Esslingen 1969, 555 Seiten
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Rezensionen Hellmut Diwald: Wallenstein. Eine Biographie. Bechtle Verlag, München, Esslingen 1969, 555 Seiten. Bereits im Einleitungskapitel, das stilistisch und gedanklich den Höhepunkt des Werkes vorwegnimmt, legt der Autor ein Bekenntnis zur subjektiven Geschichts- betrachtung ab: »In der Wahl zwischen Urteil einerseits und Suspension des Urteils zugunsten bloßer Fakten andererseits haben sie [die Historiker] sich für's Vor- urteil entschieden. Nidit zu Unrecht. Nicht zu Unrecht deshalb, weil Wissenschaft- lichkeit genauso zum Extrem auswuchern kann wie die Unwissenschaftlichkeit. Das eben lehrt der ,Fall* Wallenstein: Mit rein wissenschaftlichen Mitteln findet man keine sinnvollen Antworten auf die Hauptfragen« (S. 10). Halten wir ihm daher seine Vorurteile von vornherein zugute, audi manches andere, was in die gleiche Richtung weist. Allerdings hat er Grund, sich von der Faktenhistoriographie zu distanzieren, die Konkurrenz wäre gewaltig. Nächst Napoleon I. hat das Phäno- men Wallenstein die größte Zahl von Historikern zu Untersuchungen angeregt, und es sind illustre Namen darunter. Zum Trost für den weiterhin allein mit wissenschaftlichen Mitteln arbeitenden Historiker sei jedoch gesagt, es sind nicht exponierte neue Theorien, die das Buch lesenswert machen, es ist der flüssige, etwas extravagante Stil, der ihm seine Span- nung gibt. Diwald verzichtet auf Anmerkungen und bietet dafür eine lose an die Kapitel angelehnte Quellen- und Literaturzusammenstellung am Schluß des Ban- des; ebenso verzichtet er im Text weitgehend auf Beweisführungen. Er stellt auch nidit dar, er erzählt. Jedoch wäre es völlig verfehlt, den Flirt mit der Unwissen- schaftlichkeit wirklich ernst zu nehmen. Hinter der saloppen Sprache verbirgt sich ein ausgedehntes und intensives Aktenstudium. Diwald hat die Quellen durch- gearbeitet, die Literatur gelesen, er kennt seinen Wallenstein. Er hat über ihn ein Buch verfaßt, das zweifellos fasziniert und den Leser über lange Gedankenfolgen hinweg mitreißt, wobei die mehr gesprochene als geschriebene Spradie gelegentlich einmal der Syntax davon läuft (S. 215 oben). Ebenso kommt es vor, daß bestimmte Bilder, Ereignisse oder Charakteristiken ohne Übergang nebeneinander gestellt sind oder daß gar ein Kapitelabschnitt an der falschen Stelle sitzt (Ubergang vom VIII. zum IX. Kapitel, S. 195). Nun, die Endredaktion findet auch bei anderen Autoren oft nicht die Liebe, wie die Formulierung der Gedanken. Diese Formulierungen sind es, die dem Buch einerseits einen eigentümlichen Reiz geben, ihm andererseits leicht den Vorwurf mangelnder Seriosität eintragen kön- nen. Der flotte, feuilletonistische Stil mit seinen gewagten Metaphern und Bonmots spricht naturgemäß mehr an, als der gleichmäßige Fluß einer rein sachlichen Schil- derung, aber er verführt auch zum Spiel mit der Sprache. Nach der Schlacht bei Prag zerschneidet der Kaiser den Majestätsbrief für die böhmischen Stände und verhilft damit dem Autor zu der Bemerkung: »Mit dieser besonderen Note eines Kaiserschnitts kommt in Böhmen die Reformation zur Welt.« Der General Buquoy befolgt, ähnlich wie zu gleicher Zeit Mansfeld, einen Befehl des Kaisers nicht wört- lich und so heißt es, » .. jedenfalls war ihm [Buquoy] das Hemd Mansfelds näher als der kaiserliche Rode, er blieb in Südböhmen« (S. 127). Den kaiserlichen Rods mag zumindest der militärisch engagierte Leser noch akzeptieren, das Hemd Mans- felds wird auch er bei einigem Sprachgefühl mit Entschiedenheit ablehnen. Die Unbekümmertheit im Ausdruck und in der Wahl der Beispiele ruft zunächst wohl- wollendes Schmunzeln hervor, wie es für kleine Schwächen eines großen Wurfes durchaus am Platze ist, auch wenn sie nicht allein im sprachlichen, sondern auch 195 im historisch-fachlichen Bereich zu finden sind. Da steht zum Beispiel auf S. 383 ein Satz, der allen freiheitsbewußten Schweizern die Zornesröte ins Gesicht treiben müßte, wüßten sie um die näheren Umstände: »Die beiden Herzöge von Mecklen- burg ... sind bisher das gewesen, was die Schweizer mit unsicheren Kantonisten bezeichnen1.