoffen zunehmend gewahr.

Zunächst gab es allerdings eher weniger gelungene Versuche, die TV-Welt mit entsprechendem Material zu versorgen. Als Beispiel sei die Fortsetzung des Filmklassikers Kampf der Welten im Fernsehformat mit dem Titel Krieg der Welten genannt. Immerhin brachte es die trashig-brutale Serie zwischen 1988 und 1990 auf 43 Episoden.

Ein ganz anderes Kaliber war da schon die Produktion Zurück in die Vergangenheit, die 1989 startete und bis 1993 zu sehen war. Über 97 Folgen in fünf Staffeln lang versuchte darin der angesprochene Wissenschaftler Beckett (Scott Bakula), begleitet von seinem lediglich als Hologramm auftretenden Kompagnon Calavicci (Dean Stockwell), eine von ihm selbst verursachte Störung der Raumzeit zu korrigieren. Dazu musste er in jeder Folge in einen anderen Körper von relevanten Personen aus der Vergangenheit schlüpfen.

Zurück in die Vergangenheit erwies sich anfangs als echter Quotenrenner, und damit sind wir auch endlich bei Time Trax: Als das Serienende von Zurück in die Vergangenheit bereits in der Luft lag, dachten ein paar clevere Produzenten

92 möglicherweise darüber nach, wie man ein ähnliches Serienformat an den Start bringen konnte, nun, da sich das Silver Age des phantastischen Fernsehens anzubahnen begann. Allerdings sollte diese neue Serie wesentlich mehr Science-Fiction-Elemente enthalten als Zurück in die Vergangenheit, welche Reihe trotz der phantastischen Rahmenhandlung eigentlich eher im Genre des menschlichen Dramas und mitunter sogar der Tragödie angesiedelt war.

Star Trek-Produzent am Ruder

Da nun einmal kaum jemand Science-Fiction besser kann als die Leute von Star Trek, holte man sich jemand aus diesen Reihen, um die neue Serie zu kreieren. Harve Bennett nämlich. Bennett kam ursprünglich auch aus dem TV-Geschäft und hatte unter anderem in den 1970er-Jahren als ausführender Produzent an einigen Folgen der populären Serie Der sechs Millionen Dollar Mann mit dem späteren »Colt Seavers«-Darsteller Lee Majors in der Titelrolle mitgewirkt.

Seinen Einstand in das Star Trek-Universum gab Bennett 1982 als Co-Drehbuchautor und im Produktionsstab von Star Trek II: Der Zorn des Khan, was gleichzeitig seine erste Mitarbeit an einem Kinofilm darstellte. Bennett blieb auch bei den nächsten drei Kinofilmen des Franchise in dieser Funktion an Bord und war in Star Trek V: Am Rande des Universums (1989) sogar als Schauspieler, nämlich als Starfleet-Stabschef, in Form eines Cameos mit dabei.

Zusammen mit seinen Autoren- und Produzenten-Kollegen Jeffrey M. Hayes und Grant Rosenberg sollte Bennett nun also eine eigene, ganz neue Science-Fiction-Serie entwerfen.

93 Time Trax sollte das Ganze schließlich heißen, wenn es fertig war. Ursprünglich sollte es sich um eine der ersten TV-Shows handeln, die auf einem Sender des neu gegründeten, unter der Ägide von stehenden Networks UPN (United Paramount Network) zu sehen sein sollten.

Allerdings wechselte Time Trax noch in der Vorproduktionsphase zu dem den Warner Bros.-Studios angegliederten PTEN (Prime Time Entertainment Network), auf dem später auch die Serien Kung Fu – Im Zeichen des Drachen mit Originaldarsteller David Carradine sowie der Kultklassiker Babylon 5 zu sehen sein würden.

Produziert wurde Time Trax schließlich als Co-Produktion von Warner Bros. Television und Lorimar Television, die gemeinschaftlich bereits für bekannte Fernsehserien wie Die Waltons, und auch ALF verantwortlich gezeichnet hatten. Das dritte Unternehmen im Bunde war Gary Nardino Productions, deren Besitzer einer der ausführenden Produzenten von Star Trek III: Auf der Suche nach Mr. Spock gewesen war.

Die Abenteuer des Captain Darien Lambert

Als Handlung für Time Trax hatten die Herren Bennett, Hayes und Rosenberg Folgendes erdacht: Man schreibt das Jahr 2193. Der geniale aber auch äußerst profitorientierte Wissenschaftler Dr. Mordecai Sahmbi (Peter Donat) hat eine Apparatur namens TraX (Abkürzung für »Trans-time Research And eXperimentation«, zu Deutsch »Transzeitliche Experimente«) konstruiert, mittels der man bis zu 200 Jahre in die Vergangenheit reisen kann. Ein finanzielles Zubrot sichert sich Sahmbi mit dem Angebot, diverse Verbrecher kurzerhand in die Vergangenheit zu schicken, womit sie ihrer Verhaftung entgehen. Als Sahmbi

94 die Gefahr droht, dass er selbst verhaftet wird, setzt er sich kurzerhand ins Jahr 1993 ab. Die Polizeibehörde VFV entsendet den Polizisten Captain Darien Lambert (Dale Midkiff) ebenfalls ins Jahr 1993, um Sahmbi sowie die in die Vergangenheit geflüchteten Verbrecher ausfindig zu machen und allesamt zurück in die Zukunft (daher wohl der deutsche Untertitel) zu schicken. Als Helfer stellt man ihm das von einem kreditkartengroßen Speichermedium aus operierende Hologramm SELMA (»Specified Encapsulated Limitless Memory Archive«, zu Deutsch etwa »Spezialisiertes, abgegrenzt eingeschränktes Erinnerungs-Archiv«) zur Seite.

Lambert findet sich dennoch nur schwer auf der Erde der Gegenwart (für ihn die Erde der Vergangenheit) zurecht. Gelegentliche Hilfe erhält er von der Spezialagentin Annie Knox, deren Nachfahrin Elyssa Channing-Knox in Lamberts Gegenwart seine Geliebte war.

Nach dem üblichen Casting, bei dem eine Reihe von damals mehr oder weniger bekannter TV-Schauspielern begutachtet worden war, entschied man sich schließlich für Midkiff als Darsteller der Hauptfigur. Der 1959 geborene Midkiff war zuvor durch mehrere Rollen bekannt geworden. In dem von Roger Corman produzierten Thriller-Drama Streetwalkin' – Auf den Straßen von Manhattan hatte er 1985 den Zuhälter Duke gespielt, ein Jahr später konnte man ihn als den jungen im Spielfilm-langen Serien-Prequel Dallas: Wie alles begann auf den Fernsehbildschirmen sehen. 1988 spielte er im ebenfalls für das US-TV entstandenen Bio-Pic Elvis und ich den King persönlich. 1989 folgte die männliche Hauptrolle als Louis Creed in der ersten Verfilmung von Stephen Kings Friedhof der Kuscheltiere, wo er zusammen mit der damals gerade aus Das nächste Jahrhundert ausgestiegenen Denise Crosby

95 zu sehen war. Sonderlich in Gang brachte das alles jedoch die Filmkarriere von Midkiff nicht: Es folgte 1990 der Science-Fiction-Film Plymouth, der ursprünglich als Pilotfilm einer nicht realisierten TV-Serie gedreht worden, dann jedoch als Videopremiere vermarktet worden war, sowie 1992 die Liebeskomödie Love Potion No. 9 – der Duft der Liebe mit der jungen Sandra Bullock in der Hauptrolle.

Kurz gesagt war Midkiff eins dieser Gesichter, die der Zuschauer »von irgendwoher kannte«, aber nicht wirklich zuordnen konnte.

Computer-Hologramm SELMA orientierte sich optisch an der Mutter von Lambert, die bereits verstorben war, als er noch ein Kind gewesen war. Vom Verhalten war es dem berühmten Mr. Spock nicht ganz unähnlich. Dargestellt wurde es von der australischen Schauspielerin Elizabeth Alexander. Die in ihrer Heimat bis heute recht populäre Darstellerin blieb über deren Grenzen hinaus relativ unbekannt, war jedoch in auch im Ausland bekannten Serien wie Chopper Squad zu sehen gewesen. Nach Time Trax wirkte sie unter anderem in einer Folge der Kultserie Farscape – Verschollen im All (2002) mit, sowie in der Neuverfilmung von Stephen King: Salem's Lot mit Rob Lowe in der Hauptrolle.

Sahmbi, der Hauptbösewicht der Serie schließlich, erhielt das Gesicht des bekannten kanadischen Charakterdarstellers Donat. Seit den 1950er-Jahren hatte der kantig aussehende Mime meist unsympathische Nebenrollen in etlichen bekannten Filmen und Fernsehserien gespielt, darunter in Kobra, übernehmen Sie, in Die Waltons, in Der Pate 2 neben Robert De Niro und Al Pacino oder in F.I.S.T. – ein Mann geht seinen Weg neben Rocky-Darsteller Sylvester Stallone.

96 Mia Sara, bekannt aus Filmen wie Ridley Scotts Legende oder Ferris macht blau hingegen bekam den wiederkehrenden Gastpart als Lamberts Geliebter Elyssa im 22. Jahrhundert und als deren Vorfahrin in der Gegenwart.

Ein eher wackliger Erfolg ...

So ging am 20. Januar 1993 also mit dem zweiteiligen Pilotfilm Reise in die Vergangenheit die neue Serie in den USA an den Start. Anfangs konnte sie sich recht ordentlich etablieren, während die letzten Folgen des inoffiziellen Vorbildes Zurück in die Vergangenheit dieses mehr und mehr in der Gunst der Zuschauer sink ließ, was zur Einstellung der Serie im darauffolgenden Frühjahr führen sollte. Time Trax war deutlich actionorientierter und bot einen nicht zu unterschätzenden Spannungsfaktor, kurz: Die Reihe lag ziemlich auf der Wellenlänge der damaligen Zeit.

Wie immer an so einer Stelle jedoch ist das berühmte »Aber« nicht weit entfernt. Etwas über zwei Wochen vor der US-Premiere von Time Trax war mit Star Trek: Deep Space Nine die seinerzeit dritte Serie des Franchise an den Start gegangen und nahm die Aufmerksamkeit des phantastisch interessierten TV-Publikums voll und ganz in Beschlag. Bereits während der ersten Staffel von Time Trax, die es bis zum 1. Dezember 1993 auf immerhin 21 Folgen brachte, sanken die anfangs recht befriedigenden Einschaltquoten bedenklich.

Ein nicht zu unterschätzender Grund dafür dürfte gewesen sein, dass ab der Herbst-Saison 1993 eine ganze Reihe anderer Serien mal mehr, mal weniger erfolgreich auf die Zuschauer losgelassen worden war. Die bekanntesten waren zweifellos das »Unterwasser-Star Trek« SeaQuest (das sich

97 zumindest eine kurze Weile länger hielt als Time Trax) sowie Akte X: Die unheimlichen Fälle des FBI (bekanntermaßen eine der langlebigsten TV-Serien überhaupt). Es mag in der heutigen Zeit der Streamingdienste quasi unglaublich klingen, aber in den frühen 1990er-Jahren war ein derartiges Serien-Überangebot im Fernsehen bei weitem nicht allen Produktionen zuträglich.

Dennoch war man nach der ersten Staffel von Time Trax noch nicht gewillt, das Projekt einzustampfen und schickte Lambert ab dem 29. Januar 1994 in Staffel 2 auf die Reise.

Doch trotz Action-Episoden über die japanische Yakuza, Geschichten im Western-Stil und Begegnungen mit Aliens sanken die Quoten weiter und weiter, während mehr und mehr Konkurrenz dazukam. Lange Rede, kurzer Sinn: Mit der Episode Der Mann ohne Zukunft kam am 3. Dezember 1994 das Aus für das vielversprechende Serien-Projekt. Time Trax teilte dabei das Schicksal vieler zu früh abgesetzter Serien und bescherte der Gesamtgeschichte ein eher unbefriedigendes Ende, das eine ganze Menge Fragen offenließ.

Es dauerte bis zum 17. März des Jahres 1995, bis der Privatsender SAT.1 sich hierzulande der Serie annahm. 43 der insgesamt 44 Folgen waren nun auch in Deutschland zu sehen. Auch hier war Time Trax jedoch weit davon entfernt, sich zum Straßenfeger zu entwickeln. Die Quoten waren trotzdem so stabil, dass die Serie bis zum 11. Mai 1995 in teils täglichem Rhythmus im Nachmittagsprogramm gezeigt wurde. Lediglich die zwölfte Folge der ersten Staffel, Revenge, wurde wegen eines starken Bezugs zur NS-Zeit hierzulande niemals ausgestrahlt.

98 Derweil waren die Hauptdarsteller zum Tagesgeschäft zurückgekehrt. Midkiff war in Filmkomödien wie Die Zahnfee und Air Bud 3 – Ein Hund für alle Bälle zu sehen, sowie im Horrorfilm The Crow – Tödliche Erlösung. Später außerdem in TV-Serien wie Dexter, Criminal Minds oder Castle.

Alexander hingegen setzte ihre Karriere in Australien fort und spielte dort in Alien Cargo, The Clinic und Im Auge des Sturms mit. Donat schließlich war bis zu seinem Rückzug von der Schauspielerei im Jahre 2003 als Vater von Fox Mulder in Akte X und in Filmen wie The Game – Das Geschenk seines Lebens neben Michael Douglas oder Red Corner – Labyrinth ohne Ausweg neben Richard Gere zu sehen.

Ein Serienklassiker fürs Heimkino

Time Trax wäre in der öffentlichen Wahrnehmung der Nerds wohl voll und ganz in Vergessenheit geraten, wenn ... ja, wenn es nicht das Label PIDAX film gäbe, das sich auf die Veröffentlichung von Serien-Klassikern auf DVD spezialisiert hat. Bei PIDAX erschienen und erscheinen etliche Sternstunden phantastischer Fernsehunterhaltung, die insbesondere bei Nerds jenseits der magischen 40 für Freudentränen sorgen dürften. Darunter befinden sich Rosinchen wie etwa die nur ein einziges Mal in Deutschland gesendete Science-Fiction-Comedy Mein Onkel vom Mars oder die Grusel-Anthologien-Serie Vorsicht, Hochspannung!.

Ab dem Sommer 2018 brachte PIDAX auch die 44 Episoden von Time Trax auf insgesamt drei DVD-Mini-Boxen heraus, die zum Stückpreis von etwa EUR 25,00 pro Box im entsprechenden Fachhandel erhältlich sind. Beinhaltet ist auch die hierzulande nicht im Fernsehen gezeigte Episode

99 Revenge, die allerdings entsprechend nicht in deutscher Synchronfassung vorliegt.

Bild und Ton sind gerade angesichts des Alters des Materials ziemlich ordentlich (das kennt man von PIDAX-Veröffentlichungen aber auch nichts anders).

Die Serie ist zwei Publikumsgruppen unbedingt zu empfehlen: zum einen den angesprochenen Ü-40ern, die sich gerne daran erinnern werden ... und zum anderen Jung-Nerds, die sich dafür interessieren, was einen so vom Hocker haute, als Serien wie Altered Carbon: Das Unsterblichkeitsprogramm oder The Expanse auch in der guten alten Wirklichkeit noch Science-Fiction waren.

100 PHANTASTISCHES SPIELEN

Woodlands von Kai Melhorn

Hilfe für die Helden aus klassischen Märchen und Sagen ist immer willkommen. Führt sie auf dem richtigen Pfad zum Ziel – und seid dabei insbesondere besser und schneller als eure Konkurrenten.

Was soll ich sagen? Zeitdruck ist immer wieder ein schönes Mittel, um Schwung in eine Spielidee zu bekommen. Normalerweise funktioniert das ganz gut, und auch bei Woodlands macht diese Komponente einen großen Teil des Reizes aus.

Das Spiel geht über mehrere Runden und dauert am Ende ca. 40 Minuten, was auch der Angabe auf der Packung entspricht. Empfohlen wird das Spiel für zwei bis vier Spieler ab 10 Jahren. Ich könnte mir vorstellen, dass hier auch etwas jüngere Spieler ihren Spaß haben könnten, aber ganz einfach ist es nicht, weshalb die Empfehlung aus meiner Sicht in Ordnung geht.

101 Das Material

Das Spiel kommt mit einer Reihe diverser Papp-Plättchen, Markern und Karten, mit einer Sanduhr und farbig transparenten Edelsteinen aus Kunststoff daher. Besonders auffällig sind jedoch die transparenten bedruckten Folien mit einem Raster, einigen Figuren und Symbolen sowie einer Wertungsleiste an der Seite. Alles ist von guter Qualität und sehr schön gestaltet. Insbesondere die Charaktere, von den niedlichen Hasen über den großen bösen Wolf bis hin zum düsteren Gesellen im Wald vor Draculas Schloss, gefallen mir wirklich sehr, sehr gut.

Einziges Ärgernis sind die Symbole auf den Spielerplättchen. Jeder Spieler bekommt zu Beginn ein Set Plättchen, die er das ganze Spiel über verwendet. Diese haben zur Unterscheidung zwar Symbole, um sie einem Set zuzuordnen, aber diese sind so nahtlos in die Plättchen gearbeitet, dass es schon an Arbeit grenzt, diese zu sortieren. Das macht wenig Spaß, und das hätte man sicher auch anders lösen können, ohne die Stimmung zu stören. Die Folien kleben manchmal aneinander und sind andererseits sehr glatt. Das macht die Handhabung etwas umständlich. 102 Aber das ist nun wirklich nur ein ganz kleiner Kritikpunkt, denn ansonsten finde ich die Aufmachung wirklich gelungen, insbesondere der Comic-Stil hat es mir angetan.

Die Regeln sind kurz und schnell erklärt, was sich auch im Regelheft widerspiegelt. Insgesamt ist dieses gut gestaltet und lässt nur wenige Fragen offen, sodass man schnell losspielen kann.

Das Spiel

Jeder Spieler versucht in jeder Runde, die Hauptperson des Märchens sicher durch einen Wald an ihr Ziel zu bringen. Dabei hat man die Auswahl zwischen Rotkäppchen, Robin Hood, König Artus und Mr. Harker aus der Geschichte rund

103 um Dracula. Zu Spielbeginn bekommt jeder ein Spielraster und seine Waldplättchen ausgeteilt. Nach Wahl der Geschichte wird die passende Folie des ersten Kapitels herausgesucht und für alle gut sichtbar in die Mitte des Tischs gelegt. Auf der Folie sieht man den Startpunkt der Hauptperson, die Ziele, die es zu erreichen, aber auch die Gefahren, die es zu vermeiden gilt. Nach einer kurzen Einstimmung, die aus dem Regelbuch vorgelesen wird, muss die Sanduhr umgedreht werden, und alle Spieler puzzeln los.

Sie müssen ihre Plättchen so legen, dass die Hauptperson später mit einer Spielfigur über die Wege des Waldes bewegt werden kann. Für erfüllte Ziele wie das Erreichen des Hauses von Rotkäppchens Großmutter bekommt man Punkte. Auch Edelsteine können eingesammelt werden, und gepflückte Erdbeeren, um bei dem Beispiel zu bleiben, bringen ebenfalls Punkte. Auf der anderen Seite muss man natürlich verhindern, dass der böse Wolf die Großmutter erreicht und die giftigen Fliegenpilze meiden.

Hat ein Spieler alle seine Plättchen ausgelegt, wird die Sanduhr nochmals umgedreht, und alle anderen Spieler haben noch ca. 45 Sekunden Zeit, ihre Pfade fertig zu legen. Danach ist diese Runde für alle vorbei, und es wird ausgewertet. Dazu wird die Folie passend auf die Wegplättchen eines Spielers gelegt. Mit einer Spielfigur startet man im Wald und geht alle Pfade ab, um die erreichten Ziele zu kontrollieren. Dabei werden dann auch die anderen Ziele überprüft und wird die Gesamtsumme für die jeweilige Runde bestimmt.

104 Sind alle Kapitel einer Geschichte gespielt, werden alle Punkte aufsummiert, und der Spieler mit den meisten Punkten gewinnt das Spiel.

Das Spiel erinnert stark an Loony Quest, ist durch das Legen der Plättchen aber einfacher zu handhaben. Auf der anderen Seite lernt man hier recht schnell dazu und lernt seine Plättchen kennen. Das macht es in den nächsten Partien einfacher und bringt den erfahrenen Spielern einen Vorteil.

Das Ganze spielt sich flott und familientauglich, wobei es mit mehr Spielern auch nochmal deutlich an Attraktivität gewinnt. Es ist einfach zu schön, wenn mal wieder jemand wegen der ablaufenden Zeit in Panik gerät und die Runde

105 komplett in den Sand setzt. Man sollte sich jedoch nicht zu früh freuen, denn im nächsten Kapitel könnte man selbst mal durcheinander kommen und völlig in Stress geraten.

Außerdem könnte man durch allzu souveränes Auftreten in den Fokus diverser Zauber der Mitspieler geraten, die während der Kapitel eingesammelt werden können. Diese sind teilweise harmlos, können aber auch extrem gemein sein, wenn man beispielsweise gezwungen wird, spiegelverkehrt zu denken.

Die verschiedenen Geschichten bieten eine Menge Abwechslung und lassen sich problemlos zweimal spielen, bevor man sich allzu gut auskennt. Außerdem sind die Spielerplättchen beidseitig bedruckt und bieten auf der Rückseite ein Set an, dass es den Spielern deutlich schwerer macht. Hier kann man dem erfahrenen Spieler ein Handicap geben, um einen Ausgleich zu schaffen und das Spiel spannend zu halten, wenn Anfänger dabei sind.

Zudem sind zwei sogenannte Meisterfolien im Spiel enthalten. Diese bieten zusätzliche Herausforderungen und erschweren es den Spielern noch einmal deutlich. In Summe kann man davon ausgehen, eine Menge Runden spielen zu können, bevor man alles gesehen und ausprobiert hat.

Zu kritisieren wären die sehr unterschiedlichen Schatzkarten, die gefunden werden können. Während manche nur einen kleinen Ärger-Faktor haben, können andere wirklich wehtun. Insbesondere mit Kindern finde ich die Bandbreite zu hoch, da Glück oder Pech spielentscheidenden Einfluss haben können. Nimmt man das Spiel nicht so ernst, kann man jedoch darüber hinweg sehen. Als Abhilfe könnte man einige Schatzkarten nach

106 eigenem Ermessen aus dem Spiel entfernen, damit man die Gemeinheiten besser steuern kann.

Fazit

Das Spiel ist familientauglich, stimmungsvoll und schön illustriert. Thematisch holt es die Spieler sehr gut ab und entführt sie geradezu in die Welt des jeweiligen Märchens oder der Sage, ohne zu viel zu wollen. Der Spielfluss ist angenehm, und der Spaß kann groß sein, sofern man sich nicht allzu sehr über eigene verpatzte Runden oder andere Mitspieler ärgert, die einem Steine in den Weg legen.

In Summe ein schönes Spiel mit einer Menge, das es zu entdecken gibt.

107 Alle Bilder sind Copyright: Ravensburger

Woodlands

Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren

Daniel Fehr

Ravensburger 2018

EAN: 4005556267774

Sprache: Deutsch

Roll for Adventure von Kai Melhorn

Der Meister der Schatten bedroht uns alle! Er schickt seine Armee der Monster in alle Teile der Welt, und wenn die Zeit gekommen ist, erscheint er selbst und wird den letzten Widerstand brechen. Niemand wird uns retten. Oder? Klingt dramatisch? Ist es!

108 Bei Roll for Adventure ist der Name Programm. Es wird gewürfelt, bis der Teufel vor der Tür steht, und wenn man sich gut angestellt hat, auch noch länger. Mit einer Spieldauer von ca. 30 Minuten und einem empfohlenen Alter von 10 Jahren präsentiert sich Roll for Adventure als gehobenes Familienspiel mit kurzer Spieldauer. Nach meinem persönlichen Empfinden ist das Spiel aber auch gut für ein Publikum ab 7 Jahren geeignet und dauert eher 45 Minuten. Natürlich hängt das aber immer auch von der Gruppe und ihrer Lust zu diskutieren ab.

Das Material

Alle Materialien sind von guter Qualität. Die Pappteile sind teilweise von außergewöhnlicher Dicke, und die Karten ebenfalls. Die Würfel sind von Perlmuttbahnen durchzogen und machen einiges her.

Bei aller Schönheit sind die Farben bei mittlerer Beleuchtung aber leider nur schlecht zu erkennen. Für Farbenblinde scheint mir die Wahl der Farben vollkommen ungeeignet zu sein. Weiter sind einige Pappmarker ein wenig fummelig in der Handhabe. Die Illustrationen sind vielfältig und tragen gut zur Stimmung des Spiels bei. Der

109 Stil trifft meinen persönlichen Geschmack jedoch nicht so ganz, und einige Einzelbilder finde ich besser gelungen als andere.

Das Spiel

Die vier Kontinente der Welt von Roll for Adventure werden angegriffen, und es gilt, sie zu verteidigen. Jeder Kontinent wartet mit einer Aufgabe auf die Helden, die nach Erledigung eine Belohnung in Aussicht stellt. Doch die Recken bekommen keine komplizierten Waffen oder Zauber zur Verfügung gestellt, sondern vielmehr bloß je einen Kristall. Wurden genug davon gesammelt (die benötigte Menge wird am Anfang festgelegt), gewinnen die Helden das Spiel.

110 Nur auf einem der Kontinente können sich die Helden für ihren Einsatz Spiel-Erleichterungen erkaufen, um schneller ans zu Ziel kommen oder Gefahren abzuwenden.

Gleichzeitig werden die Kontinente aber von Heerscharen von Monstern angegriffen. Engagieren sich die Helden dort schon, werden sie zwar bei ihrer Aufgabe behindert, verteidigen das Land aber auf diese Weise. Steht keine Verteidigung bereit, wird das Land korrumpiert und ihm damit Schaden zugefügt. Hat ein Land zu viel Schaden erhalten, haben die Helden verloren.

Der Spielablauf ist einfach gehalten. Ein Held nach dem anderen wirft alle ihm zur Verfügung stehenden Würfel, setzt einige davon nach bestimmten Regeln ein, würfelt erneut und führt das so lange fort, bis er keine Würfel mehr vor sich liegen hat. Neben dem Einsatz auf den Kontinenten können noch Monster bekämpft und verlorene Würfel befreit werden. Die Optionen nach jedem Wurf sind vielfältig, aber die Entscheidung dennoch einfach. Dennoch kommt die Gruppe immer wieder in unschöne Situationen, die eine abgestimmte Strategie notwendig machen. Eine Fehlentscheidung bei Spielende kann dabei auch zwischen Sieg und Niederlage entscheiden.

111 Hat ein Spieler seinen Zug beendet, wird ein bösartiges Monster von einem Kartenstapel gezogen und greift an.

Außerdem kann es auch bereits ausliegenden Monstern befehlen, ebenfalls anzugreifen. Dadurch können unschöne Ketteneffekte entstehen, die den Spielern das Leben sehr schwer machen. Das gezogene Monster bleibt bis zu seiner Vernichtung liegen und ist bereit, ebenfalls nochmal anzugreifen.

Ab der Mitte des Spiels kann der Oberbösewicht, genannt »Der Meister der Schatten« auftauchen. Dieser befiehlt einen Angriff aller seiner Schergen, verwüstet ein Land und verschwindet dann wieder im Kartenstapel, um sich auf seinen nächsten Angriff vorzubereiten. Daher sollten die Helden möglichst schnell alle Kristalle

112 zusammenbekommen, damit sie die Waffe schmieden können, die den »Meister der Schatten« schließlich besiegt. In Summe besticht das Spiel durch seine Einfachheit und die kooperative Komponente. Die gemeinsamen Entscheidungen und das Hoffen auf den richtigen Würfelwurf geben dem Spiel die Würze. Der Schwierigkeitsgrad ist überschaubar, kann aber auch selbst beeinflusst werden.

Die Varianz

Das Spiel kommt mit vier Kontinentplättchen daher, die jeweils doppelseitig bedruckt sind. Man kann also für jeden Kontinent zwischen zwei Varianten wählen und kommt damit auf eine ordentliche Auswahl an möglichen Spielplänen. Die Aufgaben auf den Kontinenten unterscheiden sich durch Aufbau und Mechanismus und bieten damit auch wirklich Abwechslung.

Der Schwierigkeitsgrad wird hauptsächlich durch die Anzahl der Kristalle bestimmt, die die Helden benötigen. Je mehr Kristalle es sind, desto schwieriger wird es natürlich auch, sie zu sammeln, bevor der Meister der Schatten wieder und wieder über das Land hereinfällt. Zudem können die Spieler, denen das Spiel zu einfach ist, zusätzliche Monster in das Deck mischen. Drei verschiedene stehen zur Auswahl, die man einzeln oder beliebig kombiniert in den Monsterstapel mischt. Auch diese bieten jeweils spezielle Effekte, die das Spielgefühl etwas verändern.

113 Der letzte Aspekt sind die verschiedenen Helden, die jeweils mit einer eigenen Spezialfertigkeit daherkommen. Diese reichen von der Heilung eines Landes bis zum Opfern von Würfeln für einen bestimmten Zweck. Die Fertigkeiten kommen recht oft zum Einsatz, was das eigene Spiel auch wieder variieren lässt.

Vielfach kritisiert wird von Spielern die unterschiedliche Stärke der Fertigkeiten, was ich jedoch als Stärke des Spiels ansehe. Durch eine Vorauswahl der Helden kann man sich das Leben noch einmal schwerer machen, falls man die Herausforderung sucht.

In Summe hat man also viele Kombinationsmöglichkeiten, die den Wiederspielwert erhöhen. Dennoch stößt man irgendwann an jene Grenze, an der man sich Erweiterungen

114 wünscht, bis dahin gehen aber garantiert einige Stunden ins Land.

Fazit

Das Spiel bietet ein schnelles Abenteuer mit wackeren Helden und fiesen Monstern. Überschaubare Regeln, die kurze Spieldauer und der leichte Schwierigkeitsgrad senken die Einstiegshürde, die diese Art von Fantasy leider häufig mit sich bringt. Die meisten Partien werden für die Spieler positiv ausgehen, aber Spannung und Diskussionen kommen trotzdem auf. Der Wiederspielreiz ist durch die vielen Helden, die Zusatzmonster und die insgesamt acht Landschaften nicht gerade klein. Zudem lässt sich der Schwierigkeitsgrad über sehr viele Faktoren steuern, was mir gut gefällt.

Wem das Spielprinzip zusagt, der kann zweifellos einige schöne Stunden in der Welt von Roll for Adventure verbringen.

Es bleibt zu hoffen, dass es Erweiterungen geben wird, denn die Möglichkeiten scheinen nahezu unbegrenzt.

115 Alle Bilder sind Copyright: Kosmos

Roll for Adventure

Brettspiel für 2 bis 4 Spieler ab 10 Jahren

Matthew Dunstan, Brett J. Gilbert

Kosmos 2018

EAN: 4002051692988

Sprache: Deutsch

116 Monster Hunter: World

von Fabian Wölz

Egal wie viele großartige Videospiele über das letzte Jahr verteilt erschienen sind, ein Spiel hat mich 2018 vor den Bildschirm gefesselt wie kein anderes. Bereits Ende Januar erschien Monster Hunter: World und lud Spieler zu knackigen Keilereien mit riesigen Monstern ein.

Doch was ist das Monster Hunter-Franchise überhaupt?

Herausforderung Monsterjagd

Monster Hunter ist eine langlebige Reihe des japanischen Entwicklers Capcom (auch bekannt für Reihen wie Street Fighter und Resident Evil). Der Kern des Spiels ist die Jagd auf kleine und große, oft Dinosauriern ähnelnde Monster.

Was Monster Hunter von anderen Action-Rollenspielen unterscheidet, ist, dass es kein traditionelles Erfahrungs- oder Level-Up-System gibt. Stärker wird der eigene Spielcharakter nur durch neue Ausrüstung, die im Gegenzug aus den Materialien der erlegten Monster hergestellt wird. Da man also die Herausforderung nicht durch endloses Aufleveln vereinfachen kann, ist es am Spieler selbst, ein

117 besserer Jäger zu werden. Man muss die Monster beobachten und ihre Verhaltensweisen kennenlernen, um siegreich aus den Kämpfen hervorzugehen. Die Monster haben beispielsweise keine Lebensanzeige, stattdessen muss man an den Bewegungen erkennen, ob der Gegner langsam müde wird oder sogar schon dem Tod nahe ist.

Copyright: Capcom

Doch so spannend das alles klingt, so kompliziert ist es auch. Monster Hunter ist seit dem Start der Reihe im Jahr 2004 berüchtigt für seine hohe Einstiegshürde. Komplexe Menüs, gnadenlose Monster und das Fehlen von Tutorials fordern viel Geduld und Einarbeitungszeit von den Spielern. Dazu kam einst eine umständliche Kampfsteuerung, die zwar für Fans irgendwie dazugehört, aber auf Neulinge einfach abschreckend wirkte. Darum hatte sich bis vor kurzem rund um das Spiel nur eine eher kleine (und sehr harmonische) Hardcore-Fangemeinde gebildet, die bei jedem neuen Ableger erneut bereit war, hunderte Stunden in das Spiel zu investieren.

Monster Hunter: World wäre aber nicht mein Spiel des Jahres, wenn es noch wie früher wäre.

118 Besser für Einsteiger

Das Spiel ist der perfekte Einstieg für jeden Neuling und die Erfüllung vieler Wünsche langjähriger Fans. Nie waren die Monster lebensechter, nie war die Welt so groß und schön.

Monster Hunter: World spielt auf einem neu entdeckten Kontinent, der vor abwechslungsreichen Umgebungen nur so strotzt. Als Jäger bereist man das dichte Grün des Uralten Waldes und die heißen Oasen der Wildturm-Ödnis. Man bestaunt die pastellfarbenen Plateaus des Korallenhochlandes und steigt hinab in das ominöse Tal der Verwesung, dessen finstere Korridore unheilvoll an das Skelett einer Riesenschlange erinnern. Während die Vorgänger die Gebiete in kleine Räume unterteilten, sind die Areale in Monster Hunter: World nahtlos erkundbar und bieten sehr viel für Entdeckernaturen.

Die größte Erneuerung hat aber das Gameplay selbst erfahren. Statt umständlicher Steuerung und trägem Kampftempo gibt es nun geschmeidigere Bewegungen und dynamischere Kämpfe, worunter aber der Tiefgang des Kampfsystems nicht leidet. Jede der 14 Waffenklassen (wie etwa Großschwert, Doppelklinge, Lanze, Langschwert, Hammer oder Bogen) spielt sich anders, wobei alle gleichwertig nutzbar sind. Im Verlauf der bombastisch inszenierten Kampagne werden dem Spieler die Mechaniken des Spiels gut erklärt, sodass man nicht mehr auf sich alleine gestellt ist.

Nicht alleine muss man in Monster Hunter: World generell sein, denn das Spiel bietet jederzeit die Möglichkeit, mit Freunden kooperativ auf die Jagd zu gehen. Auch die Story-Missionen können im Team bezwungen werden. Doch Multiplayer-Muffel können aufatmen: Das alles bleibt

119 optional, und man kann das Spiel auch alleine ohne Abstriche genießen.

Monster-Update

Der wahre Star von Monster Hunter: World sind ohnehin die titelgebenden Monster. Davon gibt es in diesem Spiel ganze 34 Stück. Manche davon sind alte Bekannte wie etwa Rathalos, der auch das Maskottchen der Serie ist. Aber auch ganz neue Ungetüme wie etwa die Helium-Fledermaus Paolumu und der Wyvern Bazelgeuse tauchen auf. Letzterer lässt seine explosiven Schuppen als Bombenteppich auf Jäger herunterregnen und gibt dabei einen Schrei von sich, der einen das Fürchten lehrt.

Die Verhaltensweisen der Monster wurden ebenfalls angepasst. Sie greifen den Spieler an, wenn er sie provoziert und ziehen sich zurück wenn sie merken, dass sie unterlegen sind. Ganz neu ist dabei die Möglichkeit der Monster, miteinander zu interagieren. Verfeindete Spezies liefern sich nun Revierkämpfe, was mal zum Vorteil, mal zum Nachteil des Spielers enden kann.

