HN 862 Vorwort.Fm
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V Vorwort den Balladen op. 10 und von Edward Werke Chopins ist eine Korrekturlesung Grieg in der Ballade g-moll op. 24. von Seiten des Komponisten auszu- schließen. Breitkopf & Härtel sicherten sich „Das Wort ‚Ballade‘ trug wohl zuerst Ballade Nr. 1 g-moll op. 23 über ihren Pariser Vertreter Heinrich Chopin in die Musik über“, schreibt Ro- Die Entstehungsgeschichte der g-moll- Albert Probst die Rechte an Op. 23 für bert Schumann am 25. Oktober 1842 in Ballade ist kaum dokumentiert, das er- Deutschland. Im Vertrag heißt es dazu: der Neuen Zeitschrift für Musik (Jg. 34, haltene Autograph undatiert. Ein Ver- „Der Unterzeichnende, Fréd. Chopin, Bd. 17, S. 142). Für ihn und seine Zeit- trag über die geplante Drucklegung bei […] erklärt, das Eigentum und die Pu- genossen war die „Ballade“ in der ersten den Leipziger Verlegern Breitkopf & blikationsrechte für Deutschland […] Hälfte des 19. Jahrhunderts in erster Härtel stammt vom 9. Januar 1836 (sie- an Breitkopf & Härtel mit einem Manu- Linie ein literarischer Gattungsbegriff. he Jeffrey Kallberg, Chopin in the Mar- skript meiner Komposition mit dem Ti- Man verstand darunter zunächst die ketplace: Aspects of the International tel Ballade pour le Piano seul Op. 23 „Volksballade“, ein strophisch aufge- Music Publishing Industry in the First verkauft und veräußert zu haben“ bautes Gedicht, das auf vergleichsweise Half of the Nineteenth Century, in: (Kallberg, Chopin in the Marketplace, kleinem Raum eine dramatische, oft Notes 39/3, 1983, S. 821). Das Werk S. 821, Original Französisch, Deutsch auch dämonisch-mystische Begebenheit wird demnach 1835 entstanden sein. vom Herausgeber). Es bleibt jedoch un- schildert. Die Volksballade war um Dieser Vertrag erlaubt außerdem Rück- klar, ob Chopin tatsächlich eine Hand- 1800 in der europäischen Literatur wie- schlüsse auf den Verkauf der Verlags- schrift nach Leipzig schickte. In einem derentdeckt worden. Insbesondere der rechte für Frankreich an Maurice Schle- Brief Breitkopf & Härtels vom 1. Febru- Kreis der Romantiker griff sie begeistert singer und für England an Wessel & Co. ar 1878 an Chopins Schwester Izabela, auf und übertrug sie in die Kunstdich- Demnach veräußerte Chopin Schlesin- der sämtliche Handschriften auflistet, tung. Man kann davon ausgehen, dass ger die Rechte für Frankreich und Eng- die sich zu diesem Zeitpunkt im Archiv Chopin sowohl mit Volksballaden als land; Schlesinger wiederum verkaufte des Verlages befanden, erscheint auch auch Kunstballaden vertraut war. Si- die englischen Rechte an Wessel und ein Eintrag zur Ballade op. 23. 1936 cherlich kannte er die Balladen seines war somit gleichfalls für die Organisa- verkaufte Breitkopf & Härtel die Cho- Landsmannes Adam Mickiewicz (1798– tion der Drucklegung in London verant- pin-Manuskripte dem polnischen Staat. 