Eine Frage Des Führens Nach Dem Wahlerfolg in Baden-Württemberg Spürt Die Ökopartei Die Last Der Regierungs - Verantwortung
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
GRÜNE Eine Frage des Führens Nach dem Wahlerfolg in Baden-Württemberg spürt die Ökopartei die Last der Regierungs - verantwortung. Während Spitzenkandidat Kretschmann die ersten Kompromisse schließt, bahnt sich ein neuer Richtungsstreit an: Bleiben die Grünen links, oder drängen sie in die Mitte? JOACHIM E. ROETTGERS / GRAFFITI Wahlsieger Kretschmann: „Erst das Land, dann die Partei“ enn Winfried Kretschmann die er sich zum ersten grünen Ministerpräsi - auch eine Regierung führen? Und vor al - Richtung bestimmt, gibt er sich denten wählen lassen, eine Premiere mit lem: Können sie verantwortlich führen? Wgern sanft. Ganz sanft. Er grüße republikweiter Wirkung. Plötzlich ist Die Partei steht vor einer Bewährungs - „recht herzlich aus dem Ländle“, rief er denkbar, dass die einstige Nischenbewe - probe. Seit die Folgen der Atomkatastro - vergangenes Wochenende per Videobot - gung nicht nur in Baden-Württemberg, phe von Fukushima sie aus dem Ghetto der schaft dem grünen Landesparteitag in sondern auch im Bund zur führenden 15-Prozent-Partei gehoben haben, müssen Berlin zu – und erteilte den Parteifreun - poli tischen Kraft aufrücken und als größte die Grünen beweisen, dass sie mehr beherr - den einen klaren Auftrag. Regierungspartei sogar den Kanzler stel - schen als Energiewende, Frauenförderung Die nächste Etappe des grünen Sieges - len könnte. Neuerdings sehen Meinungs - und Atomausstieg. Bislang pflegten sie ihr zugs müsse Berlin werden, am besten mit umfragen die Grünen bundesweit vor den Image als Milieupartei, nun lautet die Auf - Fraktionschefin Renate Künast als nächs - Sozialdemokraten. gabe, Politik für das ganze Volk zu machen. ter Regierender Bürgermeisterin. „Wir ha - Der Sieg in Baden-Württemberg ist für Was das heißt, wissen Sozial- wie ben vorgelegt, jetzt seid ihr dran“, rief die Grünen eine gewaltige Zäsur, mindes - Christdemokraten seit Jahrzehnten. Statt Kretschmann. Er wünsche sich, „dass Re - tens so groß wie jene von 1985, als ein Parteitagsgewissheiten sind pragmatische nate und ich grünen Dampf in die Repu - hessischer Landtagsabgeordneter mit Na - Beschlüsse gefragt, der Mut zu unpopu - blik bringen“. men Fischer den Amtseid als erster grüner lären Entscheidungen und die Bereit - Kretschmann ist das freundliche Ge - Minister ablegte. Damals fragte man sich: schaft, die eigene Führung auch in kriti - sicht des grünen Größenwahns. 24,2 Pro - Können die Grünen mitregieren? Jetzt, schen Zeiten zu unterstützen. Es geht um zent hat er für seine Partei in Baden-Würt - da mit Kretschmann erstmals ein Grüner die Frage, ob die Grünen 31 Jahre nach temberg geholt, den größten Sieg in der die Geschicke eines Bundeslands lenken ihrer Gründung erwachsen geworden Parteigeschichte. In wenigen Wochen will soll, lautet die Frage: Können die Grünen sind. 18 ( )'" # 16/2011 Deutschland Welche Zwänge es mit sich bringt, als Trittins scharfer Vortrag traf den Nerv verlieren.