Monster Hunter: World ist ein Spiel mit einer perfekten Lernkurve. Als Spieler trifft man zuerst ehrfürchtig auf neue Monster, und oft unterliegt man beim ersten Versuch. Doch je besser man seine eigene Waffe beherrscht und die Monster kennenlernt, desto souveräner wird man. Selbst nach dutzenden Stunden geht man mit Vorfreude auf neue Missionen, und auch, wenn man die Monster schon kennt, ist jeder Kampf anders und immer wieder aufregend.

Monster Hunter kümmert sich nicht um Trends in der Spieleindustrie wie etwa Lootboxen oder Mikrotransaktionen und liefert stattdessen einen

120 Oldschool-Spaß, den man heute nicht mehr oft bekommt. Das Spiel ist vor kurzem ein Jahr alt geworden, und trotzdem motiviert es mich immer noch regelmäßig zu einer schnellen Jagd.

Nachschub

Vor einigen Wochen wurde übrigens eine große Erweiterung mit dem Titel Iceborne angekündigt, die im dritten Quartal 2019 erscheinen soll. Für Nachschub ist also gesorgt, und wer weiß: Vielleicht wird Monster Hunter: World mit Hilfe von Iceborne ja auch mein Lieblingsspiel 2019.

Happy Hunting!

Monster Hunter: World

USK: ab 12 freigegeben

Entwickler: Capcom

Publisher: Capcom

121 PHANTASTISCHES LESEN

George R. R. Martins Feuer und Blut: die 300 Jahre umfassende epische Vorgeschichte zu Das Lied von Eis und Feuer (Game of Thrones)

von Birgit Schwenger

Im vorliegenden ersten Buch des insgesamt auf zwei Bände ausgelegten Aufstiegs und Fall des Hauses Targaryen von Westeros schildert Erzmaester Gyldayn, in der Niederschrift von George R.R. Martin, die 300-jährige Geschichte des Hauses Targaryen. Das erste Buch setzt mit der Herrschaft Aegon I. des Eroberers ein und beschreibt im Stile einer 122 historischen Chronik die Ereignisse bis hin zur Regierungszeit von Aegon III, genannt der Drachentod. Streng genommen beginnen die Aufzeichnungen bereits mit der Ansiedlung Aenar Targaryens in Drachenstein, zwölf Jahre vor dem Verhängnis von Valyria und 114 Jahre vor Aegons Eroberung von Westeros. Auch wenn die Zeitrechnung Westeros mit Aegons Eroberung im Jahr Null einsetzt, erläutert Gyldayn, dass es vielmehr eine Zeitspanne der Eroberung gegeben hat anstelle eines einzelnen historischen Zeitpunkts, namentlich der Landung Aegons an der Mündung des Schwarzwassers. Tatsächlich fand Aegons Krönung in der Sternensepte von Altsass zwei Jahre nach seiner Landung und nach drei der großen Schlachten der Eroberungskriege statt. Der Erzmaester beschreibt die historische Figur des Königs, der seinen Drachen ritt, die große Bestie Balerion, sowie die seiner beiden Schwestergemahlinnen, die kriegerische Visenya und die edle Rhaenys mit ihren Drachen Vhagar und Meraxes. Es gibt auch einen kurzen Rückblick auf das alte Valyria, aber dann wendet der Maester sein Augenmerk ausführlich den damals ungeteilten sieben Königreichen und den alten hohen Häusern von Westeros sowie deren Rolle in den Eroberungskriegen zu. Die Leser werden Zeuge der Zerstörung Harrenhals und erleben, wie Torrhen Stark das Knie beugt und welche schrecklichen Opfer die dornischen Kriege auf beiden Seiten fordern. Das Buch ist definitiv nichts für zartbesaitete Gemüter; die Gewaltschilderungen sind zum Teil recht drastisch, so wie man es von Game of Thrones gewohnt ist, selbst wenn diesmal sachlich aus der Perspektive des Chronisten erzählt wird. Auch wenn Fantasy-Romane als Genre für Kinder und Jugendliche sehr beliebt sind, dieses Buch ist eher keine Lektüre für alle Altersgruppen; mindestens 16 Jahre alt sollten die Leserinnen und Leser schon sein.

123 Was das Silmarillion für J.R.R. Tolkiens Mittelerde ist, ist Feuer und Blut sozusagen für G.R.R. Martins Westeros. Wie Tolkien gibt auch Martin vor, dass es sich bei den geschilderten Ereignissen um wahre Vorgänge handelt, verfasst von Erzmaester Gyldayn aus der Zitadelle von Altsass. Martin wird nur als verantwortlich für die Niederschrift aufgeführt, aber die Person des Erzählers tritt sehr schnell hinter den Ereignissen zurück, über die berichtet wird. Auch wenn das Ganze wie ein Geschichtswerk anmutet, entfaltet die Geschichte doch ihren Sog: Aegons Nachkommen werden ausführlich vorgestellt, die jeweilige Zeit, kriegerische Auseinandersetzungen, Liebesdramen und Revolten ausführlich geschildert. Gleich Aegons erstem Sohn, König Aenys, ist kein glückliches Schicksal beschieden. Sein Halbbruder Maegor, der nach ihm König wird, erhält den Beinamen der Grausame, da er selbst enge Familienmitglieder grausam zu Tode foltern lässt und für den Tod von Hunderten verantwortlich ist, die gegen ihn aufbegehrten oder dem Glauben angehörten. Ihm folgt sein Neffe Jaehaerys nach, den sie den Schlichter nannten, weil er derjenige war, der die sieben Königreiche wahrhaft vereinte und nach Jahren der Verheerung und kriegerischen Auseinandersetzung wieder zu Frieden und Wohlstand führte. Seine Frau war die Gute Königin Alysanne, die später aufgrund ihrer Güte fast zu einer Art Sagenfigur in Westeros wird. Beide herrschten gemeinsam so lange, dass keiner ihrer Söhne sie überlebte und erst ihr Enkel Viserys I. nach ihnen den Eisernen Thron bestieg. Das Buch endet schließlich mit dem Thronfolgekrieg, der als Tanz der Drachen bekannt wurde, in dem die Halbgeschwister Aegon II. und seine Halbschwester Rhaenyra um die Macht kämpften.

124 Wer einen packenden Fantasy-Roman im Stil des Das Lied von Eis und Feuer-Zyklus mit jeder Menge Dramatik und Action erwartet, sozusagen als Entschädigung für das lange Warten auf Winds of Winter, könnte von diesem Buch eher enttäuscht sein, sollte ihm als Fan, der mehr über Westeros und die epische Vorgeschichte von Games of Thrones wissen will, aber auf jeden Fall eine Chance geben. Mit 889 Seiten ist Feuer und Blut ein wirklich dicker Wälzer, noch dazu in wahrhaft edler Aufmachung mit dem Drachensiegel des Hauses Targaryen als Reliefdruck und einem abnehmbaren Schutzumschlag in Postergröße, der den gesamten Stammbaum des Hauses aufzeigt, gestaltet von Andreas Hancock. Die Karten von Franz Vohwinkel im vorderen und hinteren Buchdeckel zeigen jeweils den Norden bzw. den Süden von Westeros mit allen wesentlichen Orten der Handlung, und die Innenillustrationen von Doug Wheatley sind eine wahre Pracht.

Die einzelnen Kapitel sind weitestgehend in sich geschlossen, so dass man nicht zwingend chronologisch lesen muss bzw. zwischen den einzelnen Königen auch Lesepausen einlegen kann, ohne den Faden zu verlieren. Trotz der vielleicht etwas monoton anmutenden Auflistung von Herrschern, Kriegen und weltgeschichtlichen Ereignissen in Westeros entfaltet das Buch durchaus seine ganz eigene Spannung. Und das, obwohl es keine direkte Interaktion der Charaktere miteinander gibt, sondern alles aus der Erzählerperspektive berichtet wird. Ein bisschen Geschichtsinteresse mitzubringen, schadet vermutlich nicht. Man erfährt auf jeden Fall jede Menge spannende Details und Geheimnisse, und die verkürzen die Wartezeit auf das nächste Buch oder wahlweise die achte Staffel allemal!

125 126 700 Seiten starker Fantasy-Schmöker für lange Winterabende: Die Klinge des Waldes von Royce Buckingham

von Birgit Schwenger

Die beiden Prinzessinnen Flora und Amora leben ein behütetes Leben hoch oben in den Baumwipfeln des Waldkönigreichs Strata, über das ihr Vater mit harter, aber gerechter Hand herrscht. Amora, die nur auf ihr eigenes Vergnügen bedacht ist und sich wenig um ihr Volk schert, ist ihrer Rolle als Thronerbin nicht wirklich gewachsen. Sie lässt sich mit einem Stalljungen ein, einem Grundling, die im Gegensatz zu den Adligen auf dem Waldboden leben, und wird erwischt. Um Schande vom Könighaus abzuwenden, bleibt ihrem Vater keine andere Wahl, als den Grundling zum Tode zu verurteilen: Er wird gebäumt. Seine Tochter,

127 die als seine Nachfolgerin nicht mehr tragbar ist, verspricht er dem Prinzen des Wüstenvolkes zur Frau, um damit die beiden Königreiche zu einen und einen drohenden Krieg um den Federsee zu verhindern. Doch sein Plan, der Flora, die jüngere Schwester, zur Thronerbin macht, hat schreckliche Folgen. Flora, die geschworen hat, einst gemeinsam mit Amora über Strata zu herrschen, folgt dem Hilferuf ihrer Schwester, die anstelle des Prinzen den alten König des Wüstenvolkes heiraten musste, und will sie retten. Als eine reisende Sängerin am Hofe auftritt, bringt diese Flora mit der vorgetragenen Moritat auf eine Idee: Gemeinsam mit der Sängerin Anjali reist sie in die Stadt Schmutz, um dort einen bezahlten Mörder zu dingen, der ihre Schwester aus den Fängen des Wüstenvolkes retten soll.

Doch alles entwickelt sich anders als geplant: In der riesigen Stadt Schmutz, die in 35 Bezirke eingeteilt ist, die nach ihrem Gewerbe und ihren Produkten benannt sind, findet sich Flora nicht zurecht. Nichts von dem, was sie gelernt hat, hilft ihr in diesem Moloch weiter. Sie gerät in die Fänge von Piraten, und ihre Naivität führt sie beinahe ins Verderben.

Schließlich gelingt es ihr tatsächlich, eine „Ratte“, einen bezahlten Meuchelmörder, ausfindig zu machen, der ihr hilft, ihren Plan in die Tat umzusetzen: Sie vergiftet den König des Wüstenvolkes und befreit ihre Schwester, um sie zurück nach Hause zu bringen. Doch anstelle von Freude und Dankbarkeit erwartet Flora ein Schicksal schlimmer als der Tod: Sie wird für ihre Tat aus dem Waldkönigreich verbannt und schließlich auch noch von ihrer letzten Vertrauten verraten und schrecklich entstellt. Während sie verzweifelt um ihr Überleben kämpft, muss Flora lernen, sich mit ihrer neuen Realität zu arrangieren. Sie ist nicht mehr die behütete Prinzessin, die alles haben kann, sondern eine mittellose junge Frau, die für sich selbst sorgen muss

128 und von niemandem Hilfe erwarten kann. Schließlich siegt ihr Wille zu überleben: Flora gibt nicht auf, kämpft und überlebt. Sie nimmt das Angebot Rajeevs, der Ratte, an und wird seine Schülerin. Doch ihr neues Leben als Auftragsmörderin bringt weitere tödliche Gefahren mit sich.

Royce Buckingham, der schon mit der Demonkeeper- und der Mapper-Reihe erfolgreich war, legt mit Die Klinge des Waldes erneut ein fesselndes Fantasy-Abenteuer vor. Der Einstieg in die in vier Teile eingeteilte Geschichte gestaltet sich zunächst etwas langatmig, vor allem, da die beiden Schwestern Flora und Amora zu Beginn alles andere als reine Sympathieträger sind. Flora geht einem durch ihre Naivität und Weltfremdheit am Anfang reichlich auf die Nerven – typisch reiche Göre, könnte man sagen. Dafür überzeugt die Welt, die Buckingham geschaffen hat, auf den ersten Blick: das Waldkönigreich Strata, in dem der Adel auf den Bäumen lebt, erinnert zwar entfernt an das Elbenreich

129 Lothlorien aus dem Herrn der Ringe, aber die Sitten und Gebräuche unterscheiden sich doch erheblich voneinander.

Mit den 35 Bezirken der Stadt Schmutz hat Buckingham gekonnt das mittelalterliche Äquivalent zu einem modernen Großstadtmoloch erschaffen, inklusive Slums, Fabriken und einer ganz eigenen Art von Handwerksgilden. Die einzelnen Bezirke werden von Herzögen regiert, denen ein Verwalter zur Seite steht. Benannt sind die Herzöge jeweils nach ihrem Bezirk, also schlicht Herzog Stahl, Herzogin Gewand, Herzog Bäcker, Wein oder Karneval. Eine zweite Erzählperspektive in der Geschichte eröffnet sich mit Herzog Glas, dem es gelungen ist, auch der Unterschicht seines Bezirkes ein einigermaßen gutes Leben zu ermöglichen. Um den Wohlstand und die Sicherheit zu wahren, beschließt er, gegen die aufkommenden Bestrebungen um einen Krieg gegen Strata vorzugehen. Er beginnt ein gefährliches Spiel, in dem er die einzelnen Bezirke aushorchen und auf seine Seite ziehen will, und ahnt nicht, dass seine Wege damit die von Flora kreuzen, die ihre ganz eigenen Interessen verfolgt.

Mit dem zweiten Teil, der Todbringerin, nimmt die Geschichte deutlich an Fahrt auf: die Charaktere werden komplexer, die verschiedenen Handlungsstränge beginnen sich ineinander zu verflechten. Wer große Schlachten und Kampfgetümmel erwartet, ist hier eher an der falschen Adresse. Zwar kommt es auch zum Kampf, und es geht ganz schön blutrünstig zu, aber Intrigen und geheime Händel bestimmen im Wesentlichen die weitere Entwicklung der Handlung und der Charaktere. Was die Sprache angeht, kann der Autor nicht mit Kalibern wie Patrick Rothfuss oder G.R.R. Martin mithalten, doch Buckingham ist eine interessante Welt gelungen, die mit ihrem Herrschaftssystem an mittelalterliche Vorbilder angelehnt ist, aber darüber hinaus viel kreatives Potential hat. Dadurch

130 bietet sich, ebenso wie durch das offene Ende des Romans, viel Raum für weitere Geschichten aus Strata, Schmutz und dem Wüstenreich, das hier eher nur am Rande vorkommt. Trotz der zu Beginn noch relativ jungen Protagonistin im Teenageralter handelt es sich bei Die Klinge des Waldes nicht um ein Jugendbuch. Mindestens 16 sollten die Leser aufgrund des Gewaltfaktors schon sein, auch könnten die politischen Geplänkel, die einen Großteil des Buches ausmachen und volle Konzentration verlangen, bei jüngeren Lesern vermutlich eher zu Desinteresse führen. Aufgrund der wuchtigen Seitenanzahl ist das Buch als hochwertigere Klappenbroschur erschienen, schön ausgestaltet mit den Karten von Andreas Hancock und der Umschlagillustration von Max Meinzold. Der Roman ist eine Übersetzung aus dem Amerikanischen, ist aber erst einmal nur in Deutschland erschienen, eine amerikanische Ausgabe soll folgen.

Perlentaucher: Die Kyberiade von Stanisław Lem

von C. R. Schmidt

131 Science-Fiction-Kennern sollte der Name Stanisław Lem ohne Frage bekannt sein. Der legendäre polnische Schriftsteller hat die Welt im 20. Jahrhundert mit einer Reihe phantastischer Geschichten bereichert und mit Romanen wie Solaris bereits Vorlagen für Hollywood-Filme geliefert. Lem war bekannt für seinen Ideenreichtum, seinen optimistischen Blick in die Zukunft und vor allem für seine Vielseitigkeit.

Lems bekanntere Geschichten wie der bereits genannte Solaris oder Der Unbesiegbare zeigen ernste philosophische Züge über das Unvermögen des Menschen, andersartige Lebewesen zu verstehen. Wer Lem nur von dieser Seite kennt, den mögen die anderen Facetten, über die der Autor verfügt, wahrhaftig verblüffen. Lem ist vor allem für seinen unglaublichen Wortwitz und seinen Hang zur Albernheit bekannt. Andere seiner Romane sind gespickt mit Absurditäten, Witzen oder gar kleinen Gedichten, deren Pointen, so sagt man zumindest, immer wieder in der Übersetzung verloren gehen.

Und wer zum allerersten Mal die Kyberiade genießt, der dürfte in seiner allernächsten Handlung wahrscheinlich einen Polnischkurs buchen.

Halb-phänomenale, fast kosmische Kräfte

Die Kyberiade ist eine Sammlung von 15 kurzen Erzählungen, die sich um die Konstrukteure Trurl und Klapauzius drehen. Bei diesen beiden illustren Gestalten handelt es sich um robotische Erfinder mit einem Diplom der Perpetualen Omnipotenz. Die grobe Erklärung der Handlung öffnet fortschreitend mehr Raum für Fragen, die einfach nicht beantwortet werden, was einen großen Teil des Witzes dieser Geschichten ausmacht.

132 Grob zusammengefasst erfinden Trurl und Klapauzius am laufenden Band Maschinen, die scheinbar Unmögliches problemlos erreichen können. Gleich zu Beginn der Sammlung steckt Lem ab, wie absurd und komisch die Handlung werden kann: Trurl konstruiert eine Maschine, die alles erschaffen kann, das mit dem Buchstaben N beginnt.

Klapauzius wird herbeigezogen, um die Maschine zu sichten und zu testen, und als nach einigen Testläufen nach „Nichts“ gefragt wird, spitzen sich die Ereignisse irgendwann mit kosmischen Konsequenzen zu.

Lem zeigt sofort auf, was den Leser hier erwarten soll: Es sollen alle Erwartungen aus dem Fenster geschmissen werden. Der wilde Ritt durch logische Paradoxa und urwitzige Cyber-Märchen soll einfach genossen werden. Es wird mit typischen Fragen der Science-Fiction und klassischen Gedankenexperimenten der Philosophie gespielt, als wären es einfache Bauklötze.

Direkt im Vordergrund ist meist die freundschaftliche Rivalität der beiden Hauptfiguren. Klapauzius und Trurl brauchen keine Erklärung, haben keine bombastische Backstory, sondern es gibt sie einfach. Beide bauen mühelos ihre phantastischen Maschinen, wollen besser und kreativer als der andere sein, was oft genug Folgen für die beiden und alle um sie herum hat. Am Ende stehen beide oft vor einem Trümmerhaufen und haben nur leere Worte und ein Kopfkratzen füreinander übrig.

Polarisierend

Die Geschichten selbst sind oft sehr kurz und verfolgen keine wirkliche interne Logik, sondern erinnern eher an

133 klassische Märchen. Oft genug kommen Ecksteine des Genres wie Prinzessinnen, Könige und Drachen vor – letztere in einer besonders irrwitzigen Form. Diese Art der Erzählung voller kosmischer Konzepte, die ebenso schnell verworfen werden, wie sie auftauchen, erinnert an eine Art prototypischen Douglas Adams. Fans dieser Art von Humor dürften bei diesem Werk besonders auf ihre Kosten kommen, eben weil Lem sich seine Erklärungen spart, den Leser einfach an die Hand nimmt und ihn brutal durch einen gigantischen Kosmos schleift. Und auch wenn meist am Ende der Geschichte eine Moral ausbleibt, so schlägt man das Buch mit einem Schmunzeln zu.

134 WERBUNG

135 Nicht nur für Sternenkrieger: Wie ich Jesus Star Wars zeigte

von Thorsten Walch

Es begab sich aber … in der erst kurz zurückliegenden Weihnachtszeit.

Der Autor dieser Zeilen scrollt am Samstagmorgen vor dem 3. Advent durch ein berühmtes soziales Netzwerk und entdeckt plötzlich die Anzeige für ein Buch mit einem überaus ungewöhnlichen Titel: Wie ich Jesus Star Wars zeigte, lautet dieser. Den Autor Joachim Sohn kennt er bereits vom Hörensagen und weiß, dass dieser zuvor einen Tier-Fantasy- sowie einen Steampunk-Roman verfasst hat.

Zunächst hält der Rezensent das Werk für ein weiteres Sachbuch zum Thema „Star Wars und der christliche Glaube“, wie es derer mindestens zwei auch hierzulande zu kaufen gibt. Doch nach kurzer Recherche ist er schlauer: Bei Wie ich Jesus Star Wars zeigte handelt es sich um einen Roman mit eindeutig atheistisch gefärbten Inhalten. Doch 136 trotzdem – oder gerade deshalb – möchte er, selbst bekennender Christ, das Buch gerne lesen. Um die Geschichte abzukürzen: Es erweist sich, dass Autor Joachim Sohn in unmittelbarer Nachbarschaft des Rezensenten wohnt, und nur wenige Tage später machen die beiden Herren persönlich miteinander Bekanntschaft, und ein Exemplar des Buches geht mit dem Rezensenten nach Hause.

Inhalt

Florian Schneider aus Hamburg, seines Zeichens sowohl glühender Religionskritiker als auch Star-Wars-Fan, hat eine Zeitreise-App für das Smartphone erfunden und ist seitdem von einer geradezu irrwitzigen Idee erfüllt: Er möchte in das biblische Land zur Zeit von Jesus zurückreisen und diesem noch vor seinem Wirken als Prediger die Star-Wars-Saga zeigen. Florian will damit beweisen, dass Religionsgeschichte stets von verschiedenen äußeren Einflüssen abhängig ist und durch diese gar Gottesvorstellungen überflüssig werden können. Florians anfänglich skeptischer Freund Nico erkennt nach einem Gespräch die große Gefahr, die von dem Plan ausgeht, und versucht, Florian von seinem Vorhaben abzubringen. Nach einem erbitterten Kampf der beiden Freunde geht Florian als Sieger daraus hervor und reist schließlich mit den Star-Wars-Filmen sowie entsprechend präpariertem Equipment nach Israel, um seine Zeitreise tatsächlich anzutreten.

Schon nach kurzer Zeit trifft er in der Vergangenheit wirklich auf den historischen Jesus, der allerdings mitunter ein ganz anderer ist als im Neuen Testament beschrieben. Er betätigt sich im aktiven Widerstand gegen die vorherrschende römische Besatzung, sieht Gewalt trotz grundsätzlicher

137 Ablehnung als notwendiges Übel und hat ferner auch eine Freundin. Florian setzt schließlich seinen Plan um und führt in einer Einzelvorstellung Jesus die Star-Wars-Saga vor, welche Florian als Chronik aus der himmlischen Vergangenheit ausgibt, deren Verkünder er selbst ist. Jesus ist Feuer und Flamme für die Ideen einer guten und dunklen Seite der Macht. Florian kann Jesus' Widerstandsbewegung mittels Konstruktionsplänen für moderne Waffen aus der Zukunft martialisch ausrüsten, und schließlich gelingt es diesem, die Römer in Israel zu besiegen und ferner eine erste Hochtechnologie zu begründen. Dieser steht Jesus, dessen Kreuzigung in Folge der Ereignisse niemals stattfindet, als oberster Jedi-Meister vor. Florian, der seine Theorie nunmehr als erwiesen ansieht, reist daraufhin zurück in seine eigene Zeit. Dort jedoch erwartet ihn eine wirklich bitterböse Überraschung …

Kritik

Der Rezensent kann mit ruhigem Gewissen sagen, dass es sich bei Wie ich Jesus Star Wars zeigte um eins der ungewöhnlichsten und kontroversesten Bücher handelt, die er je gelesen hat. Selbstverständlich spielt dabei die titelgebende Sternensaga von George Lucas, von der er ebenso ein großer Verehrer ist wie der Protagonist des Buches, eine wichtige Rolle. Das Buch beginnt mit seiner lockeren und flüssigen Erzählweise, die sich nicht mit unnötigen Hintergründen aufhält, wie ein Science-Fiction-Roman der Kategorie „Leichte Lektüre“.

Doch mit dem Fortschreiten der an und für sich recht unkomplizierten Handlung wird der Erzählton des Autors zunehmend zynischer, während er en massé von (fiktiven?) Sachverhalten berichtet, die gar manchem allzu unkritischen

138 religiösen Menschen sauer aufstoßen dürften. Bei alledem beweist er jedoch große Sachkenntnis in Bezug auf die überlieferte Geschichte der Welt im Land und zur Zeit Jesu. Trotz der großen stilistischen Unterschiede kam der Rezensent hier nicht umhin, hier und da an Bestsellerautor Dan Brown (Sakrileg, Der Da Vinci-Code) zu denken, der in seinen Büchern eine ähnliche Kombination bietet.

Die Geschichte wird im weiteren Verlauf immer düsterer und düsterer, und schließlich endet das Ganze in einer gallebitteren Dystopie, die der größte Teil der Leser letztlich so nicht erwartet haben dürfte.

Dem Rezensenten jedenfalls kam nach dem Zuklappen des Buches erst einmal ein beruhigtes „Es ist ja nur ein Buch!“ über die Lippen, allerdings fand Wie ich Jesus Star Wars zeigte sage und schreibe gar Eingang in seinen nächsten nächtlichen Traum.

Ist das nun eine gute oder eine schlechte Sache?

Das ist wie so vieles andere auch abhängig vom persönlichen Standpunkt, um Obi-Wan Kenobi die Ehre zu geben. Und so gibt es zwei Gruppen von Lesern, denen Wie ich Jesus Star Wars zeigte empfohlen werden kann: Zum einen war und ist es eine der grundsätzlichen Aufgaben der Science Fiction, auch unbequeme „Was wäre, wenn …?“-Fragen zu stellen, und dies gelingt dem Buch ganz vortrefflich, was es besonders für Freunde von Dystopien interessant macht. Vieles von dem, was Joachim Sohn hier theoretisiert, ist auch für gläubige Zeitgenossen sicherlich mehr als nur einen Gedanken wert. Niemand vermag zu sagen, welchen Lauf die Geschichte an sich genommen hätte, wären andere Einflüsse als die tatsächlichen zur

139 Geltung gekommen. Von daher muss man von einem kleinen Meisterwerk der Parallelwelt-Literatur sprechen.

Star-Wars-Fans hingegen werden, sofern sie dazu geneigt sind, einen völlig neuen und anderen Blick auf ihr Lieblings-Universum erleben; nämlich den, dass das Lucas'sche Universum nur sehr bedingt als Kulturbringer außerhalb der entsprechenden Nerd-Szene geeignet ist.

Und es gibt eine Lesergruppe, der das Buch eher nicht empfohlen werden kann: Sensiblen religiösen Gemütern nämlich, die in ihm einen offenen Angriff auf alles sehen könnten, das ihnen im wahrsten Sinn des Wortes heilig ist.

Zu welcher Gruppe der einzelne gehört, das freilich sollte jeder für sich selbst entscheiden.

Wie ich Jesus Star Wars zeigte von Joachim Sohn

140 Alibri-Verlag

224 Seiten

ISBN-10 3865692966

ISBN-13 978-3865692962

Nachdenkliche Graphic Novel zum Schmunzeln – Motor Girl von Terry Moore ist bei schreiber & leser erschienen

von Birgit Schwenger

Samantha Locklear, genannt Sam, betreibt gemeinsam mit der alten Libby einen Autofriedhof am Rande der Wüste in Nevada. Libby, die eine toughe alte Lady ist und sich so

141 schnell von niemandem die Butter vom Brot nehmen lässt, gehört das Grundstück, auf dem Sam die Werkstatt betreibt und die Schrottautos ausschlachtet. Für sie ist Sam wie eine Tochter, und sie versucht der Soldatin zu helfen, sich wieder in der Normalität zurechtzufinden, aber das entpuppt sich als schwieriger als gedacht. Nicht ohne Grund hat sich Sam, die als Veteranin nach mehreren Kampfeinsätzen und Gefangenschaft aus dem Irakkrieg zurückgekehrt ist, mitten ins Nirgendwo zurückgezogen. Ihr zur Seite steht der sprechende Gorilla Mike, der sie mit seinem trockenen Humor zurück in die Gegenwart holt, wenn die Erinnerungen sie wieder einmal quälen oder alte Wunden ihr Schmerzen bereiten.

Als Libby ein gutes Angebot erhält, das Grundstück zu verkaufen, macht sie ihre Entscheidung von Sams Einwilligung abhängig. Diese ist jedoch noch nicht bereit, ihren schützenden Rückzugsort zu verlassen, also lehnt Libby ab. Aber der Käufer, der dubiose Geschäftsmann Mr. Walden, akzeptiert kein Nein, sondern schickt seine beiden Handlanger Vic und Larry zu Sam. Da sind sie allerdings an die Falsche geraten! Als plötzlich auch noch ein UFO landet und Außerirdische auftauchen, gerät die Sache außer Kontrolle.

142 Das klingt nach einer netten kleinen Geschichte, die ein bisschen verrückt ist, und vielleicht ist es das auch. Aber ein Blick auf das Cover des Comics macht klar, warum es sich auf jeden Fall lohnt, Motor Girl zu lesen: eine Frau mit einer Motorsäge in der Hand, die ein UFO an der langen Leine hält, neben ihr ein großer Gorilla, der eine dicke Zigarre pafft, und ein niedliches kleines grünes Männchen, das gerade auf seinen Allerwertesten fällt. Wer könnte da widerstehen?

Autor und Zeichner Terry Moore ist mit Motor Girl ein kleines Meisterwerk gelungen. Sam und Mike geben ein tolles Team ab. Mike hinterfragt sie, er motiviert, er tröstet sie – und er fragt, ob sie die Knarre braucht. Ihre Beziehung ist das Herzstück des Comics, was sich für den aufmerksamen Leser schnell erschließt. Langsam setzen sich die einzelnen Puzzleteile zu einem größeren Bild zusammen.

Das entspricht dem Erzähltempo insgesamt: Die Geschichte entfaltet sich langsam und behutsam, so dass man die

143 Ereignisse und auch die einzelnen Charaktere in Ruhe auf sich wirken lassen kann. Es sind gerade die kleinen, liebevoll eingeflochtenen Details, Moores Fingerspitzengefühl für den richtigen Ton zur richtigen Zeit, die einen tief in die Geschichte eintauchen lassen. Auch die Nebenfiguren, allen voran Vic und Larry, die einem richtig ans Herz wachsen, nehmen einen besonderen Platz in der Handlung ein. Manchmal muss man laut auflachen, an anderen Stellen vor Beklommenheit schlucken. Vielschichtig gestaltete Charaktere, liebenswerter Humor, aber auch eine gute Portion Action und Spannung ergeben die perfekte Mischung. Am Ende spitzt sich die Geschichte dramatisch zu.

Moore, der mit den Reihen Strangers in Paradise und Rachel Rising bekannt geworden ist, lässt auch Motor Girl im sogenannten Terryversum spielen. Libby hat ihren ersten Auftritt in Strangers in Paradise, wo sie die Tante der Hauptfigur Francine ist. Die Zeichnungen sind komplett in schwarz-weiß und eher schlicht gehalten, was der Simplizität der Geschichte an sich entspricht. Dabei ist simpel hier keinesfalls abwertend gemeint, sondern im Gegenteil als Kompliment für die besondere Stärke Moores, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren und alles Nebensächliche im wahrsten Sinne des Wortes auch in den Bildern auszublenden.

Als besonderen Bonus enthält die Gesamtausgabe, die alle 10 US-Einzelausgaben umfasst, mehrere Seiten mit kommentierten Entwürfen und Porträts, darunter die Zeichnung, die Moore zu Motor Girl inspiriert hat: eine junge Frau mit einer Schweißermaske und einer Knarre. »Eine Frau, ein Gorilla, ein Elektrowerkzeug … – das mag ich an einem Comic. Und Ufos.« Dem ist nichts hinzuzufügen!

144 Eindeutige Leseempfehlung – oder wie Mike es formuliert: »Buy her comic or I’ll rip ur head off«.

Perry Rhodan – der Fall »Mythos«

von Alexandra Trinley

Band 3000! Du meine Güte, als vor 19 Jahren zur Jahrtausendwende über der dicht gedrängt am Mainufer stehenden Menschenmenge diese riesige 2000 aufleuchtete, waren Echtwelt und RHODAN-Serie besser aufeinander abgestimmt, da das Erscheinen des zweiten Tausenderbandes nur zwei Wochen zurücklag. 2000 und 2002, sozusagen.

Wenn am 9. Februar in München der Band 3000 vorgestellt wird, hält die Echtwelt sich bedeckter. Diesmal geht es nur um PERRY. Für die Fans, die binnen weniger Tage die nur 300 Eintrittskarten zum Event im Münchner Literaturhaus

145 ergattern konnten, ist der dritte Tausenderband der Serie eine oft sehr weite Anfahrt wert.

Diese Kolumne steht nun mit einem Bein im alten und mit dem anderen im neuen Jahrtausend, um ein betont wackeliges Bild zu bemühen. Es gilt, der Leistung der Abschlussbände gerecht zu werden, obwohl eigentlich gerade alles nach vorn schaut. Ankündigungen über den neuen Zyklus »Mythos«, dessen erster Band von den Expokraten Christian Montillon und Wim Vandemaan gemeinsam geschrieben wurde, gibt es genug. Für 2019 wurden mehrere weitere Projekte angekündigt. Wir arbeiten uns mal durch, ja?

Das Ende der »Genesis«

Was zuletzt geschah: Eine postbiologische Zivilisation kristallisierte sich als Ziel der Unruhestifter, der Angehörigen des Technomahdi, heraus. Sein entschlossenster Verfechter ist der mysteriöse Adam von Aures, der gemeinsam mit dem ehemaligen Boten von ES, dem Metallmann Lotho Keraete und dessen schöner Familie aus Muiren, Lucaparn und betörend schönen weiblichen Maschinen, den Aggregaten, die Anschläge auf die Scheibenwelt Wanderer des Wanderers ES ausführte. Im Projekt Genesis sollte das Postbiologische die minderwertige bisherige Evolution der Arten ablösen. Dies ist nur einer der Handlungsfäden, die zum Zyklusende zu Ende gesponnen werden sollen, und nicht der unwichtigste.

In Vergessenes Selbst (PR 2992) gewährt Michelle Stern Einblicke in die Funktionsweise der Aggregate, die sich selbst als Taylwit bezeichnen – worauf sie Wert legen, was sie benötigen und warum sie Lebewesen küssen wollen, in hohem Maße erzählt aus dem Blickwinkel der Posmi

146 Aurelia, einer weiteren sich als weiblich begreifenden Maschine, die wesentlich andere Schwerpunkte setzt. Zeitgleich erfährt Atlan viel über die schlafende Superintelligenz GESHOD. Setzen wir den in der vergangenen Ausgabe des Corona Magazine begonnenen Countdown fort.

Countdown 7

Das bittere Aroma der Gestirne (PR 2993) von Susan Schwartz erzählt von den Gemeni, die fast zeitgleich mit den Thoogondu zum Zyklusbeginn in der Serie erschienen. Die pflanzenhaften Intelligenzwesen reisen in fast fünf Kilometer langen, mit Nachschub aus dem höherdimensionalen Dakkarraum aus Samenkörnern gewachsenen Sprossschiffen, deren Hüter siebenjährige Kinder sind. Ihr Blut löste das Wachstum aus. Sie sind die

147 Zeitliche Eskorte von GESHOD, halten den Posten, solange die junge Superintelligenz schläft. Da die Thoogondu mit Puorengirs Sieg über ihren Bruder aus der Milchstraße abzogen, stehen sie am Zyklusende allein im Zentrum der Aufmerksamkeit, was undurchschaubare Fremdvölker angeht.

Bei Susan Schwartz erleben wir die Gemeni als Besucher: Die Besatzung der RAS TSCHUBAI hilft den an der Schwelle zum Industriezeitalter stehenden Merakylan, mit dem Auftauchen des Sternensaatsprosses OCCNATTAR fertigzuwerden. Er macht ein interessantes Angebot zum Exodus aus der Milchstraße – wenn man ihm trauen kann. Die auf vom Weltenbrand betroffenen Planeten spielenden Romane des Zyklus werden immer wieder für ihren Mangel an großer, dramatischer Bedrohung kritisiert. So unspektakulär soll der lang angekündigte Weltenbrand sein? Die Verfasserin dieser Kolumne ist ein klarer Fan dieser Geschichten, weil sie allesamt sehr nahe an den Protagonisten erzählt werden und das Szenario schmerzhafter Überreizung der Sinne so sehr an das real erlebte moderne Leben erinnert. Die Merakylan, im Übrigen fast allesamt weiblich, sind wegen ihrer photo-gustatorischen Empathie besonders betroffen, da sie Licht schmecken können. Und das Licht dieser Tage schmeckt bitter.

