Symbole Ihrer Zeit Architektonische Relikte Des Tankstellenbaus Von Den Anfängen Bis in Die 1950Er Jahre in Baden-Württemberg
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Symbole ihrer Zeit Architektonische Relikte des Tankstellenbaus von den Anfängen bis in die 1950er Jahre in Baden-Württemberg In der aktuellen Diskussion über die zukünftigen Antriebstechniken des Autos und der damit verbundenen notwendigen Umstrukturierung und Neuausrich- tung von Tankstellen lohnt es sich, einen Blick zurück in die äußerst bewegte Historie dieser Bauaufgabe zu werfen. Ein Forschungsprojekt an der Fakultät für Architektur und Stadtplanung der Universität Stuttgart befasst sich gegen- wärtig mit der architektonischen Entwicklung der Tankstelle und ihren kon- struktiven Leistungen unter Betrachtung der sich dabei wandelnden Symbol- haftigkeit. Insbesondere die Zeitspanne zwischen Moderne, nationalsozialis - tischer Herrschaft und Nachkriegszeit offenbart aus architektonischer und konstruktiver Sicht Erstaunliches. Einige aus dieser Phase in Baden-Württem- berg erhalten gebliebene, jedoch von der Allgemeinheit kaum beachtete Tank- stellenbauten bekannter zeitgenössischer Architekten zeigen die hohe künstle- rische, technische und wissenschaftliche Bedeutung dieser mit dem Siegeszug des Automobils eng verbundenen Bauaufgabe. Franz Arlart Die Bedeutung der Tankstelle bis zur risierung des Automobils entstanden einzelne Massenmotorisierung in der Nachkriegs- Benzinbürgersteigsäulen, dezentral in den Städten zeit verteilt, und später auch die ersten Klein- und Großtankstellen mit mehreren Zapfsäulen. „Das Auto ist ein Gegenstand mit einfacher Funk- Insbesondere gilt das Dach im Tankstellenbau als tion (es soll fahren) und von vielfältiger Bestim- das charakteristische Gestaltungsmerkmal, wel- mung (Bequemlichkeit, Widerstandsfähigkeit, ches viele Architekten und Ingenieure vor neue Aussehen), das die Großindustrie vor die zwin- technische Herausforderungen stellte, aber auch gende Notwendigkeit gestellt hat, Standardlö- zu neuen ästhetischen Formfindungen führte. Die sungen zu finden. […] So ist zur bestehenden Stan- Überdachungskonstruktion wurde zum kühnen dardlösung das Streben nach Perfektion, nach ei- Designobjekt. In den 1920er bis 1930er und in den ner über den rohen praktischen Gesichtspunkt 1950er bis 1960er Jahren wurde eine besondere hinausgehenden Harmonie getreten, was nicht Leichtigkeit und Offenheit in Form von beinahe flie- nur Perfektion und Harmonie, sondern Schönheit gend anmutenden Dächern erzielt. Die Platzierung bewirkt hat. […] Dies adelt das Auto!“ und Gestaltung der Dachstützen, die trotzdem Diese Feststellungen Le Corbusiers aus dem Jahr eine gute Erreichbarkeit der Zapfsäulen gewähr- 1922 in „Vers une architecture“ gelten auch für leisten sollten, wurde somit zur entscheidenden Bauten, die unmittelbar mit dem Automobil in Ver- Aufgabenstellung für Architekten und Ingenieure. bindung stehen. Einen solchen Ort, dem architek- Neben typisierten Bauten, bei denen die verschie- tonisch eine besondere Bedeutung zukam und der denen Einzelmodule miteinander kombinierbar bisher wissenschaftlich kaum in seiner über das ver- waren und je nach Bedarf zu einem Gesamtbau ad- gangene Jahrhundert aufblühenden Gestaltungs- diert werden konnten, sind zahlreiche Werke nam- vielfalt untersucht worden ist, stellt die Tankstelle hafter Architekten und Ingenieure im Tankstellen- dar. bau bekannt. Hierzu zählen Peter Behrens, Hans Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man Poelzig, Arne Jacobsen, Mies van der Rohe, der Benzin und andere Treibstoffe vornehmlich in Apo- Bauhausabsolvent Karl Schneider oder auch be- theken erwerben. Erst mit der steigenden Popula- kannte Stuttgarter Architekten wie Paul Bonatz, Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2020 153 1 Reichsautobahn - tankstelle Stuttgart Süd, Nordseite von Carl August Bembé, 1938. Paul Schmitthenner, Wilhelm Tiedje, in den 1950er einem großzügig verglasten Kassenhaus und ei- und 1960er Jahren insbesondere Lothar Götz, Paul nem weit ausladenden dünnen Flugdach auf Stohrer, Werner Luz und viele weitere. schlanken Stützen liegen in den USA und wurden in Deutschland von den dem Ideengut des Bau- Symbol der Moderne hauses verpflichteten Architekten weiterentwi- ckelt. Zum Ende der Weimarer Republik entwi- Viele Vertreter der klassischen Moderne in den ckelte sich die Tankstelle somit zum avantgardisti- 1920er Jahren waren von Maschinen, ihrer Kon- sches Großstadtsymbol und Sinnbild für das „Neue struktion und der damit verbundenen Zweckform Bauen“. Nach der Machtergreifung der National- begeistert. Insbesondere die zur Fortbewegung sozialisten zeigte sich allgemein eine dogmatische entwickelten Maschinen, wie das Dampfschiff Abkehr von den Ideen der funktionalistischen Re- oder das sich immer mehr in der Gesellschaft ver- formbewegung des „Internationalen