Forum Bibliothek und Information BuB 02-03 / 2021

SCHWERPUNKT AUSSERDEM IN DIVERSITÄT DIESEM HEFT

Klassismus in Bibliotheken Vielfalt zeigt sich in der Sprache Bitte stören! Eine Pionierin hat Geburtstag Warum die soziale Herkunft Tipps und Ratschläge für eine BIB unterstützt Kampagne 100 Jahre Stadtbibliothek als Diskriminierungskategorie verbesserte gendergerechte zur Meinungsfreiheit und für und jede Menge rich- berücksichtigt werden sollte Kommunikation eine offene Gesellschaft tungsweisender Innovationen Inspirationen2021_BuB_Flappe_Rückseite_102x280_4c.qxp_Inspirationen2021_BuB_Fla BuB

SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Klassismus in Bibliotheken Vielfalt zeigt sich in der Sprache Warum die soziale Herkunft Tipps und Ratschläge für eine als Diskriminierungskategorie verbesserte gendergerechte berücksichtigt werden sollte Kommunikation Inspirationen2021_BuB_Flappe_Vorderseite_108x175_4c.qxp_Inspirationen2021_BuB_Flapp 24. und 25. März 2021

Making the best of it: Herausforderungen positiv gestalten Krisen fordern uns heraus, neue Wege zu gehen. Drei spannende Keynote-Beiträge zeigen auf, wie man mit Herausforderungen positiv umgeht, neue Beziehungen und Dienstleistungen entwickelt und dabei auf das eigene Wohlsein achtet.

Bibliotheken durch Partnerships stärken und öffnen Jan David Hanrath, hanratharchitect, Niederlande Digitale Angebote und Community: Ideen für den „digitalen“ Dritten Ort Stephan Schwering, Leiter Zentralbibliothek der Stadtbüchereien Düsseldorf Resilienz lernen – was die Seele stark macht Svenja Linz, Leibniz-Institut für Resilienz - forschung Making the best of it: Wie die ekz-Gruppe Sie unterstützen kann, erfahren Herausforderungen positiv gestalten Sie bei unseren Produktpräsentationen: Termin: 24. und 25. März 2021 • Open Library – mehr Bibliothek für alle Mehr Informationen unter ekz.de/inspirationen • MakerBoxen – der Makerspace aus der Kiste • Digitale Angebote für die physische Bibliothek • Vom Shop in den OPAC mit Medienwelten und Koha Die Themen und Referent*innen finden Sie auf der Rückseite Mehr unter ekz.de/inspirationen BuB Forum Bibliothek und Information Schwerpunkt: Diversität 02-03/ 2021

Arbeitsexemplar!

Bestellen Sie jetzt Ihr persönliches

[email protected] Softcover ISBN: 978-3-00-066947-7 Ringbuch ISBN: 978-3-00-066948-4 Preis 29,95 Euro zzgl. Versandkostenpauschale 5 Euro

Fotos: Aquir - stock.adobe.com / tai11/www.shutterstock.com eKidz_2021-01_BuB_210x280_4c_linke_Seite_eKidz_2021-01_210x280_4c_BuB_linke_Seite 11.01.21 13:09 Seite 1

eKidz – lesen lernen mit der App Jetzt auch für Bibliotheken!

Die prämierte App eKidz.eu bietet digitale Erstlesebücher in verschiedenen Leseniveaus, mit integrierter Vorlesefunktion und animierten Illustrationen. Ideal zur Lese- und Sprachförderung.

Mehr erfahren: bit.ly/ekidz-bibliotheken

Sprechen Sie mit uns über ein Angebot für Ihre Bibliothek! divibib Vertrieb • Telefon +49 7121 144-445 • [email protected] EDITORIAL Chancen der Vielfalt nutzen

Das Konzept der Diversität ist allgegenwärtig und inzwischen in zahlreichen Statuten und Gesetzen verankert. Das ist gut so. Doch viel wichtiger ist es, das Konzept der Vielfalt im Alltag zu leben. Das gebietet nicht nur die Achtung der Menschenwürde, sondern bringt auch handfeste Vorteile. Studien zur Genese von Innovation und Kreativität – entscheidende Voraussetzungen, um die großen Herausforderungen der Menschheit zu bewältigen – bestätigen durchgehend, dass Kreative nicht nur in der eigenen Community zu Hause sind, sondern über den Horizont schauen können. Bi- bliotheken sind ideale Orte, um dieses Klima der Offenheit und Weitsicht zu fördern. Sie können Menschen unterschiedlichster Herkunft, Religion, verschiedenen Alters, sexueller Orientierun- gen und sozialer Schichten zusammenbringen und so dazu bei- tragen, Vorurteile und kulturelle Missverständnisse abzubauen, indem sie eine echte Willkommenskultur vorleben. In vielen Bibliotheken geschieht das bereits, wie die Berichte der aktuellen BuB-Ausgabe im Themenschwerpunkt »Diversität« ab Seite 98 zeigen. Bibliotheken schaffen es dabei, sich weit über die reine Medienausleihe hinaus als Herz einer zunehmend di- versen Gesellschaft zu positionieren. Dazu ist es aber notwendig, neben der Berücksichtigung von interkulturellen Aspekten beim Bestandsaufbau, weitere Dienstleistungen anzubieten, die das Zusammenleben fördern; das kann von der offenen Diskussion mit gesellschaftlichen Randgruppen über barrierefreie Zugänge bis zur gemeinsamen interkulturellen Feier reichen. Ganz zentral dabei: Alle Versuche, Diversität in der Bibliothek zu fördern, sind nur überzeugend, wenn die Vielfalt auch im eigenen Personalma- nagement vorgelebt wird. Das heißt, die Diversität der Bevölke- rung muss sich in der Belegschaft spiegeln. Für Bibliotheken, die das Themenfeld bisher noch nicht so stark im Blickfeld haben, bietet der Berufsverband Information Biblio- thek (BIB) mit vielen Veranstaltungen und Angeboten eine perfekte Möglichkeit für einen niedrigschwelligen Einstieg: zum Beispiel den zweiten Teil der Fortbildung »Miteinander reden: Demokra- tiearbeit erfolgreich gestalten«, die vom 1. bis 3. März online statt- findet, genauso die Teilnahme an der bundesweiten Aktionswoche für Meinungsfreiheit (3. bis 10. Mai) oder am Tag der offenen Ge- sellschaft (19. Juni). In allen Fällen stellt der BIB Info- und Arbeits- materialien bereit – Kontakt: [email protected]

Bernd Schleh, Leitender Redakteur

BuB 73 02-03/2021 073 Forum Bibliothek und Information BuB 02-03 / 2021

FOYER AUSLAND 090 Segensreiche Wirkung für die TAGUNG literarische Kultur 40. Geburtstag der Bibliotheks­ 076 Stark durch die Krise tantieme in Großbritannien Digitaler Bibliotheksleitertag (Gernot Gabel) 2020: Teilnehmende diskutieren Chancen und Herausforderungen der Corona-Pandemie 091 NACHRICHTEN (Steffen Heizereder) SCHWERPUNKT

DIVERSITÄT

Diversität hat viele Aspekte. In erster Linie geht es um die LESESAAL Vermeidung von Diskriminie- rung aufgrund der kulturellen SCHWERPUNKT: Zugehörigkeit, des Alters, DIVERSITÄT des Geschlechts beziehungs- MEINUNGSFREIHEIT 098 Inklusive Sprache in der weise der sexuellen Orientie- Online-Kommunikation von rung, eines Handicaps oder 080 Bitte stören: Meinungsfreiheit und Bibliotheken der Zugehörigkeit zu einer offene Gesellschaft stärken! Analyse bestehender Angebote / Bibliotheken zum Mitmachen bestimmten Religion oder Handlungsvorschläge für Verbes- aufgerufen / BIB unterstützt mit serungen (Stefanie Hotze) Weltanschauung. Im aktu- Materialien, Methoden und ellen BuB-Schwerpunkt ab Anregungen (Tom Becker) 102 Klassismus – (k)ein Thema in Bib- Seite 98 zeigen wir Beispiele, liotheken und an Hochschulen? wie Bibliotheken ganz kon- DIGITALE BILDUNG Plädoyer für die Berücksichtigung kret diese Vielfalt fördern. der Diskriminierungskategorie 082 Digitale Bildung in Öffentlichen Klasse/»soziale Herkunft« Darüber hinaus werfen wir Bibliotheken (Wolfgang Kaiser) Eine Kooperation zwischen Coding auch einen Blick auf Berei- For Tomorrow und dem VÖBB che, die mit Diversität häufig (Moritz Mutter, Silvia Vormelker) 106 Engagement von Bibliotheken nicht unmittelbar in Zusam- gegen Rassismus menhang gebracht werden, Anmerkungen zu einer längst AUSBILDUNG zum Beispiel die Auswirkun- überfälligen Debatte (Wolfgang Kaiser) gen der sozialen Herkunft 084 Praxisleitfaden FaMI Bibliothek Neues Hilfsmittel für (Seite 102). Ausbilderinnen und Ausbilder (Andreas Dahlem) 108 Sexismus begegnen: Hinschauen, Handeln, Haltung zeigen Foto: Robert Kneschke - stock.adobe.com Serie: Demokratiekompetenz in WISSEN FRAGT ... ? Bibliotheken (Sibylle Hedtke)

086 Recht – Und – Teilbar Foto Titelseite: Auf einen Espresso mit dem 112 »Der Anspruch auf Diversität und Jamrooferpix - stock.adobe.com / Rechtsanwalt Lukas Theune zur Vorurteilslosigkeit gilt auch für kebox - stock.adobe.com Atmosphäre von Bibliotheken die Belegschaft« (Dirk Wissen) Fotos Inhaltsverzeichnis: Bibliotheken sind barrierearm, www.oclc.org/go/de/bibliotheksleitertag.html / aber nicht barrierefrei / Indra Alexandra Traut / Sächsische Landesfachstelle für Heinrich im BuB-Interview Bibliotheken

074 114 Wichtige Meilensteine realisiert DIGITALE INFORMATION AUS DEM Ausbau der barrierefreien Ange- 128 Eine Stimme im Orchester der BERUFSVERBAND bote der Stadtbibliothek Neuss Öffnung der GND schreitet voran (Claudia Büchel) Ein Werkstattbericht aus der Ar- 146 Vorgestellt: BIB-Aktive beitsstelle für Standardisierung an Christa Waltenberg der Deutschen Nationalbibliothek (Barbara Fischer) 148 Aufruf zur Kandidatur...... für den BIB-Bundesvorstand und fürs BuB-Herausgebergremium

ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK 149 VorgeMERKT 132 Eine Pionierin hat Geburtstag Du sollst beim Vorlesen nicht 100 Jahre Stadtbibliothek nudeln! (Claudia Elsner-Overberg) Spandau / Richtungsweisende In- novationen für ganz Deutschland 116 Zum richtigen Ziel führen (Katrin Seewald, Ina Wolter) Inklusives Wegeleitsystem in der Hamburger Zentralbibliothek (Heidi Best) 136 Unterstützung bei der Bewälti- gung des digitalen Wandels Seniorinnen und Senioren als 118 Eine Kommission wird barrierefrei Adressatinnen und Adressaten 073 EDITORIAL Inklusion in der Arbeit der bibliothekspädagogischer Arbeit 150 SUMMARY / RESUME dbv-Kommission Kundenorientierte (Robert Langer, Marina Strohm) Services (Belinda Jopp) IMPRESSUM

119 Der Service für blinde und sehbehinderte Menschen der Uni- versitätsbibliothek Dortmund (Gerhard Althaus)

120 Einfach Lesen im LEA Leseclub AB IN DIE APP! (Doreen Kuttner) 111 Sexismus begegnen! Ein Film der Bundeszentrale für 122 Von Büchern und Menschen politische Bildung informiert Fast ohne Augenlicht in der Bibliothek arbeiten: Eine sehbehinderte Bibliothekarin MAGAZIN berichtet (Susanne Siems)

FACHLITERATUR

124 Homophobie begegnen 140 »Informationelle Kompetenz«... (Tom Becker, Sibylle Hedtke) ... als grundlegende Bedingung in- dividueller Souveränität und eines WWW... gelingenden gesellschaftlichen 126 »Wir verstehen uns als gelebter Miteinanders (Haike Meinhardt) Safe Space« Nachrichten und Fortbildungen 142 Neue Fachliteratur Der stellvertretende Leiter der tagesaktuell auf https://b-u-b.de Stadtbibliothek Langenfeld, 143 Eine Debatte, die ins Leere läuft Marcel Testroet, über Diversität Die Informationswissenschaft und praktische Möglichkeiten, um als wissenschaftssoziologisches Homophobie zu begegnen Fallbeispiel (Ulla Wimmer) (Tom Becker)

BuB 73 02-03/2021 075 FOYER TAGUNG

Welche Bedeutung haben Bibliotheken in einer sich verändernden Welt? Der Keynote-Sprecher des digitalen Bibliotheksleitertags 2020, Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar, hat sich dem Thema angenommen. Screenshots: www.oclc.org/go/de/bibliotheksleitertag.html Stark durch die Krise  Digitaler Bibliotheksleitertag 2020: Teilnehmende diskutieren Chancen und Herausforderungen der Corona-Pandemie

Die Corona-Pandemie fordert mehr können sie sich weiterentwickeln und zweitägigen Veranstaltung. Die Key- von uns als Maske aufsetzen, Hände vielleicht sogar sich ergebende Chan- note sprach der Physiker und Wissen- waschen und Abstand halten. Das cen und Potenziale nutzen? Diese und schaftsjournalist Ranga Yogeshwar, Virus stellt liebgewonnene und alltäg- weitere Fragen diskutierten mehr als der selbst eine große Verbundenheit liche Freiheiten, ja sogar die Grund- 1 200 Teilnehmer/-innen aus Öffent- zum Bibliothekswesen hat. lagen unseres Zusammenlebens, un- lichen und Wissenschaftlichen Biblio- sere Gemeinschaft in Frage. Auch die theken am 8. und 9. Dezember 2020 Yogeshwars Großvater S. R. Rangana­ Bibliotheken mussten sich radikalen auf dem OCLC-Bibliotheksleitertag. than (1892-1972) war Bibliothekar und Veränderungen stellen, Mitarbeiter/ Coronabedingt veranstaltete der Bib- formulierte unter anderem die soge­ -innen ins Homeoffice schicken, Veran- liotheksdienstleister die Tagung erst- nannten »fünf Gesetze der Bibliotheks­ staltungen ins Digitale überführen und mals rein digital. »Stark durch schwie- wissenschaft«. Bis heute gilt er als Vater ihre Häuser schließen. Welche Lehren rige Zeiten. Jetzt das Immunsystem der Bibliothekswissenschaft in Indien. können Bibliotheken aus dieser Pande- Ihrer Bibliothek stärken«, lautete das Einer der von Ranganathan formulier­ mie ziehen – von Bundeskanzlerin An- Motto der Konferenz. Als Moderator ten Grundsätze lautet: »Die Bibliothek gela Merkel als größte Krise seit dem führte der Bibliotheksberater Andreas ist ein wachsender Organismus« und Zweiten Weltkrieg bezeichnet –, wie Mittrowann durch das Programm der einer, der sich beständig verändert.

