Beluga New Media

Olivier Kruschinski

Blau und Weiß ein Leben lang

Eine Saison mit Schalke © 2005 1. Auflage 2005 Beluga New Media Marketing und Verlags GmbH Hagenstraße 43 45894 Alle Rechte vorbehalten ISBN 3-938152-04-4 Satz und Layout: Oliver Praceius Milan Retzlaff Christian Wiemeler Produktionskoordination: Charly Rinne Lektorat: Beate Mehls Kira Schmidt Fotos: Olivier Kruschinski Klaus Wieschus Firo Sportphoto Team 2 Kira Schmidt

Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer- tung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. printed in the E.U. Blau und Weiß ein Leben lang Eine Saison mit Schalke

Inhalt

Aufwärmen 10 Anpfiff 12

UI-Cup: Erste Runde gegen FK Vardar Skopje 17 UI-Cup: Esbjerg – Schalke 04 (Hinspiel) 24 UI-Cup: Schalke 04 - Esbjerg (Rückspiel) 33

1. • Saison 2004/05 • Hinrunde

Werder Bremen – Schalke 04 39 UI-Cup (Finale, Hinspiel) Schalke 04 – Liberec 47 Schalke 04 – 1. FC Kaiserslautern 52 DFB-Pokal (1.Runde) Hertha BSC Amateure – Schalke 04 (1.Runde) 58 UI-Cup: Liberec – Schalke 04 (Finale, Rückspiel) 61 Schalke 04 – Hansa Rostock 68 VfL Wolfsburg – Schalke 04 71 UEFA-Cup (1.Runde, Hinspiel) Schalke 04 – Metalurgs Liepaja 74 Schalke 04 – Borussia Mönchengladbach 78 DFB-Pokal (2.Runde) 1. FC Kaiserslautern – Schalke 04 81 – Schalke 04 87 UEFA-Cup: Metalurgs Liepaja – Schalke 04 (1.Runde, Hinspiel) 90

7 Schalke 04 – VfL Bochum 94 FC Bayern München – Schalke 04 97 UEFA-Cup (1. Spiel) Schalke 04 - FC Basel 102 Schalke 04 - FSV Mainz 05 105 1. FC Nürnberg - Schalke 04 109 Schalke 04 - VfB 112 UEFA-Cup (2. Gruppenspiel) Heart of Midlothian - Schalke 04 116 Hamburger SV - Schalke 04 121 DFB-Pokal (2. Runde) Eintracht - Schalke 04 126 Schalke 04 - Hertha BSC 131 - Schalke 04 136 UEFA-Cup (3. Gruppenspiel) Schalke 04 - Ferencvaros Budapest 140 Schalke 04 - Arminia 144 UEFA-Cup (4. Gruppenspiel) Rotterdam - Schalke 04 149 Borussia - Schalke 04 152 Schalke 04 - SC Freiburg 157 Halbzeit: Intermezzo Biathlon 164

1. Bundesliga • Saison 2004/05 • Rückrunde

Schalke 04 – Werder Bremen 171 1.FC Kaiserslautern – Schalke 04 178 Hansa Rostock – Schalke 04 183 Schalke 04 – VfL Wolfsburg 189 UEFA-Cup (Achtelfinale) Schachtjor Donezk – Schalke 04 194

8 Borussia Mönchengladbach – Schalke 04 203 UEFA-Cup (Achtelfinale, Rückspiel) Schalke 04 – Schachtjor Donezk 208 Schalke 04 – Hannover 96 210 DFB-Pokal (Viertelfinale) Schalke 04 – Hannover 96 213 VfL Bochum – Schalke 04 216 Schalke 04 - FC Bayern Müchen 219 FSV Mainz 05 - Schalke 04 227 Schalke 04 – 1. FC Nürnberg 234 VFB Stuttgart - Schalke 04 237 Schalke 04 - Hamburger SV 241 DFB-Pokal (Halbfinale) Schalke 04 – Werder Bremen 246 Hertha BSC Berlin – Schalke 04 253 Schalke 04 – Bayer 04 Leverkusen 257 – Schalke 04 260 Schalke 04 – 263 SC Freiburg – Schalke 04 268 DFB-Pokal (Finale in Berlin) FC Bayern München – Schalke 04 272

Nachspielzeit 277 Abpfiff 279 Über den Autor 280 Danksagungen des Autors 280 Abschlusstabelle Saison 2004/05 281

9 Aufwärmen

Vor gut einem Jahr, die Saison war gerade vorbei, lag ich am Cap d`Antibes an der wunderschö- nen Côte d`Azur und verschlang wie ein Wahnsinniger Tim Parks´ Meisterwerk: “Eine Saison mit Ve- rona“. Ich bemerkte nicht einmal den schweren Sonnenbrand, den ich mir gerade einholte, so sehr war ich gefesselt von seinen Schil- derungen. „Warum – verdamm- te Hacke – gibt es so etwas nicht über uns, über den FC Schalke 04,“ fragte ich mich?

Parks hatte auf faszinierende Art und Weise eine komplette Saison den italienischen Fußballclub Hellas Verona zu allen Spielen begleitet und seine Erfahrungen, Beobachtungen und Erlebnisse in einem Buch niedergeschrieben. Nicht in einem stinknormalen Jahresrückblick, wie es ihn an jeder Ecke gibt, nicht in einer furztrockenen Chronik, die nur auf langweili- ge Zahlen und nichtssagende Statistiken aus ist, sondern in einem lebendigen Tagebuch, in dem zwar das Spiel immer im Mittelpunkt steht, das ganze Drumherum jedoch mindes- tens genauso wichtig ist: Die Anreise, lustige Randereignisse, Anekdoten, Emotionen, Land & Leute. Parks hauchte dem Besuch des FußballSpiels Leben ein und es entstand diese Pflichtlektüre für jeden Fußballfan, mit Liebe zum Detail.

Und das sollte es für den aufregendsten, skandalreichsten, interessantesten, emotionalsten und geilsten Club der Welt nicht geben? Das musste sich, so schwor ich es mir am Cap d`Antibes unverzüglich, ändern!

So entstand die Idee zu diesem Buch, in dem ich aus meiner

10 Sicht, aus Sicht eines ganz normalen Schalke-Fans, aus Sicht eines „ganz normalen“ Fanclubmitgliedes, meinen – unseren - FC Schalke 04 (wie immer) ein Jahr lang zu allen Spielen begleitete, diesmal allerdings das Erlebte niederschrieb.

Entstanden ist ein durch die königsblaue Brille betrachte- ter Rückblick auf die Saison 2004/2005 der etwas anderen Art. Ein Jahresrückblick, der nach Bier und Bratwurst, nach Fußballstadion und Testosteron riecht. Natürlich ist alles Niedergeschriebene subjektiv empfunden, vieles überzogen, übertrieben, verzerrt – und trotzdem irgendwie so erlebt und gefühlt worden.

„Blau und weiß ein Leben lang“ ist ein Nachschlagewerk für Schalke-Fans, die in zehn Jahren nicht mehr interessieren wird, in welcher Minute im wievielten Spiel die dritte gelbe Karte sah, sondern vielmehr noch einmal nach- lesen wollen, was beim skandalösen Bundesligasaisonauftakt in Bremen – als das Flutlicht ausfiel – wirklich los war. Oder wisst ihr noch, bei welchem Spiel, bei welchem Torjubel Ail- ton unser „Maskotte“ köpfte? Und wie reagierten wir Fans auf die Umbenennung der Donnerhalle, gab es da nicht die- sen Schiedsrichterskandal?

„Blau und weiß ein Leben lang“ schildert das Leben mit, für und rund um den FC Schalke 04. 365 Tage, 54 Pflichtspiele lang. Ein Schalker Jahr halt.

11 Anpfiff

Neues Spiel – neues Glück heißt es doch so schön, und genau mit dieser Hoffnung gehe ich mal wieder in die neue Saison hinein. Meine wievielte Saison dies mit Schalke ist? Ich weiß es selbst nicht mehr. Eigentlich bin ich, seitdem ich denken kann, Schal- ke-Fan. Natürlich habe ich, als ich noch ein kleiner Lütte war und voller Begeisterung ab und an mal vor dem Fernseher sit- zen durfte, um ein Europapokalspiel eines Deutschen Teams mitzuverfolgen, diesem dann auch – bei Chips und Cola - ein wenig die Daumen gedrückt. Dem Hörensagen nach geht es da vielen meiner Generation so. Ich erinnere mich an die le- gendären, spannenden und faszinierenden Auftritte von Bay- er Uerdingen oder Werder Bremen. Schon in diesen frühen Tagen fesselte und faszinierte mich dieses Spiel, begeisterte mich die Atmosphäre. Und zu dieser Zeit durfte man sich wirklich, nicht so wie heute, auch schon tagelang auf eine solche Begegnung im Fernsehen freuen. Heutzutage wird ja fast jedes bessere Freundschaftsspiel – auf jeden Fall jedes der Bayern – live im Fernsehen übertragen. Ach ja, eines weiß ich heute noch ganz genau: Niemals habe ich den Bay- ern die kleinen Däumchen gedrückt! Diesbezüglich war ich auch damals schon ideologisch absolut gefestigt.

Auch die Sympathien für Bayer Uerdingen und Co. legten sich spätestens bis zum nächsten Heimspiel der Blauen in der tristen, weiten Betonschüssel namens „ Gel- senkirchen“, wieder. In meinem Herzen war und bin ich halt seit Jahr und Tag ein Schalker!

Ich kann auch die mir mittlerweile schon x-fach gestellte Fra- ge nicht beantworten, wie man denn überhaupt Schalke-Fan wird: Wie ich es geworden bin? Ich weiß es nicht. Entweder

12 man ist es, oder man ist es nicht. Weder bin ich diesbezüglich familiär großartig vorbelastet, noch wurde ich zu diesem ver- rückten Dasein gezwungen. Einzig die geographische Nähe, Dank der Gnade Gottes, der mich hat im wunderschönen GE auf die Welt kommen lassen, mag als Erklärung dienen. Auf jeden Fall gibt es keinerlei Leitfaden, kein Handbuch zum Thema „wie werde ich Schalke-Fan“. Ich bin es halt, mit Kopf, Herz und Hand. Schalker wird man nicht, Schalker ist man.

Neues Spiel – neues Glück, das bedeutet für mich einmal mehr auch eine große Erwartungshaltung an die neue Saison. Grenzenloser Optimismus, Träume von Meisterschaft oder Pokalsieg, erhofftem, euphorischem Jubel nach mitreißen- den, packenden Spielen und dollen Traumtoren. Wir haben uns mit Ailton, dem Torschützenkönig der vorangegangenen Saison, und dem Abwehrrecken Mladen Krstajic, die beide ablösefrei vom Deutschen Meister Werder Bremen an die Emscher wechselten, gezielt verstärkt. Dazu scheint unsere Vereinsführung, trotz nicht gerade berauschender Bilanzzah- len (die bei der JHV mit leicht zittriger Stimme durch unse- ren Finanzminister Jupp Schnusenberg präsentiert wurden), ein hohes Risiko bei der Verpflichtung von (VfB Stuttgart) eingegangen zu sein. Obwohl dieser zweifels- frei einer der besten Abwehrspieler der Liga ist, hätte man ihn ab der kommenden Saison ablösefrei haben können. Nun allerdings hat man diesen Transfer vorgezogen, was einem äußerst seriösen deutschen Boulevardblatt mit vier Buchsta- ben nach, den Club bis zu fünf Millionen Euronen gekostet haben soll. Kein Pappenstiel in Zeiten knapper Kasse – dafür eine Abwehr, die verspricht einem Betonmischer alle Ehre zu machen. Des weiteren hat kein Leistungsträger den Club ver- lassen und somit haben wir, meiner und meiner Mitstreiter Meinung nach, mit diesen drei Neuverpflichtungen eine mehr als schlagkräftige Truppe beisammen, mit der die UEFA-Cup- Qualifikation Pflicht sein muss. Träume von höheren Zielen sind – wie in jedem Jahr – ausdrücklich erlaubt.

Zunächst aber holt mich die Realität ein, denn trotz schlag-

13 kräftiger Truppe, auch in der vergangenen Jubiläumssaison 2003/2004, hat es einmal mehr nur für einen bitteren sieb- ten Platz im weiten Niemandsland der Tabelle gereicht. Eine herbe Enttäuschung, aber das ist für unser leidensfähiges und leid geplagtes Schalker Herz seit Jahr und Tag nichts Neues. Als „Übergangsjahr“ wurde die Geburtstagssaison im Nachhinein durch unseren obersten sportlichen Übungsleiter (auch „Trainer“ genannt) Josef Heynckes (vielmehr bekannt unter dem Namen „Don Jupp“) bezeichnet. Übergangsjahr – toll! Mein halbes Schalker Fanleben besteht scheinbar aus „Übergangsjahren“. Aber wer will denn schon bei dreieinhalb Titeln in den letzten sieben Jahren meckern? Eigentlich sind wir Schalker, rein objektiv betrachtet, in den letzten Jahren doch vom Erfolg verwöhnt worden, haben das Glück, in der zweiterfolgreichsten Zeit seit Vereinsgründung vor genau 100 Jahren, zu leben. Fragt mal einen Kölner, einen Ham- burger, einen Leverkusener! Sie alle würden gerne mit uns tauschen.

Trotzdem, die Ansprüche wachsen und an diesen muss man sich auch messen lassen. Erst Recht, wenn man das Umfeld und die in die Hand genommenen Investitionssummen be- trachtet. Und diesbezüglich war die abgelaufene Saison eine einzige Katastrophe. Einzig bemerkenswert bleibt mir von ihr, sportlich betrachtet, in Erinnerung, dass wir teilweise, durch mehrfaches Verletzungspech gezwungen, mit sechs waschechten Gelsenkirchener Eigengewächsen auf dem Platz standen. Das ist doch das, was so viele Fußballfans sich immer wünschen. Den gewünschten Erfolg hat es trotzdem nicht gebracht. Dann spiele ich lieber mit drei Niederländern, einem Chinesen und zwei Brasilianern, die sich zu 104 % mit Schalke identifizieren um die Europapokalplätze mit, als mit einer Gelsenkirchener Truppe gegen den Abstieg in die Re- gionalliga. Unabhängig davon sei den Fußballfreunden kurz gesagt, dass es eine reine Gelsenkirchenern Truppe – von der man in seiner Idealvorstellung träumt - so noch nie gege- ben hat. Selbst nicht im goldenen Schalker Jahrzehnt (1935- 1945). Das waren auch nicht alles Jungs, die ausschließlich

14 an der Schalker Grenzstraße geboren wurden und aufgewach- sen sind. Auch damals kamen die Spieler schon von anderen Clubs – ja, und auch damals wurde schon Geld für das Bolzen gezahlt. Lese die Schalker Chroniken gründlich! Trotzdem dauert es auch im Fußball nicht allzu lang und aus Halb- wahrheiten, Legenden und Geschichten werden, wenn man sie selbst nur oft genug gehört und erzählt hat, Tatsachen- berichte. Früher, vor dem Krieg, war eh alles anders – und natürlich auch besser!

In der glücklicherweise immer mehr zusammenwachsenden „Einen Welt“ ist es doch eh Wurst, ob der Kicker nun aus Gelsenkirchen, Ottawa oder von der Elfenbeinküste kommt. Spielen tun sie alle nur dort, wo sie am meisten Geld verdie- nen können. Hauptsache der Spieler gibt alles und identifi- ziert sich mit meinem FC Schalke 04. Oder kommt Ebbe Sand etwa aus Gelsenkirchen-Ückendorf, Marco van Hoogdalem aus Gelsenkirchen-Bismarck?

Zurück zur letzten Saison; Denn der Platz Sieben verspricht uns zumindest wie im Vorjahr einen winzigen Silberstreif am Horizont: Die Teilnahme am UI-Cup, dem so genannten „Dö- ner-Cup“ oder „Intertotto-Cup“. Der bei so vielen ungeliebte Wettbewerb hält uns auch in diesem Jahr die Möglichkeit offen, doch noch den lukrativen und finanziell so wichtigen UEFA-Cup zu erreichen. Sollte mit der Truppe eigentlich zu schaffen sein. Allerdings wird – und das ist der Preis für diese Ehrenrunde – die gesamte Vorbereitung in Mitleidenschaft gezogen. Während andere Teams nämlich bereits Kondition und Taktik unter der spanischen Sonne trainieren, müssen Don Jupp und seine Spieler – und wir Fans natürlich auch – quer durch Europa reisen, um in besseren Regionalligasta- dien Siege einzufahren. Da hilft kein Jammern, denn wer sich die Suppe eingebrockt hat, muss sie schließlich auch selber wieder auslöffeln.

Ärgerlich nur, dass ich zu Beginn des Jahres unseren dies- jährigen Sommerurlaub - clever wie ich bin - exakt so gelegt

15 habe, dass ich weder von der EM, noch vom Bundesligaauf- takt auch nur ein einziges Spiel, einen einzigen Anstoß, ver- passen würde. Wer konnte denn, bei allem Realismus – lasst mich ruhig sagen: Zweckpessimismus - schon damit rech- nen, dass wir uns tatsächlich erneut über den UI-Cup für den UEFA-Cup würden qualifizieren müssen? Ich hatte mit einem glasklaren Champions-League-Platz gerechnet, auf die Meisterschaft gehofft. Pustekuchen! Der Fußball schreibt halt bekannterweise seine eigenen Gesetze. Ich habe meine Rechnung einmal mehr ohne den Wirt gemacht. In puncto Unzuverlässigkeit sind meine Blauen bereits seit Jahren die Zuverlässigkeit schlechthin.

Was soll es, etwas Gutes findet man immer, auch im schlimmsten Übel: Ich habe zumindest, da ich Dank der Ur- laubsplanung die erste Runde nicht live mitverfolgen kann, einige hundert Euro gespart.

16 17.07.2004 & 24.07.2004 - UI-Cup Erste Runde gegen FK Vardar Skopje

So kommt es halt, dass ich mich am ersten (inoffiziell-offiziellen) Spieltag der Saison 2004/2005, dem Auftakt im UI-CUP, einem Heimspiel gegen den mazedo- nischen Vertreter FK Vardar Skopje, am wunderschönen Mittelmeer befinde. Während zigtausende meiner Gesin- nungsgenossen in den Genuss kommen, erstmalig wieder das frisch gebügelte Lieblingstrikot bzw. den immer noch nach Bier und Bratwurst riechenden Lieblingsschal aus dem Schrank zu holen. Da machst Du nichts! Die Dame des Hauses – die Fiene - hat ja Woche für Woche viel Verständnis, aber einen kompletten Urlaub we- gen eines Döner-Cup-ViertelfinalSpiels verschieben, gar ab- sagen? Kam gar nicht in die Tüte. Eher hätte ich meine zwei kümmerlich gepackten Koffer samt meines Hab und Gutes vor der Haustür wieder gefunden. Die sprichwörtliche: „Rote Karte“! 1.200 Kilometer entfernt von meinem Wohnzimmer, der Donnerhalle, packe ich also meinen Weltempfänger - bei strahlendem Sonnenschein, königsblauem Himmel und zar- ten 30° C im Schatten - aus und stelle ich ihn auf unseren Campingtisch. Kurzerhand entscheide ich mich, dem Blick auf das wunderschöne Cap d’Antibes zu entsagen, indem ich direkt vor unserem Zelt die große „100 Jahre Schalke 04 – 100 % Gelsenkirchen“ Fahne zwischen zwei Olivenbäumen aufhänge. So entsteht zumindest ein wenig Fußballambiente. Einige der Zeltnachbarn schauen neugierig hinüber, schüt- teln mit dem Kopf oder tuscheln leise miteinander. Diese Spezies scheint mit „Schalke 04“ etwas anfangen zu können, sich jedoch zu fragen, was denn „Gelsenkirchen“ bloß für eine hoch ansteckende, schreckliche Krankheit sein könnte. Inner- halb von Bruchteilen einer Sekunde wird auch noch gekonnt

17 der 2001 Côte du Mont Ventoux geöffnet und der adäquate Plastikbecher (der Marke „Tupperware“) gefüllt. Wenn ich ehrlich bin, könnte ich mich just in diesem Moment glatt an diesen Zustand des „Fandaseins“ gewöhnen. Wäre da nicht diese verflixte Suche nach dem passenden Radiosender, nach der vertrauten Stimme von Manni Breukmann oder Dietmar Schott. Das Radio wird durchgeschüttelt, in allen Variatio- nen gedreht und gewendet, die Antenne führt akrobatischste Kunststücke im Fach „wie finde ich die passende Frequenz für Dummies“ vor. Es tut sich nichts. Wie ernüchternd. Wie ärgerlich. Musikdudeleien in allen Variationen, Polit- und Ratesendungen die jetzt gerade kein Mensch braucht, Pfer- desport und Hunderennen in jeglicher Form als Live-Über- tragung, Regionalmeisterschaften im Synchronschwimmen, die südfranzösischen Bouleswettkämpfe. Ich kriege alles rein, nur nichts über Schalke, nur keine deutsche Sportsendung. Verdammte Hacke. Ich drehe am Rad. Irgendein dämlicher Radiosender wird doch, erst Recht im Sommerloch, das erste internationale Pflichtspiel meiner Blauen live im Radio über- tragen, oder? Zumindest ausschnittsweise?

Mein schlimmster Albtraum scheint wahr zu werden. Ein Pflichtspiel meiner Knappen und ich kriege davon weder über Radio, Live-Ticker, Fernsehen oder sonst einem Medium was mit. Das sollte mir zum letzten Mal passiert sein! Es ist für jemanden der mit Schalke nichts zu tun hat oder nicht selber Fan einer Mannschaft, eines großartigen Clubs ist, sicherlich nicht vorstellbar, dass es so ein großes Problem, eine solche Qual ist, dass es so schlimm sein kann bei einem Spiel mal nicht live dabei sein zu können. Natürlich gibt es schlimme- res, viel tragischeres im Leben. Von der schlimmen Krankheit bis hin zur Arbeitslosigkeit. Auch ich, ich nehme es gerne vorweg, habe es überlebt. Trotzdem, ich bleibe dabei, es ist ein ungewohnt komisches, beunruhigendes, beklemmendes Gefühl, nicht den gewohnten Platz im Stadion einnehmen zu können. Selbst eine Niederlage ist einigermaßen erträglich, wenn man nur selbst dabei ist! Man möchte doch auch die Geburt seines Kindes nicht verpassen, oder?

18 Gott sei Dank greift in solchen Fällen immer noch die oft er- probte Notlösung, der lang ausgearbeitete, bewährte und vor- bereitete Plan B für den „worst case“: Die Handyschaltung! Und so sitze ich nun am hellichten Tage, an einem der schönsten Fleckchen Erde, die ich je bereist habe, vor einem immer noch rauschenden Radio und einem Plastikglas gefüllt mit herrlichem Rotwein und blicke nervös und angespannt bis in die Zehenspitzen still und starr auf das Display meines Handys.

„Es ist nur ein dämliches UI-Cup-Viertelfinal-Spiel gegen einen Gegner mit Regionalliganiveau“, sage ich mir. „Die müssten durch unsere Mannen um Ailton und Co. einfach weggeputzt werden“. Tatsächlich surrt bereits zwei Minuten nach dem vermeintlichen Anpfiff in der weiten Heimat (Nein, es gibt keine Zeitverschiebung zwischen dem Pott und der schönen französischen Mittelmeerküste) mein Telefon. Eine SMS von Deppi, meinem besten Freund und Sitzplatznach- barn in der Donnerhalle. Hoffentlich kein grandioser Fehl- start der Blauen. „Ausverkauftes Haus. 56.054 Zuschauer. Jupp spielt mit Ailton, Krstajic und Pander 4-4-2. Bomben- stimmung. Nur Du drückst Dich – trotz Pflichtspiel. Gruß von allen - Deppi“. „Der alte Hund, weiß genau, wie er mich ärgern kann“ denke ich und lösche den Text sofort. Natürlich gehe ich auf die Nachricht nicht ein. Den Gefallen tue ich ihm nicht. Nach gut einer Viertelstunde und dem zweiten Glas Roten werde ich immer nervöser. „Haben mich die Jungs im Stadion vergessen oder tut sich da wirklich nichts?“ Wei- tere 15 Minuten später eine zweite SMS: „1:0 Krstajic nach Eckball“. Als wenn ich im Stadion wäre, springe ich kurz auf, balle meine Beckerfaust und lasse mich zu einem kurzen aber lautstarken „Jaaaaaa“ hinreißen. Verdutzt schauen mich zwei spielende Kinder an, die gerade vor unserem Zelt toben. Ich ziehe es vor, um den Einzug der Sittenpolizei auf dem Cam- pingplatz nicht zu provozieren, meinen gemütlichen Platz auf dem Campingstuhl wieder einzunehmen. Stolz weht meine Schalke-Fahne vor dem Zelt in der leichten Brise des aufkom- menden Windes. Ein tolles Bild: Ein königsblaues Fähnlein

19 vor azurblauem Hintergrund. Ich entspanne mich ein wenig, der Bann scheint gebrochen. „Souveräne Blaue, hier passiert heute nichts“ erreicht mich die nächste SMS von Schlammi, meinem alten Kumpel seit Schulzzeiten und anderen Arena- Sitznachbarn. Kurz darauf wieder Deppi: „2:0 – der goldene Ball, 40. Minute“. Mich führt er nicht aufs Glatteis. Natürlich weiß ich, dass es sich dabei um die türkische Übersetzung von Altintop handelt.

Auch bei uns auf dem Zeltplatz ist nun Halbzeit. Ein rascher Gang zur Toilette, Campingtisch & -Stuhl kurz dem weiter- wandernden Schatten nachgestellt, den Rotweinstand kri- tisch geprüft. Auf geht’s in die zweite Halbzeit! Kaum habe ich mich hingesetzt (der Schiri wird doch nicht etwa zu früh wieder angepfiffen haben?) eine neue SMS: „Ailton – 3:0 (50.)“. Scheint ja ganz gut zu laufen, denke ich. Erstes Spiel, gleich treffen beide Neuzugänge, so kann es weitergehen. Um ein wenig Stadionluft bei frischer Meeresbrise schnuppern zu können, lasse ich es mir nicht nehmen, meinen persönlichen Stadionbotschafter Deppi einmal kurz anzurufen. Ich verste- he zwar kaum ein Wort, was weniger an der großen Entfer- nung als an der Lautstärke in der Donnerhalle liegt, aber für einige Sekunden fühle ich mich wie zuhause und mir läuft es eiskalt den Rücken hinunter. In kurzen Sätzen berichtet er von dem souveränen Spiel und dem unglaublich kurzen Hals von Ailton. Live kommentiert mir Deppi das 4:0 durch Thomas Kläsener in der 80. Minute. Alleine der Torjubel ver- ursacht bei mir erneut eine Gänsehaut. Wir sind durch, da bin ich mir sicher. Wir spielen im UI-Cup-Halbfinale und ich werde dabei sein! Da brennt nichts mehr an. Da läuft nichts mehr schief. Das erste Hindernis auf dem Weg zu Europas Spitzenteams ist aus dem Weg geräumt. Erstaunlicherweise jetzt, wo das Spiel um ist, weicht wie von Geisterhand alle Nervosität und Anspannung von mir und ich bin glücklich, noch für einige Tage hier im Süden Frankreichs verweilen zu dürfen. Beim abendlichen Besuch der Strandpromenade, im „100 Jahre Schalke 04 Retro-Shirt“, schaffe ich es noch kurzerhand, der Bewachung der Hausherrin zu entwischen,

20 Einen Toilettenbesuch vorgaukelnd gelingt es mir, geschwind in ein Internetcafé zu stürzen, um zumindest den Spielbericht auf der Homepage des S04 und ein oder zwei Fotos aufzusau- gen. Dort lese ich, dass sogar noch das 5:0 in der Nachspiel- zeit gefallen ist. Ein Eigentor. Der höchste Schalker Sieg der UI-Cup-Geschichte war perfekt. Da hatten mich die Jungs mit der SMS-Schaltung doch glatt vergessen. Schwamm drü- ber! Wie gewohnt zahlt sich auch heute ein Sieg der Knappen für Madame aus, indem ich sie, in bester Laune, zu einem feinen Essen einlade. „Hoffentlich klaut mir keiner die Fahne am Campingplatz. Die ich, quasi als Skalp, hängen gelassen habe“, geht es mir noch durch den Kopf.

Da wir noch eine Woche in Frankreichs Süden verweilen sollten, war von vorneherein klar, dass ich auch das Rück- spiel nicht live im Auswärtsstadion würde verfolgen können. Besonders ärgerlich, da zwar einerseits der sportliche Wert dieser Begegnung nahe der Frostgrenze liegen würde, aber andererseits gerade diese Spiele, in noch unbekannten, reiz- vollen, weit entfernten Gegenden und Städten für uns „Alles- fahrer“ das Salz in der Suppe ausmachen. Oder wann kommt man sonst einmal für zwei oder drei Tage nach Skopje, in die 2.000 Kilometer entfernte mazedonische Hauptstadt? In München war ich mit den Blauen mittlerweile wohl schon um die 345 Mal. Aber in Skopje?

Aber wer will darüber meckern, wenn er bei strahlendem Sonnenschein mit einer dollen Frau stundenlang durch die Lavendelfelder der Provence fährt und den herrlich frischen Duft einatmen darf, in Vorfreude auf ein feines, abendliches vier Gänge Menü (inkl. Froschschenkeln) in freier Natur - bei Rotwein und Kerzenschein. Trotzdem schaffe ich es, mit viel Glück und Geschick, den Termin der Rückfahrt in die heimatlichen Gefilde so zu legen, dass wir pünktlich zur Live- Übertragung des RückSpiels, welche netterweise der Pay-TV Sender Premiere übernimmt, bei unserem Sportsfreund Mar- kus auf der Matte stehen. Das noch voll bepackte Auto wird einfach vor der Haustür geparkt und wir betreten gemeinsam,

21 pünktlich, noch vor Anpfiff, den vollbesetzten und königs- blau geschmückten Partyraum. Alle anderen Jungs, die nicht mit nach Skopje gefahren oder geflogen sind, sind ebenfalls schon da und wir genießen erst einmal, unter großem Hallo, ein frisches Veltins. In Anbetracht der Tatsache, dass es bei dem Match nur noch um die goldene Ananas geht, schaue ich nur mit einem Auge auf die Großbildleinwand. Einmal mehr ist das Spiel nur der Anlass für das gesellige Beisammen- sein. Bereits nach nur fünf Minuten sorgt Christian Pander, bei hochsommerlichen Temperaturen im Gradski-Stadion, für klare Verhältnisse. Er erzielt, frei stehend vor dem ma- zedonischen Torwart, mit einem schönen Außenrist-Schlen- zer das 0:1. Der Jubel in unserer trauten Runde hält sich in Grenzen. Zu unwichtig erscheint das Spiel. Für Christian Pander allerdings, der in den letzten eineinhalb Jahren vom Verletzungspech verfolgt war, freut es uns ganz besonders. Der Junge hat das Talent und das Zeug, ein richtig Guter zu werden und sich sogar in unserer Stammformation für die linke Seite, noch vor Böhme und Rodriguez, durchzusetzen. Bereits zehn Minuten später erhöht Ebbe Sand, nachdem der mazedonische Torhüter einen Schuss von Lincoln nur abklatschen lassen kann, in klassischer Stürmermanier mit einem Abstaubertor auf 0:2. Der anschließende Spielverlauf wird dem Namen „Döner-Cup“ gerecht. Zu groß ist der Klas- senunterschied zwischen den beiden Teams. Unsere Schalker ziehen ein lockeres Trainingsspielchen auf, das später mit dem Worte „Sommerfußball“ treffend beschrieben wird.

Spannender hingegen verläuft das Spiel bei unseren Freun- den in der Nähe von Lüdenscheid. Markus zappt immer mal wieder rüber. Die schwatz-gelben vergeigen doch tatsächlich den Einzug ins UI-Cup-Halbfinale. Das wird böse enden! Zu- mindest die Schadenfreude zieht einen euphorischen Kreis in unserem Raum. Mehr soll dazu an dieser Stelle – auf einen am Boden liegenden Gegner tritt man nicht ein - nicht gesagt werden. Auch wenn wir den Kartoffelkäfern nicht einmal das Schwarze unter dem Fingernagel gönnen. Es bestätigt sich jedoch mein ungutes Gefühl der letzten Woche, als ich weit

22 entfernt auf einige wenige, bruchstückhafte Informationen angewiesen war und auf diese verzweifelt warten musste, um dem Spiel meiner Blauen einigermaßen folgen zu können. Auch wenn der Gegner nur Skopje oder Gent heißt: Schief gehen kann immer etwas. Das ist ja das Tolle am Fußball. Nichts, noch nicht einmal der Erfolg, ist wirklich planbar. Immer wieder kann der kleine David den großen Goliath schlagen. Allerdings wird immer wieder durch einen solchen sportlichen Misserfolg eine Lawine ins Rollen gebracht, die, speziell in ökonomischer Hinsicht, kaum mehr aufzuhalten ist. Doofmund lässt grüßen!

Gegen Ende unserer Partie fällt, kurz vor Abpfiff, noch der Anschlusstreffer für die Gastgeber. Mit 2:1 gewinnen die Blauen auch das Rückspiel des UI-Cup-Viertelfinals und er- reichen damit die Runde der letzten vier. Gegner wird dann bereits am kommenden Mittwoch der dänische Vertreter Es- bjerg fB sein. Und ich bin wieder dabei! Kann man prima mit dem Bus hinfahren. Somit endet nicht nur ein toller Urlaub, sondern ein äußerst erfolgreicher Spieltag. Die Blauen sind weitergekommen, der Verein aus der Nähe von Lüdenscheid ist ausgeschieden – Fußballherz was willst du mehr?

23 28.07.2004 - UI-Cup Esbjerg – Schalke 04 • 1:3 (Hinspiel)

Die Planungen zur Auswärtstour nach Esbjerg sind, erwartungs- gemäß, rascher beendet als ein Fußballspiel dauert. Im Vergleich zu den strapaziösen und teilweise äußerst unattraktiven Losen, mit denen die uns scheinbar weniger wohl gesonnene Glücksfee in der Vergangenheit immer wieder hat in den fernen Osten Europas rei- sen lassen, klingt das Wort „Dä- nemark“ fast schon wie Musik in unseren Ohren. Dänemark: Wi- kinger, Ebbe Sand, Smörebröd.

Die Schildkröte (unser Bus) ist rasch gefüllt, einen Tag Ur- laub hat jeder schnell genommen und wir können uns noch einige Tage mit den üblichen Lobhudeleien auf des Geg- ners Spielkunst beschäftigen. „Die Hürden werden immer höher“, „hohe fußballerische Qualität“ und ähnliches kann man nun Tag für Tag auf der Homepage unseres Clubs und in den regionalen Gazetten lesen. Für uns Fans steht jedoch bereits heute fest: Auch dieser Gegner, ein Mittelmaßclub aus der dänischen Kronendivision (derzeit Tabellendritter), der im Viertelfinale den litauischen Vertreter FK Vetra Ru- diskes aus dem Rennen warf, darf auf gar keinen Fall ein Hindernis bei unserem Sturm auf Europas Fleischtöpfe sein. Nicht bei unserer Truppe! Sogar von der medizinischen Ab- teilung gibt es die äußerst ungewöhnliche und dennoch gern vernommene Entwarnung was die Einsätze von Nils Oude Kamphuis (Grippe) und Christian Poulsen (leichte Kniever- letzung) angeht. Das heißt wir fahren mit der Bestbesetzung nach Skandinavien!

Allerdings hat der Vorortclub aus der Nähe von Lüdenscheid

24 uns nur vor wenigen Tagen eines Besseren belehrt. Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall! Vorsicht also ihr Knap- pen!

Voller Tatendrang und Elan – und natürlich auch mit Le- ckereien bepackten Rucksäcken und Kühltaschen – betritt unsere Stammformation mitten in der Nacht die Schildkrö- te, in welcher uns unser standesgemäße Busfahrer, der „100 Jahre alte Peter“, bereits stürmisch begrüßt. Ja, eine Som- merpause kann lang sein, Peter ist wahrscheinlich einer der wenigen Buskondukteure auf diesem Erdball, der offenherzig zugibt, lieber unsere verrückte Horde Schalker quer durch Europa zu kutschieren, anstatt eine x-beliebige Schulklasse vom Pausenhof zum Schwimmbad. Diese Ehrlichkeit ehrt ihn und wir wissen das zu schätzen! Wobei dies natürlich, aus Peters Sicht, auch verständlich ist. Die Schulklasse dürfte es kaum schaffen, auf diesem kurzen Teilstück 20 Kästen mit feinsten Erfrischungsgetränken zu vernichten.

Auf geht es in Ebbes Heimat. Wie üblich spaltet sich relativ rasch das Lager unserer Mitreisenden. Die einen haben ihr eigenes, kuscheliges Kopfkissen aus dem heimischen Schlaf- zimmer entführt und geben sich getrost einer Mütze Schlaf hin, während der andere Teil der Besatzung die Nacht zum Tage werden lässt. Da wird geklönt, das eine oder andere Radler getrunken, über den vergangenen Sommerurlaub philosophiert und der mutige Ausblick auf die kommende Saison gewagt. So vergeht Stunde um Stunde und nach dem x-ten Getränk sieht der Ausblick auf die Saison voraus, dass wir mindestens Meister, Pokalsieger und UEFA-Cup-Sieger werden. Red Bull verleiht bekanntlich Flügel. Zu diesem Zeitpunkt würde es mir erst einmal reichen, wenn wir er- folgreich den UI-Cup verteidigen könnten. Wird sicherlich schwer genug.

Meine etwas pessimistischere, vorsichtigere Haltung wird freundlich, aber bestimmt ignoriert. Als Zeichen der gleich zu erwartenden Ankunft werden kurzerhand noch heroische

25 Schlachtgesänge aus den Siebzigern angestimmt. Somit ist auch der Rest des Busses erwacht. Diese altbewährte Metho- de der Fußballfans klappt kurioserweise immer wieder – und zwar bestens! Ich frage mich einmal mehr, warum unsere Schildkröte eigentlich nicht in „Rennschildkröte“ umgetauft wird.

Hatten wir uns die letzten Tage noch auf ein schönes Aus- wärtsspiel, bei Sonne, Sand und Strand an der Westküste Dänemarks gefreut, so werden wir von dichten Nebelschwa- den und unangenehm kühlen Temperaturen begrüßt. Was ist denn hier los? Daraufhin erklärt uns der 100 Jahre alte Peter, dass Esbjerg zwar tatsächlich in der Nähe der Küste liegt, man allerdings noch einige Kilometer auf sich nehmen müsse, um die tollen Sanddünenstrände zu sehen. Er selber müsse im übrigen jetzt, um seine Ruhe- und Lenkzeit einhal- ten zu können, umgehend den Bus vor dem Stadion absetzen und bis heute Abend stehen lassen. Und Tschüss!

Da stehen wir nun also mit einer Horde von knapp 50, teil- weise noch müden, teilweise gerade müde werdenden, Schal- kern um kurz vor 10 Uhr vor der Haupteinkaufspassage Es- bjergs und schauen uns verdutzt an. Was wollen wir denn „verdammte Hacke“ um diese Uhrzeit bereits hier in diesem Kaff? Ebenso verwundert reiben sich die Ladenlokalinhaber, die gerade ihre Geschäfte zu öffnen beginnen, die Augen und schauen uns neugierig an. Kaufwillige Touristen? Nein, was wollen Touristen in Esbjerg! Eine Exkursion der geographi- schen Fakultät Bochums? Niemals! Prompt fängt der erste aus dem Bus gefallene im königsblauen Trikot an, lauthals und dazu auch noch schrecklich falsch, etwas von „Oppa Prit- schikowski aus dem Ruhrrevier“ zu singen und sofort freut sich die ganze Esbjerger Geschäftswelt auf uns: „Hurra, Hur- ra – die Schalker die sind da!“

Wir setzen uns mit einem kleinen Grüppchen von fünf Leuten dezent ab, alles andere ist viel zu kompliziert, und starten eine kleine Erkundungstour durch die Innenstadt und Ein-

26 kaufspassage Esbjergs. Allerdings endet diese abrupt. Nein, es hat sich weder jemand bösartig verletzt, noch haben wir wen in einem Dessous-Shop verloren. Die Einkaufsmeile ist eigentlich vielmehr nur ein Einkaufsmeilchen. Und selbst das ist hemmungslos übertrieben. Wer jemals - im Vergleich dazu – auf der ebenfalls recht kleinen Hochstrasse in Gelsenkir- chen-Buer (also hinterm Kanal) flanieren war, muss sich ab heute auf dieser fühlen wie auf den Champs-Elyseés.

Da stehen wir nun und schauen uns ein wenig verdutzt an. Keine Sonne, kein Nordseestrand, keine Sehenswürdigkeiten. Die Knochen stecken noch voller Müdigkeit, ungeputzt sind die Zähne, was in Herrgotts Namen sollen wir den ganzen Tag hier in dieser Einöde nur machen?

Der Besuch im nahe liegenden Zoo wird schnell ausgeschlos- sen. Ebenso sinnlos ist der teure Ausritt mit dem Taxi zum Strand. Nein, wir besinnen uns auf unsere alten Schalker Tu- genden und tun das, was wir als Fußballfans so oft tun: Das Beste aus einer hoffnungslosen Situation machen!

Erst einmal erfreuen wir uns an dem Schengener Abkom- men und versammeln uns vor dem scheinbar einzigen EC- Automaten – landesweit. Zumindest erhalten wir diesen Eindruck, denn es stehen gerade gut und gerne 40 Schalker davor Schlange. Was nützt einem auch eine dolle Brieftasche, prall gefüllt mit frisch gedruckten €uronoten, wenn man sein heiß begehrtes Bier oder Brötchen ausschließlich mit den guten alten Kronen auslösen kann? Den wenigsten scheint bekannt, dass der €uro hier noch keinen Einzug gehalten hat. So vertreiben wir uns die Zeit mit den üblichen: „Wieviel tauschst Du um?“-Fragen (obwohl am Ende des Tages, so die Erfahrungen, der Betrag so oder so nicht ausreichen wird) und ziehen letztendlich das komische Papier aus dem Auto- maten. Ob da wohl tatsächlich, wie mir mal ein befreundeter, vertrauenswürdiger Bankangestellter verriet, jemand im Au- tomaten sitzt und die Scheine, fein geordnet und gebügelt, lediglich herausgibt?

27 Da mittlerweile einige Zeit vergangen ist, macht sich ein ge- wisses Hungergefühl bei einigen von uns breit und wir ent- schließen uns, die dänischen Spezialitäten in einer Pizzeria zu erforschen. Es gibt wahrlich Schöneres, als so manchen Mitmenschen beim Verschlingen seiner dänischen Schinken- Champignon-Pizza von 78 cm Durchmesser neben sich zu wissen. Neben mir sitzt gerade so ein Wesen – selbst, rein äußerlich betrachtet, einer zarten Pizza ähnelnd. Beim Essen scheint es, als atme dieser Haufen Mensch die kulinarische Köstlichkeit allein nur durch sein rechtes Nasenloch ein. Was soll´s. Mir schmeckt es. Gestärkt verlassen wir mit einer bes- tens gelaunten Truppe das Lokal Richtung Supermarkt. Der Tag ist noch lang, da dürfte noch das eine oder andere Bier- chen drin sein. Das Spiel am Abend ist zu diesem Zeitpunkt des Tages noch überhaupt kein Thema.

Vor dem dänischen Discounter hat sich bereits eine kö- nigsblaue Menschentraube gebildet und verbreitet gute Stimmung. Mehr als ein Indiz für genügend vorhandenes, vernünftiges Bier. Im weiteren Verlauf des Nachmittages bestätigt sich die Standortwahl und noch des Öfteren wird dem Supermarkt der ein oder andere Besuch abgestattet, um Getränke jeglicher Kategorie nachzuladen.

Unangefochtener Höhepunkt des Tages ist der Erwerb ei- nes Plastikballes und das anschließende, spontan angesetzte Fußballmatch (natürlich spielt Schalke gegen Schalke) auf zwei Dixieklos. Dieses wird allerdings noch vor dem regulä- ren Abpfiff der ersten Halbzeit abgebrochen, da sich heraus- stellt, dass das Spielfeld sich direkt unter dem Bürofenster des einheimischen Polizeipräsidenten befindet. Der fühlt sich in seiner Mittagsruhe gestört, schickt umgehend seine Schergen heraus, die wiederum, trotz massiver Proteste der Spieler, das Spielgerät einkassieren und beim Stande von 2:2 das Match für beendet erklären. Wie auch in der Bundesliga wird, in diesem Falle glücklicherweise, für die spontan ent- stehende „Rudelbildung“ keinem der Spieler „ROT“ gezeigt. Spielabbruch! Das ist wahrscheinlich auch besser so. Zu-

28 mindest prophylaktisch, aus medizinischer Sicht betrachtet, was Verletzungen beim Fußballspiel unter Alkoholeinfluss angeht.

Das Erscheinen unserer szenekundigen Beamten (SKBs) ver- führt mich zu einem Blick auf meine Uhr, welche mir umge- hend verrät, dass doch tatsächlich einmal mehr die Zeit fast wie im Fluge vergangen ist. Wir haben kurz vor 18 Uhr und so langsam sollten wir uns auf den Weg zum Stadion, dem eigentlichen Ziel unserer Anreise, begeben. So setzt sich un- sere blau-weiße Karawane langsam in Bewegung Richtung Busbahnhof, wo freundlicherweise schon ein Sonderbus für uns bereit steht. Das ist doch mal nett. Zwar dauert es, bis alle ihren Obulus in Höhe von zwei Kronen beim Busfahrer abgedrückt haben, aber dann geht es endlich los.

Da das eigene Stadion von Esbjerg, der „Esbjerg Idraetspark“, derzeit umgebaut wird, werden wir ins weiter entfernte Sta- dion „Messezentrum“ – zur Freude aller Groundhopper - in Herning liegend, in welchem normalerweise der FC Midtyl- land seine Heimspiele austrägt, gefahren. Dort steht auch schon unsere Schildkröte mit dem 100 Jahre alten Peter und gilt ab sofort für uns alle als Fix- und Orientierungspunkt. Abfahrt, wie gehabt, direkt nach dem Spiel, so schnell wie möglich. Immerhin müssen morgen noch einige von uns ar- beiten.

Das Stadion sieht eigentlich ganz nett aus. Mühelos passieren wir die Eingangskontrolle. Erst jetzt stellt sich so langsam das eigentliche Fußballgefühl, diese unterschwellige Nervosität ein. Keinesfalls zu vergleichen mit dem nervösen Kribbeln, welches mich noch in Südfrankreich überkommen hatte. Man trifft die altbekannten Gesichter, begrüßt sich herzlich (wenn man sich nicht den ganzen Tag über eh schon auf der Pelle gesessen hat), hält einen kurzen Plausch, bestellt noch schnell eine Wurst und nimmt auch schon seinen Platz ein.

19:45 Uhr. Anpfiff. Die Stimmung bei uns in der Gästekurve

29 ist ausgesprochen gut. Es ist schon erstaunlich, immer wieder mit ansehen bzw. anhören zu dürfen, dass einige hundert Schalker einen Auswärtssupport hinlegen können, welcher der gesamten Gegengerade in der Donnerhalle alle Ehre macht.

Schnell holt mich meine Anspannung ein und ich merke, wie ich von Minute zu Minute aufgeregter werde. Von wegen ein souverän aufspielendes Knappenteam! Zwar steht tatsächlich die vermeintliche Stammelf auf dem Platz (wobei, wer kann bei Don Jupps – mir unverständlichem – Rotationsschema schon von einer Stammformation reden?), aber irgendwie auch neben sich. Druckvoll und engagiert gehen die jungen Dänen ein hohes Tempo, lassen uns kaum den Ball anneh- men und verdutzen mit ihrem mutigen Spiel unsere Jungs. Erneut bestätigt sich der Riecher des Fans. Nach nur acht Spielminuten fällt das Tor. Eine unaufmerksame Schalker Abwehr kann einen wunderschönen Pass auf den in der Mitte mitgelaufenen Lucena nicht verhindern – Flachschuss ins lange Eck – 1:0. Konsternierte Mienen in der Schalker Fan- kurve verheißen nichts Gutes. Uns wird doch wohl nicht das passieren, was den Zecken vor einer Woche passiert ist? „Är- mel hochkrempeln“ muss es heißen. Es sind gerade mal acht von 180 Minuten gespielt, es gilt die Mannschaft anzufeu- ern! Bis gegen Ende der ersten Halbzeit verändert sich das Bild auf dem Rasen allerdings nicht so wirklich. Die Dänen bleiben stets gefährlich und wenn ich ehrlich bin, sehe ich sie stärker als unsere müde und pomadig wirkenden Blauen. Auch ein 2:0 oder 3:0 wäre mittlerweile durchaus im Be- reich des Machbaren, jedoch klären unsere Innenverteidiger Waldoch und Krstajic jeweils in allerhöchster Not. Von kö- nigsblauer Herrlichkeit ist zu diesem Zeitpunkt des Spiels im weiten Oval, außer auf den Rängen, herzlich wenig zu sehen. Ein Distanzschüsschen von Pander, ein kleiner Aufreger im dänischen Strafraum nach Böhmes wundervoller Flugeinlage (hätte ich auch nicht gepfiffen) – das war’s!

Glücklicherweise hat vor vielen, vielen Hunderten von Jah-

30 ren eine schlaue, fußballbegeisterte Mutter von der briti- schen Insel das Regelwerk des Fußballes niedergeschrieben. Sie war allein erziehend, hatte drei Kinder und seitdem wird bekanntlich auch als das „Mutterland des Fußballs“ bezeichnet. Diese Dame auf jeden Fall berücksichtigte beim Niederschreiben des Regelwerkes, dass es bei diesem Spiel namens Fußball zwangsläufig auch zu so genanten „Stan- dardsituationen“ kommen muss. So zum Beispiel, wenn der Ball ins Toraus gespielt wird - dann gibt es einen „Eckball“. Standardsituationen sorgen immer wieder dafür, dass - quasi aus dem „Nichts“ heraus - ein Tor fallen kann. So auch heu- te. In der 40. Spielminute unterläuft der Keeper der Dänen eine von Böhme hinein geschlagene Ecke. Und Ailton tut das, goldrichtig am langen Pfosten stehend, was er am liebsten tut: Einnetzen. 1:1. Und das auch noch relativ kurz vor der Pause. Natürlich ist der Jubel bei uns in der Kurve groß und da das Tor auch noch direkt auf unserer Seite gefallen ist, müssen die Spieler keine Extrameter hinlegen, um mit uns gemeinsam das Tor bejubeln zu können. Der Schiri pfeift pünktlich zur Pause und bei den üblichen Pausenfachsim- peleien sind wir uns alle einig, dass wir wohl noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen sind. Jetzt dürfte doch hoffentlich der Widerstand der tapferen Dänen gebrochen sein. Ein Auswärtstor im Rücken, die spielerisch sicherlich stärkere Mannschaft auf unserer Seite stehend – die Weichen fürs Rückspiel sollten doch gestellt sein.

Das leckere Smörebröd für schlappe vier Kronen schnell verschlungen, geht es auch schon mit der zweiten Halbzeit weiter. Leider können die Blauen den Elan des Ausgleichs vor der Halbzeit nicht mit in die Anfangsphase dieser zwei- ten Spielhälfte nehmen, aber immerhin ist klar zu erkennen, dass die Beine der Esbjerger Kicker deutlich müder werden und wir zunehmend das Spiel – zwar zerfahren und durch viele kleine taktische Fouls geprägt, aber trotzdem in der De- fensive sicher stehend - zunehmend in den Griff kriegen. So plätschert das Spiel vor sich hin. Auf den Rängen singen wir uns die Kehle aus dem Leib und als Belohnung scheinen die

31 Knappen uns noch etwas Schönes für die Heimfahrt schen- ken zu wollen. Gut eine Viertelstunde vor Abpfiff wird auf einmal ein Gang höher geschaltet, um die Vorentscheidung, sehr zu unserem Gefallen, noch vor dem Rückspiel zu su- chen. Das Engagement wird umgehend belohnt. Eine tolle Flanke von Dyn-Hamit Altintop von der rechten Außenbahn findet in der Mitte des Strafraumes den Kopf des zuvor ein- gewechselten – 1:2. Und um uns die Heimreise gar komplett zu versüßen, spielen die Jungs einfach munter weiter. Zwangsläufig fällt, unter großem Jubel, drei Minu- ten vor dem regulären Abpfiff das alles entscheidende 1:3. Diesmal hat der Flankengeber zum 1:2 selbst einen Konter aus ca. 12 Metern Torentfernung eiskalt abgeschlossen und den Ball für den Torwart unhaltbar in den rechten oberen Winkel gedroschen. Und damit ist das Spiel aus. Artig bedan- ken sich die zwei Teams bei den 8.000 zahlenden Besuchern und die ersten vierzig Minuten der ersten Halbzeit schnell vergessend, macht sich schon wieder grenzenlose Euphorie im Schalker Fanlager breit. Warum auch nicht? Das Finale um den UI-Cup sollte hiermit so gut wie sicher erreicht sein und es warten ja noch einige nette Stunden Busfahrt auf uns, die man sicherlich noch sinnvoll wird nutzen können. Oder muss tatsächlich irgendwer morgen arbeiten?

So nehmen wir erneut, müde aber glücklich, unsere Plätze in der Schildkröte ein, kaufen dem 100-Jahre-Alten dank- bar noch einige Erfrischungsglöckchen ab und erfreuen uns an dieser tollen Erfindung Namens „UI-Cup“, ohne den wir nicht diesen wundervollen Tag in Ebbes Heimat gemeinsam hätten verbringen können. Nach und nach fallen dann auch die Äuglein der Tapfersten unter uns zu, und dem Lächeln auf den Lippen der schlafenden Gesichter ist zu entnehmen, dass der eine oder andere Traum von der Meisterschale han- deln muss.

32 03.08.2004 UI-Cup: Schalke 04 - Esbjerg 3:0 (Rückspiel)

Nach dem 3:1-Sieg in Dänemark sollte das Rückspiel eigentlich nicht zum möglichen Stolper- stein werden. Und so sprachen und philosophierten wir die gan- ze kommende Woche eigentlich mehr über den potentiellen, kommenden Endspielgegner, als über das eigentliche Rückspiel in unserer Donnerhalle. Unser un- angenehmer und überraschend starker Vorjahresfinalgegner, Slovan Liberec (Tschechien), hatte in der Vorwoche, für viele nicht überraschend - im anderen UI-Cup-Halbfinale - den favorisierten französischen Gegner FC Nantes daheim mit 1:0 geschlagen. Egal wie dieses Rück- spiel ausgehen würde, ein starker Gegner würde in jedem Fall auf uns warten.

Ich müsste lügen, wenn ich behauptete, dass mich am Tage des Rückspiels ein ungutes Gefühl in der mittleren Magen- grube breit gemacht hätte. Viel zu sicher war für mich das Erreichen des Endspiels. Und trotzdem konnte ich mich nicht der Emotionslosigkeit hingeben, nicht so zu tun, als würde mich dieses – scheinbar unwichtig gewordene Spiel – doch nicht irgendwie bewegen. Schon morgens am Frühstücks- tisch kann ich das Breitmaulfroschgrinsen und die gute Lau- ne nicht verdrücken. Endlich mal wieder in die Donnerhalle! Lang genug war für mich die Sommerpause, die Abwesenheit von meinem Wohnzimmer. Endlich sollte es wieder losgehen! Die altbekannten Gesichter, der vertraute Weg, die üblichen Rituale, dieses lang ersehnte Gefühl der Vertrautheit. Daher lasse ich mich auch nicht lange bitten als Deppi mich anruft und fragt, ob ich nicht – natürlich nur des wunderschönen

33 Sonnenscheins wegens – Lust hätte, mich, trotz der relativ späten Anstoßzeit um 20.15 Uhr, auf einen Cappuccino im Biergarten des Café Centrals, einzulassen. Kurzerhand den Rechner ausgeschaltet, die Dauer- und Knappenkarte schnell noch ins Portemonnaie gesteckt (es gibt nichts Elendigeres, als das Gefühl, fünf Minuten vor Anpfiff vor dem Eingangs- tor zu stehen, seine Dauerkarte zu suchen und feststellen zu müssen, dass sie noch daheim an der Pinnwand hängt), den Supporters Club e.V.-Schal um den Pfirsich geworfen und mit schwingenden Hufen bin ich also schon um kurz vor 17 Uhr am Stammlokal.

Natürlich ist weit und breit noch kein Schalker zu sehen. Wür- de mich auch stark wundern, wenn überhaupt mehr als drei, vier bekannte Gesichter heute hier auftauchen würden.

Spiele unterhalb der Woche, also an ganz normalen Arbeits- tagen, nötigen viele Schalker dazu, direkt mit dem PKW zum Stadion zu kommen. Man darf nie vergessen, dass letztlich nur ein geringer Anteil der eigentlichen Stadionbesucher direkt aus Gelsenkirchen-Schalke oder Umgebung kommt. Wenn ich mich richtig erinnere, hat eine vor kurzem erstell- te Studie ergeben, dass jeder Fan in der Donnerhalle einen durchschnittlichen Anfahrtsweg von ca. 100 Kilometern hat. Das ist schon eine Marke!

Wir bestellen uns noch ein leckeres Radler, philosophieren über den möglichen Endspielgegner und setzen uns dann langsam in Bewegung Richtung Straßenbahn. Dort treffen wir tatsächlich, wir können es selbst kaum glauben, auf eine Gruppe von mitgereisten Dänen. Sie zeigen sich beeindruckt von der wunderschönen, verwinkelten Altstadt Gelsenkir- chens mit all ihren Sehenswürdigkeiten und Kulturschätzen - und da wir uns in Sachen Selbstironie nichts vormachen lassen, teilen wir uns spontan mit ihnen unser gerade käuf- lich erworbenes Fahrbier und versprechen ihnen mit unserer Donnerhalle ein tatsächliches Highlight unserer Stadt. Mehr als in Esbjerg gibt es bei uns allemal zu sehen.

34 Am Stadion angekommen macht sich die übliche Hektik breit, die man immer wieder an Wochenspieltagen spüren kann. Familienväter sprinten, drei Kinder an zwei Händen haltend vom Parkplatz kommend, zu den Eingängen, blaue Trikots flitzen an einem vorbei. Auch wir stiefeln durch die Eingangkontrolle „West 2“ und begeben uns in den Ober- rang. Als mir das erste Hinweisschild den Weg zu „meinem“ Block 41 weist, fängt mein Herzlein an ein wenig schneller zu pochen. Endlich wieder da!

Die tolle Neuigkeit von unserem Mitglied Clive, der uns in diesem Moment entgegen kommt, es gäbe heute – entgegen der üblichen Prozedur bei internationalen Pflichtspielen nur Plörre auszuschenken – reinrassiges Bier, lässt uns frohlo- cken. So machen wir noch einen kleinen Abstecher an die Bierbude. Frisch bewaffnet gehen wir also in unseren bereits fast vollständig besetzten Block und zielstrebig, als hätte ich mich noch nie von hier entfernt, bringen mich meine Beine automatisch zur Reihe 6, zum Platz 3. „Oli4sichseinPlatz“ lächelt mich der von Spaßvogel Volli angebrachte Aufkleber an. Auch ich kann mir ein kleines Schmunzeln nicht verknei- fen. Alles ist gut!

Gerade habe ich mich gesetzt, getestet ob auch niemand in der Zwischenzeit an meiner Sitzschale herumgefummelt hat (man stelle sich vor, jemand hätte bei einem der „PUR“-Kon- zerte in der Sommerpause einen dementsprechenden – und wenn auch nur winzigen – Aufkleber angebracht), da darf ich auch schon wieder aufstehen. Die altbekannte Einlaufmelodie für die zwei Teams erklingt. Blaue Schals werden gekonnt, für die Nachbarn teilweise aber auch gewagt, wie Ninja-Sterne durch die Luft gewirbelt und ergeben ein Bild, als würde die Donnerhalle aufgrund von Tausenden kleinen Propellern tat- sächlich gleich als UFO abheben können. Nichts dergleichen geschieht (Gott sei Dank!) und ich gebe mich meiner Gän- sehaut hin. Mensch, hat mir das gefehlt! Das Spiel beginnt und das Kollektiv unseres Blockes 41 darf sich, für kurze Zeit, wieder geschlossen setzen. Beim ersten Angriff stehen dann

35 alle wieder auf, wenn der Angriff erfolglos verebbt ist, setzen sich umgehend alle wieder. Dann wird ein Lied angestimmt – alle stehen wieder auf und setzen sich wieder. So geht das jetzt einerseits das ganze Spiel über, andererseits aber auch direkt in die Oberschenkel. Irgendwie erinnert mich dieses Ritual doch immer stark an meine Erstkommunion, an eine Zeit, in der die sonntäglichen Besuche der Gottesdienste zum Pflichtprogramm gehörten. Aufstehen, hinknien, setzen. Auf- stehen, hinknien, setzen. Wie sehr sich doch Schalke und die Religion in vielen Punkten ähneln.

Nun sitze ich also zum ersten Mal seit vielen, vielen Wochen wieder auf meinem angestammten Platz, lasse einmal mehr fasziniert meinen Blick im weiten Rund umherschweifen und werde ein wenig nostalgisch. Immerhin darf man in solchen Momenten, zu Recht, durchaus stolz darauf sein, ein Schalker zu sein. Das Spiel hat kaum noch einen sportlichen Wert, die Uhr zeigt 20.15 Uhr an und trotzdem ist die Hütte rappelvoll. Haben die Leute nichts besseres zu tun, als auf Schalke zu gehen? Nein!

Offiziell 56.000 zahlende Besucher prangert es in diesem Moment in dicken Lettern auf der 36 Quadratmeter großen Anzeigefläche unseres riesigen Videowürfels (so groß war meine erste Studentenbude gerade mal). Das hätten so ziem- lich alle deutschen Clubs wohl gerne mal an einem normalen Bundesliga-Heimspieltag. „Auf Schalke brauchst Du nur das Flutlicht anzuknipsen – und schon sind 30.000 Bescheuerte da“ hat mal zu Parkstadionszeiten jemand gesagt. Nein, zu Parkstadionszeiten, immerhin dem Stadion in dem ich groß geworden bin, in dem ich große Freud und tiefes Leid mit Schalke 04 habe kennen lernen dürfen, war nicht alles Gold was glänzte. Und man vergisst auch schnell, die Legende ist rapide gestrickt. Gerade was die Stimmung und die Zuschau- erzahlen angeht. Die alte Betonschüssel war nicht immer voll, bei weitem nicht. Und auch die Stimmung war nicht immer die, an die man sich heute noch zu erinnern glaubt. Gegen Teneriffa, im UEFA-Cup-Halbfinale natürlich, gegen Mai-

36 land im Finale, selbstredend. Aber donnerstags abends, vor 10.000 Fans gegen ?

Daher hat erst jetzt, viele Jahre später, mit Eröffnung der Arena, dieser Spruch tatsächlich einen neuen, gesunden Nährboden gefunden. Ob Abschiedsspiele für Altgediente- oder UI-Cup-Begegnungen, ob Arsenal London oder Vardar Skopje hier antreten: Die Hütte ist immer voll. Die Leute werden durch die Aura dieses Ortes, durch den Mythos dieses Vereines magisch angezogen.

Natürlich mag an dieser Stelle der eine oder andere unter uns kritischen Schalke-Fans argumentieren, dass der Mutter- verein sich im zweiten Jahr in Folge dazu entschlossen hat, den Dauerkartenpreis leicht anzuheben, um automatisch die UI-Cup-Spiele mit ins Paket zu nehmen. Sicherlich ist dieses Prozedere für einige Fans ein gewisses Ärgernis. Zum Bei- spiel wenn man, bedingt durch die ungünstige zeitliche An- setzung des Spiels, die berufliche Verpflichtung oder die ge- ographische Entfernung, es nicht rechtzeitig zur Donnerhalle schaffen kann. Natürlich sorgt auch diese Koppelung dafür, dass die Hütte heute wieder ausverkauft ist. Aber was soll diese typisch deutsche Eigenschaft, erst einmal grundsätzlich gegen alles zu sein und zu meckern? Wenn wir ehrlich sind, hat diese Maßnahme auf 90 % der S04-Fans keinerlei Aus- wirkung. Sie kommen doch so oder so zu allen Spielen, ob die Dauerkarte nun von vorne herein an den UI-Cup gekoppelt ist oder nicht. Und bis heute hat sich immer noch ein Dank- barer gefunden, der, im Falle der eigenen Behinderung, gegen einen adäquaten Obulus das Ticket gerne in Empfang nimmt. Und über allzu hohe Kartenpreise, verglichen mit den Preisen in den anderen deutschen und europäischen Stadien, dürfen wir uns hier auf Schalke sicherlich sowieso nicht beschweren. 170 € zahle ich in dieser Saison (ohne die UI-Cup-Spiele) für eine Sitzplatz-Dauerkarte im sichersten, modernsten, kom- fortabelsten, service-gerechtesten und geilsten Stadion Euro- pas. Umgerechnet 10 Euronen pro Spiel! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Mit 10 Euronen in der

37 Tasche werde ich heutzutage, mit meiner Dame an der Hand, an jeder Kino- oder Theaterkasse hämisch ausgelacht.

Lange Rede – kurzer Sinn. Äußerst überzeugend und sou- verän treten die Blauen von der ersten Sekunde an auf. Sie vermitteln sofort: „Wir sind hier Herr im Hause“. Elfte Spiel- minute: Ähnlich wie im Hinspiel wird eine, diesmal von Al- tintop getretene Ecke, per Kopf verlängert und unser Mike Hanke muss den Ball nur noch unter unserem Jubel ins lange Eck befördern. Endlich mal wieder heimischer Jubel. Und spätestens in diesen Momenten macht die Donnerhalle ihrem Namen alle Ehre. Lautstärken bis über 180 Dezibel sind da keine Seltenheit. Mensch, auch das hat mir gefehlt!

Die Stimmung ist euphorisch. Teilweise beteiligt sich das ge- samte Stadion an Gesang, Hüpf- und Klatscheinlagen. Ein forsches Offensivspiel mit zahlreichen Torchancen lässt die tolle Stimmung anhalten. Auch nach der Pause geht das mun- tere Treiben auf dem Rasen weiter. In der 54. Spielminute haut Altintop, nach einem tollen Zuspiel unseres Offensiv- künstlers Tomas Waldoch, aus 15 Metern den Ball – unhalt- bar für den dänischen Keeper Lars Winde - in die Maschen. Keine zehn Minuten später, Ailton zieht aus dem Lauf ab, der Ball rollt unglücklich durch die Beine des Schlussmannes, klatscht gegen den Pfosten und Asa staubt ab (3:0). Das Spiel, eh schon von Anpfiff an so gut wie gelaufen, glänzt darauf- hin nur noch durch kreative Showeinlagen der Trainerbank, welche geschlossen zum „Wer nicht hüpft, der ist Borusse“ der Nordkurve anfängt mitzuhüpfen. Wenn die Jungs genau so weiterspielen, dann kann es tatsächlich ein dolles Jahr werden. Die Vorstufe des Minimalzieles haben wir erreicht, unser Endspielgegner wird im übrigen erneut Slovan Liberec heißen. Eine harte Nuss, aber sicherlich nicht unschlagbar. Und mein ganz persönliches Fazit des Abends lautet: „Und zuhause ist doch am schönsten“!

38 06.08.2004 Werder Bremen – Schalke 04 • 1:0

Ich schlage die Au- gen auf, werfe einen verschlafenen, bösen, Blick auf meinen Radi- owecker (es wird gerade der Holzmichel von „De Randfichten“ gespielt) und prompt stehe ich kerzengerade im Bett. Nein, nicht weil dieses schreckliche Lied erklingt, nicht weil ich etwa verschlafen hätte, sondern weil heute der große Tag ist. Heute ist nämlich Freitag, der 6. August. Der erste Spieltag der 42. Bundesliga- Saison, der Saison 2004/2005. Die fußballlose Zeit, die Zeit der Samstagsausflüge und Shoppingtouren ist endlich vorbei. Ein Tag, auf den ich mich – gemeinsam mit Millionen ande- rer Fußballfans - seit Tagen und Wochen gefreut habe.

Der Blick aus dem Veluxfenster über mir scheint die Wetter- vorhersage der Tagesthemen am Vorabend zu bestätigen. Heute soll einer der heißesten, wenn nicht sogar der heißes- te Tag des Jahres werden. Als kleiner Sonnenanbeter stört mich diese Tatsache weniger. Lieber sich bei tollem Sonnen- schein und wolkenlosem Himmel als bei strömenden Regen auf große Fahrt begeben. Ob allerdings die Kühlung unserer Schildkröte dieser Belastung standhalten wird, wage ich zu bezweifeln. Daher ist das absolute Sommeroutfit zu wählen. Kurze Hose, kurzes Shirt, kurzes alles. Gut, dass die Merchan- disingabteilung des Supporters Clubs auf alle Eventualitäten vorbereitet ist.

Der Bus ist, fast schon selbstverständlich, seit Wochen bis auf den letzten Platz ausgebucht und Dank der wenigen Bau- stellen auf der A1 haben wir uns für eine Abfahrtszeit von 13 Uhr entschlossen. Um 20.30 Uhr ist Anpfiff, um spätestens

39 19 Uhr sollten wir also vor Ort sein. Sechs Stunden bis nach Bremen, sechs Stunden für ca. 200 Kilometer an einem Frei- tagnachmittag auf Deutschlands Autobahnen, das dürfte mit ein wenig Glück zu schaffen sein. Allerdings bedeutet dies, dass ein Großteil der Mitfahrer schon wieder einen halben Tag Urlaub nehmen muss. Für diejenigen unter uns, die auch mit beim UI-Cup-Spiel in Dänemark waren, sind demnach, bevor die Saison eigentlich richtig angefangen hat, die ersten eineinhalb bis zwei Urlaubstage bereits futsch. Rechnet man das aufs ganze Jahr hoch, kommt ganz schön was zusammen – und die Dame des Hauses möchte ja auch nicht zwangs- läufig für Schalke, auf ihren wohlverdienten Sommerurlaub verzichten. Mit diesen Problemen müssen wir Fußball-Fans halt Jahr für Jahr kämpfen.