Countdown 6

148 Engel und Maschinen (PR 2994) von Wim Vandemaan führt seine Protagonisten Ernst Ellert und Opiter Quint in die ungewöhnlich lokalisierte und aus hochaktivem Baumaterial bestehende Stadt Aures, in der Bullys Tochter Shinae geboren wurde, in der die Spur von Shanda Sarmotte, Pazuzu und Toufec endet … Wie erwartet erfahren sie, was es mit Adam von Aures wirklich auf sich hat. Und es geht um Engel, lautet die vierte Losung des Techno-Mahdi doch: »Wenn Engel in die Geschichte eintreten, werden sie Maschinen sein.«

Erstaunlicherweise gehören auch Delorian Rhodan und sein fast schon vergessener »Bund der Sternwürdigen« zu den Akteuren – und die Verbindung zu den postbiologischen Taylwit kommt ans Licht.

149 Normalerweise glänzen Vandemaans Geschichten als stilistisch überragend erzählte, bunte Phantasien in eher assoziativer Reihung, doch hier hat der Expokrat der Serie tatsächlich viele, viele Zusammenhänge hergestellt und aufgedeckt. Für das Verständnis der Abschlussbände ist dieser stringent erzählte Roman sehr wichtig, weil wir erfahren, wer oder was Adam von Aures ist und was den Techno-Mahdi ausmacht.

Countdown 5

Die uneinnehmbare Festung (PR 2995) von Uwe Anton ist der erste Teil eines Doppelromans, der zur Dreiergruppe mutierte, als zwischen die Hälften eine Lebensgeschichte – erzählt von Michelle Stern – eingebettet wurde, die Vorgänge um ihren historischen Hintergrund vertieft. Ein paralleles Arrangement dieser Autoren – zwei Anton, ein

150 Stern – fand sich bereits zum Abschluss des »Sternengruft«-Zyklus, und die Verfasserin dieser Kolumne fand die Aufteilung in beiden Fällen suboptimal.

Im stets zum Nörgeln neigenden Verlagsforum wurde angemerkt, dass die beiden Expokraten über den Zyklus hinweg ihren Spieltrieb entfalten und am Zyklusende dann Uwe Anton eingesetzt wird, um alles aufzuräumen. Das ist eine nicht leicht zu widerlegende Einschätzung, werden doch regelmäßig zum Zyklusende sehr, sehr viele Fäden zusammengefügt, was ein dramaturgisches Durchstrukturieren der betreffenden Romane sicherlich nicht leicht macht. Wieder einmal wäre es schön, wenn dafür mehr Platz zur Verfügung gewesen wäre. Der schöne Aufbau von einander aufgreifenden und spiegelnden Ebenen geht unter der Fülle des ungleich verteilten Materials in die Knie.

Die im Untertitel angekündigte Rückkehr in den Dakkarraum und die Suche nach dem Ruhenden Bhal beginnt in langsamem Tempo mit einem auffällig schräg wirkenden, weil unechten Atlan-Abenteuer, das sich als Binnenerzählung in einem Zusammensein voll bezaubernd subtiler Bosheit entpuppt, mit sehr individuellen Protagonisten, zwischen denen an Untertönen reiche Beziehungen laufen.

Das scheinbare Spiel entwickelt sich dann doch zum folgerichtigen Vorspann der Action-Handlung. Atlan und die beiden Pedotransferer Zau und Tamareil kehren in das auf dem Titelblatt abgebildete Konglomerat zurück, dorthin, wo sie Tamareil damals fanden. USO-Spezialistin Wynter darf mit.

151 Auch im Geshodrom, wie das Konglomerat auch heißt, gibt es fein gezeichnete zwischenmenschliche Begegnungen, aber auch furchtbar viele Erklärungen – die immerhin den Vorteil haben, dass danach echt keiner mehr nörgeln kann, der Abschluss dieser Handlungsebene sei nicht im Zyklus vorbereitet gewesen. Und der Roman endet exakt an dem Punkt, an dem der Folgeroman beginnen muss: GESHOD erwacht.

Countdown 4

Die Phase Shod (PR 2996) von Michelle Stern trägt an einem Spannungshöhepunkt der Zykluslösung die Lebensgeschichte GESHODS bei und erhellt die Rolle der Gemeni. Darf man aus diesem Aufwand schließen, dass sie weiterhin eine Rolle spielen werden? Das Ende der Dreiergruppe legt dies nicht unbedingt nahe.

Unsere Helden werden von GESHODS Erinnerungen überschwemmt, erleben das grauenhafte Gefühl der

152 Entselbstung, denn GESHOD ist jung und leer. Superintelligenzen pflegen ihre Präsenz über die Bewusstseine individueller Normalos zu stülpen. GESHOD ist eine Superintelligenz. Also stülpt er seine Präsenz über die individuellen Bewusstseine der Normalos. Als mit seinem Erwachen die Phase Shod beginnt, lässt er sie seinen Werdegang miterleben – und den der Gemeni dazu.

Diese Genese beinhaltet eine grundsätzlich hochinteressante Auseinandersetzung mit den Licht- und Schattenseiten der Genetik, die sehr folgerichtig daherkommt, denn die Gemeni sind keine individualistische Kultur, und wie ihre Kinder wachsen, wurde schon in mehreren Romanen dargestellt.

Die Verfasserin dieser Kolumne ist Mutter von vier Töchtern zwischen 12 und 20. Weibliches Miteinander kann sehr temperamentvoll sein, und eigentlich wäre Stern exakt die Autorin, es zu schildern. Temperamentvolle Protagonistinnen kommen jedoch nicht vor. Das spannungsreiche Geplänkel zwischen Tamareil und Wynter wurde nicht weitergeführt. Frau hat keine Individualnamen, Frau ist mit Nachwuchs beschäftigt oder mit gesammelten Schätzen. ES war wohl irgendwann weiblich. Okay. Ja und? Dabei unternahm Stern ein revolutionäres Experiment, was die Präsenz von Frauen im Heftroman angeht: Das Personal des Romans ist, so wie auch in Schwartz’ Band 2992, fast durchgängig weiblich. Allerdings ist durch die vorgegebenen Rollen als Bhal 1 und so weiter ihre Interaktion eher reizarm. Vielleicht ist dies ein Eingehen auf die Leserschaft, da das RHODAN-Fandom als überaltert und gewissen Themen abgeneigt bekannt ist.

Wie gesagt, die Platzierung des Romans ist denkbar ungünstig. Wenn schon GESHODS Lebensgeschichte im

153 Moment des Erwachens, dann bitte mit der Erhabenheit oder Action, die diesem Moment angemessen wäre, und das bräuchte einen anderen Rahmen, um sich zu entfalten. Was nun an Vorgeschichte aufgeboten wird, das reicht nicht, um dem angekündigten kosmischen Geheimnis Relevanz zu verleihen. Vor allem, weil GESHOD am Ende von PR 2997 tut, was er nun mal tun muss. Die angedachten Veränderungen müssten in späteren Zyklen aufgegriffen werden, um diesem Roman angemessene Bedeutung zu verleihen.

Countdown 3

Die Dakkar-Havarie (PR 2997) von Uwe Anton läuft in Hochgeschwindigkeit. Der schöne Serienbegriff der Hypertaktung drängt sich für das Tempo auf, in dem die

154 Rätsel und Konflikte des Zyklus nun gelöst werden, alles hochpräzise und in anschaulichen Szenen.

Dies funktioniert mit einem vereinfachten Aufbau der Einzelschritte, der an die ersten paar hundert Bände der Serie erinnert: Man hört von etwas, zum Beispiel vom Neogen-Apellator, der in der fernen Milchstraße seine verheerende Wirkung entfaltet, will hin, kommt hin, und voilŕ! Weiter geht es.

Die Handlung? Bereits im ersten Teil des Doppelromans deckte Atlan eine Verschwörung gegen die junge Superintelligenz GESHOD auf: Einer ihrer beiden Taktgeber, der Bhal Drush, will sich zu ihrem Herrn aufschwingen – natürlich nur zu ihrem Besten. Nun muss der Arkonide handeln – auch zum Wohle der Haluter, deren Krankheitsursache ebenfalls in diesem Umfeld zu finden ist. Er macht sich, unter anderem in Begleitung der beiden Pedotransferer, auf den Weg und macht paar Sachen kaputt, was die Dakkar-Havarie bewirkt.

In der Folge geht es nach Hause, erst im Konglomerat, und später noch mal ins Konglomerat. Der Ghatu Sypardh spielt eine entscheidende Rolle. Die HaLem-Armee hat ein einschlagendes Erlebnis, GESHOD stürzt mitten ins Geschehen, Shinae steht zwischen kosmischen Zusammenhängen und Elternrecht, Atlan umarmt Tamareil, Gucky spricht für GESHOD, und eine junge Superintelligenz muss erwachsen werden – irgendwann.

Countdown 2 und 1

155 Nachdem nun so viele Rätsel des Zyklus gelöst sind und mit dem Abschluss der Atlan-Ebene abgehandelt wurden, hat Kai Hirdt Platz für seinen brillant geschriebenen Doppelroman um … hm. Zyklusenden soll man nicht spoilern. Das ihm zur Verfügung stehende Personal ist die Besatzung der RAS TSCHUBAI inklusive beider Rhodans, Gucky, Sichu Dorksteiger, das nur gemeinsam unsterbliche Transterraner-Paar Lua Virtanen und Vogel Ziellos als Piloten, Schauplatz ist das vom Weltenbrand gepeinigte Solsystem, in dem das Leben stetig unerträglicher wird.

Aufgrund der vom Weltenbrand verursachten Schäden am Moralischen Code des Universums hat man nur noch wenige Tage, um die Welt zu retten. Dazu muss die von Atlan aus Ceres geholte Proto-Eiris auf die in die Neptunatmosphäre versunkene Kunstwelt Wanderer gebracht werden. Die ist jedoch abgeschirmt, und Adam von Aures tut alles, um die Rettung zu verhindern.

Drei Tage zum Weltuntergang (PR 2998) von Kai Hirdt fügt die räumlich verteilten Handlungsebenen um die postbiologischen Angreifer, das bei seiner Ermordung in die Statue Zeno Kortins geflüchtete Bewusstsein des

156 tefrodischen Supermutanten Assan-Assoul, den Gestaltwandler Adam von Aures und die Scheibenwelt in das erste Kommandounternehmen einer ehrgeizigen jungen Kommandantin ein, die alles richtig und dabei das Wichtigste falsch macht, was Perry Rhodan die Gelegenheit gibt, zu zeigen, was einen wirklich hervorragenden Vorgesetzten ausmacht: Fehler eingestehen zu können, sich zu entschuldigen, ansprechbar zu sein und damit in der Folge dann doch noch die Welt zu retten.

Schon im Auftakt zum Abschlussband Genesis (PR 2999) zeichnet sich der Übergang zum neuen Zyklus ab. Eingebaut ist auch ein Übergang zur neuen Miniserie, die Kai Hirdt verantworten wird. Darüber hinaus soll man das Zyklusende nicht spoilern.

Eine Zugabe zu Band 2998 ist die STELLARIS-Geschichte Das Buddelschiff von Dieter Bohn.

Mythos Erde – die Zeit verändert alles (PR 3000)

157 Die beiden Expokraten Christian Montillon und Wim Vandemaan verfassten gemeinsam den Jubiläumsband. Das Titelbild, das Rhodan, seine Frau Sichu und einen Cairaner zeigt, stammt von Arndt Drechsler, der schon viele großartige Titelbilder schuf. Warum gerade dieses so ist, wie es ist, erschließt sich der Verfasserin der Kolumne nicht, gibt ihr jedoch das gute Gefühl, innerlich am Wohnort Kaiserslautern angekommen zu sein, sind die FCK-Fans doch für ihre ausgeprägte Leidensfähigkeit bekannt. So hat alles seine guten Seiten.

Was auf uns zukommt? Es gibt einen Zeitsprung, Perry Rhodan und seine Getreuen finden bei ihrer Rückkehr eine veränderte Milchstraße vor, in der die Erde nur ein Mythos ist. Sie kommen heim, alles ist anders, und keiner erinnert sich daran, dass es sie je gab. Nun müssen sie herausfinden, welche Rolle die Cairaner spielen und was sie vorhaben.

158 Dieses neu in die Serie eingeführte Volk verfügt über technische Mittel, die in der Milchstraße vor ihrem Eintreffen unbekannt waren. Eines ihrer Geräte ist der Vital-Suppressor, dessen Auswirkungen viele Menschen am eigenen Leib verspüren.

Wer den von der Verfasserin dieser Kolumne redaktionell verantworteten, jeweils als zehnseitiges PDF erscheinenden Newsletter der PERRY RHODAN FanZentrale bezieht, der für Mitglieder ebenso kostenlos ist wie das gedruckte Mitgliedermagazin SOL (Link im Anschluss, Anm. d. Red.) weiß längst, dass es neue Protagonisten namens Zemina Paath und Giuna Linh gibt, eine Milchstraße mit fremden Völkern, neue Verhältnisse und alte Mythen. Alles anders? Betrachten wir die Vorankündigungen, bietet sich ein weniger dramatisches Bild.

Eine Anmerkung in eigener Sache: Da der Jubiläumsband mehrere ultrakurze Kurzgeschichten über die übersprungene Zeit enthält, ist das Mitglied der Corona-Redaktion Uwe Anton der einzige Autor, der sowohl zu Band 2000 wie auch zu Band 3000 Textbeiträge beigesteuert hat.

Ausblicke

Die Titel bis Band 3007 sind bereits veröffentlicht. »Von Göttern und Gönnern. In der Cairanischen Epoche – ein Volk wird zur Zielscheibe« (PR 3001) schrieb Oliver Fröhlich. Michael Marcus Thurner verfasste den Doppelroman »Die Kriegsschule. Es ist ein Schiff der Ladhonen – ein Siganese im geheimen Einsatz« (PR 3002) und »Das Triumvirat der Ewigen. Der Terraner erreicht die Gewitterstadt – drei Männer betrügen die Zeit« (PR 3003). Christian Montillon

159 schrieb »Der Vital-Suppressor. Im Straflager der Cairaner – sie sind Pilger der Ausweglosen Straße« (PR 3004).

Bestseller-Autor Andreas Brandhorst verfasste »Wiege der Menschheit. Der Terraner auf Tellus – und im Bann einer unglaublichen Entdeckung« (PR 3005), der am 22. März erscheint. Aus Uwe Antons Feder stammt »Die Halbraum-Havarie. Sie stranden in einer Zwischenwelt – die Piraten des Linearraums greifen an« (PR 3006). Und Michelle Stern schrieb »Zeuge der Jahrhunderte. Auf der Suche nach der Dunkelwelt – Atlan trifft auf einen Posbi-Diktator« (PR 3007). Angeblich sollen auch die Akonen wieder eine wichtigere Rolle spielen.

PERRY RHODAN Verlagsseite https://perry-rhodan.net/

PRFZ/PROC mit Bestellmöglichkeit für Newsletter und SOL: www.proc.org und www.prfz.de/home.html

Perrypedia www.perrypedia.proc.org

160 Perry Rhodan 3000 im Literaturhaus München

von Alexandra Trinley

Am 9. Februar war es endlich so weit: Jene fast 300 Fans, die sich sofort nach Beginn des Verkaufs eine Karte gesichert hatten, kamen aus allen Himmelsrichtungen nach München, um Perry Rhodans neuen Schritt auf dem Weg zu den Sternen zu feiern. Drei Besucher waren sogar aus Japan angereist.

Die Plätze im geräumigen und solide gebauten Literaturhaus waren denn auch ständig voll besetzt, die Programmpunkte liefen zügig durch und waren von hoher Qualität. Und natürlich trafen sich viele, viele Bekannte. Besonders beeindruckend war allerdings die Zahl der Hände, die sich hoben, als gefragt wurde, wer die Serie denn ab Band 1 mitlese und wer den ersten Band 1961 gekauft habe.

161 Copyright: Pabel Moewig Verlag

RHODAN-Autorin Uschi Zietsch alias Susan Schwartz führte gemeinsam mit Marketing-Chef Klaus Bollhöfener durchs Programm, das um 10 Uhr begann und um 19 Uhr endete. Nach ihrer beider Eröffnungsansprachen erzählte Chefredakteur Klaus N. Frick von seiner persönlichen Geschichte mit der Serie, die er 1977 als Dreizehnjähriger zu lesen begann. Die damalige Auseinandersetzung ereignete sich sich vor allem in Diskussionen auf dem Schulhof. Die Serie weitete seinen Horizont: Plötzlich ging es nicht mehr um das Leben in einer schwäbischen Kleinstadt, sondern um ganze Galaxien und fremde Völker. Band 2000 fiel immerhin schon mit der Einführung des Privatfernsehens zusammen.

Seitdem haben sich die Lesegewohnheiten verändert – heutzutage gibt es für Jugendliche ganz andere Zugänge. Sie müssen nicht mehr lesen, um ihren Input an Science-Fiction zu haben, und sind an winzigste Aufmerksamkeitsspannen gewöhnt. Für sie stelle das Sicheinlassen auf einen ganzen Roman eine ungewohnte Entschleunigung dar, was sicherlich auch eine Bereicherung wäre.

162 Hat sich die Einschätzung der Eltern verändert, kann PERRY RHODAN auch heute noch der Vorwurf gemacht werden, die Serie sei Realitätsflucht? Nun, erstens sei ihr fiktionaler Charakter klar und zweitens spiegele sich in ihr ständig die Echtwelt. Drittens, und das betonte KNF weniger, sind die meisten Fans mit der Serie alt geworden. Man sah es am Altersdurchschnitt des Publikums.

Und die Aussage? Auf dem Weltcon 1980 sprach William Voltz die damals meist jugendlichen Besucher als Terraner an. Diese Utopie hat sich erhalten. Sie enthält die Vision der geeinten Menschheit und der Glaube daran, dass man gemeinsam und im Frieden weiter kommt als im Streit. Es ist die Vision einer Menschheit, die friedlich einen kleinen, blauen, schönen Planeten bevölkert, um dessen Erhalt alle zu kämpfen haben. Weiter ging es mit einem Vortrag zur realen Raumfahrt, den Götz Roderer vom DLR in Köln mit fundierter Sachkenntnis und beeindruckendem Bildmaterial bestritt, und Ben Calvin Hary stellte eins der Videos vor, die er mittlerweise als offizielle Redaktions-Videos veröffentlicht (Link im Anschluss, Anm. d. Red.). Rüdiger Schäfer moderierte das Gespräch von Kai Hirdt und Klaus N. Frick zur im Juni anstehenden Miniserie SOL – der Chefredakteur lobte Hirdts kritische Art, seine Fähigkeit, Exposés anderer umzugestalten und viele Fehler zu finden. Deshalb könne er das jetzt alles mal selbst ausprobieren. NEO-Expokrat Schäfer lächelte versonnen und Hirdt deutete an, dass er mit dieser Auseinandersetzung schon begonnen habe. Es klang sehr unternehmungslustig.

Die SOL, sagte Frick, sei ein gutes Raumschiff, weil es mit guten Geschichten aufgeladen ist. Diesen Mythos gelte es in die Neuzeit hinüberzubringen. Die Miniserie ist durch einen Abstecher in Band 2998 bereits mit der Erstauflage verbunden, ihr Ausgang sei aber offen. Man werde alte

163 Bekannte aus Tare-Scharm und dem Negasphäre-Zyklus wiedertreffen.

Nach der Pause moderierte Fandom-Urgestein Hermann Urbanek das Panel der beiden NEO-Expokraten Rüdiger Schäfer und Rainer Schorm, in dem die beiden wider Erwarten nahezu konkrete Aussagen zur geplanten Entwicklung machten. Wir werden im folgenden Corona Magazine darüber berichten.

Der Kölner SF- und Fantasy-Autor Robert Corvus feierte während der Präsentation seines neuen Science-Fiction-Romans Das Imago Projekt sein ambivalentes Verhältnis zur »Weltraumratte« Gucky. Man kann diesen Autor wunderbar ärgern, wenn man, im Publikum sitzend, das Plüschtier krault, woran die Verfasserin dieser Kolumne nicht unbeteiligt war. Seine bei Piper erscheinende, auf vier 800 Seiten dicke Bände ausgelegte Geschichte um ein lebendes Raumschiff macht einen interessanten Eindruck. Wir werden den Roman in einem der nächsten Ausgaben des Corona Magazine besprechen.

164 Johannes Rüster präsentierte Andreas Eschbachs PERRY RHODAN-Roman durch kenntnisreiche Vergleiche mit Donald Duck und Forrest Gump. Es gab übrigens neben kostenlosen Leseproben auch den 850 Seiten umfassenden Roman Wochen vor seinem offiziellen Erscheinen am Büchertisch zu erwerben.

Arndt Drechsler stellte die Entstehung des Covers von Band 3000 in Einzelschritten vor, was sehr interessant war. Dem Heft ist übrigens ein Poster des aufwändig gestalteten Hintergrunds ohne die drei Köpfe beigelegt, das wirklich sehr schön ist.

Und dann ging es endlich um den Anlass der Veranstaltung: Die Expokraten der Hauptserie, Wim Vandemaan aka Hartmut Kasper und Christian Montillon aka Christoph Dittert, sprachen über Band 3000. Nach eigenem Bekunden vermieden sie Spoiler, gaben aber bereitwillig Auskunft über ihr bewusstes Anknüpfen an das Vorwort von Seriengründer K.H. Scheer, der 1961 in Band 1 über Zeiten sprach, in der die Erde nur ein Mythos ist, ein vereinsamter Planet, der um eine längst erloschene Sonne kreist, die irgendwann der Mittelpunkt des Universums war. Dies allerdings sei nicht der Mythos, um den es im neuen Zyklus gehe.

165 Copyright: Sine Eiss

Vandemaan erläuterte, um welche Art Mythos es sich handele, durch Ausführungen zum Grundaufbau der Personenkonstellation einer erfolgreichen Serie und zur Kriegsfotographie im Ersten Weltkrieg. Die allen bekannten Fotos jubelnder Soldaten seien von exakt vier Fotographen aufgenommen worden, den einzigen, die solche Fotos machen durften, und die Fotographierten seien sich der Kamera bewusst gewesen. Was hätten andere fotographiert, wie würde sich unser Bild des Geschehens ändern, wenn sich diese wenigen Bilder als Mythos herausstellten? So ähnlich sei der Umgang mit dem Mythos im neuen Zyklus, wobei natürlich keinerlei konkreter Bezug aufs Politische eingebaut sei und es um Grundlegenderes gehe als Fake News.

Im allerletzten Panel befanden sich so ziemlich allen Beteiligten auf der Bühne. Dabei schaffte es der bis dahin noch nicht eingesetzte Roman Schleifer, das mittlerweile über acht Stunden aufmerksame Publikum noch einmal neu zu binden, indem er kritische und provokante Fragen stellte. Dass Montillon ihm auf den Leim ging, indem er beim spontanen Korrigieren einer von Schleifer in den Raum geworfenen Aussage das Ausmaß des angekündigten Zeitsprungs verriet, überraschte dann auch nicht mehr. Susan Schwartz und Klaus Bollhöfener sprachen das Schlusswort, inklusive einer beiläufigen Bemerkung, die binnen Minuten zu einer langen Schlange vor dem Tisch führte, an dem immer noch Exemplare von Andres Eschbachs RHODAN-Roman zwei Wochen vor dem offiziellen Termin zum Verkauf angeboten wurden.

166 Eine umfangreiche Video-Dokumentation hat Volker Hoff erstellt (Link im Anschluss, Anm. d. Red.), unzählige weitere Blog-Berichte und Artikel finden sich im Internet. Auf Twitter helfen die Hashtags #pr3000 und #pr3000muc.

Ben Calvin Harys offizielles Video der Veranstaltung: https://www.youtube.com/watch?v=9nR1ZbtPVVc

Die Video-Dokumentation des Teitreisenden Volker Hoff: #perry3000muc https://volkerhoff.com/perry-rhodan/perry-rhodan-cons/pe rry-rhodan-3000/

Interview mit Andreas Eschbach: Perry Rhodan – Das größte Abenteuer

Im Gespräch mit Andreas Eschbach

Am 27. Februar 2019 erscheint der 848 Seiten starke Hardcover-Band »Perry Rhodan – Das größte Abenteuer« des Bestseller-Autors bei Fischer-Tor. Er erzählt, was zum provisorischen Beginn der Heftromanserie, die auf wenige Dutzend Hefte hin konzipiert war, nur in wenigen groben Zügen umrissen wurde: die Jugend und die Militärzeit Perry 167 Rhodans, seine Entwicklung vom Jungen, der in einer Kleinstadt aufwächst, zum nervenstarken Risikopiloten und zukünftigen Raumfahrer. Wie nicht anders zu erwarten, zeigt sich bereits in der Leseprobe eine ebenso packende wie lebensnahe Beschreibung der echten Welt, in die eine fiktionale Lebensgeschichte eingebettet wurde.

Andreas Eschbach wurde im September 1959 in Ulm geboren. Nach dem Abitur studierte er in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik und arbeitete als Softwareentwickler und EDV-Berater. Seit 2003 lebt der Autor zusammen mit seiner Frau in der Bretagne.

Freundlicherweise fand er die Zeit, der Redaktion des Corona Magazine einige Fragen zu beantworten. Das via Mail entstandene Interview führte Alexandra Trinley. Übrigens ist die als Illustration eingefügte Geburtsurkunde Perry Rhodans echt, der Bürgermeister von Manchester hatte genug Sinn für Humor (Link im Anschluss, Anm. d. Red.).

I. Das Schreiben an sich

Alexandra Trinley: Andreas, du hast unglaublich viel Verschiedenes geschrieben. Eingedenk deiner Lehrtätigkeit an der Bundesakademie in Wolfenbüttel beginnen wir beim Schreiben im Allgemeinen und sprechen dann über deinen letzten Roman »NSA«, ehe wir uns auf Perry Rhodan konzentrieren. Diesmal fand meine Vorbereitung auf ein Interview gleich am Arbeitsplatz statt: Unser Deutschbuch Doppel-Klick 8 enthält acht Seiten über dich und von dir, mit Biographie, Leseprobe aus dem »Marsprojekt« und Schreibtipps zur praktischen Umsetzung.

168 Da steht drin, dass du als Elfjähriger mit PERRY RHODAN zur Science-Fiction kamst – dazu später. Den Schülern schienen Durchnahme, Schreibübungen und auch die bereits veröffentlichte Leseprobe deines RHODAN-Romans Spaß zu machen. Ich habe ihnen von diesem Interview erzählt und ihre Fragen gesammelt. Wenn es dir recht ist, fangen wir damit an. – Schülerfrage 1: Wie lange arbeitest du an so einem Roman?

Andreas Eschbach: Das kommt ein bisschen darauf an, wie dick der Roman wird, aber meistens brauche ich knapp ein Jahr, bis ein Roman fertig ist.

AT: Schülerfrage 2: Hast du Geschichten geschrieben, die nicht veröffentlicht wurden?

AE: Ja, eine Menge. Die liegen alle in einer großen Kiste in meinem Arbeitszimmer unter Verschluss. Ich hab ja mit 12 angefangen zu schreiben, und man kann sich vorstellen, dass diese ersten Texte noch nicht so waren, dass man sie dem Rest der Welt zumuten sollte. Und die, die ich mit 14 geschrieben habe, auch noch nicht. Als ich 17 war, wurd’s allmählich, aber dafür hatte ich die doofe Angewohnheit entwickelt, Sachen nicht zu Ende zu schreiben, sodass nur eine Menge Anfänge entstanden …

AT: Schülerfrage 3: Wie viele Bücher hast du veröffentlicht?

AE: Inzwischen sind es, glaube ich, so um die 25. Wenn man meine PERRY RHODAN-Heftromane nicht mitzählt, das wären nochmal sechs, aber die sind ja kurz, jeweils nur etwa 100 Manuskript-Seiten.

169 AT: Schülerfrage 4: Schreibst du zuerst mit der Hand und tippst dann in den Computer; oder allgemeiner: Schreibst du auch mal mit der Hand?

AE: Ich schreibe ziemlich viel mit der Hand, aber in der Regel nur die Notizen und Entwürfe zu einem Roman; den eigentlichen Text schreibe ich immer direkt am Computer.

AT: Schülerfrage 5: Was hat dich vom Leser zum Schreiber gemacht?

AE: Keine Ahnung, ich habe irgendwie schon immer geschrieben. Noch bevor ich in die Schule gekommen bin, habe ich mir von meinem Vater das Alphabet erklären lassen und dann Geschichten geschrieben. Kurze natürlich und in ziemlich radikaler Rechtschreibung, aber immerhin.

AT: An dieser Stelle möchte ich fragen: Auf der Leserkontaktseite von PR 739 hat William Voltz deine Kurzgeschichte »Welt des Unheils« veröffentlicht, da warst du 15. Worüber ging die Story?

AE: Es war eine ziemlich halbgare Geschichte, wie das erste Raumschiff mit Photonenantrieb das Sonnensystem verlässt und dabei auf ein Raumschiff Außerirdischer stößt, die es mit einer Art Super-Radar abtasten – und nicht merken, dass ihre Radarstrahlen so stark sind, dass sie die Besatzung dabei töten. Wenn ich mich recht entsinne.

AT: Hast du dir am Anfang deiner Karriere vorgestellt, solch einen Erfolg zu haben?

AE: Klar. Am Anfang – also, solange man noch keine Ahnung hat, wie das Buchgeschäft läuft – denkt man, man schreibt sein erstes Buch, und das schlägt dann ein wie eine Bombe;

170 man kassiert Millionengagen, tritt im Fernsehen auf, wird für den Nobelpreis vorgeschlagen und so weiter. Kommt aber meistens nicht ganz so.

AT: Hat sich deine Art zu schreiben verändert, als der Erfolg begann?

AE: Ob und wie sich meine Art zu schreiben verändert hat, kann ich selber schlecht beurteilen. Wenn ja, dann aber hoffentlich eher deswegen, weil ich dazugelernt habe.

AT: Darüber steht ja auch viel in der Publikation der Bundesakademie zur weltweit ersten Andreas Eschbach-Tagung (Link im Anschluss, Anm. d. Red.).

Wann hast du den Entschluss gefasst, die Existenz als freiberuflicher Autor zu wagen?

AE: Das war kurz vor dem Erscheinen von »Eine Billion Dollar«. Wobei ich schon vorher Freiberufler war; ich habe teils Romane geschrieben, teils Software. Das mit der Software habe ich gelassen, als sich gezeigt hat, dass ich mich für eins davon entscheiden muss: Man kann nun mal nicht wochenlang auf Lesereise sein, wenn man Kunden hat, die auf Hilfe zu der Software angewiesen sein können, die man für sie geschrieben hat, oder dringende Änderungen brauchen.

171 AT: Schülerfrage 6: Du verbringst sehr viel Zeit mit Schreiben. Was reizt dich daran?

AE: Schwierige Frage. Ich könnte sagen, dass es mir einfach gefällt, immer aufs Neue mitzuerleben, wie aus einer anfänglich kleinen Idee eine ganze große Geschichte wird – aber eigentlich kann ich es nicht wirklich erklären. Zum Glück gefallen nicht allen Menschen dieselben Tätigkeiten gleich gut, sonst gäb’s Gedrängel.

2. NSA

AT: Du bevorzugst das Einbauen vertrauten Materials mit gezielter, aber geringer Verfremdung und das Ersetzen von zusätzlichen Adjektiven durch echte, aber kaum bekannte Nomen. Im 2018 erschienenen Roman »NSA« hast du aus dem historischen Material einen alternativen Weltverlauf gebaut, der aber logisch und folgerichtig funktionieren könnte. Internet und Telefon haben sich dort anders entwickelt.

AE: Ja, die Idee bei »NSA« war, unsere heutige Informationstechnologie in die Zeit des Dritten Reichs zu verlegen, um zu zeigen, was da an Unterdrückungspotenzial drinsteckt. Der Anknüpfungspunkt war, dass es Mitte des 19. Jahrhunderts in England den Versuch gegeben hat, eine dampfbetriebene Rechenmaschine zu bauen, die, wäre das geglückt, der erste Computer gewesen wäre. Amerika war damals mit seinem Bürgerkrieg beschäftigt, die weitere technische Entwicklung hätte also in Europa stattgefunden, und da Deutschland damals noch eine führende Wissenschaftsnation war, hätte es sicher wesentlich dazu beigetragen. Insofern schien es mir nur folgerichtig, auch deutsche Bezeichnungen zu verwenden wie »Weltnetz«, »Datensilo« oder »Gemeinschaftsmedien«.

172 Das ist aber nur die halbe Geschichte. Worte wirken ja auch auf einer unbewussten Ebene, und »Telephon« wieder mit ph zu schreiben, statt Büro »Bureau« zu sagen und dergleichen schafft beim Lesen so ganz nebenbei eine Atmosphäre von Fremdheit, erzeugt das Gefühl, sich wirklich in einer vergangenen Epoche zu befinden.

AT: Nun äußerte mindestens ein Leser Unverständnis angesichts deiner Entscheidung, Albert Einstein freiwillig in ein von Hitler und Himmler beherrschtes Deutschland zurückkehren zu lassen.

AE: Na, wenn man die Passage genau liest, kann man erkennen, dass er das nicht wirklich freiwillig tut, sondern weil ansonsten Agenten der Nazis ihn und andere Wissenschaftler umbringen würden.

AT: Insofern ist »NSA« Steampunk und Sozialkritik. Was hat dich zur eigentlichen Science-Fiction gebracht?

AE: Die »Science«, die Wissenschaft also, hat mich schon immer fasziniert – muss genetisch bedingt sein. Und von da aus war es dann nur ein kleiner Schritt zur Science-Fiction, schätze ich.

173 3. Perry Rhodan

AT: Dein Vorgehen bei der Recherche ist bemerkenswert. Vielleicht könnten wir es anhand deines PERRY RHODAN-Romans weiterbesprechen?

AE: Gern. Der RHODAN-Roman war ein Recherche-Monster.

AT: Dein Roman beginnt mit der Anfahrt verzweifelter Eltern auf das Weiße Haus. Immerhin hat ihr Sohn gerade den Dritten Weltkrieg ausgelöst, der die Menschheit auslöschen kann. Hast du bereits andere Romane zum Amerika des Jahres 1971 geschrieben?

AE: Nein, nicht dass ich wüsste.

174 AT: Die Serie beginnt in Cape Kennedy dieses Jahres: Nach dem spektakulären Scheitern der Apollo-Missionen unternehmen die Amerikaner einen letzten verzweifelten Versuch, das Rennen zum Mond zu gewinnen. Perry Rhodan ist der Kommandant des Raumschiffs Stardust. Wenn dein Roman zu diesem Zeitpunkt endet, so folgst du im Aufbau einer gigantischen Zeitschleife.

AE: Nein, so ist es nicht. Tatsächlich beginnt der Roman viel früher, und er endet auch nicht mit dem Flug zum Mond. Obwohl das natürlich ein wichtiges Ereignis ist.

AT: Aber jeder weiß, wie die Geschichte ausgeht. Wie bist du beim Spannungsaufbau vorgegangen?

AE: Ich habe mir eine bewährte Maxime Hollywoods zu Herzen genommen: Fange mit dem Weltuntergang an und steigere dich dann allmählich … Ansonsten verfolge ich beim Schreiben die einfache Strategie, so zu schreiben, dass ich mich selber nicht langweile: Dann liest es sich in der Regel auch spannend.

AT: Nun ist die Rhodanwelt, das Perryversum, eine Art Parallelwelt zur Realwelt, die du in diesem Roman aber in hohem Maße einbeziehst – anders als bei den im Anschluss auf die Heftroman-Veröffentlichung bei Bastei-Lübbe als Taschenbuch erschienenen Romanen zur Falschen Welt, die als Parallelwelt innerhalb der Serie konzipiert wurde (Link im Anschluss, Anm. d. Red.). Wie hast du beide Bereiche bei deinem Roman über den Menschen Perry Rhodan in Einklang gebracht, wann teilten sich die Ebenen?