076 FOYER TAGUNG

Mit den mittelalterlichen Klosterbiblio­ Die Post-Text-Gesellschaft anschließend auf YouTube. Und die Veran­ theken, in denen unikale Bücher und Ma­ staltung »Junges Buch für die Stadt«, die nuskripte aufbewahrt wurden, hat die Durch die digitalen Angebote erreichen normalerweise Lesungen für Kinder und heutige Institution Bibliothek nicht mehr Bibliotheken ihre Nutzer/-innen auch Jugendliche vor Ort beinhaltet, wurde viel gemein. Sie hat über die Jahrhun­ in den Zeiten, in denen ihre Häuser ge­ nun digital angeboten. Im Entstehen ist in derte massive Veränderungen miterlebt. schlossen sind. Wie verändert sich durch der Stadtbibliothek Köln derzeit ein You­ Durch den Buchdruck mit beweglichen diesen Transformationsprozess die Rolle Tube-Studio, in dem zukünftig hochwer­ Lettern konnten ab dem 15. Jahrhun­ und das Selbstverständnis der Biblio­ tige Videoaufnahmen gemacht werden dert Bücher in größerer Anzahl herge­ theken? »Was passiert in Zeiten, in de­ sollen. Das Studio wird im Makerspace stellt werden. Die Abkehr von der Biblio­ nen die Vernetzung möglicherweise für der Stadtbibliothek Köln angesiedelt und thek als starrem Ort begann schließlich den ein oder anderen die Bibliothek soll sobald wie möglich eröffnet werden. in den 1930er-Jahren – unter anderem im klassischen Sinne als Informations­ auch mit Yogeshwars Großvater Ran­ quelle überflüssig macht, weil Infor­ ganathan, der als Erfinder der mobilen mationen heute im Netz anonym ver­ Das Forum einer neuen Gesellschaft Bibliothek gilt. fügbar sind?«, fragt Ranga Yogeshwar. Früher waren Bibliotheken die Orte der In der freien Wirtschaft sei das Ziel der Information: Heute wird Wissen global neuen Kommunikationsmöglichkei­ Die Welt der Interaktion über einen Internetanschluss vermittelt, ten häufig nicht, Menschen gleiche Bil­ sagt Yogeshwar. Das geschriebene Wort dungschancen zu ermöglichen und sie Einen ähnlichen Transformationsprozess könne zunehmend ersetzt werden durch mit Informationen zu versorgen, sagt beobachtet Yogeshwar heute im Zusam­ die gesprochene Sprache, so der Wissen­ Ranga Yogeshwar. Die Digitalisierung menhang mit dem Internet. Die Welt der schaftsjournalist. Schon heute kommu­ erfolge stattdessen entlang ökonomi­ Wissensvermittlung wandelt sich. Flossen nizieren viele Menschen mit digitalen scher Kategorien. Und das durchaus mit Informationen früher einseitig von einem Assistenten wie Siri oder Alexa. Podcasts Erfolg: Zu den wertvollsten Unterneh­ Versender der Nachricht, bspw. einer Ta­ und andere Audioformate erleben einen men 2019 zählten die Tech-Konzerne geszeitung, hin zu einem Empfänger, den gewissen Boom. »Es gibt den ein oder Microsoft, Apple, Amazon, der Google- Leser/-innen der Zeitung, ermöglichen anderen der sagt, dass wir irgendwann Mutterkonzern Alphabet und Facebook. das Internet und vor allem die sozialen sogar in einer Post-Text-Gesellschaft lan­ »Das Geschäftsfeld der Bibliotheken Medien heute neue Formen der Interak­ den könnten«, fügt Yogeshwar an. wird ökonomisiert«, kritisiert der Wis­ tion, zum Beispiel durch Kommentare, Auch in der Stadtbibliothek Köln senschaftsjournalist und hält die These Chatgruppen, Retweets, Likes, usw. werden Bücher und andere Textmedien entgegen: »Bücher und Informationen Die Corona-Pandemie beschleunigt schon länger ergänzt durch Formate, allgemein sind ein Kulturgut.« diese Entwicklungen. »Die Corona-Krise die den Nutzer/-innen einen anderen Während immer mehr Informationen führt dazu, dass die Online-Dienste der Zugang zu Information und Wissen er­ hinter Paywalls versteckt werden, sollten Bibliothek eine nie dagewesene Nut­ möglichen. So richtete die Stadtbiblio­ die Mitarbeitenden in den Bibliotheken zung erleben«, sagt Stephan Schwe­ thek Köln als erste Öffentliche Biblio­ tiefer darüber nachdenken, was die Ziel­ ring, Leiter der Zentralbibliothek der thek in Deutschland einen Makerspace setzung der Bibliotheken ist. Die Unab­ Stadtb­üchereien Düsseldorf. In Folge ein. Auch im Bereich Robotik zählt die hängigkeit der Bibliothek, der Umstand, der Schließung am 14. März 2020 wäh­ Kölner Stadtbibliothek zu den füh­ dass sie nichts zu verkaufen hat, erachtet rend des ersten Lockdowns erhöhte die renden Öffentlichen Bibliotheken in Yogeshwar als sehr wichtig – insbeson­ Bibliothek ihre Aktivität in den sozialen Deutschland. Die Angebote der Biblio­ dere in Zeiten von Fake News. Während Medien. Die Online-Angebote der Biblio­ thek umfassen zudem MINT-Veranstal­ in früheren Zeiten der Zugang zu Infor­ thek wurden vor der Kamera auf Face­ tungen und -Experimente sowie diverse mation die große Herausforderung war, book vorgestellt, Fragen wurden beant­ multimediale Online-Formate. gelte es heute, aus einer Informations­ wortet und auf YouTube hochgeladen. Während der Corona-Krise ha­ flut gesicherte Informationen herauszu­ Die digitalen Nutzer/-innen wollten ben die Mitarbeiter/-innen der Stadt­ filtern. Vor allem in den sozialen Medien aber auch eine digitale Community, die bibliothek Köln nach neuen digita­ verbreiten sich einer Studie von Sinan ähnlich wie im analogen Raum gepflegt len Formaten gesucht. Einige da­ Aral vom Massachusetts Institute of Tech­ werden müsse, fügt der Leiter der Zen­ von stellte Sebastian Abresch auf dem nology (MIT) zufolge Falschnachrichten tralbibliothek in Düsseldorf an. Schwe­ Bibliotheksleitertag vor. Bei der Lego- jedoch bis zu sechs Mal schneller als kor­ ring bringt daher einen digitalen Drit­ Challenge ging es etwa darum, dass rekte Nachrichten.1 Ein aktuelles Beispiel ten Ort ins Gespräch. Problematisch sei die Nutzer/-innen ihr Lieblingstier aus sind etwa die kursierenden Falschnach­ jedoch, dass die Bibliotheken im digita­ Legosteinen bauen, fotografieren und der richten zum Thema der Corona-Impfung. len Raum keine eigenen Plattformen ha­ Bibliothek zusenden. Eine Mitarbeite­ »Wir müssen uns die Frage stellen, wo ben, sondern die Plattformen der gro­ rin machte MINT-Experimente aus dem und wie wir falsche Informationen mo­ ßen Tech-Konzerne nutzen. Homeoffice und veröffentlichte diese derieren können«, sagt Yogeshwar.

BuB 73 02-03/2021 077 FOYER TAGUNG

Die sozialen Medien sind dazu eher der Stadtbibliothek Reutlingen während die die Zentralbibliothek der Städti­ nicht geeignet. Sie tragen durch die Bil­ der Veranstaltung Anfang Dezember. schen Bibliotheken leitet. dung von Informations-Bubbles und »Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass wir Auch in der Stadtbibliothek Duisburg Echokammern zu einer Polarisierung den Ort wieder stärken können, wenn wir versucht man, die Nutzer/-innen wäh­ bei, die aktuell in vielen Gesellschaften durch die Krise durch sind.« Viele Men­ rend der Schließzeiten in der Corona- zu beobachten ist. Durch die Algorithmen schen in Reutlingen hätten nicht die Aus­ Krise zu erreichen – vor allem auch die­ der Netzwerke bekommen die Nutzer/ leihe vermisst, sondern den Ort Biblio­ jenigen Bevölkerungsgruppen, die unter -innen genau die Informationen und thek. Um die Menschen mit Medien zu ver­ der Pandemie besonders leiden. Für äl­ Meinungen präsentiert, die sie ohnehin sorgen, habe man auch in Reutlingen eine tere Menschen wurde ein Medienboten­ bereits teilen. Andere Ansichten wer­ »Bibliothek to go«, also einen Abhol­ service eingerichtet, erläutert Jan-Pie­ den überhaupt nicht mehr wahrgenom­ service für Medien, eingerichtet. Mit ter Barbian, der Leiter der Stadtbiblio­ men. Den Bibliotheken misst Yogeshwar einer Kooperation mit der Einkaufs­ thek. Der Service ist eine Kooperation als neutrale Mittler und Wissensorte da­ hilfe Reutlingen, die sich besonders an mit dem Jobcenter und der PIA Stadt­ gegen große Chancen zu. Das Planspiel ältere Menschen richtet, die zur Corona- dienste gGmbH, die das Personal und die »Die FakeHunter« der Büchereizent­ Risikogruppe gehören, wollte man auch E-Bikes stellen, mit denen die Medien rale Schleswig-Holstein beispielsweise diesen Nutzer/-innen die Möglichkeit ausgeliefert werden. Auch die Ange­ vermittelt Informationskompetenz an bieten, Medien auszuleihen. Das Angebot bote für die Schulen wurde ausgewei­ tet. Zur Unterstützung vor allem für den Fernunterricht stellt die Stadtbibliothek Duisburg unter anderem iPad-Koffer be­ reit, die von Schulen ausgeliehen wer­ den können. Die Lehrkräfte erhalten von der Stadtbibliothek Unterstützung bei der Nutzung dieser elektronischen Me­ dien. 2021 oder spätestens 2022 möchte die Stadtbibliothek Duisburg wieder zur Bibliothek als Dritter Ort zurückkehren. »Die Menschen benötigen Begegnung und Austausch«, sagt Barbian.

Der glaubwürdige Lernort Andreas Schmidt, General Manager von OCLC Deutschland (links), und der Bibliotheksberater Andreas Mittrowann begrüßten die Teilnehmenden des digitalen Bibliotheksleitertags 2020. Während des Lockdowns müssen die Bibliotheken verstärkt auf ihre digitalen Kinder und Jugendliche und hilft beim sei aber nicht so stark nachgefragt gewe­ Angebote aufmerksam machen. Der Wis­ Erkennen von Fake News. »Ich kann mir sen, denn auch viele Menschen der Risi­ senschaftsjournalist Ranga Yogeshwar kaum andere Organisationen vorstel­ kogruppe wollten gerne wieder persön­ sieht sie hier bereits sehr gut aufgestellt. len, die a priori unverdächtig sind und lich in die Bibliothek gehen. Für ihn sind Bibliotheken mit ihren die gewisser Weise zu dem Forum einer Die Städtischen Bibliotheken Dres­ Learning Circles und diversen Formaten neuen Gesellschaft werden könnten, wo den haben während des ersten Lock­ des autonomen Lernens zu glaubwürdi­ Pluralität möglich ist und wo in gewis­ downs in den Monaten April und Mai gen Lernorten geworden. ser Weise auch die Zuverlässigkeit von 2020 die Bibliothek zu den Nutzer/ Sebastian Abresch, der Mitarbeiter Informationen eine andere Qualität be­ -innen gebracht und in Kooperation mit der Stadtbibliothek Köln, stellt den Köl­ kommt«, sagt Yogeshwar. »Die Chance, einem Kurierdienst den Medienliefer­ ner Schulservice vor, der während der die Bibliotheken haben, ist enorm.« service BiboModern aufgebaut. Alle, die Corona-Pandemie je nach aktuellen Ein­ einen Bibliotheksausweis haben, konn­ schränkungen auf E-Learning verlagert ten für fünf Euro pro Bestellung bis zu wird. Beispielsweise werden Live-Webi­ Der Dritte Ort zehn Medien auf einmal ausleihen, die nare mit Schulen veranstaltet, in denen ihnen innerhalb von zwei Tagen per Ku­ es darum geht, wie für eine Facharbeit Was die Referent/-innen des Bibliotheks­ rier nach Hause geliefert wurden. Die recherchiert werden kann. Als wichtiges leitertages eint, ist die Sorge davor, dass Medien verblieben bis Ende der Son­ Tool setzt die Stadtbibliothek Köln die App die Bibliothek ihre Bedeutung als Drit­ derschließzeit und danach noch weitere Biparcours ein, mit der Lernformate, zum ter Ort verliert. »Wir sind momentan im zwei Wochen bei den Nutzer/-innen. Die Beispiel Quizangebote oder Themenral­ Lockdown und erwarten, dass es schlim­ Rückmeldungen seien durchweg positiv lyes, sowohl digital als auch vor Ort in der mer wird«, sagt Beate Meinck, Leiterin gewesen, berichtet Marit Kunis-Michel, Bibliothek angeboten werden können.

