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Vor 70 Jahren wurde der Christ, Patriot Berliner Katholikenführer und preußischer Reformer Erich Klausener ermordet Andreas Schwegel

Verständlicherweise nimmt in diesem Indes diente das Massaker vor siebzig Jahr die Widerstandsbewegung vom 20. Jahren – es kostete zwischen 150 und 200 Juli 1944 einen herausragenden Platz in Menschen das Leben – nicht nur der Aus- der demokratischen Erinnerungskultur schaltung der SA in einem komplexen unseres Landes ein. Allerdings gerät nur Interessengeflecht und Machtpoker zwi- allzu leicht der Jahrestag eines weiteren schen rivalisierenden Akteuren aus Par- Schlüsselereignisses aus dem Blickfeld: tei, innerer Exekutive und Streitkräften. der 30. Juni 1934. Dieses Datum steht in Gleichzeitig nutzte die Regimespitze die erster Linie für die blutige Beseitigung Gelegenheit, um eine ganze Reihe – zu- der SA-Führung in einer konzertierten meist prononciert konservativer – Per- Aktion von SS, Politischer Polizei und sönlichkeiten aus dem Weg zu räumen, Reichswehr. Unter dem Vorwand eines unter ihnen den ehemaligen Reichskanz- bevorstehenden Umsturzversuches wur- ler General Kurt von Schleicher sowie Ed- de die SA als „revolutionärer“ Unruhe- gar Julius Jung, Redenschreiber des Vize- faktor im Machtgefüge der noch unge- kanzlers . Zu den kalt- festigten Diktatur ausgeschaltet. blütig Ermordeten gehörte auch der ehe- Die Kräftebalance innerhalb des Re- malige preußische Spitzenbeamte, Zen- gimes verschob sich merklich. Zum trumspolitiker und Leiter der Katholi- einen wurde die Verquickung zwischen schen Aktion im Bistum , Ministeri- SS und Politischer Polizei (Gestapo) for- aldirektor Erich Klausener. Die Erinne- ciert. Die Konsequenz war eine sukzes- rung an diese herausragende Persönlich- sive Effektivierung und Bürokratisie- keit des politischen Katholizismus und rung des Terrors im „völkischen“ Füh- ihre Bedeutung für das christdemokrati- rerstaat. Zum anderen wurde das sche Selbstverständnis wach zu halten, ist Waffenmonopol der Reichswehr gegen das Anliegen der folgenden biografischen den konkurrierenden Anspruch der Profilskizze. SA durchgesetzt. Im Gegenzug leisteten nach dem Tode des Reichspräsidenten Frühe Prägungen Klauseners Paul von Hindenburg am 2. August 1934 Der am 25. Januar 1885 in Düsseldorf ge- die Soldaten der Reichswehr ihren Treu- borene Erich Klausener wuchs in einem eid auf als Oberbefehls- großbürgerlich-katholischen Milieu des haber der Streitkräfte. Dieser folgen- Rheinlandes auf. Sein Vater Peter Klause- schwere Schritt ebnete den Weg für den ner (1844–1904) war ein erfolgreicher Ju- Aufbau einer schlagkräftigen und poli- rist in der Rheinischen Provinzialverwal- tisch domestizierten Wehrmacht, die zur tung. Fast ein Vierteljahrhundert war er Durchsetzung der mittel- und langfristi- als Landrat tätig, baute die Landesversi- gen Expansivziele des Regimes unver- cherungsanstalt in der Rheinprovinz auf zichtbar war. und erwarb sich den Ruf eines ebenso agi-