AE: Innerhalb der Serie hat es ja schon oft Parallelwelten gegeben, wie es auch andere Universen gibt und so weiter. Mein dicker Perry Rhodan-Roman beschreitet insofern neue

175 Wege, dass ich zum ersten Mal die Welt Rhodans mit unserer realen Welt verknüpfe. Es hat mich beim Schreiben selber verblüfft, wie gut das funktioniert hat.

Es gibt allerdings nicht den einen Punkt, ab dem alles anders ist, denn schon die Geburt Perry Rhodans ist ja Teil der »anderen« Wirklichkeit. Er nimmt später an einem Geheimprojekt »Starfire« teil, das es so nie gegeben hat – aber: Es hat tatsächlich viele ähnliche Geheimprojekte gegeben, von denen die Öffentlichkeit damals nichts geahnt hat, insofern könnte es theoretisch sein, dass es dieses Projekt eben doch gegeben hat und wir es nur noch nicht wissen.

Irgendwann kommt aber dann tatsächlich der Punkt, ab dem alles grundlegend anders wird – doch den will ich hier noch nicht verraten.

AT: Hast du dich dabei nur auf die frühen Hefte bezogen oder auch die kosmische Ebene von Rhodans Kindheit, die Voltz in »Der Terraner« (PR 1000) eingeführt hat?

AE: Die erste Begegnung mit ES in Band 1000 habe ich ausgelassen, da sich der junge Rhodan danach ja nicht mehr daran erinnert; diese Episode macht nur im Kontext des 1000er-Romans Sinn. Was die frühen Hefte anbelangt, liefern sie über Rhodans Werdegang so gut wie nichts, aber sie sind natürlich die Story, an die mein Roman anschließen musste. Eine große Rolle hingegen musste die in den Bänden 1177 und 1178 geschilderte Begebenheit spielen – eine wilde Räuberpistole, in die der junge Perry verwickelt war und die mir erst gar nicht gefallen hat. Da musste ich ziemlich grübeln, ehe die zum Rest der Geschichte gepasst hat.

176 AT: Kurt Mahrs »Der Junge vom Case Mountain«. Wie stehst du grundsätzlich zur Kosmologie der Serie?

AE: Ach, die betrachte ich mit gemischten Gefühlen. Einerseits ist es sicher notwendig, dass eine solche Serie überhaupt eine Kosmologie hat – sie ähnelt darin den alten griechischen Sagen, in denen die Helden es ja auch ständig mit allerlei Göttern zu tun haben. Andererseits denkt man über diese Karriereleiter Superintelligenz – Materiequelle – Kosmokrat besser nicht zu genau nach, denn das macht alles nicht so wirklich viel Sinn. Sage ich mal als jemand, der am liebsten ein ganz normales Lebewesen ist.

AT: Du hast bislang sechs RHODAN-Heftromane geschrieben, bei denen du explizit stärker in die übergreifenden Handlungsvorgaben eingebunden werden wolltest, als dies bei Gastautoren üblicherweise der Fall ist. Trotzdem hast du jedes Mal sehr starke Nebenfiguren entwickelt. Warum?

177 AE: Ich neige dazu, ja. Was Nebenfiguren so reizvoll macht, ist, dass sie viel freier sind in ihren Möglichkeiten als die Hauptfiguren. Die Hauptfiguren bewegen sich ja immer auf ein durch die Idee oder das Thema der Geschichte bestimmtes Ziel zu – der Detektiv findet den Mörder entweder, oder er findet ihn nicht, aber wenn er kurz vor Ende des Buches beschließen sollte, den Fall einfach jemand anderem zu übergeben und eine Weltreise anzutreten, dann fänden wir das in der Regel kein gelungenes Finale. Eine Nebenfigur könnte das hingegen ohne Weiteres machen.

178 AT: Auffällig ist die liebevolle Sorgfalt, mit der du Reginald Bull zeichnest. Hat Rhodans ältester bester Freund auch in deinem Hardcover eine besondere Rolle?

AE: Ja, natürlich. Die Geschichte zu erfinden, wie die beiden aufeinandertreffen, hat mir großen Spaß gemacht. Laut Heftserie haben die beiden sich ja erst in der Space Force kennengelernt, die wiederum erst 1968 gegründet worden ist – aber ›kennengelernt‹ ist zum Glück ein dehnbarer Begriff. Ich habe mir die Freiheit genommen, den beiden eine bewegte Vorgeschichte dieses Kennenlernens anzudichten.

AT: Was möchtest du am Menschen Perry Rhodan besonders herausstellen?

AE: Hmm. Vielleicht, dass er zwar ein besonderer Mensch ist, aber trotzdem ein Mensch, der auch seine Fehler und Schwächen hat? Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt ist er mir immer noch ein Rätsel.

AT: Du sagst, du hast viel recherchiert. Werden Raumfahrt-Freaks auf ihre Kosten kommen?

AE: Ich fürchte, Raumfahrt-Freaks werden mir eher ellenlange Mails schreiben, was ich alles falsch dargestellt oder sträflicherweise unerwähnt gelassen habe. Aber natürlich spielt die Geschichte der Raumfahrt eine große Rolle in meinem Buch, beginnend mit dem ersten Sputnik, und auch Ziolkowski, Oberth und Goddard werden, denke ich, angemessen gewürdigt.

AT: Und die Frauengestalten des Romans? Sind sie eher ihrer Zeit verbunden wie in »NSA« oder zukunftweisend?

179 AE: Teils, teils. Ich musste mich in vielem natürlich nach den existierenden Vorgaben richten, aber auch dabei erlebt man Überraschungen – Rhodans Mutter zum Beispiel ist, wenn man sie sich genauer anschaut, eine verblüffend toughe Frau, die damals genau wusste, was sie wollte.

AT: Gleich in der Leseprobe finden sich mehrere historische Gestalten: Nixon, Kissinger. Andererseits ist die politische Situation den politischen Blöcken der Serie angepasst. Worauf hast du bei diesem Drahtseilakt vor allem geachtet?

AE: Die politischen Blöcke, die in den ersten Heften der Serie erwähnt werden, waren in der Tat ein Problem, denn von einer »Asiatischen Föderation« waren die Staaten Asiens Ende der 1960er-Jahre ja denkbar weit entfernt. Ich habe dann eine einigermaßen plausible Lösung gefunden, aber was bleibt, ist, dass ich den Chinesen einen technologischen Entwicklungsstand unterstellen musste, den sie erst heutzutage erreichen. Hier hätte zu viel Realismus der Geschichte der Hefte 1–10 glatt widersprochen.

AT: In deinem »Techno-Mond« (PR 2700) hast du Rhodan ein ziemlich abgefahrenes Haus gegeben. Kommt so was im Hardcover auch vor?

AE: Nein, das Haus in der Garnaru Road war Wim Vandemaans Idee – eine typische Vandemaan-Idee, möchte ich meinen. Derlei kommt in meinem »dicken PR« nicht vor – aber immerhin eine etwas abgefahrene Figur, mit der Rhodan einige Zeit zu tun hat. Da bin ich mal gespannt, ob die irgendwann mal in der Serie Erwähnung findet.

180 AT: Sicher nicht nur du. Zum Schluss noch eine ganz andere Frage aus den Reihen der Corona-Redakteure: ob ein dritter Teil der Jesus Video/Jesus Deal-Story angedacht ist.

AE: Ja, ist angedacht – aber ich verspreche nichts. Erst muss die eine Idee auftauchen, die einen dritten Teil unwiderstehlich macht.

AT: Dann erst mal vielen Dank für die Auskünfte!

AE: Gerne.

Andreas Eschbachs Homepage: http://www.andreaseschbach.de/werke/romane/page160/ page160.html

Sein Perrypedia-Eintrag: https://www.perrypedia.proc.org/wiki/Andreas_Eschbach

Seine ersten vier PERRY RHODAN-Romane in einem Hörbuch: https://www.luebbe.de/luebbe-audio/hoerbuecher/science -fiction-romane/rueckkehr-nach-terra/id_5928063

Leseprobe des RHODAN-Hardcovers: https://www.tor-online.de/perry-rhodan-das-groesste-aben teuer-andreas-eschbach/leseprobe-perry-rhodan-das-groes ste-abenteuer-andreas-eschbach/

Die falsche Welt: https://www.luebbe.de/bastei-luebbe/buecher/science-ficti on-romane/perry-rhodan-die-falsche-welt/id_5869087

181 NSA https://www.luebbe.de/bastei-luebbe/buecher/sonstige-bel letristik/nsa-nationales-sicherheits-amt/id_5802102

Kurt Mahr: Der Junge vom Case Mountain (PR 1177) https://www.perrypedia.proc.org/wiki/Der_Junge_von_Cas e_Mountain

Perry Rhodans Geburtsurkunde und weitere Dokumente finden sich auf der Homepage vom Perry Rhodan Stammtisch München »Ernst Ellert«: HYPERLINK "https://www.prsm.clark-darlton.de/index.php/stphil/263-p errys-

Kurzgeschichten Story-Wettbewerb

Liebe Kurzgeschichten-Freunde, durch die Umstellung auf zweimonatige Erscheinungsweise hat sich beim Story-Wettbewerb des Corona Magazines ein kleiner Rückstau aufgebaut.

Den möchten wir möglichst rasch wieder abtragen, deshalb gibt es in der heutigen Ausgabe ausnahmsweise zwei Kurzgeschichten. Es bleiben ja auch zwei Monate Zeit, sie zu lesen, ehe es dann wieder Nachschub gibt …

Beide Storys stammen aus unserer Themenrunde „Das Spiel“. Da wäre zunächst der dritte Platz, Ein einziges Wort von Christian J. Meier, direkt im Anschluss folgt mit Quiz aus der Feder von Achim Stößer dann Platz zwei.

182 Wir wünschen wie immer viel Vergnügen bei der Lektüre und freuen uns über Rückmeldungen – ob per E-Mail oder in unserem Forum unter dem Dach des SF-Netzwerks (www.sf-netzwerk.de).

Die nächsten Themen unseres regelmäßigen Story-Wettbewerbs lauten „Amulett“ (Einsendeschluss: 1. Mai 2019) und „Der Fehlgriff“ (Einsendeschluss: 1. Oktober 2019). Wer Interesse hat, sich mit einer bislang unveröffentlichten Kurzgeschichte (Science-Fiction, Fantasy, Horror, Phantastik – keine Fan-Fiction) zu beteiligen, die einen Umfang von 20.000 Zeichen nicht überschreitet, schickt seine Story (möglichst als rtf-Datei, bitte auf keinen Fall als pdf) rechtzeitig per E-Mail an die Kurzgeschichten-Redaktion, die unter [email protected] zu erreichen ist.

Die nach Meinung der Jury (meistens) drei besten Geschichten werden im Corona Magazine veröffentlicht.

Armin Rößler

Kurzgeschichte / Platz 3: Ein einziges Wort

Von Christian J. Meier

Rainer Wenzel kam ins Schnaufen, trotz des nur leichten Anstiegs. Er musste einen Spielpartner finden, bevor er nicht mehr klar denken konnte. Die letzten zwei Cubes waren offline gewesen. Die vergebliche Suche hatte ihn gut drei Stunden gekostet. So spät am Abend würde es schwierig werden, einen Gegner zu finden. Er stieg über den 183 Körper einer hechelnden Frau. Sie starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an. Der Anblick beschleunigte Rainers Puls. Bleib ruhig, ermahnte er sich. Stress erhöht die Sauerstoffschuld. Er schaute auf seine Watch. Sie zeigte einen Cube in zweihundert Metern Entfernung. Dort wartete ein potenzieller Gegner, Punktestand viereinhalb Millionen. Da hatte er keine Chance. Außerdem suchten sich solche Luftkönige ebenbürtige Kontrahenten, bei denen es was zu holen gab. Dann lieber gegen einen Borderfreak antreten. Deren Kampfgeist, getrieben von nackter Todesangst, ließ zwar jeden erzittern. Doch pfiffen sie aus dem letzten Loch, was sie besiegbar machte. »Alice, den Punktestand anzeigen«, sagte er in die Watch. Die Zahl 2861 erschien auf dem Display. Er schluckte: Unterhalb von 1500 begann die Lebensgefahr.

Rainer bog in eine Seitenstraße. Sie stieg noch steiler an. Die kalte Luft schnitt sich in seine Lungen. Seine Beine fühlten sich wie vor Hitze erweichender Gummi an. Ein flaues Gefühl kaperte seine Eingeweide. Nach fünfzehn Metern, die sich wie eine halbe Bergwanderung anfühlten, blickte er auf die Watch und stellte fest, dass er falsch abgebogen war. Am liebsten hätte er sich hingesetzt und wäre dem Ende entgegengedämmert. Doch er schnappte nach Luft und kehrte um. Rainer hasste fremde Städte. Zu Hause fand er die Cubes blind, kannte die leichtesten Wege. In der Fremde wusste man nie, was einen erwartete. Der Cube zeigte einen neuen Partnersucher, Punktestand 4560. Endlich jemand aus Rainers Liga. Er tippte einen Request an. Er schritt schneller aus, bergab kein Problem. An der Ecke prallte er mit einem Dickwanst zusammen, der sich schwer atmend und mit gekrümmtem Oberkörper an der Hauswand abstützte. Rainer nutzte seinen Schwung, um ihn aus dem Weg zu schieben. Er hörte, wie der Körper aufs Pflaster platschte. Mein Gott, dachte er, ohne sich

184 umzuwenden, ich bin zu dem gleichen Egomonster geworden, wie ich sie früher verachtet habe. Er prüfte seinen Punktestand: 2654. Mann, Mann, Mann. Hoffentlich würde er den Viereinhalbtausender erwischen. Es pingte, eine vorläufige Bestätigung. Der potenzielle Kontrahent wollte gegen Rainer antreten, falls sich in der Zwischenzeit kein ihm genehmerer Gegner fand. Der suchte jemanden mit höherem Punktestand, mutmaßte Rainer, den er abzocken konnte, um sich einen Vorrat aufzubauen, für einen Urlaub oder so. Solange nahm er, was kam.

An der nächsten Ecke vergewisserte Rainer sich, in die richtige Seitenstraße einzubiegen. Oje! Vor ihm stieg eine lange Treppe an. Die würde ein paar hundert Punkte kosten. Er bestieg sie in jenem gemessenen Rhythmus, der Rainer als Optimum zwischen Tempo und Anstrengung in Fleisch und Blut übergegangen war. Die Luftkönige, für die es solche Hindernisse nicht gab, beneidete er. Selbst der Gipfel des Mount Everest kostete sie kaum mehr Atem als ein Odenwaldhügel. Die besten Luftkönige konnten die Luft stundenlang anhalten. Ausgedehnte Spaziergänge an den Gründen von Meeren oder Seen gehörte zu ihren Lieblingsbeschäftigungen. Ihre künstlichen Blutkörperchen, auch »Respirocyten« genannt, trugen beinahe jede benötigte Menge an Sauerstoffmolekülen in Muskeln, Organe oder Gehirn – wo auch immer sie gebraucht wurden. Mehr als zweihundert Mal so viel Sauerstoff wie ein natürliches Blutkörperchen konnte ein Respirocyt durchs Blut transportieren. Für die Luftkönige war das alte Versprechen der Oxypeak Corporation Wirklichkeit geworden: übermenschliche körperliche und geistige Leistungen. Rainer hatte anfangs nicht daran geglaubt und die Respirocyten-Transfusion erst gemacht, nachdem ihm ein Job nach dem anderen von diesen Überfliegern vor der Nase weggeschnappt worden war. Jetzt hing Rainer um

185 Jahre mit der Spielerfahrung hinterher und krebste am Minimum herum. So konnte es nicht weitergehen! Er hatte von Aktivisten gehört, die Respirocyten hackten, sodass ihre volle Kapazität ständig verfügbar blieb, unabhängig vom Punktestand. Er würde sich einen Punktevorrat erspielen und diese Leute suchen!

Seine Fußspitze prallte an die Stirn einer Stufe. Rainer wankte, stützte sich an der Hauswand ab und kämpfte gegen den Schwindel an. Die Watch zeigte 2388. Sein Punktestand verfiel rapide! Es gehörte zu den Gemeinheiten des Systems, dass die Respirocyten mit sinkender Punktezahl immer schneller nachließen. Eine neue Zahl erschien am Cube: 5634. Keine Sekunde später surrte es. Die Ablehnung seines Requests. Beide Zahlen verschwanden. Der Viereinhalbtausender spielte gegen den Fünfeinhalbtausender.

Da kein weiterer Cube in Reichweite lag, raffte Rainer sich auf und setzte, nun schwer atmend, den Aufstieg fort. Seine Kurzatmigkeit nahm erschreckend zu. Er fühlte sich abgeschlagen, es war ihm speiübel. Es wird sich finden, machte er sich Mut. Er hatte aufgehört, sich über Oxypeak zu ärgern, etwa darüber, dass man zum Spielen die Cubes aufsuchen musste. Reine Schikane. Oxypeak könnte seine Kunden genauso gut in deren Wohnungen zocken lassen. Am Ende der Treppe bog er rechts ab. Personenwagen und Transporter surrten die schnurgerade Durchgangsstraße entlang. Hinter zwei Kreuzungen machte er das Hellblau des Cube aus. Eine ebene Strecke, Gott sei Dank! Er marschierte guten Mutes los. Ein Blick auf die Watch jedoch ernüchterte ihn: Noch war keine neue Zahl erschienen. Seine Hände zitterten. Doch da tauchte ein neuer Spieler auf, Punktestand 2798. Das passte! Rainer tippte einen Request, legte einen Zahn zu, geriet aber schwer ins Atmen und

186 verlangsamte seinen Schritt. Er prüfte den eigenen Punktestand. Die Zahl 2032 traf ihn wie ein Magenschwinger. Die Übelkeit wuchs. Rainer überkam eine bleierne Niedergeschlagenheit. Eine Tür knarrte hinter ihm. Schritte näherten sich. Eine Hand packte ihn am Unterarm. Es ratschte. Etwas Metallisches umklammerte seinen Arm und riss ihn zur Seite. Noch einmal das Ratschen, begleitet von Klimpern. „Der gehört mir!«, hörte er eine raue Stimme. Ein Mann in schwarzem Mantel und Kapuze eilte an Rainer vorbei zum Cube. Er wollte ihm nach, doch sein Arm hing fest – mit Handschellen an der Stange eines Verkehrsschildes.

Rainer ließ sich auf den Boden sinken. Er lehnte sich an die Stange und atmete schwer. Die kalte Luft flutete seine Lungen bis zu deren Grund. Dennoch fühlte er sich von der Atmosphäre abgeschnitten. Das ist das Ende, dachte er. Das Einzige, was ihm jetzt hätte helfen können, ein Schneidelaser, lag zu Hause auf dem Schreibtisch. Rainer hatte schon immer geahnt, dass ihn seine vermaledeite Vergesslichkeit einmal Kopf und Kragen kosten würde. Nun war es also soweit. Er gab auf.

Eine luftige Leichtigkeit verdrängte die Übelkeit aus seinen Gedärmen. Diffuses Licht verwandelte den wolkengrauen Himmel in Porzellan. Rainers Muskeln lockerten sich. Eine rauschhafte Erleichterung erfüllte ihn. Kein Kampf mehr. Etwas Neues kam auf ihn zu. Er wusste nicht, was. Aber dieses unerklärliche, glänzende Licht ließ ihn auf ein geruhsames, jenseitiges Leben in Frieden und Freiheit hoffen. Ein sanfter Griff umfing seinen Oberarm. Ein scharfes Piksen. Doch Rainer erschrak nicht. Das war wohl der Übergang in die neue Welt. Stattdessen aber kehrte der bleigraue Himmel zurück, die vorbeisurrenden Fahrzeuge.

187 Und der Atem! Reiner hob den Blick. Ernste blaue Augen im rotbackigen Gesicht einer jungen Frau studierten ihn. Die Frau griff in ihre Tasche und zog etwas Stabförmiges heraus. Sie betätigte einen Schalter und hielt den Stab auf die Handschellen. Zischend durchtrennte der Laser die Kette. Rainers Arm war wieder frei.

»Was wollen Sie?«, fragte er. »Meine Punkte?« »Im Gegenteil«, sagte eine klare, freundliche Stimme. »Ich habe Ihnen dreihundert Milliarden ungedrosselte Respirocyten eingeimpft. Das ist nicht viel, ich weiß. Sie werden sich bald mit dem Schwarm Ihrer Respirocyten verlinken und genauso gedrosselt. Aber erst einmal verschaffen sie Ihnen etwa eine Viertelstunde.« Rainer atmete mehrmals durch, wie jemand, der aus einem brennenden Haus an die frische Luft entflohen war. »Warum tun Sie das? Wer sind Sie?« »Wir helfen«, sagt die Fremde. »Sind Sie von der Gruppe, die die Respirocyten hackt?« Sie nickte. »Wir befreien eine wunderbare Technik vom Würgegriff eines mächtigen Konzerns«, sagte sie. »Ich möchte mitmachen«, sagte Rainer. »Wir nehmen nicht jeden in unsere Reihen auf«, sagte sie. »Aber Sie können unserer Sache trotzdem helfen.« »Wie?« »Kooperieren Sie«, sagte sie. »Kooperieren? Mit wem?« Sie stand auf und ging zügig davon. »Mit wem soll ich kooperieren?«, rief er laut, was sich anfühlte, als würde er sämtlichen Sauerstoff aus seinem Körper pressen.

Rainer sah auf die Watch: 2976 Punkte. Er war wieder im Spiel. Der Cube zeigte ihm, dass der Typ mit den Handschellen ihm den Zweitausendachthunderter

188 weggeschnappt hatte. Er raffte sich auf und marschierte zügig in Richtung des Cube.

Dort hielt Rainer seine Watch an eine grün leuchtende Fläche neben einer der Kabinentüren, die daraufhin zur Seite glitt. Er trat ein, inzwischen wieder kürzer atmend, und ließ sich auf den Hocker vor dem Display fallen. »Hallo Rainer«, sagte eine samtene Frauenstimme. »Schön, dich zu sehen.« »Jaja«, gab er zurück. »Oha, 2420 Punkte. Wird Zeit, dass du ein paar Punkte machst.« »Viieelen Dank für den Hinweis. Wäre ich niiieee drauf gekommen«, quittierte er. Ein Gegner wartete jedoch nicht im Cube. Es war 23.12 Uhr. Hoffentlich kam noch jemand. Rainer hielt sich an der Konsole fest. In seinem Kopf drehte es sich. Er holte tief Luft, hatte aber das Gefühl, ein wirkungsloses Edelgas anzusaugen. Auf dem Display tauchte die Zahl 12089 auf. Ein Request. Erst nachdem er reflexhaft bestätigte, wurde ihm bewusst, mit was für einem Gegner er sich eingelassen hatte. Ein Zehntausend plus! Der würde ihn aussaugen wie eine Weißwurst. Deine Tage sind gezählt, Rainer Wenzel, verzweifelte er. Er hatte nur eine Chance: dass es ein Annotations-Spiel wurde. Objekte auf Bildern erkannte er intuitiv und schnell, ohne groß darüber nachdenken zu müssen. Das schaffte er sogar noch im Halbdelirium, was ihm schon einmal das Leben gerettet hatte. Es klapperte. Der Zwölftausender hatte seine Kabine betreten. »Rainer, dein Gegner ist bereit«, sagte die samtene Stimme. »Du auch?« »Ja«, bestätigte er. »Also, Spieler«, fuhr die Stimme fort, »da ihr beide ausgebildete Geografen seid – was für ein Zufall! –, zeigen wir euch nun Satellitenbilder ländlicher Gebiete in Ostasien.

189 Euer Job ist, die Felder mit reifem Reis darauf zu markieren.« Ein Annotations-Spiel, Gott sei Dank. Allerdings würde sein Gegner als Berufskollege die Reisfelder ebenso schnell erkennen wie er selbst. Lachender Dritter war wie immer Oxypeak, das digitale Drecksarbeit gratis erledigt bekam. Die Daten verkauften sie teuer. Ein echt übles Geschäftsmodell.

Ein grüngelbes Muster aus mehr oder weniger rechteckigen Flächen erschien auf dem Display. Rainer suchte nach Feldern in einem ganz bestimmten Gelbton und rahmte sie mit dem Zeigefinger ein. Die markierten Daten würden lernfähigen Supercomputern als Trainingsdaten dienen. Anhand zigtausender von armen Schluckern wie ihm selbst gekennzeichneter Beispiele wären diese Rechner bald in der Lage, die Felder ohne menschliche Hilfe zu erkennen. Rainer merkte schnell, dass er wenig intuitiv vorging. Was sicher daran lag, dass dieser Job mit seiner Expertise zu tun hatte. Da konnte er schlecht abschalten. Hunde oder Katzen zu markieren, wäre ihm leichter gefallen, weil dabei sein Bewusstsein außen vor blieb. Sein Puls beschleunigte sich. Übelkeit stieg auf. Zwischen zwei Bildern schielte er zum Punktestand. Der sank gerade von 2340 auf 2330. Mist! Der Zwölftausender zockte ihn ab! Er verdrängte den entmutigenden Gedanken und konzentrierte sich auf die Bilder. Gerade als sich seine Wahrnehmung auf Rechtecke und Trapeze zu reduzieren begann, fing seine Hand an zu zittern. Schwäche überkam ihn. Er unterdrückte den Impuls, den Punktestand zu prüfen. Zwar flutschte das Markieren trotz zitternder Finger. Doch sein Puls beschleunigte sich weiter. Er spürte, dass er immer noch verlor. Es wurde ihm schummrig. Das Bewusstsein für seinen Körper verschwamm immer mehr. Das porzellanene Licht sickerte von den Rändern in sein Blickfeld. Er ignorierte es und

190 konzentrierte sich auf Quadrate, Rechtecke, Rillen, Gelbheit, Grünheit. Sein Zeigefinger strich wie ferngesteuert über das verfettete Display. Endlich: Die Intuition hatte das Ruder übernommen. Sie steuerte ihn. Er verlor jedes Zeitgefühl. Mitten in dieser Trance bemerkte er, wie sein Atem mühelos ging. Die Luft fühlte sich wie Luft an. Kein Schwindel, keine Müdigkeit. Er schielte zum Punktestand: 7532! Sein persönlicher Rekord! Er hatte die Oberhand gewonnen! Euphorie überkam ihn, die ihn weiter beflügelte. Sein Puls trommelte, und er atmete in kurzen Zügen, während er wie im Rausch annotierte. Bis ihm schwindlig wurde. Doch diesmal nicht wegen zu wenig, sondern wegen zu viel Sauerstoff. Rainer dachte an den Punktestand des Gegners, der im gleichen Tempo dahinschmolz, wie er selbst gewann. Wie in Ekstase wütete sein Finger in wildem Tempo über das Display. Jeder Strich ein Fechthieb, mit dem er den Gegner beschädigte. Als wollte er diesen Unbekannten für all das Leid bestrafen, das er selbst in den letzten Jahren hatte erfahren müssen.

Obwohl sein Kontrahent nicht die geringste Schuld daran trug.

Rainer lag nun bei 10878 Punkten. Er würde tagelang Ruhe haben!

Er genoss jeden weiteren gewonnen Punkt wie einen Schlag ins Gesicht eines Feindes. Doch war dieser Mann oder diese Frau wirklich sein Feind? War er nicht vielmehr ein weiterer Leidtragender des Systems? »Kooperieren Sie!«, hörte er die klare, freundliche Stimme der Aktivistin. Sie hatte ihm nicht das Leben gerettet, damit er ein anderes zerstörte!

Weiter tanzte sein Zeigefinger über das Display, verlangsamte jedoch vom Presto ins Andante. Rainer

191 atmete ruhig, fühlte sich leicht und gelöst. Sein Punktestand sank, von 8620 auf unter 5000. Etwas mehr als die Hälfte der Spielzeit war vorüber. Er sollte wieder etwas beschleunigen, um den Gleichgewichtspunkt zu finden. Stattdessen entschleunigte er weiter, bis ins Adagio, sog nach Luft und kämpfte gegen Müdigkeit an. Er beobachtete den absackenden Punktestand, 3412 … 2905 … 2760. Bald würde ein Punkt erreicht sein, ab dem er nicht wieder aufholen konnte. Doch er wartete, beobachtete, hoffte. Seine Müdigkeit rührte nicht nur vom Sauerstoffmangel her. Nur eine Sache noch könnte seinen Überdruss beenden.

Der Schwindel kam, aber seine Hoffnung blieb unerfüllt. Doch dann hörte seine Punktzahl auf zu sinken. Genoss sein Gegner den Moment, bevor er ihm den Todesstoß versetzte? Mechanisch annotierte Rainer weiter, ohne zu bremsen, aber auch ohne zu beschleunigen. Dennoch stieg sein Punktestand, langsam zwar, aber stetig. Der Schwindel verflog. Auch die Müdigkeit. Mit einer Neugier, wie er sie seit Jahren nicht mehr gefühlt hatte, beobachtete er die Entwicklung. Er steigerte das Tempo auf Andante. Sein Punktestand wuchs zunächst schneller. Doch sein Gegner passte sich offenbar der Temposteigerung an. Rainer gab noch etwas mehr Gas. Wieder holte der andere auf. Rainer fragte sich, mit welcher Punktzahl er den Cube verlassen wollte. Er lag jetzt bei 4500. Als er bei 5000 anlangte, beschleunigte er nicht weiter. Das aber bekam er mit einer wieder sinkenden Zahl zu spüren. Der Gegner strebte wohl ein anderes Optimum an. Rainer führte seinen Zeigefinger etwas schneller. Dann geschah es. Die Punktzahl blieb stabil bei 6210 Punkten. Rainer und sein Gegner hatten ihr Gleichgewicht gefunden. Sie hielten es, bis die samtene Stimme das Ende der Spielzeit meldete. Rainer atmete durch, stand auf und trat aus der Kabine. Neben ihm glitt eine andere Tür auf. Eine große, schlanke

192 Frau trat heraus. Sie wandte sich ihm zu und musterte ihn mit verhalten neugierigem Blick. Rainer nickte ihr zu. »Wir könnten öfter gegeneinander spielen«, sagte er. Ein Lächeln spielte um ihre Mundwinkel. »Gegeneinander? Sie meinen miteinander.« Diese Antwort überraschte ihn. »Ja, stimmt«, gab er zu. Er lächelte. »Wollen wir uns gleich verabreden?« Sie nickte. »Sicher. Warum nicht?« »Das wird Oxypeak nicht gefallen«, gab er zu bedenken. »Warum nicht? Sie bekommen auch so ihre Daten.« »Aber wir spielen auf diese Weise viel langsamer.« Sie überlegte. »Vielleicht muss sich Oxypeak bald ein neues Geschäftsmodell ausdenken. Ich denke, wir haben das in der Hand.« In Rainers Kopf passierte etwas Ähnliches wie nach drei Stamperl Schnaps, nur multipliziert mit hundert. Ein Wort hatte das ausgelöst. Ein Wort, das er vergessen hatte. Das Wort lautete: Wir.

*

Christian J. Meier, 50, hat Physik studiert und schreibt, nach Ausflügen in die Software- und Verlagsbranche, seit dreizehn Jahren populärwissenschaftliche Artikel für Zeitungen und Magazine sowie Sachbücher. Seine Begeisterung für Science Fiction stammt aus den Zeiten von „Raumschiff Enterprise“. Er liest leidenschaftlich Science Fiction, gerne Klassiker wie Philip K. Dick, und schreibt selbst Storys, die sich meist um Digitalisierung, Künstliche Intelligenz oder den technisch erweiterten Menschen von morgen drehen. Einige davon wurden publiziert, unter anderem bei c’t. Derzeit arbeitet er an seinem ersten Tech-Thriller. Er lebt im hessischen Groß-Umstadt am Rand des Odenwaldes.

193 Kurzgeschichte / Platz 2: Quiz von Achim Stößer

Moderatorin: Herzlich willkommen zur heutigen Ausgabe von »Quiz des Lebens«. Ich begrüße unseren ersten Kandidaten, Jürgen Zet. Hallo Jürgen, schön, dass du heute bei uns bist. Publikum: (applaudiert) Kandidat: Ja, ich freue mich, dass ich hier sein darf. Moderatorin: Sicher, schließlich geht es auch für dich heute um einhundertachtundzwanzig Jahre. Publikum: (applaudiert) Moderatorin: Wen hast du uns mitgebracht als Partnerjoker? Kandidat: Das ist mein guter Freund Khalid. Moderatorin: Hallo Khalid. – So, bevor wir zur ersten Frage kommen, welche Gewinnstufe möchtest du denn streichen, Jürgen? Kandidat: Die 32 Jahre. Moderatorin: Tatsächlich? Das ist doch eher ungewöhnlich. Du bist ja, wenn ich das sagen darf, auch nicht mehr ganz jung … Kandidat: 44. Moderatorin: 44, mit 64 gewonnenen Jahren wärst du bei 108 und damit auf der sicheren Seite, die meisten in deinem Alter streichen dann doch die höchste Gewinnstufe, um auf Nummer sicher zu gehen. Kandidat: Schon, aber ich habe mir gedacht, wenn ich die 128 habe, gebe ich Khalid ein paar Jahre ab. Moderatorin: Oh, das ist aber sehr sozial. Publikum: (applaudiert) Kandidat: Ja, und … ich weiß nicht, ob ich das so laut sagen darf, aber ein bisschen was würde ich dann schon gegen ein 194 paar Annehmlichkeiten eintauschen bei den Kollegen, Kaffee und Zigaretten und so. Moderatorin: Äh, pscht, ja, das wollen wir lieber mal nicht weiter erörtern. Oder, wie ist denn so der Kurs für eine Zigarette? Kandidat: Ja, also ein paar Stunden gehen da schon drauf. Moderatorin: So oder so … Publikum: (lacht und applaudiert) Moderatorin: Verrätst du uns, weshalb du verurteilt wurdest? Kandidat: Nun ja, ich habe mich hinreißen lassen, einen Witz zu machen, der, wie soll ich sagen … geeignet war, den öffentlichen Frieden zu stören. Moderatorin: Paragraf 166, wir haben schon verstanden, wir sollten das hier besser nicht weiter ausführen. Kandidat: Ich habe es ja auch eingesehen, dass es falsch war, was ich getan habe. Nicht auszudenken, wenn friedliebende Gläubige durch mich dazu gebracht worden wären … Moderatorin: Gut. Dann wollen wir mal anfangen. Bereit? Kandidat: Eigentlich nicht, aber habe ich eine Wahl? Publikum: (lacht verhalten) Moderatorin: Also, zu unserer ersten Frage, der Vierteljahresfrage. »Welches Getränk fällt seit letztem Jahr unter das Betäubungsmittelgesetz? Ist das a) Braun-Kuh oder b) Grün-Er oder c) Gelb-Es oder ist es d) oh … Schwarz-Tee?« Kandidat: (lacht) Ich denke mal, das wird der Schwarz-Tee sein. Publikum: (applaudiert) Moderatorin: Ja, Moment. Denkst du oder weißt du? Kandidat: Ich weiß das. Moderatorin: Also einloggen? Oder absichern? Kandidat: Nein, ich logge ein.

