Christ, Patriot Und Preußischer Reformer
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419_84_91_Schwegel 28.09.2004 9:55 Uhr Seite 84 Vor 70 Jahren wurde der Christ, Patriot Berliner Katholikenführer und preußischer Reformer Erich Klausener ermordet Andreas Schwegel Verständlicherweise nimmt in diesem Indes diente das Massaker vor siebzig Jahr die Widerstandsbewegung vom 20. Jahren – es kostete zwischen 150 und 200 Juli 1944 einen herausragenden Platz in Menschen das Leben – nicht nur der Aus- der demokratischen Erinnerungskultur schaltung der SA in einem komplexen unseres Landes ein. Allerdings gerät nur Interessengeflecht und Machtpoker zwi- allzu leicht der Jahrestag eines weiteren schen rivalisierenden Akteuren aus Par- Schlüsselereignisses aus dem Blickfeld: tei, innerer Exekutive und Streitkräften. der 30. Juni 1934. Dieses Datum steht in Gleichzeitig nutzte die Regimespitze die erster Linie für die blutige Beseitigung Gelegenheit, um eine ganze Reihe – zu- der SA-Führung in einer konzertierten meist prononciert konservativer – Per- Aktion von SS, Politischer Polizei und sönlichkeiten aus dem Weg zu räumen, Reichswehr. Unter dem Vorwand eines unter ihnen den ehemaligen Reichskanz- bevorstehenden Umsturzversuches wur- ler General Kurt von Schleicher sowie Ed- de die SA als „revolutionärer“ Unruhe- gar Julius Jung, Redenschreiber des Vize- faktor im Machtgefüge der noch unge- kanzlers Franz von Papen. Zu den kalt- festigten Diktatur ausgeschaltet. blütig Ermordeten gehörte auch der ehe- Die Kräftebalance innerhalb des Re- malige preußische Spitzenbeamte, Zen- gimes verschob sich merklich. Zum trumspolitiker und Leiter der Katholi- einen wurde die Verquickung zwischen schen Aktion im Bistum Berlin, Ministeri- SS und Politischer Polizei (Gestapo) for- aldirektor Erich Klausener. Die Erinne- ciert. Die Konsequenz war eine sukzes- rung an diese herausragende Persönlich- sive Effektivierung und Bürokratisie- keit des politischen Katholizismus und rung des Terrors im „völkischen“ Füh- ihre Bedeutung für das christdemokrati- rerstaat. Zum anderen wurde das sche Selbstverständnis wach zu halten, ist Waffenmonopol der Reichswehr gegen das Anliegen der folgenden biografischen den konkurrierenden Anspruch der Profilskizze. SA durchgesetzt. Im Gegenzug leisteten nach dem Tode des Reichspräsidenten Frühe Prägungen Klauseners Paul von Hindenburg am 2. August 1934 Der am 25. Januar 1885 in Düsseldorf ge- die Soldaten der Reichswehr ihren Treu- borene Erich Klausener wuchs in einem eid auf Adolf Hitler als Oberbefehls- großbürgerlich-katholischen Milieu des haber der Streitkräfte. Dieser folgen- Rheinlandes auf. Sein Vater Peter Klause- schwere Schritt ebnete den Weg für den ner (1844–1904) war ein erfolgreicher Ju- Aufbau einer schlagkräftigen und poli- rist in der Rheinischen Provinzialverwal- tisch domestizierten Wehrmacht, die zur tung. Fast ein Vierteljahrhundert war er Durchsetzung der mittel- und langfristi- als Landrat tätig, baute die Landesversi- gen Expansivziele des Regimes unver- cherungsanstalt in der Rheinprovinz auf zichtbar war. und erwarb sich den Ruf eines ebenso agi- Seite 84 Nr. 419 · Oktober 2004 419_84_91_Schwegel 28.09.2004 9:55 Uhr Seite 85 Christ, Patriot