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len wie sozial eingestellten Beamten. Die Mutter Elisabeth Klausener, geborene Bie- Erich Klausener senbach (1864–1944), entstammte einem (1885–1934) katholisch geprägten Haus der exklusiven Düsseldorfer Gesellschaft. Ihr Vater, der Justizrat und Rechtsanwalt Gustav Bie- senbach (1831–1893), war zwanzig Jahre lang Vertreter für das Zentrum im preu- ßischen Abgeordnetenhaus. In dieser Funktion hatte sich Erich Klauseners Großvater als unerschrockener und rede- gewandter Mitstreiter Ludwig Windt- horsts im „Kulturkampf“ einen Namen gemacht. Ein politisch selbstbewusster, ja kämp- ferischer Katholizismus, das berufliche Leitbild des pflicht- und veranwortungs- bewussten Karrierejuristen im Kaiser- reich sowie eine im großbürgerlichen Mi- lieu tief verwurzelte patriotische Grund- haltung – das alles waren prägende Kon- stanten im Leben des jungen Erich. Ganz dem Vorbild des Vaters verpflichtet, nahm Klausener nach dem glänzend be- standenen Abitur im Jahr 1903 ein Jura- studium in Angriff. Studienorte waren Bonn, Berlin und Kiel. Beide Examina ab- sessor und Leutnant der Reserve ins Feld solvierte der zielstrebige Nachwuchsju- und kämpfte abwechselnd an der West- rist mit der seltenen Note „gut“. 1911 und Ostfront. Im Oktober 1917 wurde der folgte die Promotion mit der Arbeit „Das für seine Tapferkeit mit dem Eisernen Koalitionsrecht der Arbeiter nach Reichs- Kreuz (EK) beider Klassen dekorierte recht und preußischem Recht“ in Würz- Klausener aus dem aktiven Heeresdienst burg. Seinen Militärdienst leistete Klause- entlassen. Auch später, in der Zeit der Re- ner – sozusagen standesgemäß – in einem publik, demonstrierte Klausener seine renommierten Kavallerieregiment. Verbundenheit mit den ehemaligen Trotz seiner katholischen Herkunft Kriegskameraden: Er hatte keine Scheu, hatte der junge Regierungsassessor bes- auf öffentlichen Veranstaltungen von te Aufstiegschancen im wilhelminischen Staat und Kirche im Ordensschmuck des Deutschland. Doch sollte der Ausbruch EK I aufzutreten und an den Traditions- des Krieges die Lebens- und Berufspla- veranstaltungen seiner früheren Einhei- nung Klauseners erst einmal jäh unter- ten teilzunehmen. brechen. Noch am Tag der Mobilmachung – am 1. August 1914 – heiratete er Hedwig Der aufstrebende Verwaltungsjurist Kny. Seine Frau hatte Klausener während Offensichtlich brauchte die preußisch- seiner Assessorentätigkeit im preußi- deutsche Militärmonarchie qualifizierte schen Ministerium für Handel und Ge- Juristen für den Verwaltungsdienst an werbe in Berlin kennen gelernt. Sofort der „Heimatfront“. Ende Oktober 1917 nach der Trauung zog der Regierungsas- wurde Klausener als kommissarischer

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Landrat des kleinen und bitteramen das gesamte Ruhrgebiet. Allein im Kreis Grenzkreises Adenau in der Hocheifel Recklinghausen waren 12 000 Mann Be- eingesetzt; im Juli 1918 folgte die defini- satzungstruppen stationiert. Klausener tive Bestellung zum Landrat. Seinem in- unterstützte die Strategie des „passi- nigen Wunsch, dem beruflichen Vorbild ven Widerstandes“. Mehr noch: Ein des Vaters nachzueifern, war er ein gutes scharfes Protestschreiben wegen der Stück näher gekommen. Lange sollte es Misshandlung von Beamten brachte ihm Klausener jedoch nicht in der Eifel halten. ein Kriegsgerichtsverfahren ein. Klause- Schon ein Jahr später übernahm er als ner wurde zwei Monate inhaftiert und an- Landrat die Geschicke im aufstrebenden schließend des Kreisgebietes verwiesen. Industriekreis Recklinghausen – mit Im November 1923 – nach Beendigung des 344 000 Einwohnern nicht nur der größte „passiven Widerstandes“ – konnte er wie- Kreis in Westfalen, sondern in ganz Preu- der zurückkehren. Die schwierigen Be- ßen. dingungen in den Anfangsjahren der Re- Die Amtsübernahme fiel in die chaoti- publik ließen ihn nicht resignieren. Der sche Anfangsphase der Weimarer Re- auch in Kreisen des Zentrums als „sozia- publik und erforderte das ganze