“ Gesine Agena, 23, die Spre - stärkste Kraft zu regieren, wird die Partei seiner linken Kollegen. Die fürchten schon cherin der Grünen Jugend, klagt: „Es schon bald in Stuttgart spüren. Bereits jetzt lange, dass die Parteirechten die Grünen kann nicht sein, dass die Grünen nur noch regt sich innerparteilicher Widerstand. zu einer FDP mit Fahrrad umbauen woll - fordern dürfen, was andere für seriös hal - Der linke Flügel fürchtet, dass die Grünen ten: einer liberalen Mittelstandspartei mit ten.“ Und Parteiratsmitglied Max Löffler, zu einer ganz normalen Partei in der bür - ökologischem Anstrich. „Die Realos, so 23, meint: „Es ist die Abgrenzung zur gerlichen Mitte werden könnten. Die Eu - war das Gefühl, wollen die Partei nach Union, die uns stark macht. Ein Schwarz- phorie des Sieges ist kaum verklungen, rechts öffnen und das linke Lager verlas - Grün-Kurs wäre strategisches Harakiri.“ da bahnt sich bereits ein Richtungsstreit sen“, berichtet ein Teilnehmer. „Dass wir Bei den Vertretern des Realo-Flügels an, ganz nach traditionellem Frontverlauf. dank Kretschmann das entscheidende Pro - triumphiert dagegen die Selbstzufrieden - Die Realos reklamieren Kretschmanns zent mehr bekommen haben“, meint der heit. Der Sieg des Konservativen Kretsch - Erfolg für sich. Sie wollen die Grünen zur Bundestagsabgeordnete Frithjof Schmidt, mann gilt den Parteirechten als Beleg, Volkspartei ausbauen, sie programmatisch „ist ein historischer Sonderfall.“ dass man mit linken Sprüchen allenfalls erweitern, um möglichst viele bürgerliche Nun will der Trittin-Flügel auch öffent - noch die eigene Basis bezirzen kann – Wähler zu gewinnen. Sie träumen von lich in die Offensive gehen. Die drei jun - Siege dagegen könne nur feiern, wer die weiteren Chefsesseln, egal, mit welchem gen Linken Stephan Schilling, Agnes bürgerliche Mitte anspreche. Partner, gern auch mit der CDU. Für sie sind die Grünen die neue Mitte. Die Linken in der Partei sehen den Kretschmann-Rummel hingegen eher als Gefahr denn als Chance. Sie wollen ver - hindern, dass die Partei traditionelle In - halte opfert, um noch mehr Wähler in wohlhabenden Vororten zu gewinnen. Sie träumen ebenfalls davon, führende Kraft zu sein – aber nur im linken Lager. Sie wollen jenen eine Heimat bieten, die von SPD und der Partei Die Linke ent - täuscht sind. Sie finden, dass 20-Prozent- Ergebnisse eher verdächtig sind. In der Koa - litionsfrage stehen sie treu zu Rot-Grün. Bisher wurde dieser Streit nicht offen ausgetragen. Doch während die Realos sich noch in Kretschmanns Erfolg sonnen, planen ihre Widersacher bereits den Ge - genschlag. Am vorigen Sonntag versammelten sich rund 40 Linke in einem schmuck - S S E losen Konferenzraum des NH Hotels in R P E Berlin-Mitte. Die Stimmung war gereizt. R U T C I Am selben Tag hatten sie ein bemerkens - P / N wertes Interview des neuen Parteihelden R E T S Kretschmann gelesen – ausgerechnet in / Z N der konservativen „Welt am Sonntag“. I H R Darin lästerte er über „diese linken An - E K L O wandlungen“ in seiner Partei, die „dem V ökologischen Gedanken fremd sind“. Ihm Fraktionschefs Trittin, Künast: „Eine wabernde Schwarz-Grün-Debatte schadet uns“ sei, so Kretschmann, seit Anbeginn der Partei klar gewesen: „Linke Ideen konn - Malczak und Arvid Bell haben ein 19-sei - „Wer den Regierungschef in einem ten die Grünen nicht tragen.