Stils“. Für breitende Automobil wurden zum Vorbild visio- zweckgebundene Industriebauten, zu denen auch närer und wegweisender Architekturen. Somit ver- die Tankstelle als notwendiges technisches Zube- wundert die große Bedeutung der Bauaufgabe hör zum Verkehr zählte, war es dennoch bis etwa Tankstelle für die progressiv denkenden Architek- in die Mitte der 1930er Jahre gestattet, nach den 2 Grundriss und Ansicht Reichsautobahntankstelle ten jener Zeit nicht. Für diesen gänzlich neuen, in Prinzipien der Moderne zu bauen. Dies bezieht sich Stuttgart Süd (Nordseite) Form und Konstruktion geschichtlich nicht vorge- folglich auch auf die frühen Reichsautobahntank- von Carl August Bembé, prägten Bautypus galt es eine adäquate Identität stellen. 1938. zu finden. Die Ursprünge der Großtankstelle mit Carl August Bembé, Architekt und Assistent am Lehrstuhl von Paul Bonatz, entwarf 1936 einen Tankstellen-Typenbau für die damals noch junge Reichsautobahn, der vornehmlich an der Strecke Bruchsal-Frankfurt gebaut wurde. Dieser serielle Entwurf wurde in etwas abgewandelter Form auch an der Anschlussstelle Stuttgart Süd, der heutigen Ausfahrt Plieningen, errichtet (Abb. 1, 2). Wie in der Anfangszeit üblich, stand die Tankstelle im Dreieck zwischen Auf- und Abfahrtspur. Die Ge- staltung der modernen, in Stahlbau errichteten Tankstation mit einem halbrund vorschwingenden, bandartig verglasten Tankwarthaus und einer fili- granen, flügelförmig auskragenden Überdachung auf dünnen Stützen, die zwei Tankinseln schützt, zeigt dabei deutlich Anlehnung an die städtische Großtankstelle der 1920er Jahre. Gemäß den Prin- zipien des Neuen Bauens wurde hier mit den da- mals modernsten Bautechniken und -materialen ein zukunftsweisender Bau geschaffen, der dem Stellenwert des Automobils formal gerecht wer- den sollte. In den 1960er Jahren wurde die Tank- stelle im Zuge der Umgestaltung der Anschluss- stelle abgerissen. 154 Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2020 3 Reichsautobahntank- stelle Mannheim-Secken- heim von Paul Schmitt- henner, 1938. Im Fokus nationalsozialistischer sen zeigt beispielhaft die durch das NS-Regime pro- Propaganda pagierte Gestaltung. Das Gebäude zählt zu den letzten erhaltenen Zeugnissen des Tankstellenbaus Mit der zunehmenden Ideologisierung der Reichs- jener Zeit in Baden-Württemberg. 2008 wurden 4 Grundriss und Schnitt autobahnen als vermeintliche „Straßen des Füh- die Bauten als Kulturdenkmal in die Denkmalliste Reichsautobahntankstelle rers“ veränderte sich der formal-ästhetische Aus- aufgenommen und werden gegenwärtig von der Mannheim-Seckenheim druck der Benzin-Versorgungseinrichtungen ab Autobahnmeisterei und einem Baustoffhandel ge- von Paul Schmitthenner, 1937/38 eklatant. Tankstellen waren fortan als nutzt. 1938. „Deutsche Kulturbauten“ der nationalsozialisti- schen Propaganda des Heimatschutzstils unter- worfen. Eine große und klare Formensprache un- ter Verwendung von heimisch-handwerklichen Materialien, wie Back- und Haustein oder Holz sollte zu einer harmonischen Eingliederung der Bauten in die Landschaft führen. Die für diese Zeit charakteristischen, schwerlastenden, oftmals auf Mauerwerkspfeilern abgestützten, geneigten Dä- cher mit Holzdachstühlen resultierten nicht zuletzt auch aus einer Knappheit in der Stahlversorgung. Insbesondere die Architekten der Stuttgarter Schule, die in engem Kontakt zum Generalin- spektor für das Straßenwesen Fritz Todt standen, waren maßgeblich an diesem Stilwechsel im Tank- stellenbau beteiligt. Die sich torartig gegenüberstehenden Reichsauto- bahntankstellen bei der Anschlussstelle Mann- heim-Seckenheim, entworfen 1938 von Paul Schmitthenner, zählen zu den ersten im Heimat- schutzstil errichteten Tankstationen in Süd- deutschland (Abb. 3–5). Das weit hervorragende satteldachförmige Schutzdach des langgestreck- ten eingeschossigen Massivbaus, das durch ein Ge- rippe von Unterzügen und sechs daran anschlie- ßenden Stützen getragen wird, überdeckt zwei Tankinseln. Das aus Beton gefertigte Skelettsystem zeigt dabei deutlich formale Brüche zur konstruk- tiven Logik der traditionellen, dem Massivbau ent- nommenen Gebäudeform. Auffällig sind ebenso die historisch anmutenden Mauerwerkseisenanker in den Giebelseiten, die der Verankerung des höl- zernen Dachstuhls dienen. Die insgesamt zu er- kennende Gestaltung mit regionalen Materialien und vermeintlich traditionellen Konstruktionswei- Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2020 155 5 Heutiger Zustand der Deutliche formale und konstruktive Parallelen der die weite Dachausladung über die Zapfinseln ehemaligen Reichsauto- zeigt ein 1940 von Paul Bonatz entwickelter Re- mittels hoher Eisenbetonträger überwindet, bildet bahntankstelle Mann- gelentwurf für die Gestaltung von zukünftigen die Tank- und Raststätte. Ob oder an welchen heim-Seckenheim von Reichsautobahntankstellen (Abb. 6; 7). Ein qua- Standorten dieser