078 FOYER TAGUNG

Für Abiturient/-innen, die in Nord­ hin zu Forschungsethik. »Wir wollen Daten erfasst und zugänglich gemacht, rhein-Westfalen ihren Schulabschluss im während der Corona-Pandemie die For­ sagt Rebholz-Schuhmann. Er sieht ZB Jahr 2020 mitten im Lockdown ablegen scherinnen und Forscher weiter stär­ MED hier in einer Vorreiterrolle. mussten, hat die Stadtbibliothek Köln ken«, sagt Strauch. Auch Ranga Yogeshwar resümiert in online frei verfügbare Quellen und Tipps Ein Service für Forschende ist auch seiner Keynote ähnlich: »Wir müssen den auf ihrer Webseite gebündelt.2 der COVID-19 Hub3 des ZB MED – Infor­ Frame erweitern«, sagt er. Wie schon sein Auch die Wissenschaftlichen Biblio­ mationszentrum Lebenswissenschaften. Großvater Ranganathan, der Erfinder der theken haben ihre Angebote für Studie­ Auf dieser Plattform hat ZB MED verschie­ mobilen Bibliothek, müssten Bibliothe­ rende, Lehrende und Wissenschaftler/ dene Angebote und Services für Wissen­ ken ihre Angebote um neue Formen der -innen in den vergangenen Monaten an schaftler/-innen rund um das Corona- Kommunikation erweitern. »Wenn man die Corona-Pandemie angepasst. Die Virus zusammengestellt, darunter Tools es richtig macht, gibt es ein hohes Po­ Universitätsbibliothek Hildesheim hat für Forschung, Fachliteratur, noch tenzial und ein hohes Bedürfnis bei den ihre Veranstaltungen ins Digitale über­ nicht veröffentlichte Vorab-Publika­ Menschen, Bibliotheken zu nutzen.« tragen. Bibliothekarin Annette Strauch tionen und das Suchportal LIVIVO mit stellte auf dem Bibliotheksleitertag die etwa 50 000 Einträgen zum Corona- Steffen Heizereder, digitalen Coffee Lectures vor. Bei die­ Virus4. Im September 2020 zeich­ BuB-Redakteur sem Angebot werden Studierende und nete die Arbeitsgemeinschaft für me­ Forscher/-innen mit Expert/-innen zum dizinisches Bibliothekswesen (AGMB) Austausch zusammengebracht. Fand die den Hub mit einem Sonderpreis aus. 1 https://science.sciencemag.org/content/ Veranstaltungsreihe früher in einem Be­ Dietrich Rebholz-Schuhmann, Wissen­ 359/6380/1146 sprechungsraum der Universitätsbiblio­ schaftlicher Leiter von ZB MED, stellte 2 www.stadt-koeln.de/artikel/69500/ thek statt, wurden die Treffen nun digi­ den COVID-19 Hub den Teilnehmenden index.html tal veranstaltet. Das Themenspektr­ um des Bibliotheksleitertags vor. Neben 3 www.zbmed.de/covid-19 ist breit und reicht von Dateiformaten Literatur werden zukünftig zunehmend 4 www.livivo.de/covid19

DABIS_A5_quer_cl_ohne_Termin.pdf 1 04.12.2020 19:56:38 ANZEIGE BIS-C 2021 <5th. generation> DABIS.eu Archiv- und Bibliotheks-InformationsSystem Gesellschaft für Datenbank-InformationsSysteme

DABIS.eu - alle Aufgaben - ein Team Archiv Bibliothek Dokumentation Archiv / Bibliothek

Synergien: WB-Qualität und ÖB-Kompetenz singleUser System multiUser

Modell: FRBR . FRAD . RDA Szenario 1 + 2 Lokalsystem und Verbund

Regelkonform RDA. RAK.RSWK.Marc21.MAB multiDatenbank multiServer

multiProcessing multiThreading C Web . SSL . Integration & Benutzeraccount Verbundaufbau.Cloud/Outsourcing-Betrieb skalierbar performance stufenlos M Unicode DSGVO-konform multiLingual Y Normdaten GND RVK redundanzfrei CM Software - State of the art - flexible multiMedia eMedia Integration MY

CY 32 Jahre Erfahrung Wissen Kompetenz Portale mit weit über 17 Mio Beständen CMY Leistung Sicherheit Datenschutz

K Standards Offenheit Individualität https://Landesbibliothek.eu https://bmnt.at Stabilität Partner Verläßlichkeit https://OeNDV.org https://VThK.eu Service Erfahrenheit Support https://VolksLiedWerk.org https://bmdw.at Generierung Customizing Selfservice https://Behoerdenweb.net https://wkweb.at

Outsourcing Cloudbetrieb SaaS Dienstleistung Zufriedenheit DABIS GmbH GUI.Web.XML.Z39.50/SRU.OAI-METS Heiligenstädter Straße 213, 1190 Wien, Austria Tel. +43-1-318 9777-10 Fax +43-1-318 9777-15 eMail: [email protected] https://www.dabis.eu Zweigstellen: 61350 - Bad Homburg vdH, Germany / 1147 - Budapest, Hungary / 39042 - Brixen, Italy IhrIhr PartnerPartner fürfür Archiv-,Archiv-, Bibliotheks-Bibliotheks- undund DokumentationsSystemeDokumentationsSysteme

BuB 73 02-03/2021 079 FOYER MEINUNGSFREIHEIT Bitte stören: Meinungsfreiheit und offene Gesellschaft stärken!  Bibliotheken zum Mitmachen aufgerufen / BIB unterstützt mit Materialien, Methoden und Anregungen

Der Berufsverband Information Bi- Weitere Informationen gibt es un­ Gesellschaft sind. Mit der »Woche der bliothek (BIB) hat sich in den ver- ter www.bitte-stoeren.org, auf Fragen Meinungsfreiheit« möchte der Börsen­ gangenen Jahren bereits für die antworten wir unter bitte-stoeren@bib- verein des Deutschen Buchhandels in »Woche der Meinungsfreiheit« info.de diesem Jahr gemeinsam mit Partnern, ebenso engagiert wie zum »Tag zu denen auch der BIB gehört, eine Be­ der offenen Gesellschaft«1 und un- wegung für Meinungsfreiheit und De­ ter anderem auch Aktivitäten und Bundesweite Aktionswoche battenkultur in Deutschland auslösen. Veranstaltungsformate entworfen, vom 3. bis 10. Mai Denn auch wenn, anders als in vielen die besonders für Bibliotheken ge- Ländern, hierzulande Meinungsfreiheit eignet sind. Beide Aktionen ergän- Die Freiheit des Wortes ist ein Men­ herrscht, wird sie häufig nicht gelebt zen sich, zu beiden möchten wir schenrecht und Grundlage unserer De­ oder missbraucht, um Hass und Hetze zu aufrufen. mokratie. Sie ermöglicht freie Mei­ verbreiten, wie sich gerade auch in Zei­ nungsbildung und offene Debatten, ten der Corona-Pandemie zeigt. die essenziell für eine demokratische Als Branchen, die auf Meinungs- und Publikationsfreiheit gründen und einen besonderen kulturellen und gesellschaft­ lichen Auftrag haben, sehen sich Buch­ handlungen und Verlage ebenso wie Bi­ bliotheken in der Verantwortung, für die Freiheit des Wortes einzutreten und ihre jeweilige Bedeutung für die Demokratie aufzuzeigen. Zivilgesellschaft, Privatper­ sonen, Unternehmen, Institutionen und gerade auch Bibliotheken sind eingela­ den, die diesjährige Aktionswoche vom 3. bis zum 10. Mai mit Veranstaltungen und Projekten mitzugestalten.

Mitmachen kann jede und jeder, In­ fos finden sich voraussichtlich ab März beim Börsenverein des Deutschen Buch­ handels und beim BIB.

1 siehe hierzu auch: https://b-u-b.de/ wofuer-gehst-du-auf-die-strasse-ein- persoenlicher-beitrag-zum-tdog19

080 FOYER MEINUNGSFREIHEIT

2021 engagieren sich Bibliotheken und Buchhandlungen mit der Aktionsreihe „Bitte stören!“ für eine offene Gesellschaft: Dafür stellen wir im ganzen Land Tische auf die Straße und setzen gemeinsam Zeichen für Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Mit öffentlichen Debatten und Aktionen fördern wir das lebendige Miteinander BITTEBITTE und schmieden Ideen für die Zukunft. Jetzt vormerken: Am 19. Juni 2021 ist wieder Tag der Offenen Gesellschaft!

www.bitte-stoeren.org [email protected] STÖRENSTÖREN #tdog21 #dafür #bibstories 19. Juni 2021 | Tag der offenen wollen wir zeigen, wie wertvoll Mei­ Land. Die Pandemie hat uns zum Inne­ Gesellschaft nungsfreiheit und ein lebendiges Mitei­ halten gebracht und Fragen aufgewor­ nander für uns sind; miteinander wol­ fen: Was ist uns wirklich wichtig, wie Am 19. Juni ist Tag der offenen Gesell­ len wir offen und konstruktiv Ideen für wollen wir leben, welche Gesellschaft schaft. Wir wollen diesen Tag mit ge­ eine bessere Zukunft schmieden und so wollen wir sein? Schaffen Sie einen zielten Aktionen füllen und damit der Zeichen setzen für Vielfalt, Toleranz und Raum zum Zuhören, zum Austausch von demokratiepolitischen Verantwortung, Demokratie. Meinungen und Ideen: Organisieren Sie die wir haben, einmal mehr Rechnung zum Tag der offenen Gesellschaft eine tragen. Feiern wir die Demokratie mit Gemeinsam mit der Initiative Offene Debatte in Ihrem Ort! Aktionen im ganzen Land und schaffen Gesellschaft unterstützen wir Sie dabei wir Raum für neue Ideen! als Mitarbeitende von Bibliotheken mit • Ideen entwickeln Materialien, Methoden und Anregun­ Was tun für mehr Miteinander, fürs (ge­ Als Bibliotheken arbeiten wir seit gen. So können Sie dabei sein: sellschaftliche) Klima und für eine le­ März 2019 mit der Initiative Offene Ge­ bendige Demokratie? Die offene Gesell­ sellschaft unter dem Motto #dafür zu­ • Tische raus! schaft lebt von positiven Visionen und sammen, um Diskussionsformate zur Die Grundidee ist so simpel wie char­ Ideen! Laden Sie Bürgerinnen und Bür­ Demokratievermittlung gemeinsam mant: Zum Tag der offenen Gesellschaft ger ein, gemeinsam an der Zukunft zu mit lokalen Kooperationspartnerinnen am 19. Juni stellen Bibliotheken und tüfteln! und -partnern (weiter) zu entwickeln: Buchhandlungen in ganz Deutschland Wir Bibliotheken eignen uns als Begeg­ Tische auf die Straße und setzen unter nungsraum, da wir nicht-kommerzielle freiem Himmel ein gemeinsames Zei­ Jeder Tag ist Tag der offenen Orte sind und für eine offene und plu­ chen für Demokratie und Vielfalt. Bei Gesellschaft! ralistische Gesellschaft eintreten. Als Essen und Getränken kommen Besu­ solche stellen wir reale, vertraute Treff­ cher/-innen, Fremde und Freunde zu­ Deshalb: Bitte stören! Von der Woche punkte da. sammen und ins Gespräch. Was dort der Meinungsfreiheit im Mai über den passiert, entscheiden Sie selbst. Die ei­ Tag der Offenen Gesellschaft am 19. #dafür sein: Auch 2021 sollen in nen reden frei über das, was sie be­ Juni bis hin zum Wahl-Herbst: Werden und mit Bibliotheken und Buchhandlun­ wegt. Andere Tische setzen Themen – Sie aktiv mit eigenen Veranstaltungen gen (gern in Anknüpfung an die bereits vom Klimaschutz bis zur Zukunft der und Mitmachaktionen oder fragen Sie erwähnte Woche der Meinungsfreiheit) Nachbarschaft. uns nach Vorschlägen! Aktionen an Orten der Stadtgesellschaft stattfinden, die Vielfalt Raum geben: • Miteinander reden: Debatten Menschen erzählen einander, was sie an initiieren Tom Becker, BIB-Bundesvorstand unserer Gesellschaft schätzen und wofür In öffentlichen Debatten und im Netz [email protected] sie sich einsetzen wollen. Gemeinsam erleben wir zusehends ein gespaltenes www.bitte-stoeren.org