195 Moderatorin: Gut. Seit vergangenem Jahr fällt unter das Betäubungsmittelgesetz der … Schwarztee, das ist richtig! – Dann machen wir doch gleich weiter, beantworte uns für ein halbes Jahr die folgende Frage: »Eisbären jagen in freier Wildbahn keine Pinguine, weil a) sie sie nicht sehen können, b) Eisbären ausgestorben sind, c) ihnen Pinguine nicht schmecken oder d) die Pinguine immer wegfliegen?« Kandidat: Also d) schließe ich schon mal aus, Pinguine können nicht fliegen. Und »nicht sehen« kann auch nicht sein, wenn die Eisbären so schlechte Augen haben, sehen sie auch keine Robben oder Fische oder was sie sonst so auf ihrem Speiseplan haben, aber Pinguine sind schwarz-weiß, ich weiß nicht, warum die im Eis so gut getarnt sein sollen. Also wenn – ach, nein, Moment, Eisbären leben am Nordpol, Pinguine am Südpol, deshalb bekommen Eisbären außer im Zoo keine Pinguine zu Gesicht. Ich logge a) ein. Moderatorin: a). Ist eingeloggt. Pinguine können schwimmen und watscheln, aber nicht fliegen, stimmt. Ob Eisbären Gourmets sind, weiß ich nicht, aber so wählerisch dürften sie kaum sein, den Pizzadienst können sie ja schlecht antexten in der Eiswüste. Ausgestorben sind sie auch nicht, aktuelle Satellitenaufnahmen zeigen noch immer über zwanzig lebende Exemplare, die meisten davon in Alaska. Damit ist a) richtig, Eisbären können Pinguine nicht in freier Natur sehen, weil ihr Abstand rund zwanzigtausend Kilometer beträgt, da würde nicht einmal ein Bundeswehrcyborg etwas erkennen … Publikum: (lacht verhalten) Moderatorin: Das macht also ein halbes Jahr für dich, deine Antwort war richtig. Publikum: (applaudiert) Kandidat: Grade noch mal die Kurve gekriegt. Moderatorin: So ist es. Machen wir weiter mit der Einjahresfrage: »Die Schauspielerin auf unserer Bildwand ist

196 für den Oscar nominiert für ihre Rolle als a) Eva Braun, b) Marilyn Monroe, c) Brigitte Bardot oder d) Hillary Clinton?« Kandidat: Oh je, das Bild ist aber schon älter, da ist die doch grade mal zehn. Moderatorin: Unbestritten, ganz so einfach wollen wir es ja auch nicht machen. Inzwischen hat sie wohl ein paar Telomerverlängerungen hinter sich. Publikum: (lacht) Kandidat: Könnte ich vielleicht noch ein Bier …? Moderatorin: Leute, Leute, Jürgen sitzt ganz auf dem Trockenen. Bringt ihm doch noch ein Gläschen Gerstensaft, nicht dass er uns verdurstet vor der Finalstrafe. Kandidat: Danke. Moderatorin: So, da kommt auch schon unser Alwin mit dem Bier. Publikum: (applaudiert) Moderatorin: Prost. Kandidat: Zum Wohl. – Also Monroe und Clinton sind gerade verfilmt worden, das ist klar. Die beiden anderen Namen sagen mir jetzt gar nichts. Moderatorin: Soll ich dir was verraten? Die waren alle in den letzten Monaten in Filmen zu sehen. Wenn du keine Idee hast, willst du vielleicht eine Zusatzinformation? Du kannst ja noch aus dem Vollen schöpfen, alle Joker sind noch da. Kandidat: Wir sind auch erst bei einem Jahr. Aber ich fürchte, ich brauche da einen Joker. Dann hätte ich gern die Zusatzinfo. Moderatorin: Alles klar. »Der Vorname der Schauspielerin ist zugleich der Name des Stammes, von dem die Indigensezession in den damaligen USA ausging und Teil des Namens zweier früherer Bundesstaaten, in dem viele der Ureinwohner in Reservaten lebten.«

197 Kandidat: (fingerschnalzend) Dakota, natürlich, Dakota Fanning. Sie hat Marilyn Monroe gespielt. Ja, d) einloggen, bitte. Moderatorin: d)? Kandidat: Halt, nein, b) natürlich, b)! Moderatorin: b). – Unser Foto zeigt Dakota Fanning in Steven Spielbergs »Taken«. Das stimmt. Aber für welche Rolle bekam sie den Oscar? Ging es in dem Film eher um Schauspielerei oder Politik? Das erfahren wir nach der Werbung.

*

Moderatorin: So, da sind wir wieder beim »Quiz des Lebens«. Jürgen meint, Dakota Fannings Nominierung für den Academy Award verdankt sie ihrer Hauptrolle als Marilyn Monroe in dem Film »Blind Diamonds«, einer fiktiven Biografie, die das Leben der Schauspielerin zeigt, wie es hätte verlaufen können, wäre sie nicht 1962 ermordet worden – bis hin zu ihrem Aufstieg zur US-Senatorin. Und das ist … richtig. Publikum: (applaudiert) Kandidat: (atmet auf) Moderatorin: Und damit hat Jürgen ein Jahr gewonnen. Bravo. Mal schauen, ob das mit den zwei Jahren auch so glatt läuft. Aha, kurz und schmerzlos: »Wer ist kein Wettergott? a) Hadda, b) Kaaba, c) Taru, d) Telipinu?« Ja, jetzt zahlt es sich aus, wenn du in der Schule in Erdkunde aufgepasst hast. Kandidat: Ich hatte zwar Erdkunde in der Mittelstufe abgewählt und dafür Alchemie belegt, aber das müsste ich trotzdem hinbekommen, Kaaba ist nämlich moslemisch, da gibt es nur einen Gott, Allah. Die anderen kenne ich nicht – also auch kurz und schmerzlos: Kaaba.

198 Moderatorin: Kann es nicht sein, dass Kaaba doch auch ein Wettergott ist? Und Hadda ein afrikanisches Musikinstrument oder Taru eine chinesische Würzpaste oder Telipinu ein Lupinen-Getränk? Absichern? Kandidat: (atmet heftig aus) Drei aus vier, zum Abschuss frei. Moderatorin: Drei aus vier, und … Telipinu ist weg. Kandidat: Also bleibe ich bei Kaaba. Moderatorin: Schon eingeloggt. – Hadda ist der semitische Wettergott, Taru der hethitische, sein Sohn Telipinu hat dann quasi das Familiengeschäft übernommen und war vor allem für göttliche Agrarsubvention zuständig, und richtig, die Kaaba war das Zentralheiligtum des Islam in Mekka. Kandidat: Ja, mein Großonkel Özer trägt sogar ein Bruchstück davon an einem Amulett – den Joker hätte ich mir sparen können. Moderatorin: Nicht unbedingt, es hätte durchaus sein können, dass Kaaba noch eine weitere Bedeutung hat, außer dem arabischen Wort für »Würfel« oder »Kubus«. Kandidat: Schon – aber bei der Zweijahresfrage? Moderatorin: Auch wieder wahr, sehr strategisch gedacht. Nur leider zu spät. – So, es geht jetzt um vier Jahre. Oh, schon wieder eine Frage mit einem schwarz-weißen Tier. »Wie wird das Huftier, das wir hier auf der Bildwand sehen, genannt? Ist das a) ein Steppenpferd, b) ein Streifenpferd, c) ein Tigerpferd oder d) ein Zöllerpferd?« Kandidat: Ich hätte das jetzt ganz anders genannt … Moderatorin: Ich ehrlich gesagt auch. Kandidat: Also, da habe ich keine Ahnung, nicht die geringste. Moderatorin: Ja, dann muss wohl noch ein Joker dran glauben. Weiß das dein Jokerpartner? Die freuen sich doch, wenn sie etwas früher drankommen (lacht).

199 Kandidat: (kopfschüttelnd) Der weiß das auch nicht. Wenn ich jetzt eine Zusatzinfo abfrage, kommt bestimmt: »Das Tier wird auch Zebra genannt«, was? Moderatorin: Kann sein, kann auch nicht sein. Aber du hast ja noch zwei Zusatzjoker, also warum riskierst du es nicht? Anders kommst du nicht weiter. Oder kannst du etwas ausschließen? Kandidat: Hm. Also gut, dann nehme ich erst mal einen Zusatz. Moderatorin: Jawoll. »Hugo Zöller, geboren 1852, war ein deutscher Forschungsreisender. 1884 wurde er beauftragt, die von Gustav Nachtigal erworbenen Kolonien in Westafrika zu erforschen. In Kamerun entdeckte Zöller den Batanga-Fluss, den er aufwärts befuhr, bis er an die Neven-Du Mont-Fälle kam, musste dann aber fieberkrank vom Kongo aus nach Deutschland zurückkehren.« Kandidat: So. Was bringt mir das jetzt? Kann sein, dass Zöller in Afrika das Zebra entdeckt hat. Aber wie ich euch kenne, ist das doch nur eine falsche Fährte. Zöller, Zebra. Vielleicht haben die Afrikaner aus Zöller Zebra gemacht, Ö kennen die bestimmt nicht. Fängt auch beides mit Z an. Moderatorin: Ja, und sie können vielleicht kein L sprechen, aber würden sie dann nicht R draus machen? Oder waren das die Chinesen? (räuspert sich) Dein Nachname fängt auch mit Z an. Vielleicht hast du ja … Publikum: (lacht) Kandidat: Hm. Aber ist das Zebra erst Ende achtzehnhundertirgendwas entdeckt worden? Wann ist der geboren? '52? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen … oder hat es gar nichts mit ihm zu tun, vielleicht heißt das Zebra auch nur Zöllerpferd, weil die Streifen einen Zoll breit sind? Nein, die sind ja irgendwie spitz am Ende. Tigerpferd. Also Tiger und Pferd, das passt nicht zusammen. Ein Tiger mit einem Pferd gekreuzt, nein. Obwohl, es geht vielleicht nur um die Streifen? Streifenpferd, Zebrastreifen. Nein, das

200 ist es bestimmt nicht. Steppenpferd? Klingt wie Steckenpferd. Aber gibt es nicht ein Steppenzebra? Das wäre dann ein Steppensteppenpferd. Nein, nein, nein. Moderatorin: Ich habe auch keine Idee, was es sein könnte. Das wäre eine typische Frage für den Netzjoker. Kandidat: Den will ich mir aber noch aufheben. Moderatorin: Ja. Andererseits, wenn das jetzt schiefgeht, fällst du runter auf null. Wann ist dein Termin? Kandidat: Am 20. April. Moderatorin: Jetzt im April? Ja, dann würde ich mich aber ranhalten. Da hast du mit der ersten Frage fast schon verdoppelt! Du kannst natürlich auch jetzt schon aussteigen, die zwei Jahre mitnehmen, es wäre aber nicht schlau, die restlichen Joker mit ins Vollzugslager zu nehmen. Ha, beinahe hätte ich gesagt, mit ins Grab. Kandidat: Tigerpferd. Mein Bauch sagt mir Tigerpferd. Moderatorin: Eine Kreuzung zwischen Tiger und Pferd? Kandidat: Den Joker. Ich nehme den Googlejoker. Moderatorin: Also gut. Den Netzjoker. Weißt du übrigens, woher da Wort »googeln« kommt? Kandidat: Kein Schimmer, wahrscheinlich ist das haitianisch für »suchen«, ha, ha. Moderatorin: Nicht ganz. Früher gab es eine populäre Suchmaschine, die so hieß … so, das Netz wird freigeschaltet, der Countdown läuft, dreißig Sekunden. Los geht's! Kandidat: Zöllerpferd … Streifenpferd … verdammt. Moderatorin: Fünfzehn. Kandidat: Steppenpferd … Tigerpferd … Moderatorin: Fünf, vier, … Kandidat: c) Tigerpferd, ich logge c) ein. Moderatorin: c). Und das ist … richtig! Tigerpferd ist eine veraltete Bezeichnung für »Zebra«. Damit hast du vier Jahre gewonnen. Kandidat: (atmet erleichtert auf)

201 Publikum: (applaudiert) Moderatorin: Kommen wir also zur Acht-Jahres-Frage. »›Oh be a fine girl, kiss me!‹ Wie ist dieser Satz am geeignetsten zu übersetzen? a) Ohne Beschuldigung angeklagt fürs Gericht, kein Mitleid. b) Ochsen besitzen acht fette Hirne, keine Mägen. c) Ob britische Archäologen sonntags große Kühe melken? d) Offenbar benutzen Astrologen furchtbar gerne seltsame Merksprüche.« Kandidat: »Oh, sei ein braves …« Moderatorin: Na, na, na, als Mann wirst du so etwas doch wohl nicht sagen, das wäre sexuelle Belästigung, und du willst sicherlich nicht im Vollzugslager – ups, bist du ja schon. Publikum: (lacht) Kandidat: Natürlich, Entschuldigung, ich … also die Lösungsmöglichkeiten haben doch alle nichts damit zu tun? Ich stehe gerade auf dem Schlauch. Moderatorin: Ich sehe schon, da wird der nächste Joker fällig. Wie wäre es denn mit deinem Partnerjoker? Der freut sich sicher auch, wenn er fünfhundert Tage extra bekommt. Was hat er denn angestellt, dürfen wir das sagen? Khalid: Ich bin unschul… Moderatorin: Unschuldig, natürlich, aber weswegen wurdest du verurteilt? Khalid: Besitz und Inverkehrbringen von Schwarztee. Publikum (lacht) Moderatorin: (lacht) Ernsthaft? Khalid: Nein, ich sitze schon fünf Jahre in der Todeszelle; als ich eingefahren bin, war Schwarztee noch legal. Verurteilt wurde ich wegen einer … einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung. Ich habe mich in der Straßenbahn neben eine Frau gesetzt. Ohne ihre Genehmigung. Publikum: (buht)

202 Khalid: Ich hatte sie nicht gesehen beziehungsweise als männlichen Geschlechts gelesen. Es war ein Missverständnis. Moderatorin: Keine Ausreden, bitte, das wollen wir hier nicht hören. So etwas geht natürlich gar nicht. – Aber dann ist er für diese Frage ja beinahe prädestiniert, nicht, Jürgen? Wollen wir ihn fragen? Kandidat: »Offenbar benutzen Astrologen …« – ah! Ich hab's. Es geht gar nicht um die Übersetzung des Inhalts. Das ist ein Merkspruch, den Astrologen benutzen. Die Anfangsbuchstaben der Wörter ergeben irgendwelche Sternzeichen oder was auch immer. O, B, A … a), da stimmen die Anfangsbuchstaben überein. Ja, a), bitte einloggen. Moderatorin: Ich bin da raus. Was den Himmel angeht, weiß ich allenfalls etwas über die Engel, die da Halleluja singen. Kandidat: a). Moderatorin: Nicht absichern? Kandidat: a). Moderatorin: Oh, er guckt schon ganz böse. Also a). – O, B, A, F, G, K und M. Es sind die Spektralklassen der Sterne: Wird das Licht eines Sterns durch ein Prisma zerlegt, ergibt sich ein charakteristisches Spektrum. Dieses sagt unter anderem etwas über die Oberflächentemperatur des Sterns aus. »Oh be a fine girl, kiss me!« ist ein Merkspruch für diese Spektralklassen. Es gibt auch deutsche Varianten dieser Eselsbrücke, eigentlich haben wir die alle in den Antworten versteckt, aber die Astrologen benutzen keine seltsamen, sondern komische Merksprüche, die Ochsen haben fette Gehirne und die Kühe werden sonntags gemolken, dann passt es jeweils. Das interessiert ihn alles gar nicht, stimmt's? Du möchtest, dass wir weitermachen? Kandidat: M-hm. Moderatorin: Richtig ist also tatsächlich Antwort a), »Ohne Beschuldigung angeklagt fürs Gericht, kein Mitleid.« Acht

203 Jahre! Du hast also acht Jahre länger zu leben. Aber noch ist nichts sicher, du kannst immer noch auf null zurückfallen, denk dran. – Und wir sind zurück gleich nach der Werbung.

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Moderatorin: Und hier sind wir wieder beim »Quiz des Lebens« mit unserem Kandidaten Jürgen Zet aus dem Strafvollzugslager Oer-Erkenschwick. Publikum: (applaudiert) Moderatorin: Noch mal zurück zur letzten Frage, es sind natürlich die Astronomen, nicht die Astrologen, die die Merksprüche für Spektralklassen benutzen, wurde mir gesagt. – Für Jürgen geht es jetzt um sechzehn Jahre. Kandidat: Puh. Moderatorin: Die Zweiunddreißig-Jahres-Stufe hat Jürgen gestrichen, mutig, mutig. Das heißt, das ist die vorletzte Frage vor der Einhundertachtundzwanzig-Jahres-Frage. Publikum: (applaudiert) Moderatorin: Kommen wir also zur Sechzehn-Jahres-Frage. Sechzehn Jahre, das ist keine Kleinigkeit. Also: »Im Zug der ersten Strafrechtsreform unter Bundeskanzlerin Ursula Steinhörster wurde durch eine Grundgesetzänderung etwas wieder eingeführt, das in Deutschland wann abgeschafft worden war? a) 1946 b) 1949 c) 1990 d) 2018.« Kandidat: Die Todesstrafe. Die Todesstrafe wurde neunzehnhundert… Moderatorin: Lies dir die Frage genau durch. Kandidat: … der ersten Strafrechtsreform … Steinhörster … wieder eingeführt … Nein, das ist die Todesstrafe, und die wurde 1949 aus dem Grundgesetz gestrichen und erst wieder unter Ulla eingeführt, das muss ich doch wissen. Moderatorin: Also? Kandidat: Also Antwort b).

204 Moderatorin: Absichern? Du weißt, es geht um sechzehn Jahre, aber wenn du jetzt falsch liegst, fällst du auf null zurück. Kandidat: 1949, ganz sicher. Bitte einloggen. Moderatorin: Antwort b) ist eingeloggt. Während der zweiten Amtsperiode von Ulla Steinhörster wurde, das ist richtig, die Todesstrafe wieder eingeführt. In der Bundesrepublik wurde sie 1949 abgeschafft, das hast du richtig gesagt, und zwar mit der Einführung des Grundgesetzes. Publikum: (applaudiert) Moderatorin: Aber! So einfach machen wir es nicht für sechzehn Jahre. In der Bundesrepublik wurde sie 1949 abgeschafft. In der Deutschen Demokratischen Republik … Kandidat: Nein! Publikum: Ohhh. Moderatorin: In der DDR dauerte es bis 1990, bis im Zug der Wiedervereinigung die Todesstrafe abgeschafft wurde. Ich hatte dich ja darauf hingewiesen, die Frage genau zu lesen. Hättest du mal wenigstens einen Joker genommen. Khalid: 1990! Ich hätte es gewusst, du … Moderatorin: Khalid, tut mir leid, 1990 wäre auch die falsche Antwort gewesen. In Hessen wurde die Todesstrafe formal erst im Herbst 2018 abgeschafft, da die hessische Landesverfassung bereits 1946, also vor dem Grundgesetz, in einer Volksabstimmung einschließlich Todesstrafe angenommen wurde, auch wenn bis dahin sieben Jahrzehnte lang niemand mehr zum Tod verurteilt worden war und das Grundgesetz über dem Landesgesetz steht. Unterm Strich gab es in Deutschland zumindest auf dem Papier also nur wenige Jahre ohne ein hinreichendes Strafmaß. Kandidat: Da ist … da ist nichts zu machen. Immerhin habe ich nicht weniger als das, mit dem ich gekommen bin.

205 Moderatorin: Er trägt's mit Fassung. Verfassung, sozusagen, ha, ha. Schade, schade, schade. Ja, dann bleibt mir nur, dir alle Gute zu wünschen bis April. Und gleich begrüßen wir unseren nächsten Kandidaten! Publikum: (applaudiert)

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Achim Stößer wurde im Dezember 1963 geboren. Er studierte Informatik an der Universität Karlsruhe, wo er anschließend einige Jahre als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war, beschäftigte sich mit Computerkunst und -animation und hatte einen Lehrauftrag an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe. 1998 gründete er die Tierrechtsinitiative Maqi. So sind Antispeziesismus (und damit Veganismus), Antitheismus, Antirassismus, Antisexismus, Antifaschismus usw. Hauptthemen seiner Erzählungen. Er veröffentlicht seit 1988 in Anthologien und Zeitschriften, zuletzt unter anderem „Vitalfunktionsangleichung oder Der Duft der Durian“ in Marianne Labisch (Hrsg.), „Inspiration – die digitalen Welten des Andreas Schwietzke“, p.machinery, 2018, „Herrgottsack“ in Ellen Norton (Hrsg.), „Das Alien tanzt Polka“, p.machinery, 2018, „Drachenernte“ in Petra Mattfeldt, Burkhard P. Bierschenck (Hrsg.), „Sternenflammen“, DrachenStern Verlag, 2018, „Reitdrachenmetzger“ in Maria Schenk (Hrsg.), „Drachenwelten“, Kelebek Verlag, 2018, „Glyphen“ in „Vollkommenheit“, Hybrid Verlag, 2018. Sein Erzählband „Virulente Wirklichkeiten“ erschien 1997. Internet: http://achim-stoesser.de

Bonus-Kurzgeschichte: Cruiser von Joachim Sohn 206 »Aber wie ist das möglich? Ich weiß, zu meiner Zeit gab es auch schon Hochgeschwindigkeitszüge, Kapseln, mit denen man in gerade mal vierundvierzig Minuten von München nach Berlin reisen konnte. Aber in ein paar Minuten von Kapstadt nach Frankfurt?« Johanna Sieger schaute den Arzt mit großen Augen an. Das schelmische Funkeln darin, das sie gerade noch gezeigt hatten, verschwand. In ihrem Gesicht waren Altersflecken zu erkennen, aber man konnte deutlich sehen, dass Johanna einmal eine sehr attraktive Frau gewesen war. Eine dichte weiße Mähne legte sich um ihr Gesicht, und dank des jahrelangen Trainings machte sie trotz ihrer leicht gebückten Haltung noch immer eine gute Figur.

»Nun, ein paar Minuten wäre zuviel gesagt«, sagte der Arzt breit. Er legte erklärend die Fingerspitzen aufeinander. Sein Mund lachte und legte blütenweiße Zähne frei, die aufgrund seines südafrikanischen Teints nahezu leuchteten. Sein dickes Unterlid half ihm beim Lachen, und seine dunklen Augen waren fast so schwarz wie sein Haar. »Die Zeit spielt bei Reisen keine wirkliche Rolle mehr. Eigentlich sind es nicht mehr als ein paar Schritte.«

Sie kamen zu einer Tür, die sich, nachdem sie nah genug herangetreten waren, lautlos öffnete, indem zwei Flügel aus dünnem Milchglas zu je einer Seite in der Wand verschwanden. Der Raum, der sich vor ihnen auftat, hatte die Größe eines Lastenaufzugs, allerdings kreisrund, mit schneeweißen selbstleuchtenden Wänden. Auf der linken Seite war eine Art Bildschirm eingefasst, und geradeaus konnte man einen dünnen Trennstrich erkennen, der auf eine gegenüberliegende Tür schließen ließ. »Ein paar Schritte? Das müssen Sie mir erklären.«

207 Der Mann legte seine Hand auf Johannas Rücken und führte sie mit leichtem Druck in den Raum. Er zog die Brauen hoch. »Nun, wir leben jetzt in einer Welt der Vielfalt.« Johanna sah ihn fragend an. Er lachte. »Bitte entschuldigen Sie. Das sagt man so bei uns. Ist mittlerweile ein geflügeltes Wort geworden.« Johanna sah ihn weiter fragend an, während er auf der linken Seite des Raumes gegen die Wand tippte und eine Art Menü auf der Oberfläche erschien. Er tippte etwas ein und legte danach wieder seine Finger aufeinander. »Chomskys Theorie zur universellen Transformationsgrammatik war nicht die einzige aus dem Vormillenium, die sich bewahrheitet hat. Mindestens genauso revolutionär für das gesellschaftliche Zusammenleben war die Entdeckung der mannigfaltigen Universen oder, wie man auch sagt, der vielfältigen Universen.« »Sie meinen die Paralleluniversen?« »Eben nicht. Sie denken an Randall, nicht wahr?« Johanna nickte vorsichtig. »Zum Beispiel, ja.« Der Arzt schüttelte den Kopf und schloss für einen Moment die Augen. Johanna ging davon aus, dass seine Vorträge ähnlich aussahen. »Nein, nein. Es geht nicht um parallele Universen. Es gibt nicht mehrere. Unser Universum ist und bleibt einzigartig.« »Ich denke, ich muss mich jetzt freuen?« Der Arzt neigte gefällig seinen Kopf und grinste. »Bei dieser Entdeckung handelte es sich um nicht mehr als ein Meilenstein, liebe Frau Sieger. Mannigfaltig bedeutet ganz einfach, dass das Universum in Falten liegt. Sie müssen sich das vorstellen wie unser Gehirn. Und das wiederum bedeutet, dass die Wege von einem Ort zum anderen auf ein Minimum schrumpfen. Vielmehr sprechen wir von einem Netzwerk. Es ist fast so, als könnte man sich von einem Ort an den nächsten denken. Entschuldigen Sie

208 meine Vergleiche mit dem Gehirn, aber der Raum definiert sich nun mal hauptsächlich darüber, was wir in ihm sehen.« Johanne griff sich an die Stirn. »Ein bisschen viel auf einmal.«

Der Arzt konzentrierte sich erneut auf das Display. Er gab zusätzliche Daten ein, sprach währenddessen aber weiter. »Stellen Sie sich das Ganze vor wie ein großes Tuch. Auseinandergefaltet sind die jeweiligen Enden eine Ewigkeit voneinander entfernt, aber legen Sie es mal zusammen. Oder noch besser, knäulen Sie es einmal … Frau Sieger?« Johanna begann zu torkeln. Sie hielt sich mit einer Hand an der Wand fest, mit der anderen griff sie sich weiterhin an die Stirn, bis sie in sich zusammensackte. Der Arzt ging in die Knie und beugte sich über sie. »Frau Sieger? Was ist mit Ihnen?« Ich wachte auf, und der erste Reflex, den ich verspürte, war, nach Luft zu schnappen. Nach Luft, als wäre ich für eine unerträglich lange Zeit unter Wasser gewesen. Das zweite, was ich merkte, war, dass ich im Wasser lag, und es stand mir bis zum Hals, schwappte hin und her wie in einer Badewanne, die geschüttelt wurde; dabei war ich es selbst, die das Wasser zum Schwappen gebracht hatte, durch meine ruckartige Bewegung. Ich schaute an mir hinunter und merkte, dass ich bis auf meine primären Geschlechtsmerkmale nackt war. Alles andere war in engem, fleischfarbenen Stoff abgebunden. Das Wasser floss zäh an mir ab, zu zäh, als dass es sich nur um Wasser handeln könnte.

Aber wo war ich überhaupt? Hektisch schaute ich mich um. Ich war eingeschlossenen in einer Kapsel, gerade so groß, dass ich mich ausstrecken und aufrecht sitzen konnte, und ein bisschen mehr. Aber das war schon der ganze Raum. Die Kapsel selbst, ihre Wände waren transparent. Ich schlug

209 dagegen. Es fühlte sich an wie dickes Plexiglas, jedenfalls nicht wie richtiges Glas, es war Kunststoff. Da entdeckte ich auch schon, dass ich nicht alleine war. Neben mir war noch so eine Kapsel. So transparent war die Außenwand doch nicht, aber schemenhaft konnte ich sehen, dass in der Nachbarkapsel ebenso jemand lag. Ich schlug gegen die Wand, hatte aber das Gefühl, als verpuffe der Klang meines Klopfens. Ich hörte nichts als ein stumpfes Pochen. Ruckartig drehte ich mich um. War auf der anderen Seite auch so eine Kapsel? Ja! Tatsächlich. Daneben ebenso, und daneben eine weitere. In beiden Richtungen. Unzählige. Vor mir ebenso. Über mir nicht. Und unter mir? Ich drehte mich auf die Knie und stützte mich auf den Händen auf – halb im Wasser, oder was immer das war – und versuchte zu erkennen, wo ich mich befand. Doch unter mir war nichts, nur schwarz. Halt, nein, da leuchtete etwas, ein Stern, mehrere, ich … ich schwebte im Weltall, gefangen in dieser Kapsel, und dutzende, ja hunderte, wenn nicht tausende schwebten mit mir. Was zur Hölle?!

Plötzlich riss es mich von den Knien. Ich wurde weggezogen. Ich versuchte mich zu halten, aber es war sinnlos. Die Flüssigkeit zog mich mit sich. Ich schlitterte mit den Beinen voran und dem Wasser um mich durch eine Öffnung. Sie zog mich hinab und riss mich durch eine Art Kanal, wie bei einer Wasserrutsche. Auch hier war die Hülle transparent. Der Sog war so stark, dass ich das Gefühl hatte, auseinandergerissen zu werden. Ich fiel und fiel, ohne zu wissen, ob es jemals enden würde. Obwohl es keinerlei Wirkung hatte, sich an der Wand des Kanals festzukrallen, versuchte ich es trotzdem. Gleichzeitig blickte ich wieder um mich. Ich war nicht der einzige, der durch eine Röhre gezogen wurde. Alle, die eben noch um mich herum in ihren Kapseln gelegen hatten, wurden ebenso nach unten gezogen. Vielleicht auch nicht alle. Aber sehr viele.

210 Schlagartig war der Höllenritt zu Ende. Ich landete wieder in einer Art Kapsel, schwappte gegen die vordere Wand und wurde mit dem Wasser zurückgerissen, so dass ich schmerzhaft mit Kopf und Schulterblatt gegen die Rückseite prallte. Da, wo ich die Öffnung von zuvor noch vermutete, spürte ich jetzt solides Material. Sofort schaute ich nach rechts und links, um zu sehen, ob meine Nachbarn ebenso in solchen Kapseln landeten. Manche von ihnen lagen bereits in ihrer Flüssigkeit, andere rauschten gerade hinein, und ich konnte beobachten, wie sich die Öffnung, durch die sie kamen, wie ein Schließmuskel verschloss und verschwand. Was war das? Wo war ich gelandet, und wie kam ich hierher? Doch ich kam nicht zum Nachdenken, denn plötzlich wurde es von vorne hell, als öffnete sich ein Tor, das wie bei einer Garage nach oben weggezogen wurde. Die vordere Seite der Kapsel und auch der Boden, wie ich jetzt feststellte, waren nicht abgerundet, sondern flach, der Raum selbst größer. Ich erhob mich, konnte aufrecht stehen und ging nach vorn, um zu sehen, was sich da draußen befand.

Meine Nachbarn taten es mir nach, der zu meiner Linken schaute sogar zu mir herüber. Es war eine Frau mit dunklen langen Haaren, groß und schlank, und sie hatte deutlich mehr vorzuweisen als ich, stellte ich bitter fest. Ihr Blick war verwirrt und leer. Aus ihren Augen sprach Angst. Ich fragte mich, wie viele schreckliche Dinge sie schon gesehen haben mochte, und bekam es gleich selbst mit der Angst zu tun. Ich schaute zu meinem Nachbarn auf der rechten Seite. Es war ein Mann, dünn, aber mit drahtiger Muskulatur und dunklem Teint. Er hatte schwarzes lockiges Haar, volle Lippen und eine Stirn voller dicker Falten. Ich schätzte ihn auf Mitte vierzig. Er stand ganz nah an der vorderen transparenten Wand, durch die starkes Licht fiel und ihn aufhellte, als stünde er vor einem beleuchteten

211 Schaufenster. Kopf und Hände hatte er gegen die Oberfläche gepresst, und er atmete schnell. Ich spürte, dass er meinen Blick spürte. Dann ging alles sehr schnell. Die Wand vor ihm wurde nach oben weggezogen, die Flüssigkeit folgte der Physik, strömte nach draußen und nahm den Mann mit sich. Erst jetzt, als ich mich ebenso an die vordere Wand meines Gefängnisses presste, um das Schicksal des Mannes verfolgen zu können, erkannte ich, was sich da draußen befand. Während der Mann auf allen Vieren durch das versickernde Wasser krabbelte, brandete tosender Applaus auf. Er lag im Sand. Mein Blick wanderte weiter. Mehrere Hindernisse waren dort aufgestellt, Wände, verschieden hohe Säulen, Felsen und Gitter. Am Ende des Parcours Tore, eine Mauer und darüber eine grölende Menge, Wesen, die ich noch nie zuvor gesehen hatte; der Großteil von ihnen hatte ein amphibienartiges Aussehen, halb Mensch, halb Fisch. Menschen selbst konnte ich auf den ersten Blick nicht erkennen.

Sofort musste ich an eine Kampfarena wie in Star Wars denken. Aber was zum Teufel hatte das mit mir zu tun? War ich Teil eines Filmsettings? Eines Spiels? Weitere Tore öffneten sich auf der gegenüberliegenden Seite, und Menschen wurden herausgespült. Nein, nicht nur Menschen, auch andere Wesen waren darunter. Sie landeten erschöpft im Sand und starrten mit vor Panik aufgerissenen Augen um sich, halb nackt und vollkommen schutzlos. Niemand von ihnen trug eine Waffe. Dann riss der Boden auf! Kurz hintereinander an drei verschiedenen Stellen. Und es passierte das Schrecklichste, was ich mir hätte ausmalen können. Fleischberge aus Haut, Stacheln und Zähnen sprangen daraus hervor. Riesige Kolosse, kein Wunder also, dass die Mauern für die Zuschauer so hoch waren. Ich musste mehrmals hinschauen, um zu erkennen, was bei diesen Monstern

212 Klauen und was Mäuler waren. Kopf und gleich mehrere Greifarme machten nichts weiter, als über den Kampfplatz zu walzen und nach allem zu schnappen, was ihnen zwischen die Zähne kam. Ihre Gegner oder vielmehr ihre Opfer hatten keinerlei Chance zu entkommen. In Panik liefen sie davon, suchten Schutz hinter den Hindernissen, aber die meisten von ihnen kamen erst gar nicht so weit. Die mit Zähnen besetzten Klauen, die mich an die Köpfe fleischfressender Pflanzen erinnerten, pflückten sie einfach vom Boden weg und schlangen sie mit wenigen Happen in sich hinein. Und bei jedem Happen schrie das Publikum vor Begeisterung auf. Mehr passierte nicht, kein Kampf, keine Möglichkeit für die Opfer – so sah ich uns mittlerweile – sich zu wehren. Und das Vergnügen für die Zuschauer bestand offensichtlich einzig aus der Fütterung ihrer grässlichen Lieblinge.

Ich schaute wieder zu der Frau neben mir. Sie atmete schnell, ihr Blick konzentrierte sich auf das Geschehen, sie spannte alle Muskeln an, als würde sie sich auf den Kampf vorbereiten. Und da wurde mir klar, dass ich selbst nicht nur Beobachterin war. War sie als nächster dran? Oder ich? Was sollte ich tun? Es musste doch eine Möglichkeit geben, sich gegen diese Biester zu wehren. Ich wollte mit der Frau sprechen, aber sie reagierte nicht. Also schaute ich wieder auf das grausame Geschehen in dieser Arena, und mit jedem Jubelschrei, wenn eines der Monster wieder eines seiner Opfer geschnappt hatte, um es zu vertilgen, wurde der Schrecken und die Angst in mir größer. Ich musste hier weg!

Doch dann fiel mir ein Mann auf. Er war kräftig, durchtrainiert, und er ballte die Fäuste. Ich konnte nicht genau erkennen, ob er ein Mensch war. Irgendwas an seinen Proportionen stimmte nicht, zudem war er

213 ungewöhnlich stark behaart, aber sein Blick war entschlossen. Als eines der Viecher ihn entdeckte und brüllend auf ihn zu stapfte, lief er schnurstracks auf einen der Felshügel zu, die als Hindernis aufgetürmt waren, kletterte darauf und sprang von dem kleinen Gipfel auf das Monster, direkt auf sein Gesicht. Das Ungetüm wirbelte seinen Kopf hin und her, als wollte es ein lästiges Insekt abschütteln. Doch der Mann, kurzentschlossen, sah aus, als wüsste er genau, was er tat. Er kletterte über das wulstige Nasenbein auf den Kopf des Monsters, hielt sich mit einer Hand an den auswuchernden Augenbrauen fest und stieß mit der anderen, die zu einer Faust geballt war, von oben in den Kopf hinein. Es ging so einfach, als würde er in einen Topf Nudeln greifen. Hatte das Monster keine Schädeldecke? Als nächstes zog er seine Hand wieder aus dem Kopf hinaus und hielt eine glibberige Masse darin. Ich schätzte, es war das Gehirn des Ungetüms oder zumindest ein Teil davon. Das Vieh brüllte auf, quiekte vor Schmerzen, schlug mit seinen fleischfressenden Pranken um sich und hatte einen irren Blick. Der Mann hatte es geschafft, dem Ungeheuer seine Orientierung zu nehmen. Wieder und wieder griff er in den Kopf hinein und holte weitere Hirnmasse hervor, bis das Monster endlich zusammenbrach und mit einem wuchtigen Aufprall zu Boden fiel. Der Mann hatte eine Schwachstelle gefunden, und das Volk, oder wie immer man es nennen sollte, drehte durch vor Begeisterung.