Können ler“ beziehungsweise „roter“ Landrat be- des gerade mal 34-jährigen Verwaltungs- kannte Klausener förderte vor allem den chefs. Als Rechts- wie Linksextremisten Aufbau eines flächendeckenden Gesund- zum Angriff auf die verwundbare junge heits- und Fürsorgewesens für Kranke Demokratie übergingen, stellte sich der und Bedürftige. Patriot und Weltkriegsoffizier Klausener Im preußischen Wohlfahrtsministe- vorbehaltlos hinter die neue Verfassungs- rium wurde man aufmerksam auf den ordnung. Während des „Kapp-Putsches“ agilen Verwaltungsjuristen und zuverläs- im März 1920 rief Klausener zum Gene- sigen Zentrumsmann mit sozialpoliti- ralstreik gegen die reaktionären Putschis- schem Profil. Nachdem Klauseners Beru- ten in Berlin auf. Als wenige Wochen spä- fung zum Regierungspräsidenten von ter die „rote Ruhrarmee“ das Industriere- Aachen an Widerständen im eigenen po- vier in ein bürgerkriegsähnliches Chaos litischen Lager gescheitert war, holte ihn stürzte, schlug der junge Landrat jedes Minister Heinrich Hirtsiefer (Zentrum) Eingehen von Kompromissen mit den im Dezember 1924 nach Berlin. Als Minis- linksextremen Rädelsführern aus. Er terialdirektor wurde Klausener Leiter der machte sich für ein konsequentes Vorge- Abteilung für Jugend- und Erwerbslosen- hen der Reichswehr stark, die im April fürsorge im Ministerium für Volkswohl- 1920 mit der gewaltsamen Entwaffnung fahrt – ein Aufgabenzuschnitt, der seinen der Aufständischen dem revolutionären Neigungen und Erfahrungen in der lokal- Treiben ein Ende setzte. Schon diese frühe regionalen Sozialpolitik voll entsprach. Bewährungsprobe zeigte Klausener als „Mann der Tat“ (Klaus Gotto), der – wenn Reformer der preußischen Polizei es darauf ankam – nicht zauderte, son- Rund zwei Jahre später kam es im preußi- dern konsequent handelte. schen Innenministerium zu einem größe- Die Bereitschaft, unerschrocken für die ren Personal-Revirement, das Klausener Interessen des neuen Staates einzutreten, einen entscheidenden Karrieresprung er- stellte Klausener auch während des Ruhr- öffnete. Da dieses Schlüsselressort als Zen- kampfes unter Beweis. Im Januar 1923 be- tralbehörde für den polizeilichen Exeku- setzten französische und belgische Trup- tivapparat im preußischen Staat verant- pen unter Berufung auf noch ausstehen- wortlich war, wurde in der regierenden de Reparationslieferungen des Reiches Weimarer Koalition unter Ministerpräsi-

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dent Otto Braun (SPD) besonders sorgfäl- siker der modernen Polizeirechtsliteratur tig auf die Besetzung von Positionen ge- avancierte, verfasste das „K-Trio“ (Klau- achtet. Im Oktober 1926 übernahm sener, Kerstiens, Kempner) selbst. Spätes- Polizeipräsident Albert Grzesinski (SPD) tens mit der Entstehung des PVG und sei- die Führung des preußischen Innenres- ner Kommentierung hat sich Klausener als sorts, der Liberaldemokrat Wilhelm Ab- innen- und rechtspolitischer Reformer ei- egg wurde vom Leiter der Polizeiabtei- nen festen Rang in der jüngsten deutschen lung zum Staatssekretär berufen. Die frei Verwaltungsgeschichte gesichert. gewordene Schaltstelle stand dem Zen- trum zu. Die Wahl der Zentrumsfraktion Nationalsozialistischer im preußischen Landtag fiel auf den be- Machtzuwachs währten Juristen Klausener, der keine Se- Klauseners reformpolitisches Wirken kunde zögerte und zum 8. Oktober 1926 wurde überschattet durch die turbulente Chef der Polizeiabteilung im Innenminis- Endphase der Weimarer Republik. Die terium wurde. desolate