BuB 73 02-03/2021 081 FOYER DIGITALE BILDUNG

Digitale Bildung in Öffentlichen Bibliotheken  Eine Kooperation zwischen Coding For Tomorrow und dem VÖBB

Die Kooperation »Digitale Bildung andere schulische Bildungsmultiplikator­ Bedarf und Ziele in Öffentlichen Bibliotheken« rich- innen und -multiplikatoren, die im Rah­ tet sich an Fachkräfte im Bereich der men von Unterrichtseinheiten, Projektta­ Der Einzug der digitalen Medien in die (bibliothekspädagogischen) Vermitt- gen oder Fortbildungen das Werkzeug für Öffentlichen Bibliotheken findet min­ lung von Lese- und Informationskom- den digitalen Unterricht erlernten. Ne­ destens seit den 2000er-Jahren statt. petenz, die die eigenen Zielgruppen ben dem Engagement in mittlerweile sie­ Zunächst war der Online-Bestand vieler bei der Bildung digitaler und tech- ben Bundesländern sind inzwischen auch Bibliotheken an die Plattform »Onleihe« nischer Fertigkeiten unterstützen umfangreiche Download-Materialien, gebunden. Für die Lektüre der elektro­ möchten. Das Ziel der Projektbetei- Video-Tutorials und Online-Fortbildun­ nischen Bücher benötigten die Nutzerin­ ligten ist es, sich über digitale Biblio- gen Teil des kostenfreien Angebots. Doch nen und Nutzer der Bibliotheken nun­ theksangebote rund um das Kreieren, gerade die Corona-Krise zeigt: Schulen mehr Computer, Tablets oder E-Reader. Recherchieren und Präsentieren von allein können die Verantwortung für die Das war die Geburtsstunde der Öffent­ Geschichten und Informationen aus- Vermittlung digitaler Kompetenzen nicht lichen Bibliotheken als vergleichsweise zutauschen und prototypische Veran- schultern. früher Ort für die Vermittlung digitaler staltungen zu entwickeln. Sie möch- Deshalb initiierten Coding For To­ Kompetenzen – wobei das oft einfach ten den Einstieg in den erfolgreichen morrow und der VÖBB das Pilotprojekt hieß: die erfolgreiche Nutzung neuer Umgang mit Rechnern, Code und vir- »Digitale Bildung in Öffentlichen Biblio­ Lesegeräte. tuellen Welten erleichtern und bis- theken«. Die Partner verstehen Biblio­ herige Erfahrungen teilen. Wir emp- theken als entscheidende Lernorte der »Geschichten können fehlen die entstandenen Projektideen Zukunft. Für den VÖBB war dabei zu­ nicht nur durch Filme und sowohl Anfängern als auch fortge- dem wichtig, dass die Qualifizierung der Bücher erzählt werden, schrittenen Kolleginnen und Kollegen Mitarbeitenden in einem möglichst fle­ sondern auch mithilfe im Bereich Digitale Bildung in Öffent- xiblen Rahmen stattfinden kann. Durch der Programmiersprache lichen Bibliotheken. die Nutzung der Lernplattform von Co­ ding For Tomorrow sollte dies in einer Scratch Jr.« nachnutzbaren Weise erreicht werden, (Katharina Alles, die zudem die Vernetzung der Biblio­ Storytelling mit Scratch Jr) Die Partner theken in diesem Bereich stärken sollte. Für die Kooperation verständigten Der Verbund der Öffentlichen Bibliothe­ sich die Partner darauf, Angebote für In den nächsten zwanzig Jahren ka­ ken (VÖBB) hat seit 2016, unter alle Zielgruppen und Formattypen in men unter anderem Smartboards, anderem mit dem umfangreichen Pro­ Öffentlichen Bibliotheken zu betrach­ 3D-Drucker und -Fräsen, digitale jekt »Digitale Welten«, seine Bemühun­ ten. Bei der Angebotskonzeption wur­ Ton- und Nähstudios sowie Virtual- gen im Bereich der Online-Medien, der den sowohl die Vermittlung von Lese- Reality-Brillen und schließlich Ro­ technischen Infrastruktur und der di­ und Informationskompetenz als auch boter dazu. Sogenannte Makerspa­ gitalen Bildung stark intensiviert. Dies die Vermittlung digitaler Kompetenzen, ces eroberten die Bibliotheksbauten umfasst sowohl die Bereitstellung von verstanden als Fähigkeit, mit neuen oder zumindest Makerspace-Formate elektronischen Medien und die Erneu­ Technologien (wie Tablets, Apps und das Veranstaltungsprogramm der Bi­ erung der Weboberflächen als auch die Roboter) umzugehen, berücksichtigt. bliotheken. Es lag nahe, dass sich der Ausstattung der Standorte mit Nutzen­ Zudem einigten sie sich darauf, neue Schwerpunkt bei der Vermittlung di­ den-WLAN und Makerspaces bis hin zur mediendidaktische Methoden gleich­ gitaler Fertigkeiten zusehends auf Entwicklung und Vermittlung von Ver­ wertig mit bewährten bibliotheksdidak­ die Behandlung von MINT-Themen anstaltungsformaten im Bereich der di­ tischen zu behandeln und das Ergebnis (Mathematik, Informatik, Naturwis­ gitalen Kompetenzen. in frei zugängliche praxisnahe und ge­ senschaften, Technik) konzentrierte Die Initiative Coding For Tomorrow brauchsfertige Begleitmaterialien zu­ – nicht selten mithilfe externer Fach­ wurde 2017 von der Vodafone Stiftung sammenzufassen. Die Beteiligten waren kräfte, denn für viele Bibliotheks­ Deutschland gGmbH und der Junge Tüftler sich der Notwendigkeit bewusst, auch beschäftigte konnte das wie ein (zu) gGmbH gegründet und konzentrierte sich Bibliotheksbeschäftigte mit geringen großer Sprung ins (zu) fremde Ter­ bis 2019 vor allem auf Lehrkräfte und digitalen Vorkenntnissen anzusprechen. rain wirken.

082 FOYER DIGITALE BILDUNG

Bewährte Angebote, neues Gewand

Mit dem Projekt »Digitale Bildung in Bibliotheken« verfolgten die beiden Partner die Absicht, die Aufmerksam­ keit wieder stärker auf die Kernkompe­ tenzen Öffentlicher Bibliotheken, ins­ besondere Recherche- und Leseförde­ rung sowie Medienbildung, zu lenken. Ein weiteres Kriterium für das Projekt­ ziel war die Auswahl solcher digitaler Werkzeuge, die es den Teilnehmenden ermöglichen, ihre Ergebnisse selbst wie­ Mr. Elefanto hat Probleme: Storytelling mit ScratchJr. Foto: Coding For Tomorrow/VÖBB der digital zu gestalten – als eigenstän­ dig programmierter Code ohne vorge­ fertigte Schablonen – und zwar für jede Tutorials & Lernkarten einige Vorteile mit sich brachte. Denn Zielgruppe. so wurde vieles einfacher: die Termin­ Die Projektbeteiligten, die päda­ Kollaboratives, selbstorganisiertes und findung unkomplizierter, die Frequenz gogischen Fachkräfte des Verbunds lösungsorientiertes Lernen bedeutet in der Treffen erhöht, die Präsentation der der Öffentlichen Bibliotheken Berlins der Regel vor allem: mehr Material. Ma­ Ergebnisse transparent und partizipativ. und die Trainerinnen und Trainer von terial, aus dem sich die Teilnehmenden Aber: Der Schritt von der Präsenz­ Coding For Tomorrow und Junge Tüft­ das Richtige für ihre Aufgabenstellung, veranstaltung zum Online-Angebot für ler gGmbH, brachten ihre jeweilige Ex­ für ihr Werkzeug und für ihre Gruppe Kinder, Schülerinnen und Schüler oder pertise ein. Sie sammelten zunächst heraussuchen können. Dieses Material Senioren ist deutlich schwieriger. Vor bewährte Formate aus den Bereichen – digitale Lernkarten, Anleitungen und dieser Aufgabe stehen wir erst noch – Bibliothekseinführungen, Leseförde­ Arbeitsblätter – tritt vor allem in zwei erste Versuche haben gezeigt, dass zu­ rung und Recherchetraining, um ihnen Formaten auf: als PDF und Video; und mindest in die Voraussetzungen dann didaktisch und digital ein neues vor allem Letzteres ist sehr aufwendig in nicht flächendeckend gegeben sind. Zu Gewand zu verleihen – etwa in Form der Produktion. Einmal erstellt, ist es al­ Beginn jeder Projektskizze unter der von Ablaufplänen, Videobotschaften, lerdings in der Regel universal anwend­ Überschrift »Was brauchst du« steht es Tutorials, Lernkarten und Arbeitsblät­ bar, wie unsere Projektideen zeigen: Be­ schwarz auf weiß: stabile Internetver­ tern. Das didaktische Begleitmaterial schreibungen von Grundprinzipien wie bindung und Tablet (besser Laptop). und seine öffentliche Bereitstellung im das Pair Programing, Warm-up-Spiele Aber nicht jede Schule und auch nicht Internet sind von Beginn an das Kern­ wie das Farbcodespiel, Vorlagen für jedes Zuhause verfügt über diese Mittel. stück des Projekts. Projektskizzen und Lernkarten zur Ein­ führung in eine App wie ScratchJr fin­ den sich in vielen Projekten wieder. Ge­ Ausblick Didaktische Nachhaltigkeit nauso die Tutorials – gefilmte Schritt- für-Schritt Anleitungen im richtigen Durch die Bereitstellung der Materia­ Nicht jeder Gegenstand eignet sich für Umfang, verständlicher Sprache und mit lien auf https://coding-for-tomorrow. jedes Format. Was hilft mir die Begeis­ anschaulichen Beispielen. Wie die Lege­ de/bibliotheken-projektideen/ sind die terung für und das solide Wissen über karten für das Heimatkunde-Projekt mit Grundlagen geschaffen für die Anwen­ ein Thema, wenn ich den Inhalt nicht Ozobots: Sie sind nicht nur für Kinder dung der Formate in den Bibliotheken. auf ein zu bewältigendes Maß reduzie­ geeignet, sondern für alle Zielgruppen. Zusätzlich gab es bereits im Dezember ren und die Zielgruppe nicht bis zu ei­ 2020 eine Reihe an Online-Workshops nem Mindestgrad motivieren kann? zum Kennenlernen der Ideen, die Teil­ Dies gilt umso mehr, je weiter sich die Virtualisierung unter Corona- und nehmende aus ganz Deutschland anzog. Formate von der reinen Vorführung sonstigen Bedingungen Weitere Termine werden gegebenenfalls weg und hin zur interaktiven Übung unter https://coding-for-tomorrow.de/ entwickeln. Nur Kitagruppen und Für den Ko-Kreationsprozess waren im bibliotheken-workshop-reihe/ veröf­ Schulklassen müssen auch bei schlecht Jahr 2020 zahlreiche Kick-off-, Work­ fentlicht. Wir hoffen nicht nur auf zahl­ geplanten Veranstaltungen auf den shop- und Präsentationstreffen geplant, reiche Nachahmende, sondern auch auf Stühlen sitzen bleiben. Alle anderen aber nur das allererste konnte physisch einen Vernetzungseffekt im deutsch­ Besucherinnen und Besucher sind je­ stattfinden – dann kam der Lockdown sprachigen Raum. derzeit frei zu gehen oder gar nicht erst und alles musste virtuell passieren. Eine zu erscheinen. große Herausforderung, die aber auch Dr. Moritz Mutter, Silvia Vormelker