Natürlich könnten wir an dieser Stelle wieder über die An- setzung dieses Spiels schimpfen und ellenlang grundsätz- lich über unser Anliegen als Fans, die Forderungen von „Pro 15:30“ durchzusetzen, diskutieren, aber der Freitag Abend ist uns immer noch wesentlich lieber als der Sonntag Nachmit- tag und daher hält sich unser Groll doch in Grenzen. Eigent- lich hat ein schönes Freitag Abend Spiel bei Flutlicht ja auch etwas Romantisch-Nostalgisches an sich, bin ich doch sel- ber ein Angehöriger der Generation: „Zwei Spiele am Freitag Abend, sieben am Samstag Nachmittag“. So oder so nutzt alle Aufregung nichts. Es wird gespielt, wenn die DFL und das TV das wollen – und ganz nebenbei spült das Ganze ja auch noch ein wenig Bares in unsere leicht ramponierte Vereinskasse. Angeblich ist noch ein wenig Platz auf dem Clubkonto, da passt noch was drauf! Und sicherlich freuen sich auch Tau- sende von Schalkern und Millionen von Fußballfans, dass sie diese Partie im Free-TV werden sehen können.

Das Schalke 04-Sommeroutfit also übergeworfen, treibt es mich gen Mittagszeit zum Stammlokal. Dort haben sich be- reits einige Supporters eingefunden und genießen die war- men Sonnenstrahlen bei einem ersten Erfrischungsgetränk. Schnell sind wir in ein Fachgespräch verwickelt, indem wir

40 zu dem Schluss kommen, dass es sich heute zeigen wird, was wir uns mit dieser, durch den UI-Cup permanent unterbro- chenen, Vorbereitung eingebrockt haben. Haben wir, im Ver- gleich zu den anderen Teams, etwa schon mehr Spielpraxis gesammelt? Sind wir auf den Punkt topfit? Sind wir bereits eingespielt? Eigentlich kaum vorstellbar bei Jupps Rotati- onsschema. Oder gingen die Spiele zu Lasten von Kondition, Theorie und Taktik? Ich, wäre ich Profi, würde es meinem Arbeitgeber mit Leistungen danken, dass ich lieber spielen, als Kondition trainieren durfte. Aber mich fragt ja niemand. Auf jeden Fall ist es, da sind wir uns alle einig, gleich am ers- ten Spieltag ein unglaublich wichtiges, vielleicht sogar schon richtungsweisendes Spiel. Und ein Spiel voller Brisanz noch dazu, treffen doch Mladen Krstajic und Ailton direkt im ers- ten Match auf ihre alten Kollegen aus dem Meisterteam 2004. An Motivation dürfte es diesbezüglich also nicht fehlen.

Und wenn ich ehrlich bin: An den letzten richtig guten Sai- sonstart, einen Saisonstart, der den Rest der Saison fast schon hat zum Selbstläufer werden lassen kann, an den kann ich mich – trotz meiner mittlerweile 29 Jahre – nicht erinnern. Täte also doch auch mal ganz gut! Die Euphorie unter uns ist jedenfalls riesengroß!

Wir steigen voller Vorfreude in die Schildkröte ein. Jedoch sollte irgendwie alles anders kommen. Der Fußball schreibt halt immer wieder seine eigenen Geschichten! Das uns die Schildkröte, besser gesagt der Megamops (Fachbegriff für die 100-Personen-Schildkröte), auf halber Strecke nach Bremen fast verreckt, ist ja noch zu verkraften. Der Kühler hat, bei 40° C im Schatten schlichtweg mitten im Stau, in dem wir nun seit zwei Stunden stehen, schlapp gemacht. Also schnell den nächsten Autobahnrasthof angesteuert um die Kiste ab- kühlen zu lassen, während der 100 Jahre alte Peter, gespielt fachlich, hinten im Motorblock herumwühlt, und sich für uns die Gelegenheit bietet, eine köstliche Bratwurst am Imbiss- stand zu verzehren. Natürlich nutzen wir auch die Möglich- keit, rasch noch einige eiskalte Büchsen Bier einzukaufen, ist

41 doch der bordansässige Kühlschrank hemmungslos überfor- dert. Kein Wunder, bei 100 durstigen Kehlen an Bord.

Weiter geht’s nach einer halben Stunde, und erstaunlicher- weise kommen wir danach bis zur Weser relativ zügig durch. Zumindest sind wir alle pünktlich eine halbe Stunde vor An- pfiff im Stadion. Mehr oder weniger alle, ist doch einigen die Mischung aus Alkohol & Sonne scheinbar ein wenig zu Kopf gestiegen, was zwangsläufig zu einer verlängerten Siesta führt. Nun stehen wir also da, hoch motiviert, bis in die Ze- henspitzen gespannt, die Stimmung bei uns im Block kocht – im wahrsten Sinne des Wortes – fast über und wir warten gemeinsam, wie natürlich auch die Bremer Fans, auf den An- pfiff. Was dann allerdings passiert, werden wir wohl unseren Enkelkindern noch erzählen können. Offiziell werden sie in den Chroniken eine Geschichte von einem totalen Ausfall der Stromversorgung lesen können, von absoluter Dunkelheit im Stadion und ähnlichen Legenden. Aber wir waren live dabei, können diesen und ähnlichen Quatsch widerlegen. Was ist in Bremen also wirklich passiert?

Für uns Stadionbesucher macht sich der Stromausfall – ja, es hat ihn tatsächlich gegeben – zunächst lediglich im Vor- programm bemerkbar, als plötzlich beide Videoleinwände ausfallen. Die Flutlichtmasten sind weiterhin tadellos in Be- trieb und auch sämtliche Stadiondurchsagen funktionieren problemlos. Zu diesem Zeitpunkt denkt niemand von uns auch nur eine Millisekunde daran, dass die nachfolgenden zwei Stunden zu einer großen Farce werden sollten. Nach dem Ausfall der Anzeigentafel erfolgt zunächst eine Durch- sage, die uns Fans über besagten Stromausfall aufklärt und gleichzeitig verkündet, dass das Spiel vorerst nicht angepfif- fen werden kann. So zieht sich der Anpfiff bis 21.15 Uhr hin, obwohl es hell genug ist – wie gesagt, das Flutlicht funktio- niert einwandfrei - um anzupfeifen. Unruhe und Unverständ- nis machen sich im Stadion breit. Mittlerweile habe ich da- heim angerufen und so erfahre ich, dass die Fernsehanstalten (ARD & Premiere) keinen Ton und kein Bild senden können.

42 Aha. Daher weht der Wind also. Einige Zeit später verkündet der bemitleidenswerte Stadionsprecher den baldigen Anpfiff (zur Not auch ohne TV-Anstalten, die offenbar immer noch mit dem Stromausfall zu kämpfen haben). In unserem Gäs- teblock wir die Stimmung in der Zwischenzeit merklich ge- reizter. Immer mehr Fans machen lautstark ihrem Unmut Luft.

Das Stadionthermometer zeigt immer noch satte 27 Grad Celcius an, doch die schwitzende Masse muss fortan ohne Getränke auskommen oder Wucherpreise (vier Euro!!!) für notdürftig gespülte und mit Leitungswasser aufgefüllte Pfandbecher bezahlen.

Als Krönung wird zwischendurch einigen von uns die Rück- kehr in den Gästeblock (wegen angeblicher Überfüllung) un- tersagt. Zusammengefasst: Chaos! Wie Hohn erklingt da eine erneute Stadiondurchsage: Man könne das Spiel, aus Sicher- heitsgründen, nicht anpfeifen. Hält man uns Fans eigentlich alle für hemmungslos bescheuert? Bedenkt man dann noch, dass die Sicherheitskräfte mit Handys oder Funkgeräten arbeiten, die so oder so nicht ans Stromnetz angeschlossen sind, ist die lächerliche Begründung der mangelnden Sicher- heit als Ursache für den ausbleibenden Anpfiff der Gipfel der „Verarschung“. Weder die Sicherheit der Zuschauer, noch die der Spieler ist gefährdet. Nichts – aber auch gar nichts – spricht gegen einen regulären Ablauf des Spiels. Ganz im Gegenteil: Die Sicherheit von uns Fans wird einzig und al- lein durch die Verzögerung des Anpfiffes gefährdet. Sitzen ei- gentlich nur Bratbären in führenden Positionen? Gerade weil ich zur Garde der alten Idealisten in Sachen Fußball gehöre, sage ich: Es geht hier um ein Spiel, ein Fußballspiel. In der Tat, vielleicht sogar um eines der wichtigsten der gesamten Saison. Aber es wird einzig und allein wegen des Fernsehens gewartet? Das kann ja wohl nicht wahr sein! Die Sicherheit tausender Besucher wird gefährdet!

Ich fange an zu überlegen: „Ist eigentlich jemals ein Bundes-

43 liga-Spiel um über eine Stunde verspätet angepfiffen worden, weil wir Fans noch im Stau standen? Wurden etwa schon einmal Spiele verspätet angepfiffen, obwohl es Verletzte – vielleicht sogar Tote – im Umfeld dieses Spiels gab? Wurden etwa Champignons-League-Spiele abgesagt bzw. verspätet angepfiffen, obwohl die halbe Welt erschüttert und Atem anhält, weil in den USA zigtausend Menschen durch Terror- anschläge starben?“. Quatsch, der Rubel muss rollen – und das geht nur, wenn der Ball im TV rollt! Dazu allerdings muss das TV sendebereit sein.

Mittlerweile tun alle Fans im Stadion ihren Unmut lauthals durch Pfeifkonzerte und Ähnliches kund. Einzig unser Mann- schaftskapitän Frank Rost sorgt noch für ein wenig Erhei- terung und Unterhaltung indem er, mit der Flüstertüte in der Hand, unsere Kurve zur La Ola und zum „Schalke – 04“ Wechselgesang animiert (ganz großes Tennis, Frank!). Aber es kommt ja noch viel besser!

Als gerade der Anpfiff nun doch erfolgen soll, kommt es, quasi im Moment des Anstoßes, zum plötzlichen Ausfall des Flutlichtes – und ohne Flutlicht – kein Spiel. Im Nachhinein, wäre es nicht so traurig, kann man sich das Lachen eigentlich kaum noch verkneifen. Zufälle gibt’s im Leben! Selten war für einen aktiven Fan die Ohnmacht gegenüber der Macht des Fernsehens deutlicher zu spüren als in diesem Moment. Dem Letzten wird es in diesen Minuten des Wartens die Au- gen geöffnet haben, wo wir als Fans stehen und wer uns, als Teil des zu vermarktenden und zu verkaufenden Produktes Fußball, wie Marionetten manipulieren kann. Dagegen ver- kommt unser üblicher Ärger um Anstoßzeiten fast schon zum Nichts. Ganz gleich ob Springer, Murdoch, DFL, DFB oder die öffentlich rechtlichen Sendeanstalten – für die sind wir unmündige, unkritische Objekte die 1:1 auch durch Stim- mung machende Roboter ersetzt werden könnten.

Letztenendes wird über eine Stunde lang, bei saunaähnlichen Temperaturen, mit aller Macht versucht, die TV-Übertragung

44 zu sichern. Man gefährdetet damit die Sicherheit und Ge- sundheit von über 40.000 Stadionbesuchern. Ja, liebe Leute, in einem Stadion befinden sich heutzutage tatsächlich sogar auch Familien mit Kindern, schwangere Frauen, ältere Men- schen und sonstige „Risikogruppen“. Vielleicht sollten die Verantwortlichen mal ihren Hintern in eine Fankurve bewe- gen und sich anschauen, wer dort als Endkunde sitzt.

Noch einmal gute zwanzig Minuten später, inzwischen ist es 21.40 Uhr, wird die Partie dann doch noch angepfiffen und - oh Wunder - rein zufällig sind die ARD und Premiere genau in diesem Moment wieder live auf Sendung. Symbo- lisch werfen Schalker Fans in unserem Block die vor dem Spiel verteilten ARD-Schalkefähnchen in hohem Bogen auf die Tartanbahn. Einzig an den Außentemperaturen liegt es wohl, dass wütende Fans daraus nicht ein riesiges Feuer ent- fachen. „Fanverkackeierung – bei ARD & ZDF sitzt Du in der ersten Reihe!“ So - und nicht anders - sollte es demnächst in den Bundesligachroniken stehen.

Mit ziemlicher Sicherheit werden wir aber dann eine andere Version nachlesen können. Eine, die der DFL bequemer ist, eine, die wir in dem Kapitel „Pannen“ direkt nach dem „Pfos- tenbruch in Gladbach“ wieder finden werden.

Trauriger Höhepunkt des Tages ist im übrigen dann noch das eigentliche Spiel. Man hätte es gar nicht erst anpfeifen sollen, anpfeifen dürfen. Die Lust auf Fußball ist auf unter Null Grad Celsius gesunken. So recht motiviert scheint da keiner mehr zu sein. Kurz gemacht: Als wir uns alle schon, nach einem öden Hin- und Herschieben des Balls, mit einem gerechten, torlosen Remis abgefunden haben sorgt der kurz zuvor eingewechselte Nelson bei den Fischköpfen in der 83. Minute mit einem Abstauber für das 1:0 Siegtor. Damit ist das Spiel, damit ist der Tag gelaufen. Die Aufregung über den vermasselten Saisonstart hält sich auf der Rückfahrt al- lerdings in Grenzen. Viel zu sauer sind alle über die Ereig- nisse der vergangenen Stunden. Noch nie zuvor war ich nach

45 einem Freitagabendsspiel in Bremen – und davon habe ich schon einige miterleben dürfen - erst um vier Uhr am frühen morgen daheim im Bett. Ich nehme noch die Zeitung mit hoch und lese etwas von einem Baggerfahrer der kurzerhand den Auftrag erhalten hatte, alle Stromleitungen im Umkreise von drei Kilometern rund ums Bremer Weserstadion zu kap- pen, damit bloß kein Strom dieses erreichen konnte. Wie ein Wahnwitziger hämmerte dieser dann mit seinem Apparillo auf alles ein was auch nur ansatzweise nach Strom aussah. Zumindest so oder so ähnlich lautete das offizielle Statement für die Realsatire. Ich bin zu müde es im Halbschlaf richtig verstehen zu können. Vielleicht will ich es auch gar nicht.

46 10.08.2004 - UI-Cup Schalke 04 – Liberec • 2:1 (Finale, Hinspiel)

Zwar sitzen Ärger und Frust über den wenig meisterlichen Saisonstart in Bremen - samt all seiner negativen Randge- schehnisse - noch tief, aber der Döner-Cup lässt uns Gott sei Dank keinerlei Möglichkeiten, allzu lange Trübsal zu blasen. Bereits im letzten Jahr hat sich Slovan Liberec als starker Gegner erwiesen. Besonders imponierte mir da ihre Spiel- stärke, aber auch die taktische Diszipliniertheit. Und daher wäre es verdammt wichtig, heute entsprechend vorzulegen, um dem Erreichen der ersten Runde im UEFA-Cup ein gan- zes Stückchen näher zu kommen.

Einmal mehr ist die Bude brechend voll, als ich kurz vor An- pfiff, ich komme heute direkt vom Marathon-Training, die heilige Stätte betrete. 55.000 zahlende Besucher und sicher- lich einmal mehr große Freude beim Schatzmeister. Drei „Zu- satzveranstaltungen“ namens UI-Cup in nur drei Wochen, da lacht der Klingelbeutel.

Das ist der pure Wahnsinn. Das ist die Faszination Schalke, der Mythos wie er leibt und lebt! Und damit sich der Schatz- meister nach dem Spiel noch viel mehr freuen kann – und unsere arg gebeutelte Fanseele in naher Zukunft statt Libe- rec und Skopje wieder Mailand und Madrid als Reiseziel an- steuern kann - legen die Blauen heute tatsächlich los wie die Feuerwehr.

Erstmalig lässt Don Jupp unseren Neuzugang Marcelo Bor- don auflaufen, und auch die Aufstellung von Asa und Lin- coln zeugt von einer offensiven Ausrichtung der Knappen. Damit stehen heute im übrigen erstmalig drei Brasilianer in unserer Anfangsformation. Kaum zu glauben, wenn man

47 bedenkt, dass noch vor wenigen Jahren unser verantwortli- ches Management davon überzeugt war, dass südamerikani- sche Spieler, schon alleine ihrer Mentalität wegen, nichts auf Schalke zu suchen hätten. Hier wo der Fußball angeblich nur malocht wird. Gut, dass man Irrtümer erkennen und korri- gieren kann.

In der fünften Minute trifft unser kleiner Dicker „mit ohne Hals“ nach einem tollen Heber aus ca. 20 Metern Entfer- nung nur die Latte. In der zwanzigsten Minute, wieder ist es Ailton, fliegt ein wuchtiger Kopfball nur knapp über selbi- ge. Zwar macht sich nicht gerade Verzweiflung in der Arena breit, aber die schlechte Torchancenauswertung ist tatsäch- lich zum Haareraufen. Irgendwann einmal muss die Kirsche doch reingehen! Wo ist der Ailton aus der letzten Saison, als er für Werder spielte und nach dem Motto: „Jeder Schuss ein Treffer“ agierte?

Doch dann ist es endlich soweit. 26. Spielminute, eine Her- eingabe von Lincoln rutscht irgendwie unglücklich unter dem Torwart der Tschechen durch und der am hinteren Pfosten einschussbereite Ailton beweist, warum er sich im letzten Jahr die Torjägerkanone sicherte. Er steht goldrichtig, ein- fach da, wo ein Stürmer stehen muss und braucht nur noch locker den Schlappen hinzuhalten. Eine brasilianisch–bra- silianische Co-Produktion. Mehr davon bitte! Der ersten Er- leichterung wird erst einmal freien Lauf gelassen.

In den folgenden Spielminuten liegt uns im Block etliche Male der Torschrei schon auf den Lippen. Gut, dass wir zumindest mit 1:0 führen. Man möchte am liebsten selbst auf den Platz springen und die Dinger reinhauen. Chance um Chance wird vergeben, aber wir spielen gut, voller Selbstvertrauen munter weiter. Es scheint nur eine Frage der Zeit zu sein, wann es wieder klingelt. Und so kommt es auch. Ungewohnt kämpfe- risch holt sich Ailton einen Ball aus der eigenen Hälfte. Von wegen, der Kugelblitz habe keine Lust auf Döner-Cup – son- dern wolle lieber Champignon-Legaue spielen. Heute gibt er

48 alles, damit wir in den UEFA-Cup einziehen können. Er zieht blitzschnell aus der eigenen Hälfte mit einem frisch eroberten Ball los und schickt im richtigen Moment den pfeilschnellen Asamoah mit einem tollen Pass in die Tiefe steil. Dieser lässt leichtfüßig seinen Gegenspieler aussteigen und schlenzt den Ball überlegt aus acht Metern zum 2:0 in den rechten Winkel. 2:0, und das auch noch kurz vor der Pause. Der diplomierte Fußballpsychologe würde nun sagen: „Besser kann es nicht kommen!“.

In der Halbzeitpause versorge ich mich noch schnell mit ei- nem frisch gezapften Veltins und die Gedanken wandern bei unserem Halbzeitgeplänkel schon Richtung Samstag. Schon wieder ein Heimspiel, das erste Bundesligaheimspiel der Sai- son. Die roten Teufel vom Betzenberg werden dann unsere Gäste sein. Sie gilt es zu schlagen, um die Schlappe von Bre- men umgehend wett zu machen.

Wir spielen eigentlich genauso weiter wie wir aufgehört ha- ben. Vor allem Bordon beweist ein ums andere Mal, warum er (hoffentlich) jeden einzelnen Cent seiner relativ hohen Ablöse wert war und lässt seinen Gegenspieler, der immer wieder gezwungen ist ins Leere zu laufen, verzweifeln. Un- glaublich souverän, schnell, kampfstark und gleichzeitig auch technisch perfekt, verkörpert er wohl den Prototyp des „In- nenverteidigers 2004“. Wie wohl ein Johan de Kock oder ein Yves Eigenrauch neben ihm ausgesehen hätte?

Im Spiel nach vorne gleichen sich die Bilder. Asa verpasst gleich mehrfach, Altintop hat Pech. Und so steht eine Vier- telstunde vor Abpfiff, statt einem sicherlich hochverdientem 3:0 oder 4:0 immer noch „nur“ ein 2:0 auf dem Videowürfel und es tritt das ein, was unbedingt zu vermeiden war. Wie sagt doch ein deutsches Sprichwort: Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben!

Ich glaube es nicht! Da kommen die Tschechen einmal ge- fährlich vors Tor und knallen in Person von Tomas Zapo-

49 tocny den Ball aus sechs Metern zum 2:1 direkt unter die Querstange, von wo aus er in die Maschen purzelt. Alles wie immer. So etwas nenne ich optimale Chancenauswertung. Aber das führen uns seit Wochen und Monaten die Gäste- teams in der Arena in Perfektion vor. Während der Großteil der Fans spontan anfängt, die Mannschaft anzufeuern, be- ginnt im Gegengeradenbereich wieder der große Abmarsch der notorischen Frühgeher. Mensch, wie mich das immer är- gert! Auch ich muss - ob unterhalb der Woche oder am Wo- chenende – nach einem Spiel öfter Mal schnell weg und einen Termin wahrnehmen. Trotzdem dauert ein Spiel, unser Spiel, 90 Minuten und vorher rühre ich mich keinen Fuß breit von meinem Platz weg. Auf den Gedanken, vor Abpfiff das Sta- dion zu verlassen, käme ich unter normalen Umständen gar nicht, schon alleine nicht aus dem Grund, weil selbst in den letzten Sekunden noch soviel passieren kann, weil ich Angst hätte, etwas Entscheidendes, dramatisches, zu verpassen. Es gibt Tausende Beispiele.

Das scheint diesen Leuten aber völlig egal zu sein – ob wir nun hinten liegen oder haushoch führen - regelmäßig wird der Platz mindestens zehn Minuten vor Abpfiff geräumt. Was soll es, in unserem freien Land kann jeder machen, was er gerne möchte, kann jeder gerne gehen, wann es ihm beliebt. Ich muss es ja nicht begreifen! Und die Fernsehzuschauer daheim sowie die Haupttribünenbesucher dürfen sich dar- über freuen, ab einer gewissen Zeit den dollen „FC Schalke 04“–Schriftzug auf der Bestuhlung sehen zu können.

Zwar bemühen sich unsere Jungs, trotz der Abreisewelle, in der letzten Viertelstunde noch redlich ein weiteres Tor zu erzielen, doch die Tschechen stellen sich, natürlich mit dem Ergebnis hochzufrieden, mit Mann und Maus hinten rein und schlagen jeden Ball einfach nur noch wild nach vorne. Und so endet das Hinspiel, relativ knapp, mit 2:1. Eigentlich zu knapp, gemessen am Spielverlauf, aber immerhin gewonnen. Es gilt positiv zu denken. Und ein Auswärtstor sollte auch, bei unserem Kader, immer drin sein. Jetzt wird es im Rückspiel

50 in Liberec in zwei Wochen noch einmal ein richtig heißer Tanz. Dort wird dann nicht zwangsläufig eine Leistungsstei- gerung nötig sein – das Spiel war okay. Aber die Chancenver- wertung war heute nun wirklich nicht internationale Spitze. Vielmehr freue ich mich heute schon auf den erneuten Be- such der, recht preiswerten, tschechischen Metropole. Dieses Mal mit einer Übernachtung. Das wird eine Gaudi!

51 14.08.2004 Schalke 04 – 1. FC Kaiserslautern • 2:1

Endlich ist es wieder soweit! Nur vier Tage nach dem Hinspielsieg im Finale des UI- Cups hält nun endlich auch der Bundesliga- alltag wieder Einzug in unsere Donnerhalle. Es ist halt doch immer noch etwas anderes, ob wir im Döner-Cup daheim gegen Libe- rec oder in der Liga gegen den 1. FC Kai- serslautern spielen. Gegen den haben wir die letzten Spiele gar nicht so schlecht ausgesehen, ein gutes Omen?

Relativ früh geht es heute ins Café Central und im Vergleich zu den ersten Heimspielen im Döner-Cup ist es hier heute rappelvoll. Überall wo ich hinschaue, sehe ich die bekann- ten Gesichter, sehe ich diese wunderschönen Supporters Club-Fanutensilien: Supporters Club Balkenschal, SC-Polo, SC-T-Shirt, SC-Mitglieder, alles ist vertreten. Eine große Schalker Familie. Hier fühle ich mich wohl. Hier bin ich zu Hause. Selbst die „Betzeknaller“, eine befreundete Kongo eingefleischter FCK-Anhäger, mit denen wir Jahr für Jahr jeweils zu Hin- und Rückspiel viel Spaß haben, sind schon da. Auch sie werden natürlich mit einem herzlichen „Prost“ begrüßt. Mehr allerdings – ich gebe es zu – verstehe ich von ihrem Pfälzer Dialekt auch nicht. Nette Leute! Wir haben uns trotzdem gerne.

Gemeinsam mit meinen SC-Jungs Rudi, Rainer, Deppi, Kurti und Co. wird schleunigst ein frisch Gezapftes bestellt (im- merhin haben wir schon 13 Uhr durch – da darf man!) und die üblichen Prognosen für das Spiel werden abgegeben, während man aus dem Begrüßen, Küssen und Abklatschen gar nicht mehr herauskommt. Richtige Bundesliga-Heim- spielstimmung. Wahre Wiedersehensfreude, die vom Herzen kommt, traumhaft!

52 Einmal mehr überkommt mich dieses Gefühl, dieser innere Drang, alle umarmen zu wollen und meinen Mitmenschen - die nichts mit Fußball zu tun haben - an dieser Stelle erklären zu wollen, was Schalke 04 eigentlich für uns alle bedeutet. Erklären zu wollen, dass unser Dasein als Schalker, als Fans, als Mitglieder eines Fanclubs, mehr - viel mehr - ist, als nur der einfache, stupide wöchentliche Besuch eines 90 Minuten dauernden FußballSpiels mit königsblauer Beteiligung. Da steckt viel, viel mehr dahinter. Wir sind ein soziales Gefüge, ein Kollektiv. Wir tragen Verantwortung füreinander, sind füreinander da, hören uns zu – auch wenn es, wie allzu oft - nicht um Schalke geht. Auch wenn Schalke natürlich immer um uns und in uns, der Mittelpunkt unserer Gemeinsamkeit ist, so gehören doch Themen wie Arbeitslosigkeit und Krank- heit genauso dazu wie politische Themen, Ängste, Probleme, Sorgen – aber dann halt auch die geteilte Freude. Wir sind mehr als nur ein loser Haufen Fans die dem S04 die Daumen drücken. Wir sind eine verschworene Gemeinschaft, in wel- cher auch in der Not alle zusammen stehen, so wie es auch in unserem Vereinslied schon besungen wird: „1.000 Freunde, die zusammen stehen, dann wird der FC Schalke niemals un- tergehen!“. König Fußball, Schalke regiert bei uns die Welt. Wir lieben und leben Schalke – und trotzdem verbindet uns darüber hinaus noch einiges mehr. Bei uns allen ist Schalke 04 Teil unserer eigenen Identität, ein Teil von uns selbst ge- worden. Wir stehen mit Schalke auf und gehen mit Schalke schlafen. Schalke bestimmt unseren Jahresrhythmus – zum Beispiel bei der Urlaubsplanung. Schalke ist mitverantwort- lich für unsere gute, aber auch schlechte Laune.

So manche empirische Erhebung würde für erstaunliche Er- gebnisse sorgen, wenn man der Frage nachgehen würde, wie wichtig der FC Schalke 04 für seine Fans, oder wie wichtig er gar für die Bürger Gelsenkirchens ist. Nicht nur in ökonomi- scher Hinsicht, als Steuerzahler oder als mittlerweile zweit- größter Arbeitgeber – sei es direkt oder indirekt – in dieser Stadt. Nein, Schalke 04 bringt Gelsenkirchen, einer angeblich dem Untergang geweihten Stadt, einer Stadt mit über 20 %

53 Arbeitslosigkeit, grauen Hausfassaden, kaputten Straßen, ei- nem furchtbaren Ruf und einem schäbigen Bahnhof, ein we- nig Freude mit heim. Schalke bringt vielen Mitbürgerinnen und Mitbürgern dieser Stadt, bringt vielen seiner Fans, ein wenig Farbe in den tristen Alltag, sorgt für ein wenig mehr Lebensqualität, ein wenig mehr Stolz.

Ich werde abrupt aus meinen Gedanken gerissen, als das Auf- bruchkommando erklingt. Hörnchen und Voffi – zwei Jungs unserer „Sexion Rheinland“ - sind bereits vorgegangen um uns im Brauhaus Hibernia noch ein leckeres „Grubengold“ für die lange Bahnfahrt zu organisieren. Toll wie das klappt, wir sind ein eingespieltes Team, jeder Spielzug sitzt! Am Sta- dion angekommen fällt uns zunächst einmal auf, dass im Ver- gleich zur letzten Spielzeit im direkten Stadionumfeld weitere Bierstände aufgestellt wurden. Eine Tatsache, die uns nicht großartig betrübt, einzig ärgert uns, dass man im Gegenzug auch an das Aufstellen von mobilen Toiletteneinheiten hätte denken können.

Noch schnell ein Helles mit meinen Busenfreunden aus dem SC, Helge, Kreischer und Heiner – die wir natürlich hier (wo sonst?) antreffen - „auf die Faust“ genommen und dann ab ins Stadion. Viertel nach drei zeigt mein Chronometer mitt- lerweile bereits an.

Fünf Minuten später sitze ich auf meinem Platz und blicke, während Ailton auf dem Platz als „Spieler des Jahres“ geehrt wird, hinunter in den Stehplatzbereich der Nordkurve. Es hat uns seit dem Ende der letzten Saison sehr viel Energie und Arbeit gekostet dafür zu sorgen, dass er auch bei Bun- desligaspielen so aussieht, wie er jetzt aussieht. Zahllose Ge- spräche haben wir, die einzelnen großen Fangruppierungen, gemeinsam mit der Politik, dem Sicherheitsdienst und Schal- ke 04 geführt. Man wollte die einzelnen Stehplatzsegmente fanfreundlich mit 2.20 Meter hohen Zäunen abtrennen und ein riesiges Fangnetz vor der Kurve aufhängen. Dank unse- res Engagements und unserer Überzeugungsarbeit hat man

54 auf diese restriktiven Maßnahmen, die ein gutes Stück un- serer Kurve, ein bedeutendes Stück bestehender Fankultur, zerstört hätten, verzichtet. Freie Sicht für freie Bürger! Im Gegenzug haben wir Fans den Verantwortlichen versprochen uns selbst zu disziplinieren, indem halt nicht Spiel für Spiel kiloweise Bananen, Golfbälle oder Feuerzeuge auf dem Spiel- feld landen und wir vor allem selbst dafür Sorge tragen, dass die Ein- und Aufgänge zu den Stehplatzblöcken als Flucht- und Rettungswege immer halbwegs frei bleiben. Genau dies schaue ich mir jetzt von meinem Platz im Oberrang an und man mag es kaum glauben: Es klappt! Respekt Nordkurve!

Anpfiff. Wieder lässt gleich auf vier Positio- nen rotieren. Wird sich so jemals ein Team richtig einspielen können, Jupp? Trotzdem, wie bereits am Dienstag, nehmen die elf Knappen auf dem Platz das Heft sofort in die Hand, während die Pfälzer, wie fast schon zu erwarten, ihr Abwehr- bollwerk aufbauen.

Die Stimmung in der Donnerhalle ist prächtig. Da unterläuft Hamit Altintop – der heute für Kamphuis ins Spiel gekom- men ist – vor dem eigenen Sechzehner ein kapitaler Fehler. Er spielt dem Neu-Lauterer Carsten Jancker, der im letz- ten Jahr in der italienischen Seria A noch mit dem Preis als „goldene Mülltonne des Jahres“ bedacht wurde, direkt in die Füße. Dieser spielt auf das Bewegungswunder Seitz weiter (ja, genau der Seitz, der im letzten Jahr noch für uns gespielt hat und im Tausch für Lincoln in die Pfalz gewechselt ist). Unter normalen Umständen ist es beim Fußball so, wenn Not auf Elend trifft, dann kann ja eigentlich nix passieren. Denkste, Pustekuchen, so kann man sich täuschen! Irgend- wie bekommt „uns Jochen“, an alter Wirkungsstätte den Ball aus drei Metern Entfernung im Tor unter. 0:1 nach knapp einer Viertelstunde, Torschütze Jochen Seitz. Der Glaube an den Fußball scheint mich zu verlassen. So etwas gibt es doch gar nicht!

Keine drei Minuten später lässt sich Seitz wegen einer (an-

55 geblichen) Verletzung am Oberschenkel auswechseln. Clever ist er ja – man soll bekanntlich immer aufhören, wenn es am schönsten ist, wenn man auf dem Zenit seiner Karriere angekommen ist!

Ein Ruck scheint durch unsere Mannschaft und durchs Sta- dion zu gehen, und die Blauen erhöhen nach dem Rückstand weiter den Druck. Speziell Asamoah unterstreicht seine Top- form, bewegt sich, seitdem er ca. acht Kilogramm abgenom- men hat (angeblich weil ihn seine Freundin, die zu oft und zu lange in Ghana verweilt, kaum noch bekochen kann), ga- zellenartig über das Grün. Es liegt was in der Luft, die Nord- kurve feuert unser Team an und in der 26. Minute ist es end- lich soweit! Eine Hereingabe von Christian Poulsen, durch Krstajic auf den rechten Torpfosten verlängert, erreicht den richtig postierten Asa, der den Ball noch vor dem Lauterer Keeper Tim Wiese, dessen Haare heute wieder – fein gegelt – prächtig liegen, aus extrem spitzem Winkel noch ins Tor schieben kann. Ausgleich! Das erste Heimspieltor der Saison 2004/2005, der Kessel tobt. Jetzt muss schleunigst nachge- legt werden.

Und das tun die Knappen auch. Altintop verfehlt nur knapp, die Lauterer werden zunehmend nervöser und so unterläuft Nerlinger sogar fast noch ein Eigentor. Halbzeit.

Eigentlich müsste das Spiel heute gewonnen werden. Aller- dings müssen wir unsere Chancen effektiver nutzen! Mit neu- em Elan und frohen Mutes geht es in die zweite Halbzeit. Die Lauterer agieren jetzt noch defensiver und das liegt unserer Mannschaft bekanntlich gar nicht. Kein Durchkommen, kein Rezept! Endlich kommen, meiner Meinung nach fast schon zu spät, Nils Oude Kamphuis und Christian Pander – der letz- te Woche in Bremen als Bundesligadebütant ein gutes Spiel abgeliefert hatte – ins Spiel, um von den zwei Außenpositio- nen mehr Druck zu erzeugen. Eine alte Fußballweisheit: Über die Flügel muss man kommen! Prompt ändert sich das Spiel. Ich möchte zwar nicht von einer Flügelzange reden, aber es

56 ergeben sich wieder einige Großchancen, die leider erneut fahrlässig ausgelassen werden. Es ist zum verrückt werden. Tja – wenn gar nichts mehr hilft, dann muss bekanntlich ein Eckball herhalten. 65. Spielminute, Asamoah steht erneut goldrichtig und braucht den Ball, nach Krstajics Hereingabe, nur noch ins Tor zu drücken. Führung, 2:1! Jubelnd liegen wir uns in den Armen. Jetzt wird doch noch alles gut. Das Unternehmen Meisterschaft ist gestartet. Das Stimmungsba- rometer zeigt uns auf dem Videowürfel satte 180 Dezibel an, und vom „Schalke-04“-Wechselspiel bis zu „Oppa Pritschi- kowski“ arbeiten wir Fans die komplette Stimmungspalette ab. So liebe ich die Donnerhalle.

Zwar ist Bremen damit nicht vergessen, aber der totale Sai- sonfehlstart ist damit schon einmal vermieden. Und in zwei Wochen - am nächsten Samstag ist der Pokal dran - haben wir ja die große Chance nachzulegen, haben wir sofort wieder ein Heimspiel gegen Hansa Rostock. Sechs Punkte aus den ersten drei Spielen, das wäre ja immerhin schon was. Wie es sich gehört, werden im Central noch einige Weizenbiere mit den Betzeknallern geleert, bevor sich zu später Stunde unsere Wege trennen.

57 21.08.2004 - DFB-Pokal (1.Runde): Hertha BSC Amateure – Schalke 04 • 0:2

Nachdem ich unsere erste Runde im UI-Cup bekanntlich verpasst habe, entscheide ich mich spontan, auch das Pokalspiel bei den Amateuren der Tante Hertha in BÄRlin sausen zu lassen. Eines der Lose, die ich mir so niemals freiwillig gewünscht hät- te, fast schon eine Niete würde man auf der Kirmes wohl sagen. Spiele in Aindlingen oder Lech am Rhein haben ja wenigstens noch ein wenig Abenteuercharakter. Aber der Po- kalwettbewerb ist bekanntlich kein Wunschkonzert und auf dem Weg nach Berlin muss man al- les aus dem Wege räumen, was sich einem in die Quere stellt, notfalls auch Berlin selbst. Wunderbar unmotiviert hätte man im Vorfeld, im Hinblick auf diesen Kick, den altbekannten Evergreen „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“ in „Berlin, Berlin, wer will schon nach Berlin?“ umdichten können.

Die Entscheidung daheim zu bleiben, fällt mir am Tage des Spiels natürlich doch schwer. Erst recht, als am Samstag morgen meine Jungs bei mir auf der Matte stehen und noch versuchen, mich zum Mitkommen zu überreden. Ich kenne sie ja selbst am besten, meine Nervosität, meine Anspannung, meine Angst davor, etwas verpassen zu können, wenn ich nicht selbst live im Stadion mit dabei sein kann. Sicherlich wäre meine Entscheidung auch nicht so ausgefallen, wenn es sich um ein Meisterschaftsspiel gehandelt hätte oder die Par- tie nicht erst um 18.30 Uhr, sondern, ganz normal, um 15.30 Uhr angepfiffen worden wäre. Aber am Dienstag spielen wir ja bereits wieder in Liberec und ich habe noch die gesamte Planung für unsere Übernachtungstour, für immerhin ins- gesamt 100 Supporters, vor der Brust. Daher verzichte ich schweren Herzens auf den Kilometerstress. Eigentlich lustig

58 – die Blauen spielen und ich mache blau! Das ist mir auch seit Jahren nicht mehr passiert!

Hätte man von Berlin aus nicht direkt die wenigen Kilometer nach Tschechien in Kauf nehmen können? Egal, ich vertraue doch meinem Team und verlasse mich auf eine reibungslos funktionierende Symbiose zwischen Videotext, Handykon- takt und Live-Ticker im Internet.

So tritt unsere kleine Supporters-Club-Kongo die Reise nach Berlin ausnahmsweise mal im Kleinbus an und berichtet mir später von einem unmöglichen Benehmen nicht gerade we- niger so genannter „Hertha-Fans“. Aber ganz langsam, der Reihe nach: Als erstes suchen die Jungs das Stadion, findet das Spiel doch nicht im Berliner , sondern auf einem Nebenplatz statt, der gerade einmal 4.000 Besu- chern Platz bietet. Das Stadion soll dann wohl, gemessen am Eintrittsgeld, eher ein schlechter Scherz gewesen sein – aber was willst du machen? Halb so wild, kann man noch mit le- ben! Aus mehrfach bestätigten Quellen, also nicht nur unse- rer anwesenden Mitglieder, muss sich im Stadion dann das Niveau der Berliner Fans einmal mehr auf unterster Stufe, gepaart mit übelstem Faschismus, bewegt haben. Kriegen die das nicht in den Griff?

Geistlose Beleidigungen à la: „Polacken“ und „Zigeuner“ sol- len wohl noch eher der harmloseren Kategorie zuzuordnen gewesen sein. Eigentlich ist es viel zu peinlich, diese Leute auf eine Stufe mit Fußballfans zu setzen. Sie sind es nicht wert, auch nur mit einer einzigen niedergeschriebenen Sil- be bedacht zu werden bzw. überhaupt in irgendeiner Form beachtet zu werden. Jedoch sollte man solche rassistischen Vorkommnisse, die auch ich bereits mehrfach in Berlin habe miterleben müssen, nicht einfach so unter den Teppich keh- ren. Immerhin soll in dieser Stadt bald das wichtigste Fuß- ballspiel der Welt, das WM-Finale 2006, ausgetragen wer- den. Die Welt zu Gast bei Freunden? Da kriegt der Berliner Bär doch wohl eher das große Kotzen! Aber scheinbar hat

59 man in Berlin, zumindest bei Hertha BSC, kein sonderlich großes Interesse daran, diesen braunen Tendenzen vehement entgegenzuwirken. Da lobe ich mir doch die Satzung mei- nes FC Schalke 04, der bereits vor vielen Jahren, als erster Deutscher Fußballclub im Profifußball überhaupt, einen Pas- sus in seiner Satzung geschaffen hat, der dem Rassismus in jeglicher Form die rote Karte zeigt und ihn weit aus seinem Stadion und Stadionumfeld verbannt. Schalker gegen Ras- sismus – Der Name ist Programm!

Noch Tage später liefern die peinlichen Rahmenbedingun- gen dieses Spiels reichlich Zündstoff. Da ich selbst ja nicht zugegen war, möchte ich gerne kurz aus dem Forum „Nord- ostfußball“ zitieren: „Schlimm war hingegen das Publikum der Berliner, zumindest hinter dem Tor. Übelster Nazi-Ab- schaum, asozial und besoffen, so was habe ich noch nie er- lebt. Wie Asamoah und Ailton beschimpft wurden („keiner ist so schwarz wie Asamoah“ bzw. „Jude! Jude!“) war widerlich und wurde von den Schalkern auch mit „Nazis raus!“- Rufen vernünftig quittiert“. Dem ist wohl nichts hinzuzufügen.

Zwei Tore von Mike Hanke (24.) und Hamit Altintop (78.) sorgen dafür, dass der Rest der Republik von diesem braunen Abschaum - zumindest fürs Erste einmal wieder - verschont bleibt. Sportlich betrachtet soll es ein lauer Pflichtspielsieg gewesen sein. Völlig egal, Hauptsache wir sind in die nächste Runde eingezogen. Liebe Berliner, liebe Tante Hertha, bei aller sportlicher Konkurrenz - nehmt Euch doch diese Zeilen mal zu Herzen und räumt doch bitte mal ein wenig bei Euch auf! Danke. Herzlichst, Eure Schalkers!

60 24.08.2004 - UI-Cup: Liberec – Schalke 04 • 0:1 (Finale, Rückspiel)

Endlich ist es soweit! Pünktlich trudeln ab 23 Uhr insgesamt 100 bestens gelaunte Sup- porters am Café Cen- tral ein, um – auf zwei Busse verteilt – zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres die 750 km weite Reise nach Tsche- chien anzutreten. Allerdings dieses Mal mit dem Bonbon für eine komplette Busbesatzung, dass wir nicht direkt nach dem Spiel heimreisen werden, sondern eine Übernachtung mit eingestreut haben. Das wird, sollten uns die Blauen keinen Strich durch die Rechnung machen, hoffentlich eine Mords- gaudi.

Alleine schon die Hinfahrt hält, was ich mir davon verspro- chen habe. Wie sollte es auch anders sein, sind doch so Sup- porters Club-Kojoten wie Deppi, der „Chef“ (Schlammis klei- ner Bruder), Toto, Strauch und Kreischer – um nur einige zu nennen – mit von der Partie. Mit solchen Jungs könntest du halb verdurstet durch die Wüste Kalahari wandern – du würdest dich immer noch vor Lachen biegen. So fahren wir im frühesten Morgengrauen kilometerweit die wunderschöne Elblandschaft entlang, wundern uns einmal mehr über den tollen Ausbau der Infrastruktur, die güldenen Bürgersteige und sind immer wieder begeistert von den wunderschönen Eckchen, die es in Deutschland gibt und die wir bei solchen Touren kennen lernen dürfen. Wahrhaftig, ein schönes Land!

Was folgt, ist die zaghafte Geburt der Elb-Haie. Es scheint hoffnungslos, wenn man es nicht selbst miterlebt hat, an spä- terer Stelle zu erklären, welche Entwicklung ein solcher Ka-

61 lauer nehmen kann. Wahrscheinlich hat jeder so etwas schon mehrfach erlebt. Ein Lachkrampf reiht sich an den anderen – und man weiß zum Ende gar nicht so richtig warum. Situ- ationskomik halt. Ich versuche es trotzdem kurz: Kreischer schnappt sich, schon leicht beschwipst, das Busmikrofon und lässt einen Schwall, einen Mischmasch aus zusammenhang- losen Fakten, Anekdoten und biologischen Tatsachen über den hier ansässigen Hai ab. Den Elb–Hai. Nur eine Stunde später liegen wir, uns vor Lachen krümmend, auf dem Boden und können nicht mehr. Die wildesten Geschichten entstehen und werden gestrickt, der Elb-Hai ist geboren. Es ist der Run- ning-Gag der kommenden zwei Tage, kein Außenstehender jedoch wird jemals verstehen, warum wir uns alleine bei dem Worte „Elb-Hai“ - auch heute noch - das Schmunzeln nicht verkneifen können. Wir haben diesem nicht existenten We- sen tatsächlich Leben eingehaucht und nach der Rückkehr in GE wird keiner mehr wissen, ob wir uns diese Phantasiewelt zusammengestrickt haben oder ob es diesen Elb-Hai wirk- lich gegeben hat. Wahnsinn! Natürlich konnte ich Fiene, als ich ihr die irrwitzige Geschichte des Elb-Hais nach unserer Rückkehr darlegte, noch nicht einmal eine Schmunzette ab- gewinnen.

Schwupp-die-wupp sind wir schon in Liberec. Sofort ins Ho- tel, eingecheckt, schnell die Zimmer eingeteilt und belegt (die im übrigen unglaublich groß und super ausgestattet sind – und das für „nen Appel und ein Ei“), um uns umgehend – die Stadt ruft – unten an der Rezeption wieder mit dem harten Kern zu treffen. Wie üblich dauert das natürlich wieder ein paar Minuten länger als geplant, weil einige Sportsfreunde und Sportsfreundinnen wohl ihren ureigenen Instinkten und angeborenen Angewohnheiten nachgeben: Sie müssen Duft- marken setzen!

Endlich setzt sich unser königsblauer Konvoi in Bewegung und wir gehen gemeinsam Richtung Innenstadt. Dort haben wir uns bereits mit den Leuten aus dem Tagesbus und wei- teren Allesfahrern verabredet. Als uns der Weg dann doch

62 zu lang wird, setzen wir uns, verteilt auf mehrere Wagen, in Taxen. Kostet uns umgerechnet soviel, wie daheim ein Was- sereis.

In der wunderschönen, empfehlenswerten Altstadt von Li- berec, direkt an der alten Rathausplatte gelegen, besetzen wir mit einer Riesenmeute ein wunderschönes Lokal und schmausen und trinken (und lachen), schön draußen sit- zend, den ganzen Nachmittag lang. Vom Allerfeinsten! Selbst Froschschenkel kriege ich serviert. Das alles für einen Betrag, der nicht der Rede wert ist. Mehr als zwei Schnitzel hätte man dafür in der Donnerhalle jedenfalls nicht erhalten. Der Ausspruch „Leben wie Gott in Tschechien“ – den es ja gar nicht gibt – erhält da eine ganz neue Dimension.

Nachdem auch das Infomobil des Schalker Fan-Club Verban- des endlich auf dem Rathausplatz eingetroffen ist und wir ge- gen Vorlage eines Vouchers die Eintrittskarten für das Spiel erhalten, machen wir uns langsam aber sicher auf den Weg zum Stadion. Den kennen wir ja bereits aus dem Vorjahr. Kurz bevor wir es jedoch erreichen, macht unser „Staatster- rorist“ Kurt Böse seinem Nachnamen alle Ehre und rettet uns vor einem wild vor uns herumfuchtelnden Haufen tschechi- scher Nachwuchshooligans. Mit Zahnschutz und Sturmhaube ausgestattet, macht Kurt mit ihnen kurzen Prozess, indem er einfach nur böse faucht und die kleinen Lümmel in die Flucht schlägt. Auch so etwas kann, leider, bei einem Auswärtsspiel dazu gehören.

Das Stadion „U Nisy“ selbst, in dem sich heute Abend gut und gerne 1.500 königsblaue Schlachtenbummler unter die insgesamt 8.000 Fans gemischt haben, ist im Gegensatz zum letzten Jahr modernisiert und – zumindest in Teilbereichen - umgebaut worden. Zwar merkt man davon im notdürftig installierten Sanitärbereich (vier Dixi-Toiletten) nicht viel, dafür ist es aber ein total schönes Gefühl, unter einer frisch überdachten Gästekurve Platz zu finden, während die Fans der Heimmannschaft dem gerade einsetzenden Platzregen

63 vollkommen hoffnungslos ausgeliefert sind. Danke Liberec, so etwas nennen wir Gastfreundschaft!

Die Stimmung im Schalker Fanblock ist gut und trotzdem ein wenig angespannt, weiß doch jeder was heute hier, vor allem für den Club, auf dem Spiel steht. Einige zusätzliche Taler aus dem UEFA-Cup ins Säckle unseres Finanzministers Jupp Schnusenberg gespült täten uns sicherlich gut, stünden unserem Club mit Sicherheit gut zu Gesicht.

Don Jupp lässt heute wieder Krstajic und Bordon in der Abwehr sowie Ailton und Asamoah im Angriff spielen. Das müsste dem Team doch eigentlich Sicherheit geben. Die erste Halbzeit gestaltet sich für uns Fans, Gott sei Dank, wenig aufregend. Weitestgehend haben wir das Spiel, vor allem aufgrund eines kontrollierenden, defensiven Mittelfeldes, im Griff und haben fast ständig den Ball in unseren Reihen. Keine Tormöglichkeiten für Liberec zu vermelden, allerdings auch keine nennenswerten Aktivitäten vor des Gegners Kas- ten. Eigentlich ein bisschen wenig für die optische Überle- genheit. Aber bekanntlich muss Liberec ja ein Tor schießen, und nicht wir. Halbzeitpfiff!

Statt einem gepflegten Halbzeitsnack und einem Gang zur Toilette, bleiben wir hier und heute auf der Tribüne stehen und harren der Dinge, die da folgen werden. Als hätten wir es geahnt.

Direkt mit dem Anpfiff zur zweiten Halbzeit legt Liberec auf einmal los wie die Feuerwehr. Auf deutsch gesagt: Volles Risi- ko! Und scheinbar kommen unsere Blauen damit, auf einmal völlig in die Defensive gedrängt, überhaupt nicht klar. Ich weiß nicht mehr, wie oft mir in den folgenden 45 Minuten das Herz stehen geblieben ist. Was sich mir – und natürlich auch den anderen S04-Fans - da unten auf dem Rasen darbietet, ist grausam. Mindestens dreimal, da bin ich mir ganz sicher, sehe ich mich von Helfern des Roten Kreuzes auf einer Bahre aus dem Stadion getragen und mit Blaulicht und unter Ein-

64 satz eines Defibrillators ins nächste Klinikum gebracht. Ein Krimi von Alfred Hitchcock könnte nicht dramatischer sein. Ein ums andere Mal riskiert Frank Rost Kopf und Kragen – ach was rede ich – sein Leben, um uns vor einem Rückstand zu bewahren. Unnötig davon zu reden, dass er zum absoluten Matchwinner avancierte. Das sind die Spiele, die man sich als Fan gerne sparen würde – auch wenn sie letztlich sogar noch gut enden. Speziell in der Schlussphase gleicht unse- re so hoch gelobte Abwehr einem Hühnerhaufen und Frank Rost stellt sich alleine Mann und Maus in den Weg. Mensch, Leute, das hier ist Slovan Liberec und nicht Real Madrid. Es geht hier um die Zukunft unseres Clubs!

Vor allem Poulsen und Rodriguez spielen in der zweiten Halb- zeit irgend etwas, aber sicherlich nicht das, was sie sollten. Von Flügelzange keine Spur, eher ein Fehlpassfestival. Kopf- schütteln überall, der blanke Wahnsinn macht sich unter den Fans breit – sieht der Trainer das denn nicht? Da muss doch was passieren, da muss man doch handeln! Gerupfte Haar- büschel fliegen durch den Block. Und der arme Frank steht da hinten alleine im Kasten und muss alles ausbügeln.

Und dann das passiert doch noch das schier Unmögliche. Kurz vor Schluss spielt von halbrechts Hanke den Mann mit ohne Hals frei, der noch kurz einen Gegenspieler als Fah- nenstange stehen lässt und mit einem klasse Schuss den Ball präzise ins linke, lange Eck drischt. 1:0 für Königsblau, zwei Minuten vor Abpfiff. Ailton rennt in unsere Kurve und prä- sentiert der tobenden und jubelnden Menge seinen Schrift- zug auf seinem Trikot: „Ich bin es, Ailton – und ich habe das entscheidende Tor gemacht“ will er uns damit, glaube ich, sagen. Logo, freue ich mich. Am meisten auf die nächste internationale Tour die sich anbahnt: Spanien, Italien, Grie- chenland – Hauptsache in die Sonne!

Ich träume ein wenig vor mich her, so richtig freuen kann ich mich ob des Siegtreffers allerdings nicht. Auch in Momen- ten der Freude, des Sieges, des Triumphes kann man sich in

65 Demut und Bescheidenheit üben. Nächsten Freitag wird uns das Los dann hoffentlich etwas Dolles bescheren und dann kräht kein Hahn mehr nach dem „Wie?“.

So langsam senkt sich mein Puls wieder in den grünen Be- reich und wir können nach der Siegerehrung wieder zum an- genehmen Teil der Tour übergehen. Lecker Essen gehen und in bescheidenem Maße unseren Sieg feiern.

Altstadt, Europa – wir kommen!

Der Rest unserer Auswärtstour ist schnell zusammengefasst. In einem wunderschönen Lokal in der Altstadt schmausen wir lecker und vernichten literweise Becherovka. Dieser wieder- um schlägt scheinbar einem gewissen F. aus dem Bosch-Bus auf den Magen, der beim Verlassen des Ladenlokales beginnt, torkelnd von A nach B zu fallen, um anschließend im Schein- werferkegel eines Polizeiwagens stehend, einen dreihundert Kilogramm schweren Blumenkübel in der Einkaufspassage umzuwerfen, der unverzüglich bricht. Ich meine den Kübel.

Damit ist der weitere Verlauf der Nacht für ihn mit dem Be- such einer netten, kleinen Zelle verplant und wir feiern mit einer Person weniger in den Geburtstag unseres SC-Members „Manni“ Wrase hinein. Mit Becherovka.

Zu späterer Stunde verteilen sich die einzelnen Supporters in der Geburtstagsrunde auf ihre jeweiligen Hotels und Ju- gendherbergen und fahren mit kleineren Spontanpartys fort. Letztlich landet die noch halbwegs fitte Besatzung aus un- serem Hotel in einer Art Holzschuppen, in dem, bis in die frühen Morgenstunden hinein, die Getränkekarte rauf und runter probiert wird. Kostet ja fast nichts!

Irgendwie schleppen sich dann – nur zwei Stunden später – auch die letzten sich zum üppigen Frühstücksbuffet und schaffen sich eine solide Grundlage für die Rückfahrt. Im- merhin liegen noch über zehn Stunden Rückfahrt vor uns.

66 Tatsächlich gestaltet sich die Rückfahrt zur absoluten Kult- tour. Die liebe Cognac-Conny macht ihrem Namen alle Ehre, und sämtliche Kalorien die wir – in welcher Form auch im- mer – zu uns nehmen, gehen umgehend durch das Anspan- nen der Bauchmuskeln beim Lachen verloren.

Oh Mann, hatte ich am nächsten Tag Bauchschmerzen! Eine ganz, ganz feine Tour, die einmal mehr Bande, Freundschaf- ten und Sympathien in unseren Reihen gefestigt hat. Danke Schalke 04, dass es dich gibt und: Elb-Haie allez!

67 28.08.2004 Schalke 04 – Hansa Rostock • 0:2

Wenn mich jemals jemand fra- gen sollte, was denn für mich der Begriff „Bundesliga-Alltag“ bedeuten würde, dann würde ich – ohne auch nur eine einzige Se- kunde mit der Wimper zu zucken - sagen: Heimspiele gegen Hansa Rostock. Da wünscht man sich ein Leben lang klangvolle Namen wie Inter Mailand, Uni- ted, Real Madrid oder Juventus Turin ins schönste Stadion der Welt, und was für einen Namen spuckt mein Kalender für den heutigen Spieltag aus? Hansa Rostock! Und diesen Geg- ner darf man dann auch noch, aufgrund der letzten Ergeb- nisse, als „Angstgegner“ bezeichnen. Ne, liebe Freunde des Fußballsportes, bitte lasst Frankfurt oder Köln aufsteigen und erspart uns diese Begegnungen und elendig langen Aus- wärtstouren an die wunderschöne Ostsee. Liberec ist dagegen ja eine wahre Wohltat.

Aber andererseits ist dies natürlich auch die große Chance für uns, trotz der Niederlage am ersten Spieltag in Bremen, mit dem zweiten Heimspielsieg in Folge gegen einen vermeintlich kleinen Gegner halbwegs gut – mit sechs Punkten nämlich – in die Saison zu starten. Also greift man sich diesen kleinen Funken Ansporn und Motivation und stiefelt irgendwie doch glücklich darüber, dass heute wieder Fußball ist, bei strah- lendem Sonnenschein in Richtung Donnerhalle.

Ich wäre wohl lieber zu Hause geblieben. Von vornherein hat- te ich so ein mulmiges, schlechtes, ungutes Gefühl. Das, ich meine daheim bleiben, hätten unsere Kicker heute auch tun sollen. Zwar sind wir von der ersten Minute an, in der heu- te eher lethargisch wirkenden Arena, klar spielbestimmend.

68 Aber irgendwie finden die Jungs im dichten Abwehrbollwerk der Hansa-Kogge keine Lücke. In Rostocks Reihen wird kein Fußball gespielt, sondern zerstört. Die alte „wie entführe ich möglichst einfach Punkte aus der Arena?“ -Taktik scheint aufzugehen. Die Knappen machen immer mehr auf und bei einem Gegenstoß der Gäste steht auf einmal Antonio Di Salvo frei vor Frank Rost. Aus zehn Metern Entfernung versenkt er die Kugel nach gut einer halben Stunde Spielzeit für Frank unhaltbar im Netz. Toll! Das alte Spiel! Alles wie gewohnt, nichts scheint sich geändert zu haben. Es ist zum Kotzen!

Anstatt eines Aufbäumens nach dieser kalten Dusche, kommt es noch besser: Unser kleiner frustrierter Dicker mit ohne Hals, dem heute irgendwie gar nichts gelingt, lässt sich von zwei Rostocker Spielern provozieren und verteilt zwei dezen- te Ohrlaschen. Schiri Meyer zögert keine Millisekunde und zeigt unserem Mann, den wir fürs Tore schießen und nicht zum Boxen an die Emscher geholt haben, das rote Ticket, welches zum sofortigen Duschen berechtigt.

Berechtigt auch die Karte, allerdings darf die kleine Anmer- kung gestattet sein: Dann bitte auch ligaweit konsequent. Denn dann müsste der Kahnsinnige aus dem Tor der Bazen bei jedem zweiten Spiel den Abpfiff nicht mehr miterleben dürfen, fuchtelt er doch ständig mit seinen Pranken in ande- rer Spieler Gesichthälften herum. Ich bin mal gespannt, was für eine Sperre das für Ailton als Wiederholungstäter gibt.

Pause. Wer ab dem Wiederanpfiff eine Trotzreaktion der Knappen erwartet hat, der sieht sich getäuscht. Statt Kampf, Moral und Einsatzwillen herrschen Ernüchterung und Rat- losigkeit auf dem Platz - und im Stadion. Ein Teil der Besu- cher hat in Jörg Böhme scheinbar den Heiland gefunden und fängt an ihn lauthals zu fordern. Warum? Ein Großteil des Stadions singt: „BvB Hurensöhne“. Ob das unserer Mann- schaft den Rücken stärkt? Bei Schobers Abschlägen grölt die halbe Nordkurve: „Arschloch, Wichser, Hurensohn“. Tolle Nummer. An so einem Tag regt einen natürlich immer alles

69 auf. Vielleicht ist auch meine Erwartungshaltung mal wieder einfach nur zu groß. Aber das, was mir hier und heute mal wieder geboten wird, kann doch eigentlich nicht wahr sein.

Ein weiterer Gegenstoß der Rostocker, Di Salvo trifft zum zweiten Mal. Fluchtartig verlassen Tausende ihre Plätze und gehen heim. Zehn Minuten vor Abpfiff ist die Arena nicht einmal mehr halbvoll und erfüllt von Pfiffen. Wurde so ein Spiel etwa noch nie in zehn Minuten gedreht? Auf jeden Fall heute nicht mehr.

Abpfiff. Hängende Köpfe. Ein gellendes Pfeifkonzert von den Rängen. Minutenlang bleibe ich noch schweigend und ent- täuscht auf meinem Platz sitzen. Zwar haben wir verloren, aber trotzdem waren die Rostocker grottenschlecht – das ist, bezogen auf unsere Leistung, äußerst aussagekräftig. Ob die wohl woanders überhaupt noch Punkte holen werden? So eine Graupentruppe. Aber unsere drei haben sie jedenfalls. Wir schaffen es einfach nicht, trotz spielerischer Überlegen- heit, Matches bei uns daheim in der Donnerhalle zu gewin- nen, wenn sich ein vermeintlich schlechteres Team einfach nur hinten reinstellt.

Die Spieler fangen an, sich auszulaufen und flachsen mitein- ander. In meinem Kopf spukt hingegen das Abstiegsgespenst umher. Wenn wir in den nächsten Spielen auch so auftreten, sollte man sich ganz, ganz schnell nach unten orientieren. Angetreten mit Meisterschaftsträumen, bin ich bereits am dritten Spieltag auf dem harten Boden der Tatsachen ange- langt. Euphoriebremse statt Trendwende.

Wohin geht der Trend Don Jupp? Sach mich watt! Meine Gedanken kreisen ungefähr so schwer im meinem Kopf um- her wie Du unsere Kicker rotieren lässt. Eines steht fest: Wir sind weit entfernt vom Schalker Kreisel. Ich gehe mir auf dem Rückweg erst einmal an der Bude eine Flasche „Hansa“ kaufen. Export. Gute Nacht.

70 11.09.2004 VfL Wolfsburg – Schalke 04 • 3:0

Eigentlich sind unsere Auswärts- touren nach Wolfsburg in den ver- gangnen Jahren immer äußerst lustig und entspannt gewesen. Und so soll es, trotz allen Kummers der letzten Tage, auch in diesem Jahr sein. Schalker stehen halt schnell wieder auf, auch wenn der Kopf noch ein wenig schief hängt. Und so entschließen wir uns dazu, die diesjährige Auswärtstour unter ein Motto zu stellen, nämlich: „Grillen wie die Profis“. Die Nähe des Mittellandkanales zur VW- Arena fordert uns quasi zu diesem idyllischen Einschub auf. So kommt es, dass wir am späten Freitag nachmittag durch Gelsenkirchens Einkaufsläden touren und tonnenweise Grill- kohle (zzgl. natürlich zweier neuer Grills), Ketchup, Senf und Toastbrot einkaufen. Dazu natürlich noch zwei tote Rinder, vier ganze Schweine und noch einiges mehr. Soll doch keiner behaupten, er sei nicht satt geworden. Mit vereinten Kräften schleppen wir dann am frühen Samstagmorgen die zu grillen- den Speisen zum Megaliner und verstauen sie hinter seinen Bauchklappen – und los geht’s!

Die Stimmung unter den 100 Supporters ist erstaunlich heiter und fröhlich. Wer hätte das nach letztem Samstag erwartet? Aber das Spiel scheint abgehakt – schlimmer geht nimmer. Denken wir.

Relativ früh, denn wir haben ja noch einiges vor, passieren wir die Stadtgrenze Wolfsburgs. Wenn Fremde zu mir sagen, sie würden Gelsenkirchen nicht wirklich hübsch finden, dann habe ich in meinem tiefsten Inneren einen klitzekleinen Fun- ken Verständnis dafür. Aber wirklich nur einen klitzekleinen. Beim Erreichen dieser künstlichen Autostadt allerdings über-

71 kommt mich immer wieder ein eiskalter Schauer. Ich glaube, sie hat soviel Flair und Charme wie ein Schluck lauwarmes Wasser in der Kurve. Allerdings sind wir ja nicht aus touristi- schen oder gar kulturhistorischen Gründen hier (eher schon wollen wir daraus eine Kult-Tour machen), sondern es gilt, erst dem Grillmeister alles abzuverlangen und dann noch die drei Punkte zu entführen.

Teil eins unserer Mission wird zur Freude und bedingungs- losen Zufriedenheit aller erfüllt. Die Grillzange glüht. Die fast noch drei Stunden bis zum Anpfiff werden in geselliger Runde bei Bier und Bratwurst verbracht. Tatsächlich ist zum Schluss wirklich kein einziger Fetzen Fleisch übrig geblieben. Respekt!

Nach dem Schwingen der Grillzange begeben wir uns nun gestärkt zum Stadion und sind einmal mehr erschüttert von der Kulisse. Wir spielen beim derzeitigen Spitzenreiter und gut ein Drittel der Plätze sind frei, die restlichen größtenteils durch königsblaue Trikots und Schals besetzt. Von Heimsup- port eigentlich kaum eine Spur. Das ist halt der große Unter- scheid zwischen einem Traditionsverein und einem Plastik- club, einem künstlich geschaffenen Verein aus der Retorte.

Ab dem Anpfiff tun sich umgehend gravierende Unterschie- de auf und es schmerzt, in wenigen Zeilen davon berichten zu müssen. Dachte man letzten Samstag noch, eine solche „Nicht-Leistung“ wäre nicht zu toppen, sieht man sich heute eines Besseren belehrt. Den Bauch mit einer nicht unwesent- lichen Anzahl an Grillwürstchen, Koteletts und Erfischungs- getränken gefüllt, hätte wohl keiner von uns auf dem Platz schlechter aussehen können. Eine Schande für den grünen Rasen, dass unsere königsblauen Kicker ihm heute die schö- ne Grasnarbe mehr kaputt treten, als dass sie den Ball tref- fen. Selbst Petrus scheint Erbarmen zu haben und schickt umgehend einen wolkenbruchartigen Regenschauer. Ein Of- fenbarungseid. Ein lauer Kick, ohne Leidenschaft, Kampf, Herzblut, Moral – einfach allem, was einen Schalker Kicker

72 eigentlich auszeichnen sollte. Einzig prächtig ist die Stim- mung im Schalker Fanlager.

Nach einer halben Stunde folgerichtig die verdiente Füh- rung für Wolfsburg, nachdem der Schwalbenkönig der Liga, Marian Hristov, regulär einen von D’Alessandro getretenen Eckball freistehend aus sechs Metern an Rost vorbei ins Tor köpft. Keine zehn Minuten später wieder eine Standardsitu- ation für Wolfsburg. D’Alessandro zirkelt einen Ball in den Strafraum, diesen köpft Brdaric an den Pfosten, den Abpral- ler drückt erneut Hristov, erneut regulär, über die Linie. Was ist denn da bloß los? Spielen die gegen Don Jupp, gegen sein nervendes Rotationssystem? Oder haben die einfach keine Lust? Oder beides? Ausbaden dürfen wir Fans das auf jeden Fall. Just in diesem Moment sind wir recht herzlich willkom- men im direkten Abstiegskampf.

Während der Halbzeit wird an allen Ecken und Kanten ge- motzt und geschimpft. Alle sind frustriert und reagieren sich verbal ab. Definitiv klar ist: Es muss was passieren – so kann und darf es nicht weitergehen. Die zweite Halbzeit, egal was man später über sie schreiben und berichten wird, bestätigt die Analysen von uns Amateurtrainern. Kein Kampf, kein Aufbäumen, eine erschreckend schwache, desolate Leistung. Dagegen war Rostock ja fast noch großartig. Der absolute Tiefpunkt! Und um der Gesamtsituation noch das „i-Tüpfel- chen“ oben draufzulegen, erhöht Wolfsburg in der Schluss- minute sogar noch auf 3:0. Wenn schon, dann richtig!

Aber das kriege ich gar nicht mehr mit, denn, so wie viele an- dere mit mir, habe ich schon, entgegen meiner Gewohnheiten und Prinzipien, zwei Minuten vorher den Rückweg zum Bus in Angriff genommen. Erst einmal einen Magenbitter zu mir nehmen, so sehr schlägt mir da gerade jemand drauf. Wir sehen zu, dass wir schnell den Ort des Grauens verlassen und nach einigen Jägermeistern beginnt die Rückfahrt, trotz allem, doch noch richtig lustig zu werden. Es kann nur besser werden, denn ganz unten sind wir gerade bereits.

73 16.09.2004 - UEFA-Cup Schalke 04 – Metalurgs Liepaja • 5:1 (1.Runde, Hinspiel)

Die Entscheidung sei in der Nacht von Sonntag auf Montag in ihm gereift und sei ihm letztlich sehr, sehr schwer gefallen. So unser Manager im Rahmen einer Pres- sekonferenz am Montag. Tja, und nun ist er weg. Der Don Jupp, der Osram, der Meister der Rotie- rer. Der Mann, in den man, als Trainer von Welt, so große Hoff- nungen gesetzt hatte. Außer zwei erfolgreichen Teilnahmen am UI- Cup gab es jedoch nicht viel vorzuweisen. Ob der Schritt nun allerdings der richtige ist, wage ich nicht zu kommentieren. Stattdessen ist man dazu geneigt festzustellen, dass es nach der langjährigen Ära , nach und , bereits der dritte Coach innerhalb kür- zester Zeit ist, der uns nicht dort hat hinführen können, wo wir hinwollen und, meiner Meinung nach, auch hingehören. Nach ganz oben!

Entsprechend verhalten ist heute auch die Stimmung im Stadion vor dem Erstrunden-Gruppenspiel im UEFA-Cup gegen den lettischen Vertreter aus Libau: „Metalurgs Liepa- ja“. Dicke Luft. Die Lust auf Schalke kann einem wirklich manchmal fast vergehen. Aber auch nur fast.

Sollte man diese erste Runde überstehen, kommt man in dieser Saison erstmalig in den Genuss einer Gruppenphase. Zumindest hätte man dann weitere vier Spiele sicher – und damit auch wieder zusätzliche Einnahmen. Und zumindest eine dolle Auswärtsfahrt sollte dabei für uns Fans auch her- aus springen. Etwas überrascht reagiere ich daher auf die heutige Protestaktion der UGE. Im Oberrang der Nordkurve

74 ein dickes, fettes Transparent, auf dem „Mannschaft ohne Leidenschaft - Management, das Leiden schafft“ steht, im Block selbst absoluter Stimmungsboykott und Verzicht auf königsblaue Fahnen. Nun mag man gerne der Meinung sein, einen solchen Gegner – der sicherlich höchstens Regionalli- gaformat besitzt – müsse man aus der Halle putzen. Nichts- destotrotz denke ich, dass die Mannschaft und der Verein – bei aller gesunden Kritik – nicht gerade bei so einem im- mens wichtigen Spiel den legitimen Groll von uns Fans zu spüren bekommen sollte. Diese Aktion sollte auch in den kommenden Tagen in der Schalker Fanszene noch für genü- gend Gesprächsstoff sorgen.