wirtschaftliche Situation mit Be- Fortan stand Klausener an der Schnitt- ginn der dreißiger Jahre löste einen Sog zu stelle von Politik und Verwaltung in Preu- den extremen Massenparteien von links ßen. Mit der ihm eigenen Zielstrebigkeit und rechts aus. Paramilitärische Organi- arbeitete er sich rasch in sein neues Ar- sationen wie die SA und der Rote Front- beitsgebiet ein. Zugute kam Klausener, kämpferbund lieferten sich Straßen- dass er als langjähriger Landrat die Funk- schlachten. Die preußische Polizei stand tion einer Kreispolizeibehörde ausgeübt buchstäblich an vorderster Front einer hatte und daher mit der Polizeipraxis bürgerkriegsähnlichen Auseinanderset- vor Ort vertraut war. Die in ihn gesetzten zung, die vor allem die Reichshauptstadt Erwartungen wurden nicht enttäuscht. Berlin erschütterte. Neuere Untersuchun- Klauseners Polizeiabteilung wurde zum gen zum Staats- und Verfassungsschutz in Motor einer umfassenden Polizeireform- dieser Zeit betonen, dass sich der preußi- politik in Preußen, deren Abschluss eines sche Staat keineswegs zahnlos zeigte, son- der berühmtesten Gesetze des modernen dern bis zum „Preußenschlag“ vom 20. Juli deutschen Verwaltungsrechtes markierte: 1932 seinen Anspruch als wehrhafte De- das preußische Polizeiverwaltungsgesetz mokratie entschlossen verteidigte. Die po- (PVG) von 1931. In enger Abstimmung litische Polizei in Preußen war um eine mit dem einflussreichen Präsidenten des umfassende Beobachtung und gleichmä- preußischen Oberverwaltungsgerichtes, ßige Bekämpfung von Kommunisten und Bill Drews, arbeiteten Klausener und seine Nationalsozialisten bemüht. In der Po- engsten Berater Christian Kerstiens und lizeiabteilung des Innenministeriums Robert Kempner ein Reformgesetz aus, entstanden umfangreiche Denkschriften das maßstabsetzend für das allgemeine zu den staatsfeindlichen Umtrieben der Polizeirecht wurde. Im Oktober 1931 – die NSDAP und ihrer führenden Funktio- Republik wand sich bereits im Todes- näre. Klausener war daher bestens infor- kampf – trat das Regelwerk in Kraft. Das miert über das Innenleben, die Finan- PVG sorgte für eine fein austarierte Ba- zierungsquellen und Hintermänner der lance zwischen polizeilicher Effektivität an Macht gewinnenden rechtsextremen einerseits und rechtsstaatlichen Sicherun- Szene. Vorstöße der preußischen Regie- gen für die Freiheit des Einzelnen ande- rung, ein reichsweites Verbot der NSDAP rerseits. Es wurde zum Wegweiser aller wegen staatsfeindlicher Umtriebe durch- heutigen Polizeigesetze. Den amtlichen zusetzen, scheiterten jedoch an politi- Gesetzeskommentar, der zu einem Klas- schen Widerständen der rasch wechseln-

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den Reichsregierungen. Führende Natio- Infiltration der stärksten Polizei im nalsozialisten wie Hermann Göring hiel- Reich ebnete. ten Klausener für die treibende Kraft einer harten Linie zum Schutz der Republik; die Eine katholische Persönlichkeit blutigen Auseinandersetzungen mit der Fürs Erste blieb der Chef der Polizeiabtei- preußischen Polizei in der „Kampfzeit“ lung im preußischen Innenministerium vergaßen sie ihm nicht. verschont. Ein Grund mag seine starke Stellung in der „Katholischen Aktion“ ge- Ein Schlüsseldatum wesen sein, die von Papen – selbst Katho- deutscher Geschichte lik – von härteren Maßnahmen absehen Der 20. Juli ist nicht nur in Verbindung ließ. Die „Katholische Aktion“ ging auf mit dem Attentat auf Hitler im Jahr 1944 eine seelsorgerisch orientierte Enzyklika ein