Granada-Tagebuch
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Seite 1 Aristrokratische Melancholie Auf Spurensuche in Granada von Peter Hilgard Peter Hilgard Beethovenstr. 40 60325 Frankfurt/M. Tel.: 069-752816 Fax: 069-752816 E-mail: [email protected] "Granada riecht nach Geheimnis, nach etwas, das nicht sein darf und doch ist. Das nicht existiert, doch beeinflusst. Oder etwas das beeinflußt, gerade weil es nicht existiert. Das seine Materie verliert und sein Aroma vervielfacht behält, das sich in die Enge getrieben sieht und versucht, sich allem, was es umkreist und an seiner Auflösung mitzuwirken droht, aufzupfropfen." (Federico García Lorca) Seite 2 Einleitung Morgen am frühen Nachmittag geht mein Flugzeug zurück nach Deutschland. Ein paar Stunden später werde ich dann in meiner Lieblingskneipe sitzen, stumm ein Bier trinken und das, was heute noch pralle Gegenwart ist, wird beginnen sich aus dem Bewusstsein herauszudrängen. Um dem entgegenzuwirken, werde ich all die vielen Aufzeichnungen, Zeitungsausschnitte und Notizen sichten um aus ihnen die Erinnerungen an eine Stadt zu ergänzen, in der ich ein ganzes, glückliches Jahr verbracht habe. Eine leidenschaftliche Liebesgeschichte muss es werden! Aber noch bin ich in Granada, sitze unter den Touristen und Einheimischen am „Paseo de los Tristes”, genieße einen kühlen Manzanilla-Sherry und blicke hinauf zur gewaltigen Silhuette der Alhambra, die sich heute Abend grau und unheimlich vom bewölkten Abendhimmel abhebt. Meine Gedanken sind ungeordnet und assozieren immer wieder verschiedene Strassen und Plätze dieser Stadt mit meiner Abschiedswehmut. Hier gibt es vermutlich kaum ein Fleckchen Erde oder ein etwas älteres Stück Mauerwerk, das nicht schon irgentwann einmal beschrieben und interpretiert wurde. Granada ist voll von Geschichten und Legenden, guten wie bösen. Ich kenne sie nicht alle, ebensowenig wie ich alle Baudenkmäler und Kunstschätze besucht habe. Mit Hören und Sehen alleine bin ich Granada nicht auf die Spur gekommen. Die Stadt wollte empfunden sein und ihr Geist geatmet werden. Ihre Seele spiegelt sich in den Gassen, auf den Plätzen und in den Gesichtern der Menschen. Der romantisierenden Betrachtungsweise, die das Bild von Granada gelegentlich sehr verzerrt hat, versuchten kritische Reisende immer wieder die historischen Ungeheuerlichkeiten, die hier stattfanden, entgegenzusetzen um dem süßlichen Kitsch des landläufigen Granada-Bildes zu begegnen. Dabei erinnerten sie an die Pogrome gegen Juden und Mauren und an die "Mazmorras", jene Verließe in denen die Christensklaven dahinvegetierten. Vertragsbrüche, Aufstände und Bücherverbrennungen gehören zur Vergangenheit Granadas, denn auch hier waren die Kontrahenten in der Auseinandersetzung um das Primat des Stärkeren niemals zimperlich. Was Humbert Fink einmal geschrieben hat, trifft einen wahren Kern: Bei der Betrachtung von Granadas historischen Sehenswürdigkeiten muss man ab und zu den Seite 3 "offiziellen Schutt" aus dem Wege räumen um zu der Wahrheit geschichtlicher Zusammenhänge zu gelangen. Die Analyse von José Ortega y Gasset trifft auf diese Stadt ganz besonders zu: „Die Vergangenheit lieben heißt begrüßen, dass sie tatsächlich vergangen ist, dass die Dinge ihre Augen, Ohren und Hände verletzende raue Unmittelbarkeit verloren und sich zu jenem reineren und echteren Leben emporgeläutert haben, das ihnen in der Erinnerung beschieden ist.” Läuterung in Ortegas Sinne ist nicht zu verwechseln mit dem verbergen der Wahrheit. „Die Welt ist eine Bühne. Doch das Stück ist schlecht besetzt.” Dieses Epigramm Oscar Wildes hat gerade an diesem Ort seine Berechtigung. Die Stadt ist eine wahrhaft grandiose Bühne, aber die Stücke, die hier im Laufe der Jahrhunderte aufgeführt wurden, litten allzu oft unter ihrer groben Fehlbesetzung. Ich mache keinen Hehl daraus, dass mich von Anbeginn meiner Bekanntschaft mit dieser Stadt die arabisch-jüdische Seite ihrer Kulturgeschichte mehr interessiert hat als die christliche. Dies hat meine Sichtweise bei den Stadtrundgängen sicherlich einseitig geprägt. Ausserdem, die sehr subjektive Art und Weise wie Federico García Lorca seine Heimatstadt gesehen und interpretiert hat ist für mich beinahe zu einem Maßstab, auf jeden Fall aber zu einem Vorbild, geworden. Erst gegen Ende meines Aufenthaltes habe ich die großartige Kathedrale mit ihrer Königskapelle für mich ergründet. Dies sind zwei der bewegendsten Bauwerke des christlichen Spanien und - nachdem sie ihre „raue Unmittelbarkeit verloren haben” - faszinierende Dokumente der historischen Kontinuität in dieser Stadt. Der Titel, den ich meinen Aufzeichnungen gegeben habe, stammt von Lorca . Die Stimme Granadas ist „voll unsäglicher aristrokratischer Melancholie” und um „sie zu hören, muss man in die kleinen Nischen, Winkel und Ecken der Stadt gehen” schrieb er einst. So habe ich die Stadt erlebt. 