BuB 73 02-03/2021 083 FOYER AUSBILDUNG Praxisleitfaden FaMI Bibliothek

Neues Hilfsmittel für Ausbilderinnen und Ausbilder

Der Berufsbildungsausschuss für die der fünften Fachrichtung medizinische ein Hilfsmittel für die Gestaltung der Ausbildung der Fachangestellten für Dokumentation. FaMI-Ausbildung und die Erstellung des Medien- und Informationsdienste Den Verfassern der Ausbildungsord­ betrieblichen Ausbildungsplans erar­ (FaMI) Fachrichtung Bibliothek in nung waren die zu erwartenden Ent­ beitete. Die Arbeitsgruppe bestand aus Bayern und die zuständige Stelle ha- wicklungen des Berufes bewusst und Claudia Dostler (damals RW21 Stadtbi­ ben im November 2020 den soge- so haben sie vermutlich die Angaben in bliothek Bayreuth, aktuell Stadtbüche­ nannten Praxisleitfaden als Hilfsmit- der Ausbildungsordnung beziehungs­ rei Ravensburg), Gabriele Oswald (Ge­ tel für die bayerischen FaMI-Ausbil- weise dem Ausbildungsrahmenplan ab­ meindebibliothek Grünwald), Astrid der/-innen veröffentlicht. Für diese sichtlich offen und abstrakt gehalten. Staudacher (Bayerische Staatsbiblio­ Publikation gab es zwei Gründe: ers- Dies verhindert ein schnelles Veralten, thek) und Naoka Werr (Hochschule für tens der Wunsch der Ausbilder/-innen überträgt aber den Ausbilderinnen und den öffentlichen Dienst, Fachbereich Ar­ nach aktuellen Empfehlungen für die Ausbildern die Verantwortung für die chiv- und Bibliothekswesen). Gestaltung der betrieblichen Ausbil- Konzeption einer zeitgemäßen Ausbil­ Die Arbeitsgruppe orientierte sich dungspläne und zweitens die Ergän- dung. Somit müssen sich die Ausbilde­ bei der Erarbeitung des Praxisleitfadens zung des Ausbildungsrahmenplans rinnen und Ausbildern überlegen, wel­ am Ausbildungsrahmenplan der Ausbil­ der Ausbildungsverordnung um kon- che Ausbildungsinhalte aktuell und zu­ dungsverordnung, weil die darin vorge­ kretere Inhalte und praxisnahe Tipps. künftig wichtig für die Berufsausübung gebenen Inhalte verpflichtend sind und der FaMIs sind und sein werden. Gerade somit ihre Vermittlung rechtlich einge­ die rasanten Entwicklungen, die durch fordert werden kann. Auch die zeitliche die Digitalisierung in vielen Bereichen Gliederung der Ausbildungsinhalte über Grundlagen des Praxisleitfadens des Bibliothekswesens vorangetrieben die drei Ausbildungsjahre (die Dauer werden (von der Erwerbung über die der Ausbildungsabschnitte und der Ver­ Die Verordnung über die Berufsausbil­ Katalogisierung und Bereitstellung der lauf) orientiert sich an den Vorgaben des dung zum/zur Fachangestellten für Me­ Medien sowie die Benutzungsdienste), Ausbildungsrahmenplans. Die Arbeits­ dien- und Informationsdienste (FaMI) aber auch das immer umfangreicher gruppe ergänzte die offiziellen Vorgaben ist die Grundlage für die Erstellung des werdende Dienstleistungsangebot und des Ausbildungsrahmenplans jeweils um betrieblichen Ausbildungsplans bezie­ die zahlreichen neuen Möglichkeiten in Empfehlungen für die betriebliche Ver­ hungsweise der sachlichen und zeitli­ der Öffentlichkeitsarbeit sind zwingend mittlung und Literaturangaben. chen Gliederung.1 Der in der Ausbil­ in einer zeitgemäßen FaMI-Ausbildung Zusätzlich enthält der Praxisleitfa­ dungsordnung enthaltene Ausbildungs­ zu berücksichtigen. den sogenannte Praxistipps, bei denen rahmenplan gibt den Mindestumfang es sich um Empfehlungen handelt, die der in der dreijährigen Ausbildung zu auf der langjährigen Ausbildungspra­ vermittelnden Fertigkeiten und Kennt­ Arbeitsgruppe des Berufsbildungs- xis der Arbeitsgruppen- und Berufsbil­ nisse vor. Die Ausbildungsordnung exis­ ausschuss erarbeitet Praxisleitfaden dungsausschussmitglieder sowie den tiert für den FaMI-Beruf seit 1998 in un­ Erfahrungen der zuständigen Stelle ba­ veränderter Form. Die einzige Modifika­ Der Berufsbildungsausschuss identifi­ sieren. Die Praxistipps enthalten bei­ tion erfolgte 2000 durch die Ergänzung zierte den Bedarf für einen aktuellen spielsweise Hinweise zu den Vorbe­ Leitfaden für die berufspraktische FaMI- reitungen vor Ausbildungsbeginn, der Ausbildung in Bayern und gründete Durchführung von Praktika, den be­ 1 https://www.gesetze-im-internet.de/ deshalb eine Arbeitsgruppe, die zu­ gleitenden Ausbildungsinhalten sowie medinfofangausbv/ sammen mit den Mitarbeiterinnen und der Vorbereitung auf die Zwischen- und 2 https://www.fami-bayern.de/medienpool Mitarbeitern der zuständigen Stelle Abschlussprüfungen.

084 FOYER AUSBILDUNG

Zielsetzung des Praxisleitfadens

Der Praxisleitfaden stellt einen Aus­ gangspunkt für den durch die Ausbil­ der/-innen zu erstellenden betriebli­ chen Ausbildungsplan dar. Wenngleich der betriebliche Ausbildungsplan die in­ dividuellen Gegebenheiten der jeweili­ gen Ausbildungsbibliothek, die termin­ liche Verfügbarkeit von Ausbildungsbe­ auftragten, Praktikumsplätzen et cetera zu berücksichtigen hat und die Emp­ fehlungen des Praxisleitfadens als Vor­ schläge zu verstehen sind, sollten sie im Rahmen der Möglichkeiten berück­ sichtigt werden, um eine möglichst ver­ gleichbare Ausbildung über alle Ausbil­ dungsbibliotheken hinweg im Sinne der Chancengleichheit zu gewährleisten. Ferner sollen die Lernziele, die für je­ des Ausbildungsjahr angegeben sind, die Ausbilder/-innen ermuntern, gemein­ sam mit ihren Auszubildenden reflek­ tierend auf das zurückliegende Ausbil­ dungsjahr zu blicken und zu analysieren, ob alle Ausbildungsinhalte vermittelt wurden, ob es Wissenslücken gibt und mit welchen Maßnahmen diese gegebe­ nenfalls geschlossen werden können.

Gestalterische Umsetzung: Broschüre und Tabelle

Die Arbeitsgruppe erarbeitete den Pra­ xisleitfaden zunächst als Tabelle. Bei der Praxisleitfaden für die bibliothekarische FaMI-Ausbildung in Bayern: Titelseite der gedruckten Lektüre und der Benutzung dieser Ver­ Broschüre. Grafik: Mathias Leidgschwendner sion im Berufsbildungsausschuss und der zuständigen Stelle kristallisierte sich Die gestalterische Umsetzung des Medienpool der FaMI Bayern-Webseite heraus, dass die inhaltliche Dichte und Praxisleitfadens als Broschüre und Ta­ zum Download zur Verfügung.2 Die Bro­ Komplexität zwei gestalterische Aufbe­ belle erfolgt durch die zuständige Stelle schüre erscheint als gedrucktes, gebun­ reitungen erfordert. Die tabellarische in Zusammenarbeit mit dem Grafi­ denes Heft, das den bei der zuständigen Präsentation wird hauptsächlich für die ker Mathias Leidgschwendner, der sich Stelle registrierten FaMI-Ausbilderin­ Konzeption eines betrieblichen Ausbil­ durch seine Tätigkeit für den Condé Nast nen und -Ausbildern in Bayern unaufge­ dungsplans beziehungsweise der sachli­ Verlag und seine bisherigen Projekte mit fordert im Dezember 2020 zugeschickt chen und zeitlichen Gliederung genutzt typografischen Schwerpunkten (zum wurde. Die FaMI-Ausbilder/-innen in zu­ werden. Die Aufbereitung als Broschüre Beispiel Ausstellungskataloge, Fasson künftig neu anerkannten Ausbildungsbi­ bedient andere Lesegewohnheiten: Magazin) auszeichnete. bliotheken erhalten die Broschüren von Zum Beispiel kann diese Präsentati­ den Ausbildungsberaterinnen und Aus­ onsform immer wieder im Verlauf der bildungsberatern im Rahmen der Bera­ FaMI-Ausbildung herangezogen werden, Veröffentlichung und Verfügbarkeit tungsgespräche. Zusätzliche Exemplare um konkrete Ausbildungsabschnitte zu können bei der zuständigen Stelle be­ planen, Ausbildungsbeauftragte bezie­ Der Praxisleitfaden wird bewusst »hy­ stellt werden. hungsweise Praktikumsbibliotheken zu brid« publiziert. Die tabellarische Ver­ Dr. Andreas Dahlem; informieren oder Ausbildungsabschnitte sion wird als elektronische Datei im Bevollmächtigter der zuständigen Stelle, rückwirkend zu reflektieren. PDF-Format veröffentlicht und steht im Bayerische Staatsbibliothek München

BuB 73 02-03/2021 085 FOYER WISSEN FRAGT ...? Wissen? fragt? ...? ? ?

Recht – Und – Teilbar  ? ?

Auf einen Espresso mit dem Rechtsanwalt Lukas Theune zur Atmosphäre von Bibliotheken ? ?

Alte Hofbibliothek, Berlin

Der promovierte Jurist Lukas Theune ist Fall eine Erfahrung, die wir Juristen alle wollen. Dann bekommen wir die Vi­ Fachanwalt für Strafrecht. Vor allem be- gemacht haben, dass man in eine Bib­ deos präsentiert und können sie uns an­ treut er Mandate aus dem Strafvollzugs- liothek geht, dort ein bestimmtes Buch schauen. Es handelt sich dabei um po­ und Vollstreckungsrecht sowie aus dem stehen soll, man schaut auch im Maga­ lizeilich angefertigte Einsatzvideos, die Polizei- und Versammlungsrecht. So ver- zin nach und es ist einfach nicht da. Das eigentlich nur dazu da sind, im Nachhin­ tritt er unter anderem die Hausgemein- passiert mir auch immer wieder. Dann ein bei Strafverfahren zur Aufklärung zu schaft und Autonomenkneipe »Kadter- frage ich auch an der Auskunft nach und dienen. Diese Videos dürfen auch nicht schmiede« in Berlin, dessen polizeili- ja, ich habe mir dann auch mal ein Buch veröffentlicht werden. Die Polizei darf che Räumungsunterlassung er bewirkte. stattdessen kaufen müssen. sowieso nur dann filmen, wenn Strafta­ Auch ist er Anwalt der Familie von Burak ten im Raum stehen, und was die dann Bektaş, dessen Ermordung durch gezielte Und welches dieser Bücher ist für Sie filmen, dürfen sie nicht veröffentlichen. Schüsse bisher nicht aufgeklärt wurde. zu einem wirklichen »Herzensbuch« Als Geschäftsführer des Vereins »Repu- geworden? Können Sie auch viel virtuell recher- blikanischer Anwältinnen- und Anwälte- Was ich total gerne lese sind Ratge­ chieren oder müssen Sie vor Ort in verein«, zu dessen Mitbegründern unter ber zur Selbstermächtigung, also bei­ eine Bibliothek gehen? anderem Otto Schily gehört, engagiert spielsweise das von dem in den USA in Zum Alltag gehört es, dass ich juristi­ er sich genauso wie für das solidarische Haft lebenden Mumia Abu-Jamal. Er sche Fachdatenbanken von Bibliotheken Bündnis »Unteilbar«. Dessen erste Groß- hat sich im Gefängnis selbst Jura bei­ nutze. Diese benötigen wir in unserer demonstration hatte Theune angemel- gebracht und berät nun viele Mitgefan­ Kanzlei quasi jeden Tag und arbeiten da­ det. Der letzte Satz in der Position dieses gene. Er hat darüber ein Buch veröffent­ mit immer wieder. Im Alltag gibt es aber Bündnisses lautet: »Unsere Vielfalt ist un- licht, wie sich andere Mitinsassen in auch Momente, in denen man nicht wei­ sere Stärke«. den Gefängnisbibliotheken der USA in­ terkommt, wo man beispielsweise ältere formieren können und wie sie dort eine Entscheidungen vom Bundesgerichtshof Ausbildung machen können. Er hat das oder gar etwas vom Reichsgericht benö­ durchlaufen und zeigt, wie man sich tigt. Dann muss ich auch mal in eine Bib­ auch gegenseitig unterstützen kann. liothek und zu einem alten Band greifen Dieses Buch von Mumia Abu-Jamal kann und hineinschauen. Aber es ist schon so, ich nur empfehlen, es heißt »Jailhouse dass man eher online für seine Verteidi­ Lawyers«. Aber so etwas gibt es auch gung recherchiert. Wir Juristen verbrin­ hier in Deutschland. Ich kenne beispiels­ gen aber auch sehr viel Zeit in Bibliothe­ weise die Bibliothek der JVA Tegel und ken. Das ist jetzt vielleicht nicht überra­ weiß, dass sich dort sehr viele Insassen schend und auch nicht spektakulär, aber Auf einen Espresso mit Lukas Theune. selbst etwas beigebracht haben. für meine Studien bin ich sehr oft in die Unibibliothek der Freien Universität Dirk Wissen: Herr Theune, haben Sie Gefängnisbibliotheken sind nicht je- Berlin gegangen. Da habe ich viel Zeit aus einer Bibliothek schon mal ein dem zugänglich, genauso wenig Po- verbracht, genauso, wie in der juristi­ Buch geklaut? lizeibibliotheken. Sie gehen ja auch schen Fakultätsbibliothek der Humboldt Lukas Theune: Gestohlen habe ich mal in die Polizei-Archive, um sich Universität, aber auch in der Staatsbib­ ein Buch noch nie, weder in einer Biblio­ beispielsweise von Demonstrationen liothek »Unter den Linden« und anderen thek noch aus einem Kaufhaus. Polizeivideos anzusehen … Bibliotheken, die ich für meine Promo­ Tatsächlich hat die Berliner Poli­ tion abgeklappert habe. Aber es stimmt schon, dass die meis- zei ein Videoarchiv in der Polizeibib­ ten Bücher von Theologie- und Jura­ liothek, in dem alle Videos, die bei De­ Wie gehen Sie konkret vor, wenn Sie studierenden geklaut werden? mos angefertigt werden, archiviert sind. für »Recht und Ordnung« recher- Dieses Gerücht gibt es immer wieder. Wir Rechtsanwälte können einen Antrag chieren? Ob das wirklich so ist, sollte vielleicht stellen, dass wir dort hineingehen kön­ Wir recherchieren in der Regel nach mal erforscht werden. Den Verdacht nen. Aber wir müssen entsprechend an­ Entscheidungen. Die Paragrafen bzw. kann man schon haben. Es ist auf jeden geben bzw. eingrenzen, was wir sehen Gesetzbücher sind ja für jeden offen und

086 FOYER WISSEN FRAGT ...?

jeder kann sie im Internet nachschla­ gen. So brauchen wir diese auch in der Kanzlei nicht stehen zu haben. Wir re­ cherchieren vor allem frühere Entschei­ dungen, die sich auf ähnliche Themati­ ken beziehen und somit nutzen lassen. Es gibt auch Kommentarliteratur – zu jedem Paragrafen des Gesetzes existiert ein Kommentar, wie dieser auszulegen ist. Das steht in Fachbüchern, die mittler­ weile auch online zur Verfügung stehen.