Schlüsseldatum der jüngsten deut- von Papst Pius XI. aus dem Jahr 1922 zu- schen Geschichte. Zwölf Jahre zuvor rück. Sie verstand sich als eine Laienbe- wurde an diesem Tag das Ende des re- wegung, allerdings nicht in einem mo- publikanischen Preußen und der ersten dernen, von der Kirchenhierarchie eman- deutschen Demokratie besiegelt. Per zipierten Sinne. Vielmehr sollte in enger Notverordnung ließ am 20. Juli 1932 Abstimmung mit der Amtskirche der Reichskanzler Franz von Papen – pi- Laie öffentlichkeitswirksam für die zen- kanterweise ein ehemaliger Regiments- tralen Inhalte des katholischen Glaubens kamerad Klauseners – die preußische eintreten und das katholische Element in Staatsregierung unter Otto Braun ihres seinem gesellschaftlichen Umfeld stärken Amtes entheben. Der Vorwurf lautete, (Laienapostolat). In Deutschland lief die durch die andauernden politischen Un- „Katholische Aktion“ eher zögerlich an, ruhen seien die öffentliche Sicherheit da es bereits ein reges und selbstbewuss- und Ordnung in Preußen nicht mehr tes katholisches Verbandswesen gab. Erst gewährleistet. Die staatsstreichartige nachdem sich der apostolische Nuntius Aktion der Reichsregierung setzte dem Eugenio Pacelli (der spätere Papst Pius Erfolgsmodell der Weimarer Koalition XII.) auf dem Deutschen Katholikentag in Preußen ein jähes Ende. Klausener, von 1928 die Förderung der „Katholi- der Berliner Polizeipräsident Grzesinski schen Aktion“ auf die Fahnen geschrie- (vormals Innenminister) und dessen ben hatte, tat sich mehr. Dass im gerade Schutzpolizeikommandeur Heimanns- entstehenden Bistum Berlin Erich Klause- berg sollen bereit gewesen sein, die Ein- ner als Leiter der „Katholischen Aktion“ setzung eines Staatskommissars auch gewonnen wurde, erwies sich für die Kir- unter Einsatz von polizeilichen Mitteln che als Glücksgriff. Klausener war mit abzuwehren. Innenminister Carl Seve- dem Milieu des politischen Katholizis- ring (SPD) hingegen fürchtete für diesen mus von Kindesbeinen an vertraut, ge- Fall die Konfrontation mit der Reichs- hörte dem Zentralvorstand des Katholi- wehr, der die preußische Polizei nicht schen Akademikerverbandes an und war gewachsen gewesen wäre. Die Staats- dazu noch ein einflussreicher Spitzenbe- regierung beließ es bei einer (erfolg- amter im preußischen Innenministerium. losen) Klage vor dem Staatsgerichtshof. Er erwies sich als geschickter Organisator In Preußen wies jetzt ein reaktionä- von Großkundgebungen der Berliner Ka- res Kommissariatsregime die Richtung. tholiken und trat als mitreißender Redner Umgehend setzte eine personelle Säube- auf, vor allem auf den „Märkischen Ka- rungswelle im Innenministerium ein, die tholikentagen“ mit mehreren zehntau- den Weg für eine nationalsozialistische send Gläubigen. Klauseners Motto „Du

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sollst eine katholische Persönlichkeit sein. rung, der durch unser Volk geht […] Sein Es ist Zeit, daß wir wieder stolz werden Blut ist unser Blut, seine Ehre ist unsere über unseren Glauben!“ stärkte das Ehre. Aus unserer religiösen Überzeu- Selbstbewusstsein der katholischen Dias- gung erwächst die Pflicht und Kraft der poragemeinde in der Reichshauptstadt. Hingabe an Volk und Nation. Der ganze katholische Mensch ist auch der ganze Zunehmende Isolierung deutsche Mensch.