« Aber die großzügige Fabulierkunst, mit der hier historische Überlieferung präsen- tiert wird, hat nicht nur ihre amüsante Seite. Den 1627 offen zutage tretenden Antagonismus zwischen den Reichsfürsten, vor allem Maximilian von Bayern, und dem kaiserlichen General Wallenstein fängt Diwald in einem recht eindrucks- vollen Bild ein: »Der Bayernherzog darf mit der Hilfe aller deutschen Fürsten von Breisach bis Königsberg rechnen, wenn er versucht, diesen böhmischen Baum zu fällen, dessen Schatten jetzt auf jedem Territorium des Reiches liegt« (S. 396). Damit scheint der weite Bogen von der West- bis zur Ostgrenze geschlagen zu sein, jedoch Breisach war damals keine Grenzstadt, sondern lag noch weit innerhalb des Reichsgebietes, es war auch nicht fürstliche Residenz, sondern gehörte als ein- fache Landstadt zum österreichischen Besitz und damit dem Kaiser in Wien, der damals noch fest zu Wallenstein hielt. Königsberg dagegen, weit außerhalb der Reichsgrenzen im Herzogtum Preußen, stand seit 1466 unter polnischer Lehns- hoheit. Sein Landesherr war als Kurfürst von Brandenburg zwar zugleich deut- scher Reichsstand, die eigentliche Macht in Preußen lag jedoch in den Händen der Landstände, die zusammen mit der Krone Polen nur einen ernsthaften Feind sahen, den Schwedenkönig Gustav Adolf, und nur eine Hilfe gegen diese Bedro- hung - den General Wallenstein. Was also bleibt von dem schönen Bild mit dem überschattenden böhmischen Baum? Sicherlich ist für den heutigen Leser das Deutsche Reich in seinen Grenzen von 1937 leichter zu erfassen als die unüber- sichtliche staatliche Struktur von 1627, trotzdem sollte bei der Behandlung der politischen Verhältnisse des frühen 17. Jahrhunderts doch auch die politische Karte dieser Zeit zugrunde gelegt werden. Das alles mag nodi hingehen, nachdenklich stimmt es, wenn die Bedeutung Wallen- steins durch eine effektiv falsche Aussage verschoben werden soll. In seinem Schluß- kapitel verficht Diwald die Hypothese, daß Wallenstein, hätte er sich durchgesetzt, als einziger befähigt gewesen wäre, »eine intakte, kräftige Staatlichkeit des Reiches zu verwirklichen« und den Westfälischen Frieden in der 1649 beschlossenen Form zu verhindern, denn: »Man schloß diesen Frieden in einer Form, die dem Reich als Joch bis zu seinem Zusammenbruch auf dem Nacken lag.« Damit greift der Verfasser nun wirklich tief in die Mottenkiste der deutschen Geschichte. Der Generation unserer Väter werden wir es nicht verübeln, wenn sie unter dem Ein- druck des Versailler Vertrages zwischen 1919 und 1648 Analogien sehen wollte, die es nicht gab, dem heutigen Historiker sollte ein solcher Satz nicht mehr unter- laufen. Das Reich unter Ferdinand III. war kein Staat, dem ein Joch auf dem Nacken liegen konnte, und bei der Polarität von »Kaiser und Reich« ist der Friede von 1648 eher als ein Sieg des Reiches — das heißt der Reichsstände — anzusehen als eine bedrückende Belastung. Bis in die Napoleonischen Kriege hinein, also bis zur Annullierung - nidit Zusammenbruch — des alten Reiches, galt das Vertrags- werk von Münster und Osnabrück als das allgemein anerkannte und immer wieder gepriesene verfassungsrechtliche Fundament der deutschen Staatenwelt. Erst die 1 Der Ausdruck »unsichere Kantonisten« bezieht sich nicht auf Schweizer Bürger, die gegen den Kantönligeist opponieren, sondern ist der terminus tedinicus für preußische Bauernburschen, die im Rahmen der sogenannten preußischen Kantonsverfassung des 18. Jahrhunderts zum Militär- dienst verpflichtet waren, sich aber ihrer Dienstpflicht durdi häufigen Ortswechsel und ähnliche Tricks zu entziehen suchten. nationale Geschichtsschreibung diffamierte in ihrer romantisierenden Idealisierung des alten Reiches den Westfälischen Frieden und stempelte ihn zum Tiefpunkt der neueren deutschen Geschichte ab 2. Einmal aufmerksam und mißtrauisch geworden, stößt der Leser auf manche Pas- sage, die so ganz nebenbei erregende historische Aspekte verkündet, jedoch jeder Form eines Beleges ermangelt3. Nun sollen hier nicht all die großen und kleinen Ungereimtheiten säuberlich aufgezählt werden, denn erstens handelt es sidi mei- stens um Randbemerkungen, und zweitens sollten wir die Dinge nicht wichtiger nehmen als der Autor selbst. Ihm kommt es auf den publikumswirksamen Gag an, und wenn die gewöhnliche Geschichte dazu nidit ausreicht, dann hilft er gelegentlich ein wenig nach. Doch halten wir uns daran, daß ein großzügig geschrie- benes Buch auch großzügig gelesen werden muß. Vieles ist ja audi nicht nur amü- sant, sondern auch treffend gesagt. Dieses Rankenwerk von geistreichen Aperçus bis zum überraschend albernen Kalauer versucht, aus der Geschichte eine lesbare Story zu machen. Ist das wirklich als Nachteil anzusehen? Es fängt immerhin Leser ein für ein lesenswertes Buch. Aber dem historisch weniger Versierten sei eine Faustregel mitgegeben: je überzeugender die Bemerkungen in diesem Buch wirken, desto kritischer sollten sie bedacht werden. Mit dem Bemühen um die Gunst des Publikums gerät der Autor jedoch auf eine andere Weise in ein recht eigenartiges Dilemma. Er schreibt die Biographie eines großen Sohnes seiner böhmischen Heimat, der ein Feldherr und General war und also natürlicherweise mit Begriffen wie Militär, Krieg und Schlacht in Bezie- hung gesetzt werden muß - ein Sujet, das bei der akademischen Jugend als seinem eigentlichen Publikum nur unter bestimmten Voraussetzungen ankommen dürfte. Was also tun? Einmal stellt er den böhmischen Edelmann als einen Feldherrn heraus, der nicht allein