3. Mai Kaum in meiner neuen, kleinen Behausung angekommen drängte es mich hinaus in die Stadt, und mein erster Spaziergang in Granada führte mich gestern Abend hinauf auf den Albaicín. Auf dem Mirador de San Nicolás beobachtete ich den Sonnenuntergang. Die Häuser unten in der Stadt leuchteten im Schein der rotgoldenen Sonne auf, um dann Seite 4 langsam in der Dämmerung ihre Konturen zu verlieren. Es schien mir, als offenbare sich gleich zur Begrüßung für kurze, schnell vergängliche Momente die Seele der Stadt. Als die Sonne über der fruchtbaren, bewässerten Ebene im Westen Granadas, der Vega, unterging gab es ein Spiel des Lichtes und der Farben, dessen Zauber mich in Bann hielt. Heute früh erwachte die Sonne wieder und bei ihrem ersten Strahl, der über die Sierra streifte erglühte das Grün der Zypressen und Palmen inmitten der weißen Häuser des Albaicín-Hügels, auf den ich von meinem Zimmer aus blickte. "...Die Stadt des Schnees zwischen tropischem Gewächs verleiht allen Dingen den Widerschein eines Lichts, das in Tausende von Reflexen, Nebelschleier sprühenden Wassers und aufgelöste Sonne zerlegt ist. Granada, kleine Dimensionen von allem. Auflösung der Atmosphäre in kleine, endlose, feuchtschimmernde Flächen, regenbogenfarbener Diamant. Und zu jeder Stunde gibt es einen neuen Eindruck. In jedem Augenblick ändert sich mit dem Licht der Geist: am Mittag, in der Dämmerung, mit dem Schnee, mit und ohne Sonne." So poetisch beschrieb einst Gil Benumeya , ein Zeitgenosse Garcia Loracs , das Licht Granadas und drückte damit in kunstvollen Worten das aus, was unzählige Besucher vor und und nach ihm ebenfalls begeisterte. Schon lange vor meiner Reise hatte ich den Klassiker der Spanien-Reiseliteratur von Cees Nooteboom gelesen. In „Der Umweg nach Santiago” schildert er seinen Eindruck vom Licht auf der Alhambra: „Die rötlichen Mauern der Alcazaba, deren Tönung sich von Stunde zu Stunde verändert, die geordneten Gärten rings um mich, der angefressene Backstein der Festungsmauern, der bei bestimmtem Sonnenlicht zu bluten scheint...” Als Boabdil, der letzte maurische Herrscher auf der Alhambra seine Burg als geschlagener König verlassen musste um ins ungewisse Exil zu gehen, mag er beim Rückblick auf die geliebte Stadt tatsächlich wie Washington Irving empfunden haben: "Die scheidende Sonne goß wie alle Tage einen wehmütigen Glanz über die rötlichen Türme der Alhambra. Ich konnte noch schwach das Erkerfenster am Turm des Comares erkennen, wo ich in so vielen schönen Träumen geschwelgt hatte. Die buschigen Gehölze und die Gärten am Rande der Stadt waren reich übergoldet vom Sonnenschein, der purpurne Dunst eines Sommerabends lag über der Vega. All dies bot sich meinem starren Abschiedsblick noch einmal dar, voll Schönheit, aber auch voll Zartheit und Trauer. Ich will von diesem Bild rasch wegeilen, dachte ich, bevor die Sonne versinkt. Ich will von all diesem eine Erinnerung mitnehmen, die es in seiner ganzen Schönheit umschliesst." Seite 5 Aber nicht nur Irving war vom Sonnenuntergang in Granada fasziniert auch Thèophile Gautier , der sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Paris mit literarischen Skandalen einen Namen gemacht hatte beschrieb ihn enthusiastisch: "Einen Anblick, von dem Menschen aus dem Norden sich keine Vorstellung machen können, bietet die Alameda von Granada bei Sonnenuntergang: die Sierra Nevada, deren gezackter Kamm die Stadt auf einer Seite abriegelt, nimmt unfaßbare Töne an. Alle vom Licht getroffenen Hänge und Gipfel werden rosa, aber von einem blendenden, vollkommenen, märchenhaften, silbrigen, mit Regenbogen- und Opalreflexen durchsetzten Rosa, das die reinsten Farben der Palette schmutzig erscheinen lassen würde; es sind Perlmuttöne, Transparenzen von Rubinen, Achat- und Aventurinadern, welche den gesamten feenhaften Schmuck von Tausendundeine Nacht überbieten. Die Mulden, die Spalten, die Schattenlagen, eben alle von den Strahlen der untergehenden Sonne nicht erreichten Stellen sind von einem Blau, das sich mit dem Azur des Himmels und des Meeres, des Lapislazuli und des Saphirs messen kann. Dieser Farbkontrast zwischen Licht und Schatten hat eine wunderbare Wirkung: das Gebirge scheint ein unermeßliches Kleid aus gerippter, schillernder Seide mit silbernem Flitterbesatz angelegt zu haben. Nach und nach verblassen die prächtigen Farben und verschmelzen zu violetten Halbtönen; der Schatten kriecht die niederen Hänge hinan, das Licht zieht sich zurück auf die hohen Gipfel, und die ganze Ebene ist seit langem in Dunkelheit getaucht, während das silberne Diadem der Sierra noch immer im heiteren Himmel unter dem Abschiedskuss der Sonne funkelt." Gauthiers Beschreibung des Ablaufes der Dämmerung an der Alameda, oder des Paseo de Salón wie er heute heißt, ist ein kleines