Was online auch zugänglich ist, ist links- wie rechtsextremistisch ten- dierte Literatur. Sollte so etwas we- gen des freien Informationszugangs für jeden frei zugänglich sein? Es gibt natürlich Veröffentlichungen, die strafbar sind und diese kann auch keine Bibliothek anbieten. Wenn ich zum Beispiel an Nazipropaganda und Nazili­ Das Archiv »apabiz« in einem Kreuzberger Hinterhof (links) und keine Bibliothek, sondern teratur denke, dann gibt es dazu in Ber­ die Autonomenkneipe »Kadterschmiede« in der Rigaer Straße in Berlin. lin ein hervorragendes Archiv, das »apa­ biz«, das »Antifaschistische Pressearchiv und Bildungszentrum«. Für uns als An­ wälte ist es gut und wichtig, dass es das gibt. Gerade wenn wir Geschädigte ver­ treten, die von rassistischer Gewalt be­ troffen sind. Dabei erlebt man immer wieder das Muster, dass die Beschul­ digten sagen: »Wir sind doch keine Na­ zis, das war doch eine ganz unpolitische Prügelei.« In solchen Fällen profitieren wir von solchen Archiven ganz enorm, weil wir schauen können, ob diese Per­ sonen vielleicht auch schon etwas in die extremistische Richtung veröffentlicht haben. Oder ob es Polizeivideos gibt, die zeigen, dass bestimmte Personen bereits auf Nazidemos gewesen sind.

Und umgekehrt? Darf jeder, der möchte, öffentliche Veranstaltungen filmen und dies dann veröffentlichen? Nein, da gibt es ganz enge Ausnah­ men, wer das darf. Der Veranstalter kann natürlich filmen, wenn er vorher um Erlaubnis der Teilnehmenden fragt, insbesondere wenn es beispielsweise Podiumsteilnehmer gibt. Dann kann man das natürlich filmen und veröffent­ lichen. Aber es darf jetzt nicht einfach jede Informationsveranstaltung oder Bildungsveranstaltung gefilmt und ver­ öffentlicht werden, weil da das Recht am Unter anderem in der Staatsbibliothek zu Berlin Unter den Linden hat der Jurist Lukas eigenen Bild stärker ist. Theune während seiner Promotion viel Zeit verbracht.

BuB 73 02-03/2021 087 FOYER WISSEN FRAGT ...?

Vom »Recht am eigenen Bild« noch- »Unteilbar-Demonstration« alle nö- Überschneidungspunkte im Alltag mitei­ mals zum »Recht auf freien Informa- tigen Maßnahmen wie Abstand und nander haben und sich gut miteinander tionszugang«: Das wird derzeit einge- Masken beachtet. Sind sie als An- verstanden haben. Wir haben gemerkt, schränkt, da Bibliotheken von der Po- melder von »Unteilbar« lediglich der unsere Positionen gehören zusammen. litik als nicht systemrelevant gesehen Rechtsbeistand und neutraler An- Die Vielfalt, der antirassistische Kampf werden und somit nicht für jeden jede sprechpartner für die Polizei oder aber auch der solidarische Kampf: Das Bibliothek frei zugänglich zu nutzen sind sie auch als Demonstrant dabei? gehört alles einfach zusammen. ist. Zugang gibt es mancherorts nur Das war bzw. ist ja ein riesiges Bünd­ mit Leseausweis und diesen erhalten nis von ganz vielen Organisationen, Ver­ Was zusammentrifft im Pluralismus, nur die Einwohner der Stadt … einen und Einzelpersonen. Ich habe da sind in den USA »QAnon« und bei- Eine Klage, um dieses Recht einzu­ eine Funktion unter vielen gehabt. Weil spielsweise in Neukölln die »Quer- fordern hätte vielleicht keine große Aus­ ich Anwalt bin, haben wir gesagt, dass denker« und die »Queer Lebenden«. sicht auf Erfolg, weil der Eingriff in die­ ich die Veranstaltung anmelde, weil ich In Berlin gibt es seit Jahren zum ei- ses Grundrecht nicht so stark ist. Denn mich mit diesen Anmeldeverfahren aus­ nen den »Karneval der Kulturen« und sie müssten ja argumentieren, dass sie kannte. Dann hat sich aber auch eine Öf­ zugleich rechtsextreme Anschläge … auf diese eine bestimmte Bibliothek an­ fentlichkeits-AG gebildet und viele an­ Die Querdenker treten ja nicht für gewiesen sind, da sich ihre Informations­ dere kamen hinzu, die sich auf ihre Art den Pluralismus ein, sondern das Gegen­ freiheit nur mit dieser bestimmten Biblio­ beteiligt haben. An diesem Aufruf habe teil ist ja der Fall. Und sie verteidigen eine thek verwirklichen lässt. Beispielsweise, ich zwar nicht persönlich mitgeschrie­ Art »weiße Mittelstand-Hegemonie«, die wenn es ein bestimmtes Buch gibt, das sie ben, aber er ist ja nach wie vor aktuell. aber im Aussterben begriffen ist und der­ benötigen und dieses wirklich nur in die­ zeit zusammenbricht. Dennoch haben ser einen Bibliothek zu erhalten ist und Es gibt auch Kritiker, die zur »Viel- Sie recht: Es ist natürlich so, dass »Queer alle anderen Möglichkeiten, dieses Buch falt« meinen, sie bietet keine Stärke Lebende«, die von der Heteronormativi­ zu bekommen ebenfalls abgelehnt wur­ und auf der Demo haben sich ja auch tät abweichendes Gender haben, die an­ den. Wenn sich so argumentieren ließe, Grüppchen voneinander abgesetzt ders leben, die schwul sind, die lesbisch dann könnte man dies möglicherweise bzw. sich Blöcke gebildet, die Gegen- sind, viel Diskriminierung erfahren – abwägen. Doch da sind im Moment die sätzlicher nicht sein können … und diese insbesondere auch von »Quer­ Gerichte eher restriktiv, sodass sie sa­ Ich denke alle, die bei »Unteilbar« da­ denkern«. Insofern sollte dem gegenüber gen, dass das »Recht auf Gesundheit« vor bei waren, haben gesehen, dass das Ge­ mehr Flagge gezeigt werden, was auch dem Grundrecht steht und dass es vor genteil der Fall ist. Das war eine Riesen­ Bibliotheken vermehrt tun sollten. dem Hintergrund der Pandemie, wo es demo, die gemeinsam und solidarisch mit darum geht, Leben zu schützen, solche einer viertel Millionen Menschen durch Sie meinen, Bibliotheken, die eher die Einschränkungen geben muss. Berlin gezogen ist. Die Stimmung war ein­ Neutralität hochhalten, sollten mehr fach irre gut. Es sind Leute miteinander in Flagge zeigen? Sollten also nicht nur zum Vor dem Hintergrund der Pan- Kontakt und ins Gespräch gekommen, die »Tag der Offenen Gesellschaft« Tische demie wurden bei der letzten sonst wenig Berührungspunkte und keine und Stühle rausstellen, sondern gene- rell die Regenbogenfahne raushängen? Ja, klar. Auch Bibliotheken könnten zum Ausdruck bringen, dass sie auch für eine sexuelle Vielfalt stehen, Gen­ der-Vielfalt willkommen heißen und hierzu ebenfalls Angebote haben und entsprechend Flagge zeigen.

Wie genau sollen Bibliotheken damit umgehen? Am besten ist es immer, Betroffene sprechen zu lassen, die von Rassismus betroffen sind, die von Diskriminierung betroffen sind, die von »Queerfeindlich­ keit« betroffen sind. Diese Menschen einfach selbst reden zu lassen, um ihnen auch ein Forum zu geben.

Lukas Theune ist Fachanwalt für Strafrecht. Er vertritt unter anderem die Hausgemeinschaft Sind Sie als Rechtsanwalt auch ein Rigaer Straße 94 und die Autonomenkneipe »Kadterschmiede« in Berlin. Fürsprecher von Betroffenen?

088 FOYER WISSEN FRAGT ...?

Ich vertrete natürlich Menschen, die von solchen Dingen betroffen sind. Des­ wegen werde ich aber nicht zum Spre­ cher, sondern ich bin der Rechtsvertre­ ter. Also ich trete nicht anstatt oder an­ stelle von jemandem auf.

Ist der Satz »Ich sage nichts ohne mei- nen Anwalt« ein Klischee? Das höre ich selbst eher selten. Es ist aber richtig, dass Beschuldigte, wenn sie von der Polizei vernommen werden, häufig sagen, dass sie zuerst Aktenein­ sicht erhalten und mit einem Rechtsan­ walt sprechen möchten. Das ist auch völ­ Um Vielsprachigkeit zu fördern bietet die Helene-Nathan-Bibliothek in Berlin-Neukölln lig richtig so, das so zu tun. neben einem reichhaltigen Medienangebot auch türkische und kurdische Bücher an.

Im Film »The Public« besetzen Ob- dachlose die Stadtbibliothek von Cin- funktioniert und deshalb Bibliothe- auch um Mehrsprachigkeit, da wir hier cinnati, da draußen Minusgrade herr- ken ihre Angebote auf ein bestimm- in Deutschland nach wie vor das Prob­ schen. Kennen Sie aus der Realität ei- tes Klientel oder Milieu ihres Umfelds lem haben, dass Mehrsprachigkeit oft nen solchen Fall? ausrichten sollten … als Problem oder Nachteil begriffen wird Bei einer Hausbesetzung in Berlin Als Student habe ich lange in einem und nicht als Stärke. Wenn Kinder hier in Mitte wurde die Besetzung von Obdach­ Jugendclub gearbeitet. Dort habe ich Neukölln mehrsprachig aufwachsen und losen durchgeführt, die ich rechtlich ver­ auch Nachhilfe gegeben. Diese Jugendli­ zugleich türkisch, kurdisch, deutsch und trete. Bei dem Gebäude handelt es sich chen kamen oft aus ärmeren Elternhäu­ englisch sprechen und das miteinander nicht um eine Bibliothek, sondern um sern. Sie haben in kleinen Wohnungen vermischen, reagieren viele mit Unver­ ein leerstehendes Schwesternwohnheim gewohnt und mussten sich oft ihr Zim­ ständnis. Die Helene-Nathan-Bibliothek der Charité. Das steht seit Ewigkeiten leer mer mit mehreren Geschwistern teilen. bietet auch türkische und kurdische Bü­ und wird als Spekulationsobjekt miss­ Und für die war beispielsweise die Hele­ cher an, um diese Vielsprachigkeit zu braucht. Ich finde es nachvollziehbar und ne-Nathan-Bibliothek, in deren Neuköll­ fördern. Ich glaube, das passiert in vie­ richtig, wenn Obdachlose sagen: »Wir le­ ner Nachbarschaft, das wichtigste über­ len anderen Bibliotheken noch zu wenig. ben auf der Straße, wenn gleichzeitig haupt. Diese Bibliothek wird als Auf­ Das ist auch ein Aspekt für Schulbiblio­ zahlreiche Wohnungen leer stehen.« Ber­ enthaltsraum genutzt, in dem man sich theken, gerade für den Unterricht. Ich lin hat viele leerstehende Wohnungen, nachmittags trifft, um Hausaufgaben in verstehe beispielsweise nicht, weshalb in mit denen einfach spekuliert wird. Und Lerngruppen gemeinsam zu erledigen. der Schule meiner Kinder die Kinder auf ich glaube, dass hierbei auch Bibliothe­ In dieser Bibliothek kommen alle Milieus dem Pausenhof nicht auch türkisch spre­ ken bestimmt Wege finden können, wie zusammen. Da können sich die Jugendli­ chen dürfen. Warum greift man das nicht sie Obdachlosen helfen könnten, Woh­ chen aus den vielen Schulen drum herum auf und begreift das nicht eher als eine nungen zu finden. Denn so etwas kann treffen, ihre Ruhe finden und haben dabei mögliche Stärke einer Schule und stattet man glaube ich nur kooperativ lösen. eine Atmosphäre durch diesen Blick über auch deren Schulbibliothek mit türkisch- Aber im Prinzip finde ich es erbärmlich, die Dächer von Neukölln, der einmalig ist. und kurdischsprachigen Büchern aus? wenn in unserer reichen Welt Menschen auf der Straße leben müssen. Da sollten Schaut man über Neukölln sieht man Herr Theune, ich danke Ihnen. sich auch Bibliotheken offener zeigen. einen sehr multikulturellen Bezirk, Und Herr Staab, Sie bauen diverse Menschen kommen zusam- Schulen mit Schwerpunkten, z.B. zu Für viele Bibliotheken gilt das Motto men, die Barrierefreiheit benötigen, Mehrsprachigkeit, wie wirkten sich solche »Offen für alle«. Und es gibt diejeni- die Chancengleichheit benötigen … Schwerpunkte auf Ihr Raumkonzept für gen, die sagen, dass eine Bibliothek Und zudem ist meiner Meinung Schulbauten aus? nicht alle bzw. keine Vielfalt an Men- nach der »Funktionale Analphabetis­ schen bedienen kann. Dass das nicht mus« ein sehr unterschätztes Problem. Hierzu sollten Bibliotheken viel mehr Angebote in leichter Sprache bieten, um Ihre Meinung: Wie wirken sich Schwerpunkte wie mehr Menschen einzubinden. Sie soll­ Mehrsprachigkeit auf das Raumkonzept von Schul­ ten auch das Vorlesen von Büchern noch Freuen Sie sich auf die nächste Folge von bibliotheken aus? Schreiben Sie an: [email protected] stärker anbieten. Dabei geht es natürlich »Wissen fragt …?«. Fotos: Dirk Wissen