Im gleichen Moment spürte ich einen Sog. Wie von Geisterhand gelenkt, galt mein erster Blick wieder der Frau neben mir. Und auch sie wurde aus dem Raum herausgerissen. Der Schlund der Kapsel öffnete sich, und mit der Flüssigkeit zusammen wurde ich wie durch ein Staubsaugerrohr nach oben gezogen. Nach kurzer Zeit – der Sog war so stark, dass ich das Gefühl hatte, gehäutet zu

214 werden – landete ich mit einem großen Splash wieder in meiner Kapsel. Zumindest ging ich davon aus, dass es die gleiche wie zuvor war. Ich wusste also nicht, wie es für den Mann geendet hatte. Wurde er von einem anderen Monster gefressen? Konnte er ein weiteres besiegen? Stürzten sich die anderen Monster auf das Tote? Oder wurde die Show an der Stelle einfach abgebrochen? Ich wusste es nicht, und wahrscheinlich wusste es niemand von uns hier. Ich wusste nur eins. Es gab eine Möglichkeit, diese Biester zu besiegen, wenn ich mich darauf vorbereitete. Oder gab es noch einen anderen Weg? Gab es die Möglichkeit, von hier zu entkommen?

Mein erster Blick galt wieder meiner Kapselnachbarin. Die Frau zu meiner Linken war genauso in ihre Wasserzelle zurückgezogen worden wie ich. Sie lag auf dem Rücken in ihrer Flüssigkeit, ihre Brust hob sich schnell, sie versuchte sich zu beruhigen, indem sie ihren Kopf unter Wasser legte. Sie trank von der Flüssigkeit. Da sie mir von Anfang an wesentlich gesättigter vorgekommen war als normales H2O, musste es sich um eine Art Nährflüssigkeit handeln. Spontan überkam mich großer Hunger. Wann hatte ich überhaupt zuletzt gegessen? Oder nährte mich die Flüssigkeit bereits durch Osmose? Egal, ich tat es ihr gleich, versenkte mich kopfüber in die Nährlösung und zog sie in mich hinein. Ich schmeckte Zucker und verschiedene Salze, mein Magen füllte sich, und es tat gut.

Das Erstaunlichste aber war, dass ich nicht das Gefühl hatte, atmen zu müssen. Oder anders gesagt, ich atmete, aber nicht über den Mund. Was hatten sie mit mir getan? Hektisch griff ich mir an den Hals. Hatten sie mir so eine Art Kiemen einoperiert? Aber ich spürte nichts. Ich erhob mich und hechelte schnell. Noch immer begriff ich nicht, was überhaupt mit mir geschehen war, aber alles geschah so

215 schnell, dass ich mich nur mit meiner Situation abzufinden konnte. War die Flüssigkeit so mit Sauerstoff gefüllt, dass sie meinem Körper genügte? Alles war fremd. Ich war fremd. Wer wusste schon, welche Elemente in einer anderen Ecke des Universums nötig waren, um Leben zu schaffen? Ich schaute zu der anderen Kapsel, in der der Mann gewesen war, der bei der Fütterung gefressen worden war. Aus dem Augenwinkel hatte ich eine Bewegung wahrgenommen, und ich behielt recht. Etwas schlüpfte wie bei der Geburt eines Kalbes aus der Decke der Kapsel, oder wie Schleim aus der Nase durch das Gaumensegel in den Mundraum. Eingehüllt wie in Sirup fiel es in die Flüssigkeit und begann sich zu entfalten. Es hatte die Größe eines Menschen, aber die Form eines Insekts mit gepanzerten Flügeln. Ich riss die Augen auf, vor Entsetzen und Mitleid zugleich, und beobachtete das Geschehen noch eine Weile, bis ich mich erschöpft wieder bäuchlings in meine Flüssigkeit fallen ließ.

Unter mir war das All. Es war beruhigend, zu spüren, wie wir träge durch den Raum glitten. Für mich gab es nur eine Erklärung. Wenn es nicht ein verrückter Traum war oder ich Gefangener einer bösen Geschichte oder eines Riesenpranks, mit dem mir hier eine gewaltige Show vorgaukelt wurde, dann war ich von Aliens entführt und auf ein riesiges Raumschiff verfrachtet worden, wo zum Vergnügen dieser fischköpfigen Aliens Menschen und andere Wesen diesen Monstern zum Fraß vorgeworfen wurden. Ich dachte nur, es spielt keine Rolle, ob es ein verdammter Traum war oder bittere Realität. Ich musste vorbereitet sein. Denn ich wusste nie, wann es wieder losging.

Ich beschloss also, etwas gegen mein Schicksal zu tun. Von Kampf zu Kampf, und solange ich nur Beobachter war,

216 musste ich meinen Körper darauf trainieren, in der Lage zu sein, das zu tun, was dieser Mann getan hatte. Ich hoffte, ich hatte genügend Zeit dafür. Offensichtlich gab es hier zumindest so etwas wie eine Nachtruhe. Die Aliens waren gesättigt, um mich herum schlief alles. Ich blieb auf dem Bauch liegen, mit dem Kopf im Wasser, und starrte in die Unendlichkeit. Es gab jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder ich wachte auf, lag zuhause in meinem Bett und schnappte nach Luft, oder es war alles Realität. Dann würde ich nicht ertrinken, sondern erneut in dieser Kapsel aufwachen. Ich versuchte, einen Moment lang nicht an das Schlimmste zu denken und mich überraschen zu lassen. Zum Glück war ich erschöpft genug, dass ich einschlief. Doch nur wenige Stunden später schreckte ich wieder hoch. Es hatte sich nichts an meiner Situation geändert. Damit war mein Plan klar. Es gab nur noch eine Möglichkeit, wenn ich überleben wollte. Ich musste für den Kampf bereit sein. Trainieren, bis ich vor Erschöpfung zusammenbrach. Die zweite war, Kontakt mit meinen Nachbarn aufzunehmen, um mehr über dieses Schiff zu erfahren, wenn sie es denn wussten. Ich schaute zu der Frau links. Sie war bereits wach, saß aufrecht in ihrer Wanne, die Beine ausgestreckt und die Hände auf den Knien. Sie hatte ihre Augen geschlossen und atmete langsam und ruhig. »Hey!«, rief ich. »Hey, du! Kannst du mich verstehen?« Sie war mir zwar zugewandt, reagierte aber nicht. Ich drehte meinen Körper zu ihr, ging auf die Knie und schlug mit der flachen Hand gegen die Kapselwand, rief weiter, bis ich zornig wurde: »Hey, du dumme Kuh! Hörst du mich nicht?« Dabei stellte ich fest, dass ich das Schlagen gegen die Innenwand selbst kaum hören konnte. Es wäre nicht lauter gewesen, wenn man auf ein weiches Sofakissen mit dick gehäkeltem Überzug geschlagen hätte. War diese Scheißkammer etwa schalldicht? Das war mir am Vortag

217 schon aufgefallen. Natürlich, Kommunikation zu den Zellnachbarn war unerwünscht.

Offenbar war sie aber hochsensibel genug, mein Gezappel trotz ihrer geschlossenen Augen wahrzunehmen, denn sie drehte ihren Kopf zu mir, zeigte auf ihre Ohren und schüttelte den Kopf. Das bedeutete also, dass sie entweder taub war oder man hier tatsächlich nichts von außen hören konnte. Ich musste es also mit Zeichensprache versuchen. Unter vollem Körpereinsatz spielte ich die Szene vom Vortag nach. Es musste schlimmer ausgesehen haben als in einem Pantomimekurs, aber sie beobachtete mich ruhig, und als ich zum Showdown kam und simulierte, wie ich dem Monster mit einer Hand die Fettbacken hochriss und mit der anderen tief in seinen Kopf stieß und sein Spatzenhirn herauszerrte, nickte sie nur und zeigte auf ihre Muskulatur an Armen und Bauch. Sie verstand also, um was es ging. Und ich verstand, warum sie so konzentriert und angespannt den Kampf beobachtet hatte. Sie wartete darauf, an die Reihe zu kommen. Warum aber wurden manche in die Arena geschickt und andere nicht, fragte ich mich.

Wurden wir einem Lernprozess ausgesetzt, wie Ratten in einem Versuchslabor? Sollten wir durch Beobachten lernen und dann, wie in der Champions League, uns von der Gruppenphase ins Finale kämpfen, bis nur noch die Besten übrig blieben? Ging es darum? Und was passierte dann mit den Besten? Was ist mit dem Mann von gestern geschehen, nachdem er gewonnen hatte? Diese Frage ging mir nicht aus dem Kopf. Gab es eine Überlebenschance, wenn man überlebte?

Ich erschrak, als ich einen Schatten in meinem Rücken bemerkte. Es war das Insekt, das sich an der Wand zu uns

218 festsaugte. Ich spürte, wie seine Flügel vibrierten, und drehte mich zu ihm. Das Insekt starrte mich an, als wartete es auf Informationen von uns. Ich beschloss, seine Neugier zu nutzen. Ich wollte trainieren, am besten im gleichen Rhythmus wie meine Zellnachbarin. Wenn das Insekt schlau war, dann machte es uns unser Training nach. Dann wären wir schon zu dritt. Es gab nur eine Möglichkeit, um zu erfahren, wie es nach dem Sieg über ein solches Monster weiterging: Ich musste, wir mussten sie besiegen. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, aber nach gefühlt einem halben Tag ging es wieder los. Die Schwachstelle, wie ich sie mittlerweile nannte und durch die wir in den Kanal gezogen wurden, öffnete sich in unseren Kapseln absolut gleichzeitig. Mit dem Schwall unserer Nährflüssigkeit rauschten wir durch den Kanal. Ich zählte die Sekunden. Da ich die gleiche Trägheit spürte wie auf einem Planeten ähnlich der Erde, nahm ich mir vor, die Strecke zu errechnen, falls ich zurückkommen sollte. Viel Zeit zum Trainieren hatten wir nicht gehabt, aber sowohl ich als auch das Insekt hatten die Übungen der Frau, ich nannte sie jetzt Jane, einfach nachgemacht.

Keiner von uns dreien kam an die Reihe. Erneut wurden nur die Tore um uns herum geöffnet und ein Gefangener nach dem anderen von den Monstern verspeist. Niemand überlebte. Keiner von ihnen hatte offensichtlich aus der Tat des Mannes gelernt, sie waren also reines Futter für die Fleischklopse. Diesmal durften wir auch zusehen, wie das Publikum eher unzufrieden die Arena verließ. Ein Zeichen? Natürlich fragte ich mich, warum gerade wir noch nicht hinausgeschickt worden waren. Oder was es doch reiner Zufall? Egal, jeder Tag, an dem wir nicht an der Reihe waren, gab uns Zeit, unseren Körper und unseren Geist auf den Kampf vorzubereiten. Und das taten wir. Wir trainierten hart und tranken viel. Die Flüssigkeit war vollgestopft mit

219 Energie, die wir dringend benötigten. Und am Abend, nach dem Training, kommunizierten wir. Nach einigen Tagen gelang es uns, eine Art Zeichensprache zu entwickeln, mit der wir uns rudimentär unterhalten konnten. So erfuhr ich, dass auch die Frau aus meiner Sicht ein Alien war. Sie kam nicht von der Erde, wie ich zunächst vermutet hatte. Das bedeutete also, dass diese Amphibienaliens auf ihrer Kreuzfahrt durch das All auf verschiedenen bewohnten Planeten Station machten, um sich dort ihr Futter oder auch ihre Kämpfer zu suchen. Eine Vergnügungsreise mit besonders schaurigem Programm. Ich fragte mich, wie wohl die Werbeplakate dafür auf ihrem Heimatplaneten aussahen.

Das Insekt, das aussah wie eine Mischung aus Ameise und Heuschrecke, stellte sich dabei als besonders geistreicher und witziger Erzähler heraus, und wir mussten sogar einige Male lachen. Beide fanden meine Vermutung, dass wir Teil eines Experimentes oder Lernprozesses waren, überzeugend. Wir vermuteten sogar, dass wir bei unserem Training beobachtet wurden, dabei, wie wir unsere Übungen auf die Geschehnisse in der Arena anpassten. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis sich vor unseren Augen die Schleusen öffnen würden. Unsere Hoffnung bestand darin, dass sie uns nicht getrennt hinausschickten. Die Bewohner der Kapseln neben uns wechselten zu häufig, als dass sich weitere Bündnisse herausbilden konnten. Bis auf einen, es war Janes Zellnachbar, ein ganz junger Bursche und, wie sich herausstellte, ebenso ein Mensch. Er war vollkommen verängstigt, und es dauerte lange, bis er seine Situation begriffen und akzeptiert hatte und langsam auftaute. Dass er erst ein paar Tage nach mir in seine Kapsel geschlüpft war, konnten wir uns nur dadurch erklären, dass wir vorher in Kammern über den Kapseln schliefen, wie in einem

220 Kokon. Die Schrecken der Tage bohrten sich in sein Bewusstsein. Er sagte, er sei vierzehn und komme aus Oslo. Es war grauenvoll.

Automatisch weckte er unsere mütterlichen und väterlichen Instinkte, und wir spornten ihn jeden Tag an, durchzuhalten und nicht den Mut zu verlieren. Es gab diese eine Chance. Jane und ich hatten es mit eigenen Augen gesehen, und dann kam dieser Tag, an dem es einem weiteren gelang. Ein Alien, bei dem ich spontan an Predator denken musste. Er kam aus einem der Tore zu unserer Linken. Wir hatten ihn zuvor nicht beobachtet, aber plötzlich stand er da und erledigte gleich zwei von diesen Monstren. Zwei Tage später waren wir an der Reihe. Tatsächlich mussten sie uns bei unserem Training beobachtet haben. Nun wollten sie wohl wissen, wie wir gemeinsam kooperierten: das Insekt, er hatte sich uns mit einer Körperbewegung vorgestellt, die ich in meinem Kopf als N’gock interpretierte, der Junge, er hieß Andreas, Jane, die einen Namen trug, die einer Welle glich – ich nannte sie von da an Vana – und ich.

Während der ganzen Tage hatten sie ihr Programm nicht geändert. Drei Monster, vier Opfer. Oder Kämpfer, davon war ich zwischenzeitlich überzeugt. Alle vier saßen wir im Schneidersitz in unserer Flüssigkeit, die Augen geschlossen, die Finger beider Hände aufeinandergelegt, und atmeten so ruhig, wie wir konnten. Nie wussten wir, ob sich die Tore vor uns öffnen würden. Diesmal taten sie es. Wir liefen los und machten, was das Publikum von uns erwartete. Vielleicht waren wir sogar als Höhepunkt angekündigt worden. Die Ränge, soweit ich es bei einem ersten Blick erkennen konnte, waren zumindest bis auf den letzten Platz gefüllt, und die Zuschauer tosten vor Begeisterung.

221 Jeder von uns erstürmte als erstes eines der Hindernisse, um auf Kopfhöhe der Monster zu kommen. Es waren zwei ältere und ein heranwachsendes, wie ich feststellte. Das Jungtier erfasste mich und stürmte wie ausgehungert auf mich zu. Um mein Hindernis zu erreichen, musste ich zwischen seinen Beinen hindurchstürmen, weil das offenbar vollkommen ausgehungerte Jungtier direkt auf mich zustürzte. Aber es war schon zu fett, um mich erwischen zu können. Nachdem ich unter ihm hindurch war, kletterte ich auf den Hügel. In nur wenigen Schritten hatte ich mich hochgehangelt. Ich kannte jeden Stein und jeden Vorsprung. Da ich sie aber noch nie berührt hatte, bestand das einzige Risiko darin, dass sie mich nicht halten konnten oder ich die Stofflichkeit nicht richtig eingeschätzt hatte. Aber das bestätigte sich nicht. Ich erklomm den Gipfel, eine Plattform, auf der man gut stehen konnte. Während ich also vom Hügel aus operieren sollte, war für Vana das Gitter geplant und für Andreas die niedrigste Säule, die aber hoch genug war, um von dort auf eines der Monster zu springen. N’gock’s Aufgabe war es, die Biester so abzulenken, dass sie, sobald sie in unsere Nähe kamen, nach ihm griffen und wir dadurch freie Bahn hatten.

Vielleicht noch jung, aber definitiv verzogen und verfressen, drehte sich mein Monster gierig und grunzend nach mir um. Auf seinen Elefantenfüßen galoppierend, stolperte es auf mich zu und riss seine fünf Mäuler auf. Ich wartete ab, bis es nahe genug heran war, damit ich ihm auf den Nacken springen konnte. Aber von hier sah doch alles etwas anders aus als aus meiner Zelle heraus. So oft ich die Situation auch durchgespielt und trainiert hatte, diese kleine Biest kam schneller heran, als ich vermutete, und griff gleich mit zweien seiner Maulpranken nach mir. Ich musste ausweichen, machte einen falschen Schritt nach hinten und kam ins Straucheln. Die Klauen schlugen nach mir, und ich

222 schaffte es jeweils nur knapp, ihnen auszuweichen. Bald aber hatte ich das Ende des Hügels erreicht und musste hinunterspringen. Ich konnte sehen, wie Andreas bereits im Nacken eines der Älteren hockte und auf seinen Kopf einschlug. Er trommelte mit den Fäusten, als wolle er die Schädeldecke zertrümmern, dabei sollte er doch die Hand flach und steif halten und wie eine Schaufel den dünnen Schädelknochen durchstechen. Das Monster schlug und schnappte wild um sich und verdrehte die Augen vor Schmerzen. Offenbar wollte Andreas es mürbe machen, vor dem finalen Stoß. Nichtsdestotrotz ließ N’gock von dem Monster des Jungen ab und kam zu mir herübergeflogen, um mich zu unterstützen. Gerade rechtzeitig. Das Insekt flog einen Bogen um den Kopf des Biestes, und dieses reagierte sofort. Ich kam wieder auf die Beine und wartete auf den Moment, in dem es mir den Rücken zudrehte. Doch stattdessen musste ich beobachten, wie es N’gock aus der Luft fischte, in seinen Pranken zerbrach und in sich hineinstopfte. Ich rannte sofort los, sprang ihm in den Nacken und holte in der Luft schon zu meinem tödlichen Schlag aus. Ich grub meine Hand durch seine Schädeldecke und spürte so zum ersten Mal, dass kein Knochen vorhanden war – die Schwachstelle, von der der Mann gewusst haben musste. Lediglich ein dünnes Stück Haut. Ich stach mit meiner Hand hindurch wie durch die oberste eingetrocknete Schicht eines Puddings. Ich fasste seine Hirnmasse, grub mich tief in sie hinein und riss Teile davon aus seinem Kopf heraus. Das Biest schrie auf, drehte sich und schlug wild um sich. Dabei warf es die Reste von N’gock von sich. Ich musste aufpassen, dass ich mich gut genug festhielt, denn von seinem Nacken und dem Boden trennten mich mehrere Meter. Ich schmiss den Hirnschleim von mir und griff noch einmal beherzt zu, doch da taumelte das Ungeheuer schon und stürzte in einer gefühlten Ewigkeit träge zu Boden, bis es krachend aufschlug. Ich sprang

223 rechtzeitig ab, schaffte es, mich abzurollen und außer ein paar Schürfwunden unverletzt zu bleiben. Erschöpft sank ich auf die Knie und hörte, wie das Publikum jubelte. Nach einem kurzen Moment raffte ich mich aber wieder auf und drehte mich zu meinen Mitstreitern um. Hatten Andreas und Vana es geschafft? Waren alle drei Monster besiegt? Ich sah den Jungen. Schwitzend und gebückt stand er da und keuchte. Als unsere Augen uns trafen, hatte ich wohl einen erwartungsvollen Blick. Aber er schüttelte den Kopf. Und dann sah ich es. Vana hatte es geschafft, das Biest niederzuringen, aber es war ihr nicht mehr gelungen, rechtzeitig abzuspringen. Das Biest war rücklings zu Boden gestürzt und hatte die Frau unter sich begraben. Nur Andreas und ich waren als Sieger aus dem Kampf hervorgegangen. So schlimm ich die Situation auch empfand, nun dachte ich an nichts anderes mehr, als zu erfahren, was nun mit mir, mit uns geschehen würde.

Wir warteten. Das Publikum hatte offensichtlich genug gesehen und war gesättigt für heute. Nach und nach verließen sie die Zuschauerreihen. Währenddessen öffnete sich eine Tür zur Arena, und zwei von diesen Amphibienaliens kamen in aufrechtem Gang auf uns zu. Sie trugen eine Art Waffen an ihren Gürteln, bedrohten uns aber nicht damit. Stattdessen nahmen sie uns einfach mit. Nur kurze Zeit später befanden wir uns in einem großen Raum. Dutzende Menschen und andere Wesen befanden sich darin, standen da oder saßen auf Liegen, alleine, zu zweit oder in Gruppen, unterhielten sich, aßen. Die Amphibis verschlossen die Tür und ließen uns im Raum stehen, ohne ein Wort zu sagen. Das bedeutete wohl soviel wie, ihr habt die nächste Stufe erreicht. Seht nun weiter, wie ihr zurechtkommt. Auf Anhieb erkannte ich unter den Anwesenden einige, die es ebenso wie wir geschafft hatten.

224 Ich nahm Andreas beim Arm und führte ihn durch die Reihen. »Look over there«, sagte ich. »Looks like there’s a free place for us.«

Andreas nickte und ging mit mir. Die Aussicht darauf, dass wir uns auf einer Art Bett im Trockenen hinlegen und vom Kampf und dem harten Training ausruhen konnten, weckte in mir ungeahnte Glücksgefühle. Auf dem Weg sah ich mich um und konnte sehen, dass es in einer Ecke des Raumes so etwas wie sanitäre Anlagen gab. Manche standen da und wuschen sich unter fließendem Wasser, das aus Düsen aus der Wand strömte. Andere hockten daneben und verrichteten ihr Geschäft. Egal, alles war besser als in der Kapsel. Wer wusste schon, was als nächstes passierte. Wir lagen einen Moment auf den Liegen, vergleichbar mit Matratzen, wie ich sie von der Erde kannte, aus weichem Material. Mit den Händen hinter dem Kopf beobachtete ich, wie ein Mann mit einem Rollwagen durch die Reihen ging und Handtücher verteilte und kleine Päckchen. Vielleicht Medizin oder spezielle Kraftnahrung, denn einige rissen die Päckchen sofort auf und löffelten sie mit ihren Fingern aus. Der Mann – wenn es ein Mensch war, dann kam er wohl aus Schwarzafrika – entdeckte uns, erkannte uns anscheinend als Neulinge und steuerte auf uns zu. Ich erhob mich und setzte mich auf den Rand meiner Liege. Andreas wurde darauf aufmerksam und stützte sich auf den Ellenbogen ab. Als der Mann vor mir stand, nickte er freundlich und überreichte mir ein Handtuch. »Do you understand me?«, fragte ich sofort. Er nickte erneut. »Yes, I do.« Er antwortete tatsächlich in Englisch. Er war also ein Mensch, auch wenn seine Aussprache irgendwie komisch veraltet klang. »Where are we? «, wollte ich zunächst wissen. »We are reaching the Virgin System«, antwortete er.

225 Ich schaute zu Andreas hinüber, doch der zuckte nur mit den Schultern. »Is the home of these …?« Ich blickte nach oben, um zu verdeutlichen, dass ich die Amphibis meinte. Doch der Mann veneinte. »It’s just the next stop.« »To pick up new …?«

Er setzte sich zu uns. Es war wohl nicht das erste Mal, dass er diese Fragen beantwortete. Wir erfuhren zunächst, dass er auf diesem Schiff geboren worden war. Seine Vorfahren waren schon vor mehr als zweihundert Jahren von der Erde entführt worden. Dieses Schiff reiste einer Kreuzfahrt gleich durch die Galaxien, machte auf unterschiedlichen Planeten für Ausflüge Station, veranstaltete Jagden und füllte gleichzeitig ihre Ressourcen mit Nahrung, Energie und Kämpfermaterial für die Arena auf. Er arbeitete schon seit seiner Kindheit auf dieser Station, und sie war nur eine von vielen, bis man sich freigekämpft hatte. Vieles, was ich also vermutete, bestätigte sich in diesem Moment. Aber ich wollte nicht warten, bis ich als freier und gefeierter Ex-Gladiator mit in die Zuschauerränge durfte. »What kind of world is it, where we are going to land?«, fragte ich diesmal. »Oh, it’s some kind of Superearth. Much bigger, but the conditions are pretty the same as on the blue planet as you call it. It is one of the most favorite stages for the passengers.« »Okay. And when will we land there?« Er überlegte kurz. »Must be in two days, if everything works out as planned.« Ich schaute zu Andreas. Er blinzelte mir zu. Wir hatten einen Plan! »Frau Sieger? Verstehen Sie mich?« Der Arzt beugte sich über die Frau und überprüfte ihre Pupillen. »Was … wo bin ich?«

226 »Ich will Sie nicht überfordern. Aber Sie haben eine lange Reise hinter sich.« »Das … das Kreuzfahrtschiff. Ich … ich hatte einen Plan. Hab ich es geschafft?« »Kreuzfahrtschiff? Nein, Sie haben festen Boden unter sich. Sie sind in unserer Klinik. Hier in Kapstadt. Die modernste Klinik der Welt für LKPs.« »LKPs?«, wiederholte die Frau schwach. »Ich verstehe nicht.«

Der Arzt setzte sich. »Sie haben vor sehr langer Zeit verfügt, im Falle eines Langzeitkomas ihren Körper und ihren Geist der Medizin und der Hirnforschung zur Verfügung zu stellen. Sie wollten wissen, ob das neu entdeckte lebensverlängernde Enzym tatsächlich funktioniert, ob Demenz heilbar ist und ob man aus dem Koma erwachen kann, wenn man nur lange genug wartet.« »Was? Ich … ach ja …« Sie kniff die Augen zusammen. »Ich erinnere mich.« Der Arzt riss die Brauen hoch und schlug sich auf die Oberschenkel. »Das klingt doch perfekt!« Johanna schaute auf. »Aber was ist mit dem Raumschiff? Wir mussten kämpfen, gegen Monster … Ich habe es doch erlebt …«

Der Arzt winkte ab. »Oh, wir kennen diese Berichte von ähnlichen Fällen. Wir mussten ihr Gehirn und ihren Körper natürlich in Bewegung halten. Eine erhöhte Dosis Serotonin für intensive Traumsequenzen, damit das Gehirn beschäftigt bleibt, und tägliche Kraftübungen, um ihren Körper zu trainieren. Davon haben sie gar nichts mitbekommen.« Johanna Sieger weitete die Augen. »Oh doch, das habe ich.« »Ja ja. Eine Psychologin wird sich ihre Traumsequenzen gern anhören. Sie führt schon seit Jahren Studien darüber. Die Frau versuchte aufzustehen.

227 »Langsam, langsam«, mahnte der Arzt. »Ich will … ich muss sehen, ob noch alles funktioniert …« Der Arzt half ihr aus dem Bett. »Machen Sie sich keine Sorgen, Frau Sieger. Sie sind topfit.« Vorsichtig näherten sie sich einem großen Fenster, von dem aus sie einen atemberaubenden Blick auf die Umgebung hatten. Johanna war überrascht, dass ihre Muskeln sie tatsächlich hielten.

In der Ferne waren weiche grüne Hügel zu sehen, die funkelten und glitzerten, als wären sie bewohnt. Hohe Türme ragten zwischen ihnen hervor, und der Himmel war gefüllt mit fliegenden Transportmitteln. »Welches Jahr schreiben wir denn?« »Sie werden es nicht glauben«, lachte er stolz. »Es ist das Jahr 2178. Das Programm mit Ihnen läuft also schon seit mehr als 150 Jahren.« Sie drehte ihren Kopf zu ihm. »Wie kommt es, dass sie deutsch sprechen?« »Das tue ich nicht. Ich spreche mit ihnen in meinem Heimatdialekt isiXhosa.« »Aber wieso? Spreche ich etwa …?« »Sagt Ihnen die generative Transformationsgrammatik etwas? Sie wurde in ihrer Zeit entwickelt.« Johanna runzelte die Stirn. »Chomsky?« Der Arzt nickte. »So ist es. Er hat recht behalten. Die Fähigkeit zu einer Grammatik ist universell, also bei jedem gleich. Nur das, was an Sprache herauskommt, ist von Kultur zu Kultur verschieden. Wir haben uns eine Mutation synthetisch zunutze gemacht, die genau diesen Effekt verstärkte. Wir müssen nicht mehr übersetzen, um uns zu verstehen. Sie sprechen in ihrer Sprache, ich in meiner.« »Erstaunlich. Ich werde einiges zu lernen haben. Aber ich freue mich darauf.« Sie schaute eine Weile auf die Landschaft. »Es wirkt alles so ruhig und friedlich. Was ist aus

228 den Konflikten geworden? Leben wir in einer guten Gesellschaft?« »Ja, Frau Sieger. Es ist sehr viel passiert. Der Kampf um Ressourcen, der Kampf um den richtigen Glauben, die Ausbeutung der Tier- und Pflanzenwelt, das alles gehört in eine, entschuldigen Sie, wenn ich das jetzt so sage, aber wir nennen es barbarische Vergangenheit. Die Erdlinge leben zum ersten Mal frei.« »Erdlinge? Gibt es noch mehr Leben im All?«, fragte sie mit schelmischen Funkeln in den Augen. Der Mann nickte. »Oh ja, und sie waren sogar schon hier.« Sie fasste sich an die Stirn. »Wirklich? Das ist eine vollkommen neue Welt. Das ist … vielleicht sollte ich erst mal die Vergangenheit wieder …« »Möchten Sie ihr Zuhause sehen? Wir wissen, dass es hilft, für die Festigung der LKPs.« »Mein Zuhause? Existiert es denn noch?« »Ja, kommen Sie, ich zeige es Ihnen.« Der Arzt nahm Johanna leicht bei der Schulter und führte sie in den Raum Richtung Ausgang. »Aber das dauert doch viel zu lange jetzt. Es hat sicherlich noch Zeit, ich weiß nicht, ob ich schon eine so lange Reise …« »Ach was, Frau Sieger. Es dauert nur einen Augenblick.«

ENDE

Interview mit Joachim Sohn, dem Autor von Wie ich Jesus Star Wars zeigte

Im Gespräch mit Thorsten Walch

229 TW: Hallo Joachim, schön, dass Du Dir die Zeit für ein kleines Interview nimmst. Ich möchte auch ohne viele Umschweife gleich auf den Punkt kommen: Wie ich Jesus Star Wars zeigte ist eins der ungewöhnlichsten Bücher, die ich jemals gelesen habe, und das will bei mir etwas heißen. Wie bist Du auf die Idee für diese Geschichte gekommen?

JS: Eigentlich aus einem inneren Dialog heraus. Ich habe mir vorgestellt, wie ich mich mit jemandem über dieses Thema unterhalte und welche Argumente ich vorbringen würde, um mein Gegenüber zu überzeugen. Standardmäßig sage ich dann: Stell dir vor, deine Eltern hätten dir von Gandalf statt dem Weihnachtsmann erzählt und von Hobbits, die im Himmel sitzen und Plätzchen backen. Wärst du als Kind nicht genauso begeistert von einer solchen Weihnachtsgeschichte gewesen, oder vielleicht sogar viel mehr? Dieser Gedanke lässt sich genauso auf die Welt von Harry Potter übertragen, oder eben auf die von Star Wars, deren Basis ja eine religiöse Uridee ist, nämlich der Kampf zwischen Gut und Böse, dem manichäischen Dualismus. Dann kam ich auf die Idee mit der Zeitreise, also: Stell dir vor, jemand reist zu Jesus und überzeugt ihn davon, dass die wahre Geschichte der Götter im Kampf der Guten gegen das Böse die aus Star Wars ist. In welcher Welt würden wir dann heute leben? Was wäre vielleicht die eine große Weltreligion? Die der Jedi? Und dann sagte ich mir, statt nur darüber nachzudenken, könnte ich diese Idee doch in eine rasante Story packen, gewürzt mit einem religionsphilosophischem Hintergrund, die zudem auch Star Wars-Fans begeistern könnte. Schließlich leben wir ja im Zeitalter von Episode 8 und bereiten uns auf Episode 9 vor, ein weiteres einschneidendes historisches Ereignis! Gesagt, getan. Und das war auch schon, kurz gefasst, die Geschichte zur Geschichte.

230 TW: Wie ich ja weiß, stehst Du dem Thema Religion als Atheist sehr kritisch gegenüber. Wie denkst Du über den Jediismus, der ja in den USA und auch in anderen Ländern mittlerweile als anerkannte Religion gilt, aber eher die Grundzüge einer Philosophie aufweist?

JS: Ich sag mal so, solange den Anhängern klar ist – und das gilt für jede Religion, Idee oder Ideologie – dass es sich dabei um ein Konstrukt handelt, das sie sich selbst ausgedacht haben und diese Ideen niemandem schaden, finde ich das vollkommen in Ordnung. Jede neue phantastische Welt und jede neue Idee kann die Menschheit bereichern und voranbringen. Kann natürlich auch nach hinten losgehen. Viele Religionen sind aus dem Bedürfnis des Menschen entstanden, ein besseres Zusammenleben zu organisieren und Dinge, die einen umgeben, zu begreifen und besser mit ihnen klarzukommen. Vor allem die Frage nach dem Leben, dem Sinn des Daseins und die Unbegreiflichkeit seiner Endlichkeit. Das Entstehen von Religionen und Kulturen ist meines Erachtens in ihren Ursprüngen untrennbar miteinander verbunden. In dem Moment, in dem der Mensch begonnen hat, Fragen zu stellen und die Welt, die ihn umgibt, zu kultivieren, also zu begreifen, dass man aus eigener Hände Arbeit Dinge erschaffen kann, Feuer, Werkzeuge, Getreide, hat er auch angefangen, eine Kultur zu entwickeln, also die Erforschung der Welt darzustellen und an die nächste Generation weiterzugeben. Der Mensch sieht die Welt aus sich heraus. Er begreift, dass er da ist und die Welt bewusst erkennt, und er begreift, dass sein Gegenüber das ebenso tut. Seine Erkenntniswelt ist also voller Bewusstsein. Der nächste Schritt ist dann, das Fühlen des Geistes auch auf Dinge und Phänomene außerhalb seiner selbst zu übertragen, also zu sagen, der Baum lebt,

231 der Felsen lebt oder die Wolke, sie hat ein Bewusstsein wie ich und kann ebenso handeln, und vielleicht ist sie viel mächtiger als ich, schließlich kann sie es regnen lassen. Damit schafft er Naturgeister, die für all das verantwortlich sind, was um ihn herum passiert. Vielleicht steckt in ihnen ja ein verstorbener Verwandter, der ihn beschützt. Der nächste Schritt ist dann, diesem Naturgeist besser wohlgesonnen zu sein, damit er den Menschen weiter beschützt und für gutes Wetter, gute Ernte oder eine große Herde sorgt, einen vor schlimmen Krankheiten bewahrt und hilft, wenn die Zeit gekommen ist, mit in das Reich der Geister zu gehen und ebenso ein guter Ahn zu werden. Und zack! Religion da! Man muss sie jetzt nur noch ein bisschen ausformulieren, dafür ist dann der Schamane zuständig. Der weiß darüber besonders viel und hält es auch für angebracht, den Naturgeistern hier und da mal was zu opfern, damit er den Menschen auch wohlgesonnen bleibt, ein Zicklein, ein Kind, ein Verbrecher. Und zack! Der Kreislauf aus Zuckerbrot und Peitsche ist da, ein gewaltiges Instrument, um eine Gruppe nach innen und nach außen zusammenzuhalten. Solange der Mensch sich also bewusst bleibt, dass Religionen von ihm erschaffen wurden, dass er älter ist als seine Erfindung, wenn er das nicht vergisst und sich nicht von seiner eigenen Idee abkoppelt und sie eigenmächtig werden lässt, die dann das eigene Leben so dominiert, dass er sich in eine passive statt aktive Rolle begibt, ist die Religion wie jede andere Philosophie, die sich mit dem Menschsein und dem Dasein auseinandersetzt, eine wichtige Stütze. Menschen sollen sich Gedanken darüber machen, wie die Welt funktioniert, sonst gibt es keine Entwicklung. Wenn sie aber anfangen, es den Wolken zu überlassen, wird es schwierig, wie man sieht.