Der Mann auf unserer Bank ist ab sofort der ehemalige Co- Trainer . Und da unser Management glas- klar betont hat, sich bei der Suche nach einem neuen sport- lichen Übungsleiter nicht hetzen lassen zu wollen, kann dies vielleicht sogar für einige Wochen der Status Quo sein. Eine dankbare Aufgabe? Hoffentlich kehrt der neue Besen auch wirklich so lange so gut.

Eddy setzt sofort einige Duftnoten, indem voll auf Offensive setzt und mit drei Spitzen antritt. Der in der Liga immer noch gesperrte Ailton bildet neben Ebbe den Hauptsturm, darü- ber hinaus spielt von Anfang an der als hängender Stürmer ausgerichtete Lincoln und dahinter die offensiv spielenden Gustavo Varela und Christian Pander. Von der ersten Sekun- de an zeigen die Blauen großen Einsatz, Laufbereitschaft und Kampfeswillen. Trotzdem haben die Jungs in den Anfangs- minuten mal wieder Probleme damit, das Abwehrbollwerk der Letten zu knacken. Da haben die Gäste aber gut die Vi- deomaterialien unserer vergangenen Heimspiele studiert. Doch bereits in der zwanzigsten Minuten fällt ganz Schalke ein dicker Stein vom Herzen. Ailton erläuft einen Kopfball von Bordon und produziert aus dem Gewühl heraus einen Querschläger, der seinem Sturmpartner Ebbe direkt vor die Füße fällt. Dieser schießt den Ball trocken aus zehn Metern ins Tor. 1:0 für die Blauen, endlich mal wieder ein Tor für

75 uns! Trotzdem fällt der Jubel äußerst verhalten aus. Als hät- te man es geahnt: Anstatt dass die Knappen locker und ge- löst weiter ihr Ding durchziehen, kommen die Letten immer besser ins Spiel und tauchen gleich zweimal gefährlich vor unserem Tor auf.

Die Alarmglocken müssten spätestens jetzt schrillen, Eddy rauft sich die Haare und hüpft wie ein Rumpelstilzchen in seiner Coaching-Zone umher. Und dann die 35. Minute. Ein ungewohnter Fehler von Bordon, Krstajic grätscht beim Ret- tungsversuch ins Leere, Kastanov, oder wie der heißt, kann frei auf Rost zulaufen und netzt ein. Ausgleich. Schon wieder der alte Bockmist. Und das gerade auch noch beim UEFA- Cup, bei dem die geschossenen Auswärtstore doch so wichtig sind. Für Kastanov selbst und für sein gesamtes Team muss es wohl der Triumph seines Lebens gewesen sein: Im schöns- ten Stadion der Welt, vor ausverkauftem Hause, ein Tor zu erzielen - sicherlich der pure Wahnsinn! Ich allerdings finde es wahnsinnig scheiße!

Drei weitere gute Chancen für uns bis zur Pause, die nicht genutzt werden, sorgen nicht gerade für allgemeine Erhei- terung. Allerdings bin ich mir heute sicher: Das packen wir noch. Locker.

Als hätten Eddy und seine elf tapferen Knappen meine Ge- danken lesen können, kommen sie wie verwandelt aus den Katakomben heraus. 52. Spielminute, Ebbe köpft – nach Ecke Pander und Kopfballverlängerung Poulsen – frei aus zwei Metern zum 2:1 ein. Erleichterung! Acht Minuten später, ein abgefälschter Schuss von – na wem wohl: Ebbe - findet den Weg ins Tor. 3:1. Aufatmen.

Danach spielen die Blauen, endlich mal wieder das nötige Selbstvertrauen getankt, routiniert und selbstsicher ihren Part herunter. Die Letten scheinen auch ein wenig groggy zu sein. Kobiashvili erhöht mit einem tollen Heber aus rund 20 Metern in der 67. Spielminute noch auf 4:1 – sein erstes

76 Pflichtspieltor für die Blauen. Zehn Minuten vor Schluss, wir führen wie gesagt mittlerweile haushoch verdient mit 4:1, eine weitere Fandemonstration in der Nordkurve, die für viel Unruhe und Gesprächsstoff sorgt. Ein weiteres, großes Trans- parent mit dem Schriftzug: „Stevens, Neubarth, Wilmots, Heynckes - 4 Alibis, Schämt euch!!!“ wird hochgehalten.

Die Antwort der Mannschaft darauf folgt umgehend. Vorlage von Dyn-Hamit auf Asa, der trifft kurz vor Abpfiff mit einem Flachschuss aus zehn Metern zum Endstand von 5:1. Fünf Buden der Blauen in einem Pflichtspiel, da lacht das Schalker Fußballherz.

77 18.09.2004 Schalke 04 – Borussia Mönchengladbach • 3:2

In der Hoffnung, dass der neue Trai- nerbesen Eddy Achterberg auch in der Bundesliga richtig gut kehrt, bereite ich mich am heutigen Sams- tagmorgen mental auf das Heim- spiel gegen den Traditionsverein aus Gladbach vor. Ist schon eher das Bundesligasalz in der Suppe, als Rostock oder Wolfsburg. Zumal die Fohlen auch immer eine tüchtige Portion Fans mitbringen, die stets stimmgewaltig für eine gute Stimmung in der Donnerhalle sorgen. Vielleicht wollen die auch heute nur noch einmal nachschauen, was man bei ihnen im neuen Stall alles hätte besser machen können.

Da die vergangenen Tage doch für relativ viel Gesprächsstoff – und zwar in vielerlei Beziehungen – gesorgt haben, begebe ich mich heute relativ früh in das Stammlokal meiner Wahl. Dort hat sich bereit ein lustiger, kunterbunter Haufen aus Supporters - aber auch einige Fohlen - eingefunden und bei einem leckeren Alster beäugt man kritisch die Entwicklung in unserem Verein. Sportlich, aber auch vereinspolitisch. Trotz aller konstruktiven Kritik nützt es ja alles nichts – heute müs- sen drei Punkte her, um aus dem Tabellenkeller heraus zu kommen.

Kurz vor fünfzehn Uhr am Stadion angelangt, treffen wir an der Fan-Mauer noch auf den restlichen Supporters-Trupp und kommunizieren hier unsere Ergebnisse der letzten Stun- den intensiver und hitziger Schalke 04–Debatten. Auch hier kommen wir zum schnellen Konsens: Entscheidend ist heute auf dem Platz – und zwar nur mit drei Punkten beim Abpfiff in der Tasche. Ob Don Jupp heute, gegen seinen Ex-Club, wohl noch gerne auf der Bank gesessen hätte?

78 Eddy jedenfalls lässt mit der siegreichen Elf von vergange- nem Mittwoch spielen, lediglich Asa rutscht für den Ailbrum- mer ins Team. Von der ersten Sekunde an richtig Alarm in der Donnerhalle.

Bei den Fohlenfans ist gleich richtig Stimmung in der Kurve. Bernd Korzynietz zieht ca. 25 Metern vor der Nordkurve ab – und der Ball zappelt auf einmal im Netz. Gerade einmal vier Minuten sind gespielt. Von meiner Sicht aus schien der Ball nicht völlig unhaltbar, aber er muss wohl noch leicht abgefälscht bzw. Kristajic durch die Beine geschossen worden sein. Rost sieht auf jeden Fall ein wenig unglücklich aus und bereits nach vier Minuten läuft alles so wie immer. Führung für den Gast. Nur drei Minuten später hat Neuville die große Chance um auf 2:0 zu erhöhen. Er vergeigt. Wir sind aber auch nette Gastgeber. Allerdings merkt man nach dem denk- bar ungünstigen Start sofort, dass heute etwas anders ist. Die Mannschaft scheint eine Trotzreaktion zu zeigen, fängt an zu rackern, zu kämpfen und erspielt sich Chancen. Alleine Vare- la könnte bis zur zehnten Spielminute zweimal den Ausgleich schaffen. Dann endlich der erlösende Ausgleich (34. Minute) durch Christian Pander, der damit seinen ersten Bundesligat- reffer erzielt. Und was kann dieser am besten? Richtig – Frei- stoßtore! Aus 23 Metern zieht der erst 21-jährige Knappe aus halblinker Position voll ab und der Ball senkt sich, unhaltbar für Torhüter Kampa, ins rechte Eck. Die Fohlenfans sind auf einmal ganz ruhig. Dafür explodiert der königsblaue Mob wie eine Rakete. Es ist eine riesige Erleichterung für alle – und auf einmal ist die Arena, von einer Sekunde auf die andere, wieder das, wofür ich sie halte: Die Donnerhalle.

Die zweite Halbzeit beginnt ebenso dämlich wie die erste. Auch die Spielsituationen ähneln sich. 47. Spielminute: Neu- ville schießt aus knapp 20 Metern ins linke Eck und die Kugel passt genau. Wieder tobt der Gladbacher Haufen und viele der Schalker, die gerade erst von der Würstchen- oder Bier- bude ins Stadion kommen, wollen nicht glauben, was sie da sehen. Die erneute Führung für Gladbach. Doch die Knappen

79 fighten heute. Varela und Asa spielen einen Doppelpass und mit der Abwehr der Fohlen Katz und Maus. Varela hämmert die Kirsche daraufhin aus zehn Metern, frei stehend, ins Tor. Erneuter Ausgleich. Erneuter, ohrenbetäubender Jubel. Kampf, Moral, Einsatz – alles was wir hier auf Schalke immer sehen wollen, stimmt heute zu 104 %. Die Hütte kocht. Und die Jungs haben noch lange nicht genug. Ist das nicht toll?

So kommt es, wie es bei so Spielen, wegen derer wir diesen Sport doch alle so lieben, kommen muss. Eine Geschichte fürs Fußballbuch. Zweimal einen Rückstand aufgeholt, auf- opferungsvoll in einem Tollhaus alles gegeben, angepeitscht und angestachelt von 60.000 wahnsinnig Verrückten, ge- kämpft und dann auch noch die Führung und gleichzeitig das Siegtor erzielt. 66. Spielminute: Der enorm ballstarke Ebbe dribbelt und fummelt sich durch die Gladbacher Abwehr und findet, direkt vor unseren Augen in der Nordkurve, eine win- zige Lücke. Der Ball passt gerade durch diese und schlägt aus 15 Metern zum 3:2 in die Gladbacher Maschen ein.

Minuten nach Abpfiff sind die meisten Fans noch im Stadion und feiern ihr Team mit stehenden Ovationen. Ja, wir haben euch natürlich wieder lieb.

Am beeindruckensten ist heute allerdings unser neuer Coach, Eddy Achterberg. So sehr von uns Fans, von dem Hexenkes- sel, von der Donnerhalle fasziniert, berichtet er den Repor- tern mit glänzenden Augen von seinem Hühnerfell. Damit meint er seine Gänsehaut. Er ist halt ein Käsekopp. Es ist die Geburt vom „gute-Laune-Eddy-Hühnerfell.“ Und mit guter Laune gehen wir heute auch alle heim.

80 22.09.2004 - DFB-Pokal (2.Runde) 1. FC Kaiserslautern – Schalke 04 • 7:8 n.E.

Mit dem tollen Sieg unter unserem In- terimscoach „Eddy Hühnerfell“ gegen die Borussia aus Mönchengladbach im Rücken, geht es Mitte der Woche in ei- nem anderen Wettbewerb, nämlich im DFB-Pokal, in der 2. Runde zum Bet- zenberg. Sicherlich der Wettbewerb, bei dem man sich – weil es am wenigsten Spiele sind – am einfachsten direkt für den internationalen Wettbewerb qua- lifizieren kann. Und die Pokalfeiern in Berlin sind darüber hinaus, bekannter Maßen, doch soooooooo schön. Aller- dings ist der FCK sofort in der zweiten Runde eine harte Nuss, die es erst ein- mal zu knacken gilt. Gut, wir haben sie zwar in der Donner- halle am zweiten Spieltag geschlagen, aber ein Heimspiel in der „Hölle“ Betzenberg – es gibt einfachere Spiele.

Selbstredend wird als Spitzenspiel des Tages , der Evergreen, der Knüller VfL Osnabrück gegen den FC Bayern im TV gezeigt. Das bedeutet für uns, dass wir relativ spontan von der Planung, mit einer kleinen Truppe mit dem Auto anzureisen, abrücken müssen und einen Kleinbus in Anspruch nehmen, weil sich doch noch einige Bescheuerte finden, die sich das Spiel live anschauen wollen. Wie sagte doch Rudi kürzlich: „Den fetten Gänsen wird noch zusätzlich der Arsch gepudert“. Oder zumindest so ähnlich.

Die Hinfahrt gestaltet sich überraschend angenehm, weil lustigerweise die kleine Babyschildkröte hinten in der Mitte über einen Tisch verfügt. So wird an der ersten Tanke kurz- fristig angehalten, ein Kartenspiel gekauft und wir kloppen bis zur Ankunft in der Pfalz Karten. Mau-Mau oder Schwim- men. Alles was nicht zu kompliziert ist, nicht zu lange dauert

81 und bei dem man als Strafe fürs Verlieren kleine Pfläumchen, Klopfer (das sind so fiese kleine süße Teile mit „a bissl Allohol drin“, die einem langsam aber sicher die rechte und linke Gehirnhälfte verkleben) oder Ähnliches trinken muss. Selbst- redend, dass jeder versucht, so oft wie möglich zu verlieren. Und als uns Toto dann in einem Moment der Schwäche noch gesteht, dass er demnächst Papa wird, reißen alle Stränge. Nicht nur, dass er sich vor Glückwünschen kaum noch retten kann, sondern selbstverständlich ist Eierlikör und Roséwein zur Feier des Tages Pflicht.

Ungefähr so müssen wir auch ausgesehen haben, als wir end- lich kurz vor Anpfiff „uffe Betze“ ankamen. Dieser ist nur halbvoll und vor allem immer noch eine nasskalte Baustelle. Die Stimmung bei uns im Gästeblock ist jedenfalls prächtig. Alle sind hoch motiviert und die Vorfreude auf einen Fuß- ballkrimi, wie ihn Alfred Hitchcock sein Sohn nicht besser hätte inszenieren können, ist groß. Königsblaue Euphorie allen Ortes.

Eddy Hühnerfell lässt wieder eine offensive Truppe auflau- fen. Vor allem auch Lincoln, der ja bekanntlich vor der Sai- son mit Schimpf und Schande aus Lautern weggeekelt wur- de und im Tausch gegen Jochen Seitz an die Emscher kam. Hoffentlich hält der Junge dem Druck stand. Von der ersten Sekunde des Spiels an wird er bei jeder Ballberührung gna- denlos ausgepfiffen. Mehr Support kommt von den Lauterern nicht rüber. Das Spiel ist zunächst hektisch, zerfahren aber stets unter unserer Kontrolle. Auch die eine oder andere gute Torchance schleicht sich so langsam für uns ein. Es dauerte jedoch eine halbe Stunde bis zu unserem ersten Torjubel. Kamphuis flankt dynamisch Richtung FCK-Strafraum, doch seine Flanke wird durch einen Lauterer Spieler abgeblockt. Den Abpraller erläuft sich Gustavo Varela mit einem famosen Zwischensprint, dessen scharfe Hereingabe Ebbe Sand aus sieben Metern trocken ins Tor schießt. 1:0 für die Blauen und großer Jubel natürlich in unserem Gästeblock. Eddy Hühner- fells Erfolgssträhne scheint anzuhalten. Guter Mann! Und

82 Ebbe hat in den letzten Spielen mehr Tore gemacht, als in den letzten acht Monaten zusammen. Ist tatsächlich die Don- Jupp-Blockade weg? Danach läuft alles nach Plan. Ruhig und abgeklärt wird die Führung, vom Mannschaftskapitän unter dem Arm getragen, mit in die Pause genommen. Zeit für uns, uns wieder einen Rosé auf Totos Nachkommen zu gönnen. Dann noch einen weiteren für den restlichen Verlauf des Spiels mit in den Block genommen – weiter kann es gehen!

Und es geht weiter – und zwar so, wie es aufgehört hat. Es scheint, als könne heute nichts mehr anbrennen. Bis auf ein- mal, völlig überraschend, der kurz zuvor eingewechselte Se- lim Teber mit einem Sonntagsschuss den Ausgleich in der 60. Spielminute erzielt. Alles fängt wieder von vorne an. Hoffent- lich beginnt jetzt nicht wieder das große Zittern. Nur nicht nervös machen lassen Jungs, ihr habt das Spiel im Griff! Pus- tekuchen. Nur zwei Minuten später, nachdem Asa eine Groß- chance vergeben hat, geht der FCK nach einem unglücklichen Kopfballeigentor von Krstajic sogar – dem Spielverlaufe nach völlig unverdient - mit 2:1 in Führung. Kommt ihr Blauen, noch eine halbe Stunde zu spielen! Ärmel hochkrempeln und kämpfen – wir packen das noch!

Die Anfeuerungsrufe bei uns im Gästeblock zeigen mir, dass die anderen S04-Fans das Spiel genauso lesen wie ich. Ausge- rechnet Lincoln erkämpft sich eine knappe Viertelstunde vor Abpfiff den Ball von dem als Letzter Mann agierenden Lembi. Dann ein schöner Doppelpass mit Asa, ein strammer Schuss – Ausgleich. Wie ein kleines Kind hüpft Lincoln – zur Ver- ärgerung der FCK-Fans – über den Platz und freut sich über sein Tor, als wolle er sagen: „Euch habe ich es gezeigt!“. Aber das Spiel geht ja noch weiter. Keine der beiden Mannschaften denkt zu diesem Zeitpunkt an die Verlängerung – alles oder nichts heißt es in der Schlussviertelstunde. Ein mitreißendes Pokalspiel entwickelt sich. Ein Spiel, für das allein es sich lohnt, Fußballfan geworden zu sein. Das Unglaubliche ge- schieht. Ebbe steht in der 90. Minute auf einmal frei vor dem FCK-Keeper Ernst, umläuft ihn wie Alberto Tomba zu seinen

83 besten Zeiten eine Slalomstange, und drückt die Pille locker über die Linie. Alle Mühe, aller Kampf haben sich gelohnt. Das Achtelfinale winkt. Die Jungs liegen alle auf dem Rasen, ein einziges Mensch gewordenes Knäuel, und auch bei uns im Block sieht es nicht anders aus.

Allerdings wissen wir ja nicht erst seit 2001, dass ein Spiel in den seltensten Fällen nach exakt 90 Minuten abgepfiffen wird. Während wir uns noch freuen, scheinen die Blauen im Kopf auch schon bei der „After-Play-Party“ zu sein. Schneller Anstoß der Lauterer, kurzer Pass auf Ingo Hertzsch, der legt sich unbedrängt den Ball bis kurz vor dem Elfer vor, fasst sich ein Herz und zieht einfach ab. Genau vor unseren Au- gen. Und was passiert? Richtig. Der Ball flattert ins Tornetz. Ausgleich in letzter Sekunde. Zwei Tore in den letzten zwei Minuten. Es ist nicht zu fassen. Der Schiri pfeift ab zur Ver- längerung und die Blauen lassen allesamt die Köpfe hängen. Den moralischen Vorteil haben jetzt sicherlich die Betzebu- ben auf ihrer Seite.

Kurze Zeit für einen Besuch an der Rosé-Station und schon geht’s weiter. Die 95. Spielminute, die Partie also gerade erst wieder angepfiffen. Wieder Selim Teber. Ein, ich denke mal, sicherlich nicht unhaltbarer Schuss vom Strafraumeck findet seinen Weg ins Tor. Wieder die Führung für den FCK. 4:3. Es ist nicht zu fassen. Jetzt gehen wir ein, jetzt ist alles verloren, wir können nach Hause fahren. Das singen und raten uns zumindest die FCK-Fans. Aber wir Schalker sind bekanntlich wie ein Stehaufmännchen und geben nie, zumindest seltenst, auf. Erneut Halbzeit und Seitenwechsel. Noch eine Viertel- stunde zu spielen. Die Blauen werfen jetzt alles nach vorne und die Abwehr der Lauterer, unter enormen Druck gesetzt, beginnt tüchtig zu schwimmen. Und das ohne Schwimmflü- gel.

Wir schreiben die 116. Spielminute. Unser Abwehrrecke Mladen Krstajic möchte sich unbedingt gerne bei seinen Mannschaftskameraden (und das finde ich sehr gut!) für sein

84 Eigentor von vorhin entschuldigen und drischt mit einem gekonnten Flugkopfball, nach Vorarbeit Asa, den Ball aus kürzester Distanz und damit unhaltbar für Ernst in die Ma- schen. Erneuter Ausgleich. Unglaublich! Während diesmal die FCK-Fans die Köpfe hängen lassen, findet man die wahre Hölle auf dem Betzenberg gerade in unserem Block wieder. Und nach der Jubelorgie noch drei Minuten zittern – dann ist Abpfiff. 4:4 nach Verlängerung, es muss das bittere Elf- meterschießen geben, um einen Sieger dieser wahnsinnigen Partie zu erzwingen.

Zeit, sich noch einmal kurz mit einem Getränk zu bewaff- nen. Die Nerven, diese Anspannung. Es ist zum Wahnsinnig- werden. Die üblichen Fachsimpeleien. Wer tritt für uns an? Welcher Lauterer schießt wohin? Wird Rost, obwohl er bis hierhin sicherlich nicht seinen allerbesten Tag hat, doch noch zum Helden des Tages? Geschossen wird auf die FCK-Kurve. Zandi läuft an und trifft für den FCK, Böhme für uns. Danach läuft an – Rost hält. Er ballt die Becker- faust. Unsere Kurve jubelt, die FCK-Fans schauen entsetzt drein. Kobiashvili setzt nach und trifft. Erstmals die Füh- rung für die Blauen. Der Zwillingsbruder von unserem Hamit – Halil Altintop – scheitert ebenfalls an Rost. Beckerfaust, Jubel, doppeltes Entsetzen. Hochdramatisch geht es weiter. Krstajic läuft an und verschießt. Es bleibt bei der knappen 2:1-Führung für uns im Elferschiessen. Hertzsch gleich zum 2:2 aus. Ebbe erhöht auf 3:2. Wenzel wiederum gleicht aus. Und nun der eventuell entscheidende Elfer.

Lincoln schnappt sich den Ball und hat den Sieg, die unein- holbare 4:3-Führung, auf dem Fuß. Ist er sicher, sich das antun zu wollen? Behält er die Nerven? Gerade Lincoln, der die gesamten 120 Minuten nur ausgepfiffen und beschimpft wurde. Ausgerechnet er soll an alter Wirkungsstätte die Ner- ven bewahren und uns bei diesem Pokalkrimi ins Achtelfinale schießen? Eddy wird sich was dabei gedacht haben. Bis in die Zehenspitzen bin ich versteift. In unserem Block recken sich die Hälse ellenlang in die Höhe, während man einen Steck-

85 nadelkopf fallen hören könnte. Bitte mach ihn rein Lincoln! Er läuft an, verlädt Ernst und der Ball fliegt, fliegt und fliegt - hinein ins Netz.

Der gesamte königsblaue Trainerstab hüpft über den Platz und liegt sich in den Armen. Ebenso sieht es in unserer Kur- ve aus. Nur Lincoln schluchzt, jetzt wo der Druck von ihm weicht, im Freudentaumel der anderen leise vor sich hin. Währenddessen ergreifen die roten Fans fluchtartig das Wei- te. 8:7 nach Elfmeterschießen gewonnen, wir sind im Ach- telfinale, der dritte Sieg unter Eddy Hühnerfell. Der S04 ist wieder da!

86 25.09.2004 Hannover 96 – Schalke 04 • 1:0

Mit dieser Miniserie und der dazuge- hörigen Euphorie im Rücken geht es heute zu Hannover 96. Die sind zum jetzigen Zeitpunkt Tabellenletzte. Es sollte für unseren Erfolgscoach Eddy Hühnerfell also hoffentlich ein Leichtes sein, die kleine Siegesserie auszubauen und unsere Jungs hochmotiviert und selbstbewusst ins Spiel zu schicken. Die allgemeine Stimmung auf Schalke nach dem sensationellen Spiel auf dem Betzenberg ist – nicht nur Dank „gute- Laune-Eddy-Hühnerfell“ – super. Vor allem die königsblau- en Spieler haben spürbar wieder Freude und Spaß am Kicken, an herzerfrischendem Offensivfußball. Und da wir Fans uns natürlich schnell angesteckt haben, fährt heute einmal mehr eine gut gefüllte Schildkröte in die Heimat des Kanzlers.

Unterwegs gibt es noch ein wenig Nachhilfe in Geschichte, als uns Rudi nämlich den Ursprung des Stadtnamens erläutert. Oder wusstet ihr etwa, warum Hannover „Hannover“ heißt? Ganz einfach: Als Ende des zweiten Weltkrieges die Stadt durch die Alliierten erst besetzt und dann befreit wurde, hatte die „Hann“, der ortsansässige Fluss, Hochwasser und die GI’s sprachen verwundert folgendes aus: „Oh, look over there. The Hann is over!“. Und so entstand der Name Hannover. Was man auf Auswärtsfahrten alles lernen kann...

Mit weiterem Blödsinn steigert sich die Stimmung bis nach Hannover noch und als uns direkt vor dem Stadion auch noch eine Kirmes anlächelt, erhält das Spiel für einen kur- zen Zeitpunkt nur einen nebensächlichen Charakter. Mit der gesamten Truppe eine Runde über den Rummel gegangen, die Plauze ordentlich voll gehauen – auf geht’s ins Stadion.

87 Das heißt im übrigen jetzt, nachdem der Umbau abgeschlos- sen ist „AWD-Arena“. Einmal mehr freue ich mich darüber, dass wir es bei uns auf Schalke – zumindest bis heute – ge- schafft haben, zu vermeiden unserer Hütte einen ähnlich schäbigen, kommerziellen Namen zu geben. Natürlich sind uns die Zwänge und Automatismen des professionellen Pro- fifußballs bekannt, die Praktiken und Geschäftstätigkeiten unserer Fußballclubs – die ökonomisch betrachtet nichts anderes sind als mittelständische Wirtschaftsunternehmen. Und trotzdem, der Fußballgott möge mir vergeben, gehe ich wesentlich lieber immer noch „auf Schalke“ als in die AWD-, Toffifee-, Meister Propper-, Playmobil-, VW-, Tempo-, Alli- anz-, AOL-, Bayer- oder sonst was Arena. Bitte, liebe Verant- wortlichen des S04, liebe Königsblauen, sorgt und kämpft mit uns gemeinsam dafür, dass es auch in Zukunft so bleibt!

Hinein ins neue Stadion! Der Stehplatzbereich für die Gäste- fans befindet sich direkt unter dem Dach. Man ist damit zwar sehr weit weg vom Spielfeld, aber trotzdem sieht die Hütte ei- gentlich ganz nett aus. Die Stimmung unter den rund 4.000 Schalkern ist heute eher mau. Komisch eigentlich, nach die- ser Serie. Aber ich muss dem sofort hinzufügen: Das Spiel, das heute da unten auf dem Rasen stattfindet, ist aber auch wirklich eher lau. Eigentlich gibt es darüber auch kaum etwas zu berichten. Ein tristes Ballgeschiebe ohne wirkliche große Torchancen hüben wie drüben läuft ab der ersten Spielminute auf ein müdes 0:0 hinaus. Vielleicht stecken der Truppe, die, wie am Mittwoch, frei nach dem Sprichwort „never change a winning team!“, aufläuft, noch die Strapazen des Pokalspiels in den Knochen. Auch die Hannoveraner mussten in ihrem Pokalspiel bis in die Verlängerung. Keine guten Vorzeichen.

Und so plätschert das Spiel müde vor sich her. Unentschie- den – nicht mehr und nicht weniger – wäre letzten Endes auch für beide Teams verdient gewesen.

Und wie es nun einmal so ist, passiert dann doch noch etwas. Lässig und pomadig verliert der gerade zuvor eingewechselte

88 Sven Vermant im Mittelfeld (ich rege mich jetzt NIIIIICHT darüber auf!!!), ohne danach nachzusetzen, den Ball an Christiansen. Da die Blauen in diesem Moment alle in der Vorwärtsbewegung sind, hat dieser leichtes Spiel, passt zu Clint Mathis, der den Ball zum 1:0 Siegtor in der 83. Spielmi- nute, unhaltbar für Rost, aus sieben Metern ins Tor drischt. Das war es. Nach der kleinen Siegesserie unter Eddy bringt uns dieses Spiel die erneute Ernüchterung. Zumal, von der spielerischen Klasse her gesehen, heute bei Normalform viel, viel mehr für uns zu holen gewesen wäre.

Ein enttäuschter verkündet direkt nach dem Spiel - mindestens ebenso sehr enttäuscht und gefrustet wie wir - das Ende der Trainerlosigkeit auf Schalke. Mal schau- en, wen sie uns da aus dem Hut zaubern. Und hoffentlich behalten sie zumindest Eddy im Trainerstab. Und wenn wir die vergangenen Tage Revue passieren lassen, sieht es so schlecht wie nach der Niederlage im Wolfsburgspiel ja nun auch nicht aus. Vom drohenden Abstiegsgespenst hat man flüchten können und im DFB-Pokal und im UEFA-Cup haben wir die nächste Runde (so gut wie) erreicht. Es hätte schlim- mer kommen können.

Daher gönnen wir uns während der Rückfahrt noch ein bis zwei Helle und beginnen mit den üblichen Raterunden über die Besetzung des Traineramtes auf Schalke.

89 30.09.2004 - UEFA-Cup (1.Runde, Hinspiel): Metalurgs Liepaja – Schalke 04 • 0:4

Christoph Daum. . Berti Vogts. Branko Oblak. . Edgar Da- vids & Marc van Bommel (Spielertrainer). . . Helmut Schön. Ich könnte die Liste noch ellenlang fortführen, so vie- le verschiedene Trainerna- men wurden in den letzten Tagen genannt, wenn es um die Neubesetzung des Trainerpostens auf Schalke ging. But the winner is: , den unser Assi prompt auf der of- fiziellen Pressekonferenz mit „Rolf“ Rangnick den Medien- vertretern präsentiert. Klar, dass er sofort seinen Spitznamen auf Schalke weg hat. Rolf – alias Ralf – Rangnick. Ein Trai- ner, den sicherlich nicht jeder auf der Rechnung hatte und der den Beinamen „Professor“ trägt. Hat er sich doch in frü- heren Tagen mit seiner belehrenden und besserwisserischen Art unbeliebt gemacht.

Auf jeden Fall ein Trainer der „jungen Generation“ und ohne Zweifel ein ausgewiesener Fachmann. Darüber hinaus eine weitere Neuverpflichtung auf Schalke, die ganz eindeutig die Handschrift unseres Teammanagers Andreas Müller trägt. Ein weiteres Indiz dafür, dass Rudi doch in der Lage ist, im- mer mehr los zu lassen?

Sympathisch macht den Rolf jedoch sofort, dass er im Rah- men der Pressekonferenz erläutert, dass er die Mannschaft in den vergangenen Tagen mehrfach genauestens beobachtet habe und er nach Schalke gekommen sei, weil er der festen Überzeugung sei, mit dem vorhandenen Spielerpotential, trotz des nicht so wahnsinnig erfolgreichen Saisonstarts, noch ganz oben angreifen zu wollen. Das hört sich doch schon besser an als bei Don Jupp. Erfreulich darüber hinaus noch -

90 für mich jedenfalls - die Entscheidung unseres Managements auch in Zukunft, trotz des Trainerwechsels, im Trainerstab unbedingt weiterhin mit Eddy „Hühnerfell“ Achterberg zu- sammenarbeiten zu wollen.

Der wird Rolf Rangnick in den vergangenen Tagen sicher- lich auch hilfreich zur Seite gestanden haben, als es in seiner ersten Trainingseinheit hieß: Mannschaft kennen lernen und ohne viel Zeit zu verlieren sofort auf das heutige UEFA-Cup- Spiel in Lettland vorbereiten.

Als das Los „Liepaja“ vor einigen Wochen gezogen wurde, blickte die ganz Schalker Fangemeinde fragend auf die Land- karte und begab sich auf die Suche des Erstrundengegners. „Wo zum Teufel liegt Libau eigentlich?“ fragten sich unzähli- ge königsblaue Herzen. Bei dem kleinen Fleckchen „Lettland“ im Baltikum blieb dann der Finger auf der Landkarte kleben und die ersten Anreisemöglichkeiten wurden umgehend ge- checkt.

Letztlich begleiteten rund 150 Knappen unsere Schalker zum (durch den 5:1-Heimspielsieg relativ unwichtig gewordenen) Erstrundenrückspiel des UEFA-Cups nach Libau. Neben den üblichen „Tagesfliegern“ und den ganz hart gesottenen „Bus- fahrern“ zog es unter anderem auch uns, eine Kombo von insgesamt 15 Leuten, in einer selbst zusammengestellten Riga- und Liepajatour, ins Baltikum.

Ruckizucki die Flüge bei der „AirBaltic“ gebucht, einen Reiseführer gekauft - schon stand der Tour in die lettische Hauptstadt nix mehr im Wege. Von Köln aus fliegen wir an diesem Mittwoch in aller Herrgottsfrühe los und der lettische Albatros landet – inkl. Zeitverschiebung – pünktlich gegen Mittag in Riga. Wir begeben uns umgehend ins Hotel und er- kunden die mittelalterliche City der Hansestadt. Es wird das gesamte königsblaue Programm aufgefahren: In zwei Worte gefasst – Kultur (jede Menge Sehenswürdigkeiten – Riga ist eine Reise wert!!!) und ausgezeichnete Gastronomie.

91 So neigt sich ein anstrengender, aber wunderschöner Tag bei Bier & Balsam (einem milden, pechschwarzen, einheimischen Kräuterlikör mit 45 Umdrehungen) und feinsten Speisen zu ausgesprochen zivilen Preisen dem Ende entgegen. Wobei es einige in dieser Nacht mit dem „Balsam für die Seele“ schein- bar übertrieben haben.

Als wir uns nämlich am nächsten Morgen gegen 9 Uhr am Busbahnhof in Riga treffen, um eine lettische Schildkröte zu besteigen, die uns über Weiden und Wälder ins ca. 200 km entfernte Libau bringen soll, wirken einige Teilnehmer nicht wirklich frisch. Dieser Eindruck sollte sich während der ca. vierstündigen Busfahrt durch eine wunderschöne, moorastige Waldlandschaft auch bestätigen. Es kommt zu zwei krankheitsbedingten Zwischenfällen der Marke „Horst“ – allerdings ohne gravierende Konsequenzen.

In Libau angekommen, wird auch hier umgehend Quartier bezogen und die Stadt besichtigt. Vom Glanz der alten Zeiten, als die Zaren in dieser Stadt residierten und ihre Urlaube an der Ostsee verbrachten, ist zwar nicht mehr viel übrig ge- blieben, nachdem jedoch die 25.000 russischen Soldaten aus dem zweitgrößten Militärhafen der ehemaligen UdSSR abge- zogen sind, gewinnt die Stadt einiges von ihrem Charme und Flair wieder zurück. Auch hier speisen wir prima für wenig Geld und machen uns dann auf den Weg zum Stadion. Wobei Stadion durchaus ein dehnbarer Begriff zu sein scheint. Auf jeden Fall hat es etwas Nostalgisches an sich, mal wieder in einem solchen Oval mit Kreisklasseambiente vor einigen 100 Zuschauern ein Pflichtspiel zu verfolgen.

Souverän wird, wie zu erwarten, das Spiel mit 4:0 (1 x Sand und 3 x Hanke) gewonnen und man begibt sich zurück in die Innenstadt, während der Rest des Schalker Anhanges - die einen per Flieger, die anderen per Bus – die Heimreise antre- ten. Wir verbringen noch einen feucht-fröhlichen Abend mit- einander und sind einmal mehr sehr positiv von der enormen Deutschfreundlichkeit und Gastfreundschaft überrascht. Das

92 gibt es auch nicht überall. Und als wir Stunden später (es ist mittlerweile erneut tief in der Nacht) für kurze Zeit unser Bett besuchen gehen, tanzen die Letten noch munter weiter.

Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt. Am nächsten Mittag bringt uns der Bus wieder zurück nach Riga, wo wir den Tag – bei feinstem Sonnenschein – noch angemessen ausklingen lassen. Natürlich wieder mit Sightseeing, Bier & Balsam. Am nächsten Morgen geht es in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen, von wo aus wir die Heimreise gen Köln an- treten. Letztlich sind wir nur knappe vier Stunden nach den Busfahrern zurück in GE. Sie haben schlappe 31 (!!!) Stunden gebraucht!

93 02.10.2004 Schalke 04 – VfL Bochum • 3:2

Kaum aus Lettland wieder gelandet, kaum aus dem Flieger gestiegen, ist heute auch schon wieder Derbyti- me. Dieses „kleine Derby“, auch das „Straßenbahnduell“ genannt, ist sicherlich nicht so spektakulär und vor allem nicht so brisant wie das gegen die KGaA aus der Nähe von Lüdenscheid. Aber trotzdem mes- sen wir Fans ihm große Bedeutung zu. Haben wir mittlerweile seit Ur- zeiten gegen die KGaA nicht mehr verloren, so haben uns doch gerade die grauen Mäuse in den letzten Jahren mehrfach geärgert und uns das Leben in der Liga schwer gemacht.

Ich denke da nicht nur an das Auswärtsspiel in der Saison 2001 sondern auch an unsere Heimniederlage in der Vor- saison. Obacht also, ihr Blau-Weißen! Da gilt es die klaren Machtverhältnisse im Pott wieder gerade zu rücken. Bei ei- nem Sieg könnten wir im günstigsten Falle, zumindest bei der derzeitigen Tabellenkonstellation, bis ins vordere Ta- bellendrittel vorstoßen. Hoffentlich Motivation genug, liebe Knappen! Ihr habt auch noch was gut zu machen, wenn ich an den Kick letzte Woche in Hannover denke.

Irgendwie steckt der Lettland-Flug mir dann doch noch in den Knochen. Vielmehr die gesamte Tour. Der Lettland-Jet- Lag. Fast auf direktem Wege geht es vom Flughafen zum Café Central. Natürlich habe ich vorher kurz die Fiene angerufen um Bescheid zu geben, dass ich wieder heil & gesund in der Heimat angelangt bin. Nach zwei pechschwarzen Kaffee im Stammlokal fahren wir in einer bunt gemischten Bahn zur Donnerhalle. Wenigstens tragen die VfL’er ebenfalls blaue Schals. Ist irgendwie schon lustig. Wenn man überlegt, dass

94 die Fahrt mit der 302 bis zur Donnerhalle hinterm Kanal für mich fast genauso lange dauert wie die Fahrt in die ent- gegen gesetzte Richtung zum . Und wenn man dann noch bedenkt, dass man in dieser Zeit theoretisch 43 Stadtgrenzen im Pott überqueren kann, sollte man doch tat- sächlich noch einmal verstärkt über eine „Ruhrstadt“ nach- denken. Aber das geht die Politik etwas an. Wir sind heute zum Fußball gucken hier. Lasst das Spiel beginnen!

Zwar ist erstmalig Ralf Rangnick bei seinem Heimspielde- büt im Rahmen eines BundesligaSpiels für das Team ver- antwortlich, trotzdem trägt die Mannschaftsaufstellung noch die Handschrift von Eddy. Alles richtig gemacht, denn zur Halbzeit werden die Blauen mit stehenden Ovationen in die Kabinen begleitet. Zu diesem Zeitpunkt führen wir nämlich bereits mit sage und schreibe 3:0.

Die Donnerhalle ist ein Freudenhaus. „Die Nummer eins im Pott sind wir!“ schallt es bei handgemessenen 182 Dezibel aus 60.000 freudetrunkenen Kehlen.

Die zweite Hälfte wird wieder angepfiffen und sofort hat Lin- coln die Chance auf 4:0 zu erhöhen. Na prima, denke ich mir noch. Nur nicht nachlassen! Prompt fällt in diesem Moment der Bochumer Anschlusstreffer zum 3:1. Der in der Halbzeit eingewechselte Zvejzdan Misimovic (den Namen habe ich vorher noch nie gehört) steht plötzlich frei vor Rost und trifft aus zehn Metern unhaltbar für Frank. Statt eines sicher ge- glaubten Sieges schleicht sich bei den Blauen der Schlendrian ein und die Partie entwickelt sich auf einmal zu einem pa- ckenden, turbulenten und dramatischen voller Emotionen. 65. Spielminute: Nach eine Ecke der Bochumer verliert Kamphuis einen sicher geglaubten Ball. Ähnlich wie Vermant vor sieben Tagen in Hannover. So etwas Bescheu- ertes! Der Bochumer Innenverteidiger Raymond Kalla steht noch in der Mitte des Sechzehners und netzt freistehend aus sechs Metern ein. Nur noch 3:2.

95 Die Blauen verteidigen nur noch mit Mann und Maus wäh- rend die Bochumer alles nach vorne werfen. Aus Sicht eines Schalke-Fans kann man nur noch den treffenden, kriegeri- schen Begriff „Abwehrschlacht“ ins Spiel bringen. Und hätten wir keinen Frank Rost hinten drin stehen, wäre der Ausgleich sicherlich schon längst gefallen, so sehr sind die Bochumer am Drücker. Zwar erhalten beide Teams von ihren jeweiligen Fans die volle Unterstützung, doch trotzdem muss ich zuge- ben: Der Ausgleich liegt in der Luft. Zu diesem Zeitpunkt des Spiels haben uns die Bochumer voll im Griff. Jede Sekun- de die gerade vergeht, kommt mir wie eine gefühlte Stunde vor.

Es folgt die vielleicht Spiel entscheidende Szene des Spiels, die 80. Spielminute. Der völlig ausgelaugte und ausgepumpte Lincoln trabt langsam zur Auswechselbank, soll durch den frischen Varela ersetzt werden. Noch ein letztes Umdrehen und Klatschen zur Nordkurve – das geht dem nervösen Schi- ri zu weit und vor allem zu langsam. Eine Szene, wie es sie bei jedem stinknormalen Fußballspiel x-fach gibt, führt zu einer gelben Karte. Und da Lincoln bereits eine erhalten hat- te bedeutet dies: Gelb-Rot! Die Blauen für die letzten zehn Minuten in Unterzahl. Die Donnerhalle kocht vor Wut! So eine Frechheit – so etwas kann auch nur bei uns Schalkern passieren! Spontan muss ich an die rote Karte für Gustavo Varela denken, die bis heute auch die einzige in der Liga ge- blieben ist, für die so genannte „Rudel-Bildung“ beim Spiel in 1860 vor drei Jahren.

Im Nachhinein muss ich allerdings sagen: „Danke, Herr Schiedsrichter Stark“. Auf einmal sind die Blauen wieder hellwach. Die Donnerhalle ist ein Hexenkessel. Herrlich, diese aggressive Stimmung! Und so schaukeln wir das Spiel, welches wir ansonsten in unserer Lethargie vielleicht sogar noch verloren hätten, doch noch klug über die Zeit. Erster Saisonsieg im ersten Spiel für Ragnick, der dritte Saisonsieg im siebten Spiel, Platz sieben in der Gesamttabelle. Schon sieht die Schalker Welt ein wenig fröhlicher aus.

96 16.10.2004 FC Bayern München – Schalke 04 • 0:1

Eigentlich kommt es äußerst selten vor, dass die Vorberei- tung auf ein Spiel bereits am Abend vorher beginnt. Heute ist es allerdings mal wieder so weit. Am frühen Mittag hat unser dritter Vorsitzender des Supporters Clubs, der Rabe, seine Claudia im Schloss zu Horst geheiratet und von da ab ist natürlich Party satt an- gesagt.

So sitze ich am Freitagabend, wie es sich gehört mit Hemd und Jackett, im Schacht Bismarck und labe mich an Lecke- reien und koste den feinen Rotwein. Später geht es dann über zu Schnaps mit Fanta und als wir dann alle so richtig in Stimmung sind, kündigen wir über das Mikrofon, unter dem Jubel der anwesenden Gäste und zur Bestürzung der Braut an, dass es gleich eine spektakuläre Braut- samt Bräu- tigamentführung geben wird: Um Punkt zwei Uhr würde die Schildkröte mit der gesamten Hochzeitsgesellschaft ab zum Auswärtsspiel nach München düsen. Natürlich ist die Braut hellauf „begeistert“ und nachdem wir sie ein wenig haben zappeln lassen, offenbaren wir ihr, dass eigentlich nur ich um zwei Uhr direkt von hier aus in den Bus fallen werde. Mann, war sie erleichtert.

Leicht angesäuselt steige ich um zwei Uhr in die Kröte und nehme den kuscheligen Fensterplatz neben Kurti ein. Wäh- rend ich im sanften Licht des Mondes die Bäume entlang der Sauerlandlinie taxiere, frage ich mich, wie oft ich eigentlich – nur des Fußballes wegen – schon diese elendig lange Strecke in die bayerische Landeshauptstadt gefahren bin. Ich glaube, ich kenne mittlerweile jeden einzelnen Kilometerstein, jeden Baum den wir passieren, mindestens so gut wie das Innere

97 meiner Sporthose. Und trotzdem ist diese Tour eine Reise wert. Mehr als das. Und einen leicht nostalgischen Touch hat unser heutiges Gastspiel in München auch. Zumindest wenn der DFB-Pokal uns keinen Strich durch die Rechnung macht. Es ist unser letzte Spiel im Münchener Olympiastadion.

Stunden später fahren wir an der Baustelle der neuen „Alli- anz-Arena“ vorbei und die bloßen Ausmaße sind schon im- posant. Aber im Focus liegt für uns erst einmal der Biegarten am Olympiaturm, traditioneller Treffpunkt für uns vor den Spielen beim FC Bäh. Ob es auch hier unser letztes Gast- spiel sein wird? Wir stärken uns tüchtig mit deftiger Haus- mannskost und Maßbier und kurz vor unserem Aufmarsch zum Stadion lässt sich erneut festhalten: Der Laden ist fest in königsblauer Hand! Einige kleinere Scharmützel mit irgend- welchen arroganten Bazen, die außer ihrem Dorf und dem Olympiastadion wohl noch nie was anderes von der schönen, großen, weiten Welt zu sehen bekommen haben, sind vorpro- grammiert, jedoch harmlos. Gehört einfach dazu!

Ich schnappe mir unseren „Strauch“ und seinen Frankfurter Kumpel und wir nehmen die Gipfelbesteigung des Hügels im Olympiapark in Angriff. Völlig außer Atem, als hätten wir gerade einen Dreitausender bestiegen, oben angekommen, freuen sich die zwei darüber, dass es nach dem Aufwärts auch immer wieder ein Abwärts gibt. Ich hoffe, dass dies nicht für unseren derzeitigen Spielrhythmus gilt. Mit ein wenig Glück könnte doch ein Punkt, als Abschiedsgeschenk, aus dem Stadion mit der schönen Frey-Otto-Glasdachkonstruktion zu holen sein.

Wir sind drin. Ich schätze mal, beim Blick über das weite Oval der Betonschüssel, das heute gut und gerne 5.000 Schalker den Weg in die ausverkaufte Olympiabude gefunden haben. Rein optisch betrachtet ein riesiger Unterschied, ob die Hüt- te, wie man nur allzu oft am Fernseher verfolgen kann, mit 10.000 Leuten gefüllt, oder, so wie heute, rappelvoll, ist. Traurige Zustände herrschen hier eigentlich. Ob sich das

98 bei diesem Publikum im neuen Stadion ändern wird? Kaum vorstellbar. Jeder gescheite Bub, der in München selbst groß wird, geht automatisch, weil er kultiviert ist, zu 1860. Alle anderen Besucher des Stadions bei Bayern-Spielen bestehen zu 90 % aus Publikum. Im Fachjargon auch Erfolgs- oder Modefans, Stadiontouristen genannt. Allenfalls Sympathi- santen – jedoch keine wahren Fans so wie wir es kennen und für uns definieren. Das Wort „Fan“ kommt immerhin vom Wort „fanatisch.“

Das Problem an der Sache ist, dass diese Sympathisanten natürlich unterhalb der Woche nicht zu einem Spiel kommen. Der Würstchen-Ulli und der Kaiser-Firle-Franz weinen und jammern dann immer in die TV-Kameras hinein. Sie versu- chen dem Zuschauer zu erklären, dass ihr Stammpublikum doch unterhalb der Woche nicht so eine weite Anreise tätigen könne. Unzumutbar! Klägliche Erklärungsversuche! Verges- sen sie doch dabei gerne, dass so etwas bei einem Kultverein mit Tradition, Mythos, Charme, Charakter, Zauber, Charisma undenkbar ist.

Nehmen wir zum Beispiel den ruhm- und glorreichen FC Schalke 04. Da kannst du Dienstagsabends bei minus 10° C ein Freundschaftsspiel gegen Stacheldraht Moskau oder Barfuß Jerusalem ansetzen und die Donnerhalle ist trotzdem voll - obwohl auch hier die treuen Fans aus ganz Deutschland kommen. Ach, was rede ich: Bei uns braucht man nur das Flutlicht anzuknipsen und schon platzt die Hütte aus all ihren Nähten. Ihr wisst schon. Ich könnte mich wieder aufregen. Halten wir es mit den Hosen: Nie im Leben würde ich zum FC Bayern München gehen!!!

Das Spiel beginnt. Die 5.000 Schalker supporten das Trom- peten blasende Kinderpublikum des FC Bäh – auch Regens- burger Domspatzen genannt - in Grund und Boden. Andere sind nur im Stadion, um, mit weißen Regenjacken gekleidet, gelangweilt ein großes „T“ auf der Gegengerade zu bilden. Hut ab allerdings vor einigen couragierten Münchenern, die

99 von Beginn des Spiels an den Mumm haben ihrem Vorstand zu trotzen, indem sie Spruchbänder empor halten, auf denen die Versitzplatzung der Fankurven in der neu entstehenden Arroganz-Arena scharf kritisiert wird.

Zum eigentlichen Sinn und Zweck unseres Besuches – Punk- te klauen! Rolf lässt heute mit Asa, Ailton und Ebbe wie- der mutig mit drei Spitzen spielen. Ein scheinbar genialer Schachzug, denn als der souverän pfeifende Schiedsrichter nach 45 Spielminuten die zwei Teams zum Pausentee bittet, gibt es von den Rängen für die Millionarios des FC Bäh ein gellendes Pfeifkonzert. Keine einzige Chance hat unsere, das Spiel kontrollierende, Formation zugelassen. Natürlich auch Dank Marcelo, der den „Rheuma-Kai“ ziemlich blass ausse- hen lässt.

Die Bayern sind mehr damit beschäftigt, unsere drei Stürmer im Schach zu halten, als ihre in Szene zu setzen. Man muss halt Prioritäten setzen. Gut gemacht Rolf! Die haben doch tatsächlich großen Respekt vor uns. Bezeichnenderweise gab es die einzige echte Tormöglichkeit für unsere Blauen. Asa spielt den Mann mit ohne Hals frei, der jedoch in der 25. Spielminute aus zehn Metern an dem Kahnsinnigen schei- tert. Das war es eigentlich auch schon. Den Rest der Zeit plätscherte das Spiel eigentlich nur ohne große Höhepunkte vor sich hin.

Etwas schwungvoller kommen die Spieler des Rekordmeis- ters allerdings zur zweiten Runde aus der Kabine und setzen die Blauen verstärkt unter Druck. Ohne jedoch dabei zwin- gend zu agieren. Ein Schüsschen in die Wolken von Lucio, daher auch nur die magere Ausbeute. Hier ist heute doch tatsächlich was drin! Und als hätten die Blauen mich gehört, sind sie es, die auf einmal einen Gang zulegen. Weitschuss von Kobi – nur knapp am linken Winkel vorbei (58.). Asa aus nur acht Metern knapp über das Tor (70.). Wir nähern uns der magischen Torlinie. Dann der große Moment in dem der Elefant das Wasser lässt, in dem der Knoten platzte:

100 Altintop bringt einen Freistoß für Königsblau von der linken Seitenauslinie aus gut und gerne 35 Metern Entfernung in des Gegners Strafraum. Zur Freude von uns allen steht genau dort, wo der Ball sich senkt, unser seit Wochen überragend spielender Asa. Und zwar völlig frei und unbedrängt. Tja, und da man ja bekanntlich, wenn man nicht weiß wohin mit dem Ball, ihn am besten ins Tor schießt, fasst sich unser Asa ein Herz und wagt das unmöglich Geglaubte. Eine Majestätsbe- leidigung. Ob das nicht noch ein Nachspiel haben wird?

Er fixiert den Ball, der wie durch Geisterhand herunter gezo- gen wird, nimmt Maß und wuchtet ihn mit dem Kopf aus fünf Metern – unhaltbar für Kahn – in die Maschen. 1:0-Führung in der 75. Spielminute für uns bei den Bayern. Jubelnd liegen sich die Spieler in den Armen, wir tun es ihnen gleich. Was kann es schöneres geben?

Und um es vorweg zu nehmen: Es war das Tor des Tages, denn auch in der Schlussviertelstunde geriet unser Sieg nie in Gefahr. Die Führung hielten unsere Jungs rund um Mar- celo ganz fest in ihren Armen und gaben sie auch nicht wie- der her. Schön im Übrigen noch, dass bei der Auswechslung des Mannes des Tages, unserem Nationalspieler „Blondie“, selbst das Publikum, welches eigentlich dem FC Bayern die Daumen drückte, heftig Beifall klatschte. Nach drei aufeinan- der folgenden Niederlagen, ohne eigenen Torerfolg, auf des Gegners Platz gelingt uns ausgerechnet bei den Schalendie- ben der erste, verdiente, Auswärtssieg. Ich würde sagen: So langsam geht die Saison für uns richtig los!

101 21.10.2004 UEFA-Cup (1. Spiel, Gruppenphase): Schalke 04 – FC Basel • 1:1

Und wieder steht uns eine eng- lische Woche ins Haus. Hurra! Ich habe noch nie verstanden, wie man sich über drei Spiele in einer Woche beschweren kann. Substanzverlust, Kräfteverschleiß und was man da nicht alles hört. Sicherlich alles nicht falsch – aber als Profi doch sicherlich schöner, als zwei knochenharte Trainingseinheiten am Tag. Zumindest sehe ich das als Hobbysportler so. Heute nun also unser Debüt im neu formierten und umstrukturierten UEFA- Cup gegen den Schweizer Meister FC Basel. Eigentlich schon gleich im ersten Spiel ein Knüller - Gott sei Dank aber auch gleich ein Heimspiel.

Es folgt ein Auswärtsspiel in Edinburgh, ein Heimspiel ge- gen Budapest und letztlich ein Auswärtsspiel in Rotterdam. Die ersten drei der Gruppe ziehen in die nächste Runde ein, die dann wieder im traditionellen KO-System ausgetragen wird. Müsste zu packen sein. Vor allem auf das Auswärts- spiel in Schottland freue ich mich ganz besonders. Ich war damals mit meiner Abi-Stufe schon einmal zehn Tage lang da. Eine geniale Stadt. Umgehend laufen die Planungen zu einer Übernachtungstour an.

Aber heute fallen die „Blau-Roten“, wie man die äußerst „net- ten“ Fans des FC Basel nennt, in unsere Heimatstadt – die dementsprechend eher einem Hochsicherheitstrakt gleicht - ein und bringen tatsächlich einen ordentlichen Batzen Fans mit. Von denen dürften einige viele unser Stadion wohl nicht gesehen haben. Die Welt zu Gast bei Freunden!

Trotzdem schaffen es einige Baseler, sich in unserer Stadt zu verirren und landen schließlich bei uns im Café. Nette Jungs. Gemeinsam mit ihnen fahren wir Richtung Donnerhalle. Äu-

102 ßerst beeindruckt zeigen sie sich von diesem imposanten Bau und bevor sich unsere Wege hier trennen, wünschen wir uns gegenseitig noch ein schönes Spiel.

Die Arena ist wie immer bis auf den allerletzten Platz aus- verkauft und die Stimmung, Dank der Siegesserie, bestens. Rangnick lässt die Elf spielen, die in München die Punkte einfahren konnte. Lediglich Lincoln rutscht für Ailton ins Team. Von der ersten Minute des Spiels an fällt auf, wie tak- tisch klug und diszipliniert die Schweizer spielen. Ein wahres Klasse-Team, das nicht umsonst in der letzten Champions- League-Saison den ganz, ganz Großen mehrfach ein Bein stellte.

Trotzdem starten wir deutlich besser, denn bereits in der ach- ten Spielminute passiert folgendes: Kobi tänzelt rund 20 Me- ter vor Pascal Zuberbühlers Kasten seinen Gegenspieler aus und zieht mit Links trocken ab. Sekundenbruchteile später zappelt der Ball, links im Winkel eingeschlagen, unhaltbar für den Baseler Schlussmann im Netz. Ein Auftakt nach Maß!

Während die komplett auf Sitzplätze umgerüstete Donnerhal- le nach diesem optimalen Start aufsteht und jubelt, scheint es im Baseler Block doch zu einigen Unstimmigkeiten zu kom- men. Rauchzeichen werden gegeben und umgehend schreitet die Staatsmacht ein, um zur Hilfe zu eilen. Die Aufregung legt sich – alles nur ein Missverständnis – und die volle Konzen- tration gilt wieder dem grünen Rasen. Im weiteren Verlauf der ersten Spielhälfte haben die Knappen das Spiel eigentlich ganz gut im Griff. Allerdings bleibt es bis zur Pause bei dieser knappen Führung.

Kurz den alten Portemonnaie-Trick aus der Tasche gezogen: Raus aus dem Stadion, Chipkarte dabei wieder frei schalten lassen, ein leckeres verbleites Veltins an der Bierbude geor- dert, wieder rein mit der Chipkarte. Da das Ganze geschlage- ne zehn Minuten dauert, geht’s auch sofort wieder los.

103 Auch jetzt plätschert das Spiel weiter vor sich hin und es dauert bis zur 60. Minute, bis zum ersten Mal der Ball wie- der Richtung Tor fliegt. Der überragende David Degen zieht aus 18 Metern ab und zwingt Rost zu einer Körperbewegung. Wichtig, denn er wäre vorher fast eingeschlafen.

Die letzten zehn Minuten des Spiels läuten die heiße Schluss- phase ein. Die Blauen könnten erneut den Sack zumachen, als wieder unserer Zaubermaus Lincoln der Ball im Straf- raum vor die Füße fällt. Allerdings nimmt er zu genau Maß und ballert die Kirsche aus 14 Metern, mittig und frei vor Zuberbühlers Tor stehend, nur um Haaresbreite daneben. Spätestens zwei Minuten später (82.) rächt sich das Auslas- sen dieser Großchancen. Freistoß für Basel an unserem Straf- raum. Rost stellt die Mauer. Der Baseler Delgado (nein, nicht der ehemalige Radprofi) nimmt Anlauf und zirkelt den Ball ins Netz. Ausgleich! So ein Mist. Und schon wieder so ein dummes Freistoßtor. Obwohl Frank seit Wochen überragend hält, fängt er sich erstaunlich viele Freistoßtore ein. Ob er vielleicht eine Brille braucht?

Die Baseler Fans jubeln, bei uns kehrt Ruhe ein. Obwohl Rag- nick noch Hanke und Ailton bringt, können wir am Ende froh sein, dass wir zumindest diesen einen Punkt geholt haben, denn die Eidgenossen haben tatsächlich in den Schlussmi- nuten noch zwei dicke Chancen. Ob dieser Punkt für uns nun mehr Fleisch oder mehr Fisch ist, wird sich in den kommen- den Gruppenspielen zeigen. Sicher ist, dass der Auftritt der Baseler mich zumindest stark beeindruckt hat. Seit langem war dies die beste Mannschaft in der Donnerhalle. Die Punk- teteilung ist daher voll okay und die Rot-Blauen werden noch ganz anderen Teams die Punkte klauen. Ebenso wie wir.

104 24.10.2004 Schalke 04 - FSV Mainz 05 • 2:1

Nach unserem Donners- tagsspiel im UEFA-Cup gegen den FC Basel steht heute ein Heimspiel auf dem Pflichtspielkalen- der. Und erneut wird eine Mannschaft bei uns in der Donnerhalle auflaufen, die ich einerseits noch nie habe spielen sehen und die sich andererseits ebenfalls mit zahlreichen stimmgewaltigen Fans angekündigt hat. Zu Gast in Gelsenkirchen ist heute die Überraschungsmannschaft der Hinrunde, der Karnevalsverein FSV Mainz 05.

Da die Sonne uns heute hold ist, treffen wir uns wieder ein- mal relativ früh am Café Central und treffen dort nicht nur auf unsere eigenen Mitglieder, sondern auch auf zahlreiche Mainzer. Und sie machen ihrem Namen alle Ehre – die Jungs sind richtig töffte drauf. Man merkt ihnen die ausgelassene Freude an, überhaupt in der Liga dabei sein zu dürfen. Eben das, was man ihrer jungen Truppe seit Wochen, in denen sie mit herzerfrischendem Fußball auftrumpfen, nachsagt.

Die zwei alten „Kumpels“ aus der Trainergilde der „jungen Wilden“, Rangnick und Klopp, lassen beide – so verrät es uns die Mannschaftssaufstellung – erneut offensiven Fußball spielen. Ich hoffe es zumindest, war doch das Spiel am Don- nerstag eher mau. Bei unserem Team heißt es, dass Ailton und Varela anstatt Altintop und Kamphuis auflaufen. Süd- amerika allez!

Anpfiff. Von der ersten Sekunde an machen die Mainzer Fans, die das komplette Gastkontingent in Anspruch genommen haben, einen Mordslärm. Respekt! Das ist sicherlich der bes- te Auswärtssupport in diesem Jahr in unserem Stadion. Wie

105 vorhin schon festgestellt, man merkt allen Mainzer Beteilig- ten – auf Rasen und Rang – die Freude des olympischen Ge- dankens „Dabei sein ist alles!“ an. Allerdings trägt auch das Spiel heute zur guten Stimmung bei. Von Anfang an gehen beide Teams kompromisslos ein hohes Tempo, verzichten auf ein taktisches Abtasten und spielen konsequent auf des Gegners Tor. Bereits nach fünf Minuten zwei dicke Chan- cen, klasse gehalten vom Mainzer Keeper . Zehn Minuten später vergibt Asa eine Chance, die „unser Omma mit dem Krückstock“ rein gehauen hätte. Panders Freistoß aus fast 40 Metern halbrechter Position fällt ihm direkt auf den Fuß. Das ganze Stadion brüllt, Wache ist geschlagen, Asa schiebt den Ball mit dem rechten Fuß parallel die Torlinie entlang. Kein Tor. Auch das muss man erstmal schaffen!

In der zwanzigsten Spielminute steht erneut Asa im Mittel- punkt. Dimo Wache kann einen harten Kopfball von Ebbe nur abklatschen lassen, dieser fällt erneut Asamoah direkt vor die Füße. Anstatt jedoch den Ball aus nicht einmal zehn Metern in die Maschen zu donnern, versucht er, sich die Kugel noch einmal selbst vorzulegen. Ich betone versucht. Die alte Schwäche, binnen weniger Minuten unzählige Groß- chancen versiebt. Die Mainzer haben in dieser Spielphase im Übrigen selbst keine große Möglichkeit, spielen aber stets gefährlich munter mit. Mimoun Azaouagh heißt der junge, frech aufspielende, talentierte Mainzer Bursche, der nach 25 Minuten zum ersten Mal für Mainz auf Rosts Kasten schießt – und verzieht. Den Namen sollte man sich noch merken.

Endlich, fast im direkten Gegenzug, der lang ersehnte Tor- jubel auf königsblauer Seite. Unsere brasilianische Zauber- maus Lincoln kommt 20 Meter vor Waches Tor, halbrechte Position, frei zum Schuss. Der Ball klatscht an den Pfosten, von dort aus fliegt er wie in Zeitlupe auf Waches Rücken zu, von wo aus er wiederum, unglücklich für den Keeper, zurück springt. Ins Tor. Erinnert ein wenig an eines der sensatio- nellen Eigentore. Uns ist es egal – 1:0 für die Guten!

106 Die Mainzer indessen scheint unsere Führung wenig zu be- eindrucken. Mutig spielen sie auch in den folgenden Minuten forsch nach vorne und kommen auch zu zwei guten Chan- cen durch Azaouagh (27.) und Benjamin Auer (41.). Gerade richtig, um unsere Jungs wieder wach zu rütteln, ertönt der schrille Pausenpfiff.

Nach der Pause das gleiche Bild. Die Mainzer geben sich noch lange nicht geschlagen und bevor Rost so richtig in seinem Gehäuse Platz genommen hat, darf er gleich zwei- mal in höchster Not eingreifen. Im Anschluss daran wirk- lich ein dolles Spiel. Es geht hin und her, das Publikum geht voll mit und die 180 Dezibel-Grenze wird wieder geknackt. Dicke Konterchance für Ailton (48.), knapp vergeben. Dis- tanzschuss von Auer (49.), daneben. Lattenschuss von Ail- ton (52.), an dem Wache noch seine Fingerspitzen dran hat. Erneute Glanztat von Wache nach Fernschuss von Pander (53.) Sekunden später Ebbe mit dem Kopf knapp über die Latte. Wie gesagt, ein tolles Spiel mit großen Chancen auf beiden Seiten. Die nächste Tormöglichkeit führt demnach, fast folgerichtig – unter dem Jubel der 6.000 mitgereisten Mainzer - zu einem Tor. Leider für die falsche Truppe. Ein weiter Freistoß in unseren Strafraum wird von Rost leicht unterschätzt und von Auers Scheitel fliegt er an die Latte. Danach geht alles sehr schnell, aber irgendwie kommt der Mainzer Niclas Weiland als Erster an den Ball und köpft ihn, äußerst unglücklich für Papa Bordon, an dessen Fuß, von wo aus er zu unser aller Entsetzen langsam ins eigene Tor rollt. 1:1 nach genau einer Stunde Spielzeit.

Umgekehrte Vorzeichen, jetzt dürften die Mainzer den psy- chologischen Vorteil auf ihrer Seite haben. Aber die Blauen lassen sich nicht beeindrucken und nur zehn Minuten später (70.) gehen wir erneut in Führung. Lincoln wird von Pander frei gespielt, dieser wiederum holt sich einen Scorer-Punkt, indem er Ailton zauberhaft anspielt. Und was macht der? Das wofür wir ihn geholt haben. Aus halblinker Position fackelt er nicht lange und donnert den Ball aus sieben Metern an Wa-

107 che vorbei in die Maschen. Die Donnerhalle steht Kopf – was für ein geiles Fußballspiel. Auch Ailton scheint eine Zentner- last vom Herzen zu fallen. Nach seinem ersten Ligator für uns hüpft er wie ein kleines Kind vor unserer Nordkurve umher uns springt sogar unser Maskottchen „Erwin“ an. Dieser hat in diesem Moment wohl mit allem, aber nicht damit gerech- net, und Ailton säbelt ihm glatt die ganze Maske vom Kopf. Eine der lustigsten Szenen dieser Saison – bis jetzt!

Nach so viel Spannung folgte noch viel mehr. Wir hätten auf 3:1 erhöhen können, hätten aber kurz vor Abpfiff, hätte Al- tintop nicht auf der Linie geklärt, auch noch den Ausgleich kassieren können. So gewinnen wir das Spiel letztlich mit 2:1 und tasten uns tatsächlich, so langsam aber sicher, an die vordersten Plätze heran.

Fazit: Ein hartes Stück Arbeit mit einigem Zittern für uns und viele, viele Sympathiepunkte für die Mainzer. Eine ganz klare Bereicherung für die Liga. Im Übrigen, auch dies sollte kurz erwähnt werden, gerade diese Spiele haben wir in der letzten Saison unter „Don Jupp“ noch verloren. Rolf Rang- nick drückt erkennbar unserem Team den Stempel auf. Zur Feier des Tages ziehe ich heute – auch zu Fienes Freude – die neue „100 Schalker Jahre“ – Bettwäsche auf.

108 27.10.2004 1. FC Nürnberg – Schalke 04 • 0:2

Wie viele Fanfreund- schaften gibt es eigent- lich in der Bundesliga? Ich meine so richtige Fanfreundschaften? Freundschaften, die unter anderem bedeu- ten, dass man sich in seiner Freizeit besucht, regelmäßig miteinander kommuniziert, mit dem anderen Club gemeinsam Auswärts- spiele besucht, ihn unterstützt, wenn er in der Nähe spielt? Ich kenne nur eine wahre Fanfreundschaft in der höchsten deutschen Spielklasse. Die zwischen den zwei Altmeistern 1. FC Nürnberg und unserem S04. Alles andere ist im Vergleich dazu Pipifax. Die schwatz-gelben zum Beispiel pflegen ja mit jedem x-beliebigen Club eine so genannte „Freundschaft“ und zeigen dies stolz anhand ihrer schäbigen, kunterbunten Schals. Wer es nötig hat. Pfui! Die Bochumer, anderes Bei- spiel, als graue Maus der Liga bekannt, hätten gerne auch mal einige Krümel vom Erfolgskuchen ab und haben sich für eine angebliche Freundschaft mit dem FC Bayern entschie- den – toll! Grönemeyer mit seinem Kulthit „Bochum“ würde sich beim Gedanken daran wohl am liebsten erbrechen. Mit seiner Lobeshymne auf den Pott meinte er sicherlich etwas anderes.

Nun gibt es da also diese deutschlandweit einzigartige Fan- freundschaft. Und die DFL hat nichts Besseres zu tun, als das Aufeinandertreffen dieser zwei Clubs, welches eh bedingt durch Zweitligazugehörigkeiten hüben wie drüben, nur all- zu selten stattfinden kann, auf einen Wochentag zu legen. Sensationell, gut mitgedacht liebe Herren! Wer denkt sich bei der DFL solche Terminierungen aus? Ich kann dazu nur eines sagen: Pro 15:30!

109 Verständlich, dass der Frust auf beiden Seiten groß ist, fällt doch die traditionelle Fanparty für die meisten damit ins Wasser. Unbeeindruckt von dieser Tatsache finden trotzdem 50 tapfere Supporter den Weg in die Schildkröte und fahren bestens gelaunt, die gute Serie im Rücken, zum Club. Auch dort soll heute unbedingt gepunktet werden!