BuB 73 02-03/2021 089 FOYER AUSLAND

Segensreiche Wirkung für die literarische Kultur  40. Geburtstag der Bibliothekstantieme in Großbritannien

Wer in Großbritannien seinen Le- Zudem ist sicherzustellen, Auszahlungsbeträge Zahl der Empänger bensunterhalt als Autor, Übersetzer dass jede Datenerhebung oder Illustrator verdient und nicht zu alle vier Landesteile Groß­ 5.000 – 6.600 Pfund 299 den Bestsellerstars der Branche zählt, britanniens (England, 2.500 – 4.999 Pfund 356 die mit Verlagen hohe Honorare aus- Schottland, Wales, Nor­ 1.000 – 2.499 Pfund 790 handeln können, wird jedes Jahr ge- dirland) abdeckt. Wäh­ 500 – 999 Pfund 838 spannt den Jahresbericht der Regie- rend die erste Auswer­ 100 – 499 Pfund 3 189 rungsagentur »Public Lending Right« tung (1983) nur rund drei 1 – 99 Pfund 16 225 (PLR) erwarten, die für die Ausschüt- Millionen Ausleihen er­ insgesamt 21 697 tung der Bibliothekstantieme zustän- fasste, basiert die jüngste dig ist. Jeweils im Herbst verteilt sie Ausschüttung (2018/19) Tabelle 1: Ausschüttungen für 2018/19 einige Millionen Pfund an mehr als auf einer Auswertung von 20 000 Wahrnehmungsberechtigte. mehr als 40 Millionen Ausleihvorgängen. Kostenersparnis, die sich bei einer zen­ Die PLR-Agentur wurde 1979 vom bri­ Laut PLR-Satzung sind nur die Au­ tralisierten Abwicklung des Verfahrens tischen Parlament geschaffen und in toren selbst berechtigt, einen Antrag ergeben würde, insbesondere für den Stockton-on-Tees etabliert (vgl. BuB auf Zahlung einer Vergütung zu stellen, Sektor der IT-Infrastruktur, als vorran­ 57/2005, Heft 5, S. 328-329). Sie ihre Erben hingegen nicht. Um bei der gig, und so wurde verfügt, die PLR-Agen­ brauchte einige Jahre, um mit einer jährlichen Ausschüttung berücksichtigt tur zum 1. Oktober 2013 in den Ge­ begrenzten Datenmenge – aus Kosten­ zu werden, muss sich ein Autor bei der schäftsbereich der British Library (BL) gründen sollten nicht sämtliche Auslei­ PLR-Agentur anmelden und jedes sei­ zu integrieren. Die in der PLR-Agentur hen aller Öffentlichen Bibliotheken des ner Bücher registrieren lassen. Als Buch tätigen Mitarbeiter wurden in den Per­ Landes erfasst werden – eine repräsen­ wird jede gedruckte und gebundene Pu­ sonalbestand der Nationalbibliothek tative Ausleihstatistik zu erstellen. Im blikation mit ISBN anerkannt. Im Ver­ übernommen, blieben aber zunächst in ersten Jahr wurden 25 Bibliothekssys­ lauf der Jahre sind auch Übersetzer, Il­ Stockton-on-Tees angesiedelt. Erst im teme in die Datenerhebung einbezogen, lustratoren, Kommentatoren und andere Sommer 2019 wurde der Umzug nach im Verlauf der Jahre stieg deren Zahl kreative Buchschaffende in das System der BL-Zweigstelle in Boston Spa (York­ auf über 30. Um regionale und soziale einbezogen worden, seit 2018 gilt das shire) eingeleitet, abgeschlossen war die Eigentümlichkeiten auszugleichen, er­ Vergütungssystem auch für E-Books und Reorganisation im Sommer 2020. folgte jedes Jahr eine begrenzte Rota­ E-Audiobücher. Der von der Regierung für die Aus­ tion der in die Erhebung einbezogenen Mehr als drei Jahrzehnte erfolg­ schüttung überwiesene Betrag hat sich Systeme – mindestens sieben Biblio­ ten Datenerhebung und -auswertung in in den letzten Jahren kaum verändert, er thekssysteme sind auszutauschen, die Stockton-on-Tees. Mit dem 2011 vom liegt pro Abrechnungszeitraum bei rund Anzahl der erfassten Zweigstellen muss Parlament verabschiedeten »Public Bo­ sechs Millionen Pfund. Auch der maxi­ stets mehr als eintausend betragen. dies Act« erhielt das Kultusministerium male Ausschüttungsbetrag, den Wahr­ (Department for Culture, nehmungsberechtigte erhalten können, Media and Sports) die Mög­ blieb fast unverändert, er stieg von an­ lichkeit, eine Revision der fangs 6 000 nur leicht auf heute 6 600 Vergütungjahr Zahlung pro Ausleihe Verwaltung einzuleiten, be­ Pfund, obgleich sich die Kaufkraft dieser 2014/15 6,66 Pence stehende Einheiten zu fusio­ Summe im Verlauf von vier Jahrzehn­ 2015/16 7,67 Pence nieren sowie deren Aufgaben ten merklich reduziert hat. Die Anzahl 2016/17 7,82 Pence zu verändern. Eine Umfrage der Zahlungsempfänger blieb gleich­ 2017/18 8,20 Pence unter den Wahrnehmungs­ falls erstaunlich konstant, sie liegt seit 2018/19 8,52 Pence berechtigten des PLR ergab Jahren bei rund 22 000 Personen. Für zwar eine Mehrheit für das den jüngsten Ausschüttungszeitraum bestehende System, aber das (2018/19) wurden die Vergütungsbe­ Tabelle 2: Vergütung pro Ausleihe Ministerium bewertete die träge in Tabelle 1 ermittelt:

090 FOYER AUSLAND / NACHRICHTEN

Rund 75 Prozent der Empfänger wurde, bei einem virtuellen Rundgang mussten sich also mit einem Betrag von Nachrichten unter: https://youtu.be/RlzV31PX-BM weniger als 100 Pfund (circa 110 Euro) begnügen, viele gehen sogar leer aus, weil Beträge unter einem Pfund nicht Ausschreibung »Bibliothek des zur Auszahlung kommen. Dabei zeigt Jahres 2021« ein Blick auf die pro Ausleihe gezahlte Im Dienste der Nachhaltigkeit Vergütung (siehe Tabelle 2), dass in den Berlin. Bereits zum 22. Mal verleihen der vergangenen fünf Jahren eine leichte Aarau (Schweiz). Die Kommission Bi­ Deutsche Bibliotheksverband (dbv) und Steigerung zu verzeichnen war (wenn blio2030 moderiert im Auftrag des die Deutsche Telekom Stiftung am 24. auch nur »Pfennigbeträge«). Weil der Schweizer Bibliotheksverbands Biblio­ Oktober 2021 – dem Tag der Bibliothe­ vom Ministerium bereitgestellte Fi­ suisse die Kampagne »Biblio2030 – Bi­ ken – den Preis »Bibliothek des Jahres« als nanzbetrag aber in etwa gleich blieb, bliotheken verändern die Welt«. Diese einzigen nationalen Bibliothekspreis in also nicht mehr Geld zur Verteilung Kampagne hat zum Ziel, die Bibliothe­ Deutschland. Ausgezeichnet werden Bi­ kam, ergibt sich die rechnerisch ermit­ ken als Treiberinnen der nachhaltigen bliotheken aller Sparten und Größen. Im telte Erhöhung lediglich daraus, dass Gesellschaft sichtbar zu machen, sie mit Jahr 2021 wird darüber hinaus zum zwei­ die Zahl der Ausleihen stetig gesunken den verantwortlichen Stellen in der Ver­ ten Mal die Auszeichnung »Bibliothek des ist. Dieser Trend ist leider keinesfalls waltung und den Partnern aus der Zivil­ Jahres in kleinen Kommunen und Regio­ neu, denn seit mehr als 20 Jahren lässt gesellschaft zu vernetzen und damit die nen« vergeben. Die Einreichung von Be­ sich belegen (vgl. BuB 69/2017, Nr.7, nachhaltige Entwicklung insgesamt und werbungen kann bis zum 31. März erfol­ S. 366-368), dass sowohl die Zahl der für alle zu fördern. Im Auftrag der Kom­ gen. Die ausführlichen Informationen ste­ Zweigstellen wie der Bibliotheksbenut­ mission Biblio2030 ist nun ein Film-Trai­ hen unter: www.bibliotheksverband.de/ zer und der entliehenen Medien stetig ler entstanden, der das Engagement und dbv/auszeichnungen/bibliothek-des-jah zurückgeht. die Möglichkeiten von Bibliotheken auf­ res/ausschreibung.html zeigt. In wenigen Minuten wird eine »Although the money is Vielfalt an Handlungsfeldern aufgefä­ lovely, what is important is chert, die Bibliotheken heute schon im DBS erfasst auch Schulbibliotheken that an author can see that Dienst der Nachhaltigkeit bespielen: ht he is READ!« tps://biblio2030.bibliosuisse.ch/Home Berlin. Ab diesem Jahr wird die Deut­ sche Bibliotheksstatistik (DBS) Daten (Maureen Duffy, Autorin) zu den Schulbibliotheken in Deutsch­ Staatsbibliothek eröffnet Haus land erfassen. Damit wird es nach inten­ In ihrem Jahresbericht 2019/20, der im unter den Linden siven Bestrebungen der Fachkommis­ Oktober 2020 erschien, berichtet die sion Bibliothek und Schule des Deut­ British Library auch über die Party, die Berlin. 30 Jahre nach der Wiederverei­ schen Bibliotheksverbandes (dbv) vom im Herbst 2019 zur Feier des 40. Ge­ nigung des geteilten Deutschlands, die Hochschulbibliothekszentrum (hbz) burtstags der Bibliothekstantieme in sukzessive auch die Wiedervereinigung des Landes Nordrhein-Westfalen erst­ den Räumen der Londoner Zentrale in der zwei Hälften der traditionsreichen, mals ermöglicht, dass wichtige Daten St. Pancras abgehalten wurde. Redner 1661 gegründeten Berliner Staatsbiblio­ zu den Aufgaben, Strukturen und zur aus den Reihen der Autoren und Illustra­ thek mit sich brachte, ist die Generalsa­ Nutzung von Schulbibliotheken erhoben toren, des Ministeriums und verschiede­ nierung des monumentalen Stammhau­ werden können, um so ihr Bildungspo­ ner Verbände lobten die effiziente Arbeit ses Unter den Linden abgeschlossen. In tenzial sichtbar zu machen. Im Frühjahr der PLR-Agentur und unterstrichen die eineinhalb Jahrzehnten hat die Staatsbi­ können sich die Schulbibliotheken bei segensreiche Wirkung des Programms bliothek, Teil der Stiftung Preußischer der DBS anmelden. Im Laufe des Jahres für die literarische Kultur des Landes. Kulturbesitz, dieses größte Gebäude­ können sie dann die gewünschten Daten Der Kinderbuchillustrator Chris Riddell geviert in der Mitte Berlins saniert und in ihrer Institution erheben und ab dem zeichnete eine riesige Geburtstagstorte erweitert. Sobald es die Bestimmungen 1. Januar 2022 für das Jahr 2021 einge­ und die Autorin Maureen Duffy, die in zum Schutz vor der Pandemie erlauben, ben. Die ersten Auswertungen werden den 1970er-Jahren zu den prominen­ öffnet eine der bedeutendsten Bibliothe­ im Frühjahr 2022 erwartet. ten Initiatorinnen des PLR-Gesetzes ge­ ken der Welt wieder ihre Tore. Bereits hörte, fasste ihr Lob mit folgenden Wor­ vor sieben Jahren wurde eine Eröffnung ten zusammen: »Although the money is gefeiert: Damals war es die Einweihung Ansturm beim Programm lovely, what is important is that an au­ des Herzstücks, des neuen transluzenten »WissensWandel« thor can see that he is READ!« Lesesaals. Nun lässt sich erleben, wie die gesamte historische Bausubstanz behut­ Berlin. Das Programm »WissensWan­ Gernot Gabel sam und denkmalgerecht modernisiert del« des Deutschen Bibliotheksverbands