1855), der in den politischen Wirren Po- wortlich. Diese Sammlung ist heute in die Natio- lens nach Paris emigriert war und dort Wie Stechereintragungen sowie Ver- nalbibliothek Warschau eingegliedert – zum Bekanntenkreis des Komponisten merke auf dem Titelblatt des erhaltenen ein Manuskript der g-moll-Ballade fin- gehörte. Schumann berichtet, dass Cho- Autographs belegen, wurde die französi- det sich hier allerdings nicht (siehe Kry- pin „zu seinen Balladen durch einige sche Erstausgabe nach dem Manuskript styna Kobylapska, Frédéric Chopin, Gedichte von Adam Mickiewicz ange- gestochen. Sie erschien im Juli 1836, Thematisch-Bibliographisches Werkver- regt worden sei“ (Gesammelte Schriften und nur einen Monat später folgte eine zeichnis, München 1979, S. XIII). Dies über Musik und Musiker, hrsg. von zweite, korrigierte Auflage. Der frühe legt den Schluss nahe, dass die hand- Martin Kreisig, 5. Aufl., Leipzig 1914, Nachdruck lässt sich wohl mit den in schriftliche Stichvorlage beim Verlag Bd. 2, S. 32). Es ist jedoch keine Aussa- dieser Zeit üblichen niedrigen Auflagen- Breitkopf & Härtel verloren ging. Der ge Chopins überliefert, die auf einen höhen erklären. Fahnenkorrekturen Notentext der deutschen Ausgabe lässt Versuch hindeuten könnte, den poeti- Chopins sind zwar nicht dokumentiert, jedoch vermuten, dass er nach Fahnen schen Gehalt der Balladen Mickiewiczs doch legt die Art der textlichen Eingriffe der ersten Auflage der französischen auf seine Klavierkompositionen zu in beiden Auflagen nahe, dass der Kom- Erstausgabe gestochen wurde: Nicht nur übertragen. ponist am Korrekturprozess beteiligt der Zeilen- und Seitenfall sind bis auf Chopin ließ sich vermutlich eher von war. zwei Ausnahmen identisch, auch die der Atmosphäre und dem erzählenden Die Verständigung mit dem Verleger Lesarten stimmen weitgehend überein. Gestus der ihm bekannten literarischen Wessel über die englische Drucklegung Zwei in den Bemerkungen aufgelistete, Balladen leiten, als er in der Mitte der war, wie erwähnt, ebenso Aufgabe des deutlichere Abweichungen könnten auf 1830er Jahre sein Op. 23 mit Ballade Hauses Schlesinger. Gemeinsame Stich- den Eingriff eines Verlagslektors zu- überschrieb und damit den Begriff zum fehler belegen, dass Schlesinger Wessel rückzuführen sein (siehe Bemerkungen ersten Mal auf ein Werk für Soloklavier für die Herstellung der Ausgabe Fahnen zur Tempoangabe sowie zu T. 7). Mögli- anwandte. Er etablierte so die Klavier- der ersten Auflage der französischen cherweise erhielt Breitkopf demnach ballade als ein neues musikalisches Erstausgabe überließ. Schon am 30. Mai statt eines Manuskriptes Fahnen als Genre, das in seiner Nachfolge immer 1836 wurde der englische Druck in Sta- Stichvorlage. Wahrscheinlicher ist aber, wieder aufgegriffen wurde, etwa von tioners’ Hall registriert, er erschien je- dass der Verlag sowohl eine Handschrift Franz Liszt in seinen Balladen Des-dur doch erst im August 1836. Wie bei allen als auch Fahnen zugesandt bekam: das und h-moll, von Johannes Brahms in englischen und deutschen Ausgaben der Manuskript als Stichvorlage, die Fahnen VI als Einteilungshilfe für den Notenste- worden waren, beweist ein Brief an Scherzo [op. 39], eine Ballade [op. 38], cher. Dieses Szenario ist zumindest für Heinrich Albert Probst, den Pariser Ver- zwei Polonaisen [op. 40], vier Mazurken die dritte Ballade nachweisbar (siehe treter des Verlages Breitkopf & Härtel, [op. 41], 2 Nocturnes [op. 37] und ein unten). Es ist also wahrscheinlich, dass vom 24. Oktober 1838, in dem Chopin Impromptu [op. 