Einmal mehr rasen wir mit gefühltem Tempo 80 die altbe- kannte Strecke gen Süddeutschland hinunter und kommen nach gut und gerne sechs Stunden amüsanter Fahrt in der Hauptstadt des Frankenlandes an. Für eineinhalb Stunden gehen wir noch auf eine Maß zur Fanparty, treffen auf alt- bekannte Gesichter und tasten uns dann im zappendusteren Umfeld zum Stadion. Immerhin haben doch gut und gerne 4.000 Königsblaue den Weg ins Frankenstadion gefunden. Zur Begrüßung empfängt uns die Nürnberger Fankurve mit einer großen Choreografie, die die Nachbildung eines üb- derdimensional großen Freundschafsschales zeigt. Echt geil gemacht. Respekt!

Das Spiel fängt an und von der ersten Sekunde an wird die gerade noch hoch gelobte Fanfreundschaft auf eine harte Zer- reißprobe gestellt. Bereits nach nur neun Minuten, eigentlich unser erster konstruktiver Angriff, ein glasklarer Elfmeter für uns. Der Nürnberger Thomas Paulus legt den davon eilenden Asa im Sechzehner. Ailton verwandelt den fälligen Strafstoß souverän zur 1:0-Führung.

Keine zehn Minuten später eine etwas umstrittenere Szene. Unser ehemaliger Innenverteidiger Tomasz Hajto, die Ein- wurflegende und die Koryphäe des weit und hoch gespielten Balles – ein Junge, der sich immer für uns den Hintern aufge- rissen hat - wird durch geschicktes Pressing der Blauen zuge- stellt, wird nervös und verliert gut 35 Meter vor dem eigenen Tor den Ball gegen unsere brasilianische Zaubermaus. Diese macht sich auf in Richtung FCN-Kasten, kann aber nicht so schnell, wie sie gerne möchte, da Hajto sie, in gewohnt ro- buster Manier - als letzter Mann - am Trikot festhält. Der

110 Schiedsrichter Michael Fröhlich zeigt Hajto wegen einer Notbremse das rote „Duschen gehen!“-Ticket, obwohl Lin- coln eigentlich lieber schnell den Freistoß ausführen möchte. Dumm gelaufen, die Entscheidung trotzdem vertretbar, wenn auch ein wenig hart. Auf jeden Fall sicherlich nicht hinderlich für unser Spiel. Trotzdem, von dieser Stelle aus noch einmal DANKE Tomasz für Deine Schalker Jahre.

In den darauf folgenden zehn Minuten haben Lincoln und Varela das 2:0 auf dem Fuß, scheitern jedoch nur knapp. Zu diesem Zeitpunkt haben wir das Spiel voll im Griff, Nürn- berg ist immer noch geschockt. Und schon wieder wird die Fanfreundschaft strapaziert. Paulus, der vorhin bereits den Elfer verursachte und dafür auch gelb sah, foult Ebbe. Nichts Wildes, aber ein wenig dumm, da unbedrängt im Mittelfeld. Und was macht der Schiri? Zeigt unter dem empörten und wütenden Getöse der FCN-Fans gelb-rot. Ich kann die Jungs verstehen, in der Donnerhalle wäre jetzt der Teufel los. Noch keine vierzig Minuten gespielt, zwei nicht ganz hundertpro- zentige Platzverweise, ein 0:1 im Rücken und ein scheinbar übermächtiger Gegner namens FC Schalke 04. Und wenn wir schon einmal dabei sind. Die Blauen machen in der 45 Spielminute den Sack zu. Asa flankt von der Grundlinie in den Strafraum, Ebbe hält nur noch seinen Appel hin und markiert aus vier Metern das 2:0. Ich traue mich kaum zu jubeln, so unangenehm ist es mir. Aber die drei Punkte dürf- ten wir damit schon im Mannschaftsbus liegen haben, die Ralle-Rangnick-Erfolgssträhne setzt sich fort.

Die Pause schafft es kaum, die erhitzten Gemüter zu beru- higen und in diesen langen Minuten hat sich wohl mancher Clubberer die Fanfreundschaft zum Teufel gewünscht. Ob- wohl wir ja gar nichts dafür konnten. Daher möchte ich diese lange und innige Freundschaft an dieser Stelle auch gar nicht weiter strapazieren.

In wenigen Tagen von Platz 16 auf Platz 6 geschlichen – da geht noch was. Aber jetzt ab in die Heia!

111 30.10.2004 Schalke 04 – VfB Stuttgart • 3:2

Fragt man einen Fußball- fan, warum er eigentlich regelmäßig, immer und immer wieder, zum Fußball geht bei Wind und Wetter den Weg ins Stadion seines Lieblingsclubs findet, so wird die Antwort immer aus verschiedenen Komponenten bestehen. Verschiedene Menschen, verschiedene Fans, ver- schiedene Beweggründe.

Für die einen ist das Fußballspiel die pure Entspannung, schlicht und einfach Freizeitspaß, Leidenschaft, Emotion. Für die anderen eine Art Droge, eine Sucht. Wiederum an- dere sehen darin einen Platz für Freundschaften, Geborgen- heit, Zusammengehörigkeitsgefühl. Aber sicherlich wird bei jedem unterschwellig immer ein weiterer Aspekt von ent- scheidender Bedeutung sein: Die Angst, etwas zu verpassen. Die Angst davor, bei allen 08/15-Durchschnittsheimspielen, bei allen tristen Ligaspielen im Jahr dabei zu sein und dann aber das sensationelle, genau dieses eine Spiel, wegen eines Schnupfens oder gar des 46sten Geburtstages von der Freun- dins Nachbarin ihrem Kind, oder irgend einem anderen Käse, zu verpassen. Die unglaubliche Schlappe, mit der niemand gerechnet hat, der Sensationssieg, das Skandalspiel.

Genau aus diesem Grund setzt man manchmal alle Hebel in Bewegung, erfindet Ausreden, schafft Notlügen, um sich ge- nau diese Angst des Verpassens selbst zu nehmen. Man muss dabei sein. Immer. Überall. Selbst schlich sich schon von seiner eigenen Konfirmation davon, wollte er doch einfach kein Pflichtspiel von seinen Knappen verpassen. (Kennt ihr das auch? Er: „Ich muss jetzt los, auf Schalke“. Sie: „Was heißt hier du MUSST auf Schalke? Du MUSST nicht“. Er: „Ja, soll ich etwa nicht gehen? So ein Blödsinn“.) Und was

112 hätte man als S04-Fan da heute bloß alles verpasst!

Zu Gast ist der starke VfB Stuttgart, Bordons Ex-Club. Sicher- lich, nach unserer tollen Serie, ein richtungsweisendes Spiel für uns. Können wir uns ganz oben festsetzen oder waren die letzten Siege nur ein helles, lichterloh brennendes Strohfeu- er? Ersteres wäre zu schön. Und so pilgern auch heute wieder die königsblauen Massen in bester Laune zum Schalker Feld. Man ist halt gerne Optimist.

Nach einem kurzen Aufenthalt an der 1000-Freunde-Mauer bin ich pünktlich auf meinem Platz und studiere Rangnicks Veränderungen. Kamphuis spielt hinten rechts für Varela, Krstajic für Waldoch. Damit ändert sich an der offensiven Anfangsformation - und das kriegen die Schwaben auch we- nige Sekunden nach Anpfiff zu spüren - nichts. Viele unter uns haben noch gar nicht Platz genommen, da zappelt der Ball auch schon im Stuttgarter Netz. Ganze 39 Sekunden haben die Blauen dafür gebraucht. Das soll das schnellste Tor für Schalke in der Bundesligageschichte gewesen sein. Die Entstehung: Die Schwaben schlafen noch, Lincoln spielt einen Zauberpass direkt in Ailtons Lauf, der – bereits auf Be- triebstemperatur - umspielt noch kurz den VfB-Keeper , schiebt ein und schon steht es 1:0. Ein Start wie er optimaler nicht hätte verlaufen können. Lustig sieht es aus, wie Tausende von Fans den Hals gen Videowürfel recken, um zumindest die Zeitlupe des Tors noch mitzukriegen. Und das hätten sie nicht tun sollen.

Denn während das Schalker Führungstor auf der riesigen, 36 Quadratmeter großen, LCD-Modulfläche gerade noch wie- derholt wird, geht das Spiel auf dem Rasen bereits wieder weiter. Anstoß für Stuttgart. Wieder verlieren sie sofort den Ball und diesmal stürmt Kobi zielstrebig durchs Mittelfeld. Warum auch nicht? Es greift ihn ja niemand an. Pass auf Asa, den jedoch Markus Babbel aufmerksam abfängt und zurück zum Torwart spielt. Der will den Ball weit nach vorne schla- gen, trifft ihn jedoch nicht richtig und er landet 17 Meter vor

113 dem eigenen Kasten, genau vor Kobi. Der zögert nicht, zieht einfach ab und keine 60 Sekunden nach der Führung zappelt der Ball schon wieder unhaltbar für Hildebrand im Stuttgar- ter Kasten. 2:0 nach nicht einmal zwei Minuten. Tore für uns im Sekundetakt, und das ja nicht gegen TuS Wacker Hin- termwalde sondern gegen einen der großen Meisterschafts- favoriten. Die Arena tobt, der sprichwörtliche Hexenkessel ist da. Alle liegen sich in den Armen und können noch gar nicht fassen, was sie da sehen. Das sollen tatsächlich unsere Schalker sein? Ein schöner Traum?

Aber es kommt ja noch besser. Zwar haben die Stuttgarter in der Folgezeit zwei, drei gute Torchancen. Aber das nächste Tor schießen wir wieder, mitten in die Drangphase des VfB’s hinein. 25. Spielminute, Rollentausch auf Schalke. Ebbe spielt einen Zuckerpass auf Lincoln, der frei auf Hildebrand zuläuft und von der Strafraumgrenze aus die Kirsche ins linke Eck legt. 3:0. Wie die Bekloppten laufen die Blauen jubelnd über den Platz. Nicht minder bekloppt wird auf den Rängen gejubelt. Ach was rede ich eigentlich von Jubel, die Hütte tobt.

Bei 190 gemessenen Dezibel wird schnell klar, dass jeder Düsenjet im Vergleich zu unserer gut funktionierenden Donnerhalle ein kleiner Papierflieger ist. Eines dieser Spie- le, die man niemals hätte verpassen sollen und dürfen. Im Freudenrausch geht fast unter, dass die Schwaben in der 31. Spielminute durch Soldo auf 3:1 verkürzen. Als allerdings, wiederum nur zwei Minuten später, nach einem verunglück- ten Abwehrversuch eines Eckballes, der Stuttgarter Szabics aus 14 Metern sogar zum 3:2 verkürzt, stockt uns allen der Atem. Nicht, dass wir uns in diesem Moment nicht über satte fünf Tore in 33. Minuten gefreut hätten. Weit gefehlt! Für jeden außenstehenden Fan zweifelsohne ein fabelhaftes Fußballspiel. Für mich auch, wären da nur nicht die letzten fünf Minuten gewesen. Auf einmal sind die Stuttgarter am Drücker und dem Ausgleich näher als wir dem 4:2. Noch jetzt perlt mir der Angstschweiß von der Stirn wenn ich an diese

114 Phase des Spiels denke. Ich mache ganz, ganz feste die Augen zu und stelle mir vor, ich sei gerade - egal wo, irgendwo, nur ganz weit weg. Und als ich meine Augen wieder öffne, ist endlich Halbzeit. Zeit, sich neu zu sammeln, zu sortieren, sich taktisch neu einzustellen. Was für eine Wahnsinnshalbzeit. Die hat sicherlich einigen von uns heute im Stadion wertvolle Lebensminuten gekostet.

In der zweiten Halbzeit das umgekehrte Bild und trotzdem ein wahnsinnig spannendes, fesselndes und zudem auch noch gutes Fußballspiel. Von unserer Seite aus betrachtet eine kontrollierte Abwehrschlacht statt des Hurra-Fußballs der ersten Minuten, ähnlich wie nach dem 3:2 gegen den VfL Bochum, was sich als genau die richtige Taktik erweist. Eini- ge Torszenen auf beiden Seiten führen nicht zum erwünsch- ten Torerfolg und so bleibt das Spiel bis zum Ende spannend und hochdramatisch. Niemand, was leider selten genug vor- kommt, verlässt heute vor Abpfiff das Stadion – und ich glau- be so ziemlich jeder muss am morgigen Sonntag heiser am Mittagstisch gesessen haben. Die Unterstützung der Mann- schaft in dieser kritischen Situation von den Rängen aus ist auf jeden Fall allererste Sahne. Und als dann doch endlich der Abpfiff wie eine Befreiung, eine Erlösung nach neunzig Minuten packendem Fußball unter dem riesigen Jubel aller Fans ertönt und das große Zittern beendet, steht der nächs- te Dreier fest. Wir hatten heute auch einmal das oft zitierte Glück des Tüchtigen und wurden somit nach einer Mischung aus Zauberfußball und aufopferungsvollem Kampf gerecht belohnt.

Belohnt nicht nur mit den drei Punkten, sondern auch – man mag es kaum glauben – mit dem zweiten Tabellenplatz. Ist das nicht unheimlich? Ralf Rangnick, dich hat der Himmel nach Schalke geschickt!

115 04.11.2004 - UEFA-Cup (2. Gruppenspiel): Heart of Midlothian – Schalke 04 • 0:1

Mann, war das geil als wir mit zitternden Mienen gebannt vor dem Fernseher saßen, die Dau- men feste drückten, dass es fast schon weh tat und uns tatsächlich live die Übertragung der Grup- penauslosung für die UEFA-Cup- Spiele anschauten. So etwas hätte man mir mal vor zehn Jahren sa- gen sollen. Umso größer war die Freude, als die Fee uns das Los „Hearts of Midlothian“ für das erste Auswärtsspiel bescherte. Ein Auswärtsspiel in Schottlands Hauptstadt, bei Ede seine Burg in „Edinburgh“. Sekunden später schon rufen die ers- ten Mitglieder an. Wie reisen wir an? Wann? Mit oder ohne Übernachtung? Schildkröte oder Billigflieger? Mensch kostet das Nerven!

Letztlich entscheiden wir uns für die preisgünstigste Vari- ante: Mit 100 Personen und der Schildkröte in Calais auf die Fähre, dann von Dover aus über die Straße quer durch Groß- britannien bis nach Edinburgh. Die Fähre von Rotterdam nach Hull, die ich vorgezogen hätte, wollte keine Fußballfans befördern. Die werden schon wissen warum. In Edinburgh selbst hatte ich kurz nach der Auslosung umgehend 50 Zim- mer im Hotel IBIS reserviert. Eine geniale Tour kündigt sich an. Und selbst die sportlichen Erfolgsaussichten sind mittler- weile, nach den letzten Spielen, mehr als gut.

So sitzen wir nun also seit mittlerweile vierzehn Stunden in der Kröte und bewundern die wunderschöne, verregnete, von zig Millionen Schafen gesprenkelte schottische Landschaft. Die Fährfahrt haben alle gut überstanden. Einige haben die Möglichkeit genutzt, um sich mit Getränken und Zigaretten

116 einzudecken, andere haben sich für Schottenröcke (schließ- lich will man ja in Schottland nicht als Tourist oder gar Fuß- ballfan auffallen) und ähnliche Utensilien entschieden. Und genau so, nämlich nach ungelüftetem Schottenrock, nach 14 Stunden Fahrt, Bier, Alkohol, Zigaretten und Männerfuß- schwitze riecht es mittlerweile auch im Bus.

Endlich erreichen wir die Außenbereiche dieser wunder- schönen, mittelalterlichen Stadt und ein wenig Melancholie überkommt mich. Vieles erkenne ich umgehend wieder. Mir kommt es vor, als wäre es gestern gewesen. Wie die Zeit doch vergeht.

Der 100 Jahre alte Peter kutschiert uns gekonnt durch das links fahrende Schottland. Unterwegs sehen wir überall schon Schalker beim Sightseeing. Über die unglaublichsten Anrei- semöglichkeiten haben sie zu Tausenden den Weg nach Edin- burgh gefunden. Wir selbst, am Hotel angekommen, checken ebenfalls nur schnell ein, hüpfen kurz unter die Brause, put- zen kurz die Zähnelein und begeben uns umgehend auf große Erkundungstour, denn es gibt viel zu sehen und es gilt keine Zeit zu verlieren. Volli zieht es zunächst einmal vor, einen der touristischen Busse in Anspruch zu nehmen. Den Gefallen tun wir ihm an diesem wunderschönen Herbsttag natürlich gerne. Stunden später, nachdem wir so ziemlich alles, was es in Edinburgh zu sehen und zu besichtigen gibt bewundert haben, kehren wir in einen geilen Pub ein, lernen umgehend nette Schotten kennen (die sofort all ihre Merchandising-Ar- tikel – selbst die Unterbuxen – gegen die Unsrigen tauschen wollen) und verkürzen uns mit einigen Pints die Zeit bis zum Anpfiff.

Echt super die Jungs, und hätten wir nicht zum Spiel auf- brechen müssen, es wäre wohl eine neue, tiefe & innige Fan- freundschaft entstanden.

Auf geht’s zum Fußball, die „verbaselten“ Punkte aus dem ersten Gruppenspiel zurückgewinnen! Der Weg zum Stadion

117 führt uns durch dunkle Gassen (hoffentlich finden wir nach dem Spiel den Weg zurück) und auf einmal steht es imposant vor uns: Das Murrayfield . In freudiger Erwartung ei- ner großen Zuschauerzahl sind die Hearts heute von ihrer ei- gentlichen Heimspielstätte, dem Tynecastle Stadium, ins grö- ßere Rugby-Stadion ausgewichen. Tatsächlich kommen wir uns mit den 28.000 Zuschauern (darunter schätzungsweise 2.500 Schalker) eher komisch vor, passen doch fast 80.000 Fans hier hinein. Das Stadion ist also eher halb leer als halb voll. Die 80.000 wird es erst am kommenden Samstag geben, wenn Schottlands Nationalmannschaft hier aufläuft. Schott- lands Rugby-Nationalmannschaft wohlgemerkt!

Schon während der Mannschaftsaufstellung präsentieren wir uns vom Allerfeinsten. Der gesamte Schalker Block macht gute Stimmung und die schottischen Fans zeigen sich durch- aus beeindruckt. Ein gemeinsames „Stand up if you hate En- gland“ sorgt für gegenseitigen Szenenapplaus.

Das Spiel selbst beginnt rasant. Ailton versucht es nach nur 180 Sekunden mit einem Heber aus knapp 30 Metern, weil er sieht, dass der Keeper der Hearts ein wenig zu weit vor sei- nem Tor steht. Der Ball jedoch geht nur knapp über die Latte. Das wäre es doch gewesen. Beide Teams gehen, wie gesagt, hohes Tempo aber trotzdem bleiben die Chancen Mangel- ware, da beide Defensivreihen sehr gut stehen und arbeiten und die Schotten dem technisch versierteren Spiel unserer Blauen einen robusten Kick and Rush entgegenbringen. Die mangelnde Spannung vor dem Tor gleichen wir mit lautstar- kem Support in unserem Block aus.

Die zweite Halbzeit beginnt mit einer vielleicht entscheiden- den Spielsituation. Patrick Kisnorbo, Stürmer bei den Hearts, der bereits in der ersten Halbzeit verwarnt wurde, legt in unserem Strafraum eine klägliche Schwalbe hin. Direkt vor der Nase des Unparteiischen der, ohne zu zögern, unter dem Protest der Schotten in seine linke Brusttasche greift und die gelbe Karte zückt. Nach kurzem Nachrechnen greift er dazu

118 noch in seine hintere Hosentasche und zückt auch noch den roten Karton. Denn wie haben wir es schon in der Schule gelernt: Minus und Plus ergibt wieder Minus, sowie gelb und gelb gelb-rot ergibt.

Somit spielen wir fast die komplette zweite Halbzeit in Über- zahl. Sofort legen die Blauen eine Schippe zu und versuchen, eine passende Überzahlsituation vor dem schottischen Tor zu erzwingen. Zunächst erfolglos. Aber immerhin läuft jetzt Angriff auf Angriff. Ein Tor liegt in der Luft.

Das erlösende und entscheidende 1:0-Siegtor für uns fällt endlich in der 72. Spielminute. Lincoln schnappt sich einen von Ebbe erkämpften Ball und drischt ihn aus knapp 25 Me- tern Torentfernung unhaltbar für den Hearts-Kepper Craig Gordon ins linke untere Eck. Den Rest der Zeit schaukeln wir noch locker und gelöst über die Bühne. 1:0 in Edinburgh gewonnen, vier Punkte aus den ersten zwei UEFA-Cup-Grup- penspielen, wir sind der Runde der letzten 32 einen riesigen Schritt näher gekommen.

Damit können wir uns nun getrost dem angenehmsten Teil der Tour widmen. Dem Abend nach dem Spiel. Auf unse- rem Weg in die verschiedensten Pubs der Stadt begegnen wir ausschließlich lauter freundlichen schottischen Gesellen, die uns viel Glück für den weiteren Verlauf der Gruppenphase wünschen. Schade, dass es kein Rückspiel gegen diese Jungs gibt. Ich hätte sie gerne mal für ein oder zwei Abende bei uns gehabt. Feiern können die – aber so richtig.

A propos feiern: Wir landen schließlich mit dem kompletten Supporters-Haufen in einem lustigen Lokal, in dem bis in die frühen Morgenstunden hinein Karaoke-Party angesagt ist. Von wegen „Last Order“ um 23 Uhr! Durch etliche Pints und andere leckere Kleinigkeiten motiviert, dürfte sich an diesem Abend so ziemlich jeder von uns einmal das Mikro geschnappt haben. Was für ein geiles Fest!

119 Dementsprechend sehen unsere Gesichter am nächsten Mor- gen auch aus. Dem Namen Bleichgesichter tragen wir auf jeden Fall Rechnung. Einige sind gerade erst für ein kurzes Nickerchen in ihrem Bett gelandet, andere haben es erst gar nicht aufgesucht. Wir alle werden, egal wie, diese Tour, diese Nacht, diese Stadt für immer und ewig in unserem Herzen halten. Pünktlich um 10 Uhr fahren unsere zwei Schildkröten wieder gen Heimat los. Ein letztes Winken und ab geht’s. Immerhin liegen wieder unglaublich kurzweilige Stunden der Rückfahrt vor uns. Die werden sicherlich nicht minder lustig. Lustig auch, dass gegen Mittag unser Ibbenbürener Panzerfahrer und „Herman the German“, zwei unserer Mit- glieder, anrufen. Wo wir denn bleiben würden? Da haben wir doch tatsächlich die zwei Hunde aus Versehen im Hotel zurückgelassen.

Per Handy machen wir den beiden Strolchen (wie kommen die auch auf die Idee, wir würden erst spätnachmittags heim fahren???) zwei Plätze in einem anderen Fanclub-Bus klar. Für die allgemeine Erheiterung haben die zwei auf jeden Fall gesorgt.

Viele, viele Stunden, Pilschen und Lacher später erreichen wir den heimatlichen Zielhafen. Einmal mehr war klar: Diese internationalen Touren sind das Salz in unserer Fansuppe. Und da sollten auch keine Kosten und Mühen gescheut wer- den. Sie sind die Highlights in unserm von Leid geprägten Dasein als Fans. Müde hauen wir uns auf die Pritsche, wohl wissend, dass die Schildkröte gleich schon wieder weiterfährt. Auswärtsspiel in . Ein ganz normales Pflichtspiel. Da machst Du nichts.

120 07.11.2004 Hamburger SV – Schalke 04 • 1:2

Es wiederholt sich das gefürchtete Szenario. Man steigt aus der Schild- kröte aus, fährt heim, um seinen da- heim Gebliebenen kurz mitzuteilen, dass es einem gut geht, macht sich ein wenig unter den Armen frisch, putzt sich ein wenig die weißen Bei- ßerchen und macht sich auch schon, mit einem neuen, von der Dame des Hauses präparierten Lunchpaket (mit viel Obst, Gemüse und Vollkorn – leider ohne jeglichen Erfrischungsglöckchen oder Muntermacher) wieder auf den Weg gen Schildkröte. Als Dankeschön für diesen kurzen Hei- maturlaub wird die Regierung des Hauses, in meiner Abwe- senheit sicherlich die Diele oder das Wohnzimmer wieder gelb anstreichen. Zumindest irgendeine Überraschung in der Art wird mich erwarten. Das ist das Zugeständnis für die ta- gelange Abwesenheit mit und für den S04.

Am Treffpunkt blicke ich in die leicht aufgefrischten Ge- sichter der Schottland-Mitfahrer. Zumindest die der ganz hart gesottenen. Was soll man machen? Ist halt ein ganz normales Pflichtspiel! Dass die meisten unter uns morgen früh wieder ran die Schüppe müssen, daran mag in diesem Moment glücklicherweise niemand auch nur einen Gedan- ken verschwenden. Die Anreise nach Hamburg gestaltet sich äußerst kurzweilig. Trotzdem verzichten wir heute auf eine zu frühe Anreisezeit mit Reeperbahnbesuch, Hafenrundfahrt und Cityshopping (haben wir natürlich noch nie gemacht). Sonntagsspiele sind halt wirklich nichts Fanfreundliches. Gerade nach Hamburg hin kann man sonst eigentlich die dollsten Auswärtsfahrten organisieren. Egal was man wann, wie, wo machen möchte, der Samstagabend nach einem Spiel ist immer ein Highlight. Da wird immer schwer gerockt.

121 Vor dem Stadion gönnen wir uns noch eine herzhafte Brat- wurst (die tut nach dem Inselfraß mal so richtig gut) und machen uns dann auch schon auf den Weg zu unseren Plät- zen. Die AOL-Bude ist meiner Meinung nach immer noch eines der geilsten Stadien in Deutschland, außer, dass der Rasen meistens die Qualität eines Kreisliga-Spielfeldes hat. Aber wenn man seinen Platz eingenommen hat und seinen Blick umher schweifen lässt, haben die sich hier eine richtig schöne Hütte hingesetzt. Gefällt mir ausgesprochen gut! Al- lerdings – wo viel Lob da auch viel Kritik – das Drumherum ist eine Karre Mist. Da haben die Planer jegliche Kosten und Mühen gescheut um dem Besucher, dem Fan, auch nur ein Mindestmaß an Service und Komfort zu bieten. Alles nass- kalter, grauer Beton. Von überall tröpfelt es von den Decken. Um als hungriger und durstiger Fußballfan die Imbissstati- onen zu finden, benötigt man ein abgeschlossenes Geogra- phiestudium. Und die Toiletten befinden sich für jeden ein- zelnen Fan scheinbar jeweils am anderen Ende des Stadions. Schade, da hätte man durchaus mehr draus machen können. Jedes Mal ertappt man sich beim Besuch des umbenann- ten Volksparkstadions dabei, dass man sich selbst die Frage stellt, ob die Bude denn nun fertig sei, oder sich immer noch im Baustellenzustand befindet. Ersteres scheint wohl die Ant- wort zu sein. Wie gesagt, schade eigentlich. Man sieht ja an unserer Donnerhalle, wie man es besser machen kann. Aber wir sind ja auch heute nicht hier, um den ultimativen „Sta- dion-Check“ zu machen, sondern um, trotz aller Müdigkeit, die Punkte zu entführen.

Das Spiel beginnt. Ich schätze mal gut und gerne 8.000 Schalker haben den wundervollen Sonntag zu einem Aus- flug genutzt und den Weg ins Hamburger Stadion gefunden. Langsam macht sich Euphorie im Schalker Lager breit. In unserer Fankurve beste Stimmung – wie immer eigentlich. Die Hamburger beweisen einmal mehr, warum ihr Stadion in Fankreisen „Arena ohne Leidenschaft“, also AOL-Arena ge- nannt wird. Leises Schnarchen in der HSV-Kurve. Der Verein mit der Raute, mit so viel Tradition, als einziges Gründungs-

122 mitglied der Liga noch nie abgestiegen, kriegt stimmungs- technisch daheim nicht viel auf die Kette.

Der Ball rollt. Ab sofort gilt es mit Händen und Füßen zu- mindest den in der letzten Woche hart erkämpften zweiten Tabellenplatz zu verteidigen. Von einem Sieg wage ich nach dem schweren Spiel am Donnerstag in Schottland gar nicht zu sprechen. Wenn die Jungs nur halb so müde sind wie wir, wird das nichts.

Ein müder Kick entwickelt sich tatsächlich auch in der ersten Halbzeit. Beide Mannschaften spielen konzentriert, vorsich- tig und mit großem Selbstbewusstsein auf (auch der HSV hat aus den letzten drei Spielen unter seinem neuen Trainer Thomas Doll sieben Punkte geholt). Torchancen sind daher Mangelware. Und das, was man ansatzweise als Chance an dieser Stelle umschreiben könnte, ist keine Silbe der Erwäh- nung wert. Und genau deshalb gibt’s auch viel mehr dazu nicht zu sagen. In der Halbzeit, zum Wasser lassen, dreimal im Stadion verirrt, endlich das Pissoir (wie schon vorausge- sagt) am anderen Ende des Stadions vorgefunden und für die Standard-Halbzeitbratwurst kurz zum Hamburger Hafen gelaufen. Zumindest kommt es mir so vor.

Kaum habe ich meinen zugigen Platz (warum, verdammte Hacke, regnet es in einem geschlossenen Stadion bloß von hinten rein?) eingenommen, als es auch schon vorbei ist, mit der soliden, konzentrierten Schalker Leistung. Eine endlos lange Kombination zwischen vier oder fünf Hamburger Spie- lern wird durch uns nicht unterbunden und so steht als letz- tes Glied der Kombinationskette auf einmal der Fußballopa Stefan Beinlich, der all seine Routine ausspielt und aus nur sieben Metern halblinker Position Frank Rost keine Chance lässt. 1:0 in der 47. Spielminute. Zumindest Zeit genug, um den Spieß, den Braten noch umzudrehen. Aber da haben wir gerade schlicht und einfach gepennt.

In der Folgezeit haben wir ein wenig Glück, denn der HSV

123 spielt tatsächlich auf einmal ansehnlichen Fußball und könnte zwei, dreimal auf 2:0 erhöhen. Aber die Knappen geben nicht auf und überzeugen mich mit herzerfrischendem Kampffuß- ball. Sie geben wirklich alles. Zwanzig Minuten vor Abpfiff setzt auch unser neuer Erfolgscoach alles auf eine Karte – nur noch die Offensive zählt! Varela ist inzwischen für Altintop gekommen und nun bringt Ralf noch den frischen Hanke für den ausgepumpten Ailton. Die Maßnahme zeigt Wirkung, die Blauen schalten zwei Gänge höher. Trotzdem fällt der Ausgleich ein wenig aus heiterem Himmel. Das Spiel kippt daraufhin völlig zu unseren Gunsten. Die Belohnung für den harten Kampf. Lincoln hat butterweich in den Hamburger Strafraum geflankt, in dem Mike, zwischen zwei Innenvertei- digern stehend, ein technisches Kabinettstückchen vollführt. Perfekte Ballannahme, trockener Linksschuss aus sieben Me- tern, ein zappelndes Netz. Ausgleich, 1:1 in der 79. Spielmi- nute. Kollektiver Freudentaumel bei den 8.000 mitgereisten Schalkern. Fast schon ein kleines Déja-Vu-Erlebnis. Hatte nicht in der letzten Saison der Glieder Edi den Hamburgern in letzter Sekunde den Zahn gezogen und für den Last-Mi- nute-2:2-Ausgleich gesorgt? Aber wer spricht denn hier von Ausgleich? Während wir uns noch gegenseitig umarmen und abklatschen, rollt schon wieder der nächste königsblaue An- griff. Unsere brasilianische Zaubermaus fängt kurz vor un- serem eigenen Sechzehner einen Hamburger Angriff ab und rennt wie ein Irrer mit der Kirsche in die Hamburger Hälfte hinein. 10 Meter, 20 Meter, 30 Meter. Keiner greift ihn an. Die mit zurück gelaufenen Hamburger Abwehrspieler decken Asamoah und Hanke. 40 Meter, 50 Meter, 60 Meter. Im- mernoch greift keiner an. Und wie sagte schon Ernst Kuzor- ra: „Ich wusste nicht wohin mit der Kirsche, da habe ich sie einfach reingewichst!“.

Lincoln nimmt sich diese fußballerische Leitthese zu Herzen und überwindet aus 18 Metern den Hamburger Keeper mit einem satten Flachschuss ins rechte untere Eck. Man kann also doch während eines Spiels Samba tanzen!

124 2:1 für uns (81.), innerhalb von nur drei Minuten aus einem 1:0 ein 1:2 gemacht, das Spiel gekippt, den Braten umgekehrt, den Spieß gewendet. Der Freudentaumel von vor drei Minu- ten ist im Gegensatz zu dem, was sich jetzt in der Schalker Kurve abspielt, ein Kindergeburtstag gewesen. Da der Ober- rang in der AOL-Bude doch relativ steil ist, üben sich einige im unfreiwilligen Stage-Diving – und das bei einem paralle- len Torschrei aus mehr als 8.000 Kehlen der selbst Tarzan aus dem Urwald vertrieben hätte. Einfach sensationell was da abgeht. Die letztem zehn Minuten noch grandioser, lautstar- ker Dauersupport, so dass die HSV-Fans beängstigt fluchtar- tig ihre Heimspielstätte verlassen. Heimspiel in Hamburg!

Dann der Abpfiff. Schluss. Aus. Feierabend! Erschöpft aber glücklich sinken alle 8.000 und 11 Schalker im Stadion zu Boden und umarmen sich. Wir sind wieder da wo wir hin- gehören. Ganz oben. Mit diesem sechsten Sieg in der Liga in Folge haben wir, ganz nebenbei, auch einen neuen Ver- einsrekord aufgestellt und die seit zwölf Jahren andauernde Negativserie beim HSV beendet.

Auf dem Weg zurück zu unserem Bus treffen wir keine Ham- burger mehr. Wohl alle schon daheim. Wir sind uns alle ei- nig: Das kann doch noch was ganz Großes geben in diesem Jahr. Wenn man nur bedenkt, dass wir die ersten Spieltage völlig vergurkt haben. Voller Stolz und mit breit geschwol- lener Brust nehmen wir noch zwei oder drei Erfrischungs- kanonen – die sich die Stimmbänder auch redlich verdient haben - zu uns bevor so ziemlich allen vor lauter Vorfreude auf süße Träume die Äuglein zufallen. Und ob man es mir glaubt oder nicht, ich träume von einem gelben Spielball, der durch Hankes grazile Fußbewegung Schwung erhält, die Richtung ändert und mitten in die eingewebte Raute der Ma- schen des HSV-Tores fliegt. Ein Reporter stürmt auf Hanke zu und stellt ihm die Frage: „Herr Hanke, sensationell was sie da gemacht haben, das Spiel gedreht bla bla bla. Möchten sie nicht diesen Ball mit nach Hause nehmen?“. Hanke guckt ihn doof an und sagt: „Ne, Igitt, der is doch gelb!“. Gute Nacht.

125 10.11.2004 - DFB-Pokal (2. Runde): – Schalke 04 • 0:2

Auch wenn man ein „Profifan“ ist, englische Wochen können ganz schön schlauchen. Nicht nur aus diesem Grunde kommt uns das Pokallos Ein- tracht Frankfurt ganz gelegen. Einer- seits ist es nicht so weit weg von uns daheim und wir dürften, da der Anpfiff um 20 Uhr ist, trotzdem nicht allzu spät wieder zuhause sein. Andererseits gibt es die Möglichkeit, mal einen Blick in das neue Frankfur- ter WM-Stadion zu werfen. Sportlich sollte im Rahmen unse- res derzeitigen Höhenfluges der Zweitligist quasi en passant zu schlagen sein. Sollte!

Eine volle Schildkröte macht sich am frühen Nachmittag voll bepackt mit torhungrigen Schalkern auf den Weg gen Riederwald. Auf die traditionelle Sauerlandlinie müssen wir allerdings verzichten, da wir doch tatsächlich einen kaum noch für möglich gehaltenen Wintereinbruch zu verzeichnen haben. Eiseskälte und Schnee – und das in unseren Breiten- graden. Selbst die Klimakatastrophe, der Treibhauseffekt, hält nicht mehr das, was er verspricht. Mensch, was ist die Welt schlecht geworden!

Und auch die Menschen auf dieser Welt haben teilweise, spe- ziell bei uns hier in Deutschland, ganz schön einen an der Rappel. Dies bestätigt sich bei unserer ersten Pinkelpause, als das kleine Kind in uns durchbricht und eine spontane, lustige Schneeballschlacht entfacht. Eines unserer Geschosse trifft doch tatsächlich einen parkenden PKW, woraufhin der Besit- zer, völlig außer sich und mit hochrotem Kopf, empört die Po- lizei zu rufen versucht. Der Strafbestand: Sachbeschädigung an seinen vier Rädern mit Stern vorne an der Motorhaube, des deutschen Mannes allerliebstes Stück! Gut, dass zumin- dest noch auf die Polizei in Deutschland, unserem Freund

126 und Helfer, Verlass ist. Sie lacht den Spießer kurz aus und lässt uns ohne weitere Gefängnisstrafen weiterziehen. Für Belustigung und Unterhaltung ist also ausreichend gesorgt.

In Frankfurt angekommen bietet sich uns die Möglichkeit, erst einmal die WM-Tauglichkeit des Gesamtkonzeptes zu testen. Selbst unsere bekennenden Schein-Frankfurter und eigentlich doch Voll-Schalker, Anja & Volli, wissen auf einmal nicht mehr weiter. Keine Beschilderung, keine Ordnungs- kräfte, nichts. Mit ein wenig Glück finden wir im Halbdunkel doch noch einen Weg zum Riederwaldparkplatz, weiß der Donner wie im nächsten Jahr eine chinesische, jamaikanische oder peruanische Fandelegation überhaupt in die Nähe des Stadions gelangen soll. Später wurde mir noch von einigen Schalkern glaubhaft versichert, sie hätten hinter Offenbach, gar in Mannheim, parken müssen. Desolat! Aber es kommt ja noch besser. Nun stehen wir hier also auf dem offiziellen, kaum beleuchteten Busparkplatz im Riederwald und erneut ist keine Beschilderung zu sehen. Sind wir etwa hier, um eine Schnitzeljagd zu veranstalten, um an einem Pfadfindersemi- nar teilzunehmen, einen Spurenlesekurs zu besuchen?

Während wir uns diese Frage zum dritten Male stellen, sind die ersten zwei von uns bereits böse über eine Wurzel gestol- pert und während vier weitere von uns ihnen zur Hilfe eilen, bemerken wir, dass wir so langsam aber sicher im sumpfigen Morast versinken. Mit WM-Tauglichkeit hat das hier nichts, aber auch gar nichts zu tun. Ich komme mir vor wie in einem schlechten Traum und verstehe die Säuerniss unseres S04- Vorstandes von Tag zu Tag immer besser wenn moniert wird, dass alle WM-Standorte von öffentlichen Mitteln profitieren dass die Schwarte nur so kracht, während wir dies alle aus unserem eigenen Vereinssäckel zahlen müssen.

Alle Aufregung nützt eh nichts und immerhin sind wir ja heute hier, um ins Viertelfinale des DFB-Pokals einzuziehen, um die Blauen zu supporten und nachdem wir uns durchs tiefe Dickicht gekämpft haben, können wir auch schon am

127 fernen Horizont die Silhouette des Stadions erkennen. Die Verantwortlichen wussten einst sehr genau, warum sie das „Waldstadion“ nannten! Vor lauter Wald sieht man das Stadion nicht mehr, oder so ähnlich sagt man doch. Genug genörgelt.

Abgesehen von diesen Randereignissen sind wir bestens ge- launt und auch die Personenkontrolle vor dem Stadion, die mit allen Mitteln versucht, dafür Sorge zu tragen, dass bloß keiner der 40.000 Fans pünktlich zum Anpfiff im Stadion ist, lässt uns kalt.

Endlich betreten wir den Schauplatz, der für uns nur eine Durchgangsstation auf dem Weg nach Berlin sein soll. Nette Hütte, kann man nicht anders sagen. Und die Frankfurter legen auch einen ordentlichen Support hin. Allerdings kann man das Niveau den Frankfurter Spielern nicht wirklich be- scheinigen. Von der ersten Sekunde an zeigen meine Blauen dem Zweitligisten klar die Grenzen auf und machen deutlich, wer heute hier Herr im Hause ist – nämlich die elf Königs- blauen samt ihrer ca. 3.000 mitgereisten Schlachtenbumm- ler. Die englischen Wochen scheinen spurlos an unserem Team vorüber zu gehen und so legen wir nach einer kurzen Orientierungsphase los wie die Feuerwehr.

Bereits nach sieben Spielminuten hat Ebbe eine dicke Chan- ce, nicht zu vergleichen jedoch mit der, die Lincoln in der 18. Minute hat. Asa wird vom Frankfurter Schlussmann Markus Pröll gefoult und der Schiri zeigt sofort, ohne auch nur den Bruchteil einer Millisekunde mit den Füßen zu klappern, auf den Elfmeterpunkt. Lincoln legt sich die Kugel zurecht und nimmt Maß und Anlauf. Während sich der Schalker Block bereits zum Jubeln fertig macht, pfeift die Frankfurter Kurve in Düsenjetlautstärke. Hat dies Lincoln irritiert? Das gibt es doch sonst nur auf Schalke?

Auf jeden Fall hält Pröll den Schuss. Kein Jubel in der blau- weißen Kurve. Noch nicht. Bis in die 32. Spielminute müssen

128 wir auf diesen warten. Varela flankt von links in den Ein- tracht-Strafraum, der Frankfurter Abwehrspieler Markus Husterer spürt Ebbes heißen Atem im Nacken und weiß sich nicht weiter zu helfen. Er nickt ängstlich ins eigene Tor ein. Eigentor, 1:0 für uns. Zwietracht bei der Eintracht, grenzen- loser Jubel im Schalker Block. Wahnsinn, diese Schalker Mannschaft. Trotz verschossenen Elfers die Nerven behalten, Moral bewiesen, wächst da womöglich was Großes heran?

So gehen wir beruhigt in die Pause, der Versuch eine Brat- wurst oder ein Erfrischungsgetränk zu ergattern scheitert kläglich. Erinnert ein wenig an Hamburg. Sollte Frankfurt jemals was mit bundesweiter Nahrungsversorgung zu tun haben, wird wohl umgehend in ganz Deutschland eine Hun- gersnot ausbrechen. Also, schnell zurück auf den Platz. An- pfiff zu Halbzeit Nummer zwei.

Die Frankfurter kommen mit neuem Elan aus der Kabine und setzen uns unter Druck, wollen die einzige Chance, die sie gar nicht haben, am Schopfe packen. Ein kämpferischer und spannender Pokalfight entwickelt sich, aber zu keinem Zeitpunkt wackelt unsere Abwehr rund um Papa Bordon so richtig. Ein ums andere Mal laufen sich die rot-schwarzen Adler in dem weit gespannten Schalker Vogelnetz fest.

So kommt es, wie es bei einem solchen Spiel nun einmal kom- men muss: Nachdem etliche Großchancen nicht genutzt wur- den steht Hanke, der mittlerweile ins Spiel gekommen ist, nach einer butterweichen Flanke von Ebbe goldrichtig. Am zweiten Pfosten stehend, senkt sich der Ball von der Torausli- nie kommend direkt auf seinen Kopf und er muss diesen nur noch hinhalten (77.). Das Netz zappelt. 2:0. Den hätte wohl jeder von uns gemacht. Damit ist die Entscheidung gefallen, der Einzug ins DFB-Pokal-Viertelfinale beschlossene Sache, und wir nutzen die letzten Minuten im Frankfurter Stadion für einen grandiosen Support. Den haben sich unsere Knap- pen auch redlich verdient.

129 Zufrieden verlassen wir den Ort des Triumphes und begeben uns zurück zur Schildkröte. Eine fröhliche Rückfahrt nach GE nimmt ihren Lauf. Ach ja, ein kurzer Nachtrag noch: Tatsäch- lich waren wir bei der Rückfahrt nicht komplett.

Wie es manchmal nun so ist, verpassten zwei Supporters den Bus. Warum auch immer. Am nächsten Morgen erfuhr ich warum. Ich erhielt einen Anruf von der hessischen Försterei. Ein Förster hatte bei seinem morgendlichen Rundgang durch das Riederwalder Dickicht zwei völlig orientierungslose, halb verhungerte und erfrorene Schalke-Fans vorgefunden, die seit Stunden, die Schildkröte suchend, hilflos umherirrten. Ein Dank dem Förster, die Jungs stünden wohl heute noch – im wahrsten Sinne des Wortes – im Wald.

130 13.11.2004 Schalke 04 – Hertha BSC Berlin • 1:3

Da steht man, als beken- nender und eingefleischter Fan des FC Schalke 04, am frühen Morgen eines Heim- spieltages auf und kann es eigentlich immer noch nicht fassen. Haben wir wirklich die letzten sechs Meister- schaftsspiele in Folge gewonnen? Stehen wir wirklich auf Tabellenplatz zwei? Haben wir tatsächlich eine reelle Chan- ce im Kampf um die Deutsche Fußballmeisterschaft? Man reibt sich noch einmal die müden Äuglein wach, wirft kurz einen Blick auf die aktuelle Tabelle im Videotext, reibt sich noch einmal die Äuglein und weiß: Kein Traum! Die reine, die nackte Wahrheit!

Bestens gelaunt schlendere ich frühzeitig, ein Lied auf mei- nen Lippen, zum Stammlokal, um die ach so lang nicht mehr gesehenen Gesichter wieder begrüßen zu dürfen. Euphorie an allen Ecken und Kanten. Als wäre die Fünfte Schalker Jahreszeit angebrochen. Es duftet so herrlich nach Schalker Frühling, nach Bier, Bratwurst und Nikotinqualm – nach Fußball.

Und wenn wir heute noch die alte Tante Hertha schlagen kön- nen, dann sind wir ganz, ganz oben mit dabei. In der Bahn Richtung Donnerhalle begegnen wir zwei angetrunkenen Berlinern. Blanker Hass schlägt uns entgegen. Für die Hertha sind wir seit den siebziger Jahren der Erzfeind Nummer eins. Uns gehen sie – auf deutsch gesagt – am Arsch vorbei. Da könnte sich genauso gut ein Schwarm heimatloser Einzeller in meiner Abfalltonne einquartieren. Daher belächeln wir ihre Provokationen, bis sie selbst anfangen sich zu ärgern. Klappt immer wieder prima so etwas. „Dumm, dümmer, Herthaner“ möchte man in diesem Moment am liebsten sagen. Gestern

131 noch haben wir uns mit der Berliner Clownsjugend, den „Harlekins“, solidarisch gezeigt, die versuchen, einem ihrer an Leukämie erkrankter Mitglieder („Helft Benny!“) das Le- ben zu retten. Ein passender Knochenmarksspender wird gesucht. Eine noch nie da gewesene Hilfsaktion innerhalb der verschiedenen bundesweiten Fanszenen wird gestartet. Das haben unsere zwei Pöbelkandidaten aber scheinbar nicht mitbekommen. Die kriegen aber mittlerweile, zwei Biere und drei Haltestellen weiter, eh nix mehr mit. Leider verschlafen sie sogar die entscheidende Ausstiegsstelle an der Donner- halle. Schade Popade - aber gute Fahrt noch!

In der Donnerhalle, mal wieder, ausgelassene Stimmung. Klar, wie sollte es auch anders sein bei der Siegesserie? Rang- nick lässt wieder offensiv spielen. Fast die selbe Truppe wie in den letzten Wochen. Lediglich Ailton rutscht wieder für Varela – im Vergleich zu letztem Mittwoch in Frankfurt – ins Team. Vielleicht liegt ja auch gerade da unser Erfolgsgeheim- nis. Eine eingespielte Truppe, ein eingespieltes Team. Bei Don Jupp war es im Gegensatz dazu das klassische Rotati- onssystem. Hoffentlich lassen wir heute nur Ailtons Kumpel im Berliner Dress, „Marcelinho“, nicht zu sehr rotieren. Vor ihm habe ich am meisten Respekt. Respekt haben die Ber- liner aber hoffentlich auch vor uns. Auf geht’s zum siebten Streich.

Von der ersten Sekunde an brennt die Stadionluft. Bereits nach zwei Minuten hat – wer auch sonst (?) – Marcelinho eine erste gute Chance. Erst im Nachfassen entschärft Rost die Situation. Nur eine Minute später wieder Rost in aller- höchster Not vor Bastürk. Die Hertha ist halt ein anderes Kaliber als die Eintracht aus Frankfurt. Es dauert bis zur 22. Minute, bis Christian Fiedler, der Berliner Torwart, zum ersten Mal eingreifen muss. Ebbe Sand hat eine Asa-Flanke Richtung Tor geköpft. Nichts wirklich Wildes. Wesentlich aussichtsreicher Ailtons Chance in der 29. Minute, doch die- ser verzieht nur knapp. So langsam kommen wir immer bes- ser ins Spiel, aber die Berliner Abwehr steht gut. Die größte

132 Möglichkeit zur königsblauen Führung in der 35. Spielminute für Asa. Asa erläuft sich einen verunglückten Pass des Berli- ner Abwehrspielers Niko Kovac, kann jedoch aus halbrechter Position, gute acht Meter vorm Berliner Gehäuse, den Ball nicht mehr richtig kontrolliert aufs Tor bringen. Das war die große Chance, das halbe Stadion stand schon zum Torjubel bereit mit den Armen in die Höhe gehoben. Ein Tor liegt in der Luft.

Der richtige Riecher erweist sich einmal mehr als mein zuver- lässiger Begleiter. Allerdings fällt das Tor, leider, auf der fal- schen Seite. Eine Berliner Flanke wird per Kopf durch Nando verlängert, fällt Marcelinho quasi in den Schoß, der aus knapp fünf Metern eiskalt einnetzt. Allerdings nicht regelkonform. Marcelinho stand im Moment der Kopfballverlängerung ganz klar im Abseits. Abseits ist jedoch nur, wenn der Linienrich- ter die Fahne hebt bzw. der Schiri pfeift. Da jedoch weder der eine noch der andere etwas in der Form unternimmt, zählt das Tor. Trotz wütender Proteste von Spielern und vor allen von uns Fans. Kaum geht es um was, werden wir Schalker wieder beschissen. Die alte Leier.

Verschwörungstheorien machen wieder wie ein Lauffeuer die Runde. „Fußballmafia DFB“ skandiert die Donnerhalle in Ohren betäubendem Lärm. Der Schiri zieht es vor, die Si- tuation zu entschärfen und pfeift zur Halbzeit ab. Zeit für eine eiskalte Erfrischung – für Spieler und uns Fans. Und die haben wir uns auch redlich verdient!

Anpfiff zur zweiten Hälfte. Voller neuem Tatendrang, Schwung und Elan kommen die Blauen aus ihrer Kabine. Die Erfrischung zeigt Wirkung. Wahrscheinlich Eistee mit einem Schuss Grappa, oder einfach nur ein Red Bull mit Wodka. Und dies wohl im wahrsten Sinne des Wortes. Eine stinknor- male Flanke von Christian Pander rutscht unter den Hertha- Keeper, der wohl in der Halbzeit auf den Eistee verzichtet und den doppelten Grappa bevorzugt hat, hindurch und fällt unserem „Asa-Mohr“ (...dies sang in der Halbzeitpause doch

133 tatsächlich ein kleines Mädel in der „Böcklunder-Box - ob das so okay ist?) direkt vor die Füße. Der braucht aus fünf Metern nur noch den Schlappen hinzuhalten und der Ball springt zum viel umjubelten 1:1 ins Berliner Tor (50.). Jetzt geht’s so richtig los, denke ich mir noch. Die Zuschauer im Rücken, ebenso den Motivationsschub des Ausgleichs und dann noch diese unglaubliche Schalker Siegesserie, die dem Team Selbstvertrauen für drei Jahre geben muss.

Und so spielen die Blauen zu unserer aller Freude munter weiter. Bis zur 70. Spielminute sieht das alles aus königs- blauer Sicht auch eigentlich ganz gut aus, auch wenn kei- ne zwingenden Torchancen dabei herausspringen. Aber die ausgeruhte Tante Hertha ist ja auch nicht irgendeine Kreis- ligatruppe, der man mal kurz vier Buden einschenkt. Nein, die Tante Hertha verfügt auch über einen Spieler mit dem Namen: „Onkel Marcelinho“. Und wie leider fast zu erwarten, sorgt dieser dafür, dass ich einen bösen Stich in die Magen- grube miterleben muss. In der 71. Spielminute dribbelt er sich nämlich durch unser Mittelfeld und schlägt einen Zuckerpass auf den Berliner „Zecke“ (was für ein dämlicher Name!) Neu- endorf. Frei auf Rost zulaufend, kann dieser den Ball jedoch aus 14 Metern nicht unterbringen. Rost hält. Kurze Zeit zum Luftholen. Dann der zweite Stich in die Magengrube. Der Ball prallt von Rost ab und fällt dem ungedeckten Nando Rafel in den Lauf. Dieser braucht nur noch die Kugel ins freie Netz zu schieben. 1:2 für die Berliner, unsere unglaubliche Siegesse- rie unter unserem neuen Zaubercoach Ralf Ragnick scheint ihr Ende zu finden.

In den folgenden Minuten entwickelt sich ein hochdramati- sches Fußballspiel mit hohem Unterhaltungswert, wie man so schön zu sagen pflegt, für uns Zuschauer. Es geht auf und ab. Die Blauen drücken, gehen mit Mann und Maus nach vor- ne, versuchen den Ausgleich zu erzwingen. Berlin nutzt diese vergebenen Anläufe und Chancen um zu kontern. Das Spiel steht auf des Messers Schneide. Ausgleich oder Vorentschei- dung. Das Pendel neigt sich, leider, zu unseren Ungunsten,

134 neigt sich zur Vorentscheidung. Sands Kopfball wird auf der einen Seite in der 81. Spielminute gerade noch von der Linie gekratzt – der Torschrei ertönte schon im halben Stadion – und im Gegenzug bringt der schnell vorgetragene Gegenstoß den Berlinern eine Ecke. Man sieht und fühlt förmlich, dass unseren Blauen so langsam die Kraft schwindet, ein wenig die Puste ausgeht. Der Gegenstoß führt, nach Ecke, zum To- desstoß. Nico Kovac verfügt über die größten Kraftreserven, springt am höchsten, trifft den Ball optimal und köpft ihn un- haltbar zum 1:3 in der 83. Spielminuten mitten ins Schalker Herz. Das war es. Zwar trifft Lincoln in der 84. Minute noch einmal die Latte, aber letztlich geht halt jede Serie einmal zur Neige. Und so wie sie heute zur Neige ging, das war mehr als okay, da kann man als Schalker gut mit leben. Kampf bis zum Umfallen, alles gegeben – und auch wenn Marcelinho in der letzten Spielminute sogar noch auf 4:1 erhöhen müsste – jedoch an Rost scheitert, so wäre heute sicherlich auch ein Remis okay gewesen.

Und wieder einmal haben die Fans, haben wir, ein feines Gespür für die Situation. Nach dem Anpfiff hört man kei- nen einzigen Hertha-Fan im Stadion (die sitzen höchstwahr- scheinlich eh immer noch schlafend in der Bahn). Stehende Ovationen auf den königsblauen Tribünen, Gesänge aus vol- ler Brust, Szenenapplaus, Jubelarien. Wir sind stolz auf unser Team. Wir honorieren die Leistungen der Truppe der letzten Tage und Wochen. Einige sind, ob der Unterstützung für das Team zu Tränen gerührt. Aber so ist Schalke. Zeigt den Fans, dass ihr bereit seid, alles zu geben. Wir werden es – auch in der Niederlage – gebührend honorieren!

Die fast schon unheimliche Siegesserie ist gerissen, es lebe die neue Siegesserie. Mit diesem Gefühl verlasse ich, verlas- sen wir, heute das Stadion, in Vorfreude auf den nächsten Spieltag. Dann geht es zu den Pillendrehern nach Leverku- sen! Und da geht hoffentlich alles wieder von vorne los. Der König ist tot – es lebe der König. Und dann schauen wir mal, wo wir am Ende der Hinrunde tatsächlich stehen können.

135 20.11.2004 Bayer 04 Leverkusen – Schalke 04 • 0:3

Was verbindet uns eigentlich, uns, den glorreichen Traditionsverein namens FC Schalke 04 mit dem Werksclub Bayer 04 Leverkusen? Richtig, nichts. Außer einem UEFA-Cup-Sieg auf dem Erfolgskonto. Könnten zumindest die meisten unter uns meinen. Sie dürften damit auch goldrichtig liegen. Al- lerdings gibt es da doch noch eine weitere klitzekleine Klei- nigkeit, die wir darüber hinaus noch gemein haben: Beide Vereine wurden 1904 gegründet. Das war es dann eigentlich aber auch schon. Während wir unseren 100. Geburtstag mit über 60.000 Blauen – im wahrsten Sinne des Wortes – in unserer Donnerhalle feierten, standen zum Leverkusener Vereinsjubiläum gerade mal sieben hilflose ältere Damen mit Einkaufstaschen vor der Bayer 04-Partybühne und suchten verwundert und verzweifelt ihre Marktstände, die an diesem Tage dort eigentlich – wie immer – hätten stehen sollen. Al- lerdings standen dort weder die Marktstände noch Leute um Party zu machen. Leverkusen wurde 100 – nur keiner hatte es gemerkt.

Kein Wunder also – und folglich richtig – dass man sich auf unsere Heimspiele in Leverkusen immer wieder freut. Egal was dort nämlich passiert, ob haushohe Klatschen oder gran- diose Siege, das Stadion ist immer in Schalker Hand und die Stimmung dementsprechend prächtig. Erst recht, wenn man ausnahmsweise mal als Favorit dorthin fährt. So düst gegen Mittag der rappelvolle Schildkrötendoppelmops mit 100 bestens gelaunten Supporters gen BayArena - für alle, die es nicht mehr wissen: Früher Ulrich-Haberland-Stadion – und es ist immer wieder eine wahre Wonne live miterleben zu dürfen, wie geduldig unser 100 Jahre alter Peter bereit ist, auf einer Strecke von nicht einmal 70 Autobahnkilometern drei Pinkelpausen einzulegen. Unsere Busbesatzung ist ganz klar ein Fall für „Wetten dass...?“. Ich sollte wirklich mal überle-

136 gen, ob ich uns nicht zu einer Außenwette anmelde. So etwas in der Art wie: „Wir, der SC wetten, dass wir es mit unserer Schildkröte nicht schaffen, pünktlich bis zum Anpfiff 50 Ki- lometer auf einer Landstraße oder Autobahn zurückzulegen, ohne auch nur eine einzige Pinkelpause einzulegen!“.

Am Stadion angekommen, sehen wir wie gewohnt überall nur königsblau. Vereinzelt erblickt man auch einen Bayer-Sym- pathisanten, der noch schnell zum stadioneigenen McDo- nalds-Schalter huscht – oder will er doch nur zum Kinderpa- radies? Wir betreten den Schauplatz des heutigen Spiels. Gut, dass zumindest die Heizstrahler heute aus sind, die einen ansonsten von oben grillen. Es gibt nicht Schlimmeres, als im Winter unter den glühenden Leverkusener Röststrahlern zu stehen, während dir von der Seite der eisige Ostwind um die schwitzenden Hautporen fegt.

Ein kurzes Winken noch zur voll verglasten Tribüne rechts von uns – kein Zurückwinken der Haute Volée zu vernehmen – dann den siegeshungrigen Blick Richtung Spielfeld gerich- tet. Die zwei Mannschaften laufen auf. Rangnick setzt, trotz der Niederlage im letzten Spiel, auf sein bewährtes Offensiv- system. Lediglich die eher defensiv ausgerichteten Krstajic, Vermant und Kläsener rücken jeweils für Waldoch, Kamphuis und Poulsen ins Team. Vollgas also, den nächsten Dreier fes- te im Visier. Und so legen wir los. Wir auf den Rängen mit einer Bombenstimmung, aber auch die Blauen auf dem Platz. Allerdings in den ersten zwanzig Minuten noch ein wenig verhaltener und behäbiger, mit angezogener Handbremse wie man so schön sagt. So haben wir es einer Glanz-Grätsche von Thomas Kläsener zu verdanken, dass der Ukrainer An- drej Voronin in Leverkusens Diensten, der plötzlich alleine aufs Schalker Tor zuläuft, den perfekten Abschluss nicht fin- det (17.). Glück gehabt! Aber das war der allerletzte richtige Wach- und Muntermacher, der noch gefehlt hatte.

Wir schreiben die 27. Spielminute, als die BayArena in ihren Grundfesten erschüttert wird. Unsere Zaubermaus Lincoln

137 überlistet mit einem Hackentrick seinen Gegenspieler und der Ball wird seinem Landsmann Ailton genau in den Lauf gespielt. Dieser, man mag es kaum glauben, spielt, obwohl er selber schon an der Strafraumgrenze steht, uneigennüt- zig auf den besser postierten und völlig frei stehenden Ebbe. Der braucht nur noch einmal kurz den Leverkusener Schluss- mann Jörg Butt als Slalomstange zu missbrauchen und den Ball ins leere Tor einzuschieben (27.). Das Schalker Fußball- fest ist hiermit eröffnet. Liebe Leverkusener, ihr seid hierzu natürlich recht herzlich eingeladen.

Fünf Minuten später läuft Ailton herrenlos aufs Leverkusener Tor zu. Doch der Linienrichter wird just in diesem Moment von einem Krampf im rechten Unterarm gepeinigt und hebt reflexartig den Arm samt Fahne. Es muss so gewesen sein. Abseits war es jedenfalls nicht. 35. Spielminute. Nach Ebbes Vorarbeit leitet Lincoln uneigennützig quer weiter auf Ailton. Der braucht aus zehn Metern nur noch zum 2:0 für uns zu verwandeln. Die Leverkusener Abwehr zu diesem Zeitpunkt als herum irrenden Hühnerhaufen zu beschreiben, wäre ei- nerseits sicherlich treffend, andererseits würde man damit verkennen, dass wir zu dieser Phase des Spiels auch wirklich traumhaft schönen Offensivfußball spielen. Die Kurve bebt. Niemand der sicherlich 5.000 bis 6.000 Schalker sitzt noch. Kurzerhand verwandelt sich die Leverkusener Gegengerade zur Schalker Stehtribüne. Armes Bayer!

Bis zur Halbzeit haben wir weitere zwei Großchancen, doch einmal verfehlt Lincoln das Tor der Leverkusener nur knapp, und einmal scheitert Ailton beim Versuch, frei auf Torhüter Butt zulaufend, diesen mit einem Tunnelschuss zu düpie- ren. Ein Heber hätte es auch getan, das Spiel wäre sicherlich noch vor dem Pausentee entschieden gewesen. Aber auch so brauchen wir uns keine allzu große Sorgen zu machen. Zu überlegen sind wir soeben aufgetreten.

Dank der großen Vorfreude auf den zu erwartenden Zauber- fußball der zweiten Spielhälfte, gestaltet sich die Halbzeit-

138 pause relativ kurzweilig und ehe man sich versieht, pfeift der Schiri auch schon wieder an.

Unser Zauberfußball allerdings ist kurzzeitig noch in der Ka- bine geblieben. Und so darf sich auch Rost zweimal bewähren und zeigen, dass auch er ein wichtiger Teil der Mannschaft ist. Nachdem aber auch der „Geist der ersten Halbzeit“ etwas verspätet aus der königsblauen Kabine gekrochen kommt, geht es wieder weiter schnurstracks nach vorn. Die Lever- kusener wissen vor lauter Schalker Ballstafetten schon gar nicht mehr wo ihnen der Kopf steht. All unsere Großchancen zu beschreiben, würde eindeutig den Rahmen sprengen. Sie würden im Übrigen wohl sogar für drei bis vier siegreiche Spiele genügen.

So konzentrieren wir uns noch einmal auf die 71. Spielmi- nute. Lincoln tut das, was er mit am besten kann – Frei- stöße schießen. Und auch diesmal enttäuscht er uns nicht. Aus ca. 25 Metern Entfernung senkt sich die Pille, unhaltbar für Butt, ins linke Eck. 3:0. Nun ist nicht nur stimmgewal- tig, sondern auch numerisch betrachtet, das Spiel für uns ein Heimspiel. Denn auch die letzten 43 noch verbliebenen Leverkusener Sympathisanten verlassen nun fluchtartig die Hütte, während wir das gesamte Schalker Liedgut rauf und runter singen. Damit ist der Drops gelutscht, der Fisch ge- schält – auch wenn wir sicherlich noch weitere Tore hätten schießen können, schießen müssen. Hoffentlich rächt sich das am Ende der Saison nicht. Denn trotz Platz zwei ist unser Torverhältnis derzeit, gemessen an unseren Verfolgern und am Tabellen-Ersten, nicht so prickelnd. Das interessiert uns jetzt gerade allerdings herzlich wenig.

Ein hoch verdienter Sieg für uns Knappen. Wir feiern noch ausgiebig die Mannschaft, feiern uns, und dies bis tief in die Nacht hinein. Danke lieber Fußballgott, dass Du dafür Sorge getragen hast, dass ich Fan dieses Mythos umwobenen Ver- eins mit den wunderschönen Farben blau und weiß und nicht dieses Plastikclubs geworden bin.

139 25.11.2004 UEFA-Cup (3. Gruppenspiel): Schalke 04 – Ferencvaros Budapest • 2:0

Endlich mal wieder ein Pflicht- spiel unserer Blauen. Man kriegt ja fast schon Entzugserscheinun- gen, wenn man seine Knappen nicht alle drei Tage auflaufen sieht. Heute ist zur Abwechslung mal wieder der UEFA-Cup an der Reihe. Bei den ganzen Wettbewer- ben soll mal einer den Durchblick bewahren!

Nach dem Remis im ersten Heim- spiel gegen Basel und unserem Auswärtssieg in Edinburgh können wir heute mit einem Sieg gegen den ungarischen Meister Ferencvaros Budapest alles klar machen, denn die nächste Runde erreichen bekanntlich in jedem Fall die je- weils drei Gruppenbesten. Dritter wären wir bei einem Sieg auf jeden Fall und eine weitere Schippe Geld würde unserem Finanzminister in den Tresor geschaufelt. Das so genannte „Soll“ bzw. „Mindestziel“ wäre erreicht, alle UI-Cup Strapa- zen wären somit auf fruchtbaren Boden gefallen.

Relativ spät komme ich zur Donnerhalle. Das totale Ver- kehrschaos herrscht - wie immer bei Heimspielen unterhalb der Woche – in Gelsenkirchen. Aus allen Himmelsrichtungen rollen die Blechlawinen in wilder Hektik Richtung Tempel, wollen es unbedingt, wie auch immer, noch schaffen, pünkt- lich um 18.15 Uhr im Stadion zu sein. Fernsehgerechte An- stoßzeit nennt man so etwas heutzutage.

Mit ein wenig Glück habe auch ich, als erfahrener Bahnfah- rer, es rechtzeitig geschafft. Was für eine Hektik, Leute ren- nen, rasen völlig aufgelöst und ohne Rücksicht auf Verluste gen Stadion. Gefahren- und Alarmstufe rot für alle Nicht- Fußballfans!

140 Während Tausende sich noch unter Einsatz ihres Lebens zur Donnerhalle kämpfen, sehe ich mich mit einem ganz ande- ren, weitaus tiefer greifenderem Problem konfrontiert: Wo, verdammte Hacke, kriege ich jetzt noch, kurz vor Anpfiff, ein Erfrischungsgetränk der Marke Veltins her? Dank der lieben UEFA darf es ja heute kein leckeres, sondern nur bleifreies Pils geben. Erklären konnte uns Fans, in allen Stadien der Welt, den Sinn und Zweck einer solchen Regelung noch nie jemand. Erst recht nicht, wenn man bedenkt, dass die obe- ren Herren der Entscheidung selbst bei feinem Chardonnay und Schampus in ihrer Loge sitzen und dabei kichernd auf die Bleifrei trinkenden Trikotscharen glotzen. Da es noch fünf Minuten bis zum Anpfiff sind, nutze ich also noch die Vorteile des elektronischen Zeitalters aus. Kurz mit meiner Dauerkarte aus dem Stadion raus, an der Bierbude direkt vor dem Eingang einen ganzen Karton voller Einwegbecher mit frisch Gezapftem unter den Arm gepackt, und mit meiner Dauerkarte wieder rein. Ja liebe Herren von der UEFA, das darf man. Toll was heutzutage alles dank der Chipkarten so geht, gelle? Meine Sitznachbarn im Block wird’s freuen.

Anpfiff. Die Donnerhalle trotz der beschissenen Anstoßzeit, bis auf den letzten Platz mit knapp 52.000 ausverkauft und voll besetzt. Auch wenn die Kapazität – natürlich Dank der UEFA - wieder reduziert werden musste. Bekanntlich darf es ja bei internationalen Pflichtspielen keine Stehplätze geben. Alles viel, viel zu gefährlich. Schreckliche Gefahren lauern da an allen Ecken und Kanten auf den gemeinen Schalker Fußballfan. Dieser steht zwar an jedem zweiten Wochenende völlig risiko- und gefahrlos gleich 15.000-fach im Stehplatz- bereich des sichersten und modernsten Stadions der Welt, aber man weiß ja nie. Wenn Basel oder Budapest hier spielt und mit 200 oder gar 2.000 Gästefans anreist, dann wird wahrscheinlich alles anders. Gerade in der Nordkurve. Auch hier nützt alle Aufregung über den Mist nichts und sitzen tut jetzt gerade so oder so kaum einer dort unten. „Sitzen ist für`n Arsch“ skandieren die Massen und lassen diesem ein inbrünstiges: „Steht auf, wenn ihr Schalker seid!“ folgen.

141 Um die drei Punkte heute sicher einzufahren und im inter- nationalen Geschäft zu überwintern, entscheidet sich un- ser Mannschaftsverantwortlicher wieder für das siegreiche Team aus Leverkusen. Sicherlich die richtige Taktik gegen die stark defensiv ausgerichteten Ungarn, für die ein Punkt heute mehr als ein Erfolg wäre. Meiner Meinung nach legen die Blauen erneut eine äußerst souveräne Leistung hin. Zu keinem Zeitpunkt habe ich ein ungutes Gefühl, sei es, das Spiel nicht in den Griff zu kriegen oder sei es gar, das Spiel nicht gewinnen zu können. Technisch überlegen, kampfstark, taktisch souverän und selbstsicher sind die Attribute, mit de- nen man das heutige Knappenteam charakterisieren kann. Dementsprechend gut auch die Stimmung auf den Rängen. Ich nenne sie einmal: ausgelassen fröhlich. Folgerichtig füh- ren wir bereits nach nur einer Viertelstunde. Und das es ein Eigentor ist, interessiert morgen keinen Hund mehr. Ein weiter, langer Einwurf von der rechten Seite in bester Haj- to–Qualität, allerdings von Thomas Kläsener, wird unglück- lich bzw. glücklich – eine Frage der Sichtweise - durch einen Budapester Abwehrspieler ins eigene Tor gelenkt. Ein Tor aus dem Nichts, aber ein Gastgeschenk, welches wir natürlich jubelnd dankbar annehmen. Da werde ich mich doch morgen früh glatt revanchieren und beim Metzger die Frühstückstul- le mit Budapester Fleischsalat belegen lassen.