232 TW: Mir als jemandem, der sich sehr für Religionsgeschichte interessiert, fiel beim Lesen recht schnell auf, dass Du Dich sehr gut mit der Zeit und den Umständen des Neuen Testaments auskennst. Befasst Du Dich generell mit diesen geschichtlichen Themen, oder war das eher Bestandteil der Recherche für Dein Buch?

JS: Ehrlich gesagt, gehörte das alles zu dem, was ich so über die Jahre darüber gelesen, gehört und gesehen habe. Die alten, monumentalen Filme aus den Fünfzigern wie Das Gewand oder Quo Vadis über die Frühzeit der Christen bis hin zu den neueren Jesusfiguren in den Siebzigern und schließlich Mel Gibsons Passion Christi. Dann kam noch ein bisschen Halbwissen aus meiner Schulzeit dazu. Aber klar, interessiert hat mich das Thema schon, das bezieht sich aber generell auf Geschichte und Religionen, immer im Zusammenhang damit, wie Weltbilder und Wahrheiten

233 geschaffen werden und wie der Mensch in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen gerät. Das finde ich spannend. Speziell für das Buch musste ich nach den Namen der Jünger kramen, um sie wieder aufzufrischen. Bei der Recherche stolperte ich dann zum Beispiel darüber, dass der Name Ischariot – von Judas Ischariot – von den Sikariern kommt, den Dolchträgern, also so einer Art Assassinen, die wiederum zu den Zeloten gehörten, einer rebellischen Gruppe, die damals Anschläge gegen die Römer verübt hat. Solche Infos passten natürlich hervorragend zu meiner Geschichte, und damit konnte ich weitere Szenen entwickeln. Die meiste Recherche ging aber nicht für das NT drauf, sondern für das Leben der Menschen zu dieser Zeit, also wie sah es damals dort in Jericho aus, in Jerusalem, in Nazareth, wie wohnten Maria und Joseph, wie Pontius Pilatus, wie Kaiphos? Und wie sah die römische Garnison in der Negev-Wüste aus, wie die Kupferminen, wie der Bergbau, die Werkzeuge? Wo gab es überhaupt Erzvorkommen usw. Oder auch das Klima, im Vergleich zu heute, welche Kleidung wurde getragen, vor allem im Winter? Dazu habe ich zum Beispiel mit Reenactment-Leuten bei einem römischen Handwerksfest in Xanten gesprochen, die sich mit der Zeit befasst hatten und die wussten, welche Werkzeuge es gab und vor allem, welche nicht, womit sie sich die Zähne geputzt haben, wie die Socken aussahen und all das Zeug. Es war mir wichtig, die Welt von vor 2000 Jahren so glaubhaft wie möglich darzustellen. Und was das religiös-geschichtliche angeht, um nochmal darauf zu kommen, da hilft mir natürlich auch meine langjährige Freundschaft zur Giordano-Bruno-Stiftung, wo man sich sehr intensiv mit den Themen Religion, Ideologie, Philosophie und Fragen wie „Gibt es überhaupt ein Gut und ein Böse?“ auseinandersetzt.

234 TW: Wäre es eigentlich denkbar, dass es eine Fortsetzung zu Wie ich Jesus Star Wars zeigte geben könnte? Ich meine, das Buch lässt ja eine gewisse Zwischenzeit in Deiner Zukunftsvision offen …

JS: Ah, du meinst so was wie die Clone-Wars, die in Episode IV – VI auch nur erwähnt wurden und viel Raum für Spekulationen und Phantasie boten. Die Story an sich, also das, was ich mit dem Buch aussagen und erzählen wollte, ist ja erzählt. Natürlich könnte man mit der Zwischenzeit weitere spannende Bücher füllen, doch so, wie die Story aktuell ausgeht, wäre der Protagonist dann nicht dabei. ABER! Tatsächlich habe ich schon einen möglichen Plot entwickelt und als Treatment niedergeschrieben. Der ist mir unter der Dusche eingefallen, und ich wäre beinahe ausgerutscht vor Lachen. Es könnte eine weitere

235 wunderbare Religions- und SW-Satire werden, und unser Antiheld Florian wäre mittendrin. Mal sehen …

TW: Es gibt ja gleich mehrere Sachbücher, die sich mit dem Thema „Star Wars und das Christentum“ auseinandersetzen, zum Beispiel Glauben Du musst von Sebastian Moll oder Möge die Macht mit uns sein von David Wilkinson – beide erschienen in christlichen Verlagen. Hast Du diese Bücher gelesen?

JS: Ha! Eine kurze Antwort: Nein!

TW: Schon jetzt „Sorry!“ für die nächste Frage, aber die muss einfach raus, weil es da gewissermaßen auch um die Verknüpfung von Christentum und einer Art von Science Fiction geht: Was hältst Du eigentlich von den Theorien des Erich von Däniken?

JS: Wenn man sie nicht für die Wahrheit hält, sind sie eine interessante Grundlage für viele gute Stories. Einige gibt es ja mit dieser Prämisse, spontan fällt mir natürlich Emmerichs Stargate ein. Problematisch wird es halt immer, wenn man mit seiner Theorie nicht weiterkommt bzw. sich nicht alles damit erklären lässt, dann gerät man gern ins Spekulative, siehe Transhumanismus, und das Urstreben des Menschen nach Unsterblichkeit bzw. die Angst vor dem Nicht-mehr-sein, und das, was man sich ‚seiend‘ unter dem Nicht-mehr-sein vorstellt, wird zu einer Lebensaufgabe, die irgendwann religionsähnliche Züge erhält. Dann ist es aber keine gute Geschichte mehr, sondern kann in fatalem Fanatismus enden. Wenn der Mensch mit seiner Ratio am Ende ist, fängt er nun mal an, sich etwas auszudenken. Eigentlich recht vernünftig. Aber auch hier gilt, solange man sich der Tatsache bewusst ist, dass man einen Fantasy-Roman schreibt und nicht plötzlich glaubt, es wäre

236 die Wahrheit, so wie L. Ron Hubbard zum Beispiel, dann ist doch alles gut.

TW: Wie waren eigentlich die bisherigen Reaktionen auf Dein Buch? Haben sich auch überzeugte Christen dazu geäußert, und falls ja, was haben sie dazu gesagt?

JS: Bislang gab es zumindest noch keine negativen Reaktionen, das ist ja schon mal gut. Wobei ich mir ja gerade die Konfrontation wünsche. Deine Reaktion hat mich vom Hocker gehauen und die Aussage einer Leserin, es sei ein philosophisches Meisterwerk. Von christlicher Seite habe ich aber außer einem Wutsmiley auf Facebook noch keine dezidierte Reaktion erhalten. Dafür ist es wahrscheinlich auch noch zu früh. Mit Sicherheit ist der Text noch nicht bis zu den relevanten Stellen durchgesickert, aber ich würde mich freuen, wenn da noch was kommt. Der Text soll ja ein Stück weit polarisieren und die Diskussion anregen.

TW: Last not least: Für welche Art von Publikum hast Du Wie ich Jesus Star Wars zeigte eigentlich in erster Linie geschrieben? Eher für Christen (und andere „Religiöse“) als eine Art Kontrastprogramm, oder mehr für Atheisten?

JS: Tatsächlich sowohl als auch. Interessanterweise kommt gerade von den Atheisten die Rückmeldung, dass der Text differenziert genug ist, beiden Seiten gerecht zu werden. Jesus kommt zwar ein bisschen naiv daher, aber er ist ja kein Unsympath, eher im Gegenteil, und Florian, der überzeugte Skeptiker, ist schließlich derjenige, der seinen Beweis mit einem gewissen Hang zum Fanatismus durchboxen will. Über allem steht aber die Auseinandersetzung mit der Religion an sich, mit ihrer Bedeutung und mit ihrer Wirkung. Und die kommt im Text per definitionem nicht gut weg. Der

237 Titel sagt ja eigentlich schon alles!

TW: Vielen Dank für das interessante Gespräch, und Dir weiterhin viel Erfolg!

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239 Comic-Kolumne: Conans ewige Schlachten

von Uwe Anton

Ich muss eingestehen, ich bin voreingenommen, was Comic-Adaptionen von Robert E. Howards Conan betrifft.

Das dritte Heft der Marvel-Serie Conan the Barbarian (1970) war das erste amerikanische Comic Book, das ich in die Finger bekam. Es löste meine Begeisterung für diese Spielart der Comics aus, die bis heute anhält, und gleichzeitig eine Sammelleidenschaft, die ich erst Jahrzehnte später wieder ablegen konnte. Barry Smith (*1949) zeichnete die Serie bis Band 24 (bei zwei Ausgaben sprang sein Kollege Gil Kane ein) und prägte mit seinem fast präraffaelitischen Stil mein Bild von Conan nachhaltig. Mit Band 25 begann dann die Ära von John Buscema (1927 –

240 2002), der den Großteil der Hefte bis Nummer 190 zeichnete. Sein Conan war breitschultrig, muskulös, eben ein Barbar, wie er der Vorstellung des Lesers schon eher entsprach. Buscema hatte auch seine Meriten; stark abhängig von seinem Tuschezeichner lieferte er mitunter ganz hervorragende Arbeit ab, aber eben eine ganz anders geartete.

Dabei war Marvels damaliger Star-Zeichner Buscema eigentlich die erste Wahl des Texters Roy Thomas (*1940), der 1972 Chefredakteur von Marvel wurde, aber schon Jahre zuvor Conan als Marvel-Comic lancieren wollte. Als es dann endlich klappte, war Buscema schlicht und einfach zu teuer. Er galt als Nachfolger von Jack "King" Kirby, der zum Konkurrenten DC gewechselt war, und zeichnete die Zugpferde des Verlags wie etwa Fantastic Four. Das Budget der Serie gab Buscemas Seitenhonorar einfach nicht her.

Smith war nicht mehr als ein Notnagel. Er hatte bis dahin zur Aushilfe ein paar übliche Superheldenhefte gezeichnet, war anpassungsfähig und billig. In den ersten Heften war er noch ein wenig auf der Suche nach seinem Stil, wurde jedoch schnell immer sicherer. Seine Adaption von Red Nails, die schon bald in einer Marvel Treasury Edition fast in Originalgröße nachgedruckt wurde, hat bis heute nicht mehr erreichte Maßstäbe gesetzt. Als Barry Smith die Serie dann wegen seiner Frustration über das Comic-Business (und nicht wegen des Termindrucks, wie über Jahrzehnte kolportiert wurde) verließ, zählte sie zu denen mit der höchsten Auflage bei Marvel. Nun konnte sich die Serie John Buscema spielend leisten.

Noch stärker als mit den monatlich erscheinenden Comic-Books prägte Buscema das Bild des Barbaren mit seinen Arbeiten in The Savage Sword of Conan, einem ab

241 1974 veröffentlichten Schwarz-Weiß-Magazin, das ohne die damals vorgeschriebene Prüfung durch den Comic-Code veröffentlicht wurde und daher wesentlich härtere und (theoretisch!) auch freizügigere Adaptionen ermöglicht hätte. Hätte. Wie bei den Amerikanern so üblich, war das bei der grafischen Darstellung von Gewalt kein Problem, bei der von Sex oder Nacktheit setzte anfangs allerdings die Schere im Kopf der Macher an. In einer in Savage Sword abgedruckten Adaption der Howard-Geschichte Shadows in Zamboula (1976), die Neal Adams gezeichnet hat (über den wir schon häufiger berichtet haben), rettet der Barbar eine weiße und ziemlich nackte Frau vor einem Zauberer und dessen Helfern, die dem Kannibalismus frönen. Natürlich hat sie eine Frisur, die strategisch günstig fällt und verdeckt, was junge amerikanische Heranwachsende nach der natürlichen Nahrungsaufnahme in frühester Kindheit nicht mehr sehen dürfen. In der dänischen Albenausgabe beim Verlag Interesse hingegen waren die Haare entweder viel kürzer oder folgten beim Fallen zumindest weitgehend den Gesetzen der Schwerkraft und verdeckten nichts. Ähnlich wie im Fernsehen (damals war HBO gerade vier Jahre alt und hielt sich noch merklich zurück, und Kabelfernsehen war nicht mal ein Gedankenspiel!) hatten die moralisch ach so gesitteten Amerikaner nichts gegen brutale Gewalt einzuwenden. Nackte Brüste waren aber tabu und wurden im Comic eben mit putzig fallenden Haaren überzeichnet oder mit trüben Schatten verwischt. Dabei hatte man in Dänemark nichts wegradiert, sondern Adams' Originale abgedruckt, die für die amerikanische Magazin-Ausgabe übermalt worden waren. Erst Ende der 70er Jahre wagte sich SSoC an die Darstellung von weiblicher Oberkörper-Nacktheit, eine Phase, die mit der Adaption des Romans Conan the Buccaneer (von den Howard-Verfälschern L. Sprague de Camp und Lin Carter) begann und etwa ein Jahr anhielt. Tiefere Einblicke wurden

242 aber weiterhin retuschiert und waren nur in europäischen Ausgaben zu sehen, etwa in Dänemark.

Nun ja, das war Mitte der 70er Jahre, und so etwas gibt es heute ja nicht mehr, oder? Wenn, dann nur noch in den USA, etwa bei den Comics um Red Sonja, einer Heldin, die Robert E. Howard ebenfalls erfunden hat. Allerdings für eine historische Erzählung, die im 16. Jahrhundert spielt, und damals hieß sie noch Red Sonya of Rogatino. Man beachte die unterschiedliche Schreibweise. Das Bild der Red Sonja ist auch heute noch das, das eben jener Roy Thomas von dem spanischen Zeichner Esteban Maroto ausarbeiten ließ, als er die Rote Sonja (so genannt nicht wegen ihrer politischen Einstellung, sondern wegen ihres Haarschopfs) ruckzuck in Conans Zeit versetzte und ihm Barry Smiths "Hot Pants" nicht gefielen. Seitdem führt sie ihre zahlreichen Schwertkämpfe meistens in einem Bikini aus Metallplättchen (oder Münzen?) durch, der ihr natürlich besten Schutz vor den Hieben, Stichen und sonstigen Bosheiten ihres Gegenspielers bietet. Das ist Schwachsinn in Reinkultur, der mittlerweile von fast allen Barbarinnen in Comics gepflegt wird, nicht nur in amerikanischen. Man denke hier nur an Storms Rothaar. Die trägt mittlerweile eine knappe, vorn offene Weste aus diesem oder ähnlichem Material, die immer wieder aufklappt. Vielleicht ist das psychologische Kriegsführung: Sie lenkt ihre männlichen Gegner ab, indem sie ihnen einen Blick auf ihre Brüste gewährt. Richtig durchdacht ist das nicht. Weibliche Gegenspieler könnten sich vielleicht noch ablenken lassen, da sie wahrscheinlich denken: "Was für eine Idiotie!" Aber was ist mit Raubkatzen, Drachen oder anderem fleischfressenden Getier, dem man in Zeiten Conans oder Storms ja praktisch alle zehn Minuten über den Weg läuft? Die verführt man mit dem Anblick rosigen Fleisches doch nur dazu, dass sie einen zum Fressen gernhaben.

243 Aber wer bin ich sabbernder Tattergreis schon, dass ich mir über solche künstlerischen Freiheiten … ach was, ich seh's ja ein, Notwendigkeiten! … das Maul zerreiße? Schließlich läuft in den amerikanischen Comics Conan ja auch in weißen Riesenwindeln herum, die seine Eltern ihm niemals abgenommen haben, oder in zu groß geratenen Badehöschen aus schwarzem Fell. Die bieten natürlich auch den bestmöglichen Schutz gegen weibliche, männliche und ungeheuerliche Gegenspieler. Wenigstens dieser althergebrachten Tradition fühlen sich die französischen Comic-Schaffenden, die sich unserem Lieblingsbarbaren widmen, nicht verpflichtet.

Moment mal! Französische Comics mit Conan? Ist der nicht fest in der Hand der Amerikaner?

Das war einmal. Bis zum Jahr 2000 veröffentlichte der Verlag Marvel die Abenteuer des Barbaren in einer Unmenge von Serien. Conan, Savage Sword of Conan, Giant-Size Conan, King Conan, Conan the Adventurer, the Savage, dazu noch diverse Graphic Novels und Miniserien … die barbarische Gesinnung kam da nicht zu kurz. Ab 2003 übernahm dann der Verlag Dark Horse die Conan-Lizenz, veröffentlichte bis 2018 ebenfalls jede Menge Serien und überschwemmte den Markt abschließend mit Nachdrucken, dicken Paperbacks (die nicht Integral, sondern Omnibus genannt werden) mit jeweils über 400 Seiten Lesestoff zum ziemlich günstigen Preis von knapp 25 Dollar. Notwendig wurde diese Aktion, weil die Conan-Comic-Lizenz wieder an den Verlag Marvel zurückfiel bzw. dieser eine Stange Geld dafür springen ließ. Nach Star Wars (die Lizenz fiel ebenfalls an Marvel zurück) verliert Dark Horse damit eine zweite tragende Säule des Verlagsgeschäfts. Ab Januar 2019 erscheinen die neuen barbarischen Abenteuer wieder bei

244 der alten Adresse. Mike Richardson, der Gründer und Geschäftsführer von Dark Horse Comics, reagierte prompt und verkaufte einen großen Packen seiner Anteile an der Firma, angeblich im Wert von etwa 20 Millionen Dollar, an Vanguard Visionary Assets, eine Firma mit Sitz in Hongkong.

Marvel hat bereits Nachdrucke der alten Serien Conan und Savage Sword of Conan angekündigt, die Dark Horse in den letzten Jahren ebenfalls durchgenudelt hat. Die (fast) komplette Conan-Heftserie erschien in 34 Paperback-Ausgaben, die Savage-Sword-Nachdrucke brachten es dort auf über 20 Ausgaben, anfangs allerdings in einem kleineren Format, das den Zeichnungen absolut nicht gerecht wurde. Marvel wird da Abhilfe schaffen und die Ausgaben im Originalformat nachdrucken, und zwar nicht nur die Comics, sondern auch redaktionelle Beiträge und Leserbriefe, die Dark Horse nicht bringen durfte. Man braucht ja etwas Mehrwert, um solche Produkte in verhältnismäßig kurzer Zeit zum zweiten Mal für teures Geld an den Mann zu bringen (und ganz nebenbei der Konkurrenz mal zu zeigen, wo es langgeht). Außerdem dreht Marvel den Spieß um und hat bereits mehrere Neuausgaben alter Dark-Horse-Titel angekündigt. Will man das Franchise melken, muss man Marktpräsenz zeigen.

Aber damit nicht genug. Es schmerzt in Auge und Hirn, doch Marvel hat neben neuen Conan-Heftserien (u. a. ist die Piratin Belit, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen, Star der ersten Bände des neuen Projekts Age of Conan) bereits Crossover mit Helden aus unserer Gegenwart angekündigt. So geistert ein Cover durchs Internet, das Conan mit Thor und Wolverine zeigt, und ein zweites bringt ihn mit der Scarlet Witch von den Avengers zusammen.

245 Dass Conan ein Mitglied der Avengers wird, wie von einigen Seiten lautstark verkündet wird, erscheint aber eher unglaubwürdig. Es hat schon früher ein Heft bei Marvel gegeben, in dem Conan der Wanderer, ein Barbar wie kein anderer, in unsere Zeit verschlagen wird. Da kann es die Rächer durchaus mal ins hyboreanische Zeitalter verschlagen, die Epoche, in der unser Barbar Geschichte schrieb, indem er sich ein Königreich erkämpfte (und andere unter den Stiefeln zertrat, wie es so schön in der Werbung hieß). Das "creative team" der regulären Heftserie (ab Januar 2019) Conan the Barbarian besteht aus Texter Jason Aaron und Zeichner Mahmud Asrar. Die erste Ausgabe kam sehr unspektakulär daher: routiniert geschrieben und gezeichnet, aber keinesfalls herausragend. Nun ja, der Zauber der verklärten Erinnerung lässt sich eben niemals zurückholen, und welche neuen Wege könnte man bei Conan schon beschreiten? Das neue Savage Sword of Conan erscheint allerdings im Heftformat und bringt in Mehrteilern abgeschlossene Geschichten.

Die Lizenz-Frage ist etwas kompliziert. Rechteinhaber von Conan ist angeblich die Conan Properties International LLC (CIP). Angeblich, weil ihr Rechtsanspruch wohl nicht eindeutig ist. So schreibt sogar die Conan Wiki: "Conan Properties International is the company that claims to own Conan intellectual property." Die Betonung liegt auf »Claims«, also »behauptet«. Conan-Schöpfer Robert E. Howard jagte sich am 11. Juni 1936, als klar war, dass seine Mutter nicht mehr aus ihrem Koma erwachen und bald sterben würde, im Alter von 30 Jahren eine Kugel in den Kopf. Angeblich hinterließ er ein Testament, in dem er seinen Besitz seinem besten Freund vermachte, also auch die Rechte an all seinen Geschichten und deren zukünftige Erträge. Angeblich ließ sein Vater Isaac Mordecai Howard dieses Testament verschwinden und verhökerte Roberts

246 unveröffentlichte Stories und die Rechte an den bereits veröffentlichten, um noch zu Lebzeiten möglichst viel Geld damit zu machen. Vater Howard starb 1944, und seitdem ist die rechtliche Lage am geistigen Eigentum Robert E. Howards eher verwirrend. Jedenfalls wurde 1965 der Howard-Fan Glenn Lord zum literarischen Agenten von Howards Erben, einen Posten, den er fast 30 Jahre innehatte. Als 1978 die Conan Properties gegründet wurden, fungierte Lord als erster Geschäftsführer. Es führte zu weit, hier die komplizierten Verhältnisse zu schildern, doch mit der Gründung der Conan Properties International LLC wurden (un)klare Verhältnisse geschaffen, die heute weitgehend akzeptiert werden, zumal die CIP auch Trademarks registrieren ließ, die Gültigkeit besitzen – bis jemand diese Gültigkeit gerichtlich klären lässt. Zu diesen Trademarks gehören Conan und Conan the Barbarian, offensichtlich aber auch Cimmeria und Hyborea, aber nicht The Cimmerian. Eine Unterlassung mit Folgen. Und CPI will jetzt richtig loslegen: Eine neue Fernsehserie mit Conan ist bei Amazon geplant, und es sollen zahlreiche (Computer)-Spiele und Ähnliches veröffentlicht werden.

Neue Conan-Romane (oder Neuausgaben) und solche mit anderen Charakteren von Howard sind bei Perilous Worlds angekündigt, dem Buchverlag von Cabinet Entertainment, das quer durch alle Medien in den Bereichen Bücher, Film, Fernsehen, Videospiele, Comics und Brettspiele arbeiten will. Und sogar ein vierter Kinofilm steht zur Debatte.

Nun wird die Dauer des Copyrights, des Urheberrechts an den eigentlichen veröffentlichten Werken, weltweit überall anders ausgelegt. In der ehemaligen UdSSR wurde es so gut wie gar nicht beachtet; dort haben russische Autoren zahlreiche Conan-Originalromane veröffentlicht, ohne dass der amerikanische Rechteinhaber auch nur einen Rubel sah.

247 In Europa ist ein Werk 70 Jahre nach dem Tod des Verfassers geschützt, danach fällt es in den Besitz der Allgemeinheit. Die USA erweiterten 1998 die Gültigkeitsdauer durch einen Copyright Term Extension Act ebenfalls auf 70 Jahre. Die weltweit längste Regelschutzfrist beim Urheberrecht gilt in Mexiko. Dort sind die Werke für 100 Jahre nach dem Tod des Urhebers geschützt. Jedenfalls wäre nach europäischer Rechtschreibung das Urheberrecht an Conan mittlerweile abgelaufen. Das gilt aber nicht für die Trademarks.

Conan der Cimmerier (in allen fremdsprachigen Variationen) ist jedoch nicht durch ein Trademark geschützt. Und nun kommen wir endlich zu des Conans Kern: Howards Geschichten sind (nach europäischer Rechtsprechung) frei, die Warenmarke Conan der Cimmerier ist nicht geschützt.

Also können wir, so dachte der französische Verlag Glenat wohl, Howards ursprüngliche Geschichten in Comicform unter dem Titel Conan der Cimmerier adaptieren, ohne gegen das Urheberrecht oder ein Trademark zu verstoßen. Und diese französischen Conan-Alben erscheinen nun auch beim Bielefelder Verlag Splitter, der als Lizenznehmer rechtlich völlig auf der sicheren Seite steht. Auch in Italien soll derzeit angeblich eine solche Conan-Ausgabe ohne die Zustimmung der Conan Properties International LLC entstehen. Noch komplizierter wird die Sache jedoch durch den Umstand, dass die CPI mittlerweile die weltweiten Rechte an Conan-Comics (außer denen im englischsprachigen Raum) an den Konzern Panini vergeben hat, der bereits weltweite neue Ausgaben plant. Ob Panini rechtlich gegen Glenat und dessen Lizenznehmer vorgehen wird, steht allerdings in den Sternen. Und die Leser muss das sowieso nicht interessieren. Sollte (wahrscheinlich nach jahrelangen Prozessen!) ein Rechteverstoß bestätigt werden, wird der dann gerichtlich bestätigte Rechteinhaber

248 wohl kaum, um es mal profan auszudrücken, verzauberte Drohnen mit kleinen Barbaren an Bord ausschicken, um bereits verkaufte Conan-Alben mit Schwertgewalt wieder einzusammeln. Wir können die Conan-Titel bei Splitter also genauso legal erwerben, wie Splitter sie legal veröffentlichen kann.

Etwa 20 Conan-Geschichten hat Robert E. Howard geschrieben bzw. veröffentlicht, nicht chronologisch, sondern querbeet, manche blieben nur Fragmente. Sie sollen in Albenform jeweils von einem anderen Zeichner und Texter adaptiert werden. Fünf liegen in Frankreich schon vor, drei sind mittlerweile bei Splitter erschienen. Man will also den Original-Conan bringen und keine Adaptionen. Schon bei der zwölfbändigen ersten erfolgreichen amerikanischen Conan-Taschenbuchausgabe (ab 1967, deutsch bei Heyne) haben posthume "Mitarbeiter" wie L.S. de Camp, Lin Carter oder Björn Nyberg Fragmente von Howard vollendet, historische Kurzgeschichten zu Conan-Stories umgeschrieben oder ganz einfach ihr eigenes Garn gesponnen, um "Lücken zu schließen".

Den Anfang macht bei Splitter Die Königin der schwarzen Küste, eine der wichtigsten Conan-Erzählungen Howards, in der der Barbar die bereits erwähnte Belit kennenlernt, eben jene "Königin", die mit ihrem Piratenschiff die schwarze Küste heimsucht. Robert E. Howard wusste schon in den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ganz genau, wie er seine Leser packen konnte. Ein wenig Sex gehört dazu. Dabei hielt er sich aber zurück, weil er wusste, dass der Herausgeber des Pulp-Magazines Weird Tales, für das er die Conan-Geschichten schrieb, ihm jedes Zuviel an Freizügigkeiten rigoros herausstreichen würde. Außerdem musste er sich zurückhalten, damit die Cover-Zeichner

249 etwas hatten, das sie auf die Titelbilder bringen konnten, denn auf die wollte Howard mit seinen Geschichten unbedingt kommen. Die Story im Heft, die auf dem Cover illustriert wurde, bekam bei der Honorierung einen Bonus.

Aber schon Belits erster Auftritt in der Geschichte machte klar, wohin die Reise ging. Die Beschreibung ist völlig eindeutig. "Sie drehte sich zu Conan um, ihre Brust hob sich, ihre Augen blitzten. Sie war schlank und doch wie eine Göttin geformt: zugleich geschmeidig und üppig. Ihre einzige Bekleidung war ein breiter Seidengürtel. Ihre elfenbeinweißen Glieder und die elfenbeinfarbigen Kugeln ihrer Brüste trieben einen Schlag der heftigen Leidenschaft durch den Puls des Cimmeriers, sogar im keuchenden Zorn der Schlacht. Ihr üppiges schwarzes Haar, so dunkel wie eine stygische Nacht, fiel in sich kräuselnden glänzenden Büscheln über ihren biegsamen Rücken. Der Blick ihrer dunklen Augen brannte auf dem Cimmerier."

Und in der Adaption von Zeichner Pierre Alary? Trägt sie so einen komischen Bikini aus Münzen oder Goldstücken.

250 Das ist die Schere im Kopf, zumal es wohl kein Dekret von oben gab. Im zweiten Band laufen ein paar spärlicher bekleidete Frauen durch die Bilder, wenn zumeist auch dezent im Hintergrund. Bestimmt werden die Seiten von wilden Kampfszenen und großen Schlachten, was ja auch Howard entspricht und zeigt, wo der Autor die Akzente gesetzt hat. Und das in Frankreich, das diesem unserem Lande schon immer weit voraus war, was die prickelnde Darstellung von Erotik betrifft. Was ist nur in unsere Nachbarn jenseits des Rheins gefahren, dass sie auf eine originalgetreuere Umsetzung der Howardschen Geschichten

251 verzichten? Lassen sie sich von amerikanischen Adaptionen aus den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts vorführen? Das ist eine vergebene Chance, über die man nur den Kopf schütteln kann. Schon die Cover der Magazine, in denen die Conan-Geschichten in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts zum ersten Mal veröffentlicht wurden, waren da freizügiger!

Wenigstens Conan läuft nicht in Windeln oder einer Badehose herum, sondern in einer Rüstung, wie Howard das auch angedacht hat. Belit hat zwar gerade das Schiff zerstört, auf dem er fuhr, doch er entflammt natürlich in glühender Leidenschaft zu ihr, schläft mit ihr, was sehr dezent dargestellt wird, aber wesentlich freizügiger, als man es in amerikanischen Comics je gesehen hat, rettet sie vor einer (wirklich großen) Riesenschlange, macht sich mit ihr auf die Suche nach einem riesigen Schatz und findet ihn auch. Allerdings überlebt Belit das nicht, wird grausam verstümmelt und ermordet. Conan rächt ihren Tod, tötet ihren ziemlich dämonischen Mörder. "Und dann … muss man leben." Das atmet durchaus schon etwas vom Geist des Autors, bei dem Belit eine bloße Episode in Conans Leben blieb und der sie nicht als "Liebe seines Lebens" schilderte, zu der manche seiner Epigonen sie gemacht haben. Etwa Roy Thomas, unter dessen Ägide sie in den Bänden 58 – 100 der Marvel-Comics zur zweiten Hauptperson neben unserem Barbaren wurde. Da kann man ihren Tod (als Höhepunkt in der Jubiläumsausgabe) dann natürlich geradezu zelebrieren, während er in dem Splitter-Album eher beiläufig zur Kenntnis genommen wird.

Aber wie stellen Morvan und Alary die Piratin dar? Schönheit liegt zwar immer im Auge des Betrachters, doch abgesehen von den einfach nur albernen Münzen ihres strategisch positionierten Tangas und den offensichtlich

252 angeklebten goldenen BH-Körbchen wird sie irgendwie unattraktiv gezeichnet, genau wie Conan selbst oft stark ins Karikaturhafte abgleitet, was Howards Intentionen völlig widerspricht. Einmal ganz abgesehen von der Ideologie, die Howards Geschichten verbreiten und die hier nicht Thema sein kann, lebten Howards Stories von der reinen Wunscherfüllung. Die Identifikation mit dem Helden ist eine Grundvoraussetzung; so wie Conan sein, das wollen seine Leser, und das machte seine Geschichten so erfolgreich. Da ist es kontraproduktiv, wenn eine zu karikaturistische Darstellung der Erzählung entgegenwirkt. Und die Schreibe selbst ist sehr minimalistisch, auch in Band 2. In diesem erweckt ein Dieb einen uralten Magier aus einem jahrtausendelangen Schlaf. Der schickt sich gleich an, die Welt zu erobern, wobei ihm das kleine Königreich Khoraja im Weg steht, dessen natürlich bildhübsche Königin Conan zum Befehlshaber der Armee macht, die gegen den Magier zu Felde zieht. Conan tötet den Magier und bekommt die Prinzessin. Es muss ja nicht unbedingt der schwülstige Stil von Roy Thomas sein, der immer große Passagen von Howards Originaltext in seine Comic-Adaptionen übernommen hat, aber der Text der Alben ist sehr dünn und macht die Geschichte generischer, als sie sein müsste. Hier wurde die Gelegenheit verschenkt, das wuchtige Feeling einzufangen, das Howards Geschichten auszeichnete. Die Zeichnungen schaffen das leider nicht.

Sie vermitteln einfach nicht genug Atmosphäre. Sie sind zu kühl, zu distanziert, zu #intellektuell#, was nun gar nicht zu Robert E. Howards Conan passt, wie ein Vergleich mit der Darstellung derselben Szene in TSSoC zeigt (Adaption: Roy Thomas, Zeichnungen: John Buscema und Alfredo Alcala). So sieht eine verwunschene Trümmerstadt im Dschungel aus! Dagegen wirkt die neue Fassung im wahrsten Sinne des Wortes anämisch.

253 Das zieht sich durch den gesamten Band, ja praktisch durch die gesamte Albenreihe. Sie hat ihren eigenen Stil, doch ob das auch derjenige ist, mit dem man Howards Geschichten am treffendsten einfängt, sei dahingestellt. Wenn überhaupt, scheinen die Zeichner sich an den späteren Conan-Comics beim Verlag Dark Horse orientiert zu haben, bei dem die Adaption von Black Colossus – so der Originaltitel der Geschichte – von Brian Wood und Becky Cloonan stammte, und nicht an den alten Marvel-Ausgaben. Dark Horse wollte auch schon eigene Wege gehen, doch dort sehen die Zeichnungen einfach nur schwach aus.

Der "französische" Conan ist als Projekt wahrlich nicht uninteressant. Es ist schon mutig, dass sich jedes Autoren- und Zeichnerteam den eigenen Conan basteln darf. Zwar finde ich einiges sehr gewöhnungsbedürftig, aber vielleicht bin ich wirklich zu sehr von Marvel geprägt.

Jean-David Morvan/Pierre Alary

Conan der Cimmerier 1: Die Königin der schwarzen Küste Splitter, Bielefeld 2018, 64 S., € 15.80

Vincent Brugeas/Ronan Toulhoat Conan der Cimmerier 2: Natohk, der Zauberer Splitter, Bielefeld 2018, 72 S., € 15.80

Mathieu Gabella/Anthony Jean Conan der Cimmerier 3: Jenseits des schwarzen Flusses Splitter, Bielefeld 2018, 64 S., € 15.80

Links:

254 https://oyster.ignimgs.com/wordpress/stg.ign.com/2018/12 /AVENG_NRH_6.jpg https://oyster.ignimgs.com/wordpress/stg.ign.com/2018/12 /rsz_deodato-conan.jpg

Dschungelstadt: https://www.splitter-verlag.de/conan-der-cimmerier-bd-2.h ml

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/9/98/Black_Col ossus_WT.jpg

255 256 PHANTASTISCHE WISSEN- SCHAFT

Subspace Link – Neues aus dem All

Ein Blick über unsere Köpfe

von Reiner Krauss

Es bleibt spannend über uns. Hier weitere Termine vorab für die nächten Wochen:

Aktuellste Space-News - kurz und knapp:

13.02.2019: Mars-Rover Opportunity: Die NASA hat nach 15 erfolgreichen Jahren den im Sandsturm des Mars verstummte Rover aufgegeben und die Mission damit beendet. »Thank you Oppy – over and out!“

257 02.03.19; 08:45 MEZ: Geplanter Start der SpaceX CrewDragon (Demo-Flight; DM-1) mit Starman 2 Dummy im Raumanzug und mit Fracht für die ISS.

Heute für Sie ...

Parker Solar Probe: Heiß ist es nahe der Sonne

© NASA / JPL / Sonnenwind aufgenommen von Parker Solar Probe

Am 12. August 2018 ist sie gestartet und nach drei Monaten bereits am Ziel. Die Parker Solar Probe absolvierte den ersten nahen Vorbeiflug an der Sonne. Dazu ist ihr Hitzeschild zur Sonne ausgerichtet und die Instrumente aktiviert. Die erste aktive Beobachtungsphase - ohne Funkkontakt – begann bereits am 31.10. 2018 und dauerte bis 11. November 2018. Alle gesammelten Daten werden aufgezeichnet und erst in einigen Wochen aus größerer Sonnenentfernung zur Erde gesendet. Am 7.11.2018 erreichte die Sonde mit 24 Millionen Kilometern die dichte Annäherung (Perihelion) an unseren Stern.