“ Worte wie diese wa- Klauseners einflussreiche Stellung in der ren keineswegs nur als verbale Konzession „Katholischen Aktion“ konnte jedoch an die neue Staatsführung zu verstehen. nicht darüber hinwegtäuschen, dass er seit Sie entsprachen vielmehr dem Selbstver- dem „Preußenschlag“ vom 20. Juli 1932 ständnis eines überzeugten katholischen im Innenministerium zunehmend iso- Patrioten, der eine neue „Kulturkampf“- liert war. Mit der nationalsozialistischen Situation tunlichst vermeiden wollte. Machtübernahme am 30. Januar 1933 ver- schlechterte sich die Situation dramatisch: Im Visier der braunen Machthaber Hermann Göring wurde kommissarischer Doch schon in den folgenden Monaten Innenminister in Preußen. Erneut fegte ei- zeigte sich, wie brüchig Klauseners Stra- ne Säuberungswelle über Ministerialbü- tegie war, die „Katholische Aktion“ in die rokratie und innere Verwaltung hinweg. „nationale Revolution“ einzubinden. Auf Während der Göring-Vertraute Ludwig dem 31. Märkischen Katholikentag am 25. Grauert zum neuen Leiter der Polizeiab- Juni 1933 kam es zur offenen Konfronta- teilung aufstieg, wurde Klausener im März tion mit dem Regime. Vor 55 000 Teilneh- 1933 durch Versetzung in das Reichsver- mern im Grunewaldstadion verteidigte kehrsministerium „kaltgestellt“. Klausener die katholischen Arbeiterver- Zunächst schien auch Klausener auf ein eine, die Robert Ley, Chef der Deutschen Arrangement mit den braunen Machtha- Arbeitsfront, kurz zuvor als staatsfeindli- bern zu setzen. Dank seiner Intelligenz, che Organisationen diskreditiert hatte. Er- Flexibilität und seinem juristischen Sach- neut stellte der Berliner Katholikenführer verstand arbeitete er sich als Leiter der die vaterländische Gesinnung der katho- Schifffahrtsabteilung rasch in sein neues lischen Bevölkerung heraus und verlangte Arbeitsgebiet ein. Zudem schien der Ab- die „Erhaltung und Achtung unserer ka- schluss des Konkordats zwischen dem tholischen Organisationen“. Sie seien Heiligen Stuhl und dem Reich einen kir- für die „sittliche Wiedergeburt“ des deut- chenpolitischen Modus Vivendi anzubah- schen Volkes schlicht unentbehrlich. Die nen. Hatte Klausener noch wenige Monate von Klausener angemahnte Verbindung zuvor für eine harte Linie gegen die Re- von christlichem Glauben und nationaler publikfeinde von links und rechts gestan- „Erneuerung“ passte den neuen Macht- den, so begriff er jetzt die „nationale Re- habern nicht, da sie – aus Sicht der „Ka- volution“ als gemeinsames Aufbauwerk, tholischen Aktion“ – die Beachtung einer dem sich die Katholiken nicht entziehen unantastbaren religiösen Sphäre durch dürften. Nationales Pathos und patrio- den Staat voraussetzte. Abgesehen von tische Hingabe bestimmten in den An- diesem ideologischen Dissens war es pro- fangsmonaten seine öffentlichen Auf- vozierend genug, dass der für die Be- tritte, so in einer Rede vom 26. März 1933 kämpfung der NSDAP in der Weimarer vor katholischen Schulabgängern in Ber- Republik zuständige Abteilungsleiter lin: „Seid katholisch und seid deutsch! […] im preußischen Innenministerium Groß- Als Bürger unseres Vaterlandes fühlen wir kundgebungen mit mehreren zehntau- den heißen Strom nationaler Begeiste- send Katholiken organisierte. Von derar-