Wie gerade schon gesagt, zu jedem Zeitpunkt haben wir heute das Spiel im Griff, kontrollieren Ball und Gegner nach Belie- ben, und so schockieren meine Knappen nach fast 25 Minu- ten des völligen Leerlaufes die ungarische Hintermannschaft mit einem plötzlichen und unerwarteten Vorstoß. Nachdem Ailton diesen trotz hundertprozentiger Chance versemmelt, kriegt er den Abpraller noch und legt ihn wunderbar in den Lauf des mitgeeilten Kobi. Der schlenzt den Ball in bester Stürmermanier aus gut und gerne 15 Metern, unhaltbar für den ungarischen Schlussmann, nur noch ins rechte Eck. 2:0 für uns nach 40. Spielminuten, königsblauer Jubel im weiten Rund. Wenn ich richtig hingeschaut habe, konnte man unse- rem Schatzmeister, anhand der sich verziehenden Mundwin-

142 kel, durchaus ein befriedigtes Schmunzeln andichten. Da ist es auch halb so wild, dass kurz nach dem Tor Papa Bordon verletzungsbedingt aus dem Spiel muss. Sicherlich nur eine reine Vorsichtsmaßnahme. Für ihn kommt Waldoch in die Partie.

In der Halbzeitpause wieder der alte Dauerkartentrick. Nur, dass sich dieses Mal einige Schalker meiner glorreichen Idee anschließen, so dass wir zum Wiederanpfiff von Halbzeit zwei in unserer Reihe lauter mit Bierbechern gefüllte Kartons vor unseren Füßen stehen haben. Anlässlich eines Einzuges in die nächste UEFA-Cup Runde darf doch schließlich mit ei- nem Getränk des Donnerhallen-Hauptsponsors angestoßen werden, oder? Prost!

Der Verlauf der zweiten Halbzeit erlaubt es uns dann sogar noch einmal, den Weg aus dem Stadion als vorrangiges Ziel zu betrachten Eine souveräne Leistung der Blauen ist auf dem grünen Rasen zu bewundern. Lediglich das Toreschie- ßen klappt nicht so ganz. So endet die Partie schließlich mit 2:0. Hätte auch 4:0 oder 5:0 ausgehen können. Die Mann- schaft wird mit stehenden Ovationen, La Ola und allem, was dazu gehört von uns verabschiedet. Wir bedanken uns für eine weitere Auswärtstour in ferne, warme Länder, die uns (hoffentlich) hiermit gerade beschert wurde. Europa, wir kommen, auch in 2005! Darauf wird gleich erst einmal noch eine Flasche „Côtes du Rhone“ südeuropäischer Südhang geöffnet.

143 28.11.2004 Schalke 04 – Arminia Bielefeld • 2:1

„Immer wieder sonntags...“ en- det eine englische Woche. So lange wir erfolgreich sind und Sieg um Sieg, Punkt und Punkt einfahren, ist dies sicherlich die zweitschönste Sache - okay - sa- gen wir die drittschönste Sache, der Welt.

Heute ist der Aufsteiger aus Ostwestfalen, die Arminia aus Bielefeld, bei uns zu Gast. Un- ser Opfer. Damit spielen die zwei derzeit besten Mannschaften aus dem Westen gegenein- ander. Die KGaA aus der Nähe von Lüdenscheid ist nur noch unter ferner liefen im unteren Tabellendrittel vorzufinden. Da, wo sie im Übrigen auch hingehört. Der Rest interessiert uns bekanntlich erst gar nicht.

Bielefeld, eine Truppe die ähnlich wie Mainz in diesen Tagen für Furore in Deutschlands höchster Spielklasse sorgt. Vor allem, weil sie nicht nur positiv-frech auftritt, sondern sie ist äußerst auswärtsstark. Frisch, fromm, fröhlich, frei gra- sen sie die sich teilweise im miserablen Zustand befindenden Rollrasenweiden der heimspielenden Mannschaften ab und entführen die letzten gesunden Halme. Bei uns gäbe es da sogar eine prächtige Weide abzugrasen, aber da geben wir – hoffentlich – nichts von ab. Sicherlich eine interessante Truppe mit einerseits erfahrenen Spielern wie Buckley und Vata, andererseits mit emporsteigenden Youngstars der Mar- ke „Owomoyela“. Das kann ein heiteres Spielchen werden!

Allgemeine Heiterkeit natürlich auch am Stammlokal, als ich dieses um kurz vor 15 Uhr erreiche. Und das liegt sicherlich nicht ausschließlich am Wetter. Nach dem völlig verkorksten

144 Saisonstart haben wir uns langsam aber sicher zu einem fes- ten Anwärter auf die Champions-League-Plätze gemausert. Einige reden und träumen da sogar schon von mehr. Auch im DFB-Pokal und im UEFA-Cup läuft doch alles perfekt. Schalker Herz, was willst Du mehr? Ganz einfach, einen Sieg heute gegen die Arminia aus Bielefeld, weitere drei Punkte auf dem Weg zum noch in weiter Ferne liegenden Ziel.

Frühzeitig machen wir uns auf dem Weg zur Donnerhalle, um uns noch mit den anderen SC-Banausen am „Schalker“, der Gastronomie an der S04-Geschäftsstelle, treffen zu kön- nen. Auch hier ist die Stimmung bestens. Nach weiteren Erfrischungsgetränken und einer leckeren Bratwurst machen wir uns bei langsam einsetzender Nervosität auf dem Weg rüber zum Tempel der Lust.

Die heutige Mannschaftsaufstellung des sportlichen Haupt- verantwortlichen läuft ohne großartige Überraschungen über den Videowürfel. Vorne alles wie gehabt, lediglich Poulsen und Altintop ersetzen, im Vergleich zu Donnerstag, Vermant und Kläsener spielen im defensiven Bereich. Auf geht’s in die Partie.

Gleich in den ersten Aktionen lassen die Akteure beider Teams erkennen, dass heute das attraktive Offensivspiel Trumpf sein wird und die taktischen Zwänge, der Bundes- liga-Catennacio, tief unten im Keller verschlossen geblieben sind. Bereits nach 120 Sekunden unsere erste Chance. Einen wuchtig geschossenen Freistoß von Pander unterschätzt Ar- minen-Keeper Mathias Hain. Ebbe ist jedoch über den zu ihm kommenden Ball so überrascht, dass er tatsächlich das Kunststück vollbringt, diesen im plötzlich vor ihm leer ste- henden Tor nicht unterzubringen. Fast im direkten Gegenzug eine dicke Einschusschance für den kleinen Albaner Fatmir Vata nach Fehler Krstajic. Völlig frei verzieht aber auch er, zu sehr von seiner Chance überrascht, aus nur sieben Metern. So munter wie das Spielchen begonnen hat, geht es auch wei- ter. Chancen hüben wie drüben, in Hülle und Fülle. Sand in

145 der neunten Spielminute, danach fast ein Bielfelder Eigen- tor nach einer Viertelstunde Spielzeit, zu dem Zeitpunkt ist auf dem Schalker Rasen bereits mehr passiert, als bei den meisten Partien am gestrigen Samstag. Natürlich auch eine wundervolle Möglichkeit für die beiden Torhüter, ihr Können unter Beweis zu stellen.

Das erste Tor heute gelingt allerdings den falschen, den Ostwestfalen. Nach etlichen Ballstafetten in den Bielefelder Reihen, spielt der kleine Vata, bis jetzt bester Mann auf dem Platz, einen Traumpass auf Rüdiger Kaufauf (lustiger Name an sich, oder? Vielleicht ist dies ja die deutsche Übersetzung des Chelsea-Mäzens Abramovich). Der lässt in diesem Fal- le unserem Frank Rost mit einem trockenen Schuss aus 20 Metern ins linke untere Eck keine Möglichkeit, sich zu be- weisen. 1:0 für die Gäste. Und ich sage noch: Die sind aus- wärtsstark!

Die Reaktion folgt prompt mit lautstarken Anfeuerungsrufen. Unsere Mannschaft nimmt umgehend den zwölften Mann dankbar ins Team auf. Nur wenige Minuten nach der Biele- felder Führung dann der hoch verdiente Ausgleich für uns. Durch stetiges und robustes Nachsetzen erkämpft sich Ebbe aufopferungsvoll im Mittelfeld die Pille und kann fast allei- ne auf den Bielfelder Kasten zustürzen. Total sauer darüber, grätscht der Bielefelder Abwehrspieler Langkamp dazwi- schen und verlängert so, unfreiwillig, auf den noch viel besser postierten Kobiashvili. Gut für uns, schlecht für die Arminia, denn Levan hat bekanntlich am Donnerstag mit seinem Tor gegen Budapest Blut geleckt und am Toreschießen Spaß ge- funden. Also fasst er sich auch dieses Mal wieder ein Herz und lässt Hain mit einem festen Schuss aus zehn Metern ins linke Eck keine Chance. 1:1 (28.). Aber reicht den Blauen ein Punkt? Keineswegs. Weiter geht’s, Attacke Marsch, alles für den Sieg!

Lincoln hat nur Sekunden nach Wiederanstoß die Führung auf dem Schlappen, verzieht jedoch von der Strafraumgrenze

146 knapp. In der 38. Spielminute wieder ein Torjubel. Blau-wei- ßes Fahnenmeer, fliegende Bierbecher, herzliche Umarmun- gen, 180 Dezibel und zerplatzende Trommelfelle, alles genau so, wie ich es liebe. Wieder ist der Ausgangspunkt ein ero- berter Ball aus dem Mittelfeld – diesmal ist es Krstajic. Dann noch drei, vier lange Schritte, ein Pass, wie man ihn sonst nur von Lincoln kennt, direkt in den Lauf von Ailton gespielt. Der überwindet Hain eiskalt mit einem lässigen Schuss ins rechte Eck zum zweiten Mal. 2:1 für uns, 37 Minuten gespielt – was für ein dolles Fußballspiel. Rost entschärft bis zum Halb- zeitpfiff in überragender Art und Weise noch zwei Bielfelder Chancen - das war es dann mit dem ersten Akt. Durchatmen, Luft holen, Kräfte für die zweite Halbzeit tanken.

Und das ist auch bitter nötig. Eine Angriffswelle nach der an- deren rollt auch in Halbzeit zwei. Alleine das wilde Herzklop- fen aller Schalke-Fans verursacht heute in der Donnerhalle ein lautstarkes Grundgeräusch. Adrenalin und Testosteron pur, und Rost wird zum großen Schalker Helden des Tages. In der 55. Spielminute hält er einen von Poulsen verursachten und von Dammeier geschossenen Strafstoß. Skela scheitert frei stehend in der 57. Minute, Vata ebenso nur zwei Minuten später. Der Ausgleich liegt so etwas von in der Luft, dass kann man sich kaum vorstellen. Aber Rost hat sein Tor zugenagelt. Lense scheitert, Vata versucht es auch noch einmal, es geht in einer Tour weiter. Die Arminen beginnen zu verzweifeln.

Das nutzen die Blauen aus und fangen ab der 70. Spielminute, langsam an sich zu befreien und fahren den einen oder ande- ren gefährlichen Gegenstoß. Auch die Knappen scheitern am ebenfalls bestens aufgelegten Bielefelder Schlussmann. Kurz bevor das Spiel abgepfiffen werden müsste und das Stadion - mittlerweile sitzt niemand mehr auf seinem Platz – tobt und bebt, noch eine dicke, dicke Doppelchance für die Arminia. Auch die wird nicht genutzt. Das bedeutet in dem Moment des viel und lautstark umjubelten Abpfiffs: Zwei Tore ha- ben wir geschossen, eines Bielfeld, die drei Punkte gehören – nach Adam Riese bzw. Eva Zwerg - uns.

147 Damit liegen wir bereits drei Punkte vor dem Tabellendritten Stuttgart. Ein Sieg, den wir ganz klar unserem Mannschafts- kapitän im Kasten zu verdanken haben. Wobei das absolut hochklassige Spiel letztlich wohl gar keinen Sieger verdient hätte. Während die Spieler noch in die Kurve kommen, um mit uns um die Wette zu hüpfen, noch ein dickes Lob an Uwe Rapholder und sein Team. Das war echt Spitze, was ihr hier bei uns geboten habt!

Auf dem Heimweg statten der „Chef-Schlammi“, Deppi und ich, entgegen unserer Gewohnheiten, noch einem Kiosk einen kurzen Besuch ab. Drei Eis werden bestellt – zur Abkühlung. Das Spiel hat Nerven gekostet, aber die eingefahrene Beute, nämlich die aktuelle Tabelle betrachten zu dürfen, ist dafür umso schöner. Nur noch zwei Meisterschaftsspiele bis zur Winterpause. Das schaffen wir auch noch. Und wenn Sonntag um ist, dann ist wieder Montag!

148 01.12.2004 - UEFA-Cup - (4. Gruppenspiel): Rotterdam – Schalke 04 • 2:1

Heute ist nun also der große Tag gekommen. Das letzte, fast schon unwichtige gewordene Spiel in der UEFA-Cup-Grup- penphase in Rotterdam. Nicht nur, dass es sportlich nur noch um die Platzierung geht - das könnte ja noch für den weite- ren Verlauf im Wettbewerb in irgendeiner Form reizvoll sein - sondern vielmehr das Drumherum lässt einem die Lust auf Fußball ein wenig vergehen. Die Rotterdamer Fans, nicht gerade als äußerst liebenswürdig oder gar gastfreundlich bekannt, tragen dafür Sorge, dass individuelle Anreisen ver- boten wurden. Wenn auch nur ein Bruchteil von dem, was man hört, wahr sein sollte, ist es eine Beleidigung für alle anderen europäischen Clubs die versuchen, ihre Sicherheits- standards zu wahren, dass dieses Team international noch mit dabei sein darf. Ich glaube, die würden jeden einzelnen von uns am liebsten bei lebendigem Leibe verspeisen. So zu- mindest sind die verschiedenartigsten Gästebucheinträge auf unserer Homepage vor dem Spiel wohl zu deuten. Fast schon kriminell!

Sicherheits- und Alarmstufe Rot herrscht also an diesem Tag in und rund um die Feyenoord–Festung, dem Stadion mit dem klangvollen Namen: „“, die Wanne. Na prima. Das Resultat ist eine akribisch im Vorfeld geplante, geschlos- sene Anreise aller Schalke-Fans in drei Sonderzügen. Und da ich Zugfahren mindestens genauso klasse finde wie Syn- chronschwimmen auf Kreisklasseniveau, kann sich sicherlich jeder gut vorstellen, wie euphorisch meine Stimmung beim Betreten des Sonderzuges ist. Gut, dass es den meisten an- deren Mitreisenden so ziemlich egal ist. Sie feiern einfach, machen Party und freuen sich über einen freien Tag. Was wäre das schön gewesen, den Einzug in die nächste Runde

149 in Parma, Rom oder Lissabon feiern zu können. Stattdessen Käseland, umzingelt von Polizisten und umgeben von meter- hohen Zäunen und mit Plexiglas verhängten Tunneln. Auch wenn die Stadt eh nicht die schönste sein sol; gesehen haben wir davon weniger als nichts.

Als nach endlosen Warteschleifen, Kontrollen und versuchten Attacken der Rotterdamer Radaubrüder endlich alle 2.800 mitgereisten Knappen mehr oder weniger gesund im Stadion sind, kommt nun doch endlich die Freude auf Fußball auf. Ein schönes Stadion, eine aufgeheizte Stimmung, richtige Flutlichtatmosphäre, das Virus schlägt wieder zu. Rangnick lässt mit einer etwas besseren B-Elf spielen. Das sagt wahr- scheinlich schon alles über die Wertigkeit dieses Spiels aus. Waldoch für Bordon, Kamphuis für Asamoah, Vermant für Lincoln, Hanke für Ailton, um nur die wichtigsten Umstel- lungen zu nennen. Trotzdem legen wir einen blitzsauberen Start hin. Bereits in der siebten Spielminute, nach einem Eck- ball für uns, die Führung durch Mike Hanke, unserem Mister Europacup. Poulsen hatte die Ecke mit dem Kopf verlängert, Hanke dankbar diese Verlängerung mit irgendeinem Kör- perteil – es war auf jeden Fall nicht der Fuß - über die Linie gebracht. Die weitere erste Halbzeit ist bis zur 30. Minute ge- kennzeichnet durch ausgezeichnete königsblaue Stimmung, umher fliegenden Sitzplatzschalen und anderen Gegenstän- den und vor allem einer überragenden Schalker Mannschaft, die gegen lustlos und behäbig wirkende Holländer lediglich versäumt, den Sack rechtzeitig zu zumachen.

Der Ausgleich für Rotterdam fällt daher wie aus heiterem Himmel. Nach einer erneut versiebten Chance landet ein Pass von Poulsen in den Reihen der Niederländer. Schneller Gegenstoß gegen die Blauen, kurzes Dribbling von Salomon Kalou, Schuss, Tor. Groß umjubelter Ausgleich der Nieder- länder, die heute unbedingt punkten müssen, um sicher die nächste Runde zu erreichen. Nachdem Hanke nur zwei Minuten später völlig frei auf den niederländischen Keeper zulaufend, die Riesen-Möglichkeit zur erneuten Führung ver-

150 gibt, geht Rotterdam schließlich sogar noch vor der Pause in Führung. Wieder ist es Kalou der aus sechs Metern eine Flanke zum 2:1 einköpft. Der Stimmung bei uns im Block tut diese Führung keineswegs Abbruch. Nur das Spiel selbst gerät mittlerweile ein wenig mehr ins Hintertreffen.

In der zweiten Halbzeit gleichen sich die Bilder. Die Blau- en spielen mit der B-Truppe einen gefälligen Ball, vergessen dabei jedoch erneut das Toreschießen. Feyenoord bleibt mit seinen Kontern und seinen schnellen Stürmern stets gefähr- lich. Der Pausenstand bleibt auch der Endstand. Da hätten wir ja gleich eine Stunde eher heim fahren können. Aber immerhin haben wir dieses Spiel hinter uns gebracht und können uns nun ganz und gar den erfreulichen Sachen des Lebens widmen. Der Rückfahrt und dem Auswärtsspiel bei den Zecken!

Es stellt sich heraus, dass auch Zugfahrten, zumindest mit Howard, Helge und weiteren Hunden dieser Gattung, doch durchaus kurzweilig und unterhaltsam sein können. So sind wir im Handumdrehen im heimischen GE. Im Bett träume ich von der nächsten Runde, von Parma, Rom oder Lissa- bon.

151 05.12.2004 Borussia Dortmund – Schalke 04 • 0:1

Endlich ist es wieder so weit: Derbyti- me im Pott. Und damit meine ich nicht irgendein kleines, niemanden interes- sierendes Spiel zwischen Duisburg und Essen, Hassel und Erle oder Bochum und Wattenscheid. Nein, ich meine das einzig wahre Derby. Die glorreichen, die göttlichen Königsblauen gegen das schwatz-gelbe Böse aus der Nähe von Lüdenscheid. Früher, also bis kurz nach dem Krieg, nannten wir dieses Kartoffel- käferkonstrukt noch den „Verein aus der Nähe von Lüden- scheid“. Dieses wertvolle Prädikat „Verein“ – und damit auch alles, was man mit Tradition und Mythos hätte verbinden können - haben die Biene Majas jedoch dem Haufen Börsen- geld, dem schnöden Mammon zuliebe über Bord geworfen. Sie nennen sich nun lieber KGaA. Zu deutsch: Kommandit- gesellschaft auf Aktien. Au Backe!

Bis zum heutigen Tag tun mir die „Zecken“, wie wir sie schlicht und einfach im Folgenden nennen wollen, einfach nur Leid. Ich denke, dass dies das Schlimmste ist, was einem Fußballfan wohl jemals passieren kann. Der Verein löst sich auf, geht an die Börse, man jubelt in der Kurve einem börsen- notierten Wirtschaftsunternehmen zu. Tja, die Zeiten ändern sich. Und die Zecken gehen trotzdem weiterhin ins Stadion, die so genannte „Wellblechhütte“. Aber ich werde bis zum letzten Tropfen Herzensblut dafür kämpfen, dass es bei uns auf Schalke niemals soweit kommen wird.

Nicht erwähnen wollen wir an dieser Stelle, dass Hunderte von Millionen Taler, die in die KGaA-Kasse flossen, bereits alle versiebt sind. Borussia Dortmund steht kurz vor der In- solvenz. Schreckliche Substantive, dabei geht es doch nur um Fußball, oder? „Doofmund steht kurz vor dem Abstieg“,

152 das hört sich Klasse an, aber Insolvenz? Der Fußballfan von heute muss halt gleichzeitig, möchte er sich wahrhaftig für seinen Sport interessieren, mindestens einen Grundkurs in Wirtschaftswissenschaften besucht haben und darüber einen qualifizierten Leistungsnachweis vorlegen können.

Und wenn wir ganz ehrlich sind: Mit den Zecken geht es hier bei uns auf Schalke gar nicht (und ich gönne denen – habe ich das eigentlich schon erwähnt? - auch nicht das Schwatze unter dem Fingernagel), aber ohne sie wäre mein Leben als Fußballfan auch nur halb so witzig. Zum heutigen Auswärts- spiel haben wir uns mal wieder was ganz Besonderes einfal- len lassen. Wie eigentlich schon für das letzte Auswärtsspiel in der verbotenen Stadt geplant, werden wir mit dem Ka- nalkreuzfahrtschiff „Santa Monika“ mit 250 Supporters das Rhein-Herne-Binnengewässer bis zum Doofmunder Hafen runterschippern.

Die gesamte Organisation dieser Tour kostet mich zwar mal wieder schlaflose Nächte, aber als der Kutter dann am frühen Morgen, pünktlich um 10 Uhr, die Leinen los lässt und 250 bestens gelaunte Schalker ein erstes Liedchen anstimmen, ist alles wie weggeblasen. Wir sind im übrigen, wenn mich nicht alles täuscht, heute genau 2.222 Tage ohne Niederlage gegen die Zecken in einem Pflichtspiel. Das sind ca. sechs Jahre. Wie sagte unser Kultreporter Manni Breukmann doch treffend: „Und auch in diesem Jahr werden sich in Dortmund zu Weihnachten die Kinder mit dem Großvater unter den Tannebaum setzen und sich die Geschichte vom letzten Dort- munder Sieg erzählen lassen!“.

Alleine der Gedanke daran lässt die Festtagsstimmung noch einmal ins Unermessliche steigen. Ist das nicht knorke? Wa- rum sollte sich das gerade heute ändern? Wir sind derzeit in Topform, die Zecken krebsen dafür im Niemandsland der Ta- belle herum. Und da die Auswärtsspiele in der Doofmunder Wellblechhütte traditionell Heimspiele für uns sind, werden wir also wieder mit einem Mann mehr spielen.

153 Zurück auf das Traumschiff. Die Tour kommt sensationell gut an und wird von Schleuse zu Schleuse immer besser. Auf den Kanalbrücken wird uns zugejubelt, am Kanalrand wird die La Ola für uns gemacht und der Kapitän macht wohl gerade den Umsatz der Saison. Selbst Mario, mein alter Sandkasten- kumpel, der sonst nie auswärts mitfährt, ist außer Rand und Band. Fiene, die heute ebenfalls erstmalig zu einem richtigen Derby mitkommt, findet augenscheinlich ebenfalls Gefallen an der Tour. Nur ich schwächele ein wenig. Ist da etwa eine Vogelgrippe im Anmarsch?

Fazit nach vier Stunden Schifffahrt auf dem Kanal: Kein Mann, keine Frau über Bord, keine Verluste, allgegenwärtige Siegesgewissheit, Breitmaulfroschgrinsen in allen Gesich- tern, unbedingt zu wiederholen! Anreisen zu Auswärtsspie- len erfolgen, nach Möglichkeit, ab sofort nur noch über den Wasserweg.

Im Doofmunder Hafen angelegt, holt uns ein freundlicher Trupp grüner Schutzbeamter ab, der jedoch der feucht-fröh- lich-friedlichen Schiffsbesatzung erst einmal freien Aufent- halt gewährt. Geschlossen machen wir uns auf den Weg zur Wellblechhütte und das eine oder andere nette Wort wird mit schwatz-gelben Schalträgern gewechselt. Klasse kommen auch immer wieder diese neongelben Trikots an. Bääääääääh!

Am Stadion verrät uns der Blick auf die Uhr, dass der Kut- ter doch eher ein Speedboot war. Noch eineinhalb Stunde bis zum Anpfiff. Ausreichend Zeit für das eine oder ande- re Erfrischungsgetränk. So positionieren wir uns vor einer der lustigen Bierbuden hinter dem und sind – wie jedes Jahr – verwundert über die königsblauen Menschenmassen. Wie schon erwähnt, es wird wieder ein Heimspiel.

Bei aller sportlichen Rivalität, bei aller Antipathie, die bei dieser heutigen Begegnung eine Rolle spielt: die Szenen, die

154 sich vor dem Stadion abspielen, sind teilweise äußerst pein- lich. Hüben wie drüben. Dumme und plumpe Provokationen, Wortgefechte auf unterstem Niveau, den ersten Preis jedoch für das widrigste Verhalten erhalten die Jungs mit dem gol- denen Schlagstock. Selbst Fiene, die heute ja zum ersten Mal ein solches Derby hautnah miterlebt, ist von der Willkür und Brutalität der Staatsmacht erschüttert. Und je weiter die Dunkelheit voranschreitet, umso schlimmer scheint es zu werden. Es wird Zeit, in die Westfalenbude zu gehen.

Die 10.000er Grenze wird heute locker geknackt. Überall, wohin das Auge reicht, sieht man nur königsblau. So haben wir es gerne. Kurz vor Anpfiff gibt es von der Südtribüne der Zecken noch eine Choreo. Verstehen tut sie keiner, selbst die anderen Zecken-Fans nicht, aber wer will da schon mehr er- warten.

„Kniet nieder ihr Bauern, Schalke ist zu Gast!“ ertönt es pünktlich zum Anpfiff tausendfach aus unserer Kurve und unser Befehl wird von den schwatz-gelben Spielern auf dem Platz umgehend befolgt. Von der ersten Sekunde an geben die Blauen zu unserer großen Freude Vollgas. Die Kartoffel- käfer sind wie gelähmt. Lediglich Jörg Böhme, dessen Ab- schied aus Schalke sich wohl langsam aber sicher ankündigt, hat scheinbar keine Lust auf das Derby gehabt und sich mit einem Krankenschein, einem „Gelben“, beim sportlichen Übungsleiter abgemeldet. Auch ein Novum auf Schalke. Da- für spielt unsere erfolgreiche Formation der letzten Tage und Wochen einen „lecker Ball“.

Folgerichtig sorgen unsere Knappen bereits in der 17. Spiel- minute für ein vorzeitiges Nikkelausgeschenk. Kobiashvili spielt vor dem Strafraum der Bösen wunderbar Ailton frei, der im richtigen Moment lossprintet und den herausstür- menden Torwart mit einem Beinschuss düpiert. Der Ball trudelt langsam aber sicher, wie in Zeitlupe, über die Torlinie, 1:0 für die Guten. „Auswärtssieg, Auswärts- sieg“, hallt es durch das Stadion!

155 Spätestens von diesem Zeitpunkt an ist die Westfalenhüt- te fest in Schalker Hand. Hohn- und Spottgesänge in Rich- tung der mucksmäuschenstillen BvB-Fankurve, das gesamte Schalker Gesangsrepertoire wird rauf und runter gesungen. Muss das traurig für die Doofmunder sein. Der weitere Spiel- verlauf ist nicht der Rede wert. Blau dominiert auf Rasen und Rang. Blau gewinnt. Zum Zeitpunkt des Abpfiffs ist das halbe Stadion bereits wieder leer. Schwatz-gelb ist schon daheim. Immerhin haben sie es heute länger ausgehalten als noch beim legendären 0:4 vor vier Jahren. Da war die Hütte be- reits nach 60 Minuten leer.

Siege in Doofmund sind doch immer wieder was Schönes. In dem Moment des Abpfiffs sind wir nun seit dem 14. Novem- ber 1998 gegen die Zecken ungeschlagen – und gleichzeitig auch punktgleich mit den Bayern an der Tabellenspitze. Jetzt müssen wir am nächsten Spieltag nur noch gegen den Ta- bellenletzten Freiburg punkten, und dann winkt womöglich noch die Herbstmeisterschaft. Freudentränen fließen, wild- fremde Menschen küssen sich. „Der S04, der S04, der S04 ist wieder da“ und das altbekannte: „Wo ist Helmut Schön? Oh wie ist das schön! Mensch, den hat man lange nicht geseh’n den Schön. So schön“ schallt es durch das Stadion.

Die Mannschaft wurde ausgiebig und gebührend gefeiert. Für manche das Schönste am ganzen Tag. Der Triumpfzug per Pedes von der Westfalenbude zum Doofmunder Bahnhof. Die verbliebenen bedröppelt dreinschauenden Doofmund- Fans werden ausgelacht. Überall Schalker Freudengesänge. Königsblaue Fahnen werden geschwungen. Zumindest heute ist Doofmund mal wieder fest in Schalker Hand!

156 11.12.2004 Schalke 04 – SC Freiburg • 1:1

Obwohl ich nun mit einer Mumpserkran- kung flach im Bett liege, steht heute nun das letzte Pflichtspiel des Jahres auf dem Kalender. Der äußerst sympathische SC Freiburg aus dem Breisgau ist zu Gast in unserer Arena. Tatsächlich hat er sich in den letzten Tagen und Wochen auch äu- ßerst gastfreundlich präsentiert, nämlich kaum einen Punkt auf fremden Plätzen (sowie daheim) geholt. Tabellenletzter sind sie, haben die letzten sieben Spiele allesamt verloren. Das wird sich jawohl nicht ausgerechnet heute ändern, oder?

Ich ertappe mich dabei, dass ich erstmals auch auf die Be- gegnung unseres ärgsten Mitkonkurrenten um die Meister- schaft (habe ich jetzt wirklich Mitkonkurrent um die Meis- terschaft gesagt?), den Schalendieben aus München schiele. Die spielen daheim gegen den VfB Stuttgart. Wird sicherlich auch kein Zuckerschlecken. Da wir beide punktgleich sind, könnten wir also theoretisch heute den Tabellenplatz Eins übernehmen und auf ihm überwintern. Dann dürften wir uns auch „Herbstmeister“ nennen. Ein Titel, für den man sich nichts kaufen kann und vor allem ein Titel, den wir schon zweimal gewonnen haben. Am Ende reichte es jedoch jeweils nur für die Vizemeisterschaft. Abgerechnet wird bekanntlich immer zum Schluss!

Trotzdem scheint alleine das Wort „Meisterschaft“ einmal mehr eine wahre Euphorie zu entfachen. Wie gewohnt bege- be ich mich, immer noch leicht angeschlagen von der Kinder- erkrankung, gegen 13.30 Uhr in Richtung Stammlokal. Am Café Central angekommen, werden erst einmal alle bekann- ten Nasen herzlich begrüßt. Bei einigen werde ich das Gefühl nicht los, ich hätte sie länger nicht gesehen.

157 „Natürlich“, fällt es mir wie Schuppen von den Haaren, „seit Langem hatten wir mal keine englische Woche“. Englische Wochen, was für eine Vokabel. Eigentlich ein Zustand, an den man sich problemlos gewöhnen könnte. Zumindest wird die- se Woche, da sind wir uns in unserem kleinen Fachkreis bei einem heißen Pinientee einig, den Blauen gut getan haben. Unverkennbar war in den letzten Spielen doch ein gewisser Substanzverlust zu erkennen. „Die Spieler krauchen auf den Brustwarzen“, pflegt man an einer solchen Stelle gerne zu sagen. So schlimm wird es wohl nicht sein. Erst recht nicht, wenn man bei der Metapher als sprachlichem Mittel bleibt und bedenkt, dass der „Erfolg ja auch Flügel verleiht“.

Die Jungs sind also hoffentlich erholt, motiviert und haben einen Lauf. Ich gebe mit meinen Fußballweisheiten zu be- denken, dass der Ball rund ist, ein Spiel 90 Minuten dauert und entscheidend, so oder so, nur auf dem Platz ist. Ergo: Auch dieses Spiel muss erst einmal gewonnen werden! Aber der Optimismus der Schalker Fanschar ist grenzenlos. Möge sie recht behalten!

Zum letzten Mal im Jubiläumsjahr 2004 steigen wir an der Haltestelle Arena „Auf Schalke“ – ehemals „Parkstadion“ – zu einem Spiel aus, geben brav unser Fahrbier in Flaschen und Dosen an der mobilen Sammelstelle ab und passieren den üblichen Schwarm an Schwarzmarktkartenhändlern. Die altbekannten Gesichter, stapelweise Tickets in den Händen haltend. Warum tut eigentlich niemand etwas gegen diesen scheinbar gut organisierten Handel?

Flink werden in gewohnter Manier die Eingangskontrollen passiert und zügig, nicht ohne aus der unteren Promena- de noch einen warmen Kakao mitzunehmen, begeben wir uns zu unserem Block 41. Wir werden gerade noch Zeuge des spektakulären Nikkelaus-Abseil-Events. Insgesamt 40 Nikkeläuse seilen sich von dem ca. 40 Meter hohen War- tungsgang (Anglizismus: Catwalk), an welchem auch ein Großteil des Flutlichts und der Beschallungsanlage befestigt

158 ist, ab und kommen so auf die Erde. Wobei - eigentlich nur 39. Denn einer scheint irgendwelche Probleme mit einem imaginären Rentierschlitten zu haben, der ihn leicht durch die Lüfte gleiten lassen sollte und müsste. Mensch, waren das noch Zeiten, als Charly Neumann, schlicht und einfach als Nikklelaus verkleidet, zu uns in die Kurve kam, uns mit Schokoläusen bewarf, dreimal winkte und dann auch schon angepfiffen werden konnte.

Ohne ein großes amerikanisiertes Show- und Rahmenpro- gramm ist ein Fußballspiel heutzutage eigentlich kaum noch denkbar. Aber die Werbepartner, die immerhin viel Geld in unseren Club investieren, wollen natürlich auch adäquat prä- sentiert werden und nutzen diese Plattform „Stadion“ gerne. Für uns allerdings ein Grund, immer später ins Stadion zu gehen. Wobei, wenn Charly im Nikkelauskostüm sich noch einmal von solch einem Catwalk abseilen würde...

Kurz vor Anpfiff noch ein bewegender Moment. Unter ste- henden Ovationen der gesamten Donnerhalle wird Jörg Böh- me verabschiedet, weil er uns zur Winterpause Richtung Bo- Mönchengladbach verlässt. Zwar ist es wohl besser so für alle Beteiligten, vielleicht hätte man diesen Schritt sogar schon wesentlich eher machen sollen, und trotzdem wird für Jörg immer ein Fleckchen unseres königsblauen Herzens frei bleiben. Unvergessen seine genial-verrückten Aktionen wenn er in Topform war. Nicht von der Hand zu weisen sein Anteil an der Erfolgen von 2001 und 2002. Danke Jörg!

Und dann ist es auch endlich soweit, die letzten 90 Minuten des Jahres 2004 werden angepfiffen. Leider kann der derzeit in Bestform spielende Pander wegen einer Verletzung, die er sich gerade beim Aufwärmen zugezogen haben muss, nicht auflaufen. Dafür rückt kurzfristig Nils Oude Kamphuis ins Team. Eine klare Schwächung unserer linken Seite und ein Zeichen für mehr Defensive.

Trotzdem dominieren wir das Spiel, ein Treffer liegt förmlich

159 in der Luft. Fußballfans wissen, dass dies keine leere Phrase ist. Man spürt förmlich, dass in den nächsten Minuten ein Tor fallen muss, fallen wird. 19. Minute, erneut ein Freistoß von Lincoln, wem sonst? Aus knapp 40 Metern zirkelt er den Ball Marcelo Bordon auf den Kopf, doch dieser köpft die Pille knapp übers Tor. So langsam werden die Zuschauer ungedul- dig. Wird heute wohl doch nichts mit einer Packung für die Breisgauer. Kurzzeitiger Jubel ertönt im weiten Rund nur bei der Einblendung der Zwischenergebnisse: Rostock führt ge- gen die Zecken und Stuttgart bei den Schalendieben. Wir sind jetzt gerade, in diesem Moment, Herbstmeister! Das muss der Mannschaft doch Flügel verleihen! Während wir uns auf den Rängen die Kehle aus dem Leibe singen und brüllen, um die Mannschaft als zwölften Mann nach vorne zu peitschen, offenbart diese uns ihr wahres Gesicht. Ein eckballähnlicher Freistoß von der linken Seitenauslinie wird von Lincoln in den Strafraum gebracht. Aus ca. sechs Metern köpft Krstajic den Ball knapp unter die Latte 1:0. Endlich!

Uns allen, Fans wie Spielern, scheint ein riesiger Gesteins- brocken, ein Fels, vom Herzen zu fallen. Trotzdem fällt der Jubel auf den Rängen erstaunlich moderat aus. Selbst der letzte Schalker scheint gemerkt zu haben, dass der Fisch heu- te gegen die tapfer rackernden Freiburger noch lange nicht gepellt ist. Und so gleichen sich leider nach dem Führungs- treffer die Bilder. Chance um Chance wird nicht genutzt. So gehen wir, statt mit einem beruhigenden 2:0 oder 3:0 mit einem mickrigen 1:0 in die Halbzeitpause.

Die Bazen liegen zur Halbzeit zurück und ob wir nun mit einem knappen 1:0 oder einem deutlichen 6:0 gewinnen; es gibt trotzdem nur drei Punkte für einen Sieg. Einzig unsere Nerven und demnach unsere Gesundheit würden ein wenig mehr geschont werden. Aber wenn wir druckvoll so weiter- spielen, dürfte das 2:0 schon irgendwann einmal fallen. Und dann schaukeln wir das Kind locker und leicht nach Hause.

Druckvoll weiterspielen? Wie verwandelt kommen unsere

160 Knappen aus der Kabine. Zwar melden wir uns eindrucksvoll mit einer weiteren Großchance zurück, die gesamte Donner- halle hat sich den Jubelschrei in diesem Moment quasi schon zurecht gelegt, jedoch verpasst der Schuss knapp das Tor. Und danach ist auch umgehend Schluss mit der Schalker Herrlichkeit. Wie gehemmt spielen sich die Knappen den Ball müde hin und her. Kein Druck mehr, keine Risiko, kaum noch Laufbereitschaft. Das Ganze erinnert mich ein wenig an die letzten drei Spiele der Vizemeistersaison 2001. Ein ungutes Gefühl überfällt das Stadion. Dieses Gespür ist wie- der da. Erkennt die Mannschaft nicht die Zeichen der Zeit, die Warnsignale?

Meiner Meinung nach macht auch Ralf Rangnick zu diesem Zeitpunkt den ersten Fehler als Chefcoach auf Schalke. Er wechselt den schwachen Ebbe Sand aus und bringt dafür allerdings Dario Rodriguez. Vom Prinzip her vielleicht die richtige Auswechslung, das war heute wirklich nicht Ebbes Tag, allerdings geht von dieser Auswechslung das ganz fal- sche Signal an die Mannschaft aus. Noch mehr Defensive, das kann nur in die Hose gehen. Die Freiburger auf jeden Fall packen die Situation am Schopfe und fangen an, mutig und frech nach vorne zu spielen. Ein paradoxes Bild. Der Meis- terschaftsmitfavorit verteidigt vor heimischer Kulisse, trotz Führung, mit Mann und Maus. Der Ball wird nur noch wild in Richtung gegnerisches Tor geschlagen und statt Richard Golz steht nun unser Frank immer öfter im Mittelpunkt. Bilder, die wir eigentlich gar nicht sehen wollen.

Machen wir es kurz. Einmal mehr bestätigt sich unser ungu- tes Gefühl und es kommt wie es kommen musste; Die Doof- munder schießen den ärgerlichen Ausgleich in Rostock, die Bazen machen in den letzten 20 Minuten aus einem 0:2 ein noch viel ärgerlicheres 2:2 und wir spielen Angsthasenfuß- ball. Spiele zu versuchen über die Zeit zu retten, geht meist schief. Kurz vor Abpfiff dann, wir schreiben die 86. Spiel- minute, fällt der Ausgleich, um den die Knappen so lange gebettelt haben. Und damit ist das Spiel auch aus. Die Spieler

161 lassen die Köpfe hängen. Auch wir verlassen scharenweise zutiefst enttäuscht die Donnerhalle. Lediglich die ca. unge- fähr 1.000 mitgereisten Freiburger Schlachtenbummler aus dem Breisgau bejubeln ihren ersten Punkt auf fremden Platz seit Dekaden. Schlachtenbummler. Wenn ich dieses däm- liche Wort nur schon höre, wer sich das wohl hat einfallen lassen.

Unser erstes Remis am letzten Spieltag der Hinrunde lässt uns „lediglich“ auf Platz zwei in der Tabelle überwintern. „Le- diglich“, wie schnelllebig die Welt, das Fußballgeschäft, doch ist. Man denke einmal nur wenige Wochen zurück.

Während der Rückfahrt zum Stammlokal in der Bahn las- sen wir geschlossen unserem Ärger, unserem Frust freien Lauf. Warum verlieren wir daheim ausgerechnet gegen die Graupentruppen aus Rostock und Freiburg die Punkte? Wo stünden wir heute, hätten wir nicht den kompletten Saisonstart vergeigt und unnötige Geschenke in Form von Punkten verschenkt? Warum verlieren wir überhaupt und hören auf, in der zweiten Halbzeit Fußball zu spielen? Warum haben die Schalendiebe mal wieder so ein Glück und können nicht wenigstens verlieren? Ist es sehr weit her geholt, die gerade verpasste „fünf-Minuten-Herbstmeisterschaft“ mit der verpassten „vier-Minuten-Meisterschaft“ von 2001 zu vergleichen? Die Symptome waren doch ähnlich. War der Erwartungsdruck zu hoch? Die altbekannte Angst vor dem Siegen plötzlich da? Oder waren einfach nur die Knochen müde? Immerhin haben wir wesentlich mehr Spiele in den letzten Wochen und Monaten als alle anderen Bundesligisten absolviert. Fragen über Fragen, die die Welt nicht braucht und die mich und Tausende von anderen Schalkern noch ta- gelang beschäftigen werden.

Wir bestellen erst einmal ein gepflegtes Pils, setzen uns an einen Ecktisch und quatschen weiter. Schnell kriegen wir, bei allem Frust, jedoch heute die Kurve und blicken rundum zufrieden auf eine tolle Hinserie zurück. Lieber heute nur

162 einen Punkt geholt und dafür letzte Woche bei den Zecken gewonnen! Vielleicht ist die Vizeherbstmeisterschaft ja auch ein gutes Omen? Wie schon gesagt, zweimal bereits ging in unserer Vereinsgeschichte das Projekt „Herbstmeisterschaft gleich Meisterschaft“ tüchtig in die Hose.

Wir müssen lernen, die Dinge viel öfter positiv zu sehen. Wir überwintern im DFB-Pokal, im UEFA-Cup, stehen – punkt- gleich mit dem Führenden – an der Tabellenspitze, sind Zeu- gen von mitreißenden, tollen Spielen geworden, die fast alle- samt gut für uns ausgingen. Alles in allem eine fast perfekte Schalker Hinrunde.

Summa summarum ist doch fast alles okay. Soll ich Euch mal etwas sagen? Ich freue mich jetzt zwar erst einmal auf einige fußballfreie Tage – ja, auch das gibt es – aber ein wenig auch schon auf die Rückrunde. Da geht noch was!

163 28.12.2004 Halbzeit: Intermezzo Biathlon

Still und leise neigt sich das Jahr dem Ende entgegen. Eigentlich die Zeit, um die Vielzahl der Ereignis- se noch einmal vor dem geistigen Auge Revue passieren zu lassen und Zeit, um die leeren Tanks aufzufül- len, um mit neuem, frischen Elan in die Rückrunde durchstarten zu können.

Denkste! Die Donnerhalle übt eine magische Anziehungskraft auf mich aus und so kann ich die Finger nicht davon lassen, ihr einen letzten (Abschieds-) Be- such im Jahr 2004 abzustatten. Man kann es auch Sehnsucht nach seinem heimischen Wohnzimmer nennen. Der Anlass? Die dritte Auflage von „Biathlon auf Schalke“. Hätte ich das vor nicht einmal fünf Jahren meinem Hausarzt erzählt, er hätte mich wahrscheinlich auf direktem Wege in die nächst- beste Klappsmühle einweisen lassen, um meine Umwelt vor mir zu schützen. Bis dahin war Gelsenkirchen mit Schnee und Biathlon so undenkbar, wie Pfingsten mit Tannenbaum. Aber um die fußballlose Zeit zu überbrücken (und natürlich auch, um einige Taler zu verdienen) kamen die Verantwort- lichen auf die Idee, dass Undenkbare denkbar zu machen. Weiße Weihnachten in GE... Zumindest in der Arena!

Man mag es kaum glauben, aber als ich mich am 28.12. fertig mache, um den Weg zur Bahn zu bestreiten, blicke ich aus dem Fenster und es schneit. Eine puderzuckerweiß bedeckte Hausfront blickt mich an und scheint zu fragen: „Hat der Rudi etwa die Schneekanonen falsch aufgestellt bzw. ausge- richtet? Der Schnee sollte doch eigentlich in der Donnerhal- le und nicht außerhalb verteilt werden?“ Ob man in diesem Jahr sogar wegen zuviel Schnee alles absagen muss?

164 Als die Bahn am Kennedyplatz um die Ecke biegt, erkenne ich schon die erste bekannte Fratze, die mich schelmisch an- lächelt und mich in meinem Bestreben, die Donnerhalle im Jahr 2004 noch einmal zu betreten, bestätigt. Ich will meine Jungs treffen, mit ihnen einen oder drei Kaffee trinken, über Schalke klönen. Ich will in mein Wohnzimmer! Ich brauche diesen Stadiongeruch, dieses Gemisch aus Bier, Bratwurst, Testosteron und Nikotin.

Die Fahrt verläuft reibungslos, allerdings ist irgendetwas an- ders, ungewohnt. Und schon fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren: Kein Wippen in der Bahn, keine beklemmende Enge, keine Kippe, die mir von meinem Nachbarn unter den Nasenflügel gehalten wird, kein Drängeln, kein Schweiß- und Knoblauchgeruch, kein Bierdunst, der mir entgegenweht, kei- ne Gesänge, keine leeren Bierflaschen, die beim Anfahren der Bahn durch die Gegend rollen, keine Scheiben, die beschla- gen, keine Fachsimpeleien unter Fußballtrainern – nichts davon. Die Bahn ist tot! Bei dem einen oder anderen kann man gerade noch erkennen, wie er schüchtern versucht, sei- nen S04-Schal unter der Jacke zu verbergen. Wir sind in der Minderheit! Eine Menschenschar mit einem Durchschnitts- alter von 50 bis 60 bereitet akribisch die Arena-Invasion vor. Sollen sie doch ihre Frührente dort unters Volk bringen. Hier sind die Talers sicherlich gut angelegt.

Wir passieren die Eingangskontrolle und besorgen uns flugs, um die Sammelleidenschaft zu befriedigen, die „Biathlon 2004 Knappenkarte“. Die gibt’s allerdings nur mit einem Guthaben von 10 Euronen. Wollen die uns verhohnepie- peln? Das reicht doch gerade mal für die erste halbe Stunde. Entgegen unser sonstigen Gewohnheiten begeben wir uns zum verabredeten Kiosk. Dort stehen bereits einige altbe- kannte Gesichter. Endlich Zuhause! Selbst unser Schutzpa- tron Asi-Erich zieht seine gewohnten Kreise – alles ist also in Ordnung.Völlig locker und gelöst stehen wir beisammen, flachsen entspannt und unverkrampft und trinken eine erste Brause.

165 Ich weiß dabei die Ohren meiner Sportsfreunde auf meiner Seite, als ich anfange, die Weihnachtsgeschichte des Jahres 2004 zu erzählen. Tatsächlich hatte noch keiner der Jungs etwas davon mitbekommen. Totgesagte leben halt länger!

Nach dem letzten Heimspiel des Jahres gegen den SC Frei- burg wurde im offiziellen Forum der Webpage des S04 von Unbekannt verkündet, dass Catweazle nach langer, schwerer Krankheit, still und einsam gestorben sei. Die Jüngeren unter uns mögen sich nun fragen: Wer ist Catweazle? Catweazle ist, ebenso wie Asi-Erich, eine (lebende) Legende, ein Urge- stein des Parkstadions. Dort stand er bei jedem Heimspiel an einen Lautsprecherposten angelehnt auf einem Wellen- brecher des Blocks N5 und haute wie ein Wahnsinniger auf seine Trommel ein. Man hätte fast glauben können, sie seien Eins geworden, die Trommel ein Teil von Catweazle selbst gewesen. Es ist sicherlich schwer, einen Vergleich zu ziehen. Aber Catweazle war damals für die Fans so etwas wie heute der Megafonmann für die Ultras, eine Institution, ein Vor- bild für seine Generation. Ähnliches kennt man zum Beispiel auch aus Valencia oder Mönchengladbach, wo „Manolo“ der Trommler ein Symbol für die Fanszene ist, eine wahre Kult- figur. Seit dem Umzug in die Donnerhalle war es allerdings ruhig um Catweazle geworden. Man sah ihn immer selte- ner, in führender Rolle so oder so nicht mehr. Tatsächlich war er wirklich krank. Dann entstand jedoch dieses Gerücht, verbreitete sich rasend, und die Fanszene war erschüttert. Vielleicht auch ein wenig, weil man sich selbstkritisch die Frage stellte, warum man sich nicht schon eher um sein leises „Verschwinden“ gesorgt hatte. Oft kommen solche Gedan- ken zu spät – helfen können hätte man nur zu Lebzeiten. Catweazle ist also tot. Spontan wurden Kondolenzbücher im Internet ins Leben gerufen, in denen sich innerhalb weniger Tage Hunderte von Schalkern eintrugen. Beileidsbekundun- gen wurden säckeweise in Form von Karten an die Adresse seiner Familie geschickt und über ein Spendenkonto wurden bereits fleißig Taler für eine überregionale Todesanzeige ge- sammelt. Selbst auf der offiziellen Homepage des S04 wurde

166 des Verstorbenen gedacht, alle Gelsenkirchener Tageszeitun- gen widmeten ihm ausführliche Berichte.

Nun die Pointe: Exakt am ersten Weihnachtstag ruft auf ein- mal der verstorbene Catweazle bei dem ersten Vorsitzenden des SFCV, Rolf Rojek, an und fragt, was er mit der ganzen blöden Post solle, die mittlerweile in seinem Wohnzimmer lagere? Rolf muss wohl, verständlicherweise, sehr überrascht reagiert haben und um einen weiteren „schlechten Scherz“ zu verhindern, umgehend selbst bei Catweazle zurückgerufen haben. Spätestens jetzt stand fest: Catweazle ist weder der neue wiedergeborene Heiland, noch ist er von den Toten auf- erstanden. Nein, es hatte sich nur jemand einen schlechten, schlechten Scherz erlaubt. Oder hätte einer von uns Lust, beim Frühstück seine eigene Todesanzeige in der Zeitung zu lesen?

Ich muss nicht erwähnen, dass diese kleine Anekdote, so traurig sie in ihrem Kern sein mag, in unser trauten Runde für Erheiterung sorgt. Und da ich vom vielen Erzählen schon riskiere, eine trockenen Kehle zu kriegen, (schon Fienes Oma sagte einst: „Man muss immer viel trinken, sonst trocknet das Gehirn aus...“!) entschließe ich mich, die tollen neuen Veltins- 6er-Tragebehälter auszuprobieren.

Nachdem wir also genug Zeit vertrödelt haben, wird erst einmal unser Platz im Block S4 sondiert. Beim Betreten des Segments, der altbekannte Blick ins weite Rund. Schon irgendwie komisch, anstatt des grünen Rasens eine reine, weiße Winterwelt vor Augen zu haben. Aber es sieht toll aus und einmal mehr sorgen 52.000 zahlende Besucher für eine ausverkaufte und imposante Kulisse. Ich setze mich auf mei- nen Platz und in dem Moment fangen die „Florians“, unsere Haus- und Hofband, an, in die Tasten zu hauen. Hat man denn nie vor denen Ruhe? Egal ob du in Warschau aus dem Bus steigst und zur Fanparty gehst oder in Ruhe Wintersport sehen möchtest – die Jungs sind immer dabei! Aber dann singen sie wenigstens noch von Königsblau und versuchen

167 nicht, eher schlecht als recht, zu imitieren. Schuster, bleib’ bei deinem Leisten!

Einige Damen hinter mir monieren die ausgesprochene Fri- sche in unserem Tempel. Ja, liebe Arena-Touristen, im Phy- sik-Unterricht mal wieder nicht aufgepasst, gelle? Ich möchte hiermit ebenfalls einmal gerne kurz der Aufklärungsarbeit dienen. Die Donnerhalle ist ca. 55 m hoch, ca. 225 m lang und ca. 187 m breit. Es ergibt sich ein Raumvolumen von ca. 1.7Mio m3. Die Bausubstanz besteht zu 99,9 % aus kaltem Stahl und eiskaltem Beton. Nun geht’s los: Warme Luft, egal woher sie kommen mag, ist leichter als kühle, steigt demnach nach oben. Verstärkt wird dieses thermische Phänomen (ge- nant: Kamineffekt) bei einem offenen Dach (und das Dach der Donnerhalle ist, Dank einer Flügelkonstruktion, immer offen). Die Folge ist ganz einfach: Im Sommer ist es in der Donnerhalle stets bedeutend frischer als draußen, im Win- ter ist es drinnen teilweise sogar schweinekalt. Aus diesem Grunde gibt es „Carmen“ nur im Sommer und Biathlon im Winter. Also immer lieber einen Pulli mehr mitnehmen! Den Unterschied zwischen gefühlter und gemessener Temperatur möchte ich im übrigen an dieser Stelle nicht näher erläu- tern.

Das Drumherum langweilt mich so langsam und ich muss an Deppi denken, der konsequent diese Veranstaltung boykot- tiert. Wegen ihres leicht bajuwarischen Touches. So schlimm finde ich es nun auch nicht. Beim Prominentenschießen be- weist Thomas Kläsener, dass er nicht nur mit der großen Le- derkugel gut umgehen kann. Um mich herum einige fragende Gesichter. Wann geht denn nun das eigentliche Rennen los? Die meisten Besucher in der Donnerhalle scheint dies aller- dings nur nebensächlich zu interessieren. Vielmehr sollte die Veranstaltung tatsächlich in „BIERathlon“ oder auf den Na- men: „Wie schaffe ich es, in möglichst kurzer Zeit die strah- lend weiße Donnerhalle zu betreten und in möglichst kurzer Zeit blau zu werden?“, umgetauft werden.

168 Der Stimmung selbst tut dies natürlich gar keinen Abbruch. Ausgelassen und entspannt dreht die La Ola ihre Runden (eigentlich ziemlich makaber wenn man bedenkt, dass fast zeitgleich fast 300.000 Menschen in Asien ihr Leben bei der Tsunami-Flutkatastrophe verloren haben) und beim eigentli- chen Hauptrennen werden alle Biathleten, egal welcher Nati- on, angefeuert, als würden die Blauen gerade ihre Sturm- und Drangphase haben.

Lustig wird’s allerdings, wenn unser Schalker Schlachtruf tausendfach erhallt, da er eine ganz neue Bedeutung erhält: „Macht sie alle, schießt sie aus der Halle!“ Wer das Rennen gewonnen hat? Ich glaube es waren zwei Norweger. Auf je- den Fall konnte er, der männliche Part, wesentlich besser deutsch sprechen als Ailton. Aber was juckt es uns? So lange der Junge für uns Tore schießt. Oder was juckt es die Eiche, wenn der Eber sich dran reibt?

Ich erinnere mich noch glänzend an den Moment der Sie- gerehrung, als unser Schalker Finanzminister Josef „Jupp“ Schnusenberg den güldenen Pokal übergibt. Wahrscheinlich wusste er in diesem Moment bereits, dass man innerhalb weniger Stunden mehr Glühwein verkauft hatte, als es der gesamte Gelsenkirchener Weihnachtsmarkt in drei Wochen geschafft hatte.

Tja, liebe Schalker Fangemeinde, man kann zu diesen „Zu- satzveranstaltungen“, wie sie ja genannt werden, stehen wie man will, aber so (re)finanziert man Veranstaltungsstätten, Fußballstadien. Es sei denn, Papa Staat hat einen ganz doll lieb und greift einem, wie den Gebrüdern Hoeneß, mit Fi- nanzspritzen, die so groß sind wie eine Rakete, tüchtig unter die Arme. Man kann es aber auch anders ausdrücken: Mit einer solchen Zusatzveranstaltung kann man prima einen neuen Spieler verpflichten.

Und das ist die Bombe des Tages: Der Junge heißt Mimoun Azaouagh (wie spricht man den Namen nur richtig aus?) und

169 kickt ab sofort bei uns. Den Namen noch nie gehört? Er gilt als Supertalent, ist sechsmaliger (deutscher) U21-National- spieler, spielt im offensiven Mittelfeld, kommt vom Ligakon- kurrenten und Aufsteiger Mainz 05 und erhält einen Vertrag bis zum 30. Juni 2009. Über die Höhe der Ablösesumme wurde natürlich Stillschweigen vereinbart. Gehen wir mal da- von aus, dass der Getränkeverzehr des heutigen Tages diesem Transfer zu Gute kommt. Mit dieser Personalentscheidung ist für uns klar, dass unser Management eine klare Linie fährt und im WM-Jahr 2006 sicherlich mindestens vier bis fünf Jungs in unserem Kader stehen werden, die den Bundesadler auf der Brust tragen werden. Unser neuer Asa II - wie ich ihn ab sofort nennen werde - absolvierte bis heute acht Bundesli- gaspiele und 48 Zweitliga-Partien. Er ist zwar noch verletzt, aber schenkt man den Aussagen unserer Verantwortlichen Glauben, dann ist der Junge bald wieder fit und ein richtig, richtig Guter, der uns bereits in der Rückrunde im Kampf um die angestrebten Titel weiter nach vorne bringen wird.

Auf diese erfreuliche Nachricht hin verdrücken wir noch ein kleines Erfrischungsgetränk, bestaunen das großartige Feuerwerk in der Halle und machen uns glücklich, aber er- schöpft auf den Heimweg. Und soll ich mal ehrlich sein? Ich freue mich jetzt schon wie ein Schneehase, wie vorhin die Schlittenhunde auf ihre Ehrenrunde, auf das Erste Bundesli- ga-Heimspiel des Jahres 2005, wenn wir in unserem Wohn- zimmer die Gerda aus Bremen empfangen.

170 22.01.2005 (Rückrundenstart) Schalke 04 – Werder Bremen • 2:1

Viel zu lang ist die Win- terpause in dieser Saison. Oder kommt mir das nur so vor? Ein Blick in mein Tagebuch bestätigt meine gefühlte Abstinenz. Am 11. Dezember war unser letz- tes Spiel. Fünf Wochen ohne Fußball, ohne Emo- tionen, ohne Leidenschaft sind seitdem still und leise ins Land gezogen. Der Ärger über das späte Ausgleichstor und die verpasste Tabellenführung ist längst verzogen. Viel zu heiß bin ich auf den Rückrun- denstart, scheint doch tatsächlich bei unserer Truppe mehr möglich zu sein, als wir noch vor der Saison zu hoffen gewagt hätten. Der Tanz auf drei Hochzeiten geht weiter.

Zwar tippten in der Winterpause die meisten Trainer, ge- wohnheitsgemäß, auf die Münchener Schalendiebe als hei- ßesten Titelanwärter, aber die zunehmenden Spitzen und verbalen Attacken, die Ulli Hoeneß von seinem Weißwurst- äquator an unsere Adresse schickt, zeugen von großem Re- spekt, der uns gezollt wird. Berechtigt!

Würden wir der legendären Carmen Thomas (das ist die Dame, die sich im „Sport-Studio“ mal den „Schalke 05-Ver- sprecher“ leistete) glauben, dann hätten wir in unserem jetzt gerade beginnenden Geburtstagsjahr (Teil II) doch noch eine zweite realistische Chance auf zumindest einen Titel. 100 Jahre Schalke – die Party geht weiter!

Wir wollen den Titel! Wir sind reif dafür! Und wir sollten offensiv damit umgehen. Wir alle gemeinsam: Fans, Mann- schaft, Vorstand. Einfach alle, die sich nichts mehr wün- schen, als dass wir diese verdammte Salatschüssel endlich

171 mal wieder in den Händen halten. Wir müssen dafür leben, alles dafür geben, daran glauben. Genau dieser fehlende Op- timismus, diese fehlende Zuversicht hat uns, da bin ich mir ziemlich sicher, 2001 die Meisterschaft gekostet. Also Jungs, packen wir es an. Ich will endlich diese verdammte Schale an der Emscher sehen!

Samstag, der 22.01.2005, Rückrundenauftakt gegen Werder Bremen. Nicht nur der amtierende Deutsche Meister, sondern fast schon unser Angstgegner. Seit dem Jahr 2000 haben wir gegen diese Mannschaft im heimischen Gelsenkirchen nicht mehr gewinnen können. Nach der weiteren Verpflichtung eines Bremers in der Winterpause, nämlich der von , hat dieses Spiel sicherlich nicht unbedingt an Brisanz verloren. Wie gewohnt ist die Partie seit Wochen ausverkauft und man merkt in der Woche vor dem Spiel, wie bei allen Beteiligten Kribbeln und Anspannung wachsen.

Am Tag vor dem Spiel ruft mich, völlig überraschend, Mike „Bujo“ Büskens, einer unserer ehemaligen Eurofighter und mittlerweile Co-Trainer der Amas an und schimpft (zurecht) als erstes über die Endung meiner Rufnummer, der 09. Vor gut einem Jahr hatte ich Mike, im Rahmen eines Interviews, welches ich mit ihm für das „Sprachrohr“ (dem Magazin des SFCV) führte, persönlich kennen lernen dürfen. Scheinbar hatte er sich mein Gesicht gemerkt. Denn er fragt mich, nach- dem er zu Ende gemeckert hat, ob ich als Arena-Gästeführer morgen Zeit hätte, mit ihm und einigen seiner Lieben, eine kleine Gruppe exklusiv durch die Donnerhalle zu führen. Kla- ro sage ich sofort zu und so befinde ich mich heute vor dem Spiel nicht wie gewohnt im Café Central, sondern direkt in den heiligsten Bereichen der Donnerhalle.

Wir laufen durch die bereits fertig ausgestattete Kabine, schießen kurz einen Elfer auf dem heiligen Rasen, geben vor der ARD-Werbetafel ein gespieltes Interview und ich spüre diese Hektik, die in den Katakomben herrscht. Eine ganz an- dere Art, sich auf das Spiel vorzubereiten.

172 Mir bleibt nach dem damals geführten Interview und dieser Privatführung nichts anders übrig als zu sagen: Der Mike ist einfach nur töffte! Ein echter, bekennender Wahl-Gelsen- kirchener und natürlich Schalker obendrein. Nach gut zwei Stunden Arena-Tour verabschiede ich mich von Bujo und sei- nen Gästen und unsere Wege trennen sich. Hoffentlich nicht für immer. Er begibt sich in das Incentive-Modul „Schalker Markt“, während ich mich zu meinem Block hoch begebe.

Es ist schon ein komisches Gefühl und natürlich auch eine ganz andere Perspektive: Gerade noch in der Spielerkabine, in den Katakomben, auf dem Spielfeld – und nun hier oben, weit weg vom Geschehen, den Blick nach unten statt nach oben gerichtet.

Die Spieler laufen endlich ein, wärmen sich auf. Ich fühle, wie mich ein wohliger, angenehm warmer Schauer durchfährt. Endlich hat der Samstag wieder einen Sinn. Vorbei die Tage der Spaziergänge am Kemnader Stausee, dem sinnlosen Ein- kaufsbummel durchs CentrO Oberhausen. Endlich ist wieder Fußballzeit.

Da ich noch relativ früh dran bin, nutze ich noch schnell die verbleibende Zeit und fülle meine Knappenkarte mit einem üppigen Betrag auf. Das sollte für die nächsten drei bis vier Spieltage reichen. Man darf auf Schalke sicherlich alles, nur nicht knapp bei Knappe sein! Da auch der Bierstand mit ei- ner relativ kurzen Wartschlange auftrumpft, beschließe ich kurzfristig, noch eine Rutsche Bier zu holen, um meinen Sitz- platznachbarn eine kleine Freude zu bereiten.

Der tolle, neue, Sechserträger, den die Cateringabteilung vor einige Monaten auf den Markt gebracht hat, bewährt sich einmal mehr als eine der sinnvollsten Erfindungen, die die Donnerhalle zu bieten hat. Auch wenn mich das Teil fast doppelt soviel kostet wie mein Eintrittsticket. Nun kann es endlich losgehen.

173 Das Vereinslied lauthals geschmettert, diesmal die Mann- schaftsaufstellung noch mitbekommen, pfeift der im häss- lichen schwarz-gelb gekleidete Schiri die Partie endlich an. Die erste Halbzeit hält nicht, was wir uns von ihr verspro- chen haben. Bremen ist der erwartet starke Gegner und wir sind wirklich alle froh, dass wir das 0:0 in die Halbzeit retten können. Das Übliche: erst einmal wieder neu sammeln, neu sortieren und dann mit neuem, frischem Elan auf den Platz kommen.

Die zweite Halbzeit sollte uns dann tatsächlich doch noch für alles entschädigen. Sie ist an Dramatik kaum zu über- bieten und sorgt noch lange für Gesprächsstoff. Sie wird so manchem von uns mal wieder einige wertvolle Minuten des Lebens gekostet haben. Aber hübsch-fein der Reihe nach.

Die Plätze bei uns im Block sind noch nicht alle eingenom- men, da verursachen die Bremer einen unnötigen Eckball direkt vor unseren Augen, direkt vor der Nordkurve, vor dieser Wand in blau und weiß. Irgendwie landet Micouds verunglückter Befreiungsschlag bei unserem Gerald, der mit- tlerweile bedingt durch eine klaffene Fleischwunde an der Backe mit einem Kopfverband spielt. Einem Verband, der ei- nem Wasserballer alle Ehre machen würde. Gerald trifft von Höhe des Elfmeterpunktes den Ball optimal und der fliegt, unhaltbar für Reinke, zum 1:0 (48.) in den Maschen.

Der Jubel ist riesig. Eine Zentnerlast fällt uns allen vom Herzen, Doch während wir uns im Wirrwarr eines riesigen Menschenknäuels noch gegenseitig abklatschen und selbst feiern, folgt auch schon die Reaktion der Bremer. Ebenfalls ein Eckball . Plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Pfiff. Elfmeter für Bremen, die gelbe Karte für Christian Poulsen. Dieser soll beim Versuch eines Kopfballs regelwidrig behindert haben. Von meiner Position aus, am anderen Ende des Stadions, ein Zweikampf im Strafraum wie es ihn wäh- rend eines Spiels x-fach gibt. Eine brachenübliche Rangelei und Zerrerei. Allerdings ergibt die Summe aller dummen

174 Fouls von Christian heute vielleicht diesen Strafstoß. Auch die Zeitlupenbilder am späteren Abend werden mich nicht überzeugen. Aber was soll es. Nützt jetzt eh nichts. Der Schiri hat gepfiffen und der Elfmeterkiller Frank Rost ist machtlos. Valerien Ismael verwandelt souverän zum 1:1 Ausgleich. Zwei Tore in nur drei Minuten, die Führung leichtfertig verspielt, alles beginnt wieder von vorne.

Und wie! Der kollektive Aufschrei der Empörung, der nun in der Arena erfolgt, dürfte das Lautstärkemessgerät der Arena gesprengt haben. Kobiashvili überläuft das gesamte Mittelfeld, steht fast schon völlig frei vor Reinke, als Isma- el irgendwie noch von der Seite in den Strafraum geflogen kommt. Anstatt die 3:1-Überzahlsituation zu nutzen und auf die in der Mitte frei stehenden Asamoah und Ailton zu spielen, entscheidet sich Kobi noch drei Meter zu gehen. In diesem Moment fährt ihm der Bremer Abwehrspieler von der Seite voll in die Beine, dass es nur so kracht. Levan, mit einer schäbigen Blutgrätsche von den Beinen geholt, kommt zu Fall. Ein ganz klarer Elfmeter! Denkste!

Der Schiedsrichter blickt unsicher zu seinem Linienrichter. Dieser hat bis jetzt sämtliche Entscheidungen falsch getrof- fen und zeigt gar nichts an - und so lässt der Schiri weiter- spielen. Ein wahrer Orkan der Empörung überkommt das Stadion. Die halbe Schalker Mannschaft rennt hinter dem Unparteiischen her, möchte ihm am liebsten an die Wäsche. Bordon knallt vor lauter Rage den Ball vor die Werbetafel und als der Schiri nur Sekunden später einen klaren Einwurf für uns auf einmal den Bremern zuspricht, ist fast alles vorbei. In –Manier stürmt unser Frank Rost auf den Mann in schwarz-gelb zu und bläst ihm tüchtig den Marsch.

Tumultartige Momente in denen uns Zuschauern eine Art Ohnmacht überkommt. Eine schreiende Ungerechtigkeit! Die ganze Welt hat sich gegen uns verschworen. Natürlich hockt der DFB mit dem FC Bayern unter einer Decke. Ach, Quatsch, der halbe DFB besteht ja aus dem FC Bayern. Man

175 gönnt dem Arbeiter-, Proleten- und Polackenverein Schalke 04 die Meisterschaft nicht. Niemals wird auch nur ein ein- ziger Schalker vergessen, wie der eigentlich neutrale DFB- Präsident beim legendären vier-Minuten-Meisterschaftsspiel jubelnd dem Kaiser „Firle-“ Franz in den Armen lag, ihm halb um den Hals hing. „Fußball-Mafia DFB“ schallt es durch das Stadion. Alles steht, selbst die Fans auf der Gegengeraden und der Haupttribüne.