und preußischer Reformer len wie sozial eingestellten Beamten. Die Mutter Elisabeth Klausener, geborene Bie- Erich Klausener senbach (1864–1944), entstammte einem (1885–1934) katholisch geprägten Haus der exklusiven Düsseldorfer Gesellschaft. Ihr Vater, der Justizrat und Rechtsanwalt Gustav Bie- senbach (1831–1893), war zwanzig Jahre lang Vertreter für das Zentrum im preu- ßischen Abgeordnetenhaus. In dieser Funktion hatte sich Erich Klauseners Großvater als unerschrockener und rede- gewandter Mitstreiter Ludwig Windt- horsts im „Kulturkampf“ einen Namen gemacht. Ein politisch selbstbewusster, ja kämp- ferischer Katholizismus, das berufliche Leitbild des pflicht- und veranwortungs- bewussten Karrierejuristen im Kaiser- reich sowie eine im großbürgerlichen Mi- lieu tief verwurzelte patriotische Grund- haltung – das alles waren prägende Kon- stanten im Leben des jungen Erich. Ganz dem Vorbild des Vaters verpflichtet, nahm Klausener nach dem glänzend be- standenen Abitur im Jahr 1903 ein Jura- studium in Angriff. Studienorte waren Bonn, Berlin und Kiel. Beide Examina ab- sessor und Leutnant der Reserve ins Feld solvierte der zielstrebige Nachwuchsju- und kämpfte abwechselnd an der West- rist mit der seltenen Note „gut“. 1911 und Ostfront. Im Oktober 1917 wurde der folgte die Promotion mit der Arbeit „Das für seine Tapferkeit mit dem Eisernen Koalitionsrecht der Arbeiter nach Reichs- Kreuz (EK) beider Klassen dekorierte recht und preußischem Recht“ in Würz- Klausener aus dem aktiven Heeresdienst burg. Seinen Militärdienst leistete Klause- entlassen. Auch später, in der Zeit der Re- ner – sozusagen standesgemäß – in einem publik, demonstrierte Klausener seine renommierten Kavallerieregiment. Verbundenheit mit den ehemaligen Trotz seiner katholischen Herkunft Kriegskameraden: Er hatte keine Scheu, hatte der junge Regierungsassessor bes- auf öffentlichen Veranstaltungen von te Aufstiegschancen im wilhelminischen Staat und Kirche im Ordensschmuck des Deutschland. Doch sollte der Ausbruch EK I aufzutreten und an den Traditions- des Krieges die Lebens- und Berufspla- veranstaltungen seiner früheren Einhei- nung Klauseners erst einmal jäh unter- ten teilzunehmen. brechen. Noch am Tag der Mobilmachung – am 1. August 1914 – heiratete er Hedwig Der aufstrebende Verwaltungsjurist Kny. Seine Frau hatte Klausener während Offensichtlich brauchte die preußisch- seiner Assessorentätigkeit im preußi- deutsche Militärmonarchie qualifizierte schen Ministerium für Handel und Ge- Juristen für den Verwaltungsdienst an werbe in Berlin kennen gelernt. Sofort der „Heimatfront“. Ende Oktober 1917 nach der Trauung zog der Regierungsas- wurde Klausener als kommissarischer Nr. 419 · Oktober 2004 Seite 85 419_84_91_Schwegel 28.09.2004 9:55 Uhr Seite 86 Andreas Schwegel Landrat des kleinen und bitteramen das gesamte Ruhrgebiet. Allein im Kreis Grenzkreises Adenau in der Hocheifel Recklinghausen waren 12 000 Mann Be- eingesetzt; im Juli 1918 folgte die defini- satzungstruppen stationiert. Klausener tive Bestellung zum Landrat. Seinem in- unterstützte die Strategie des „passi- nigen Wunsch, dem beruflichen Vorbild ven Widerstandes“. Mehr noch: Ein des Vaters nachzueifern, war er ein gutes scharfes