36]“ (Correspondance, die abweichenden Lesarten der deut- ihn um einen Vorschuss auf die Préludes Bd. 2, S. 376). Die Antwort des Verlages schen Erstausgabe auf ein verschollenes und die Ballade bittet (Frédéric Chopin, ist nicht überliefert, doch scheinen sich Manuskript und damit auf den Kompo- Briefe, hrsg. von Krystyna Kobylapska, die beiden Seiten geeinigt zu haben. Am nisten selbst zurückgehen. Frankfurt a. M. 1984, S. 411, Anm. 3 15. Januar 1840 unterzeichnete Chopin Nachdem Breitkopf & Härtel die Aus- zu Pos. 68). In Briefen aus Mallorca einen Vertrag, in dem er die sieben Ope- gabe im Juni 1836 veröffentlicht hatte, vom 14. Dezember 1838 und 22. Januar ra für 2.500 Francs an Breitkopf & Här- erschien noch im selben Jahr im Rah- 1839 kündigte Chopin die Fertigstel- tel verkaufte (Kallberg, Chopin in the men eines Album Musical ein Neustich lung der Ballade wiederholt an. Marketplace, S. 822). Chopin blieb da- von Op. 23. Er weist nicht nur die glei- Die Publikation der F-dur-Ballade mit deutlich unter seinen ursprüngli- chen Fehler wie die deutsche Erstausga- verzögerte sich allerdings. Chopin hatte chen Honorarforderungen. Der Prozess be auf, durch Unachtsamkeiten des Ste- Julian Fontana – einen Schulfreund der Drucklegung lief nun an und war im chers entstanden zusätzlich neue Stich- Chopins aus den Warschauer Jahren, Herbst 1840 abgeschlossen. fehler. Zudem wurden z. B. Balkenrich- der gleichfalls nach Paris emigriert war Die Organisation der Veröffentli- tungen geändert und die Einteilung und dort zum Faktotum des Komponis- chung in den drei Ländern Frankreich, weiträumiger gestaltet. Die einzige grö- ten wurde – beauftragt, während seiner England und Deutschland folgte dem ßere Abweichung im Notentext (T. 171) Abwesenheit die Verlagsverhandlungen gleichen Schema wie bei Op. 23. Chopin ist vermutlich auf eine verlagsinterne über den Druck der Werke zu überneh- verkaufte die Rechte für Frankreich und Korrektur zurückzuführen. men. Ende Februar 1839 schickte er England an den französischen Verleger Die g-moll-Ballade zählt zu den po- das Autograph der Ballade an Fontana, Troupenas, der seinerseits die Verhand- pulärsten Werken Chopins. Robert dem es jedoch nicht gelang, die Verleger lungen mit dem englischen Verleger Schumann war einer der Ersten, der von den Honorarforderungen Chopins Wessel & C o übernahm. An Breitkopf & ihren Rang erkannte. Er schreibt am zu überzeugen. Im Sommer des Jahres, Härtel veräußerte Chopin die Rechte für 14. September 1836 an Heinrich Dorn: den Chopin auf George Sands Landgut Deutschland. „Von Chopin habe ich eine neue Balla- in Nohant verbrachte, scheint er sich er- Die französische Erstausgabe wurde de. Sie scheint mir sein genialischstes neut mit der Ballade auseinandergesetzt nach dem Autograph gestochen. In der (nicht genialstes) Werk; auch sagte ich zu haben, denn er schreibt Anfang Au- Bibliothèque nationale de France ist ein es ihm, daß es mir das Liebste unter al- gust 1839 an Fontana: „Lass mir das Korrekturabzug erhalten, der sehr viele len. Nach einer langen Pause Nachden- Manuskript meiner letzten Ballade zu- Stichfehler enthält. Die erste Auflage er- ken sagte er mit großem Nachdruck – kommen; ich muss dort etwas