Die Donnerhalle, ein Hexenkessel. Jede Bremer Ballberüh- rung wird von einem gellenden Pfeifkonzert begleitet, so dass man sich nur noch die Ohren zuhalten kann. Die Fans haben königsblauen Schaum vorm Mund. Ähnlich wie beim Hin- spielsieg gegen Bochum ist das Stadion, nach einer eklatanten Fehlentscheidung zu unseren Ungunsten, plötzlich hellwach, macht mit allem was geht Krach. Richtig geile Fußballstim- mung treibt die Mannschaft an und diese scheint tatsächlich den Kampf erneut aufzunehmen. Jetzt sind wir wach, jetzt geht’s los! Bissig gehen die Jungs in alle Zweikämpfe, wollen nun unbedingt die Entscheidung.

Kobiashvili spielt einen langen Ball auf Asamoah. Dieser, heute mal wieder bester Mann auf dem Rasen, stürmt frei auf Reinke zu, spielt dann jedoch quer rüber zu Ailton und der braucht die Pille nur noch zum 2:1 ins leere Tor zu schieben. 2:1 für die Blauen (67.). Ausgerechnet Ailton. Gänsehautat- mosphäre. Fliegende Bierbecher, egal wo man nur hinschaut. Selbst vor den Logen und auf den Business Seats wird vor Freude und Ekstase wild durch die Gegend gehüpft.

Dieses Mal protestieren allerdings die Bremer. Ailton soll im passiven Abseits gestanden haben. Auch diese Aufregung, so beweist die Torwiederholung auf dem Videowürfel, ist be- rechtigt. Das Schirigespann bleibt seiner Linie treu und pro- duziert eine Fehlentscheidung nach der anderen. Die Note 5.5 in der Montagsausgabe vom Kicker haben sie sich redlich verdient.

176 Für uns ist es natürlich nichts anderes als ausgleichende Gerechtigkeit. Elfmeter verweigert, beim passiven Abseits weiterspielen lassen, da gibt es nichts zu meckern! Bis zur letzten Sekunde bleibt das Spiel spannend, gibt es Großchan- cen auf beiden Seiten, bieten uns beide Teams einen tollen Offensivfußball. Als nach exakt 90 Minuten der Schiri, zur Verwunderung aller fast schon überpünktlich, die Partie abpfeift, ist der Jubel in der Donnerhalle riesig. Ein wenig glücklich gewonnen, ein dolles, rassiges Spiel gesehen, den Bayern auf den Fersen geblieben, besser und spannender hät- te der Rückrundenauftakt kaum laufen können.

177 29.01.2005 1. FC Kaiserslautern – Schalke 04 2:0

Nach diesem tollen Start in die Rückrunde ist vor dem Spiel auf dem Betzenberg das Selbst- bewusstsein und die Euphorie bei uns mal wieder in den Him- mel gewachsen. Zurecht! Selbst Andreas Müller gibt (bei einem leichten Augenzwinkern) zu, dass er selbst mittlerweile fest an die Meisterschaft glaubt. Und zwar nicht nur weil die Mannschaft über ein Riesenpotential verfügt, sondern weil man merkt, dass der mannschaftliche, geschlossene Wille etwas ganz Großes zu schaffen, derzeit fast schon zu Greifen nah ist. Die Spieler seien reifer als noch vor vier Jahren, seien „geil“ darauf, die- ses Jahr das Unmögliche zu schaffen. Das könne am Ende den Unterschied ausmachen, so Andi. Es tut gut so etwas von unserem Teammanager zu hören. Wenn einer Ahnung von Fußball haben sollte, dann doch bitte sicherlich er. Ab Samstag sind es nur noch 112 Tage bis zum Titelgewinn!

Dass unterhalb der Woche, vor immerhin 52.000 zahlenden Besuchern, in der Donnerhalle auch noch das Benefizspiel zugunsten der Flutopfer in Südostasien stattfand, geht in diesen Tagen vor lauter Trubel fast unter. Dabei darf doch unser Shootingstar Christian Pander erstmalig den Adler auf der Brust tragen, Asa erzielt sogar den zwischenzeitlichen 2:1 Führungstreffer gegen die Bundesliga-All-Star-Auswahl.

Der Trubel wird allerdings durch eine andere Meldung ent- facht: Die Deutsche Fußball Liga hat einen neuen Skandal. Einen Wett- und Bestechungsskandal. Erinnerungen an 1972 und den „FC Meineid“ werden wach. Gut, dass ich da- mals noch im Erbsenglas saß. Es soll für Schalke-Fans kei-

178 ne schöne, keine lustige Zeit gewesen sein. Robert Hoyzer heißt der Übeltäter, der den Stein ins Rollen gebracht hat. Er ist 25 Jahre jung, Schiedsrichter und gibt zu, Spiele für Geld „verpfiffen“ zu haben. Eine schlimme Sache. Vor allem, weil zu erwarten ist, dass dies erst die berühmte Spitze des Ei(ch)sberges ist. Der Tropfen auf dem heißen Stein. Die Ent- wicklung in dieser einen Woche war auf jeden Fall rasant. Am Montag die erste schlimme Vermutung, am Dienstag alles abgestritten, am Mittwoch alles zugegeben, am Don- nerstag die kroatische Wettmafia als Strippenzieher enttarnt, am Freitag erstmalig die Behauptung verbreitet, es würden weitere Schiris, aber auch Spieler und Funktionäre mit im sinkenden Boot sitzen. Nachtigall, ick hör dir trapsen! Der Fall Hoyzer, er wird uns wohl noch einige Tage und Wochen beschäftigen. Auch weil der Frankfurter DFB-Clan in diesen ersten Tagen noch nicht so wirklich mit dem Thema umzu- gehen weiß. „Erst wenn der Schnee geschmolzen ist, kommt die Kacke darunter zum Vorschein!“.

Was jedoch länger bleiben wird, ist der Imageschaden. Der Schaden für den deutschen Fußball, und das genau ein Jahr vor der WM im eigenen Land. Ganz zu schweigen von dem Schaden für die Fußballfans und natürlich auch für die Schiedsrichter selbst. Ich höre heute schon die Gesänge in den Stadien: „Schiri, hol’ denn Wettschein raus!“. Da erhalten unsere Schmährufe vom letzten Samstag in der Donnerhalle („Fußballmafia DFB“; „Schiebt den Bayern die Schale in den Arsch!“) doch eine ganz neue Qualität. „Ihr macht unseren Sport kaputt!“

Werden wir Fußballsfans nicht schon lange durch unsinnige Pfiffe gequält? Was führt denn dazu, dass wir mit Schaum vor dem Munde anfangen, „Schiiiiieber, Schieber“ zu schreien? Weil die Ungerechtigkeit gen Himmel schreit und stinkt und der Schiri die berühmt berüchtigten Tomaten auf den Augen hat! „Schieber“ kommt doch von Schiebung, oder? Halte nie- mals einen Fußballfan, der ein feines Gespür für Ungerech- tigkeit hat, für doof! „Ihr macht unseren Sport kaputt!“.

179 Und wer bitte schön, der nicht selber schon einmal gekickt hat, hat noch nie davon Wind bekommen, dass in der Kreis- klasse C für eine Kiste Bier oft mal ein Spiel kippt, oder durch eine kuriose, äußerst großzügige Spende in die Mannschafts- kasse, auf einmal die Abschlussfahrt nach Mallorca finanziert werden kann? „Ey, Schiri – das war nie und nimmer ein El- fer!“ – „Wetten doch?“

Wenn es nicht so traurig wäre. Der Schaden für uns Fans jedenfalls ist immens. Und als wir am Samstag im voll besetz- ten Bus endlich Richtung Pfalz düsen, ist selbstverständlich der Skandal unser Thema Nummer eins. Hoffentlich hängen wir Blauen da nicht mit drin. Das würde einigen von uns das Genick brechen. Aber so schlimm wird es schon nicht kom- men. Wir gönnen uns den Spaß und besprechen die Ergeb- nisse dieses Spieltages (wir gewinnen 2:0) und fahren daher als haushoher Favorit nach Lautern. Lasst uns bitte schnell wieder über Fußball reden!

„Uff dem Betze“ haben wir die letzten zwei Bundesligaspiele und natürlich auch das sensationelle Pokalspiel gewonnen. Wir haben sogar, um der Statistik mehr Nachdruck zu ver- leihen, die fünf letzten Auswärtsspiele in der Bundesliga alle- samt gewonnen. Was soll also heute noch schief laufen? Wir müssen nur an die zweite Halbzeit vom letzten Heimspiel gegen Bremen anknüpfen und die Betzebuben werden kein Land mehr sehen. Leider kommt es - wie so oft - anders, als man denkt.

Tatsächlich dominieren und bestimmen wir zwar das Spiel, haben wahrscheinlich mindestens 80 % Ballbesitz, mittler- weile ein Eckballverhältnis von 8:0 zu unseren Gunsten, aber trotzdem hat man irgendwie das ungute Gefühl, dass das heute nichts wird. Von wegen an die zweite Halbzeit vom Bremenspiel anknüpfen! Irgendwie fehlt mir heute das Feuer, der zwingende Wille, die Leidenschaft, von der Andi Müller noch unterhalb der Woche sprach. Und auch im Stadion, bei den Fans, ist heute irgendwie kein Pepp drin. Die Lauterer

180 Fans hört man überhaupt nicht. Die ehemalige Hölle Betzen- berg ist es derzeit nicht einmal wert, als Höhle bezeichnet zu werden. Einzig entfacht wird eine Woge der Begeisterung, als Ende der ersten Halbzeit die roten Teufel zum ersten Mal in unsere Hälfte eindringen können. Respekt! Man kann halt auch mit wenig zufrieden sein.

Zu Beginn von Halbzeit zwei semmeln Ebbe und Lincoln zwei Großchancen daneben. Dann fällt auch noch Bordon verlet- zungsbedingt in der 53. Minute aus. Und während sich im Stadion alle so langsam aber sicher auf ein langweiliges 0:0 einstellen, vollendet Amanatidis einen, zugegeben, nett vor- getragenen Angriff aus knapp 15 Metern zum 1:0 (56.). Null Chancen dabei für Rost. In den folgenden Minuten versuchen die Blauen, mehr über Krampf als über Kampf, den Ausgleich zu erzielen. Aber es ist eines dieser Spiele, bei denen wir si- cherlich noch drei Tage lang spielen könnten und nichts pas- sieren würde. Ailton vergibt die Riesenchance zum Ausgleich und im direkten Gegenzug legt unser Ex-Knappe Jochen Seitz, mittlerweile eingewechselt, eine astreine Schwalbe im Sechzehner auf den Tisch. Eine Schwalbe, die sich wirklich gewaschen hat. Trotzdem, es gibt Elfmeter! So erzielt zumin- dest ein Gelsenkirchener bei diesem Bundesligaspiel heute ein Tor: Der ehemalige Schüler des Gauß-Gymnasiums, Ste- fan Blank, verwandelt den gegebenen Strafstoß souverän zum 2:0. Das Spiel ist gelaufen. Peinlich, dass Amanatidis weder die rote Karte erhält, geschweige denn sich dafür entschul- digt oder gar schämt, dass er bei einem Zweikampf in der vorletzten Minute unserem Tomasz Waldoch fast den Kopf abschlägt. Das ist Fußball, nicht Kung Fu! Was will man von so einem auch schon erwarten?

Völlig sinnlos haben wir einmal mehr einen bzw. drei Punkte verschenkt. Stuttgart verliert ebenfalls daheim, die Bazen ho- len nur einen Punkt in Berlin - umso ärgerlicher! Wir hätten heute Tabellenführer werden können. Was soll es, starten wir ab nächster Woche, auch wenn Asa und Kobi, aufgrund ihrer fünften gelben Karte gesperrt sein werden, eine neue

181 Serie. Im Kampf um die Meisterschaft ist noch lange, lange nichts entschieden.

Das Anstrengendste dieses Tages folgt allerdings noch: Helge hat sich, wohl um seinen Kummer und Stress der vergan- genen Woche ein wenig abzubauen, auf der Hinfahrt drei bis vier Pils gegönnt, die ihm allerdings ein wenig auf den Magen geschlagen sind. So tragen Goe und ich den 140 Kilo- gramm-Mann vom Betzenberg zum Busparkplatz hinunter. Die Muskelkatze für morgen ist vorprogrammiert.

Wir beschließen, über das heutige Spiel nicht mehr zu re- den und wenden uns auf der Rückfahrt lieber einigen Erfri- schungsgetränken und dem Wettskandal zu. Daheim ange- kommen, ist das Spiel dann auch schon lange, für immer und ewig, aus dem Lang- und Kurzzeitgedächtnis gestrichen und verbannt („wie, wir haben heute in Lautern gespielt?“).

182 05.02.2005 Hansa Rostock – Schalke 04 • 2:2

Die Geburtstagswoche fängt ja toll an. Als mich die Nachricht am Montagfrüh erreicht, stehen mir sofort die Nackenhaare zu Berge. Bujo liegt im Krankenhaus. Man hat ihn in ein künstli- ches Koma versetzt. Er hat wohl irgendeinen saudoofen Virus eingefangen (den selbst die Jungs vom Tropeninstitut in Hamburg nicht einordnen können) und eine Sepsis. Er ringt mit dem Tod.

Unglaublich! Vor zwei Wochen war ich noch mit ihm und seiner Familie gemeinsam in der Arena, wir haben zusam- men gescherzt und geulkt. Und nun das. Da rückt der Fußball aber so was von Ruckizucki in den Hintergrund. Bujos Gäste- buch auf seiner Homepage droht fast zu explodieren. So viele Einträge und Genesungswünsche in wenigen Stunden hat es wohl noch nie gegeben. Wir sind bei dir, Mike, beten für Dich, komm’ bitte ganz, ganz schnell wieder auf die Beine!

Am Dienstag ist es dann endlich soweit! Zwar ist mir immer noch nicht so richtig zum Feiern zumute, aber ich habe soe- ben mein dreißigstes Lebensjahr vollendet. Unglaublich, wie schnell die Zeit vergeht. 30 Jahre Oli4. Davon habe ich einen Großteil zusammen, gemeinsam des Weges, Hand in Hand, mit dem FC Schalke 04 bestritten.

Wie sollte ich aber nun meinen Geburtstag zelebrieren? Ich habe mich nach langem Hin und Her, nach ausführlichen und intensiven Abwägungen dazu entschlossen, meine dies- jährige Geburtstagsfeier auf eine ganz besondere Art und Weise zu begehen. Eine der bescheuertsten Ideen, die mir je untergekommen ist. Ich habe für Samstag eine Schildkröte gemietet mit der ich, gemeinsam mit meinen besten Freun-

183 dinnen und Freunden, die Stadt Rostock ansteuern werde. Natürlich werden zufälligerweise die Blauen dann auch dort spielen, aber das ist selbstverständlich nur ein beiläufiges Nebenprodukt dieser Tour. Der Weg ist das Ziel.

Ist das nicht bekloppt? Eine Auswärtsfahrt in der Schildkröte zu einem Spiel bei Hansa Rostock als Geburtstagsfeier. Die Idee scheint so schlecht gar nicht anzukommen. Selbst meine Schwester aus Frankreich und mein Cousin aus Bonn (die mit Fußball normalerweise soviel zu tun haben, wie ich mit Bal- letttanzen), die Bande rund um den Zaubermario und meine Handballjungs sagen geschlossen zu. Das wird ein Spaß! So verbringe ich die halbe Woche damit, einzukaufen. Gar nicht so einfach eine Party in einem Bus für 45 Leute zu planen und zu organisieren. Wir werden um 5.30 Uhr ab Gelsenkirchen losfahren und wahrscheinlich vor Mitternacht nicht daheim sein. Was muss man da wohl alles besorgen? Es soll ja nie- mand auf dem Trockenen sitzen.

Bis Freitag ist die Schildkröte dann endlich komplett bepackt. Theoretisch kann es jetzt losgehen. Gott sei Dank trifft am Freitag morgen noch die Nachricht ein, dass sich Bujos Zu- stand erheblich gebessert hat und er wohl über den Berg ist. Zumindest liegt er jetzt nicht mehr im Koma und er hat auch schon wieder feste Nahrung zu sich nehmen können. Das verbessert unser aller Laune doch schlagartig!

Sportlich betrachtet wird uns in Rostock ein äußerst schweres Spiel erwarten. Wir müssen unbedingt gewinnen, um ganz oben mit dabei zu bleiben. Für Rostock ist es wohl die letzte Chance, um eventuell doch noch die Klasse halten zu können. Allerdings macht sich unterhalb der Woche Ernüchterung im Schalker Fanlager breit. Kobi und Asa sind gesperrt, Kam- phuis und Varela (wie leider allzu oft) verletzt, kurz vor An- pfiff wird noch die Unmöglichkeit eines Einsatzes von Bordon (Oh nein – gerade er wird fehlen!!!) und Pander bekannt gegeben. Auf deutsch gesagt: Wir fahren mit einer Rumpfelf, mit einer B-Truppe in den Osten. Vier entscheidende Leis-

184 tungsträger werden nicht auflaufen können. Es ist genau das passiert, was um jeden Preis nicht passieren durfte.

Die Schalendiebe aus München haben eine halbwegs adä- quate Ersatzbank. Bei uns werden morgen Hanke, Delura, Lamotte, Hoogland, Niko Bungert und Ahmet Cebe (schon einmal den Namen gehört?) mitfahren. Nichts gegen diese Jungs, aber die Namen aus München, die in solchen Fällen zum Einsatz kommen, klingen da schon ganz anders! Da kannst du nichts machen. Müssen diese Jungs halt die Kas- tanien für uns aus dem Feuer holen. Müssen sie halt den Ro- stocker Abstiegskampf annehmen, Moral beweisen, dagegen halten. Immerhin ist Rostock noch Tabellenletzter, hat noch kein einziges Heimspiel in dieser Saison gewinnen können. Warum also gerade heute?

Die Tour nimmt einen sensationellen Verlauf. Gut gelaunt sind fast alle pünktlich um 5.30 Uhr da und eröffnen die Par- ty mit einem kleinen Begrüßungspilschen. Nachdem auch Goe mit seiner lieben Steffi eintrifft, geht’s los Richtung Os- ten. Die Reisepässe und Visa sind vorhanden und die Party steigt. War ich doch zu Beginn der Planung noch ein wenig skeptisch, ob denn die Idee, meinen Geburtstag in Verbin- dung mit einer Auswärtsfahrt komplett in einem Bus zu fei- ern, gut ankommen würde, so entwickelt sich eine der geils- ten Partys, die ich je miterlebt habe. Egal ob Männlein oder Weiblein, Fußballfan oder nicht, alle rocken tierisch gut mit. Mehr intime Details zum näheren Verlauf werden niemals an die Öffentlichkeit gelangen.

Als wir in Rostock gegen 14 Uhr eintreffen, haben meine 45 Gäste, darunter immerhin auch zehn Damen, bereits insge- samt bereits 17 (!!!) Kästen Bier, etliche Flaschen Rotwein und andere fiese Spirituosen geleert. Kein Wunder, dass die Stimmung einfach nur geil ist!

Bei strahlendem Sonnenschein betreten wir also, manche unter uns zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt, das

185 Fußballstadion. Wir nehmen ein schönes Eckchen Stehplatz- bereich für uns in Beschlag. Ehrlichweise muss ich zugeben, dass manche von uns nicht nur wenig vom Fußballspiel ver- stehen, sondern auch nicht viel davon sehen. Auch ein Ni- ckerchen muss halt mal sein. Hauptsache lustig!

Zum Spiel selbst: Wie schon zu erwarten war, läuft eine völlig neu formierte Schalker Mannschaft auf. Rostock kämpft um seine letzte Chance, in der deutschen Eliteliga zu bleiben. Das erste Tor des Spiels jedoch macht zu unser aller Freude Ebbe Sand. Fast eine halbe Stunde lang war von den Blauen zuvor kaum etwas auf dem Platz zu sehen, als ein überraschender, schöner Angriff über die rechte Seite über Ailton zu einer Flanke führte, die in der Mitte Mike Hanke erreicht. Dieser spielt blitzschnell zu dem neben ihm herein laufenden Ebbe Sand weiter, dessen Schuss, noch leicht abgefälscht, zu einer unhaltbaren Bogenlampe für Matthias Schober wird. 0:1, 25 Minuten gespielt. Jubelnd liegt sich die Geburtstagsgesell- schaft in den Armen. Selbst die Mädels. Werden wir sie etwa auf ihre alten Tage doch noch für den Fußball begeistern?

Auf jeden Fall ist das doch ein Geschenk des Himmels, ein Drehbuch, wie ich es schöner kaum hätte selbst schreiben können. Es scheint heute einfach alles zu passen. Bis zur Halbzeit allerdings hat Hansa noch zwei Riesenchancen zum Ausgleich. Glücklichweise werden diese nicht genutzt, ge- nauso wenig wie unsere zwei Chancen, um auf 2:0 erhöhen zu können.

Halbzeit. Erst einmal tief Luft holen, Selbstvertrauen tanken. Vielleicht können wir mit einem weiteren Kontertor den Ro- stockern das Genick endgültig brechen. Das wäre es doch! Man muss kein großer Fußball-Connaisseur sein, um an die- ser Stelle bereits zu erahnen, dass wir nicht der FC Bayern München und daher nicht so planbar sind. Bis zur 66. Minute haben die Blauen das Spiel relativ souverän im Griff. Aller- dings lassen wir auch wieder reihenweise beste Konterchan- cen aus, um auf 2:0 zu erhöhen. Das muss sich zwangsläufig

186 rächen. Dann der Schock: Flanke David Rassmussen, in der Mitte steht der kurz zuvor eingewechselte Prica zehn Meter von Rosts Gehäuse völlig frei, Schuss, Tor. Der Ausgleich. Und was kommt jetzt? Das große Aufbäumen? Unbedingter Siegeswille?

Ja, genau das. Allerdings sehen wir das mit konsternierten, versteinerten Mienen bei der Hansa-Kogge. Unnötiger Ball- verlust im Spiel nach vorne, als alle Blauen gerade in der Vorwärtsbewegung sind. Wieder eine Flanke in die Mitte des Schalker Strafraums. Dieses Mal ein Kopfball aus zehn Me- tern von Arvidsson in den linken Winkel. Keine Chance für Rost. 2:1, eine Viertelstunde noch zu spielen, das Spiel ge- kippt. Das war es mit der Meisterschaft! Aus der Traum! Die Blauen werfen jedoch noch einmal alles nach vorne. Der erst 18-jährige Tim Hoogland kommt zu seinem Bundesligadebüt, spielt noch fünfzehn Minuten lang druckvoll auf der rechten Seite. Hässliche Szenen spielen sich bei den Eckbällen der Schalker ab. Zwei Ordner müssen jeweils mit weit aufgeris- senen Regenschirmen die den Eckball tretenden Schalker Spieler vor Wurfgeschossen schützen. Was die Rostocker da alles in den Taschen haben!

Die gerechte Strafe folgt: Nachdem Allbäck, nach einer dummen Ohrfeige gegen Dario Rodriguez, fünf Minuten vor Abpfiff sogar noch die rote Karte sieht, zeigt der vierte Schiedsrichter zwei Minuten Nachspielzeit an. Diese sind fast abgelaufen, wütende Proteste der Rostocker führen zu einer erneuten Spielverzögerungen und so entscheidet sich der Unparteiische dazu, glücklich für uns, noch einmal 30 Sekunden Nachspielzeit dranzuhängen.

Freistoß für uns an der Mittellinie. Alle Knappen finden sich vorne im Rostocker Strafraum ein. Der Ball wird lang und hoch herein geschlagen, Hanke kommt an den Ball und ver- längert per Kopf auf Ailton. Der zieht aus fünf Metern voll ab und ich sehe nur noch das Netz zappeln. 2:2 und Abpfiff!

187 Die anderen Ergebnisse treffen ein. München hat, wie zu er- warten, daheim gewonnen. Stuttgart spielt gegen den FCK ebenfalls nur remis. Es hat sich also, mal wieder, nichts Grundlegendes in der Tabelle getan. Wir bleiben als Bayern- Jäger Nr. 1 dran. Jetzt muss aber nächste Woche unbedingt gegen Wolfsburg gewonnen werden.

Auf dem Weg zurück zu unserem Bus werden wir von auf- gebrachten Rostockern noch freundlich mit Pflastersteinen beworfen. Ganz großer Sport, Jungs! Anja kriegt sogar einen ab, die Sache geht jedoch glimpflich aus. Gut, dass es bald vorbei ist mit den Auswärtsfahrten nach Ostdeutschland.

Als wir uns endlich alle wohlbehalten im Bus wiederfinden, entscheiden wir uns kurzerhand dazu, uns über den Ausgleich in letzter Sekunde doch noch tierisch zu freuen und spätes- tens nach der ersten halben Stunde Rückfahrt ist das Spiel eh schon wieder vergessen. Wir feiern, singen und tanzen im Bus, bis auch dem Letzten die Augen zufallen. Ich hoffe, dass niemand jemals diese einzigartige Feier und Auswärtstour vergessen wird. Was für ein schöner Tag es doch war!

188 12.02.2005 Schalke 04 – VfL Wolfsburg • 3:0

Nachdem ich mich, vielmehr von der gesam- ten Tour als vom eigentlichen Spiel in Ro- stock, halbwegs gut erholt habe, amüsieren uns im nachhinein die Rostocker doch noch einmal. Da haben die Ostsee-Ossis doch tat- sächlich, in einem Akt der reinen Verzweif- lung, Protest gegen die Wertung unseres Ausgleichstores in der Nachspielzeit einge- legt. Begründung: Der Schiri hätte nur zwei Minuten und keine Sekunde länger nachspielen dürfen, da der Schiedsrichterassistent an der Außenlinie nur zwei Mi- nuten Nachspielzeit angezeigt hätte. In ihrer wahren sport- lichen Größe fügen die letzten Vertreter des ostdeutschen Ballzaubers in der ersten Deutschen Fußballliga sogar noch hinzu: „Der Einspruch beinhaltet nicht die Beantragung eines NachholSpiels. Vielmehr solle die Partie mit 2:1 für Hansa ge- wertet werden. Nach unserem Regelverständnis müsste das Sportgericht unserer Argumentation folgen“. Sensationell, oder? Wie nett die Ossis doch sind! Dabei würde ich total gerne meine Geburtstagstour wiederholen und noch einmal, warum nicht anlässlich eines NachholSpiels, an die Ostssee reisen. Warnemünde ist doch schön! Irgendwie war mir der Punkt eh zuwenig.

Mitten in die Patsche gegriffen hat auch mal wieder unser Manager, indem er unnötig weitere Brisanz in den Schieds- richter-Betrugsskandal gebracht hat. So werden die Schiris uns gegenüber niemals milder gestimmt sein. Was passiert ist? Der geständige Ex-Schiri Robert Hoyzer hat seinen Esse- ner Kollegen Jansen mitbelastet, woraufhin Assi im Rahmen einer Pressekonferenz folgenden Satz von sich gibt: „Dass der Jansen da reinrutscht, überrascht mich nicht. Er ist vom Typ her anfällig“. Um Gottes Willen, Rudi!

Zwar entschuldigt sich Assauer Tage später für diese „un-

189 glückliche“ Äußerung, Freunde gewinnt man dadurch aber sicherlich nicht. Trotzdem finde ich solche kleinen Geschich- ten irgendwie auch klasse. Ist doch eh Länderspielwoche und daher kaum was los.

Mächtig viel los ist allerdings im Schalker Lazarett. Da muss gehegt und gepflegt werden, dass sich die Balken biegen. Der morgendliche Blick auf die Homepage des S04 verspricht in diesen Tagen immer wieder eine neue Überraschung: Bor- don ist und bleibt verletzt. Sicherlich unser größter Verlust. Kamphuis und Pander sind hingegen wieder fit. Asa zieht sich während des LänderSpiels gegen die Gauchos einen Muskel- faserriss zu und muss bereits nach einer halben Stunde aus- gewechselt werden. Wie auch immer - zwei Tage später steht er beim Abschlusstraining auf dem Platz und ist einsatzfähig. Komisch. An einem Muskelfaserriss knabbere ich mindestens drei Wochen lang. Damit aber nicht genug. Krstajic ist dafür auf einmal verschnupft und wird nicht spielen können. Das bedeutet, dass wir morgen gegen den schnellsten Sturm der Liga ohne eigentliche Innenverteidigung spielen. Müssen halt Waldoch und Rodriguez Beton anmischen. Eines ist auf jeden Fall sicher: Wir müssen und wir wollen ganz oben mit dran bleiben, egal wie. Nur fünf Punkte aus den letzten vier Spielen, dass ist viel zu wenig um die Schale an die Emscher zu holen, wahrscheinlich sogar zu wenig für die Champions- Liga. Gut, dass die anderen direkten Mitkonkurrenten eben- falls Federn gelassen haben.

Eine dolle Nachricht gibt es im übrigen in dieser Woche doch noch. Nein, dass Niebaum in Doofmund zurückgetreten ist, interessiert mich nicht. Aber Bujo ist auf dem steilen Wege der Besserung und ist mittlerweile sogar schon von der In- tensivstation runter gekommen. Wenn ich ehrlich bin, die schönste und wichtigste Meldung in dieser Woche, in der es so viel um Verletzungen und Krankheiten ging.

Samstagmorgen die üblichen Rituale. Und draußen schüttet es wie aus Kübeln. Fein, dass unsere Donnerhalle ein Dach

190 hat. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass ich mich auf einmal, auf dem Weg zum Café Central, plötzlich einer Menschenschlange von ca. 300 Metern gegenüber finde. Den Leuten läuft das Wasser bereits in die Schuhe. Der Vorver- kauf für hat heute begonnen. Eine der geilsten Bands schlechthin wird diesen Sommer in der Arena auftreten und einige versuchen noch ihr Glück, um an ein Ticket zu gelan- gen. Da ich bereits eines habe, schaue ich mich noch einmal lächelnd um und gehe, hoch erfreut über letztere Tatsache, zur Straßenbahnhaltestelle weiter.

Wir sind allesamt heilfroh, als wir um kurz nach 15 Uhr die trockene Glasfassade der Donnerhalle passieren dürfen. Ich verneige mich in tiefster Dankbarkeit vor den Offiziellen des S04, die einst beschlossen, dieses großartige Bauprojekt in Angriff zu nehmen. Heute vor drei Jahren wären bei diesem Wetter sicherlich keine 30.000 zahlenden Besucher ins alte Parkstadion gekommen. Und die, die gekommen wären, wä- ren jetzt bereits, eine halbe Stunde vor Anpfiff, nass bis auf die Haut. Da werden die sich in ihrer Arroganz-Arena noch böse umschauen. So aber stehen wir noch gemütlich in der Ober- rangpromenade, lauschen den dicken, fetten Regentropfen, wie sie an die Glasfassade klatschen und haben Mitleid mit den Bochumern, die heute in Doofmund antreten müssen. Dort findet heute, in Deutschlands größtem Schwimmbad, das kleine Derby statt. Ob die Teams wohl mit Schwimmflü- geln antreten? Oder haben sie sich doch lieber auf ein Watt- wurmrennen geeinigt?

Auf unserem Rasen herrschen auf jeden Fall beste Bedin- gungen. Lincoln–Bedingungen. Mit zwei sechser-Veltins- Taschen nehmen wir Platz und schauen verwundert auf die Anzeigentafel. Tatsächlich, Asa spielt von Anfang an. Dazu Rodriguez und Waldoch in der Innenverteidigung, Vermant für den verschnupften Poulsen im Mittelfeld.

Es entwickelt sich von der ersten Minute an eine Demonstra- tion in Sachen modernen, schnellen Kombinationsfußballs.

191 Von meinen Blauen zelebriert, als wollten sie im wahrsten Sinne des Wortes den hochnäsigen Bazen den Kampf ansa- gen. „Schaut her, Jungs, auch wenn ihr euch heute schon sicher seid, die Schale wandert in diesem Jahr mal wieder an die Emscher! Ihr könnt dann in eurer Isar baden gehen“.

Der Schalker Kreisel lebt wieder auf! Heute sollte alles gut werden. Freistoß von, richtig, Lincoln: Aus halbrechter Po- sition köpft Asa unbedrängt aus fünf Metern zur Führung ins rechte Eck (13.). Der Bann ist gebrochen. Weitere nicht genutzte Großchancen folgen, jedoch bleibt heute die ganze Zeit über das sichere Gefühl: Da brennt nichts an! Endlich das erlösende 2:0. Ebbe Sand köpft Lincolns Hereingabe aus fünf Metern ins Tor (35.). Großer euphorischer Jubel im wei- ten Oval.

Und weiter geht’s: Kurz vor der Halbzeit ein großer Aufreger vor dem Tor der Gäste: Ailton setzt sich gegen drei Wölfe gleichzeitig durch, als diese sich dazu entscheiden, ihn zu reißen. Hinzureißen. Statt Elfmeter und einer roten Karte für eine Notbremse, zumindest aber einer gelb-roten Karte für den bereits verwarnten Hans Sarpei, gibt’s einen kleinen Freistoß. Dieser bringt nichts ein. Die Donnerhalle, hätten wir nicht zu diesem Zeitpunkt bereits 2:0 geführt, wäre si- cherlich wieder zum Tollhaus geworden.

Nach der Halbzeit das gleiche Bild. Ein erneutes Foul von Sarpei an Lincoln bringt uns einen zweifelsfreien Elfer, den Ailton kläglich versiebt. Egal! Dafür meckert der Ailbrummer heute auch nicht, als er ausgewechselt wird. Stark gespielt, trotzdem keine Fortune gehabt. Für ihn kommt Mike Hanke ins Spiel. Und wie das Leben nun einmal so spielt – führt sein erster Ballkontakt zum 3:0. Kobiashvili, der nach einem Traumpass von Altintop auf einmal frei vor Jentzsch steht, spielt den entscheidenden Querpass auf Mike. Den hätte mei- ne Oma mit dem Klumpfuß noch gemacht. 3:0 Heimsieg. Endlich mal daheim zu Null gewonnen, alles ist in Ordnung. Bayern wir kommen!

192 Nun können wir beruhigt noch den Abend ausklingen lassen und uns schon einmal auf die minus 20 Grad einstellen, die uns bereits am Dienstag in Donezk erwarten werden. Na- türlich bin ich dabei. Auch wenn 519 € für den Flug inkl. Übernachtung kein Pappenstiel sind. Aber wann komme ich sonst mal wieder in die Ukraine?

Ach ja, während wir schon bei den guten Meldungen sind, da gibt es noch zwei weitere, die uns das Wochenende versüßen: Bujo kann am Montag das Krankenhaus verlassen. Ein Glück. Auch wenn es sich vielleicht drastisch anhören mag, aber da ist er dem Sensenmann wohl gerade noch einmal von der Schüppe gesprungen. Und die Bazen verlieren tatsächlich bei den Bielfeldern.

193 16.02.2005 - UEFA-Cup (Achtelfinale): Schachtjor Donezk – Schalke 04 • 1:1

Endlich ist es soweit! End- lich wieder einmal richti- ges UEFA-Cup-Flair! Um 5 Uhr in der Früh klingelt mein Wecker. Umgehend wird mit schläfrigen Au- gen noch die Kaffeema- schine angeworfen, bevor ich langsam anfange, mei- ne Tasche zu packen. Wo- bei, was heißt hier Tasche packen? Ich fülle mein Täschchen mit zwei, drei entscheidenden Utensilien. Socken, Zahnbürs- te & Zahnpasta, eine frische Garnitur Unterwäsche, einen Schal und einige SC-Pins, um sie in Donezk zu tauschen. Dann noch meinen Reisepass – ganz wichtig - das war es auch schon. Ein kurzer Blick ins Netz verrät mir noch, dass wir jetzt gerade in Donezk knapp Null Grad haben. Glück ge- habt. Noch vor wenigen Tagen lagen die Nachttemperaturen vor Ort bei rund minus 20° C.

Um kurz vor 7 Uhr verlasse ich also die heimische Straße, um mich zu meiner weitesten Auswärtsreise in meinem S04- Fandasein zu begeben. Ab nach Donezk, in die Ukraine, ans schwarze Meer, rund 3.000 Kilometer von GE entfernt.

Schnell die Formalia abgewickelt, den üblichen Fanschal, Flugtickets, Reiseinformationen und Gutschein für ein Frei- getränk in Empfang genommen und die verbleibende Stunde bis zum Abflug sinnvoll mit dem Verzehren des vorzüglichen Frühstücksbuffets genutzt. Natürlich kann man über den Rei- sepreis von 519 € meckern, aber der Service und die Planung des Reisebüros Mengede sind einmal mehr fabelhaft. Hut ab! Zwar hätte ich gerne 100 Euro weniger gezahlt und auf den ganzen Schnickschnack verzichtet, aber was soll es. Was kostet die Welt wenn es um Schalke geht? Heute ein König!

194 Wir entern die Maschine. Anstatt um 10 Uhr startet unsere Rakete erst um 10.30 Uhr. Die Mannschaft, im übrigen ohne Bordon und Lincoln an Bord, hat sich um eine halbe Stunde verspätet. Endlich kommen die jungen, hübschen Damen aus dem Lenkradraum gekrochen und versorgen uns mit lecker Gebäck und feinen Rotweinen. Auch hier bleibt nur, die Organisation zu loben, ist man doch mittlerweile fast nur noch die 0 %-Service-Flüge von Billigairlines gewohnt. Jeder Wunsch wird uns fast von den Lippen abgelesen und nach nahezu drei Stunden Flugzeit landet, unter größten Anstren- gungen und bösem Ruckeln, unser prall gefüllter Papiervo- gel, mit 250 Fluggästen an Bord auf der Landebahn in der viertgrößten (mit 1.2 Millionen Einwohnern) ukrainischen Stadt Donezk. Die eine Stunde Zeitverschiebung bedeutet, dass wir sofort unsere Uhren von 13.40 Uhr auf 14.40 Uhr umstellen müssen. Schon wieder eine Stunde meines Lebens einfach so verloren.

Das Bild, das uns am Flughafen erwartet, ist ernüchternd: Grauer Himmel, alte, vergammelte Fahrzeuge, grauer – dre- ckiger - Schnee. Alles ist grau in grau. Genauso trist ist die Abfertigung am Zollschalter. Stolz erläutern uns die Zollbe- amten zwar, dass sie – handgemessen – nur 93 Sekunden für eine Person benötigen. Bei zwei geöffneten Schaltern und 250 Fluggästen ergeben sich, den Regeln der Mathematik fol- gend, so allerdings ca. zwei Stunden Wartezeit. Und genauso kommt es auch. Erst knappe zwei Stunden später verlässt auch der letzte Königsblaue den Flughafen Donezk und be- tritt den Bus, der uns zu unserem Drei-Sterne-Hotel „Atlas“ mitten in der Innenstadt Donezks bringen soll. Zumindest konnten wir in der Zwischenzeit bereits einige Hasenrubel eintauschen.

Es ist kaum zu glauben, wie traurig es hier aussieht. Da sitzt man lediglich drei Stunden im Flugzeug und kommt in einer ganz anderen Welt an. Ich danke dem Herrgott und vor allem meinen Eltern dafür, dass sie mich an diesem wunderschö- nen Fleckchen Erde namens Gelsenkirchen, im Herzen des

195 Ruhrpotts haben zur Welt kommen lassen. Was mir übrigens als erstes an der 1.2 Millionen Metropole auffällt, ist dieser beißende Geruch, der in der Luft hängt. Auf Deutsch gesagt, es stinkt fürchterlich! Und zwar nach Autoabgasen. Schreck- lich! Ob es, vor der Einführung des Katalysators bei uns im heimischen Pott, auch so gerochen hat?

Im Hotel angekommen, lernen wir die Gastfreundschaft der Donezker kennen. Keine drei Sekunden dauert es, bis ich den ersten orangefarbenen Donezk-Schal um den Hals gebunden habe. Rasch eingecheckt, Tasche aufs Zimmer gebracht, kur- ze Katzenwäsche getätigt, begeben wir uns umgehend auf die Erkundung der Innenstadt. Unschwer zu erkennen, dass die Ukrainer zweifelsohne sowjet-freundlich sind. Die Sehens- würdigkeiten bestehen aus alten Rotarmee-Panzern, Lenin- Statuen und Stalin-Büsten. Dazu noch ein, zwei russisch-or- thodoxe Kirchen und das war es. Ist aber auch gar nicht so schlimm. Denn so langsam locken uns der böse Hunger und der schlimme Durst. Immerhin sind wir ja auch hier, um den kulinarischen Genüssen der ukrainischen Küche zu frönen. Und wie es das Leben nun einmal so will - es selbst schreibt die schönsten Geschichten!

Da schlendern wir, während im heimischen Deutschland der Schiedsrichterskandal tobt, auf der Suche nach einer feinen Speisenstätte durch die Buchstabenwüsten des Kyrillischen, als uns in riesigen Lettern ein bunter „Café King -Schriftzug“ anlächelt. Der Name der Wettbar, in der Hoyzer seine Spiele verschob. Dazu noch der Hammer: Darüber hängt auch noch ein Spielautomat. Und da das Lokal einen äußerst einladen- den Eindruck auf uns macht, betreten wir es und sollten es bis spät am Abend auch nicht mehr verlassen. Wir speisen fast vier Stunden lang wie die Fürsten, jeder mindestens drei Gänge, literweise wird „Schampanski“ getrunken, und erst dann lassen wir die Krimsektkorken nur noch so durch die Lüfte wirbeln. Das perfekte Mahl. Und was haben wir ge- lacht! Howard und Heinz erfreuen den Rest des Lokales mit alten Ostpreußendiskussionen. Toto wird spontan zum „Bür-

196 germeister“ ernannt und auch ein junger S04-Nachwuchs- Torhüter, glühender Anhänger unseres A-Teams, kriegt sein Fett weg.

Gegen Ende zahlen wir für den gesamten Abend im Café King pro Nase nur knapp 20 €. Für einen Ukrainer zwar ein halber Monatslohn, in GE kriege ich dafür gerade mal zwei Maghe- rita-Pizzen. Selbstverständlich bedanken wir uns bei der Be- dienung nicht nur mit einem tüchtigen Trinkgeld, sondern auch mit den dollen königsblauen Pins. Die Freude darüber ist riesig! Leicht angesäuselt verlassen wir das Restaurant und fallen nur wenige Meter weiter, beim einzigen Iren der Stadt, in die Türe. Hier wimmelt es nur so von Schalkern und kurzerhand beschließen wir, auch hier noch einige Hasenru- bel unters Volk zu bringen. Wie lange wir dort waren, weiß wohl keiner mehr so genau. Als Howard und Heinz sich zum dritten Mal mitten im Laden lang gemacht haben, ziehen wir die Reißleine. Es ist ja immer noch früh am Tag (es dürfte wohl um die zwei Uhr am Morgen sein). Wir beschließen mit rund 15 Schalkern, die Discothek „Chigaco“ zu stürmen. Auf dem Weg dorthin steigen wir kurz noch im Mannschaftshotel „Donbass“ ab, um unserem Finanzminister, der heute Ge- burtstag hat, ein Geburtstagsständchen zu singen. Kurz dar- auf, das Hotelpersonal scheint von diesem Exclusivauftritt der angeheiterten „Beautiful Nails“ nicht gerade begeistert zu sein, fliegen Wrase und Co. in hohem Bogen aus dem Hotel und landen direkt vor den Füßen von George.

Wer zum Teufel ist George? Keine Ahnung. Ein ukrainischer Derwisch, der wohl sinnlos durch die leeren Straßen irrt und sich spontan unserem Grüppchen anschließt. Zwar verste- hen wir kein Wort von dem, was er sagt, er versteht keines von uns, aber egal. Das „Chigaco“ meiden wir geschlossen, nachdem man uns den Zutritt mit Jacken verweigert. Wir sind doch nicht bekloppt und geben mitten in der Nacht, im tiefsten Südostsibirien, unsere wertvollen Kutten an der Gar- derobe ab. Also setzen wir uns, auf drei Taxen verteilt, in die- se autoähnlichen Geschosse und lassen uns für 50 Cent, inkl.

197 fettem Trinkgeld, einmal quer durch die Stadt zu unserem Hotel bringen. Dort wird die Hotelbar gestürmt. Ein Groß- teil der Fans aus dem Mannschaftsflieger ist dort bereits an der Theke versackt, als wir erneut dem Ruf des vorzüglichen „Schampanski“ folgen. Nach weiteren zwei Stunden und dem dritten Versuch, habe ich es dann auch irgendwann geschafft, Dank Wrases Hilfe, unseren Howard aufs Zimmer zu brin- gen, bevor die Gesangsschlacht im Hotelfoyer startet.

Es ist einmal mehr sinnlos, verlorenes Hopfen- und Malzgut, dem Verzehrer dieser Zeilen etwas von der Eigendynamik solcher Abende zu erzählen. Der „Porno George – leck mich anne Eier“-Schlachtruf hat bereits heute Kultstatus und je- der, der zu dieser späten Stunde noch in der Hotellounge war, wird niemals den gesungenen Schwachsinn vergessen. Unser ukrainischer Gast, der Porno-George, muss uns allesamt für einschlägige Idioten gehalten haben. So ging dann irgend- wann einmal, kurz vor dem Verlust der Muttersprache bei einigen Protagonisten, der Abend in Donezk zu Ende. Nicht jedoch ohne den 24-Stunden Rundumservice zu genießen und noch ein leckeres Hühnerbrustfiletgericht zu ordern. Dann bat uns die Hotelbedienung letztlich doch darum, für die gleich erscheinenden Frühstücksgäste den Raum freizu- geben. Also, ab auf die Koje und zumindest für ein paar Mi- nuten die Augen schließen.

Vier Stunden später lässt eine eiskalte Dusche meinen Zim- mernachbarn Helge und mich wieder wach werden. Kurzer- hand bestellen wir erst einmal einen Kaffee. Eine halbe Stun- de später ist uns so, als wären wir gar nicht erst in die Heia gegangen. Eine Spitzenstimmung, so wie es sie allzu oft nur bei weiten Auswärtstouren gibt. Es hat immer so etwas Wil- des, Abenteuerliches an sich: „Aber wir, die 1000 Freunde, stehen zusammen – egal wann, wie und wo!“.

Die organisierte Stadtrundfahrt boykottieren wir, haben wir doch gestern bereits mit unseren gesunden Beinen alles se- henswerte abgeklappert. Wir verbringen einen urgemütli-

198 chen Nachmittag in der Hotellounge und je näher der Anpfiff kommt, desto größer wird so langsam auch die Nervosität. Unglaublicherweise tauchen auf einmal sogar noch Kirsche (der Cappo der UGE) und Co. auf, der Wahnsinnigentrupp, der die weite Anreise mit dem Zug vorgezogen hat. 50 Stun- den Anfahrt, Spiel gucken, 50 Stunden Rückfahrt! Wir Schal- ker sind echt bescheuert!

Zwischendurch wird ein kurzer Pit-Stop bei McDonalds ein- gelegt. Der Besuch dieser Lokalität, bei internationalen Spie- len, ist Pflicht. Auch das große gelbe „M“ in Donezk ist völlig okay und vor allem hauen wir uns alle, für umgerechnet nur 2 Euro, die Plauze voll. Danach zurück ins die Hotellounge und noch ein, zwei Absacker trinken. Die perfekte Vorbereitung auf das Spiel.

Gegen 17 Uhr werden wir dann mit einem Bus, mit Sack und Pack vom Hotel zum Stadion gefahren. Dort angekommen werden wir sofort von souvenirhungrigen Ukrainern ange- fallen, die uns am liebsten Schals, Trikots, Pins und alles was auch nur halbwegs nach Königsblau aussieht, vom Körper reißen wollen. Trotzdem bleibt alles geordnet und gesittet. In einem kleinen Lokal direkt am Stadioneingang nehmen wir noch einen letzten kleinen Saft zu uns, bevor wir die Stadionkontrolle passieren. Vielleicht sollte ich noch kurz noch erwähnen, dass uns unser Ticket 18 Cent kostet. Nicht schlecht, oder?

Zum Stadion selbst gibt es wohl nicht viel zu sagen. Es ist das Olympiastadion. Eines von drei tauglichen Stadien in Do- nezk, jedoch nicht die eigentliche Heimspielstätte der Oran- genen. Schade im Übrigen, dass wir nicht in zwei Jahren hier antreten, denn seit September sind hier die Arbeiten für das neue Stadion in vollem Gange. Es soll bis Mitte 2007 fertig sein, 200 Millionen Dollar kosten und 50.000 Zuschauern Platz bieten. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder.

Auffällig für uns Deutsche ist, dass sämtliche Bereiche nicht

199 geräumt sind. Sprich: alle Ein- und Zugänge total vereist oder verschneit. Unter solchen Umständen dürfte, aus Sicherheits- gründen, in Deutschland nicht einmal ein Kreisklasse C Spiel angepfiffen werden. Uns doch egal. Kalt genug ist es, bei ei- sigem Ostwind, allemal. Für die Einheimischen, die zur Zeit am liebsten in Badehose und T-Shirt umherlaufen würden – sind sie doch ganz anderes gewohnt – allerdings eher ein frühlingshaftes Lüftchen. Mitte Februar sind Temperaturen um die minus 30° C hier keine Seltenheit. Grrrrrr.

Okay, rein ins Getümmel. Asa und Pander spielen nicht, Rangnick hat sich für eine defensive Grundtaktik entschie- den. Und trotzdem erwischen die Blauen gegen den ukrai- nischen Vizemeister, der seit dem 10. Dezember 2004 kein Pflichtspiel mehr bestritten hat, klar den besseren Start. Nachdem Ebbe Sand in der ersten Minute aus vier Metern noch knapp vorbei zielt, macht es Ailton kurz darauf besser. Nach einem schönen Zuspiel von Ebbe, erzielte der Torjäger mit einem trockenen Linkschuss sein erstes UEFA-Cup-Tor. Das fängt ja klasse an. Das wichtige Auswärtstor bereits nach fünf Minuten im Sack. Werden wir jetzt Donezk gar überrol- len? Es fällt uns die erste Zentnerlast vom Herzen. Wussten wir doch alle nicht, wie spielstark Donezk sein würde.

Wirklich erfahren sollten wir es an diesem Tage auch nicht mehr. Zwar übernimmt in der Folge Donezk das Spielgesche- hen und kontrolliert das Mittelfeld, das liegt aber primär dar- an, dass sich die Blauen unverständlicherweise zurückziehen. So wird in Frank Rost der Held des Tages geboren. Ein ums andere Mal wirft er sich wagemutig in die Bälle und rettet uns in heikelsten Situationen den Vorsprung. Kurz vor der Halb- zeit trifft ihn sogar ein Schuss mit voller Wucht ins Gesicht. Nach kurzer Behandlung kann er aber weitermachen.

Endlich Halbzeit. Ruhe gewinnen, ordnen, durchatmen. In der Pause genieße ich den seltenen Luxus, die VIP-Räume be- treten zu dürfen (irgendwer hat mir da gerade seine Karte in die Hand gedrückt). Speis und Trank sind vom Allerfeinsten

200 und ich wäre schwer doof, wenn ich nicht zuschlagen würde. Also tue ich genau das. Überrascht bin ich nur über die vielen bekannten Gesichter hier. Ob sie sich immer in VIP-Räumen herumtreiben?

Nachdem mein Teller und mein Glas geleert sind, begebe ich mich wieder, vorbei an den 20 Bodyguards des Schachtjor Donezks-Mäzens Rinat Achmetow (einem russischen Roh- stoffoligarchen und Multimilliardär, der alleine in den letzten Monaten rund 80 Millionen Euro in Transfers gesteckt hat!), zurück zu unserem unüberdachten und eiskalten Schalke- Block. Fußball sehen und fühlen, den Blues der Fankurve spüren.

Auch nach Wiederanpfiff geht das Anrennen des Tabellen- führers aus der Ukraine weiter. Der eingewechselte Acht-Mil- lionen-Einkauf Elano zielt knapp vorbei. Dann verhindert Rost ein Krstajic-Eigentor, hält zudem großartig gegen die immer wieder frei vor ihm auftauchenden Donezker. Einmal mehr eine Weltklasseleistung von Frank, die die berechtigte Frage aufkommen lässt, warum man sich seit Jahr und Tag auf das ewige Torwartduell Kahn gegen Lehmann für die Na- tionalmannschaft eingeschossen hat. Spieler, die ihr Maul aufmachen und ihre Meinung sagen, waren und sind beim DFB halt noch nie so richtig beliebt gewesen.

Als wir uns alle auf einen 1:0 Auswärtssieg eingestellt haben, nachdem gerade noch zehn Minuten vor Abpfiff Ailton eine Großchance vergeben hat, fällt tatsächlich doch noch der, ehrlich gesagt, hochverdiente Ausgleich. Trotzdem, meiner Meinung nach aus stark abseitsverdächtiger Position. Das trübt unsere Stimmung jedoch nicht, hätten wir immerhin auch untergehen können.

Der Jubel der ca. insgesamt 300 mitgereisten Schalke-Fans über den Abpfiff scheint die ukrainischen Fans so sehr zu ärgern, dass es spontan zu einer netten Schneeballschlacht im Stadion kommt. Danach geht auch alles ganz schnell. Ab

201 in die Busse verfrachtet, die direkt vor dem Stadion immer noch auf uns warten, und von da direkt zum Flughafen.

Die meisten von uns haben wohl den langen Rückflug über geschlafen. Erwähnenswert bleibt noch das rot angelaufenen Gesicht unseres peinlich berührten Stewards, als er bei der Landung bemerkt, dass unser Otto, von Start bis Landung, auf einer der Bordtoiletten eingesperrt, geschlafen hat. So bin ich morgens früh, nachdem uns Sven wieder abgeholt und heimgefahren hat, um 5.00 Uhr im Bett und kann die ganze sensationell geile Tour noch einmal Revue passieren lassen. Mehr davon bitte!

202 20.02.2005 Borussia Mönchengladbach – Schalke 04 • 1:3

Da bist du gerade aus dem Flie- ger ausgestiegen und in dein Bett gehüpft, schlägst erstmals, nach kurzem Schlaf, wieder zag- haft die Äuglein auf, schaltest die Flimmerkiste an, um lang- sam wach zu werden, und, was siehst du? Schrecklich, auf al- len Programmen die Fratze des Managers des BvB, auch Mr. Bean genannt – alias Michael Meier – der dir traurig, mit tiefschwarzen Ringen unter den Augen, mitten ins Gesicht blickt. Verwundert reibt man sich die Müdigkeit aus den Backen und liest erst einmal den unten auf dem Bildschirm mitlaufenden Text: „Ad-Hoc-Mitteilung: Dortmund pleite – letzte Überlebenschance liegt bei Gläubi- gern. Insolvenz droht“. Währenddessen stammelt Mr. Bean im Rahmen der extra einberufenen Pressekonferenz gebün- deltes Kauderwelsch, dass sich nur die so Balken biegen. Was soll man davon halten? Einerseits gönne ich den schwatz-gel- ben, wie schon mehrfach erwähnt, nicht das Dunkelschwar- ze unter meinem Fußnagel. Andererseits, gäbe es sie nicht mehr, würden uns am Ende jeder Saison sechs Punkte fehlen. Und wenn ich ganz ehrlich bin: Ein wenig würden sie mir ja schon fehlen, die Frotzeleien und Sticheleien, die Vorfreuden auf die Derbys. Zu schwarz gehört auch weiß. Nach der Nacht folgt der Tag. Nach dem Ebbe kommt die Flut.

Ach du meine Güte! Jetzt übernimmt der neue Großaktionär und Bertelsmann-Enkel Florian Homm auch noch das Wort und erklärt, man werde sich notfalls in Dortmund 05 umben- ennen. Oh je, jetzt tun mir die kleinen Bienchen ja fast schon Leid. Ab sofort gibt es nicht mehr nur die üblichen Spottge- sänge, sondern auch folgendes: „Über Dortmund kreist der Pleitegeier – auf Schalke steigt die Meisterfeier...“.

203 Womit wir beim eigentlichen Thema sind, der Bundesliga- alltag ruft. Mal wieder eines dieser dollen Sonntagsspiele. Heute im neuen Stall der Fohlen, in Gladbach. Um 13 Uhr treffen wir uns am CC, erfreuen uns an den Anekdoten aus Donezk und kosten eines dieser herrlichen deutschen Erfri- schungsgetränke. Veltins statt Schampanski, alles hat seine Vorzüge. Punkt 14 Uhr rollt die vollbesetzte Schildkröte los und ist leider auch eine Stunde später schon da.

Warum leider? Warum wir uns nicht freuen, dass wir super durchgekommen sind? Ganz einfach, das Wetter ist misera- bel. Es ist arschkalt, windig, und dann setzt auch noch der angekündigte Schneeregen ein. Und wir haben noch zweiein- halb Stunden bis zum Anpfiff zu überbrücken. Normalerwei- se kein Problem. Da aber die Verantwortlichen den Borussen- park mitten auf die grüne Wiese gesetzt haben, ist weit und breit natürlich auch nichts Vernünftiges zu sehen. Weder eine gastronomische Einrichtung, ein Kiosk, geschweige denn ein Rostbratwurstgrill, einfach nichts! Also grapschen wir uns noch kurz einen Sixpack Veltins, stellen uns vor den Bus und verbringen die kommenden zwei Stunden damit, uns nass regnen zu lassen. Die Grippe ist vorprogrammiert. Bereits jetzt friere ich wie eine Schnattergans. Kein Wunder, dass derzeit fünf Millionen Bundesbürger die Grippe haben. Wenn die auch alle vor einem Spiel immer zwei Stunden lang, Wind und Wetter ausgeliefert, in der Pampa stehen müssen...

Viel mehr aber als das Wetter, geht mir das pessimistische Gequatsche meiner Kumpels auf den Sack. Da wir halt sonn- tags spielen, haben alle anderen direkten Verfolger – auch die Bazen – gestern schon gespielt. Und leider halt auch alle gewonnen. Besonders das 0:5 der Pleitegeier aus der Nähe von Lüdenscheid beim FC Bäh war schon mehr als peinlich. Eigentlich fast schon eine zum Himmel stinkende Wettbe- werbsverzerrung. Die Zecken haben sich ohne jegliche Ge- genwehr (immerhin bis zu diesem Zeitpunkt ungeschlagen in der Rückrunde) im wahrsten Sinne des Wortes abschlachten lassen. Ich weiß noch, wie genau vor einem Jahr der super-

204 cholerische Würstchen-Ulli wie ein Rumpelstilzchen gepol- tert und getobt hat, als der SV Werder mit eben diesem Er- gebnis den HSV beim traditionellen schlug. Am liebsten hätte die Fraktion „Unabhängiges Königreich Bay- ern“ damals die ganze Saison annulieren lassen. Wie schnell sich das Blatt doch wendet.

Fakt ist, dass gestern alle anderen Meisterschaftsmitfavoriten bereits gewonnen haben und sich der große Pessimismus in unseren Reihen breit macht. Obwohl ich nicht gerade der geborene Superoptimist bin, frage ich mich wirklich, und zwar lautstark, ob die Jungs denn noch alle auf dem Streifen haben? Erstes haben wir immer noch einen komfortablen Vorsprung vor den Verfolgern und zweitens bin ich heute nach Gladbach gefahren um zu gewinnen. Und warum soll- te das hier auch nicht klappen? Wenn wir tatsächlich Meis- ter werden wollen, dann darf Gladbach, derzeit auf Platz 14 stehend, keine Hürde sein. Vom Spielerpotential her schon einmal gar nicht. Also, „Positive Thinking“ und das was ich schon zu Ende der Rückrunde sagte, auch wirklich befolgen: Wir wollen Meister werden. Wir werden Meister, also lasst uns auch positiv-offensiv mit der Sache umgehen!

Kurz nach 17 Uhr, völlig durchgefroren und hungrig, ent- scheiden wir uns dann doch endlich, das neue Stadion unter die Lupe zu nehmen. Von Weitem sieht die Hütte äußerst funktional aus. Vier Tribünenseiten aus Betonfertigteilen, ein Wellblechdach draufgesetzt, fertig ist der Borussenpark. Den Charme des ehemaligen Bökelbergs, dem Stadion, das - wie in so vielen englischen Städten - direkt in ein Einwohnerviertel integriert war, hat es allemal nicht. Endlich im Stadion drin, offenbart sich mir ein angenehmer Blick. Doch, auf jeden Fall, ein schönes Stadion geworden. Das ganze Drumherum, die Ästethik, der Service, entspricht zwar nicht den Maßstäben der Donnerhalle, aber wie gesagt: ganz nett. Besonders, ich bin ja ehrlich, gefällt mit der Blick auf das viele Königblau im weiten Rund. Von rund 53.000 Fans im ausverkauften Haus, dürften heute durchaus locker 10.000 Schalker hier sein.

205 Und die zeigen stimmungstechnisch von der ersten Sekun- de an, wer hier heute Herr im Hause ist. Nicht umsonst sind wir Schalke-Fans in dieser Woche von einem renommierten Fachmagazin von allen Bundesligaclubs als die lautesten und originellsten Auswärtssupporter gewählt worden.

Auf geht’s in die Partie! In den ersten 25 Minuten findet noch das übliche langsame Abtasten statt. Heute im Übrigen ohne Bordon, Lincoln und Kamphuis, dafür aber erstmalig mit Tim Hoogland von Beginn an. Es entwickelt sich ein Spiel geprägt von taktischen Zwängen, behäbig und ohne direkten Zug zum Tor. Aber dann, von einer Sekunde auf die andere, nehmen die Blauen auf einmal das Heft in die Hand, nehmen Fahrt auf und kommen mit gefährlichen Pässen in die Spitze. Auch wenn die guten Chancen durch Ailton nicht genutzt werden. Letzte Saison hätte er die wahrscheinlich noch einbeinig rein- gehauen. Und mitten in diese Sturm- und Drangphase der Blauen hinein, als es nur noch eine Frage der Zeit zu sein scheint, bis es endlich im Kasten der Fohlen klingelt, pfeift der Schiri. Das ist ja nicht weiter schlimm. Aber er pfeift einen Elfer. Einen Elfer für Gladbach. Warum, wird bis heute nur er alleine wissen. Von einem angeblichen Foulspiel während ei- nes Kopfballduells zwischen Pander und Sonck hat jedenfalls von den anderen 53.000 Fans – inkl. unzähliger TV-Kameras – niemand etwas gesehen. Und wenn überhaupt, dann war es eine glasklare Abseitsstellung des Gladbachers. Mann, würde Würstchen-Ulli jetzt toben.

Es tritt ausgerechnet, ja wer schon – natürlich – unser Jörg Böhme an. Der Spieler, der uns zur Winterpause Richtung Borussia verlassen hat. Der Mann, der für immer und ewig in unseren Herzen ein Schalker bleiben wird. Komm Jörg, sei heute noch einmal ein echter Schalker und hau die Kirsche daneben! Oder zumindest dem Frank in die Arme! Puste- kuchen! Zwar kennt Rost die Ecke, aber jubelnd zieht Böh- me unter meinen Augen von dannen. 1:0 (37.) für die einzig wahre Borussia in der Liga. Völlig unverdient. Aber so ist halt der Fußball.

206 Glücklicherweise lassen sich meine Jungs nicht aus dem Kon- zept bringen und spielen munter ihr Spiel weiter. In der 45. Minute, also psychologisch extrem wichtig (haben die Blauen wahrscheinlich extra so hingebogen), dann endlich der mehr als verdiente Ausgleich nach einem schlimmen Gladbacher Abwehrfehler. Die Hütte bebt.

In der Halbzeit wird die Gastronomie im neuen Stall der Foh- len getestet. Nimmt man einmal mehr die Arena nicht als Maßstab, darf man getrost sagen: Mehr als okay. Interessiert mich letztlich aber so sehr auch nicht, denn ich brenne auf die zweite Halbzeit. Ich bin mir sicher: Wenn die Jungs so wei- terspielen wie in den letzten 20 Minuten der ersten Halbzeit, dann gehen wir heute auf jeden Fall als Sieger vom Platz.

Tatsächlich bleibt Gladbach in der zweiten Hälfte völlig harm- los, erarbeitet sich praktisch keine Chance. Sicher nicht zu- letzt deshalb, weil wir im Mittelfeld einfach sensationell gut stehen und keine Spielentwicklung zulassen. Parallel dazu spielen wir aber weiterhin auch souverän, druckvoll und ef- fektiv nach vorne und wie ich es richtig erwartet hatte, stellt sich das Klingeln im Gladbacher Kasten zwangsläufig ein. Der erneut von der Gladbacher Hintermannschaft einfach nicht zu bremsende Ailton (der heute sicherlich sein bestes Spiel im Schalker Trikot absolviert hat), nutzt ein feines Zuspiel Vermants, welches Ebbe fast noch feiner durchlässt, und mit einem fulminanten Linksschuss lässt er den königsblauen Jubel im Stadion entfachen. 2:1 (66.) für uns. Und wenn wir schon einmal dabei sind: Ähnlich gnadenlos versenkt Ail- ton nach einem pfeilschnellen Flügelangriff die Kirsche auch zum 3:1-Endstand (79.). Der Borussenpark gefällt mir immer besser. Und kurz vor Abpfiff sind wirklich fast nur noch kö- nigsblaue Trikots im weiten Rund zu sehen. Feierstimmung pur!

Die Bazen werden sicherlich gerade geschockt vom Fernseher sitzen. Tja Jungs, wir haben jetzt auch 44 Punkte!

207 24.02.2005 - UEFA-Cup (Achtelfinale, Rückspiel): Schalke 04 – Schachtjor Donezk • 0:1

Als wenn ich es geahnt hätte. Hatte ich das nicht schon nach dem Glad- bachspiel gesagt? So ein Mist. Müde und ausgelaugt schleppe ich mich langsam zum Fernseher und schaffe es mit letzter Kraft noch, den „Power- Schalter“ zu drücken. Anstatt eines leckeren Veltins zur Spielvorberei- tung, stehen vor mir ein Glas frisch gepresster Orangensaft und ein hei- ßer Pfefferminztee. Lecker!

Ich habe Grippe. 39.8° C Fieber hat mir noch vor einer halben Stunde mein Fieberthermometer zugezwinkert. An den Be- such des Rückspiels in unserer Donnerhalle gegen Schachtjor Donezk ist also nicht zu denken. Ist mir jetzt gerade auch völlig schnuppe. Ich bin so richtig lethargisch. Mein Kopf droht vor Hitze gleich zu platzen.

Statt Trikot und Schal heißt es heute also: Steppdecke, Woll- socken und Wärmekissen. Was für ein Outfit! Als Fiene dann auch noch mit einer Schale frisch geschältem Obst ankommt, ist die Herrlichkeit komplett. Gut zu wissen, dass ich nur Einer von Vielen bin.

Im zweiten Programm läuft in, Vorbereitung auf das Spiel, ein Vorbericht, der sich mit den Äußerungen eines gewis- sen Professors Klüting beschäftigt. Dieser hat in der letzten Ausgabe eines bekannten (dem FC Bayern scheinbar nahe stehenden) Magazins unserem FC Schalke 04 den Bankrott bescheinigt. Ein leichter Anflug von Wut kommt in mir hoch. Diese verdammten Bazen! Müssen die immer ihre Streubom- ben werfen? Das hat schon richtig Methode. Aber gekonnt stellt unser Finanzminister Jupp Schnusenberg gerade alles richtig und lässt Klüting wie einen kleinen dummen Schul-

208 jungen da stehen. Richtig so!

Und wenn wir gleich noch in die nächste UEFA-Cup Runde einziehen, sieht es finanziell noch wesentlich entspannter bei uns aus, von BvB-Verhältnissen gar nicht mal zu sprechen.

Dann kommt eine Maus - und die Geschichte ist aus. So gut wie aus. Mit fiebrigen Augen muss ich leider mit ansehen, dass es scheinbar auch meine Knappen erwischt haben muss. Zumindest traben sie schlapp über den Rasen und schau- en mit fiebrigen Augen zu, als Aghahowa in der 22. Minute das entscheidende Tor für den ukrainischen Tabellenführer schießt. So bitter es ist, es ist verdient.

In der ersten Halbzeit stehen die Blauen gar nicht auf dem Platz. Und das sinnlose Anrennen auf das Tor von Schachtjor in der zweiten Halbzeit zeugt auch nicht gerade von klarem Verstand. Das war es mit den internationalen Auftritten der Blauen in diesem Jahr. Wir sind ausgeschieden. Nach Däne- mark, den Niederlanden, Schottland und der Ukraine folgen jetzt wieder das Schwabenland, Preußen und Ostwestfalen. Schade eigentlich. Das Salz in der Suppe haben die Spieler uns mal wieder genommen. Ob sie das wissen?

Jetzt gelten halt alle unsere vereinten Kräfte der Schale. Weg mit dem Balast UEFA-Cup, volle Konzentration auf Meis- terschaft und Pokal. Keine Zeit zum Ärgern. Ist vielleicht, bei unserem qualitativ doch spärlich bestückten Kader, zu- mindest ab der Nr. 12, auch besser so. Da sieht die Bank der Bayern schon ganz anders aus.

209 27.02.2005 Schalke 04 – Hannover 96 • 1:0

„Everyday is like sunday“ von Morrisey. So könnte ich fast jeden Sonntagmorgen unter der Frühstücksdu- sche trällern. So oft spielen wir in letzter Zeit am heili- gen Tag.

Allerdings ist es heute bei mir nicht die Dusche, sondern die heiße Wanne. Alleine der Blick nach draußen sorgt dafür, dass das Blut in meinen Schwellkörpern sich bis unter die Kniekehlen zurückzieht. Grrrrrr. Der Winter hat den Ruhrpott erreicht. Minus 6° C zeigt unser Thermometer an und eine sanfte weiße Schicht aus Puderzucker hat sich in der Nacht von Samstag auf Sonn- tag auf die Hausdächer und Baumkronen der heimatlichen Straße gelegt. Endlich kommt dem handgestrickten Suppor- ters Club-Schal und der S04–Mütze heute mal die Bedeutung zu, die ihr eigentlich, der Materie wegen, auch zusteht. Dazu noch (muss ich mich eigentlich dafür schämen?) eine lange Unterhose unter der Jeans, über das Sweat-Shirt noch den dicken SC-Fleece-Pulli gepackt, dann noch eine dicke Jacke drüber geworfen – jetzt könnte ich in diesem Outfit die per- fekte Polarexpedition mitmachen. Bloß keinen Gripperückfall erleiden! Frieren darf ich jedenfalls nicht. Falsch gedacht!

Eine gute Stunde vor Anpfiff treffen wir uns mit einigen lusti- gen Gesellen an der Bierbude vor der Mauer der 1000 Freun- de. Die erste Runde ist tatsächlich noch ein frisches Veltins, als uns aber dann, trotz dicker Handschuhe, die Fingerkup- pen vor Kälte fast abfrieren und bereits anfangen blau anzu- laufen, schwenken wir doch relativ zügig auf einen heißen Glühwein um. Gesprächsthema Nummer eins: Hoffentlich haben die Blauen die Niederlage bzw. das Ausscheiden von vor drei Tagen gegen Schachtjor Donezk gut verkraftet und

210 können den Hebel umschalten. Auf dass die drei wichtigen Punkte im Kampf um die hässlichste Salatschüssel der Welt bei uns in der Donnerhalle bleiben. Alle anderen Mitkonkur- renten haben im übrigen, wie in der Vorwoche, ihre Spiele gestern gewonnen. Dabei haben die Schalendiebe, bei ihrem 1:0-Erfolg bei den abstiegsbedrohten Freiburgern aus dem Breisgau, ihrem Namen als „FC Dusel“ alle Ehre gemacht. Das Glück des Tüchtigen?