“ Die Runde tiges Papier verfasst. Es kommt wie eine Land stellen will, muss ein Angebot für im Hotel wertete dies als Kampfansage. Wahlanalyse daher, mit vielen Grafiken viele machen“, sagt der hessische Frak - Entsprechend angriffslustig eröffnete und Tabellen, in Wahrheit ist es eine tionschef Tarek Al-Wazir. Der Bundes - Fraktionschef Jürgen Trittin das Treffen. Streitschrift gegen die Partei-Rechte. „Die tagsabgeordnete Omid Nouripour findet: Anders als von den Realos behauptet, sei Grünen waren in Baden-Württemberg „Die Frage, ob wir eine radikale Klein - der Sieg im Ländle das Ergebnis einer keine ,Wischi-Waschi-Partei ‘, sondern der partei oder eine breit aufgestellte größere „klaren Polarisierung“ und einer „rot-grü - Gegenspieler zur Union in zentralen ge - Partei sind, hat der Wähler entschieden.“ nen Zuspitzung“, sagte er: „Er entstand sellschaftlichen Polarisierungsthemen“, Parteichef Cem Özdemir sieht das ähn - eben nicht durch ein Herankuscheln an heißt es dort. So sei es „erstmals gelun - lich. „Ob die Grünen lieber klein, aber die politische Rechte.“ gen, bei einer Wahl unseren Anspruch, fein sein wollen, diese Frage hat sich Die Grünen müssten nach Baden-Würt - führende Kraft links der Mitte zu sein, beantwortet“, sagt er. Nun kündigt Öz - temberg „eher bald als später“ klar - nicht nur inhaltlich und diskursiv, son - demir auch inhaltliche Änderungen an. machen, dass es auch bei der Bundes - dern auch quantitativ einzulösen“. Er will politische Werte aus anderen Par - tagswahl 2013 für sie nur ein Ziel gebe: Gerade viel junge Grüne fürchten die - teitraditionen wie „Leistungsbereitschaft, Rot-Grün. „Eine wabernde Schwarz- ser Tage ein Abdriften ihrer Partei ins un - Fortschritt oder Solidarität“ grün de - Grün-Debatte schadet uns dreifach“, sag - gefähre Reich der Mitte. Die Bundestags - klinieren: „Wir werden die Chance auch te er. Sie verunsichere „wichtige Teile abgeordnete Agnes Malczak, 26, warnt: zur programmatischen Tiefenarbeit nut - unserer Anhänger“, befreie die Union „Wenn die Grünen versuchen, in der Mit - zen.“ aus der Isolation und „saniert die SPD te mehr Wähler zu sammeln, riskieren Die Realos glauben ans Wachstum, vor wie in Hamburg zum Nulltarif“. sie, auf der linken Seite noch mehr zu allem an das eigene, und so brauchen sie ( )'" # 16/2011 19 Deutschland Aufsichtsratsposten in den knapp 60 lan - deseigenen Gesellschaften an – bis hin zum Vorstandsjob der Staatsbrauerei Das Luxusproblem Rothaus, wo derzeit noch Thomas Schäuble, ehemaliger CDU-Landes - Nach ihren Wahlerfolgen suchen die Grünen jetzt dringend innenminister und Bruder des Bundes - nach erfahrenem Personal. finanzministers, für die Herstellung des landeseigenen Bieres „Tannenzäpfle“ er Anrufer aus Rheinland-Pfalz folgen in Baden-Württemberg, Rhein - zuständig ist. hatte es ziemlich eilig, und er land-Pfalz und bei den Kommunalwah - Etliche der neuen Posten hoffen die Dlandete bei der Grünen Jugend len in Hessen können die Grünen im Grünen aus den eigenen Reihen beset - Hessen. Benjamin Weiß, 25, Student der Südwesten ihren Anhängern bald deut - zen zu können. Immerhin regiere man Politikwissenschaft und Landesvorsit - lich attraktivere Angebote machen. In in Städten wie Konstanz, Tübingen oder zender der grünen Nachwuchstruppe, Regierungen, Ministerien, Stadt-