258 So dicht war noch kein Raumfahrzeug an der Sonne. Mit 343.000 km/h flog die Sonde dabei schneller als jedes andere Raumfahrzeug. Bei diesem Manöver wurde das Raumfahrzeug intensiver Hitze im Sonnenwind ausgesetzt. Der Hitzeschild erwärmte sich dabei auf rund 1400 Grad Celsius, während die Instrumente nur um die 30 Grad davon abbekommen.

Weiterführende Informationen zum Thema:

Parker Solar Probe Mission-Profil https://youtu.be/FjdZU0whkug

Chang’e 4 - Landung auf der Rückseite des Mondes

© Andrew Jones / CNSA / Roverfahrt auf der Mondrückseite

Chang’e 4 war am 8. Dezember von der Erde gestartet und erreichte laut Staatsfernsehen am 12.12.2018 die Mond-Umlaufbahn. Am 03.01.2019 erfolgte die erste

259 erfolgreiche Mondlandung auf der Rückseite mit dem Lander. Der Jadehase, ein kleiner Rover, wurde zudem erfolgreich ausgesetzt.

Der Funkkontakt gelingt über eine zuvor am Lagrange-Punkt (L2) hinter dem Mond platzierten Kommunikationsrelais-Satelliten, genannt Queqiao. Dessen Orbit ist in einer Hochachse hinter dem Mond und bleibt dort stabil. Von der Erde aus gesehen, schaut es so aus, als ob die Sonde den Mond außenrum umkreist. Somit ist eine Verbindung zum Fahrzeug auf der Rückseite und zur Erde permanent möglich.

© CNSA / Panorama Mondrückseite

InSight Lander auf dem Mars beginnt den Einsatz

© NASA / JPL / InSight-Lander Selfi

(JPL) Dies ist NASA InSight’s erster vollständiger Selfie auf dem Mars. Das Selfie wurde am 6. Dezember 2018 auf-

260 genommen (Sol 10) und aus vielen Einzelbildern zusammen- gesetzt. Es zeigt die Solarmodule und das Deck des Landers. Auf dem Deck befinden sich seine wissenschaftlichen Instru- mente, L-Sensorausleger und UHF-Antenne. InSight steht seit dem 26.10.2018 in der Ebene »Elysium Planitia« nördlich des Mars-Äquators. Das JPL (Jet Propulsion Labratory) betreibt InSight für das Science Mission Directorat der NASA. InSight ist Teil des Discovery Programms der NASA, das vom Marshall Space Flight Center der Agentur in Huntsville, Alabama, verwaltet wird. Lockheed Martin Space in Denver baute den Lander InSight und unterstützt den Betrieb von Raumfahrzeugen für die Mission.

Eine Reihe europäischer Partner, darunter das Centre Natio- nal d’Études Spatiales (CNES) in Frankreich und das Deut- sche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), unterstützen die InSight-Mission. Das CNES und das Institut de Physique du Globe de Paris (IPGP) stellten das Instrument Seismic Experiment for Interior Structure (SEIS) zur Verfügung, mit bedeutenden Beiträgen des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS) in Deutschland, der Swiss Institute of Technology (ETH) in der Schweiz, des Imperial College und der Oxford University in Großbritannien sowie von JPL. Das DLR lieferte das Instrument Heat Flow and Phy- sical Properties Package (HP3) mit bedeutenden Beiträgen des Space Research Center (CBK) der Polnischen Akademie der Wissenschaften und Astronika in Polen.

Das spanische Centro de Astrobiología (CAB) lieferte die Windsensoren.

261 © SpaceX / Prototyp Big Falcon Hopper – Starship

SpaceX – Starship Hopper für Landetests und CrewDragon für ISS

SpaceX baut ein neues Raumschiff, das Starship. Ein Ster- nenschiff mit dem Look aus Tim & Struppi Comic-Aben- teuern. Elon Musk hatte sich zuvor als Fan der Reihe geoutet.

Der Prototyp für Landetests ist in Boca Chica fertig gestellt worden und soll, wie zuvor der Grashopper für Falcon 9, die Rückführung und Landung der Rakete testen. Diese Ober- stufe wird ergänzt um die Falcon Super Heavy deren Ent- wicklung mit den neuen Raptor-Triebwerken am Hauptsitz von SpaceX in Hawthorne, Kalifornien läuft.

Währenddessen steht die neue CrewDragon Raumkapsel für ihren unbemannten Jungfernflug zur ISS (Internationale Raumstation) bereit. Mit ihr und dem Boeing Starliner soll noch dieses Jahr der bemannte Flug zur Station mit Astro-

262 nauten vom amerikanischen Boden nach 2011 wieder auf- genommen werden.

© SpaceX / CrewDragon am Startturm in Cape Canaveral

New Horizons: Ultima Thule im Kuipergürtel erreicht

© NASA / Johns Hopkins University Applied Physics Laboratory/Southwest Research Institute / Ultima Thule

263 Eine Erdnuss im Weltraum könnte man meinen, wenn man dieses Objekt betrachtet. Es ist der entfernteste Himmelskörper der je von einer Raumsonde erreicht und fotografiert wurde.

Nachdem die NASA-Sonde New Horizons uns mit spektakulären Bildern und Informationen zum (Zwerg-) Planeten Pluto begeistert hatte, ist sie nun auf ihrem weiteren Weg aufgewacht, um sich weiteren Objekten im Kuipergürtel zu widmen. Das nächste Ziel war der Asteroid Ultima Thule, der am 01.01.2019 in einem Abstand von 3.000 km mit einem Fly-by erreicht wurde. Erste Bilder wurde bereits übermittelt, und die NASA erwartet im Laufe des Februar und März alle hochauflösenden Aufnahmen aus dem Speicher der Raumsonde übermittelt zu bekommen.

Raumsonden OSIRIS-REx am Asteroiden Bennu

© NASA / Goddard Space Flight Center

264 Ein Vortrag von Rainer Kresken, Raumfahrtingenieur, ESA/ESOC, Darmstadt

© R. Krauss / Rainer Kresken an der Hochschule Zweibrücken

Asteroiden sind ein Schlüssel zur Erforschung der Entstehungsgeschichte des Sonnensystems. In vielen von ihnen hat sich unveränderte Materie aus der Zeit vor der Entstehung der Sonne und der Planeten erhalten. Zurzeit ist die Raumsonden OSIRIS-REx im Weltraum, um den Asteroiden Bennu zu besuchen, auf seiner Oberfläche Proben zu entnehmen und diese anschließend zurück zur Erde zur Untersuchung in wissenschaftlichen Labors zu bringen. Rainer Kresken ist Leiter der Starkenburg-Sternwarte in Heppenheim und Raumfahrtingenieur am europäischen Kontrollzentrum ESOC in Darmstadt. In seinem Vortrag an der Hochschule in Zweibrücken stellte er die wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen der Mission vor und berichtete von ersten Ergebnissen.

In seinem Vortrag am 09.01.2019 berichtete er zunächst kurz vom jüngsten Erfolg des chinesischen Rovers auf der

265 Mondrückseite (siehe Beitrag oben), um anschließend ausführlich auf die Mission von OSIRIS-REx einzugehen.

OSIRIS-REx (Origins Spectral Interpretation Resource Identification Security – Regolith Explorer) startete am 8. September 2016 auf einer Atlas-V-Rakete. Sein Auftrag: Vom Asteroiden (101955) Bennu Proben zur Erde zurückzubringen. Bennu ist ein erdnaher Asteroid, der kohlenstoffreich ist und deswegen eine dunkle Oberfläche besitzt. Bennu hat einen Durchmesser von 494 m.

Mittels eines Swing-by Manövers im Jahre 2017 an der Erde gelang die zielgenaue Annäherung an den Asteroiden, welcher er dann am 31.12.2018 erreichte und derzeit in einem Abstand von etwa 1,75 km, dessen Oberfläche hochauflösend fotografiert.

Juli 2020 soll die Sonde sich bis auf wenige Meter an den Asteroiden annähern und mittels eines rund 3 Meter langen, zweigliedrigen, ausfahrbahren Ausleger mit dem Sammelmechanismus (TAGSAM = Touch-And-Go Sample Acquisition Mechanism) mindestens 60 g Regolith-Gestein und zusätzlich Oberflächenstaub einsammeln. Die Materialproben sollen anschließend in eine Rückkehrkapsel gebracht werden OSIRIS-REx soll im März 2021 den Rückflug zur Erde beginnen und die Rückkehrkapsel im September 2023 in Erdnähe aussetzen. Die Sonde soll nach dem Abwurf der Kapsel eine weitere Kursänderung vornehmen und in einen Sonnenorbit einschwenken.

Weiterführende Informationen zum Thema

Osiris-Rex Asteroid Sample Return Mission https://www.asteroidmission.org/objectives/bennu/

266 WERBUNG

267 Die stille Revolution von Andreas Dannhauer

Am 20. Mai 2019 wird es passieren, und kaum jemand wird es merken. Einige Grundeinheiten werden neu definiert. Das in der Nähe von Paris gelagerte Urkilogramm kann damit unter anderem in Rente geschickt werden, und das gesamte Maßeinheitensystem wird auf Naturkonstanten beruhen.

Warum Naturkonstanten?

Naturkonstanten sind überall gleich. Maße, die nur auf diesen beruhen, können überall unabhängig nachvollzogen werden. Es muss kein Kilogrammprototyp oder Meterprototyp mehr zum Vergleich durch die Weltgeschichte transportiert werden, und Naturkonstanten sind zeitlich, wie der Name schon sagt, konstant. Bei irgendwelchen Urmetern und Urkilogrammen ist das nicht sicher. Man stelle sich vor, wir hätten Funkkontakt zu einer außerirdischen Spezies und wollten ihnen mitteilen, wie groß und schwer Menschen so sind. Der Transport eines Prototypen in ein anderes Sonnensystem würde mit unserer Technologie Jahrtausende brauchen. So brauchen wir den Außerirdischen nur die Zahlenwerte und unsere Definitionen für Meter und Kilogramm zu schicken.

Sekunde, Meter und Candela

Die Sekunde, der Meter und die Candela bleiben unverändert definiert. Eine Sekunde ist das 9.192.631.770-fache der Schwingungsdauer der

268 Radiostrahlung, die ein Cäsium133-Atom bei einem Übergang zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus des ungestörten Grundzustandes abgibt. Die Sekunde ist damit auf die Feinstrukturkonstante zurückgeführt. Der Meter ist die Strecke, die Licht im Vakuum innerhalb von einer 299.792.458stel Sekunde zurücklegt. Der Meter hängt damit von der Sekunde und der Lichtgeschwindigkeit im Vakuum ab. Die Candela ist die Einheit der Lichtstärke und folgendermaßen definiert: Eine Lichtquelle hat eine Candela Lichtstärke, wenn sie Strahlung einer Frequenz von 540*1012 Hz mit einer Leistung von 1/683 Watt pro Steradiant emittiert. Der Steradiant ist der Raumwinkel und wird vom Meter abgeleitet. Die Leistungseinheit Watt wird zurückgeführt auf die Sekunde, den Meter und das Kilogramm. Die 1/683 ist die Konstante des photometrischen Strahlungsequivalents. Soweit nichts Neues.

Das Kilogramm

Das Kilogramm war bisher definiert durch den Urkilogrammprototypen, der in Sevres bei Paris in einem Tresor lagert. Aus unbekanntem Grund hat sich seine Masse aber im Vergleich zu den nationalen Prototypen, die in verschiedenen Ländern der Welt lagern, leicht verringert. In Zukunft ist das Kilogramm definiert als das Plancksche Wirkungsquantum multipliziert mit 6,626070*1015s pro m2. Das Kilogramm ist damit zurückgeführt auf die Konstanten Plancksches Wirkungsquantum, Feinstrukturkonstante und Lichtgeschwindigkeit. Realisiert wird die Messung durch eine Wattwaage. Eine Wattwaage ist im Prinzip eine Balkenwaage, die auf der einen Seite das zu wiegende Gewicht und auf der anderen Seite eine stromdurchflossene Spule hat, deren Magnetkräfte das Gewicht zum Auf- und Abschwingen bringen. Die Masse des Gewichts kann dann

269 aus der Geschwindigkeit, mit der es schwingt, der Erdbeschleunigung und der elektrischen Leistung in der Spule bestimmt werden. In der Geschwindigkeit stecken Zeit und Weg und damit Sekunde und Meter, in der elektrischen Leistung das Ampere, welches seinerseits durch das Plancksche Wirkungsquantum definiert wird.

Das Ampere

Das Ampere war bisher definiert als der elektrische Strom, der nötig ist, damit sich zwei unendlich lange, unendlich dünne parallele Drähte mit der Kraft von 2*10-7N anziehen. Unendlich lange Leiter sind offensichtlich unmöglich zu realisieren. Deshalb wird das Ampere neu definiert als der Stromfluss von 1,602176634*1019 Elementarladungen pro Sekunde.

Die Elementarladung ist die Ladung eines Elektrons.

Das Ampere wird damit definiert durch die Elementarladung und über die Sekunde durch die Feinstrukturkonstante. Zur praktischen Darstellung des Amperes muss man also Elektronen zählen. Das ist nicht ganz einfach, weshalb man sich des aus dem Schulunterricht bekannten Ohmschen Gesetzes bedient, welches Spannung, Stromstärke und Widerstand in Beziehung setzt. Spannungen und Widerstände lassen sich auf Quantenebene exakt herstellen, Spannungen über Josephson-Kontakte und Widerstände mittels des Quanten-Hall-Effekts.

Das Kelvin

Das Kelvin als Einheit der Temperatur ist bisher definiert als der 273,16te Teil der Temperatur des Tripelpunktes von Wasser. Dieser ist leider von der Isotopenzusammensetzung

270 des Wassers abhängig, und man muss erst aufwendig isotopenreines Wasser zu dessen Messung herstellen. Deshalb wird das Kelvin neu definiert als die Temperaturänderung, die durch das Hinzufügen einer thermischen Energie von 1,380649*10-23J entsteht. Der Zahlenwert stammt aus der Stefan-Boltzmann-Konstanten, die den Zusammenhang zwischen Temperatur und Energie herstellt. In der Energie stecken noch die Sekunde, der Meter und das Kilogramm, so dass das Kelvin durch die Stefan-Boltzmann-Konstante, die Feinstrukturkonstante und das Plancksche Wirkungsquantum definiert wird.

Das Mol

Das Mol als Einheit der Stoffmenge war bisher definiert als die Anzahl der Atome in 12g Kohlenstoff 12. Jetzt wird es einfach festgelegt als 6,02214076*1023 Teilchen. Man muss also immer noch Teilchen zählen, ist aber nicht mehr auf Kohlenstoff festgelegt.

Realisiert wird das Mol durch hochreine Siliziumkugeln, die nur aus einem großen Kristall bestehen und deren Volumina und Gitterkonstanten genau vermessen werden.

Fazit

Alle Standardeinheiten sind jetzt auf Naturkonstanten zurückgeführt. Diese sind damit für alle Zeiten festgelegt und müssen nicht mehr gemessen werden. Diese Naturkonstanten sind die Feinstrukturkonstante, die Lichtgeschwindigkeit, das Plancksche Wirkungsquantum, die Stefan-Boltzmann-Konstante, die Elementarladung, die Avogadrozahl und das photometrische Strahlungsequivalent. Die neuen Definitionen enthalten keine unmöglichen Messaufgaben mehr, und das

271 Urkilogramm kann in Rente gehen. Wird deshalb Ihre Personenwaage am 21. Mai etwas anderes anzeigen als vorher? Nein! weitere Informationen: https://de.wikipedia.org/wiki/Josephson-Effekt https://de.wikipedia.org/wiki/Quanten-Hall-Effekt https://www.ptb.de/cms/fileadmin/internet/publikationen/ masstaebe/mst14/mst14_pdf/PTB_Massstaebe_14_Masse_ fuer_alle.pdf

272 PHANTASTISCHES HÖREN

Perlentaucher: Heil dir, Satan: Soundtrack zu Das Omen

von Oliver Koch

Als 1976 Das Omen in den Kinos lief, erlebten die Zuschauer gleich zu Beginn etwas bis dahin Einzigartiges: Zu düsteren, treibenden Orchesterklängen beschworen Chöre keinen Geringeren als Satan – so wollte es Komponist Jerry Goldsmith, dem die satanischen Gesänge den ersten und einzigen Oscar einbrachten.

Goldsmiths düsteres Intro Ave Satani (Heil dir, Satan) erhielt sogar eine Nominierung für den besten Film-Song, aber da ging er letztlich doch leer aus.

Damit ist Das Omen bis heute der einzige Horrorfilm der Filmgeschichte mit einem Oscar-gekrönten Soundtrack und 273 brachte dem 2004 verstorbenen Komponisten den einzigen Oscar ein – neben insgesamt 19 Nominierungen durch die Jahrzehnte.

Dabei ist es Goldsmith gelungen, einen eigenen Sound zu erschaffen, was vor allem durch seine Orchestrierung erreicht wurde – unverkennbar in Klassikern wie Poltergeist und Alien, Total Recall und Basic Instinct zu hören.

Verewigt hat sich Goldsmith aber auf andere Weise: Mit seinem Soundtrack zum ersten Star-Trek-Kinoabenteuer schuf er die ikonische Star-Trek-Melodie, die 7 Jahre lang auch jede Folge von Star Trek: The Next Generation einläutete.

Und dann ist da noch sein Meisterwerk zu das Omen aus dem Jahre 1976.

Bis heute gilt dieser Filmscore als Fundament ganzer nachfolgender Generationen und ist in seiner Einzigartigkeit unerreicht – statt gemischte Chöre lediglich „Ohs“ und „Ahs“ intonieren zu lassen, ließ Goldsmith sie ganze Liedtexte auf Latein singen.

Der Orchesterapparat musiziert sich durch einen ungemein vielfältigen und differenzierten Score, dessen auch nach heutigem Standard vorzügliche Aufnahme akzentuierte Stereo-Effekte bietet, obwohl der Film selbst in Mono produziert wurde. So ist es kein Wunder, dass die Audio-Aufnahme der Filmmusik noch dramatischer wirkt.

Gerade in Stücken wie The new Ambassador klingt der typische süßlich-kitschige Violinen-Sound der 70er, der auch in Serien der Epoche üblich war: Ein helles, überaus leichtes

274 Thema bringt die Sorglosigkeit und das Glück nach allen Regeln des Kitschs zum Ausdruck.

Dezent ist da nichts. Sie stehen im grellen Kontrast zu den Passagen, in denen der Satan die Fäden in der Hand hat. Hier geht Goldsmith effektvoll und intensiv in die Vollen. Mit allen Mitteln: Neben Chören, hämmerndem Rhythmus und Kirchenglocken verheißen selbst die pochenden Klavierakkorde nichts Gutes. Auch verzerrt er hier die kitschigen, positiven Melodien sowohl ins Ironische wie auch ins Grauen. Goldsmith konturiert einige Hauptthemen des Satans, die er im weiteren Verlauf immer wieder aufgreift, variiert und anreichert.

Auffällig ist hier die Rhythmik, die die Musik wie Blut durch Arterien pulsieren lässt – womit er automatisch den Puls des Zuschauers effektiv in die Höhe treibt.

Der Einsatz von Chor und Orchester erinnert stark an die Carmina Burana von Carl Orff: Kurze treibende Akkorde, gezupfte Streichinstrumente, in die Höhe geschraubte Violinen, das Abwechseln zwischen Männer- und Frauenchor – Goldsmiths Soundtrack klingt in seinen besten Momenten wie eine abgrundtief böse Teufelsmesse.

Gerade in leisen Passagen hört man das Böse regelrecht auf die Protagonisten zukommen, wie in The Dogs Attack. Hier kommt die Attacke leise, aber unweigerlich. Goldsmith erschafft eine so perfekte Bedrohung, dass sich bis heute keiner mehr an eine ähnliche Umsetzung gemacht hat. Goldsmiths Maßstab ist bis heute unerreicht und unerreichbar.

Goldsmith kehrte zwar für die Fortsetzungen Damien: Omen

275 II und Omen III noch zweimal in seine satanischen Klangwelten zurück, doch erreichte er nicht einmal annähernd das, was er mit seinem legendären Soundtrack zu Das Omen erreicht hatte. Er verzichtete fortan auf gesungene Textpassagen und Choreinsatz, sondern entwickelte seine orchestrale Klangsprache, die ihn zu einem der gefragtesten und profiliertesten Film-Komponisten der 80er- und 90er-Jahre machte.

Bis heute hat kein Komponist es gewagt, sich an ähnlichen Klanggebilden zu versuchen wie Goldsmith in seiner spektakulären Musik zu Das Omen, was dieses Gewitter an satanischer Musik nur noch wertvoller macht.

276 PHANTASTISCHES FANDOM

Das Klingolaus-Dinner Oberhausen

von Reinhard Prahl

Trek-Dinner haben im Fandom seit über 30 Jahren Tradition. In einer Zeit ohne Internet waren derartige Treffen die einzige Möglichkeit für Geeks, sich in regelmäßigen Abständen zu sehen. Während sich in der Hochzeit manchmal auch 100 und mehr Menschen zu den regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen einfanden, schwand das Phänomen seit dem Ende von Star Trek: Enterprise zunächst zusehends. In den unpersönlichen Zeiten von Facebook & Co gewinnt das Trek-Dinner in all seinen Facetten allerdings wieder zunehmend an Bedeutung. Und das ist auch gut so. Denn Fan-Sein erlebt man immer noch am besten in einer gleichgesinnten Gemeinschaft.

Einer dieser Nerd-Treffpunkte wurde in der letzten Ausgabe dieses Magazins schon einmal erwähnt und soll nun eine etwas nähere Betrachtung erfahren: Das Klingolaus-Dinner Oberhausen. Kenner der Szene haben es wahrscheinlich bemerkt. Hinter dem Namen „Klingolaus“ verbirgt sich niemand anders als Freund und Kollege Thorsten Walch. Die

277 Idee zum Namen entsprang dabei nicht etwa egomanischen Anflügen, wie Walch gerne berichtet. Vielmehr sollte dieser auf eine geliebte Tradition des Gründers verweisen. Der Klingolaus, der sich nunmehr seit über 20 Jahren auf Fan-Weihnachtsfeiern, Conventions, Kinderfesten u.v.m. herumtreibt, hält nämlich Werte wie Toleranz und Freundschaft hoch. So ist die fiktive Figur eben genauso auf der gemeinnützig ausgelegten Star-Wars-Convention des Imperathomas e.V. zu finden wie auch auf den großen Messen oder diversen Fantreffen.

Tatsächlich fühlt es sich genauso an, wenn man das Klingolaus-Dinner besucht. Bereits zum zweiten Mal traf man sich im China-Restaurant Mandarin in der Bottroper Str. 162, 46117 Oberhausen zu einem gemütlichen und schmackhaften Buffet zu moderaten Preisen. Jeweils etwa 20 Teilnehmer klönten über alles, was die Gattung der Phantastik hergibt. Die Gespräche gestalten sich unter anderem auch deshalb so angenehm, weil das Durchschnittsalter der Fans eher im Ü-30 Bereich angesiedelt ist. Es ist überaus witzig, den zahlreichen Anekdoten zu lauschen, den Meinungen über Filme, Serien, Büchern und Zeitschriften. Jüngere Interessenten sollen sich übrigens bitte nicht abschrecken lassen. Jeder ist herzlich willkommen und fühlt sich garantiert schnell wohl.

Was diesen Stammtisch vor allem auszeichnet, ist Herzlichkeit. Nichts ist vorgegeben, über alles darf geredet werden. So führte der Verfasser dieser Zeilen etwa mit seiner weiblichen Nachbarin ein überaus nettes Gespräch über die deutsche TV-Tradition, zu Weihnachten und Neujahr Das Traumschiff zu schauen. Es stellte sich heraus, dass beide Gesprächspartner die DVD-Boxen sammeln. Mancher Mithörer schaltete sich mit einem Augenzwinkern ein oder gestand, dass er ebenfalls zu den

278 „Außenstehenden“ gehöre, die ein wenig Romantik dann und wann durchaus zu schätzen wüssten. Das Gespräch endete also in zahlreichen Lachern.

Abschließend sei noch erwähnt, dass sich das Klingolaus-Dinner Oberhausen nicht als Fangruppe versteht, sondern als lockerer Stammtisch, bei dem es um nichts außer der Freude an der Zusammenkunft gehen soll, eine tolle Einstellung.

Daten:

Ansprechpartner: Thorsten Walch

Treffpunkt: China-Restaurant Mandarin, Bottroper Str. 162, 46117 Oberhausen

Termine: Alle zwei Monate seit Oktober 2018

Nächstes Treffen: 23. Februar 2019

Kosten: freier Eintritt, nur der eigene Verzehr muss bezahlt werden

Online: https://www.facebook.com/groups/494782534265211/

279 WERBUNG

280 Die MACHT – war mit … Hubert Zitt: Star Wars Weihnachtsvorlesung an der Hochschule Zweibrücken

von Reiner Krauss

Dr. Hubert Zitt, Dozent an der Hochschule Kaiserslautern am Campus Zweibrücken, berühmt für seine Star-Trek-Vorlesungen, hat kurz vor dem Fest 2018 zu einer Star-Wars-Weihnachtsvorlesung eingeladen. Und dies mit aller Macht!

»Möge die Macht mit Dir sein!«

Dieser Satz ist zweifellos einer der berühmtesten Sätze der Filmgeschichte. Doch was hat es mit dieser geheimnisvollen Kraft auf sich, die angeblich großen Einfluss auf geistig Schwache haben kann? Wie kann Luke Skywalker Gegenstände nur mit der Kraft seiner Gedanken bewegen? Könnte es Telekinese wirklich geben, vielleicht sogar auch in unserer Galaxis? Und warum hat George Lucas in Star Wars: Episode I – Die dunkle Bedrohung die bis dahin mystische 281 Macht durch die Einführung der Midi-Chlorianer entzaubert?

Diese und weitere Fragen stellte sich Hubert Zitt in seinem jüngsten Vortrag zur Premiere im Audimax der Hochschule in Zweibrücken.

Fragen über Fragen, und ausgerechnet ein Star-Trek-Experte und Vortragsredner will uns etwas zu Star Wars erzählen? Ja, er wollte, und ja, er konnte. Zumal sich selbst Alexa (Echo) nicht entscheiden kann und meint: »… können wir nicht alle lange und in Frieden leben, während die Macht mit uns ist?«

Genauso darf es sein, und genauso war es auch an diesem Abend. Die Macht war mit Hubert Zitt! Er legte einen überzeugenden Vortrag in Jedi-Robe hin und nahm seine Zuschauer mit auf eine Reise in eine andere Zeit an einem anderen Ort …

»Es war einmal vor einiger Zeit auf dem nicht weit entfernten Kreuzberg …«

282 Da begab es sich, dass er uns eindrucksvoll zeigte, von welchen Ideen, Geschichten und Filmen der Erfinder und Regisseur George Lucas sich seine Inspiration zu den Jedis und der mystischen Macht ursprünglich geholt hat.

An diesem Ort und in dieser Zeit beleuchtete Hubert Zitt sehr eindrucksvoll, wie Star Wars (Februar 1978: Uraufführung in den deutschen Kinos als Krieg der Sterne) von Lucas erdacht und geboren wurde, als ein Weltraummärchen, das die Phantasie beflügelt und eben nicht in der wissenschaftlichen Star Trek Welt spielt.

Weltraummärchen der Phantasie

Star Wars entwirft eine hochtechnologische Welt, in der die Helden ihre Kraft aus dem Glauben schöpfen. Die gute Seite wird unter dem Begriff der Jedi zusammengefasst. Ein Wort, das George Lucas möglicherweise aus dem Japanischen abgeleitet hat. Dieser Jedi-Kult beinhaltet vieles aus den menschlichen Religionen und Philosophien, beispielsweise des Konfuzius, der Samurai und besonders des Buddhismus mit ihren Shaolin-Mönchen.

Wie im Buddhismus gibt es auch bei den Jedi eine Meister-Schüler-Beziehung. Es gibt hier wie da die Meditation und Achtsamkeit.

283 Die Jedi sind optimistisch, weise, tolerant, bescheiden, aber auch motiviert, kreativ und fit. Alles positive Eigenschaften, die wir uns in einer guten, mitmenschlichen Welt wünschen.

Die Philosophie von Star Wars

George Lucas antwortete einmal: »Jeder drückt es anders aus, aber im Wesentlichen geht es darum, nicht zu töten, Mitleid zu haben und die Menschen zu lieben.«

Star Wars ist also auch eine positive Vision, wie sie Star Trek im Grunde auch dar-stellt, jedoch bedient man sich dort viel mehr des wissenschaftlichen Aspektes. Die Welt von Star Wars ist eine schmutzigere, gebrauchte Welt mit vielen Elementen der menschlichen Geschichte und Entwicklung. Darum ist diese Welt uns so vertraut, und wir können uns mit ihren Helden identifizieren.

284 Die Imagination des Unmöglichen

Im nachfolgenden Vortrag von Prof. Dr. Markus Groß wurde der Versuch unternommen, diese Herleitungen zu widerlegen, was ihm schwerlich gelang. Einzig die »Sternstunde« der Religionen begründete er überzeugend mit der »Erklärungswut des Menschen«, also Erklärungen zu suchen oder Lücken zu füllen, wo bisher keine solchen gefunden wurden. Der Mensch sucht Antworten auch über den Tod hinaus. Doch wo derzeit keine Antworten sind, will der Mensch sie mit Phantasie füllen.

Da der »Sternenkrieg« aber immer auch ein Produkt seiner Zeit war, begab es sich zur Zeit der Prequels, dass George Lucas die Midi-Chlorianer als eine Art »Mitochondrien der Macht« einführte. Der Zauber der Macht war kurz dahin, und es wurde auch darauf nie wieder erwähnt.

Tu es, oder tu es nicht!

285 Wer dennoch eine wissenschaftliche Basis sucht, wird in der Higgs-Feld-Theorie fündig. »Ihre Energie umgibt uns, verbindet uns mit allem.« Meister Joda wäre stolz.

Zum Finale des Zitt-Vortrages dann sein treffendes Fazit »Tu es … oder tu es nicht. Und möge die Macht mit Euch sein.«

German ComicCon Dortmund 2018

von Anna Pyzalski

Wie jedes Jahr ließen es sich viele Fans der Comic-Szene auch 2018 nicht nehmen, die German ComicCon in den Westfalenhallen Dortmund zu besuchen. Die Convention wird immerhin von Jahr zu Jahr größer. Sogar so viel größer, dass es Mitte April ein weiteres Event in Dortmund geben wird, auf das sicherlich viele genauso gespannt sind.

Aber diesmal soll es ganz allein um die Dezember-Ausgabe gehen, und die hat uns alle positiv überrascht. Der Veranstalter hat sich der Kritik der letzten Jahre angenommen und einiges verändert. Die Gänge waren breiter, somit kam es zu keinen nervigen Staus mitten auf dem Weg zum Lieblingsartist oder Cosplayer, der Einlass

286 funktionierte diesmal fast einwandfrei und ging recht fix. Das Highlight für viele war natürlich wieder der Autogrammtisch, wo man sich seine fünf Minuten mit seinem persönlichen Star holen konnte.

Und die Liste der Stars war lang. Fast jede große TV- und Filmproduktion war vertreten. Highlight war mit Sicherheit Chuck Norris, aber auch Stars der Serie Game of Thrones konnten ihre Fans auf die Convention locken. Aber mal im Ernst. Wann hat man schon mal den toten King Joffrey und seine Mutter auf einer Bühne sitzen? Zusammen mit Podrick Payne und Lady Gwen? Ja, so sah das große Game of Thrones-Panel aus.

Für die jüngeren Fans der Convention gab es dieses Jahr etwas Neues: Das Nickelodeon Slime Fest mit ihren Stars wie Pietro Lombardi und Die Lochis. Da müssen wir leider zugeben, dass es nicht ganz unser Metier ist, aber kurz reinschauen war ein Muss.

Geboten wurde jedenfalls für jeden etwas. Ob nun das Slime Fest, die Panels und Autogrammstunden, all die Artists und Stände, Cosplayer und Ecken, wo man die coolsten Fotos machen kann.

Mit den positiven Änderungen in der Organisation und dem geringeren Stressfaktor hat sich diese Convention definitiv als eines unserer Highlights 2018 entpuppt. Wir freuen uns nun auf die Spring Edition.

287 288 WERBUNG

289 MITARBEIT AM CORONA?

Gerne und jederzeit!

Sie schreiben gerne und gut? Bringen Ihre Gedanken zielsicher auf den kreativen Höhepunkt, neigen zu nächtlicher Selbstkasteiung, um fingernagelkauend und schlaftrunken die wichtigste Deadline überhaupt einhalten zu können? (Damit meinen wir unsere...)

Toll, wissen Sie was?

Auf Sie haben wir gewartet!

Das Corona Magazine ist ein Online-Projekt, das zu einer Zeit entstanden ist, als 14.4er Modems noch schnell schienen, 64 MB RAM noch wirklich viel waren und das Internet noch den Geist des kostenlosen Informationsaustauschs in sich trug. Zumindest letzteres haben wir aus unseren Anfangszeiten bis in die Gegenwart gerettet. Das Corona Magazine ist nicht-kommerziell. Wir verdienen vielleicht Geld, wir bekommen es aber nicht. Das gilt dann leider auch - und wie so oft - für unsere Autoren, Webmaster, Chefredakteure und das Lektorat.

290 Warum sollte dann irgendjemand auf die Idee kommen, bei uns mitzumachen?

Nun, abgesehen von einer gewissen Dosis Masochismus und der zumeist angeborenen Sehnsucht nach der großen oder kleinen Bühne, verbindet die Mitarbeiter des Corona-Projekts vor allem eines: Der Spaß an der Sache. Obwohl wir im ganzen deutschsprachigen Europa verteilt sind, sind unsere Treffen stets feuchtfröhlich, unsere Chats und Telefonate meist inspirierend (oder zumindest transpirierend) und die Diskussionen in unseren Mailinglisten sind, so denn das Gros der Redakteure mal aus dem Quark kommt, das reinste Paradebeispiel für den Aufbau eines gelungenen Networking. Denn egal in welche Stadt man kommt - ein Corona-Redakteur ist meist schon da.

Wer sind wir eigentlich genau?

Es gab Zeiten und Projekte, da waren wir ein äußerst kunterbunter Haufen. Inzwischen sind wir nur noch bunt. Unsere Redaktion setzt sich aus ehrenamtlich arbeitenden Journalisten, Redakteuren, Lektoren und einer Handvoll von Menschen zusammen, die genau so

291 was unheimlich gerne geworden wären, wenn die Medienbranche nicht so eine Knochenmühle wäre. Das bedeutet für jeden Interessierten, dass er oder sie immer eine Chance hat, dieser Ansammlung an Individuen beizutreten - wenn er mag und kann.

Eine Mail an [email protected] mit einem netten Betreff, wie z.B. »Hallo, da bin ich!« und einer kurzen Vorstellung der eigenen Person reicht da völlig.

Wir freuen uns auf Sie!

292 IMPRESSUM

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Das Corona Magazine wird herausgegeben von Verlag in Farbe und Bunt Gneisenaustraße 103 45472 Mülheim an der Ruhr

Herausgeber | Mike Hillenbrand

293 Chefredakteur | Björn Sülter

Redaktion dieser Ausgabe Uwe Anton, Reiner Krauss, Bettina Petrik, Thorsten Walch, Reinhard Prahl, Alexandra Trinley, Oliver Koch, Lieven L. Litaer, Birgit Schwenger, Sven Wedekin, Kai Melhorn, Armin Rößler, Rüdiger Schäfer, Anna Pyzalski, Sharine Jansen, C. R. Schmidt, Bernd Perplies

Lektorat | Bettina Petrik, Telma Vahey, Björn Sülter Layout, E-Book-Satz & Cover | Björn Sülter

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