Kurz vor Anpfiff nehmen wir unsere Plätze ein und es herrscht kollektives Bibbern im weiten Oval. „Wer nicht hüpft, der ist Borusse“ erklingt es minutenlang im Stadion. Alle Fans sind begeistert von dieser sportlichen Einlage. Da kann man sich zumindest ein wenig mit aufwärmen.

Zunächst einmal die positive Nachricht: Nach vierwöchiger Zwangspause, aufgrund einer Achillessehnen-Verletzung, kann Marcelo Bordon erstmals wieder auflaufen und über- nimmt in der Innenverteidigung den Platz von Darío Rodri- guez. Ich nehme hoffentlich nichts vorweg, wenn ich bereits an dieser Stelle erwähne, dass er den souveränen Part der Wochen vor seiner Verletzung, einfach eins zu eins weiter- spielt, als wäre nichts geschehen. Der Fels in der Brandung. Der Turm in der Abwehrschlacht. Was für ein supergenialer Abwehrspieler. Des weiteren lässt Rangnick erneut Tim Hoo- gland hinten rechts spielen, ebenso wie Mike Hanke für den leicht angeschlagenen Ebbe im Sturm.

Was allerdings nach der leichten Aufregung bei der Mann- schaftsaufstellung folgt (speziell mit Marcelos Auflaufen war nicht zwangsläufig und unbedingt zu rechnen), ist ehrlich gesagt ein eher müder Kick. Zusammenfassend dargestellt: Die Blauen wirkten irgendwie nicht spritzig genug, als wenn sie ein wenig müde im Kopf wären. Natürlich mit einigen Ausnahmen und einigen hellen, lichten Momenten.

Hannover 96 wählt die berühmt-berüchtigte: „Wir stellen uns auf Schalke mit Mann und Maus hinten rein und versu-

211 chen einen Punkt zu holen, evtl. riskieren wir es sogar, wenn es die Situation erlaubt, einen Gegenstoß zu fahren“-Tak- tik. Die Niedersachsen, auswärts in der Rückrunde bislang unbesiegt und noch ohne Gegentor, lassen ihrem Vorhaben Taten folgen. Ihre Defensivabteilung verliert zu keiner Zeit den Überblick und die Knappen stellen sich parallel dazu nicht wirklich gerade schlau an. Gerade an den Standard- situationen sollte der Übungsleiter Ralf Ragnick doch noch einmal mit den Jungs arbeiten. Andere Spitzenteams sind uns da meilenweit voraus und schlagen aus diesen Standards wesentlich mehr Kapital. Das Resultat: Zur Halbzeit 62.000 frierende Zuschauer und ein Spiel, bei dem es einem nur kalt ums Herz werden kann. Allerdings ist unser eigener Kasten, man muss es ja auch einmal positiv sehen, nie ernsthaft in Gefahr.

Kurioserweise habe ich trotzdem ein gutes Gefühl, dass das heute noch was wird. Tatsächlich starten die Blauen wesent- lich druck- und schwungvoller in die zweite Hälfte. Es er- geben sich dabei einige Chancen, wobei davon wirklich kei- ne einzige der Kategorie 100% zuzuorden ist. Dann endlich die 65. Spielminute und das viel umjubelte und vor allem erlösende Tor des Abends. Einen von Pander scharf in den Strafraum gezirkelter Freistoß köpft Krstajic, goldrichtig am zweiten Pfosten stehend, wieder zurück in die Mitte. Dort steht Mike Hanke und muss nur noch seine Rübe hinhalten. 1:0 für Königsblau. Nur so geht’s. Dem Bayerndusel folgt der Schalkedusel. Wie will man sonst Meister werden? So ma- chen es die Bazen seit Dekaden.

Das Ende der Partie verläuft unspektakulär. Man hätte noch einen Elfer für die Blauen, aber auch einen für die Hannove- raner geben können. Ein für uns glücklicher Pfostentreffer der 96er in der Schlussminute bedeutet den Sieg, ein weiterer Dreier. Wir bleiben punktgleich mit den Bazen. So langsam wird es bedrohlich. Auf den vierten Rang haben wir mittler- weile gar acht Zähler Vorsprung. Und nun geht es in der Liga zu den abstiegsbedrohten Bochumern.

212 01.03.2005 DFB-Pokal (Viertelfinale): Schalke 04 – Hannover 96 • 3:1

Wer gedacht hätte, die bittere Käl- te von letztem Sonntag wäre nicht zu toppen, der sieht sich getäuscht. War es beim letzten Anpfiff gegen Hannover 96 in unserer Donnerhal- le, vor exakt 51 Stunden, noch bitter- kalt, so ist der heutige Zustand mit dem am Südpol zu vergleichen. Si- birische Kälte. Ich kriege mich nicht ein. 57.000 zahlende Fans. Das hät- te ich nicht unbedingt gedacht. Die späte Anstoßzeit, die eisigen Tempe- raturen, der „unattraktive“ Gegner, der immerhin vor zwei Tagen schon hier gespielt hat, nicht zu reden davon, dass es das dritte Heimspiel innerhalb von nur sechs Tagen ist. Und letztlich wird die Partie ja parallel auch noch live im Free-TV übertragen. Schalke ist halt der geilste Club der Welt!

Nur noch zwei Spiele bis nach Berlin. Angesichts dieser Tat- sache hat sich unser sportlicher Übungsleiter Ralf Rangnick mal wieder etwas ganz Dolles einfallen lassen. Im defensi- ven Mittelfeld erhält Poulsen den Vorzug vor Vermant – ein durchaus nachvollziehbarer Schachzug - während im Angriff der genesene Sand in die Startformation zurückkehrt und da- für unser kleiner Dicker mit ohne Hals, Ailton, auf der Bank Platz nehmen muss. Der wird sich lecker gefreut haben.

Gerade will ich mich auf meinen Platz setzen und mir in Ruhe das Spiel anschauen, als mich eine grüne Pappe auf meinem Sitz anlächelt. Der DFB scheint eine Sympathieak- tion für seine Schiedsrichter gestartet zu haben. „Die grüne Karte für die Schiedsrichter“ oder so etwas ähnliches steht da drauf. Keine Ahnung was die sich dabei gedacht haben. Aber im weiten Rund der Donnerhalle hält unter den fast 60.000 keiner dieses Teil hoch. Warum auch? Die Suppe haben sie

213 sich ja selber eingebrockt – sollen sie sie auch selber wieder auslöffeln. Diese Aktion hat sicherlich wieder zigtausend Eu- ronen gekostet. Geld, welches man sicherlich hätte besser und sinnvoller ausgeben können.

Geil, dass die UGE als Gegenaktion im kompletten Block N3 und N4 rote Pappen hochhält.

Die grüne Karte zerrissen, Platz genommen und auf geht es, die Mannschaft als zwölfter Mann ins Halbfinale brüllen! Von Anfang an, das ist bis in die hinterletzte Reihe der Donnerhal- le zu spüren, sind die Blauen bemüht, das Spiel in den Griff zu kriegen und ihm ihren Stempel aufzudrücken. Die Jungs wollen allesamt ins Halbfinale, keine Frage. Nach dem ersten, zugegeben, schönen Angriff der Gäste macht sich Entsetzen in der Donnerhalle breit: Unser zweiter Youngstar, Tim Hoo- gland, ist zuvor im Strafraum gegen Krupnikovic zu unge- stüm eingestiegen. Elfmeter für die Roten – gar keine Frage. Das hat selbst der blauäugiste Blaue gesehen. Die Spieler versuchen auch gar nicht erst mit dem Schiri zu diskutieren. Der Gefoulte läuft selbst an, bleibt cool und verlädt Rost ge- konnt. Schon wieder ein 0:1-Rückstand (27.) innerhalb von nur wenigen Tagen vor heimischer Kulisse bei einem alles entscheidenden Ko-Spiel.

Oh je, oh je! Nicht nur wir Fans, auch die Knappen auf dem Platz wirken geschockt. Und prompt steht Mertesacker völlig frei vor Rost, scheitert jedoch kläglich.

Zu diesem Zeitpunkt ist gut ein Drittel der regulären Ge- samtspielzeit abgelaufen. Erinnerungen an Donezk werden wach. Schalke in der Krise? Doch dann geht auf einmal alles sehr schnell (ich glaube der Fachmann nennt so etwas einen gemeinen Doppelschlag) und binnen zweieinhalb Minuten machen die Jungs auf dem Platz aus einem 0:1 Rückstand eine, glückliche, 2:1 Pausenführung. Kollektiver Jubel in der Donnerhalle, das Spiel in Sekunden gedreht, Träume von Berlin fangen wieder an zu reifen.

214 Gott sei Dank sitze ich pünktlich zum Wiederanpfiff wieder auf meinem Platz. Denn was ich dort unten auf dem Spielfeld sehe, bereitet mir große Freude. Die Blauen machen näm- lich genau da weiter, wo sie kurz vor der Pause aufgehört haben. Nach einem schönen Hackentrick von Lincoln staubt der bärenstarke Hanke zur Vorentscheidung ab. 3:1 nach 55. Spielminuten – wen interessiert es da, dass Hanke einen knappen Meter im Abseits stand? Das Glück des Tüchtigen! Der Drops scheint jedenfalls gelutscht, dass war die endgül- tige Vorentscheidung. Ein ganz dickes Kompliment an die Mannschaft.

Jetzt stehen wir im Halbfinale, triumphieren und jubilieren. Die Auslosung findet am Sonntag statt. Neben uns haben sich heute auch Bremen und Bielefeld qualifiziert. Morgen spielen noch die Bazen gegen Freiburg. Aber egal gegen wen es im Halbfinale geht, jetzt heißt es nur noch ein Spiel gewinnen und dann singen wir alle gemeinsam endlich mal wieder: „Berlin, Berlin – wir fahren nach Berlin!“ Hoffentlich wird dieser erneute Traum wahr. Jetzt sage ich erst einmal: Danke Hanke!

215 05.03.2005 VfL Bochum – Schalke 04 • 0:2

Ist das nicht schön? Endlich mal wieder ein Heimspiel an einem stinknormalen Sams- tag. Zwar müssen wir heute, wenn wir an der Straßenbahnhaltestelle stehen werden, aufpas- sen, dass wir nicht in die falsche Richtung fahren, aber Heimspiel ist halt Heimspiel. Heute geht es mit der 302 nicht nach Gelsenkirchen Buer, sondern wir fahren in die entgegengesetzte Richtung, bleiben somit vor dem Kanal. Heute heißt es wieder: Heimspiel beim VfL in Bochum!

Pünktlich um kurz nach halb eins haben wir mit gut und ger- ne 30 Supportern die halbe Bahn in Beschlag genommen und begeben uns auf große Fahrt. Da sich alle mit üppig bestück- ten Picknickkörben bewaffnet haben, Mülleimer in der Bahn allerdings Mangelware sind, sieht es nach einer dreiviertel- stündigen Fahrt, als wir am Bochumer Rathaus aussteigen, ungefähr so aus wie in der Schildkröte nach zehn Stunden Rückfahrt aus Rostock.

Ein riesiges Getöse erwartet uns und wir schauen fasziniert auf den riesigen Pulk von S04-Fans, der sich gerade vom Bochumer Hauptbahnhof aus in Richtung Ruhrstadion in Bewegung setzt.

Wir schließen uns dem Ende der Truppe an, müssen aber spätestens beim lang gezogenen Anstieg zum Ruhrstadi- on schließlich abreißen lassen, haben wir doch körperliche Wracks und sportliche Trümmerhaufen in unseren Reihen. Ist aber halb so wild. Immerhin haben wir noch fast zwei Stunden Zeit bis zum Anpfiff.

216 Das Spiel heute ist bereits seit sechs Monaten ausverkauft. Der Ex-Schalker Filip Trojan sagt uns einen heißen Tanz vo- raus. Warten wir es ab.

Um kurz vor drei Uhr betreten wir endlich eines der schöns- ten Fußballstadien Deutschlands. Muss man einfach mal zugeben. Immer wieder bin ich gerne hier. Das Bochumer Ruhrstadion ist im Übrigen das erste Stadion, in dem ich in meiner Kindheit, gemeinsam mit Papa, ein Auswärtsspiel unsere Blauen sehen durfte. Ich möchte nicht wissen, wie vielen Schalkern es so erging und wohl immer noch ergeht wie mir einst. Es verbindet mich also sogar richtig etwas wie Sympathie mit diesem Stadion.

Aus den Boxen dröhnt Herbert Grönemeyers Kulthit „Bo- chum“ und das ist wohl der erste und einzige Moment an diesem Nachmittag, an dem man die Bochumer Fankurve spürbar vernehmen kann. Der arme Herbie. Ihm würde sich sicherlich der Magen im Kreise drehen, könnte er hören, dass die Bochumer Fans den Bazen die Meisterschale wünschen.

Anpfiff. Hektisch hüpft Fiene neben mir von einem Bein auf das andere. Warum sitzt hier eigentlich niemand im Schalker Block, obwohl wir doch für teuer Geld Sitzplatzkarten gekauft haben?

Von Beginn an entwickelt sich zwischen den beiden West- Teams ein gutes Bundesliga-Derby. Kobi prüft bereits nach 60 Sekunden Bochums Stammtorwart Rein Van Duijnhoven, der nach fast drei Monaten Verletzungspause wieder ins VfL- Gehäuse zurückgekehrt ist. Danach taktisches Geplänkel, bis wir nach gut 20 Minuten gegen den aktuell Drittletzten der Liga das Heft endgültig in die Hand nehmen. Ailton scheitert nach einer knappen halben Stunde freistehend am großartig reagierenden Van Duijnhoven. Unglaublich! Was für eine Chance. Gott sei Dank klappt es nur zwei Minuten später besser: Eine zu kurze Kopfballabwehr von Kalla versenkt der Brasilianer vom Strafraumrand mit seinem zwölften Saison-

217 tor, mit einem satten Schuss zur 1:0 Führung ins linke obere Eck. Und das auch noch mit rechts! Das halbe Ruhrstadion liegt sich jubelnd in den Armen. Fienchen wird mit kleinen Küsschen übersät, während die Bochumer Fans bedröppelt die Köpfe hängen lassen. Halbzeit.

Anpfiff. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, als wollten die Jungs sich tatsächlich schon ein wenig für das Spitzen- spiel am nächsten Sonntag schonen. Eine gute Viertelstun- de vor Abpfiff muss Asa mit einer Oberschenkelzerrung vom Platz. Im Vergleich zu Filip Trojan noch Glück im Unglück, ist dieser doch gerade mit Verdacht auf einen Kreuzbandriss mit einer Trage vom Platz getragen worden. Gute Besserung, Junge!

Kurz nach Asas Ausscheiden, wir schreiben die Spielminute 77, nutzt Lincoln einen Abwehrfehler der Bochumer zur end- gültigen Entscheidung. 2:0 für uns. „Ihr könnt nach Hause fahren“ singen die Schalker.

Die drei Punkte sind unser! 50 haben wir nun insgesamt da- von. Ich glaube, das gab es letztmalig in der Saison 1971 . Ei- nen Riesenspaß haben wir im übrigen noch kurz vor Abpfiff, als alle 15.000 Schalker anfangen zu singen“ Euer Trainer ist ein Schalker – hey – hey“ Ist doch der VfL-Coach bekennender S04-Fan, gar zahlendes Mitglied in unserem Club.

Die Bazen haben ihr Spiel gegen Werder Bremen ebenfalls, mit 1:0, gewonnen. Während sich einige darüber ärgern, fin- de ich das eigentlich gar nicht so tragisch. Immerhin haben wir nun bereits sieben Punkte Abstand zum Dritten und da- mit zu einem Nicht-Zasterliga-Platz.

218 13.03.2005 Schalke 04 – FC Bayern München • 1:0

Über eine Woche lang habe ich diesem Tag entgegen gefiebert. Dem Tag des Gipfel- treffens zwischen un- serem FC Schalke 04 und den punktglei- chen Schalendieben vom Weißwurstäqua- tor. Eine ganze Regi- on ist wie elektrisiert und hoch motiviert bis in die Fußballstiefelspitzen. Selten habe ich in meinem langen, langen und leidvollen Dasein als fanatischer Fußballfan des FC Schalke 04 miterleben dürfen, dass eine Schalker Mannschaft, ein Schalker Umfeld, kurz vor einem so ungemein wichtigen Spiel so siegessicher, so heiß, aber auch so selbstbewusst war. Man hat es die ganze Woche über schon gemerkt: Die Luft brennt. Die Stadt der tausend Feuer erwacht. Der Rasen wird bis zum bitteren fi- nalen Sieg unserer Knappen umgepflügt werden. (Herz-) Blut wird fließen.

Täglich gibt es neue Spitzen aus Bayerns Landeshauptstadt. Abwechselnd äußert sich Würstchen-Ulli und der ehemalige Weltklasse-Stürmer Kalle Rummelfligge, die „Schande von Lippstadt“ wie er oftmals „liebevoll“ genannt wird, mehr als abfällig über uns und unseren Club. Die üblichen Giftpfeile halt, die abgeschossen werden, wenn den Bayern ein Kon- kurrent sportlich zu nahe auf die Pelle rückt.

Entgegen unserer Angewohnheiten treffen wir uns am heuti- gen Sonntag relativ früh vor dem Spiel an der altehrwürdigen Glückauf Kampfbahn. Da wir gestern Nachmittag unsere Jah- reshauptversammlung des Supporters Clubs e.V. hatten, gab es danach in den Räumlichkeiten des Schalker Fanprojektes

219 und auf den Tribünen der Glückaufkampfbahn noch eine net- te, kleine Feier. Dabei wurden nicht wenige Würstchen artge- recht vergrillt und auch einige hundert Liter frisches Veltins fanden den einen oder anderen dankbaren Abnehmer.

Wie es so Feiern nun einmal an sich haben, muss man am darauf folgenden Tag auch aufräumen. Beim Betreten des Fanprojektes fällt mir erst einmal die Kinnlade runter. Dass so wenige Menschen in so kurzer Zeit so viel Dreck machen können. Ich dachte, das ginge nur in der Schildkröte. Aber, was soll es. Heute Abend werden wir Tabellenführer sein und außerdem erblickt unser geschultes Auge ein noch nicht ge- öffnetes 50-Liter Fass. Inklusive des noch angeschlossenen und noch nicht vollständig leeren Fasses dürften wir für den heutigen Nachmittag als Lohn für unsere schweißtreibende Aufräum- und Putzaktion noch gut und gerne 60 Liter Bier haben. Mit vereinten Kräften wird alles wieder auf Vorder- mann gebracht und eine Stunde später sieht es wieder recht wohnlich im Fanprojekt aus. Vom gestrigen terroristischen Anschlag ist nichts mehr zu sehen und wir werfen umgehend den Grill an und gönnen uns ein erstes Helles. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass just in diesem Momente die ersten Mitglieder eintreffen, die sich ebenfalls am „Restbier“ laben wollen. Das Ende der Reinigungsaktion schön abgepasst.

Die Vorfreude unter allen ist groß. Wie zu erwarten war: Die Luft brennt, alle sind heiß. Zieht den Bazen heute mal wieder lecker fein die Lederhosen aus! So verwundert es auch nicht, dass wir uns – kurz nach den Ultras – bereits eineinhalb Stunden vor Anpfiff auf dem Weg zur Donnerhalle machen. Ich glaube, so früh war ich noch nie da. Aber alle sind bis in die Zehenspitzen gespannt. Es zieht uns allesamt magisch zum Tempel der Lust. Die wenigen Haltestellen vom Ernst- Kuzorra-Platz zur Arena, die wir mit der guten alten „302“ zurücklegen, offenbaren uns ein Feuerwerk der Sangeskultur. Selten habe ich erlebt, dass eine ganze Bahn so lautstark das Schalker Liedgut rauf und runter geträllert hat. Der Kutscher hat, glaube ich, sogar selbst mitgesungen.

220 Während wir noch vor der Mauer der 1000 Freunde stehen und ein letztes Erfrischungsgetränk zu uns nehmen, fällt mir noch eines auf: Noch gut und gerne 30 Minuten bis zum An- pfiff und man sieht kaum mehr ein blaues Trikot über den Platz huschen. Ganz Schalke hat sich schon zum Warmsingen in der Donnerhalle eingefunden.

Die Hütte ist voll. Unglaublich. Es gibt keinen schönerer Ort auf diesem wunderschönen Erdball!

Die Schalendiebe laufen gleich ohne den Rheuma–Kai, Scholl, Ze Roberto, Frings und Kovac auf. Bei uns sind, au- ßer den Langzeitverletzen und dem gesperrten Poulsen, alle Mann an Bord. Los geht’s!

Von der ersten Sekunde an gleicht die Arena heute mal wie- der einem Hexenkessel. Zwar ist bei jedem einzelnen Fan auch eine gewisse Anspannung, ein Hauch von Nervosität zu spüren, doch trotzdem wird heute das Stadion gerockt.

Nach nur acht Minuten der erste kleine Dämpfer für unser Team: Die Muskelverletzung bei Asa hat sich wohl wieder bemerkbar gemacht (scheiß Heilfleisch!) und er wird ge- gen Hamit Altintop ausgewechselt. Aber das wird uns nicht erschüttern können. Nur eine Minute später die eigentlich größte Chance der ersten Halbzeit. Direkt vor unseren Au- gen, also vor der Nordkurve. Unsere Nummer „10“, Lincoln, entwischt seinem Gegenspieler und spielt den Ball von der Grundlinie perfekt auf den völlig frei stehenden Ailton in die Mitte des Strafraumes. Der nimmt den Ball im Stand, mit seinem rechten Fuß direkt an, schießt jedoch aus gut und gerne zehn Metern den Kahnsinnigen an. Die Chance noch lange nicht vorbei: Vom Torwart der Bazen prallt der Ball ab und fällt Ebbe vor die Füße. Irgendwie springt der Ball von da aus wiederum zurück in die Mitte des Strafraumes. Und wer steht da immer noch? Ailton! Ich sehe es noch wie im Zeitraffer vor mir. Ideal kommt der Ball in halber Höhe auf ihn zu, er hebt die gefährlichste aller Fußballerpranken in

221 der höchsten deutschen Spielklasse – die linke Klebe – und trifft den Ball optimal. Volley. Der Ball fliegt mit einem Af- fenzahn Richtung Bayern-Tor. Der ist drin! Sicherlich! Ich höre jetzt noch das Pfeifen des Schusses, hebe die Arme zum Torjubel. Nur der heiß ersehnt Torjubel bleibt aus. Die Kugel hat doch tatsächlich irgendwie noch einen Weg über die Latte gefunden. Nichts ist es mit dem 1:0. Verdammter Mist! Wenn man die – zugegebenermaßen - geniale Abwehrleistung der Bayern am Mittwoch bei Arsenal London gesehen hat, dann ist davon auszugehen, dass es nicht viele solcher Riesenmög- lichkeiten im Verlaufe dieses Spiels für uns geben wird. Soviel ist sicher. Hoffentlich war es nicht gar die Einzige.

Geduld ist gefragt! Sicherlich kein Spitzenspiel was das Zäh- len von Großchancen betrifft. Allerdings ein taktisch und vor allem auch kämpferisch starkes Spiel unserer Blauen. Dies äußert sich auch an der Anzahl der Verwarnungen: Micha- el Ballack sieht für ein rüdes Foul an seinen Gegenspieler Kobiashvili gelb, der revanchiert sich umgehend und sieht dafür ebenfalls gelb. Die beiden schenken sich nichts. Auch Krstajic sieht nach einem Foul gelb. Geil! Es ist die erwarte- te Kampfpartie mit kleineren Ruppigkeiten und die Blauen geben keinen Quadratzentimeter heiligen Schalker Bodens freiwillig preis.

Die Stimmung in der Pause ist eigentlich ganz gut. Logo. Ist mittlerweile auch dem Letzten klar geworden, dass es heute – nicht wie noch vor drei Jahren – sicherlich kein glattes 5:1 geben wird.

Anstoß zur zweiten Hälfte. 45 Minuten Zeit, um dem ollen Kahnsinnigen einen einzuschenken. Unverändert bleibt es ein intensives, interessantes und vor allem ein spannendes Spiel. Allerdings auch weiterhin ohne große Chancen. Vor al- lem die Blauen begeistern uns mit ihrem unglaublichen Biss, ihrer enormen Leidenschaft, ihrem Willen. Mag zwar sein, dass die Bazen in ihren Reihen die besseren Einzelspieler haben, aber das, was sich da unten auf dem Rasen bewegt

222 und das königsblaue Trikot mit Stolz trägt, ist zweifelsoh- ne eine Einheit, eine füreinander kämpfende Mannschaft. Da ist Teamspirit wie bei den Eurofightern 1997 erkennbar. Das dollste Kompliment, was man einem Schalker machen kann.

Es folgt die entscheidende Szene dieses Spiels. Wie eigent- lich nicht anders zu erwarten, resultiert sie aus einer Stan- dartsituation. Fertig machen zum Jubeln! Unser Ebbe, einer der nach den bewegenden Weltschmerzszenen des Meister- schaftsfinales von 2001 im alten Parkstadion so etwas von geil auf die Schale ist, holt nach einem Foul an der halblinken Strafraumgrenze einen Freistoß für uns heraus. Gut und ger- ne 18 Meter Torentfernung. Nervös dirigiert der Kahnsinnige vor den Augen unserer Fans in der Südkurve seine Mauer unsicher hin und her.

Unsere Zaubermaus Lincoln läuft an und trifft den Ball opti- mal. Der fliegt mit viel Effet über die Mauer, schlängelt sich an Kahn, der viel zu weit in der linken Ecke steht, knapp un- ter der Latte ins Tor. Das Netz zappelt. Die ganze Südkurve springt wie eine Wand in die Höhe und ist Sekundenbruch- teile später nur noch ein hüpfendes Knäuel Mensch. Und jetzt habe auch ich es begriffen. Der Ball ist drin!!! 69 Minuten sind gespielt. Der Beton wackelt. Die Tribünen beben, Bierbe- cher fliegen in hohem Bogen durch die Luft, fremde und gut bekannte Menschen liegen sich in den Armen, drücken sich, küssen sich und schreien was das Zeugs nur hält. Jeder glaubt in diesem Moment daran. Sieg!!! Wir können die Schale an die Emscher holen!

Was dann folgt, ist eigentlich unbeschreiblich. Der Dezibel- messer fällt bei der Marke 200 aus, das gesamte – ja, auch die Gegengerade und die Haupttribüne - Stadion hüpft beim kollektiven „Spitzenreiter – Spitzenreiter – Hey – Hey“ und selbst die hart gesottensten Bazen-Fans sollten später, nach dem Spiel zugeben, sie hätten so etwas noch nie erlebt.

223 Fünf Minuten nach der Führung wieder ein Freistoß für uns, ein gutes Stück vom Strafraum der Bauern entfernt. Die Entfernung ca. 30 Meter. Keine Sache für Lincoln, son- dern für „Papa“ Bordon – meinem ganz persönlichen Spieler des Tages. Er nimmt Anlauf und zimmert das Ding direkt auf Olli Kahn zu. Ich würde zu gerne wissen, was der in die- sem Moment gedacht hat. Den Schuss als „Gewaltschuss“ zu umschreiben, wäre eine persönliche Beleidigung gegenüber Marcelo. Ich schätze mal, dass Kahn den Ball mit gefühlten 300 km/h irgendwie über das Tor gefaustet hat, in der Hoff- nung, er möge nie wieder im Laufe seiner weiteren Karriere einen solchen Schuss parieren müssen.

Danach fällt noch Ailton aus dem Rahmen, erhält auf einmal nach zwei gelungenen Defensivaktionen stehende Ovationen. Alles für die Meisterschaft! Das war es dann auch. Fünf Mi- nuten vor Abpfiff hat zwar Lincoln noch die Riesenchance auf 2:0 zu erhöhen, vergeigt aber. Wer wird es ihm jemals krumm nehmen?

A propos Abpfiff: Schiedsrichter Fandel pfeift tatsächlich pünktlich ab. Pünktlich nach 90 Minuten. In Manier des Kahnsinnigen stürmt das halbe Bazenlager auf ihn ein, be- schimpft, beleidigt und bedrängt ihn. Ja glauben die denn ernsthaft, man würde immer viereinhalb Minuten nachspie- len lassen? Oder gar noch länger, bis der Ausgleich fällt?

Ich sage nur: Peinlich! Schlechte Verlierer seid ihr!

Allerdings, auch mit einem dicken Augenzwinkern, ein Lob an unseren Cheftrainer. Der, das haben glaube ich nur die wenigsten im Stadion mitbekommen, hat auf eine letzte Aus- wechslung bestanden und somit dem vierten Schiedsrichter die Anzeigentafel für die Nachspielzeit blockiert. Der hatte ja nur eine.

Die Donnerhalle ist im Moment des Abpfiffs ein Tollhaus. Königsblaue Ekstase pur. Keiner geht nach Hause. Alles steht

224 auf den Rängen, singt, klatscht, jubelt. Gänsehautfeeling überall. Hühnerpelle.

Würstchen-Ulli verlässt wutenbrannt den Ort der Niederlage und wird tagelang kein Interview mehr geben. Der Kahnsinni- ge versucht unserem Trainer die Hand zu brechen und durch die 150.000-Watt Boxen dröhnen die Florians: „...Deutscher Meister kann nur Schalke sein...Königsblauer S04...“. Live gesungen. Das geschlossene Dach der Arena droht wegzuflie- gen. Ich glaube, in diesem Moment recken 62.000 Schalker ihren Schal stolz in die Höhe, verwandeln die Donnerhalle in ein einziges Meer in Blau und Weiß. Meine Güte, was wird hier bloß los sein, wenn wir wirklich die Schale an die Em- scher holen sollten?

Ich hole tief Luft und gehe kurz in mich, lasse die Gescheh- nisse im Schnelldurchlauf noch einmal Revue passieren. Wahnsinn, wir haben es geschafft! Wir gehen nun mit 53 Zählern, also mit drei Punkten Vorsprung vor den Bazen, in den nächsten Spieltag. Neun Ligaspiele sind insgesamt noch auszutragen. Wobei wir wohl das etwas schwierigere Restprogramm haben, die Bayern aber auch noch in der Zas- ter-Liga mitwirken. Von mir aus können sie diese gewinnen, Hauptsache, die hässlichste Salatschüssel der Welt kommt an den Schalker Markt.

„Spitzenreiter – Spitzenreiter – Hey – Hey“ hallt es noch ein- mal durchs gesamte Stadion. Das Wackeln des Betons unter meinen Füßen, unseres Blocksegmentes, holt mich wieder aus den Wolken, auf den Boden der Tatsachen. Über Schalke ist ab sofort nur noch der Himmel.

Nachdem das gesamte Stadion auch den dritten Klassiker aus der S04- Gesangsschublade lauthals mitgesungen hat, gehen wir zum nicht unwesentlichen letzten Teil des Tages über: Den Feierlichkeiten! Auf Gelsenkirchens Straßen ist die Hölle los. Als hätten wir die Schale bereits im Sack. Hupkonzerte überall Leute hängen Fahnen schwenkend gefährlich weit

225 aus den Autofenstern heraus. Das gesamte Handynetz bricht hinterm Kanal zusammen. Auf ein gemeinsames Siegerpils – bei mir ist es bevorzugt ein guter Roter – treffen wir uns noch bei mir daheim und kriegen gerade noch die Nachbe- richterstattung und die Interviews mit. Mensch haben wir gelacht! Ich glaube, der Titel: „der Meister der Sprüche“ - in Anlehnung an diesen elendigen „Meister der Herzen“, der uns von 2001 leider immer noch anhängt - könnte passender und treffender für die Bazen heute nicht sein.

Als ganz, ganz schlechte Verlierer zeigt sich einmal mehr der FC Bayern. Man sollte das Gejammere der Personalabteilung der Seppels mit Missachtung strafen, aber der Kapitän der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft und Mittelfeldstar gibt seine rhetorische Fähigkeiten so sehr zum Besten, dass es der Nachwelt unbedingt erhalten blei- ben muss. Auf eine Frage eines WDR-Reporters, wie er denn das Spiel gesehen habe, antwortete dieser sinngemäß: Wir – also wir Schalker - würden nicht lange oben an der Spitze stehen, denn wir hätten viel zu schlecht gespielt, wären viel zu schwach gewesen. Daraufhin unser Coach „Rolf“ Rang- nick – und alleine dafür liebe ich diesen Mann schon wieder: „Wenn der Herr Ballack meint, dass wir nicht gut waren, so hat es doch zumindest gereicht, die Bayern zu schlagen.“ Ist der Kerl nicht herrlich?

226 20.03.2005 FSV Mainz 05 – Schalke 04 • 2:1

Mensch, wie ist das schön. Eine ganze Woche lang konnten wir uns an der Ta- bellenspitze sonnen und nicht oft genug konnte ich in diesen Tagen die ARD- Videotextseite 253 aufrufen. „Platz 1. - Schalke 04 - 53 Punkte“. Und das auch noch passend zum lang ersehnten Früh- lingsbeginn. Ist das Leben nicht schön?

Am Sonntag steht nun das Auswärtsspiel in Mainz an. Ei- ner der vermeintlich „Kleinen“, die uns bekanntlich so oft das Genick brechen. Aber mit stolz geschweller Brust und dem Selbstvertrauen eines Tabellenführers sollte doch das eine oder andere Pünktchen beim Karnevalsverein zu holen sein.

Auch zu diesem Spiel haben wir, der Supporters Club e.V., uns einmal mehr etwas ganz Besonderes einfallen lassen. Wie schon zum Auswärtsspiel bei der KGaA aus der Nähe von Lüdenscheid, werden wir auch am Sonntag mit dem Schiff anreisen. Zwar wäre die Strecke von GE nach Mainz über die verschiedensten Wasserwege natürlich viel zu lang, aber wir sind ja bekanntlich im Organisieren solcher Touren halbe Profis. Was liegt also näher, als von Frankfurt aus einzuschif- fen? Und genauso werden wir es tun. Von GE aus werden sich insgesamt 250 Schalker, auf Busse verteilt, am frühen Sonntagmorgen Richtung Frankfurt in Bewegung setzen, um dann in Mainhatten auf die „MS Wappen von Frankfurt“ um- zusteigen. Dieser Luxusliner wird uns dann binnen ca. drei Stunden nach Mainz schiffen, von wo aus wir nach dem Spiel mit unseren Bussen wieder gen GE reisen werden. Genial, oder? Zwar steckt natürlich mal wieder eine Mordsarbeit hin- ter der Organisation und der Durchführung der Tour, aber was kann es Schöneres geben, als als Spitzenreiter auf Vatter Main, bei strahlendem Sonnenschein und frühlingshaften

227 Temperaturen, zum Auswärtsspiel zu reisen? Der Supporters Club e.V. wie er singt und lacht.

Reibungslos ist die Nussschale geentert. Das Schiff ist wirk- lich riesig und alle haben locker Platz. Im Vergleich zu dem Kahn, den wir bei der Doofmund-Tour hatten, ist dieser hier der Kategorie Champions-League zuzuordnen. Während die Santa Monika damals wohl eher Kreisklasse war. Vom Ser- vice bis zur Ausstattung, alles wirklich klasse. Nur das Bier hätte, bei 2.50 € für ein 0.33 l Binding, ein wenig günstiger sein können. Watt soll es, Qualität und Service haben halt ihren Preis.

Alles passt! Die Meisterschalen aus Pappe und Polyester glänzen in der Sonne und scheinen auf den Wellen, die un- ser Boot wirft, zu tanzen. Je länger wir unterwegs sind, desto mehr steigt die Stimmung auf dem Kahn. Kurz vor Mainz sind, glaube ich, fast alle Mitreisenden an Deck und singen sich schon einmal für das Spiel warm. Zum Entzücken der unzähligen Spaziergänger, Anwohner und Sportler, die den sonnigen Sonntagnachmittag entlang des Mains zur Ausü- bung ihrer Freizeitaktivitäten nutzen.

Gegen 15 Uhr in Mainz angekommen, werden wir von einem netten Trupp grüner Ordnungshüter in Empfang genommen. Und wenn ich sage nett, dann meine ich auch wirklich nett. Sie bieten uns an, uns den Weg bis zum Stadion, welches immerhin eine gute Stunde Fußmarsch entfernt liegt, zu be- gleiten. Einige nehmen dieses Angebot dankend an, nachdem sie verdutzt zur Kenntnis genommen haben, dass unsere Bus- se uns nicht direkt hier wieder in Empfang nehmen. Leute, ein kleiner gesunder Fußmarsch hat noch keinem Schalker geschadet. Wir wollen euch kämpfen sehen!

Die meisten von uns entscheiden sich sowieso für einen kur- zen Besuch der Mainzer Altstadt. Und der lohnt sich wirklich. Ich selbst bin auch zum ersten Mal hier und das nette Eiscafé direkt neben dem Dom, in welchem wir für ein Stündchen in

228 der Sonne Platz nehmen, hätte ich in Gelsenkirchen auch ger- ne. Wirklich, ein tolles Städtchen. Allerdings sind wir ja zum Fußballgucken hier. Um die Tabellenführung zurückzuero- bern, nachdem gestern die Bazen ihr Heimspiel, mühselig, gegen Hansa Rostock gewonnen haben.

Die Anspannung, eineinhalb Stunden vor Anpfiff, steigt nun doch spürbar an und wir begeben uns langsam aber sicher in Richtung Stadion. Eine gute halbe Stunde später stehen wir direkt vor dem Stadion am Mainzer Bruchweg. Unterwegs mussten wir in hunderte von traurigen Gesichter blicken, die kleine Pappkartons mit dem Schriftzug: „Suche Karte“, vor ihrer Brust hielten. Mainzer sowie Schalker Fans. Nicht nur in unserer Arena gibt es also immer zu wenige Tickets. Ist natürlich in Mainz eine andere Ausgangslage – es passen hier von vorne herein nur ca. 20.000 Fans ins Stadion.

Die Hütte selbst ist ein kleines, aber feines Schmuckstück. Dicht gedrängt stehen wir im Stehplatzbereich und wundern uns schon ein wenig darüber, dass auf der provisorisch auf- gebauten Hilfstribüne kaum Wellenbrecher vorhanden sind. Das der DFB so etwas zulässt. Tatsächlich liegen auch alle zwei Minuten irgendwelche Blaue auf den Stufen.

Asa hat es diesmal nicht geschafft rechtzeitig fit zu werden. Auch Tim Hoogland laboriert immer noch an einem Weh- wehchen. Daher startet die siegreiche Elf vom Bayern-Spiel. Warum auch nicht? „Never change a winning team!“ Schieds- richter der Partie ist heute Lutz Michael Fröhlich. Ja, das kann ja fröhlich werden. Beim Einlaufen der Teams legt das gesamte Stadion eine beeindruckte „100 Jahre Mainz 05“- Choreo hin. Nicht schlecht. Und der ehrlich gemeinte Ap- plaus der Schalker Fankurve beweist, dass auch die anderen Schalker dies so sehen

Das Spiel wird angepfiffen. Die Mainzer sind heißer als je zuvor. Aber noch haben wir in diesem Moment einen Punkt sicher und sofort skandieren die 2.000 mitgereisten Schalker

229 hüpfend ihr derzeitiges Lieblingslied: „Spitzenreiter – Spit- zenreiter – Hey - Hey“.

Erster Ballkontakt Lincoln im Mittelfeld, erster Ballverlust. Ein Mainzer Spieler mit Namen Michael Thurk, den haben die Knappen scheinbar noch nie gehört, überläuft auf der linken Seite Nils Oude Kamphuis und darf ungehindert in den Sechzehner flanken. Benjamin Auer verlängert den Ball per Kopf zu Fabian Gerber, der kann aus acht Metern köpfen, das Netz zappelt. 1:0 nach nur 20 Sekunden. Alle taktischen Überlegungen über Bord geworfen. Die Jungs haben schlicht und einfach gepennt. So ein Bockmist! Jetzt wird es ein ver- dammt schweres Spiel für uns. Das Mainzer Publikum geht geschlossen mit. Ein wirklich beeindruckender Support. In unserem Gästeblock macht sich fast ein wenig Resignation breit. Als hätte man es geahnt. Immer diese kleinen Gegner, die uns die Liga so zur Hölle machen, die uns unnötige Qua- len leiden lassen. Der Schock scheint den Blauen bis tief in die Glieder gefahren zu sein, denn, um es kurz zu machen: Bis zur Halbzeit kriegen sie gar nichts auf die Kette. Während die junge Mainzer Truppe mit Einsatz, Kampfeswillen und Leidenschaft ihr Spiel durchzieht, scheinen unsere Jungs ir- gendwie pomadig, ungestüm und viel zu passiv zu agieren. Dyn-Hamit verdribbelt sich ein ums andere Mal und auch die anderen lassen sich anstecken. Der S04 ist im Vergleich zum Spiel gegen die Bazen, leider, nicht wieder zu erkennen. Außer einem Kopfball von Papa Bordon, nach einer Ecke und einem halbgefährlichen Schuss von Ebbe, war es das. Die Mainzer dagegen hätten durchaus zum 2:0 erhöhen können. Unverdient wäre es nicht gewesen.

In der Pause gönne ich mir, zur Beruhigung der Nerven, ein Light-Bier und begebe mich dann zügig zurück zu meinem Stehplatz, bevor sich der Block wieder völlig überfüllt. Ir- gendwie scheinen die mehr Karten verkauft zu haben, als tatsächlich Platz in unserer Kurve ist. Eigentlich gefährlich, interessiert mich jedoch jetzt gerade herzlich wenig.

230 Nach dem Wiederanpfiff gehen die Blauen ein wenig ent- schlossener und aggressiver zu Werke. Da gab es wohl in der Kabine eine etwas lautere Ansprache des sportlichen Übungsleiters. Wir bestimmen das Geschehen, aber richtig zwingend sind wir dabei allerdings trotzdem nicht. Einzig Papa Bordon hat heute scheinbar einen guten Tag erwischt. So langsam sollte es, meiner Meinung nach, nun doch endlich losgehen. Lincoln bringt Hanke, der in der Zwischenzeit für den schwachen Ailton gekommen ist, in eine prima Schuss- position. Entfernung zum Tor etwa 12 Meter. Der Mainzer Keeper Dimo Wache kann den Schuss zwar glänzend parie- ren, doch als Kamphuis den Abpraller verwandeln will, wird er von einem Mainzer Spieler gefoult. Schiedsrichter Fröhlich zeigt, ohne zu zögern, sofort auf den Elfmeterpunkt. Auch die Mainzer Spieler protestieren nicht. Ein glasklarer Elfer. Die Möglichkeit zum Ausgleich und zur erneuten Tabellen- führung, zwanzig Minuten vor dem Abpfiff. Der ansonsten eher schwache Lincoln verwandelt diesen Strafstoß souverän. Dank der fehlenden Wellenbrecher liegt der halbe Schalker Tross jubelnd auf den Tribünen und dem Hosenboden.

Wurde aber auch Zeit! Wir werden jawohl nicht wirklich auf dem Weg zur Meisterschaft an der Hürde Mainz 05, einem besseren Karnevalsverein, scheitern, oder? Noch zwanzig Mi- nuten um aus dem 1:1 sogar noch eine Führung zu machen. Wir sind am Drücker. Da geht noch was. Da ist noch was drin! Denkste! Einen satten Schuss von Ebbe kann Wache noch glänzend parieren, aber im Gegenzug schummelt sich Thurk einmal mehr an Kamphuis vorbei und kommt frei vor Rost zum Schuss. Er drischt die Pille aus acht Metern un- haltbar in die Maschen. 2:1, die erneute Führung für Mainz und nur noch knapp zehn Minuten zu spielen. Das wird böse enden!

Die Mainzer Fans, in den letzten Minuten etwas ruhiger ge- worden, sind wieder voll da und feuern ihre Mannschaft be- dingungslos an. So etwas Ärgerliches! Da kommen die Main- zer in der zweiten Spielhälfte nur einmal vor unsere Bude und

231 schon schießen sie gleich wieder das Führungstor. Und das, obwohl wir am Drücker waren. Fußball kann so ungerecht sein.

Das war es. Im wahrsten Sinne des Wortes!

So ein Mist! Unsere erste Niederlage nach vier Siegen in Serie. Unsere erste Niederlage bei einem Sonntagsspiel. Nur eine Woche konnten wir uns an dem Platz an der Sonne behaup- ten. Vom Jäger zum Gejagten. Ich will ja keine unnötigen Vergleiche anstellen, aber irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die Jungs schlicht und einfach die Buxe voll hatten. Das Saison-2001-Syndrom? Kann ich mir eigentlich nicht vorstellen. Aber eine gewisse Portion Nervosität war sicherlich nicht von der Hand zu weisen. War der Druck doch zu groß?

Wie gesagt, ich kann und will es mir nicht vorstellen. Und auch wenn meine Enttäuschung jetzt gerade riesengroß ist, ist natürlich noch lange nichts gegessen. Wir sind immer noch punktgleich mit den Bazen an der Tabellenspitze und nur aufgrund des schlechteren Torverhältnisses auf den zwei- ten Platz zurückgefallen. Die Bazen werden auf jeden Fall, da bin ich mir sicher, noch Federn lassen. Zumal sie mit Chelsea London im Viertelfinale der Champions-League noch min- destens zwei schwere Spiele vor der Brust haben.

Aber die Punkte in Mainz hatte ich in meiner ganz persön- lichen Rechnung eigentlich feste mit einkalkuliert und eher mit Punktverlusten auswärts in Berlin oder Stuttgart gerech- net.

Es kam, einmal mehr, anders. Schade an sich. Bis zum An- pfiff des Spiels war es ein rundum perfekter Tag. Eine geile Auswärtstour mit super Stimmung auf dem Schiff und dann diese dumme Niederlage. Das einzig Positive zum Ausklang des Tages ist die Tatsache, dass ich – da ich morgen in aller Frühe einen Arzttermin habe - mit Schlammi und seinem

232 Auto heimfahre. Bereits um 21.30 Uhr betrete ich wieder heimischen Boden und in unserer Stube überrasche ich mit meiner frühen Ankunft die Fiene. Sie empfängt mich zum Trösten. Kurz darauf erhalte ich von Rabe einen Anruf. Ei- ner unserer Busse hat eine Panne. Und dann auch noch der Megaliner mit 80 Leuten an Bord.

Erst um vier Uhr morgens sollten meine tapferen Mitstreiter wieder daheim sein. Bockmist, kann ich aber jetzt auch nichts machen. Jetzt heißt es, zwei Wochen lang ausruhen, nicht jammern und meckern, sondern die nächsten drei Punkte beim Heimspiel gegen den Club einfahren! Abhaken und positiv denken! Schalke gewinnt, Schalke gewinnt, bis wir Deutscher Meister sind.

233 02.04.2005 Schalke 04 – 1. FC Nürnberg • 4:1

Wie sagt man doch so schön? Ab sofort gibt es nur noch Endspiele. „Nur noch acht Endspiele bis zur Schale!“.

Zumindest das Wetter ist heute auf jeden Fall schon endspielreif. Zarte 20° C an einem richtig schönen Frühlingstag. Im Vergleich zum Hinspiel, zur Freude aller Fußballfans, ein großartiger Termin für dieses Aufeinandertreffen von Schalke und Nürnberg. Die traditionelle Fanparty steigt am Gelsen- kirchener Hauptbahnhof. Es soll die letzte Veranstaltung vor seinem Umbau sein. Fertigstellung des neuen Bahnhofes soll dann, kurz vor der WM, im nächsten Jahr sein. Wer es glaubt, wird selig. Vermutlich ein verspäteter Aprilscherz der Bahn AG. Ich würde auf jeden Fall wetten, dass die nächste Fan- party, sollte der FCN nicht absteigen, ebenfalls wieder hier – und zwar nicht auf einer Baustelle – stattfinden wird.

Frohen Mutes gehe ich, gemeinsam mit Deppi, relativ früh los. Und zwar ausnahmsweise zum „Schalker“, wo wir auf Goe, Helge, Heiner, Rabe und Konsorten treffen. Gesprächsthema Nummer Eins ist, nein, nicht der Tod von Harald Juhnke oder das nahende Ableben des Papstes, sondern die erneu- te Verletzung von Gustavo Varela. Dieser war unterhalb der Woche mit seinem gerade genesenen Knie im Rasen hängen geblieben. Erneute Knieverletzung, mindestens ein halbes Jahr Pause. Da kann er sich prima zu Azouagh gesellen. Und „wenne Samstach überlebst – dann ist Sonntach“.

Das Spiel beginnt mit einem Paukenschlag. Nur wenige Se- kunden sind gespielt, als unserem Ebbe auf einmal das Blut

234 nur so aus der Nase spritzt. Nein, keine Szene aus einem Hor- rorfilm. In einem Zweikampf mit einem Nürnberger Spieler hat er sich die Nase gebrochen. Ab, sofort ins Krankenhaus, die Nase wieder gerade biegen lassen. Das kommt davon, wenn man sich nicht richtig warm macht!

Rangnick zögert keine Sekunde und wechselt Mike Hanke ein, der seit Wochen fordert, von seiner Rolle als Edeljoker erlöst zu werden und der von Anfang an in der Startformation stehen will. Im Nachhinein dürften sich alle Beteiligten wohl gefragt haben, wer an diesem Tage den richtigen Riecher hat- te. Ebbe wohl eher nicht. Unser Trainer da schon eher. Zwei- felsohne aber Mike – und zwar den richtigen Torriecher.

Nachdem wir zwanzig Minuten lang einen müden Kick auf dem Rasen sehen, gibt es einen Freistoß für uns. Lincoln zir- kelt ihn lang in den Strafraum. Dort steht Hanke goldrich- tig und köpft den Ball freistehend ins Tor (24.). Alles richtig gemacht, Ralf! Keine zehn Minuten später: Ailton wurstelt sich im Mittelfeld durch und spielt dann uneigennützig auf den durchstartenden Hanke. Der hat keine Probleme, den Ball souverän von der Strafraumgrenze zum 2:0 ins Netz zu schieben (36.). Und während die Arena im zweiten Torju- bel versinkt, legt Ailton mit einem präzisen Heber aus dem Fußgelenk über den vor ihm herausstürmenden FCN-Keeper nach. 3:0 (40.). Endlich mal eine sensationelle Chancenaus- wertung. Beruhigt gehen wir in die Pause, allerdings führen die Bazen in Wolfsburg mittlerweile ebenfalls mit 2:0, was unsere gute Stimmung doch ein wenig trübt. Jetzt wird das Ergebnis aus Mainz umso ärgerlicher.

Die zweite Halbzeit entwickelt sich zum Langweiler. Anstatt etwas für unser schlechtes Torverhältnis zu tun, verwalten unsere Blauen das Ergebnis. Zwar trifft Hanke nach einer dollen Einzelaktion in der 50. Spielminute noch einmal den Pfosten, doch danach geht es los. Krstajic holt sich für ein dummes Foul seine fünfte gelbe Karte ab und wird uns dem- nach nächste Woche beim Spitzenspiel in Stuttgart fehlen. Es

235 wird noch besser: Der kurz zuvor eingewechselten Samuel Slowak flankt, von Pander nicht bedrängt, von der halbrech- ten Seite in den Schalker Strafraum. Überraschend für Rost – und den Rest des Stadions – senkt sich der Ball als Bogen- lampe ins lange Eck. Der Anschlusstreffer zum 3:1 (55.).

Eine Viertelstunde vor Abpfiff dann doch noch ein versöhnli- ches Ende und die endgültige Entscheidung für uns Fans. Ein herausgespieltes Tor der Marke: „Zucker“! Lincoln umdrib- belt zwei Nürnberger und spielt zu Asa. Der könnte selber schießen, spielt jedoch mit viel Übersicht erneut auf Lincoln zurück. Dieser hat keine Mühe aus sieben Metern den Ball zum 4:1-Endstand ins rechte Eck zu schießen. Bereits sein vierter Treffer im vierten Spiel hintereinander. Kein Wunder, dass Real Madrid mittlerweile zaghaft anklopft! Angeblich.

Was bleibt? Ein glanzloser Sieg bringt uns nach dem verlo- renen Spiel in Mainz, zurück auf die Erfolgsspur. In dieser Form ist unser Mike Gold wert und lässt sowohl Ebbe als auch den Nürnberger Torschützenkönig Mintal blass um die Nase erscheinen. Und zu guter Letzt versprechen uns die Club-Fans auf dem Heimweg, die Bazen im Rückspiel zu schlagen. Macht et Jungs, und ich verspreche euch meine ganz persönliche Fanfreundschaft bis an mein Lebensende!

236 09.04.2005 VfB Stuttgart – Schalke 04 • 3:0

Was war diese Woche auf Schalke nicht alles los?! Eine Meldung er- schüttert erdbebenartig, die Schal- ker Fanszene. Die „Spocht-Bild“ will erfahren haben, dass das Schalker Management den Namen unserer Donnerhalle für fünf Jahre an den „Samsung-Konzern“ verkaufen möchte. Sie würde demnach den Zusatz des Sponsors erhalten und fortan: „Samsung Arena Auf Schal- ke“ heißen. Hört sich das nicht schrecklich an?

Aufgrund dieses Themas geht die Vorbereitung auf das heu- tige Spitzenspiel in Stuttgart ein wenig unter. Und was ist das doch für ein immens wichtiges Spiel. Der Tabellenzweite spielt gegen den direkten Konkurrenten von Platz drei. Ge- winnen wir in Stuttgart, ist die Champions-League-Qualifi- kation für uns wohl so gut wie sicher. Verlieren wir - ich will es mir gar nicht erst ausmalen.

Allerdings hat, auch in unseren Reihen, während der Hin- fahrt in der vollen Kröte das Thema „Samson-Arena“ abso- lute Priorität. Ist aber tatsächlich auch ein heißes Eisen. Und so diskutieren wir uns mit Rabe, Ötte, dem „Chef-Schlammi“ und Denis bei einer leckeren Brause die Köpfe heiß, wägen die Vor- und Nachteile eines eventuellen solchen Deals ab. Gar nicht so einfach, da auf einen Nenner zu kommen. Es gibt einiges, was dafür, aber auch vieles, was dagegen spräche. Dabei reichen die vorsichtigen Abwägungen von Vor- und Nachteilen eines solchen Schrittes in unserer Runde von tie- frational bis hochemotional. Und dazwischen klafft ein tiefer Graben.

237 Die Befürworter eines solchen Deals argumentieren wie folgt: Es wäre in schweren wirtschaftlichen Zeiten eine gute neue Einnahmequelle für unseren Verein. Quasi geschenktes Geld, das man mitnehmen muss. Zumindest vor dem Hintergrund unserer derzeitigen finanziellen Lage. Wäre es da vielleicht nicht sogar geradezu fahrlässig, auf die Kohle zu verzich- ten?

Des Weiteren fällt in der Runde immer wieder das Stichwort: Tradition. Aber auf welche Tradition blickt denn die Arena bisher zurück? Die Hütte existiert nun seit 2001. Der Name hat keine Tradition. Tradition hat der Verein, der Fußball- club Schalke 04. Sicherlich auch die Kampfbahn Glückauf - aber sicherlich nicht die Donnerhalle. Die Tradition, die tragen wir, die wir heute hier im Bus sitzen, im Herzen. Und diese Tradition nehmen wir alle zwei Wochen mit in einen Koloss aus Stahl und Beton, in dem wir unsere Heimspiele austragen.

Das Geld sollte man daher auf jeden Fall mitnehmen und (nach Möglichkeit) zweckgebunden für Sondertilgungen nutzen, Reserven und Rücklagen bilden, um Schulden bzw. Verbindlichkeiten abzubauen und in absehbarer Zeit wirt- schaftlich gesund im eigenen abbezahlten Stadion kicken zu können.

Die Vermarktung des Stadionnamens ist uns allen, in dem Punkt sind wir uns einig, immer noch erheblich lieber als die Aufnahme teurer Kredite. Oder gar die Verpfändung des Stadionnamens für die Aufnahme eines solchen. Man schaue nur auf die KGaA aus der Nähe von Lüdenscheid.

Und hat unser Club in seiner grauen Vorzeit, nämlich 1928, nicht eh schon einmal seinen Namen für Geld geändert, ge- opfert, hergegeben?

So argumentiert der eine Teil. Da ist natürlich was dran. An- dererseits jedoch, argumentiert die eher emotionale Gegen-

238 partei, war es doch gerade immer die Philosophie unseres Clubs, genau dieses Tafelsilber bis zum Schluss, für schlechte Zeiten, in der Hinterhand behalten zu wollte. Der Name der Arena ist so etwas wie die letzte heilige Kuh, die zu Schlach- ten es unbedingt zu vermeiden galt. Dass es vielleicht einmal so kommen würde, war vielen von uns klar. Aber irgendwie hatte niemand gerade jetzt damit gerechnet. Warum? Was steckt dahinter? Was kommt danach? Werden weitere Rechte verkauft? Haben wir es wirklich so nötig?

Fragen, die alle Fans in diesen Tagen bewegen. Und dann natürlich die tief-emotionale Komponente: Sollte unser Sta- dionname nicht einzigartig bleiben, wie der Club, wie seine Fans, wie seine Geschichte selbst? Müssen wir uns wirklich einreihen in all die 08/15-Arena-Namen? Haben wir nicht schon genug Werbung rund um den Ball? Sollte sich unser Stadion nicht lieber tatsächlich doch nach Fußball statt nach einer Handymesse anhören?

Bevor wir uns versehen und auf einen Nenner gekommen sind, sind wir schon in Cannstadt angelangt. Zwar ohne ein befriedigendes Ergebnis, aber trotzdem noch als Freunde vereint. Wir brechen daher an dieser Stelle die Diskussions- runde ab und spazieren, wie üblich, rüber zum PSV-Heim hinter der Gästekurve, wo wir uns noch mit einigen anderen Schalkern verabredet haben und verbringen die restliche Zeit bis zum Anpfiff mit einigen Pläuschchen.

Bei uns fehlen der gelb gesperrte Krstajic und der nicht recht- zeitig fit gewordenen Ebbe. Das Risiko, mit der gebrochenen Nase zu spielen, war wohl, trotz spezieller Gesichtsmaske, allen Verantwortlichen doch zu groß. Gerade dieser Ausfall sollte jedoch problemlos zu kompensieren sein. Hat doch ge- rade der sehr selbstbewusst auftretende Mike unterhalb der Woche, auf die Frage einiger Journalisten hin, wie er denn zu einem möglichen Wechsel Kevin Kuranyis an die Emscher stünde, geantwortet: „Schalke braucht keinen Kuranyi, Schal- ke hat Hanke“.

239 90 Minuten später sind wir alle schlauer. Kuranyi hat uns drei Buden eingeschenkt, Lincoln ist zum zweiten Mal in dieser Saison mit gelb-rot vom Platz geflogen. Bordon ist, aufgrund seiner fünften Gelben Karte, ebenfalls im nächsten Spiel gesperrt und für Christian Pander ist die Saison, mit Verdacht auf Innenbandriss, gelaufen.

Herzlichen Glückwunsch, Schalke! Da hat man ja mal wieder hübsch fein die Meisterschaft verspielt. Ein wahres Schlacht- fest. Und die Bazen gewinnen natürlich, mit Glück und Dusel, gegen Gladbach. Ach, was interessieren mich eigentlich die Bayern? So lange wir unsere eigenen Spiele nicht gewinnen, können die eh spielen, wie sie wollen. Der VfB jedenfalls ist somit bis auf zwei Punkte an uns heran gekommen.

Immer noch stehe ich konsterniert auf meinem Platz und blicke ins Leere, während die VfB-Fans ihre Mannschaft fei- ern. Um mich herum geht es Tausenden von Schalker ebenso wie mir. Nichts als Schmerz, nichts als Leid. Willkommen in der Realität, willkommen auf dem Boden der Tatsachen. Willkommen beim FC Schalke 04.

Ich fühle mich an so manches Spiel aus den letzten zwei Jahren erinnert. Wird der Traum von der Schale wirklich zu unserem Dauertrauma? Geht das überhaupt? Kann aus ei- nem Traum, einem großen unbändigen Wunsch, ein Zustand dauernder seelischer Verletzung werden?

Die Meisterschaft ist abgehakt. Da bin ich mir sicher. Aber immerhin gibt es da ja auch noch eine reelle Chance auf das Pokalfinale in Berlin. Es gibt schlimmere Ausgangslagen. Und trotzdem ist es so traurig. Ich habe fertig!

240 16.04.2005 Schalke 04 – Hamburger SV • 1:2

Irgendwie beginnt der heutige Tag so, wie das Wetter draußen ist: Grau in grau. Die vergange- nen Tage waren keine Guten, zumindest für meinen S04. Erst die wohl entscheidende Niederlage im Kampf um die Meisterschaft beim VfB Stutt- gart, dann noch das Ausscheiden des FC Bayern im Viertel- finale der Champions-League gegen Chelsea London – die werden jetzt mit Mann und Maus alles daran setzen, die zwei nationalen Titel zu gewinnen - und letztlich dann auch noch der Verkauf der Namensrechte unserer Arena an die Firma Veltins.

Das Thema war eigentlich, nach einer dementsprechenden Aussage von Rudi Assauer, schon vom Tisch. Aber frei nach Adenauers „Was kümmert mich mein Geschwätz von ges- tern?“ wird nur Stunden später der Deal mit der sauerlän- dischen Brauerei bekannt gegeben. Was soll man dazu noch Großartiges sagen? Das Thema haben wir letzte Woche auf der Fahrt nach Stuttgart schon hinlänglich durchgekaut. Richtig wohl ist uns allen nicht bei dem Gedanken, aber so ist halt der Fußball im Jahr 2005. Und wer diese Entwick- lungen nicht mehr bereit ist zu tragen, muss sich wohl oder übel vom Fußball verabschieden.

Das man uns allerdings von Vereinsseite aus sagt, 90 % der Fans hätten den Club fast schon dazu gedrängt, diesen Deal einzugehen, ist schlicht und einfach nicht wahr. Rudi geht sogar noch einen Schritt weiter. Auf die Frage eines Repor- ters hin, ob man denn mit einem solchen Schritt nicht die Seele des Vereins verkauft hätte, antwortet dieser vor lau- fenden Kameras: „Nein, Veltins ist Bestandteil der Seele des FC Schalke 04“.

241 Spielt man wirklich so mit diesen Begriffen, mit den Worten? Alles nur Rhetorik, Metaphern, akrobatische Verbalspagate? Der Mythos Schalke, die gelebte und gefühlte Tradition nur ein Hirngespinst? Nein Rudi, für dich, für den FC Schalke 04 wie Du ihn siehst, mag Veltins ein Teil seiner Seele sein. Für uns ist Veltins – so gut es auch schmecken mag - sicherlich kein Teil der Schalker Seele.

Das Ende des Liedes ist, dass wir ab dem 1. Juli 2005 in der „Veltins-Arena“ spielen werden. Mindestens zehn Jah- re lang. Dafür sollen pro Jahr um die fünf Millionen Taler in die Vereinskasse gespült werden. Das hört sich natürlich schon wieder ganz gut an. Prompt wird die Verpflichtung des Noch-Freiburgers Bajramovic bekannt gegeben, den derzeit die halbe Liga jagt. Also zumindest auch eine halbwegs gute Meldung in dieser Woche.

Und wenn wir gerade schon einmal bei grau waren und nun von Spielern reden: Heute fehlen uns Bordon, Lincoln (ge- sperrt), Vermant und Pander (verletzt). Ja herzlichen Glück- wunsch! Dafür, dass wir heute unbedingt gewinnen müssen, beste Rahmenbedingungen. Hoffentlich kommen die Ver- antwortlichen von Veltins nicht auf die Idee, dank des dollen Deals, gerade heute Freibier im Stadion zu verteilen. Denn gerade heute gilt für Deppi und mich: Kein Alkohol. Morgen steht der 3. Ruhrmarathon an und wir sind natürlich dabei. Zumindest darauf freuen wir uns wie doof.

Pünktlich betreten wir kurz vor Anpfiff die „noch“-Donner- halle. Mittlerweile scheint auch wieder die Sonne vom kö- nigsblauen Himmel. Gute Vorzeichen also für unseren S04. Scheinbar hat Veltins jedoch nicht nur die Namensrechte für unsere Heimspielstätte erworben, sondern irgendwelche Zu- satzklauseln mit in den Handschlagvertrag einbauen lassen. Ansonsten ist es nicht zu erklären, warum bei schönstem Wetter das Dach heute zu ist. Sollte es nicht, so Rudi, beim Fußball immer offen sein? Spontan denke ich schon wieder an den großen Altkanzler. Oder liegt es doch an irgendwel-

242 chen erhöhten Feinstaubwerten? Sicher ist: Das Dach der „Veltins-Trink-Halle“ bleibt heute geschlossen.

Ralf Rangnick hat sich, trotz der vielen Ausfälle, für eine of- fensive Spielvariante der Truppe entschieden. Und die Jungs auf dem Platz scheinen ihm Recht zu geben. Bereits nach drei Spielminuten rappelt es im Karton. Asa erkämpft sich im Mittelfeld die Kugel und spielt auf den Mann mit der Mas- ke – Ebbe. Der zieht entschlossen Richtung Strafraum und spielt dann den entscheidenden tödlichen Pass quer auf den mitgelaufenen Asa. Der braucht aus zwölf Metern den Ball nur noch am Hamburger Keeper Stefan Wächter vorbei zu schieben. 1:0 für uns. Ohrenbetäubender königsblauer Jubel entfacht. Ist das tatsächlich doch noch unsere letzte reale Chance auf die Schale?

Der Wille scheint da zu sein. Kampf und Einsatz stimmen. Eine ganz andere Truppe steht da auf dem Platz. Warum al- lerdings nach 20 Minuten unsere Schalker Herrlichkeit auf einmal wieder vorbei ist, weiß der Donner. Es wird bedrü- ckend und beängstigend ruhig im weiten Rund. Bälle wer- den konzeptlos und kopflos blind nach Vorne geschlagen. Aussichtslose Dribblings und Fehlpässe am laufenden Band. Gott sei Dank passt sich der HSV dem Niveau an. Irgendwie schaffen wir es, die Führung in die Pause hinein zu verteidi- gen. Sogar verdient, denn es spielt heute wirklich Not gegen Elend. Ein grausamer Kick! So spielt kein Anwärter auf die Meisterschale 2005. Haben unsere Jungs etwa die Hosen voll?

In der zweiten Halbzeit kommt es so, wie es kommen muss. In guter alter Jupp-Heynckes-Manier betteln wir wieder um den Ausgleich und dürfen diesen dann auch in der 61. Spiel- minute in Empfang nehmen. Stefan Beinlich schlägt einen abgewehrten Ball wieder in unseren Strafraum und findet dort den völlig frei – allerdings in abseitsverdächtiger Positi- on - stehenden Raphael Wicky. Der braucht aus acht Metern nur noch an Frank Rost vorbei einzuköpfen. Unverständlich

243 für mich, warum auf einmal tausende das Stadion verlassen. „Ey Leute, ein Spiel dauert 90 Minuten. Und immerhin, auch wenn die Chance minimal ist, spielen wir noch um die Meis- terschaft mit! Und es sind noch dreißig Minuten zu spielen. Was da alles noch passieren kann!“

Kurzzeitiger Jubel entbrandet, als über den Videowürfel be- kannt gegeben wird, dass Rostock daheim gegen unseren direkten Konkurrenten Stuttgart führt. Das scheinen auch unsere Blauen mitzukriegen, denn noch einmal werfen sie verzweifelt alles nach vorne. Der Lohn ist eine sehr gute Chance für Sand, die Wächter prächtig pariert.

Dann, drei Minuten vor Abpfiff, noch unser endgültiger KO. Ein lang gespielter Ball der Hamburger erreicht Krstajic noch kurz vor unserem Ex-Spieler namens Mpenza. Der Ball, von Mladen unglücklich getroffen und abgefälscht, trudelt an dem völlig konsternierten Rost vorbei ins eigene Tor. 2:1 für den HSV. Und das noch nicht einmal unverdient.

Scharenweise verlassen die treusten Fans der Liga enttäuscht das Stadion und verpassen noch unsere letzte Chance zum Ausgleich. Abpfiff. Das war es mal wieder für dieses Jahr. Ausgeträumt der ewige große Traum von der Schale! Wie so oft scheint es das große Nervenflattern zu sein, welches uns eine dolle Saison kurz vor der Ziellinie versaut. Natürlich hatten wir heute einige nicht zu kompensierende Leistungs- träger zu ersetzen. Leistungsträger wie Bordon und vor allem Lincoln, die man nicht einfach so eins zu eins austauschen kann. Aber trotzdem muss man deshalb ja nicht wie der „Ho- senscheißer 04“ auftreten.

Während ich kurz nach Abpfiff immer noch konsterniert auf meinem Platz sitze und das Stadion bereits so gut wie leer ist, werden noch die Endergebnisse aus den anderen Stadi- en durchgegeben. Unser ärgster Verfolger, der VfB, verliert tatsächlich beim Tabellenvorletzten Rostock. Wir bleiben zweiter, werden also fast noch belohnt für diese Leistung.

244 Und der FC Dusel aus München, wie sollte es anders sein, gewinnt mal wieder durch ein Tor in der Nachspielzeit gegen Hannover 96. Gott sei Dank! Man stelle sich vor, die hätten heute wirklich zwei bis drei Punkte gelassen. So können wir die Meisterschaft, schweren Herzens, beruhigt abhaken und uns voll und ganz der Verteidigung des zweiten Tabellenplat- zes widmen.

Und ich kann mich heute Abend beruhigt, ohne der Versu- chung eines feinen Rotweines auf den möglichen Heimsieg widerstehen zu müssen, auf meinen morgigen Marathon konzentrieren. 42,195 Kilometer. Einmal quer durchs - gebiet. Der Gedanke daran, die Vorfreude auf diese Quälerei, rettet mir den Tag. Und sicherlich werde ich mal wieder alles geben. Mehr als die zwölf Knappen heute auf dem Platz!

245 19.04.2005 - DFB-Pokal (Halbfinale): Schalke 04 – Werder Bremen • 7:6 n.E.