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tigen Massenveranstaltungen ging eine la- und den Mord als Suizid zu tarnen. Der tente Bedrohung für das Propagandamo- Tatort wird von bewaffneten SS-Leuten nopol der Partei aus. In einem Leitartikel abgeriegelt, um den Zugang zur Leiche für den Völkischen Beobachter beschwor zu verwehren. Wenige Tage später über- NS-Propagandist Alfred Rosenberg nach stellt die Gestapo Hedwig Klausener und Klauseners Auftritt auf dem Märkischen ihrem Sohn Erich die Asche des Ermorde- Katholikentag das Zerrbild des „politisie- ten. Der Mörder Gildisch wird für seine renden Zentrumsführers“, der eine kon- Tat zum SS-Sturmbannführer befördert. fessionelle Spaltung des neuen Staates be- Über die Presse wird verbreitet, Klause- zwecke. Erich Klausener war endgültig in ner habe sich im Zuge der Ereignisse des das Visier der braunen Machthaber ge- 30. Juni das Leben genommen. rückt. Als er auf dem 32. Märkischen Ka- tholikentag am 24. Juni 1934 vor 60 000 „Märtyrer des Glaubens“ Teilnehmern erneut die Treue der Ka- Die Bestürzung über Klauseners Tod un- tholiken zu ihrem Vaterland beschwor, ter den Berliner Katholiken war groß. lauschte ein Heer von Spitzeln mit. Es Seine Urne wurde in Anwesenheit von Bi- sollte der letzte Redeauftritt des Berliner schof und Domkapitel auf dem Gemein- Katholikenführers sein. defriedhof St. Matthias in Berlin-Marien- Am 30. Juni 1934 schwärmen in Berlin dorf beigesetzt. Am 15. Juli 1934 erschien bewaffnete Kommandos von SS-Leuten eine aufwändig gestaltete Ausgabe des und Gestapobeamten aus. Zuvor ist ihnen Katholischen Kirchenblattes für das Bistum im Geheimen Staatspolizeiamt einge- Berlin zum Gedenken an Erich Klausener. schärft worden, dass ein Umsturzversuch Trotz Beschlagnahmedrohung durch die der SA unmittelbar bevorstehe. Unver- Gestapo fand das Blatt reißenden Absatz. züglich müsse daher gegen die SA-Füh- Indes blieb ein entschlossener Gemein- rung und eine Reihe weiterer „Staats- schaftsprotest des Episkopats aus; zu tief feinde“ vorgegangen werden. Am frühen saß offensichtlich die Furcht der Bischöfe Nachmittag taucht SS-Hauptsturmführer vor einem neuen „Kulturkampf“. Uner- Kurt Gildisch, ein ehemaliger Polizeibe- schrocken zeigte sich dagegen ein hoher amter und fanatischer Nationalsozialist, Würdenträger der Kirche, der früher mit einem Zivilbeamten der Staatspolizei selbst Pfarrer in Berlin gewesen war: Cle- im Reichsverkehrsministerium auf. Ge- mens August Graf von Galen. Der Müns- zielt begeben sich die beiden zum Dienst- teraner Bischof sprach in seiner Xantener zimmer des Leiters der Schifffahrtsabtei- Predigt vom 9. Februar 1936 in Anspie- lung, Erich Klausener. Der SS-Führer er- lung auf den Klausener-Mord von einem öffnet dem ahnungslosen Klausener, dass „Märtyrer des Glaubens“. Scharfe Pro- er ihn im Auftrag der Gestapo wegen teste des Gauleiters Terboven und Reichs- staatsfeindlicher Umtriebe verhaften kirchenministers Kerrl ließen Galen völ- müsse. Beim Verlassen des Büros zieht lig unbeeindruckt. In einem resoluten Gildisch in einem unbemerkten Augen- Antwortschreiben forderte er, Klauseners blick eine Pistole und schießt aus un- Ehre wiederherzustellen und die Täter mittelbarer Nähe. Der Kopfschuss tötet zur Rechenschaft zu ziehen. Klausener sofort. Sein Mörder ruft umge- Dass ein Reichsgesetz vom 3. Juli 1934 hend im Geheimen Staatspolizeiamt an. die Mordaktion des 30. Juni als einen Dort hat ihm wenige Stunden vorher SS- rechtmäßigen Akt von Staatsnotwehr Gruppenführer den nachträglich „legalisierte“, beeindruckte Mordauftrag persönlich erteilt. Gildisch nicht jeden Juristen im Deutschen Reich. wird befohlen, alle Spuren zu verwischen Mancher bewahrte sich – entgegen der

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Christ, Patriot und preußischer Reformer