Protestschreiben wegen der Stück näher gekommen. Lange sollte es Misshandlung von Beamten brachte ihm Klausener jedoch nicht in der Eifel halten. ein Kriegsgerichtsverfahren ein. Klause- Schon ein Jahr später übernahm er als ner wurde zwei Monate inhaftiert und an- Landrat die Geschicke im aufstrebenden schließend des Kreisgebietes verwiesen. Industriekreis Recklinghausen – mit Im November 1923 – nach Beendigung des 344 000 Einwohnern nicht nur der größte „passiven Widerstandes“ – konnte er wie- Kreis in Westfalen, sondern in ganz Preu- der zurückkehren. Die schwierigen Be- ßen. dingungen in den Anfangsjahren der Re- Die Amtsübernahme fiel in die chaoti- publik ließen ihn nicht resignieren. Der sche Anfangsphase der Weimarer Re- auch in Kreisen des Zentrums als „sozia- publik und erforderte das ganze Können ler“ beziehungsweise „roter“ Landrat be- des gerade mal 34-jährigen Verwaltungs- kannte Klausener förderte vor allem den chefs. Als Rechts- wie Linksextremisten Aufbau eines flächendeckenden Gesund- zum Angriff auf die verwundbare junge heits- und Fürsorgewesens für Kranke Demokratie übergingen, stellte sich der und Bedürftige. Patriot und Weltkriegsoffizier Klausener Im preußischen Wohlfahrtsministe- vorbehaltlos hinter die neue Verfassungs- rium wurde man aufmerksam auf den ordnung. Während des „Kapp-Putsches“ agilen Verwaltungsjuristen und zuverläs- im März 1920 rief Klausener zum Gene- sigen Zentrumsmann mit sozialpoliti- ralstreik gegen die reaktionären Putschis- schem Profil. Nachdem Klauseners Beru- ten in Berlin auf. Als wenige Wochen spä- fung zum Regierungspräsidenten von ter die „rote Ruhrarmee“ das Industriere- Aachen an Widerständen im eigenen po- vier in ein bürgerkriegsähnliches Chaos litischen Lager gescheitert war, holte ihn stürzte, schlug der junge Landrat jedes Minister Heinrich Hirtsiefer (Zentrum) Eingehen von Kompromissen mit den im Dezember 1924 nach Berlin. Als Minis- linksextremen Rädelsführern aus. Er terialdirektor wurde Klausener Leiter der machte sich für ein konsequentes Vorge- Abteilung für Jugend- und Erwerbslosen- hen der Reichswehr stark, die im April fürsorge im Ministerium für Volkswohl- 1920 mit der gewaltsamen Entwaffnung fahrt – ein Aufgabenzuschnitt, der seinen der Aufständischen dem revolutionären Neigungen und Erfahrungen in der lokal- Treiben ein Ende setzte. Schon diese frühe regionalen Sozialpolitik voll entsprach. Bewährungsprobe zeigte Klausener als „Mann der Tat“ (Klaus Gotto), der – wenn Reformer der preußischen Polizei es darauf ankam – nicht zauderte, son- Rund zwei Jahre später kam es im preußi- dern konsequent handelte. schen Innenministerium zu einem größe- Die Bereitschaft, unerschrocken für die ren Personal-Revirement, das Klausener Interessen des neuen Staates einzutreten, einen entscheidenden Karrieresprung er- stellte Klausener auch während des Ruhr- öffnete. Da dieses Schlüsselressort als Zen- kampfes unter Beweis. Im Januar 1923 be- tralbehörde für den polizeilichen Exeku- setzten französische und belgische Trup- tivapparat im preußischen Staat verant- pen unter Berufung auf noch ausstehen- wortlich war, wurde in der regierenden de Reparationslieferungen des Reiches Weimarer Koalition unter Ministerpräsi- Seite 86 Nr.