Der Tag beginnt wie ein wundervoller Traum. Mit leicht verschlafenen Augen und immer noch schmerzen- den Knochen und Muskeln von meinem sonntäglichen Frustbewältigungs-Mara- thonlauf quer durch den Pott, blicke ich auf meinen digitalen Radiowecker. Und was lacht mich da an? Das heu- tige Datum: 19.04! Der 19. April. Da kann doch eigentlich überhaupt nichts schief gehen, oder? Wenn das nicht ein Zeichen ist. Mein Herzlein lächelt. Das wird ein guter, ein erfolgreicher Tag!

Von draußen klatscht der Regen an das Velux-Fenster. Ei- gentlich das klassische Parkstadion-Wetter. Da wird das Dach der Arena heute Abend, wenn es gegen den Titelverteidiger Werder Bremen um den Einzug ins Pokalfinale geht, sicher- lich wieder geschlossen bleiben. Allerdings bleibt mir mein Frühstücksmüsli beim Hören der morgendlichen Lokalnach- richten fast im Halse stecken. Eine weniger gute Nachricht: Papa Bordon wird heute Abend nicht spielen können. Immer noch macht ihm seine Hüftverletzung zu schaffen. Na prima! Gerade auf ihn hatte ich für das heutige Spiel große Hoff- nungen gesetzt, um vor allem die Abwehr gegen die derzeit ebenfalls leicht kriselnden Bremer zu verstärken. Dafür muss dann halt wohl wieder Waldoch spielen. Wird schon irgend- wie schief gehen.

Kurz vor 18 Uhr nehmen Deppi und ich gemeinsam die Bahn Richtung Arena. Zu erzählen haben wir uns reichlich. Aller- dings quatschen wir weniger über Fußball als über unseren Läufe vom Sonntag. Bei einem leckeren Veltins kriegen wir dann allerdings schnell die Kurve und widmen uns fortan

246 ganz und gar den Blauen. In einem Punkt sind wir uns schnell einig: Wir hatten beide schon einmal ein besseres Gefühl!

Hoffentlich lassen uns unsere „Windel-Bomber“ nicht ge- rade heute in Stich und kämpfen sich, hoch motiviert, ins Pokalfinale hinein. Lasst die Faszination des Pokalendspiels in euch übergehen!

Um pünktlich zum Anpfiff auf unserem heiß geliebten Platz im Stadion zu sein, gehen wir um 20 nach 20 Uhr ins Stadi- on – gerade noch rechtzeitig, um mitzubekommen, dass das Spiel zehn Minuten später angepfiffen wird. Es laufen gerade irgendwelche Sonderübertragungen im Fernsehen, weil ein neuer Papst gewählt wurde. Habemus Papam. Ein Deutscher, ein Bayer, namens Kardinal Ratzinger. Papa-Ratzi quasi. Na Prost Mahlzeit! Ob der auch sofort Ehrenmitglied bei uns wird?

Schiedsrichter Lutz Michael Fröhlich, bekanntlich kein au- ßergewöhnlich großer Freund der Blauen, hat schließlich, „Ratze“ hin oder her, ein Einsehen und pfeift das Spiel an. Von der ersten Sekunde an glüht die Luft. Die Fans sind heiß, sind bereit, die Blauen bedingungslos ins Finale zu suppor- ten! Beide Teams geben ebenfalls von der ersten Sekunde an Vollgas, spielen mit hohem Tempo. Ein tolles Spiel, ein doller Pokalfight beginnt.

Bereits nach drei Spielminuten hat Bremen zwei gute Chan- cen gehabt. Glück für uns, dass Rost auf dem Posten ist. In der 23. Spielminute die erste richtig gute Möglichkeit für uns. Vermant spielt unseren „Pampers-Toni“ im Bremer Straf- raum frei. Der legt sich jedoch den Ball ein wenig zu weit vor und Bremens Schlussmann Andreas Reinke kann in al- lerhöchster Not gerade noch zur Ecke klären. Auch wenn es sich ein wenig blöd anhört: Das war es eigentlich in Hälfte eins. Und trotzdem haben wir bis hierhin ein rasantes und hoch spannendes Spiel gesehen.

247 Es sollte noch besser werden. Kurz nach Anpfiff der zweiten Spielhälfte fällt fast ein Eigentor des Bremers Klasnic, der einen Befreiungsschlag vom Bremer Verteidiger Ismael an den Hinterkopf kriegt, von wo aus der Ball um ein Haar ins Bremer Tor fällt. Die 54. Spielminute: Das ganze Stadion hat den Torschrei auf den Lippen. Erneut kriegt Ailton den Ball zugespielt, schießt aber über das Tor.

Dann endlich die lang ersehnte Führung für die Knappen. Unsere Zaubermaus stößt von links in den Bremer Strafraum und findet den tödlichen Pass auf Ebbe. Der dreht sich kurz und schießt den Ball aus acht Metern trocken zum 1:0 an Reinke vorbei ins Tor (65.). Das Tor nach Berlin ist weit auf- gestoßen! Wie ein Irrer läuft Ebbe jubelnd über den Platz. Man merkt ihm richtig an, wie heiß er auf das erneute Fina- le ist. Auch wir liegen uns, im kollektiven Freudentaumel, in den Armen. Jetzt brauchen wir eigentlich nur noch das Ergebnis zu halten. Aber gerade das wird gegen die offensiv- starken Bremer Reihen sicherlich nicht leicht.

Tatsächlich beginnt nun ein kleiner Sturmlauf der Bremer. Rost hält einen Kopfball von Micoud (68.), einen strammen Schuss von Borowski (73.), rettet in höchster Not erneut vor Micoud (78.). Die Blauen kämpfen, da kann man ihnen nichts vorwerfen. Auch der zwölfte Mann im Stadion gibt alles. Eine nervenaufreibende Situation. Bremen wirft jetzt Mann und Maus nach vorne. Unsere Knappen kontern. Sand und Lin- coln (79. und 81.) verfehlen das Tor nur knapp. Das wäre die Vorentscheidung gewesen.

Immer wieder der bange Blick auf den Videowürfel. Nur noch zehn Spielminuten. Nur noch fünf. Und dann doch der Ausgleich. Nach einer Flanke vom Bremer Davala trifft der Franzose in Bremer Diensten, Ismael, den Ball aus zwölf Me- tern wie man ihn besser nicht treffen kann und drischt ihn, unhaltbar für Frank, in die Maschen.

So ein Mist. Nur fünf Minuten haben uns vom erneuten Ein-

248 zug ins Finale getrennt. Jetzt darf ich dem Bremer Gezum- pel beim Jubeln zuschauen und alles beginnt von Neuem. Während sich das Gros der Stadionbesucher bereits inner- lich von der regulären Spielzeit verabschiedet hat, brennt es auf dem Feld noch einige Male lichterloh. Erst pariert Rost in Weltklassemanier einen Schuss von Valdez (87.), dann trifft Poulsen (90.) nur den Pfosten und Lincoln schafft es nicht, den Abpraller im leeren Bremer Tor unterzubringen. Oh Mann, Leute, das wäre er gewesen. Matchball Nummer eins vergeben.

Ein Büschel blonder Haare in meiner linken Hand zeugt von meiner Verzweiflung. Pokal pur! Dann Abpfiff. Verlängerung. Die meisten entscheiden sich für ein frisches Veltins – als Nervennahrung – und schon geht’s wieder weiter. Und wie! Die Verlängerung ist gerade erst wieder angepfiffen, als un- sere Abwehr ein kurzzeitiges Seminar zum Freischwimmer- lehrgang besucht. Der Bremer Tim Borwowski nutzt die Situ- ation aus, kommt frei zum Schuss und schießt freistehend aus sechs Metern das 2:1 für die Fischköpfe (94.). Entsetzen auf den Gesichtern der Fans, der Spieler. War es das womöglich? Die Mannschaft jedoch zeigt Moral und gibt die passende Antwort. Fast im direkten Gegenstoß (96.) ein hoher Ball in den Bremer Strafraum. Asa legt vom Elfmeterpunkt auf Ailton ab, der trifft den Ball aus 17 Metern in vollem Lauf und drischt ihn, mit gefühlten 300km/h, zum erneuten Ausgleich ins Netz. 2:2. Diesmal jubeln wir wieder. Fußballherz, was willst Du mehr? Danke lieber Fußballgott, dass Du uns die- sen wundervollen Wettbewerb namens DFB-Pokal geschenkt hast! Welch ein Kampf, welch eine Dramatik, welch eine dolle Moral in unserer Truppe!

Im weiteren Verlauf der Verlängerung noch einige Chancen, hüben wie drüben, aber dann doch der Pfiff, der ein erhöhtes Herzinfarktrisiko bedeutet. Elfmeterschiessen!

Die Wahl gewinnen die Bremer. Geschossen wird auf die Südkurve. Wie die Geisteskranken brüllt das gesamte Stadi-

249 on: „Südkurve, Südkurve“. Ein Zeichen für diese, den jeweils schießenden Bremer Spieler gnadenlos auszupfeifen. Die Kurve folgt dem Befehl der restlichen Schalker. Ismael tritt als erster an, hört jedoch den Pfiff des Schiedsrichters gar nicht, so laut ist es. Akute Herzinfarkt- und Hörsturzgefahr. Dann läuft er doch an und trifft. 0:1. Anschließend Lincoln für uns. Souverän! 1:1. Stalteri läuft an, entscheidet sich für unten rechts. Rost auch. Gehalten!

Vermant trifft ebenfalls souverän. 2:1 für uns. Micoud und Krstajic verladen die zwei Torhüter jeweils problemlos. 3:2. So langsam wird es richtig spannend. Wir gehen stark auf die spannende, entscheidende Phase des Elfmeterschiessens zu.

Borowski, der Schütze zur zwischenzeitlichen Bremer 2:1- Führung, legt sich die Pille zurecht. Rost kommt noch einmal aus seinem Gehäuse, irritiert Borowski, bemängelt die falsche Lage des Balles. Alles Taktik? Borowski zeigt Nerven. Rost hält. Nun muss nur noch unser nächster Schütze verwan- deln.

Es tritt Oude Kamphuis an. Warum eigentlich er? Der hat doch noch nie einen Elfer geschossen. Egal. Das Stadion tobt, feuert ihn an. Kamphuis nimmt Anlauf, schießt und schießt vorbei. Nicht schlimm, kann passieren. Zweiter Matchball vergeben.

Davala gleicht daraufhin zum 3:3 aus. Nun aber unser dritter Matchball. Jetzt muss aber doch das Finalticket für Berlin endlich gelöst werden. Unser vermeintlich sicherster Elfer- schütze, der Ex-Bremer und neu „Pampers-Toni“ Ailton legt sich den Ball zurecht und kann mit dem vielleicht letzten Schuss des Spiels seinen Ex-Kollegen das Herz ausreißen. Er läuft an, versetzt dem Ball einen tüchtigen Tritt und trifft die Latte.

Alles wieder offen. Auch in meiner rechten Hand nun ein Bü-

250 schel ausgerissener Haare. Zum Verrücktwerden! Jetzt tritt jeweils nur ein Schütze des jeweiligen Teams an. Die Bremer legen mit Pasanen vor. 3:4. Erstmals die Bremer Führung im Elferkrimi. Jetzt muss Kobi unbedingt, unbedingt, unbedingt treffen. Ich möchte jetzt nicht gerne in seiner Haut stecken, nicht diese unglaubliche Bürde, diese unglaubliche Last der Verantwortung auf meinen Schultern spüren. Kobi nimmt es scheinbar eher gelassen und netzt souverän zum 4:4 ein. Einfach nur mittig draufgehalten. Jetzt liegt die Verantwor- tung wieder bei den Bremern.

Ausgerechnet Fabian Ernst, der ja am 1. Juli 2005 an die Emscher wechseln wird, schnappt sich die Kirsche. Wohin er schießen wollte, werden wir wohl so richtig nie erfahren. Denn nach langem Anlauf rutscht er, bei einem ohren-betäu- benden Pfeifkonzert, kurz vor dem Elfmeterpunkt leicht aus und der Ball trudelt mittig aufs Tor, relativ haltbar, auf Frank Rost zu. Und der hält! Nun wieder alle Karten in unserer Hand. Matchball Nummer vier.

Bitte Jungs, jetzt macht doch endlich den Sack zu. Wir ha- ben gleich auch schon 23.15 Uhr. Nun die vielleicht spekta- kulärste Szene des gesamten Spiels. Hanke läuft Richtung Strafraum und will den entscheidenden Elfer treten. Rost geht auf ihn zu und schubst ihn weg. Frei nach dem Mot- to: „Einen solch entscheidenden, wichtigen Elfer lasse ich doch keinen 21-Jahre-jungen Grünschnabel schießen“. Unser Mannschaftskapitän übernimmt selbst die Verantwortung und tritt gegen seinen Konkurrenten Reinke an. Los Frank, werde unser Held! Kurzer Anlauf, Reinke verladen, der Ball trudelt aus Franks Sicht unten rechts ins Eck. Geschafft! Sieg! Wir sind im Finale!

Während die Donnerhalle ausflippt lässt sich Rost feiern. „Finaaaaaaaaaaaaale, ohoh, Finaaaale ohohohoh“ schallt es durch das Stadion. Nur die Bremer Fans ergreifen fluchtartig das Weite.

251 Eine denkwürdige Partie. Ein großartiges Fußballspiel hat einen würdigen und verdienten Sieger gefunden. Ist das geil! Zum dritten Mal innerhalb von fünf Jahren fahren wir am 28. Mai zum Finale nach Berlin.

Auf jeden Fall wird da wieder ein Riesenbatzen an Arbeit auf Arndtie und mich zukommen. Ich höre schon das Telefon 24 Stunden am Tag klingeln, sehe schon die 10.000 i-Mehls am Tag eintrudeln: „Krieg ich ne Karte fürs Finale?“

Einen Monat lang werde ich mal wieder (fast) nur Freun- de haben. Während die Arena heute Nacht sicherlich noch für einige Stunden die größte und schönste Kneipe der Welt bleiben wird, werde ich jetzt zügig heimfahren und bei einem leckeren Siegerrotwein das Erreichen des Endspiels feiern. Ich muss allerdings auch noch schnell eine Mail an alle Sup- porters rausschicken, die Bestellrichtlinien fürs Finalticket weitergeben. Diesmal kriegen S04-Mitglieder mit einer Dau- erkarte ein Vorkaufsrecht auf Finaltickets. Dürfte auf fast alle unserer über 500 Mitglieder zutreffen. Also Arbeit pur. Aber dafür fahren wir ja jetzt nach Berlin.

252 23.04.2005 Hertha BSC Berlin – Schalke 04 • 4:1

Am heutigen Samstag soll es in Deutschlands Hauptstadt gehen, zum Auswärtsspiel bei der al- ten Tante Hertha. Aller- dings nicht für mich. Klar steckt mir der gestrige Junggesellenabschied von meinem Sandkastenkum- pel Mario noch in den Knochen. Entscheidend ist aber, dass bis morgen früh unsere interne Supporters Club-Bestellliste für das Pokalendspiel fertig sein muss. Das heißt für mich: Nix mit einer schönen Auswärtstour nach Berlin, sondern hübsch fein rund 200 Briefe, rund 800 Mails und unzählige SMS-Nachrichten in eine ordentliche Excel-Datei packen und bearbeiten. Wochenende Ade!

Ich bin so sehr in Arbeit versunken, dass mir die Auswärts- tour heute eigentlich kaum fehlt. Ein Bierchen wäre jetzt ge- rade, nach gestern, wohl eh nicht das richtige gewesen. Kurz vor 15 Uhr – also eine halbe Stunde vor Anpfiff der Partie – stellt sich dann aber doch das übliche leichte Kribbeln ein und ich mache mich auf dem Weg zu Schlammi, um mein erstes Bundesligaspiel dieser Saison live beim Pay-TV-Sen- der „Premiere“ zu verfolgen. Wie schrecklich sich das anhört. Geht aber heute leider nicht anders.

Irgendwie schafft es Schlammi dann doch noch, mir eine Fla- sche frisches Veltins unterzujubeln. Ich bedanke mich artig, genieße den ersten Schluck und dann nehmen wir, pünktlich zum Anpfiff, gemeinsam auf der Couch unseren Platz ein. Tribüne GE-Ückendorf, Block-Backskamp, Reihe 1, Platz 2.

Pünktlich sind allerdings nur wir. Wie bereits am vergange- nen Dienstag wird das Spiel mit zehnminütiger Verspätung

253 angepfiffen. Nein, wir haben nicht schon wieder einen neuen Papst. Die Berliner werden in der renovierten Albert-Speer- Gedächtnis-Bude scheinbar mit dem großen Zuschaueran- drang nicht fertig. Mensch „freue“ ich mich schon auf das Pokalfinale.

Wenigstens haben wir so genügend Zeit, uns mit der Mann- schaftsaufstellung auseinanderzusetzen. Bordon fehlt immer noch verletzt. Ansonsten sind eigentlich die derzeitigen Top Ten auf dem Platz. Wahrscheinlich zwar ein wenig müde, aber das haben schon ganz andere Mannschaften vor uns überstanden.

Unsere scheinbar nicht. Keine vier Minuten nach Anpfiff spaziert ein gewisser Bastürk - von dessen vorzüglichen Qualitäten als offensiver Mittelfeldspieler, von dessen Tor- gefährlichkeit, scheinbar noch nie jemand von uns auch nur ansatzweise etwas gehört zu haben scheint - durch unsere Abwehreihen. Dass ihn dabei niemand angreift, versteht sich von selbst. Immerhin sind wir der FC Schalke 04, stehen im Pokalfinale, sind der Bayern-Jäger Nr. 1! Da wird sich ja wohl niemand wagen!

Aber Bastürk, dieser Frechdachs, wagt sich doch! Mit einem unbedrängten Flachschuss aus zwölf Metern lässt er Rost kei- ne Chance und erzielt das 1:0 für Hertha. Unerhört!

Es dauert dann bis zur 17. Spielminute bis wir erstmalig ge- fährlich vor dem Berliner Tor auftauchen. Ailton testet Ber- lins Keeper Fiedler mit einem Weitschuss, den der nur zur Ecke klären kann. Lincoln tritt diesen in den Strafraum hin- ein. Fiedler kann mehr schlecht als recht abwehren. Der Ball fällt Ebbe vor die Füße. Er schnappt sich die Kirsche, dreht sich in alter Gerd Müller-Manier und markiert den Augleich. 1:1. Na also, geht doch.

Viel spannender und entscheidender allerdings das Drum- herum. Wie eine Furie rennt auf einmal der Brasilianer in

254 Diensten, Marcelinho, aus dem eigenen Sechzehn- er auf Poulsen los, der sich bereits wieder im Anstoßkreis befindet, und schüttelt ihn wild und energisch. Poulsen soll vorher Kovac, selbst als einer der unfairsten und arrogantes- ten Abwehspieler der Liga bekannt, einen Ellenbogencheck verpasst haben. Da ich ja heute vor der Flimmerkiste sitze, schaue ich mir auch die tausendste Superzeitlupe, die zur Verfügung steht, noch an. Nichts Konkretes zu sehen. Das Gemenge weitet sich aus: Rudelbildung! Und was macht der Schiri? Zeigt Poulsen und Marcelinho für das Gerangel gelb. Eine Frechheit! Denn den vermeintlichen Ellenbogenstoß kann er ja nicht gesehen haben, sonst hätte er ihn ja als Tat- sachenentscheidung sanktioniert. Poulsen ist außer sich. Er ist, zumindest was diese Situation am Anstoßkreis angeht, völlig unschuldig.

Es kommt, wie es kommen muss. Mit Schaum vor dem Mund, man könnte sagen um die rote Karte bettelnd, geht er, wenig professionell, in die nächsten Zweikämpfe. Die 23. Spielmi- nute. Rabiat, eigentlich schon brutal, attackiert Kovac (ein klares Revanchefoul) unseren Dänen. Er grabscht ihm mitten ins Gesicht (obwohl ja eigentlich Fußball gespielt wird), wo- nach sich Poulsen, zugegebenermaßen äußerst aggressiv, von ihm losreißt. Die Folge: gelb für beide. Das bedeutet gelb-rot für Poulsen.

Innerlich lachen sich die Berliner wohl gerade kaputt, nichts anderes hatten sie vor. So eine Dummheit Herr Poulsen, ein cleverer Musterprofi verhält sich da anders. Bis zur Weiß- glut provoziert hätte er seinen Gegenspieler einfach nur an- zulächeln brauchen. So spielen wir jetzt, das 120-minütige Pokalfinale noch in den Knochen steckend, gegen eine der derzeit sicherlich spielstärksten Mannschaften der Liga fast 60 Minuten lang in Unterzahl.

Statt eine taktische Veränderung vorzunehmen, lässt Rang- nick erst einmal mit der offensiven Ausrichtung weiterspie- len. Die Quittung folgt auf dem Fuße. Erneut bricht Bastürk

255 frei in unserem Strafraum durch und wird von Krstajic ge- foult. Marcelinho verwandelt souverän den Strafstoß gegen unseren Elfer-Killer Rost.

Zur zweiten Halbzeit gibt es nicht viel zu sagen. Die Köp- fe sind leer, die Beine schwer. Eine völlig demoralisierte Schalker Mannschaft lässt sich vorführen, blamiert sich und kassiert noch die Gegentore zum 3:1 (50., Rafel) und zum 4:1 Endstand (erneut Marcelinho, 58.). Und damit sind wir noch gut bedient, denn Berlin spielt sich teilweise in einen Rausch. Das einzig Positive daran ist, dass ich heute keine siebenstündige Heimfahrt in der Schildkröte vor mir habe, sondern mir einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft gönne und schleunigst nach Hause gehe. Der Riesenhaufen Arbeit wartet auf mich.

Ach ja – und Stuttgart zeigt, parallel zu uns, ebenfalls wieder Nerven und holt gegen Wolfsburg nur einen Punkt. Wir blei- ben also, man mag es kaum glauben, immer noch auf Platz zwei und halten die direkte CL-Quali immer noch in eigenen Händen.

256 30.04.2005 Schalke 04 – Bayer 04 Leverkusen • 3:3

Es gibt Tage im Leben, an denen man sich nicht ent- scheiden kann ob das Glas eher halb voll, oder doch eher halb leer ist. Einen sol- chen verflixten Tag hat mein Schalker Herz heute mal wieder erwischt.

Da ist doch unser „Arena-Angstgegner“ bei uns in der Don- nerhalle zu Gast. Und das sicherlich in der schwierigsten Phase unserer Saison. Trotz eines dominierenden tollen Spiels unserer Königsblauen sitze ich schwer enttäuscht auf meinem Platz, schaue zu, wie sich die Arena langsam leert und weiß nicht, ob ich mich freuen oder ärgern soll. Zu tief sitzt der Stachel der Enttäuschung.

Nach dem verlorenen Spiel bei der Tante Hertha beschloss unser Coach in dieser Woche, ein ganz geheimes Geheimtrai- ningslager einzuberufen. In der Mannschaft knalle es an allen Ecken und Kanten, so hört man. Und man müsse nun die Reißleine ziehen, um nicht die ganze Saison an den letzten Spieltagen in den Sack zu hauen. Ein fast perfekter Samstag kündigt sich an. Fast.

Auf zur Donnerhalle. Heute mal wieder bei offenem Dach. Gekonnt blocke ich jegliche Anfrage zu Endspielkarten in Berlin ab und kämpfe mich somit tapfer, ohne auch nur die leiseste Schwäche zu zeigen, bis zum Anpfiff zu meinem Platz durch. Also, auf geht’s, Platz zwei sichern, die Pillendreher aus der Arena schießen!

Tatsächlich entwickelt sich von der ersten Sekunde an ein starkes Schalker Spiel. Große Einsatz- und Laufbereitschaft, viel Herz, viel Ballbesitz – da scheint doch das Trainings-

257 lager tatsächlich etwas bewegt zu haben. Nichts da... Einen Freistoß von Bernd Schneider darf Paul Freier in unserem Sechzehner in aller Seelenruhe annehmen, sich dann auch noch um seine eigene Achse drehen und dann, unter dem staunenden Zuschauen unserer Abwehrrecken, den Ball un- haltbar für Heimeroth zum 0:1 (23.) ins Netz schießen.

Entsetzen auf den Rängen. Geht das denn schon wieder wei- ter? Ich weiß nicht, das wievielte Gegentor das jetzt schon im Verlaufe der letzten fünf oder sechs Spiele war, aber da kommt mittlerweile sicherlich einiges zusammen. Tore zu kriegen ist jedoch nicht so schlimm, wenn man zumindest selber mehr schießt als der Gegner. Und das nimmt sich un- sere überragende Zaubermaus Lincoln ab sofort zu Herzen. Es folgen seine großen zehn Minuten. Die Blauen lassen den Kopf nach dem Rückstand nicht hängen und geben weiter Gas. Ein Freistoß für uns kurz vor dem Strafraum der Le- verkusener verwandelt Lincoln trocken ins rechte Eck. Jörg Butt, der Bayer-Keeper, hatte wohl mit der anderen Ecke ge- rechnet. Das tut gut. Nur kurz nach der Bayer-Führung der sofortige Ausgleich (30.).

Dies jedoch war nur der erste Streich und der zweite folgt sogleich. Eine fast identische Situation nur acht Minuten spä- ter. Freistoß für uns. Allerdings diesmal doch knappe drei- ßig Meter vom Bayer-Gehäuse entfernt. Was kümmert das einen Lincoln? Kurzer Anlauf, diesmal nach links gezirkelt. Butt schaut nur verdutzt – Tor. 2:1 (38.). Wir sind wieder auf Champions-League-Kurs!

Die Blauen setzten weiter nach. 40. Spielminute. Asa, der heute mal wieder recht blass wirkt und meilenweit von sei- ner Superform der Hinrunde entfernt ist, ausnahmsweise mal mit einer tollen Aktion. Klasse Hereingabe von ihm von der rechten Seite, die in Ebbe ihren dankbaren Abnehmer findet. Dieser braucht nur noch die Fußspitze hinzuhalten, verändert somit die Flugrichtung des Balles und netzt zum 3:1 ein (41.). Freudestrahlend läuft der Mann mit der Maske

258 quer über den ganzen Platz. Grenzenloser Jubel in der Don- nerhalle. „Der S04 ist wieder da“ erklingt es tausendfach aus jauchzenden Schalker Kehlen. Dann Halbzeit.

Das Ding dürfte doch wohl hoffentlich gegessen sein, oder? Alles in allem eine äußerst souveräne Schalker Mannschaft, die stets den Ton angegeben hat.

Aber freiwillig gibt selbst ein Team wie Bayer 04, das immer noch um den Einzug in die UEFA-Cup-Ränge kämpft, die Punkte nicht verloren. Und so kündigt sich der zweite Le- verkusener Streich an. Der Argentinier Placente flankt von der Grundlinie auf Berbatov zurück. Wie bereits bei unserem ersten Gegentor steht dieser, warum auch immer, alleine und ungedeckt im Strafraum. Sein Schuss aus zehn Metern, von Rodriguez noch leicht abgefälscht, senkt sich langsam, un- haltbar für Heimeroth, in die königsblauen Maschen. Nur noch 3:2 und noch über eine halbe Stunde zu spielen. Das kann ja heiter werden. Ganz und gar nicht verunsichert spie- len die Blauen jedoch munter weiter. Einzig die Chancenaus- wertung ist zu beklagen. Lincoln trifft in der 58. Minute nur den Pfosten. Kobi schießt – trotz völlig freier Schussbahn – knapp neben das Gehäuse (59.). Die bittere Quittung folgt prompt. Statt der frühzeitigen Vorentscheidung zu unseren Gunsten, der Ausgleich für Bayer. Andrej Voronin steht nach einem Doppelpass nur fünf Meter vor Heimeroth völlig un- gedeckt und markiert den 3:3-Ausgleich (64.). Unsere Ab- wehr ist löchrig wie ein Schweizer Käse. Es ist wie verhext! So trennt man sich nach 90 Minuten mit 3:3.

Der moralischer Sieger heißt heute sicherlich S04. Ein schö- nes Spiel und tapfer kämpfende Blaue gesehen, die verdiente Ernte jedoch nicht rechtzeitig eingefahren. Enttäuschung pur. Bis zum letzten Spieltag wird in diesem Jahr einmal mehr mit Königsblau gezittert, soviel steht bereits jetzt fest. Glück- wunsch an den FCB, ihr seid verdient Meister geworden. Wer sich am Ende der Saison, so wie wir, den Schneid abkaufen lässt, hat es schlicht und einfach auch nicht verdient.

259 07.05.2005 Arminia Bielefeld – Schalke 04 • 0:2

Mensch, bin ich müde! Noch müder als unsere Kicker zur Zeit. Vier sieglose Spiele hinter- einander sprechen eine deutli- che Sprache. Und nun stehe ich hier. Neben mir die Minischild- kröte und die dazugehörige Rei- fenpanne. Wir stehen irgendwo auf einem Autobahnparkplatz zwischen Gelsenkirchen und Bielefeld und ich darf mir das Gemaule meiner Mitreisenden anhören.

Glücklicherweise holt uns die große Schildkröte ab und ret- tet uns vor dem einsamen Hunger- und Verdurstungstod in der fremden Wildnis und bringt uns, natürlich hemmungs- los überfüllt, bis nach Bielfeld. Wobei, eigentlich landen wir prompt in der nächsten Wildnis. Der Busfahrer, der noch nicht einmal weiß, dass wir zum Fußball wollen, findet Biele- feld erst gar nicht. Dann, als er Bielefeld zufälligerweise end- lich gefunden hat, verfährt er sich auch noch. Und wir landen statt in Bielfeld in einem Spargelfeld. Zumindest funkt mir mein verwirrter Brummschädel gerade so etwas zu. Ich will doch einfach nur schlafen! Nach fast viereinhalb Stunden mysteriöser Fahrt, steigt unsere Crew entnervt aus der Kröte aus. Es sind nur noch zehn Minuten bis zum Anpfiff und wir befinden uns mitten in der Bielfelder Pampa – an der Uni.

Irgendwie schaffen wir es dann doch noch, pünktlich zum Anpfiff in der Schüco-Arena auf der zu sein. Seltsam nur, wie viele Schalker vor dem Stadion noch ihre Ti- ckets loswerden wollen, sogar bereit sind, diese zu verschen- ken. Aber keiner will sie haben. Und das, obwohl es doch immerhin um den unglaublich wichtigen zweiten Platz geht. Unfassbar! Was wäre hier wohl los gewesen, wenn wir immer noch um den ersten Tabellenplatz mitgespielt hätten?

260 Müde schleppe ich mich auf meinen Sitzplatz. Kurz eine Cola und eine Bratwurst als Erfrischung eingeworfen, nun bin ich da und will die Blauen auch siegen sehen. Rost ist immer noch verletzt und wird erneut durch Heimeroth ersetzt. Und unser „Freibad-Toni“, wie er seit dem Spiel letzte Woche nur noch genannt wird, weil er – anstatt sich hoch motiviert wäh- rend des Spiels gegen Bayer warm zu laufen – an einer Wer- betafel angelehnt sonnen ließ, sitzt wieder nur auf der Bank. Das wird die kleine Fußballdiva nicht sonderlich freuen. Dies ist jedoch eine Maßnahme Rangnicks, die sicherlich nicht unbedingt gegen Toni selbst gerichtet ist, sondern die gewiss auch der langen Saison Tribut zollt. Sprich, die taktischen Zwängen erlegen ist. Das Spielen mit einer derart offensiven Aufstellung, wie wir es dreiviertel dieser Saison getan haben, erfordert schlicht und einfach mehr Kraft als andere Spiel- weisen. Und diese Kraft haben wir wohl nicht mehr.

Trotz der vielen Ticketverkäufer vor dem Stadion hat sich ein beträchtlicher und beachtlicher Schalker Anhang im Stadion zusammengefunden und gibt von der ersten Sekunde an den Ton an. Und auch die Blauen scheinen sofort an ihre gute Of- fensivleistung vom letzten Spiel anknüpfen zu wollen, obwohl wir nur mit der einen Sturmspitze – nämlich Ebbe - auflau- fen. Bereits nach nur acht Minuten die beruhigende Führung für unsere Blauen. Lincoln wird im Strafraum gelegt und den fälligen Elfer verwandelt er selbst – und zwar souverän.

Danach geht es dem Spiel wie meiner körperlichen Verfas- sung. Viel Leerlauf, viel benötigter Schlaf, viele Ruhephasen, kaum Torszenen.

Halbzeitwurst.

Trotz aller Müdigkeit bietet mir die zweite Spielhälfte keiner- lei Möglichkeit mehr zum kurzen Schlummern. Es geht hin und her, Großchancen hüben wie drüben. Heimeroth wird zum gefeierten Helden auf Schalker Seite, da er mehrfach glänzend reagiert und den einen oder anderen Unhaltbaren

261 hält. Ein Paradoxon an sich, oder? Unhaltbare halten. Er schafft es trotzdem. Komischer Fußball-Fachjargon.

Ein tolles Fußballspiel für Außenstehende, nichts für schwa- che Nerven auf Schalker Seite. Es könnte mittlerweile schon 5:1, 4:4, aber auch locker 0:4 stehen. Irgendwie erschreckend mit ansehen zu müssen, dass Mitte der zweiten Halbzeit die Kräfte in unseren Reihen schwinden, dass Bielefeld immer stärker wird. Ein Kraftproblem? Gerade Asamoah scheint mir ein Totalausfall zu sein, schlechter könnte Ailton auch nicht spielen. Und Rangnick macht nichts, wechselt nicht aus. Sieht er das nicht oder denkt er sich was dabei?

Erst in der 81. Spielminute Rangnicks erster Wechsel. Sand und Asa gehen, Hanke und Ailton kommen. Wohl der richtige Schachzug. Er hätte aber auch sicherlich zwanzig Minuten eher erfolgen können, vielleicht sogar müssen. Aber ich bin ja nicht der Coach. Ich kann lediglich beobachten. Und was ich jetzt sehe, gefällt mir außerordentlich gut. Toller Pass von Kobi auf Ailton, der lässt dem Bielfelder Schlussmann Hain aus zehn Metern keine Chance. Das erlösende 2:0 für uns in der Schlussminute. Wir sind wieder voll auf Champions- League-Kurs – und auch der Ailbrummer ist wieder da. Der Schlusspfiff erlöst uns von den Qualen und dem Zittern die- ses Nachmittages. Endlich wieder einmal ein Sieg. Kaum zu glauben, dass der letzte schon über vier Wochen zurückliegt, beim Heimspiel gegen Nürnberg. Heimeroth wird, berechtig- terweise, von uns Fans als Held des Tages in der Kurve mit einigen La-Ola-Wellen gefeiert. Und als die Endergebnisse aus den anderen Stadien über die Leinwand flimmern, wird klar, wie wichtig der heutige Sieg für das Erreichen der Kö- nigsklasse war. Denn auch Berlin und Stuttgart haben ihre Spiele gewonnen. Jetzt erwarten wir nächsten Samstag die Zecken in unserer Donnerhalle. Holla die Waldfee. Das wird sicherlich ein ganz, ganz heißer Tanz.

262 14.05.2005 Schalke 04 – Borussia Dortmund • 1:2

Eigentlich ist es fast schon ein Art Saisonfinale, wie es der liebe Fußballgott drama- tischer kaum hätte gestalten können. Zwar ist der FC Bäh mittlerweile schon lange Meister und auch die Ab- steiger stehen seit Dekaden fest, aber am vorletzten Spieltag gibt es, aus unserer Sicht, noch einmal etwas ganz Besonderes: ein Heimspielhighlight in unserer Arena. Wir können dabei mit einem Sieg aus ei- gener Kraft die Champions-League Qualifikation so gut wie einsacken.Erst recht, wenn man im Hinterkopf hat, dass wir am letzten Spieltag beim längst abgestiegenen Schlusslicht aus Freiburg antreten müssen. Ein Matchball also.

Und wer kommt zu uns? Ausgerechnet der Vorortclub aus der Nähe von Lüdenscheid! Es ist mal wieder Derbyzeit! Zum 125. Mal. Seit November 1998 haben die schwatz-gelben es mittlerweile nicht mehr geschafft, gegen uns zu gewinnen. Das bedeutet 14 Pflichtspiele hintereinander ohne Niederlage für uns, ohne Blumentopfgewinn für das Böse. Warum sollte sich das gerade heute ändern? Die Vorzeichen stehen gut: Mit den zwei Spielen in Leverkusen und Bielfeld haben wir uns scheinbar wieder ein wenig gefangen und da die Dortmunder im absoluten Niemandsland umhergeistern, kann ihnen das Spiel heute eigentlich auch egal sein. Einerseits. Anderer- seits könnten sie natürlich mit diesem einen Sieg bei uns eine komplett vermurkste Saison retten. Abwarten!

Der Pott kocht also! Unsere Verantwortlichen jedoch, sicher- lich auch zu Recht, spielen die Bedeutung der Partie heute ein wenig herunter. Egal wer heute gegen uns auflaufen würde, drei Punkte müssen her. Aus den Reihen der Zecken errei- chen uns hingegen in den letzten Tagen ganz andere Töne.

263 Aber ich frage euch allen Ernstes: Wie soll ich denn jeman- den ernst nehmen, der in einer anderen Liga spielt, sich auf einem Level bewegt mit Clubs wie Wolfsburg, Leverkusen oder Hannover? Wie soll ich für jemanden so etwas wie Hass empfinden, für den ich eigentlich nur noch Mitleid habe? Ich weiß es selbst nicht. Aber irgendwie geht es doch. Prima!

Der große Tag auf jeden Fall ist gekommen, und da Sports- freund Markus extra zum Derby Besuch aus Schottland hat einfliegen lassen, geht es heute auch frühzeitig los zum „Schal- ker“. Die Jungs zeigen sich beeindruckt von unserem Schal- ker Feld. Ein vereinseigenes Grundstück von ca. 1.000.000 Quadratmetern Grundfläche, mit eigener Geschäftsstelle und Verwaltung, eigenem Jugendinternat, fünf Trainingsplätzen, eigener Gastronomie, einem sich gerade im Bau befindlichen Reha-Zentrum und Hotel und vielem mehr, das sucht sicher- lich europaweit seinesgleichen. Schalke 04, der schlafende Riese?

Die zwei Highlander äußern jedoch auch ihre Überraschung über das geschäftige Treiben von zehntausenden von Fans auf dem Areal. Und das zwei Stunden vor Anpfiff. Zum Glück können wir ihnen den Anblick von schäbigen schwatz-gel- ben Fan-Devotionalien ersparen. Von denen traut sich keiner hier hin. Relativ früh wird es heute schon leer an den umlie- genden Bierbuden. Das Derbyfieber greift um sich. Und so machen auch wir uns überpünktlich auf den Weg zu unseren Plätzen. Knisternde Spannung liegt in der Luft. Die ersten Fangesänge vor dem Anpfiff zeugen von gegenseitigen „Ehr- erbietungen“.

Beim Einlaufen der Mannschaften gibt es seit langer Zeit mal wieder eine richtig große Schalker Ganzkurvenchoreogra- phie, durchgeführt und umgesetzt unter Federführung der UGE. Titelthema diesmal: „14 Schlachten ungeschlagen - die Feinde aus der Festung jagen!“. Absolut gelungen, dieses Ge- samtkunstwerk! Sieht echt super aus und dürfte auch unsere Schotten schwer beeindruckt haben. Da steckt nicht nur viel

264 Geld, sondern auch viel Fleiß, Schweiß und Herzensblut hin- ter. Da könnte sich Christo mal eine Scheibe von abschnei- den. Das ist Kunst! Und da sage einer, der Begriff Fankultur hätte seinen Namen nicht ausdrücklich verdient!

Das Spiel beginnt. Und es beginnt ganz nach unserem Ge- schmack. Wir müssen lediglich Rost und Krstajic durch Hei- meroth und Waldoch ersetzen, aber die königsblaue Offensi- vabteilung, mit allem was sie zur Verfügung hat, bläst sofort zur Attacke, um die Feinde aus der Donnerhalle zu jagen.

Roman Weidenfeller, Dortmunds Schlussmann, entschärft einen Freistoß von Kobi (6.) und Ebbe verpasst, einschussbe- reit, in den fünf Folgeminuten nur zweimal knapp den Ball. Die Blauen zündeln ein wahres Fußballfeuerwerk ab.

Die Führung in diesem Derby gelingt allerdings, den Spiel- verlauf auf den Kopf stellend, in der 17. Spielminute den Ze- cken. Kehl köpft einen Eckball von Rosicky mitten in unser Herz. Ich möchte nicht von Entsetzen sprechen, aber ziem- lich verdutzt schauen wir schon drein.

Fast im Gegenzug (19.) sofort wieder die Erlösung. Freistoß auf halblinks für uns. Lincoln zirkelt das Leder in den Straf- raum. Völlig frei kann unser Abwehrturm Waldoch wuchtig aus acht Metern mit dem Kopf zum Ausgleich einnetzen. Gro- ßer Jubel überall, nur die etwa 4.000 mitgereisten Doofmun- der Schlachtenbummler schauen jetzt etwas dumm drein. Und die Schlacht geht weiter.

Angriffswelle auf Angriffswelle rollt in Richtung Doofmunder Festung. Doch der Burgfried Weidenfeller hält alles, was ihm vor sein Schlosstor kommt. Sand scheitert, Ailton scheitert, Bordon scheitert. Zu diesem Zeitpunkt müsste es, gemessen an den Chancen, mindestens schon 3:1 oder 4:1 für uns ste- hen. Stattdessen jedoch wieder das Böse. Ein hinterhältiger, feiger, schneller Gegenstoß. Altintop kann den Kartoffelkäfer Kringe zweimal nicht am Flanken hindern und dann ist es

265 auch schon passiert. Beim ersten Mal kann Heimeroth noch glänzend klären, beim zweiten Mal steht Lars Ricken völlig frei und braucht aus acht Metern nur noch ins leere Tor zu schießen. 1:2 (42.). Das schafft selbst er.

So etwas Ungerechtes! Aber so ist halt Fußball. Die Zecken kommen nur zweimal vor unser Tor und machen zwei Buden, wir haben Chancen für drei Spiele (das kennen wir doch ir- gendwoher, oder?) und erzielen nur einen Treffer.

Nach der Pause das gleiche Bild.

Selten habe ich ein Revierderby miterleben dürfen, bei wel- chem wir so hochhaushoch überlegen sind. Die Zecken kom- men gar nicht mehr aus ihrer eigenen Hälfte heraus. Einzig ihr Burgfried, der wilde Roman, hindert uns daran, die gelbe Pest für immer und ewig von dannen zu jagen. Kobi scheitert (52.), Lincoln verpasst (70.), Hanke scheitert (71.), Lincoln scheitert noch einmal (79.). Das schwatz-gelbe Gehäuse ist eine Schießbude, einzig wir sind zu blöd, dies konsequent auszunutzen. Die letzten zehn Minuten des Spiels sind an- gebrochen. Die Lüdenscheider Jecken krauchen mittlerweile auf ihren Brustwarzen, wissen gar nicht mehr, wo vorne und hinten ist, so schwindelig werden sie gespielt. Und was ma- chen wir daraus? Vermant trifft nach einem Gewaltschuss aus 16 Metern nur die Latte, Lincoln stürmt frei auf Weiden- feller zu (87.) und – anstatt einfach nur zu lupfen – schießt er ihn an. Und auch die letzte Hundertprozentige der Blauen vereitelt Weidenfeller, der ein Weltklassespiel für die KGaA geliefert hat, in der Nachspielzeit. Erneut gegen den völlig entnervten Lincoln.

Feierabend. Schluss. Aus. Abpfiff. Enttäuscht lassen Fans und Spieler die Köpfe hängen. Und trotzdem wird die Mannschaft, die prima gespielt und gut gefightet hat, mit stehenden Ova- tionen gefeiert. Die erste Niederlage gegen die Zecken seit Jahren, und das nach so einem tollen Spiel. Unglaublich!

266 Die Kartoffelkäfer selbst können ihr Glück noch gar nicht fassen und schauen lieber noch einmal verwundert auf das eingeblendete Endergebnis auf dem Würfel.

Auf einmal ein Jubelsturm, der durch die Donnerhalle bricht. Die Endergebnisse aus den anderen Stadien werden einge- blendet. Hertha spielt nur 0:0 in Gladbach und unser direk- ter Konkurrent um den Champions-League Platz, Stuttgart, verliert sogar mit 2:0 beim VfL Bochum. Alles ist beim Alten geblieben. Die Freude hält sich zwar in Grenzen, lindert je- doch die Schmerzen der Niederlage ungemein. Anders aus- gedrückt: Der Sieg der Zecken gegen uns ist nichts wert, gar nichts. Und das ärgert die Kartoffelkäferfans noch viel mehr, als sie der Sieg freut.

So gesehen gönne ich ihnen den heutigen Triumph. Sie haben ja sonst nichts zu lachen. Und ab dem nächsten Derby starten wir halt wieder eine neue Serie.

267 21.05.2005 SC Freiburg – Schalke 04 • 2:3

Zum letzten Mal steigt die „Straßenköter-GE- Stammbesatzung“ in dieser Saison zu einem Ligaspiel in die Schild- kröte ein. Die Stimmung ist, trotz des vermassel- ten Derbys, prächtig. Zum zweiten Mal in der Vereinsgeschichte, zum zweiten Mal nach dem dramatischen Saisonfinish 2001, werden wir uns heute auf direktem Wege für die Fleischtöpfe Europas qualifizieren. Von zig garantier- ten Millionen Euro Einnahmen träumen unsere Verantwort- lichen, ich träume von künftigen, fernen Reisen mit S04 in die Sonne, denke an zu nehmende Urlaubstage, rechne mit vielen zu sparenden Taschengeldtalern.

Wie im Fluge vergeht unsere Hinfahrt, denn es gilt, eine gan- ze Saison zu reflektieren, noch einmal Revue passieren zu lassen. Was war da nicht alles wieder los:

Der UI-Cup in der Sommerpause mit der erfolgreichen UEFA-Cup-Qualifikation. Der total verunglückte Start in die Liga mit dem sich anschließenden Rauswurf von Don Jupp. Dann unser Eddy Hühnerfell als Interimscoach. Anschlie- ßend „Rolf“ Rangnick als Vater und Architekt des plötzlichen Erfolges. Eine noch nie da gewesene Siegesserie peitschte uns bis auf den ersten Tabellenplatz, Meisterschaftsträume fingen an zu reifen. Zwischendurch unvergessliche Europa- pokalfahrten nach Lettland und Schottland, das erneute Er- reichen des DFB-Pokalfinales in Berlin. Dann ging uns ein wenig die Luft aus und die Bazen zeigten uns, was eine Harke ist. Meisterschaft Ade, aber Platz zwei immer noch feste im Visier. Eine Achterbahnfahrt der Gefühle. Typisch Schalke. Von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt war wieder

268 mal alles dabei. Aber letztlich gehört die Saison, egal wie man es dreht und wendet, zweifelsohne mit zu den erfolgreichs- ten der Schalker Nachkriegsgeschichte (Meisterschaft 1958 - Vizemeister und Pokalsieger 1972/73 - Vizemeister 1976/77 - Vizemeister und Pokalsieger 2000/2001).

In Freiburg angekommen – die Sonne scheint hier, wie immer - treffen wir bereits auf lauter arg angeschlagene Schalker. Die Nacht muss wohl äußerst kurzweilig gewesen sein. Ich husche schnell rüber zum Bosch-Bus, um Rudi zu gratulieren, der unterhalb der Woche 40 Lenze (!!!) jung geworden ist. Bleib wie Du bist, alter Hund! Wir stoßen mit einem kleinen Erfrischungsgetränk auf dieses erfreuliche Ereignis an und schon ist es Zeit, zum wahrscheinlich letzten Mal für lange, lange Zeit, ins ehemalige Dreisam-Stadion – nun Badenova Stadion – zu gehen. Zur Freude einiger mitgereister „Sups“ ist es mir völlig unmöglich, die übrig gebliebenen teuren Sitz- platztickets der spontan daheim gebliebenen Sportsfreunde zu veräußern. Und so verschenke ich sie an unsere Jungs. So sitzen wir schließlich mit wenigstens vierzig Leuten zusam- men im Oberrang, machen tüchtig Stimmung und genießen den wirklich wundervollen Blick auf den Schwarzwald. Ein Blick, den ich aus keinem anderen Stadion der Welt kenne. Ein wenig Melancholie überfällt mich hinterrücks. Ich fand unsere Touren nach Freiburg, auch wenn es hier sportlich nie so richtig lief, immer absolute Weltklasse. Für mich ist es schlicht und einfach Deutschlands schönste Stadt. Vor allem, wenn man es unter dem Aspekt „Lebensqualität“ betrachtet. Steigt schnell wieder auf, ihr lieben kleinen Freiburger!

Nach dem traditionellen Badener Lied geht es los. Ich schät- ze mal, dass sich gut und gerne 10.000 Schalker im Stadi- on eingefunden haben, um unser Team auf dem Weg in die Champions-League zu unterstützen. Eine friedliche Invasion, wie sie das Badenerland seit dem Erbfolgekrieg anno 1744 – so die Badische Zeitung – nicht mehr erlebt hatte. Alles fest in blau-weißer Hand. Alle Mann an Bord bei unserem Team. Rost spielt, Krstajic spielt, selbst Ailton darf, trotz aller

269 Diskrepanzen, wieder von Anfang an spielen. Und die hem- mungslose Offensivaufstellung unseres Trainers zeigt bereits nach nur sechs Minuten Wirkung. Ein feiner Doppelpass zwi- schen Ailton und Ebbe versetzt Ebbe in eine gute Ausgangsla- ge. Der haut aus 22 Metern einfach mal drauf und die Kugel fliegt ins rechte untere Eck, zappelt Bruchteile von Sekunden später im Freiburger Netz. 1:0 für Königsblau. Zasterliga, wir kommen! Das halbe Stadion liegt sich jubelnd in den Armen. Einen schöneren und beruhigerenden Spielstart hätten wir uns gar nicht erträumen können. Jetzt sind die Freiburger, eh schon lange abgestiegen, sicherlich völlig demoralisiert und wir müssen nur noch das Spiel über die Runden bringen. Pustekuchen.

Unsere Abwehr lässt nur fünf Minuten später in aller Seelen- ruhe einen Freiburger flanken. Irgendein winziger Schützling Volker Finkes kommt per Kopfball an den Ball. Der springt an den linken Torpfosten, den Abpraller schiebt Iashvilli zum 1:1-Ausgleich ins Tor (11.). Eine gute Visitenkarte, eine gar Champions-League reife Leistung, gibt unsere Abwehr heute weiß Gott nicht ab. Irgendwie ist dann auch schon Pause.

Auf geht es in die letzte Ligahalbzeit. Auf geht es in die letzten 45 Bundesligaminuten der Saison 2004/2005. In der 55. Spielminute löst Papa Bordon endlich sein lang gegebenes Versprechen ein – ein Pflichtspieltor für den S04! Ein Tor mit Ankündigung, denn zu dem Zeitpunkt hält ihn bereits nichts mehr hinten. 2:1 für uns (55.). Jetzt schaukelt die Kiste ruhig nach Hause, Jungs und lasst Euch nicht verrückt machen!

Aber warum sollte es gerade am letzten Spieltag für uns an- ders laufen als sonst? Berg und Tal mit S04. Ausgerechnet der gerade eingewechselte Zlatan Bajramovic, der ab dem Abpfiff ja einer von uns ist, spielt in der 78. Minute einen Zauberpass auf den Freiburger Roda (Kerkrade) Antar. Der überwindet Rost von der Strafraumgrenze aus. Der erneute Ausgleich. Es ist zum Verrücktwerden. Jetzt müssen wir doch tatsächlich noch einmal zwölf Minuten zittern, zwölf Minuten

270 beten, dass wir kein weiteres Tor mehr kassieren. Zwölf Mi- nuten hoffen und bangen, dass die Ergebnisse in Berlin und Stuttgart so bestehen bleiben. Denkste.

Papa Bordon platzt nun endlich der Kragen. Er hat die Schnauze scheinbar gestrichen voll. Ganz alleine bricht er, mit Gottes Hilfe, die Freiburger Gegenwehr und bringt uns nach Madrid, Mailand, Barcelona, London – zu den ganz Großen halt.

Wir schreiben die letzte der insgesamt 3060 Spielminuten lang währenden Saison. Eckball für Königsblau. Die Freibur- ger Abwehr wartet mit einem verunglückten Befreiungsschlag auf, der direkt bei Kobi landet. Der flankt die Kirsche einfach noch einmal in den Freiburger Strafraum, 87 Schalker ver- passen, der Ball landet auf der anderen Seite bei Lincoln. Der flankt auch noch einmal in den Sechzehner hinein und diesmal steht er goldrichtig da. Papa Bordon, ab heute von mir, als Ehrerbietung für eine überragende Saison, nur noch „Flash Bordon“ genannt. Von seinem Scheitel aus senkt sich der Ball aus sieben Metern langsam in die Freiburger Geld- grube. Toooooooooooooooor. 3:2 für uns. Jetzt gibt es auf dem Rasen kein Halten mehr.

Unsere kleine spontane „Wir haben Platz zwei in der Meister- schaft erreicht“–Feier fällt auf jeden Fall um einiges größer aus, als die offizielle Meisterfeier in München. Noch bis weit nach Abpfiff wird die Mannschaft im Stadion gerockt und anschließend, Dank einer Sitzblockade, an der Heimfahrt ge- hindert. Erst als auch die letzten Biervorräte sich dem Ende entgegen neigen, wird das Team entlassen.

Ein letztes Mal drehe ich mich zu Tränen gerührt um und winke zum Abschied unserer alten Schildkröte hinterher. Treue Dienste hat sie uns in den letzten Jahren geleistet. Und gerade eben erst hat mir Axel offenbart, dass sie kommendes Wochenende zu unserer letzten Saisontour nicht mehr im Einsatz sein wird. Er hat sie verkauft.

271 28.05.2005 DFB-Pokal (Finale): FC Bayern – Schalke 04 • 2:1

Endlich ist es soweit: Nach tausenden von verbrachten Reisestun- den und Reisekilome- tern in der Schildkröte und anderen Fortbe- wegungsmitteln, nach hunderten von Kurtis verzehrten Tiefkühlfri- kadellen, nach etlichen Büchsen Bier, Stangenweise Kippen – egal ob passiv oder aktiv - nach vielen weiteren grauen Haa- ren, tausenden von Eurocent auf dem Konto weniger für Ein- trittskarten, Reisekosten, Speis und Trank und vielem mehr, steht sie vor unserer Haustür – die letzte Pflichtspielfahrt der Saison 2004/2005.

Und was für eine Fahrt dies werden soll, die Fahrt zum Poka- lendspiel in Berlin, gegen den frisch gebackenen Deutschen Meister aus dem Freistaat Bayern: Der FC Bayern München AG. Das Highlight zum Abschluss der Saison.

Mindestens 40.000 Blaue werden schätzungsweise am Sams- tag im Berliner Olympiastadion erwartet, mindestens ebenso viele beim Würfelspiel in der Arena. Der Pott in Bewegung – und das schon teilweise, aufgrund des verlängerten Wo- chenendes, seit Mittwoch.

Axels neustes Prunkstück hingegen – die neue Kröte - erfährt erst am frühen Morgen des 27. Mai ihre Feuertaufe, ihre erste richtige Bewährungsprüfung. Unterhalb der Woche hat er tatsächlich seinen Worten Taten folgen lassen und die alte Schildkröte nach Kirgisien (oder sonst wohin) verkauft und dafür eine neue Kutsche erworben. Sogar eine mit Aschenbe- chern und funktionierender Toilettenspülung! Dementspre- chend vorsichtig und respektvoll besteigen 50 Supporters

272 die nigelnagelneue saubere Kröte und machen sich auf den Weg in Deutschlands politische Hauptstadt. Zufälligerweise ist heute auch noch der heißeste Tag des Jahres, so dass wir äußerst glücklich darüber sind, einen neuen vollklimatisier- ten Bus zur Verfügung zu haben. Da macht das Reisen doch richtig Spaß!

Kurz vor Anpfiff gibt es eine prächtige Choreografie in unse- rer Kurve. Tausende von hoch gehaltenen Papptafeln ergeben einen blau-weißen: „Sieg“-Schriftzug, das Ganze untermalt von zehntausenden, vorab verteilten Schalke-Fähnchen und zwei Riesentransparenten mit dem Schriftzug: „Zum fünften Mal - heut ist die Nacht! Glaubt an euch, dann wird‘s voll- bracht!“. Mögen diese Worte in Euren Beinen und Köpfen Gehör finden, ihr Knappen!

In der Bayernkurve wird zeitgleich ein Gassenhauer von der Spider Murphy Gang gespielt, um die Stimmung bei den Sympathisanten zumindest ein wenig aufzuheizen. Sorry, liebe Bazen und Spider-Fans, aber in Sachen Stimmung und Fankultur seid ihr mit Eurem Chor - samt Kindertrompete - eher Regionalliga als Ligaspitze! Wenn ich da nur an unsere beiden letzten Pokalfinalauftritte in Berlin denke... Verglichen damit reichen euch selbst die wenigen Bayer-Fans locker das Wasser. Union Berlin dagegen war sogar Weltklasse.

Soll aber nicht unser Problem sein. Alles ist also gerichtet. Die Nationalhymne ist auch noch rasch gesungen, möge das Spiel beginnen. Beide Teams treten, wie es sich für ein sol- ches Finale gehört, in Bestbesetzung auf. Das heißt für uns: Rost, Kobiashvili – Bordon – Krstajic – Kamphuis, Vermant – Lincoln – Poulsen, Asamoah - Sand – Ailton. Was soll da noch schief gehen?

Nun ja, wenn wir ehrlich sind, haben wir von der ersten Se- kunde des Anpfiffs an keine Chance, das Spiel zu gewinnen. Zu gut, zu übermächtig sind die Bazen und schon nach vier Minuten könnte es gut und gerne 2:0 stehen.

273 Von unserem Support träumen die Bazen allerdings heute noch in ihren kühnsten Albträumen. Da können sie Welt- pokalsieger und alles andere werden und gleichzeitig noch ein Stadion eröffnen, diese Gänsehautatmosphäre wird auch dem letzten, harten Bazen die Tränen der Rührung aus dem Gesicht kullern lassen mit dem Wunsch, doch nur einmal im Leben, für nur einen klitzekleinen kurzen Tag Fan des geilsten Clubs der Welt sein zu dürfen.

Ganz klar überlegen wird den Bazen, durch zwei fehlerhafte Schiedsrichterentscheidungen der absolut miserabel pfeifen- den Pfeife Florian Meyer (habe ich doch schon nach dem Hertha-S04-Spiel gesagt, dass der nichts kann) die Führung verbaut. Die Karten für die Rudelbildung bei den sich an- schließenden Protesten und die für zwei rotwürdige Fouls der Bazen bleiben allerdings ebenfalls aus. Unsere Jungs rennen derweil ein wenig hilflos und desorientiert über den frisch verlegten Berliner Rollrasen. Da nützt es auch nichts, dass mitten während des Spiels die Rasensprenganlage angeht. Ein Schieber hat sich wohl verhakt. „Schieber, Schieber“ hallt es von den Tribünen.

Pannen über Pannen im gesamten Stadion- und Stadionum- feld, dazu ein desolat schlechter, skandalöser, haarsträuben- der, katastrophaler Schiedsrichter, alles andere als endspiel- reif, was sich da heute vor unseren Augen abspielt.

Die Führung der Bayern in der 40. Spielminute durch Ma- kaay ist absolut verdient und folgerichtig. Allerdings keimt nur drei Minuten später bei uns noch einmal Hoffnung auf. Ailton, von dem bis dahin noch nichts zu sehen war, wird im Strafraum gelegt. Der Schiedsrichter zeigt sofort auf den Elfmeterpunkt, wahrscheinlich zurecht. Lincoln verwandelt unter dem Jubel der 40.000 Schalker souverän zum 1:1 Halb- zeitstand. Würstchen-Ulli flippt in der Halbzeitpause mal wieder aus. Wie ein wildes Rumpelstilzchen umherhüpfend, beschimpft er einmal mehr die halbe Welt, will Hinz und Kunz verklagen. Übt man so etwa Druck beim DFB oder bei

274 den Schiedsrichtern aus? Kann da der Unparteiische wirklich unparteiisch bleiben?

Die Halbzeit wird in der Schalker Kurve durchgesungen und durchgefeiert, zu trinken gibt es ja eh nichts. Immer wieder schauen die Bazen-Fans ängstlich zu uns hinüber, als wollten sie sagen. „Die stehen ja tatsächlich alle auf ihren Sitzplät- zen. Darf man so etwas überhaupt? Was haben die nur vor?“. Ich höre die FCB-Kids bis hierhin ihren Papa fragen: „Papa, darf ich später, wenn ich groß bin, auch lieber Schalker wer- den?“

Die zweite Halbzeit beginnt leider genauso, wie die erste be- gonnen hat. Die Legionäre aus Stoibers Freistaat wirken we- sentlich frischer, entschlossener und dynamischer. Zumin- dest kommt es mir so vor. Unsere Jungs wirken hingegen wie gelähmt. Jungs, wenn man den Pott holen will, muss man anders auftreten!

Dann der Führungstreffer für die Bazen. Damit ist jedem im Stadion klar, dass der Drops gelutscht ist. Hasan Salihamidzic (76.) hat aus einer Abseitsposition heraus getroffen. Und was für einer. Zusammen mit Makaay stand er mindestens zwei Meter im Abseits. Eine Konzessionsentscheidung?

Die Schalker Fankurve tobt und kocht daraufhin, schäumt vor Wut. „Fußballmafia DFB“ und „Vorfelder raus!“ wird im- mer wieder skandiert. Dem folgt noch, aus 40.000 Kehlen, das seit 2001 Kult gewordene: „Schiebt den Bayern die Schale in den Arsch!“

Selbst während der Siegerehrung nur feiernde Schalker im weiten Rund. Mensch, müssen die Bayern sich bescheuert vorgekommen sein. Man muss sich das einmal vorstellen: Die Pokalübergabe an den Mannschaftskapitän des FC Bäh findet unter dem lauthalsen, frenetischen Gesang der S04- Fans statt. Keinen interessiert die Pokalübergabe so wirklich, es gilt die Medaillenübergabe an unser Team zu feiern. Die

275 Bazen haben den gekünstelten Konfetti-Regen, wir haben eine fette S04-Party. Der emotionale Sieger heute heißt ganz eindeutig: FC Schalke 04. Voller Inbrunst und Leidenschaft stimmen 40.000 Blaue das Vereinslied an, singen sich den Frust und den Schmerz von der Seele. Eine fantechnische Demütigung für den diesjährigen Gewinner des Doubles.

Als wir zwei Stunden nach Abpfiff den Busparkplatz Rich- tung Heimat verlassen, stehen noch etliche Schalker auf dem Parkplatz, reißt der Strom von aus dem Stadion kommenden S04-Trikots immer noch nicht ab. Wir halten noch einmal kurz vor der Stadtgrenze, damit Markus, unter großen Ap- plaus, sein 10-Kilogramm-Feuerwerksset abfackeln kann. Ein gebührender Abschiedsgruß an und aus Berlin.

Natürlich hätte ich, hätten wir alle, heute den Cup gerne mit nach Hause genommen. Ich hätte mir, ehrlich gesagt, nichts Schöneres vorstellen können. Es wäre der krönende, der per- fekte Abschluss einer ziemlich genialen Saison geworden. Aber andererseits trage ich wieder etwas in meinem Herzen, habe ich Bilder in meinem Kopf, die ich mit heimnehmen werde - von denen ein Baze niemals auch nur die geringste Ahnung haben wird.

Ich bin solz darauf, mal wieder ein Stück Tradition, Mythos, Vereinsgeschichte miterlebt haben zu können. „Datt erzähl ich meine Enkels!“

Wir haben verloren, na und? Glückwunsch zu eurem Erfolg. Den Pokal habt Ihr uns genommen, unseren Stolz erreicht Ihr jedoch nie!

Danke, für diese geile Saison mit Schalke, Danke, für diese geile Saison mit euch. Das heute war unser klitzekleines Dan- keschön an euch. „Blau und Weiß ein Leben lang.... „

276 Nachspielzeit

Eine Stunde nach Abfahrt in Ber- lin, wird es im Bus langsam ruhi- ger. Natürlich wird noch ein wenig geplaudert, gesungen und gelacht, aber bei den Meisten kommt nun doch die sengende Hitze des Tages und die Müdigkeit durch. Ein klei- nes Nickerchen ist angesagt. Ich schaue derweilen aus dem Fens- ter der Schildkröte, blicke auf die schier nicht enden wollende Blech- lawine aus an uns vorbeiziehenden Autos hinunter, die alle- samt mit Schalker Schals oder kleinen Fähnchen geschmückt sind und versinke in Gedanken.

Die Saison ist aus und vorbei, nur noch Geschichte. Mit dem letzten Abpfiff gehört ein weiteres Schalker Jahr, das 101., ab sofort nur noch der Vergangenheit an.

Wie auch in all den Jahren zuvor, war dieses Jahr in unserem Schalker Fandasein geprägt durch Freud und Leid. Es war ein Jahr, welches mich noch näher an den S04 gebunden hat, meine Beziehung zu ihm noch weiter gefestigt hat, auch wenn diese „Beziehung“ lediglich auf Einseitigkeit beruht.

Die Erlebnisse und Ereignisse der vergangenen Monate spu- ken noch wirr und ungeordnet in meinem Kopf umher. Habe ich zuviel Sonne getankt?

Jetzt, wo wir nicht nur den temporären – sondern auch den geographischen Abstand zum finalen Abpfiff vergrößern - bli- cke ich einmal mehr auf ein sehr schönes, bewegtes, bewe- gendes, aber auch äußerst erfolgreiches Schalker Jahr zurück. Auch wenn es zum Schluss nicht ganz gereicht hat und die Enttäuschung über den gerade verpassten Pokalcoup noch

277 nicht vollständig verflogen ist, so muss man es doch positiv sehen: 16 andere Bundesligaclubs hätten gerne hier und heu- te mit uns getauscht! Und wenn ich alle Spiele vor meinem geistigen Auge noch einmal im Schnelldurchgang ablaufen lasse, dann war auch das eine oder andere Kännchen Glück in diesem Jahr dabei.

Mit einem Breitmaulfroschgrinsen im Gesicht, versinke auch ich langsam in meinen wohlverdienten Schildkrötenschlaf und träume von fernen Landen, hart erkämpften Siegen, wunderschönen Traumtoren und unvergesslichen Kult- Touren. Und bereits jetzt vom Ende der gerade begonnenen schalkelosen Zeit, der Sommerpause.

278 Abpfiff

Neues Spiel, neues Glück wird es ab Anfang August wieder hei- ßen, wenn erneut ein Schalker Fußballjahr angepfiffen wird. Es wird wohl, kurz vor der Weltmeis- terschaft im eigenen Lande, die „Boom-Saison“ schlechthin wer- den. Zuschauerrekorde werden purzeln, seit Jahren bestehende Serien und Bestmarken werden brechen. Und wir, der FC Schalke 04, werden in genau diesem Jahr erneut im Konzert der ganz Großen mitmischen.

Allerdings werden wir uns nach dieser Saison, wird die Mannschaft sich an neuen Zielen messen lassen müssen. Das erneute Erreichen eines Champions-League-Platzes wird Pflicht sein, die heimliche Erwartungshaltung von uns Fans wahrscheinlich dies sogar noch übertreffen, die Reise muss endlich mal nach oben gehen. Nach ganz oben!

Mit den Neuverpflichtungen von Fabian Ernst, Zlatan Bajra- movic und Kevin Kuranyi sind die ersten Weichen für eine noch goldigere Zukunft gestellt worden, einer Zukunft, in der man hoffentlich - nicht ohnmächtig und tatenlos wie in die- sem Jahr - der scheinbaren Übermacht aus dem Süden der Republik entgegenwirken, den Abstand verringern kann.

Eines jedenfalls steht bereits heute fest: Wir werden wieder da sein. Bei jedem Spiel. Egal wann, egal wie, egal wo. Wir werden uns des blau-weißen Virus nicht entledigen können, wollen, wir sind davon befallen bis ans Ende unserer Tage. So war es schon immer – und so wird es immer sein. Blau und weiß ein Leben lang!

279 Über den Autor

Olivier, alias Oli4, Kruschinski ist seit Jahr und Tag mit dem blau-weißen Virus infiziert. Der 30-jährige begleitet als Vor- stand des FC Schalke 04 Supporters Club e.V. seit Jahren mit Leib und Seele seinen Verein zu sämtlichen Pflichtspielen; in guten, wie in schlechten Tagen.

Neben anderen Tätigkeiten arbeitet Olivier Kruschinski fe- derführend als Redakteur des offiziellen Fanmagazins des Schalker Fanclub Verbandes „Sprachrohr“. Seit Baubeginn der Arena AufSchalke führt er Besuchergruppen durch den königsblauen Fußballtempel.

Danksagung des Autors

Bedanken möchte ich mich vor allem bei Fienchen, für ihre schier unendliche Geduld und Leidens- bzw. Strapazierfähig- keit. Bei Hartmut für die tatkräftige Unterstützung und die vielen hilfreichen Tipps, allen Mitgliedern des Supporters Clubs e.V. - aber natürlich auch allen anderen Schalke-Fans, mit denen ich dieses Jahr unterwegs war und viel Spass und Freude haben durfte. Und natürlich allen Menschen in mei- nem Umfeld, die ich sehr lieb habe, die aber unter meiner Leidenschaft für den Fußball, für Schalke 04, so unendlich viel leiden müssen.

Ach ja, das Buch widme ich natürlich dem S04.

*Für Schalke*

280 Bundesliga Saison 2004/2005 Abschlusstabelle

1. FC Bayern München 34 24 5 5 75:33 77 2. FC Schalke 04 34 20 3 11 56:46 63 3. SV Werder Bremen 34 18 5 11 68:37 59 4. Hertha BSC Berlin 34 15 13 6 59:31 58 5. VfB Stuttgart 34 17 7 10 54:40 58 6. Bayer 04 Leverkusen 34 16 9 9 65:44 57 7. Borussia Dortmund 34 15 10 9 47:44 55 8. Hamburger SV 34 16 3 15 55:50 51 9. VfL Wolfsburg 34 15 3 16 49:51 48 10. Hannover 96 34 13 6 15 34:36 45 11. FSV Mainz 05 34 12 7 15 50:55 43 12. 1. FC Kaiserslautern 34 12 6 16 43:52 42 13. Arminia Bielefeld 34 11 7 16 37:49 40 14. 1. FC Nürnberg 34 10 8 16 55:63 38 15. Borussia M’gladbach 34 8 12 14 35:51 36 16. VfL Bochum 34 9 8 17 47:68 35 17. FC Hansa Rostock 34 7 9 18 31:65 30 18. SC Freiburg 34 3 9 22 30:75 18

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