herrschenden Staatsrechtslehre – ein un- tischen Gegner ein „rückwärts gewand- trügliches Gespür für Recht und Gesetz: tes“, ja „reformfeindliches“ Image anzu- Die Berliner Anwälte Werner Pünder und heften. Bekenntnisse von führenden Erich Wedell strengten im Auftrag der Christdemokraten zu den „konservati- Witwe Klausener eine Schadensersatz- ven“ Wurzeln ihrer Partei fallen eher ver- klage gegen das Reich und das Land halten und zerknirscht denn selbst- Preußen an. Ihren Mut bezahlten die bei- bewusst aus. Unbestritten gehört Erich den aufrechten Juristen mit einem Jahr Klausener zu den wichtigsten Persön- Gestapohaft. Erst nach dem Krieg wurde lichkeiten des politischen Katholizismus Licht in den „Fall Klausener“ gebracht. der zwanziger und dreißiger Jahre. Klau- Vor allem Robert Kempner, der als Justi- sener war seinem Profil nach ein christ- ziar in der Polizeiabteilung des preußi- lich-konservativer Politiker, dabei aber schen Innenministeriums unter Klause- alles andere als „rückwärts gewandt“ ner gearbeitet hatte, ließ der Mord an sei- oder gar „reformfeindlich“. Er verstand nem ehemaligen Vorgesetzten nicht ru- sich als katholischer Patriot, Staatsdiener hen. Seiner jüdischen Herkunft und sozi- und „Mann der Tat“. Zauderhaftes Ab- aldemokratischen Überzeugung wegen warten und Lavieren waren seine Sache hatte Kempner früh vor den braunen nicht, sodass er auch in den eigenen Rei- Potentaten fliehen müssen. Nach 1945 hen einen unbequemen Ruf genoss. kehrte er als stellvertretender Chefanklä- Klausener war ein exzellenter Verwal- ger des Nürnberger Tribunals in das Land tungsjurist und hat einen bleibenden zurück, das ihn einst verjagt hatte. Wäh- Rang als Reformer in der modernen rend der Vernehmungen, die Kempner deutschen Verwaltungsgeschichte. Wäh- im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess rend seiner Zeit als Chef der Polizeiabtei- durchführte, wurde deutlich, dass Her- lung im preußischen Innenministerium mann Göring darauf gedrängt hatte, brachte er erfolgreich eine umfassende Klausener auf die Todesliste zu setzen. Polizeireform auf den Weg, die im be- Der Mord galt dem unbequemen Katho- rühmten preußischen Polizeiverwal- likenführer und ehemaligen Leiter der tungsgesetz von 1931 ihren krönenden Polizeiabteilung gleichermaßen. Die Tat Abschluss fand. In der turbulenten End- blieb nicht ungesühnt. Durch einen Zufall phase der Republik erwies sich Klause- wurde SS-Führer Kurt Gildisch im Jahr ner als konsequenter Verfechter einer 1949 in Berlin gefasst und vor Gericht ge- wehrhaften Demokratie. Seine Liebe zu stellt. Das Schwurgericht beim Landge- Deutschland ließ ihn hoffen, auch nach richt Berlin verurteilte ihn im Jahr 1953 1933 in seiner Funktion als Leiter der für den Mord an Erich Klausener zu fünf- „Katholischen Aktion“ dem Land dienen zehn Jahren Zuchthaus. Die Urteilsbe- zu können. gründung gibt minutiös Aufschluss über Aber er war – bei allem Patriotismus – je- die Gründe und den Hergang des Verbre- mand, der nicht einer „Vergottung“ der chens, das vor siebzig Jahren stattfand. Nation das Wort redete und die Freiheit Der Mörder Klauseners starb nur wenige des Glaubens gegen staatliche Bevor- Jahre nach der Urteilsverkündung an mundung verteidigte. Wenn Christ- einem schweren Leberleiden. demokraten in diesem Jahr des Wider- standes am 20. Juli gedenken, sollten sie Vorbildliche Bedeutung für das auch an den Christen und Patrioten christdemokratische Selbstverständnis Klausener erinnern, der vor siebzig Jah- Es ist mittlerweile in Mode gekommen, ren für seine Überzeugung mit dem über den Begriff „konservativ“ dem poli- Leben bezahlte.

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