BuB 73 02-03/2021 091 FOYER NACHRICHTEN

(dbv) ist Teil des Rettungs- und Zu­ kunftsprogramms NEUSTART KULTUR Langjährige BuB-Herausgeberin und Direktorin der Stadtbibliothek der Beauftragten der Bundesregierung Hannover, Carola Schelle-Wolff, im Ruhestand für Kultur und Medien (BKM). Es soll einen Beitrag dazu leisten, die Folgen Die Direktorin der Stadtbibliothek Han- der Corona-Pandemie für Bibliotheken nover, Carola Schelle-Wolff (Foto: privat), und Archive zu mildern. 10 Millionen ist zum Ende des vergangenen Jahres in Euro stehen dafür bereit. Aktuell hat Ruhestand gegangen. In Hannover war der dbv bereits über 550 Anträge erhal­ sie seit 2004 tätig, zugleich auch als Lei- ten mit einer beantragten Gesamtför­ terin des Fachbereichs Kultur der Lan- dersumme von über 21 Millionen Euro. deshauptstadt. Davor war sie von 1995 Daher musste ein Antragsstopp verfügt bis 2003 Direktorin der Stadtbibliothek werden. Der dbv hat der BKM diesen ho­ Freiburg im Breisgau. hen Bedarf kommuniziert und wird sich Ihr Studium zur Bibliothekarin (ÖB) für eine Aufstockung der Mittel einset­ erfolgte 1975 bis 1978 an der FU Berlin. zen. Die ersten Bewilligungen wurden Nach beruflichen Stationen in Berlin und Essen hat sie von 1980 bis 1985 parallel am 14. Dezember 2020 verschickt. zur Berufstätigkeit in der Stadtbibliothek Hannover an der Universität Hannover Germanistik und Geschichte studiert und 1994 promoviert. Den Leserinnen und Lesern von BuB ist Carola Schelle-Wolff aber vor allem Aufruf zur Mitarbeit an Wikipedia als langjährige Mitherausgeberin dieser Fachzeitschrift bekannt. Von 1998 bis 2018, also ganze 20 Jahre lang, bestimmte sie zusammen mit wechselnden Her- Berlin. Die internationale Kampagne ausgeber-Kolleginnen und -Kollegen sowie der hauptamtlichen Redaktion Inhalt #1Lib1Ref (1 Librarian, 1 Reference) ist und Ausrichtung von BuB. Darüber hinaus veröffentlichte sie selbst zahlreiche zum sechsten Mal am 15. Januar gestar­ Fachartikel aus ganz unterschiedlichen bibliothekarischen Bereichen. tet. Jedes Jahr nehmen Bibliothekarin­ Zwischen 1998 und 2005 gehörte Schelle-Wolff außerdem dem Bundesvor- nen und Bibliothekare auf der ganzen stand des Berufsverbands Information Bibliothek (BIB) an, und von 2006 bis 2011 Welt an der Kampagne teil und ergän­ war sie als Vertreterin der Sektion 1 im Vorstand des Deutschen Bibliotheksver- zen fehlende Belege in Wikipedia-Arti­ bands (dbv) und in verschiedenen Steuerungsgruppen (zum Beispiel BIX, DBS) tätig. keln durch Literaturangaben und Ein­ red zelnachweise. Im Aufruf von Wikimedia Deutschland heißt es: »Bibliothekarin­ nen und Bibliothekare gehören zu den jeweiligen wissenschaftlichen Commu­ willkommen. Die Antworten werden wichtigsten Verwaltern des verfügba­ nity, einer stärkeren Einbindung rele­ später in einem Artikel über interna­ ren Wissens auf der Welt. Ihr Alltag vanter Open Access Publikationen so­ tionale Literatur auf dem Blog ver­ ist es, mit hoher fachlicher Expertise, wie der umfassenden und langfristigen öffentlicht. Weitere Informationen den Zugang zu Wissen zu erleichtern Zugänglichkeit von Fachinformationen gibt es unter: https://airtable.com/ und Quellen kompetent zu bewerten. liegen. Außerdem strebt die DFG die shrqQZIlgQMYQNBJd Das macht Bibliothekarinnen und Bi­ Entwicklung einer übergreifenden und bliothekare zu den engsten Verbün­ vernetzten FID-Gesamtstruktur an. deten von Wikimedia.« Weitere Infos Weitere Informationen unter: www. Zwei aktuelle IFLA-Preise gibt es unter: https://blog.wikimedia. dfg.de/foerderung/info_wissenschaft/ ausgeschrieben de/2020/12/07/1-bibliothekarin-1-re info_wissenschaft_20_94/ ferenz-mehr-wikipedia/ Den Haag (Niederlande). Gleich zwei IFLA-Preise sind derzeit ausgeschrieben: Lieblingsbücher an ALA melden Die IFLA-Sektion ENSULIB (Environ­ Förderprogramm ment, Sustainability & Libraries) lobt Fachinformationsdienste Chicago (USA). Der Blog www.ilovelib zum sechsten Mal den Green Library raries.org der American Library Asso­ Award aus. Einreichungen von Projek­ Bonn. Das DFG-Programm »Fachinfor­ ciation lädt Bibliothekarinnen und Bi­ ten, die sich mit der Nachhaltigkeit von mationsdienste für die Wissenschaft« bliothekare aus der ganzen Welt ein, Bibliotheken auseinandersetzen, sind (FID) fördert den Aufbau forschungs­ ihre Lieblingsbücher aus ihren Hei­ bis zum 28. Februar möglich. Wer ein unterstützender Informationsinfra­ matländern mit anderen zu teilen. Es kreatives, innovatives Marketingprojekt strukturen. Der Fokus der Maßnahmen kann ein Buch sein, das im Heimatland oder eine entsprechende Kampagne in soll dabei künftig stärker auf der Ver­ spielt oder das von einem heimischen der Bibliothek durchgeführt hat, kann breitung fachspezifischer Informati­ Autor geschrieben wurde. Belletristik sich beim IFLA PressReader Marketing onsangebote, dem Austausch mit der und Sachbücher sind gleichermaßen Award 2021 bewerben. Die ersten drei

092 FOYER NACHRICHTEN

Plätze erhalten einen Zuschuss für die Der FID DK wird seit 2015 an der Univer­ machen die mittelfristigen Ziele der Anschaffung neuer Technologien für ei­ sitätsbibliothek Johann Christian Sen­ DNB transparent. Konkretisiert und gene bibliotheksbezogene Aktivitäten. ckenberg in Frankfurt aufgebaut. Mit umgesetzt werden die Ziele in einem Bewerbungsschluss ist am 5. März. Nä­ der neuen Fördersumme in Höhe von jährlich fortgeschriebenen und eva­ here Infos gibt es auf der IFLA-Webseite: rund einer Million Euro kann der FID DK luierten internen Maßnahmenka­ www.ifla.org/ sein Ziel weiterverfolgen, Wissenschaft­ talog und in daraus resultierenden ler/-innen der Theater- und Tanzwissen­ Arbeitsprogrammen. schaft komfortable Zugänge zu bislang Zweiter Shutdown belastet schwer erreichbaren Wissensressour­ Jahresbilanz im Buchhandel cen über das FID-Portal www.perfor Führungswechsel an der UB ming-arts.eu zu ermöglichen. Zwischen Kassel Frankfurt am Main. Die Buchbran­ den Akteuren aus der Wissenschaft so­ che blickt auf ein herausforderndes wie den Gedächtnisinstitutionen bildet Kassel. Nach einer Amtszeit von mehr Jahr 2020 zurück: Zwar konnte der der Fachinformationsdienst Darstel­ als 19 Jahren hat Axel Halle am 15. De­ Buchhandel seinen Umsatzrückstand lende Kunst somit eine koordinierende zember 2020 sein Wirken an der Univer­ aus dem Shutdown im Frühjahr Mo­ Schnittstelle. sitätsbibliothek (UB) Kassel beendet. In nat für Monat verringern, die erneu­ seine Leitungsjahre fallen umwälzende ten Ladenschließungen in der umsatz­ Transformationsprozesse im Feld der stärksten Zeit des Jahres Mitte De­ Strategische Prioritäten der DNB Wissenschaftlichen Bibliotheken. Das zember sorgten unterm Strich aber betrifft nicht zuletzt große Sanierungs­ für ein negatives Jahresergebnis. So Frankfurt am Main. »Die Deutsche projekte wie die Umgestaltung der Mur­ lag der Umsatz 2020 in den zentralen Nationalbibliothek ist ein aktives kul­ hardschen und der Campusbibliothek. Vertriebswegen (Sortimentsbuchhan­ turelles Gedächtnis der Vergangen­ Zu den technologischen Weiterentwick­ del, E-Commerce inklusive Amazon, heit und der Zukunft« – unter die­ lungen in Kassel gehören unter anderem Bahnhofsbuchhandel, Kauf-/Waren­ sem Motto veröffentlicht die Deut­ die Transformation der UB ins digitale häuser, Elektro- und Drogeriemärkte) sche Nationalbibliothek (DNB) zum Zeitalter. Halles Nachfolge trat am 4. 2,3 Prozent unter dem des Vorjahres. dritten Mal nach 2014 und 2017 ihre Januar dieses Jahres Bibliotheksdirek­ Das von den Corona-Maßnahmen be­ strategischen Prioritäten (https:// torin Claudia Martin-Konle an. Zuletzt sonders betroffene stationäre Geschäft www.dnb.de/strategie) als fokussier­ war die studierte Germanistin Leiterin schloss das Jahr mit einem Minus von ten Ausschnitt ihres gesetzlichen Auf­ der Benutzungsabteilung der Staatsbib­ 8,7 Prozent ab. trages. Um ihre Funktion als kulturel­ liothek Preußischer Kulturbesitz zu Ber­ les Gedächtnis auch in Zukunft erfül­ lin und davor Bibliotheksdirektorin der len zu können, sieht die DNB auf alle UB Gießen. DFG fördert FID Darstellende Prozesse und Verfahren noch stärker Kunst weiter als bisher durch die »digitale Brille«: Die digitalen Sammlungen sollen »Semantic Web in Libraries« als Frankfurt am Main. Die Deutsche For­ ausgebaut sowie attraktive und be­ erfolgreiche Digital-Konferenz schungsgemeinschaft (DFG) fördert den nutzerfreundliche Präsentationsfor­ Fachinformationsdienst Darstellende men entwickelt werden. Die Strate­ Kiel/Hamburg/Köln. Die zwölfte inter­ Kunst (FID DK) für weitere drei Jahre. gischen Prioritäten 2021 bis 2024 nationale Konferenz »Semantic Web

ANZEIGE

WEBINARE Das Informationsportal für Bibliotheken · [email protected] · Fon: 08822 948730 2021 BEI UNS SIND SIE Spiele auf Eignung für die Ausleihe geprüft Auf Wunsch FIT-TO-PLAY: x und fertig für die Ausleihe SICHER! IMMER! inkl. Inhaltsangaben, foliert und konfektioniert Die besten Spiele META-Daten in allen Formaten KOSTENFREI Bestellen Sie jetzt unseren Empfehlungskatalog 2021 für die Ausleihe Ersatzteilservice oder lernen Sie die Spiele in unseren Webinaren kennen

BuB 73 02-03/2021 093 FOYER NACHRICHTEN

in Libraries« hat komplett im virtuel­ eine Teilnahme von Hawaii bis Neu­ Virtueller Workshop »OCR – len Raum stattgefunden und brachte seeland und von Kapstadt bis Bergen Prozesse und Entwicklungen« an fünf Tagen über 450 Teilnehmende möglich gemacht hat. Neben zahlrei­ im Konferenz-Chat aus aller Welt zu­ chen Universitäts- und Nationalbiblio­ Köln. Die drei Zentralen Fachbibliotheken sammen. Hinzu kamen zahlreiche theken und Hochschulen waren auch (ZB MED, TIB und ZBW) veranstalten ge­ Besucher/-innen im Livestream. In Institutionen wie Wikimedia Argenti­ meinsam mit der Staatsbibliothek Preußi­ Workshops, Präsentationen und Im­ nien, die Vereinten Nationen, der Kon­ scher Kulturbesitz am 1. März den virtuel­ pulsvorträgen drehte sich alles um gress der Philippinen und die FIFA len Workshop »OCR – Prozesse und Ent­ aktuelle Linked Open Data-Projekte vertreten.Themenschwerpunkte wa­ wicklungen«. Digitalisierung bietet neue und -Anwendungen (LOD) in Biblio­ ren unter anderem Automatische In­ Erschließungsmöglichkeiten, auch und theken. Ein besonderes Highlight war haltserschließung, das Datenmodell vor allem durch gute Texterkennungs­ die Keynote von Audrey Tang, Digital­ für bibliografische Daten BIBFRAME, programme. Die »Optical Character Re­ ministerin Taiwans. Die Karte der In­ Normdaten sowie persistente Identi­ cognition« (OCR) ist ein Werkzeug, von stitutionen, aus denen sich Teilneh­ fikatoren. Video-Mitschnitte sind hier dessen Qualität die Durchsuchbarkeit mer/-innen für die SWIB20 angemel­ zu finden: www.youtube.com/chan von Texten maßgeblich beeinflusst wird. det hatten, zeigt, dass die Konferenz nel/UCfLnEmKaWqtR_4V1CNeK6rQ/ Daher befasst sich die inzwischen dritte in ihrer rein virtuellen Ausführung videos Ausgabe der Workshop-Reihe »Retrodigi­ talisierung« mit Prozessen und Entwick­ lungen in der OCR – einem wichtigen Be­ standteil aller Digitalisierungsprojekte. Der Workshop umfasst verschiedene Vor­ Bibliotheksköfferchen für träge. Nach jedem Vortrag folgt eine Dis­ kussionsrunde, in der einzelne Aspekte Babys der vorangegangenen Präsentation the­  matisiert werden. Alle Informationen Stadtbibliothek Köln setzt auf frühkindliche Sprach- und nter: https://www.zbmed.de/ueber-uns/ Leseförderung presse/neuigkeiten-aus-zb-med/artikel/ einladung-virtueller-workshop-ocr-pro zesse-und-entwicklungen/

Inspiriert durch das Buchstart-Projekt in den Niederlanden gibt es nun auch für Kölner Ba- Yilmaz Holtz-Ersahin ist neuer bys ein Bibliotheksköfferchen. Natürlich nicht Direktor in Mannheim in orange wie im Nachbarland, sondern in den Kölner Stadtfarben rot und weiß. Eltern von Mannheim. Yilmaz Holtz-Ersahin, Kultur- Neugeborenen bekommen einen speziellen Gut- und Medienwissenschaftler und Lehrbe­ schein und erhalten damit in der Stadtbiblio- auftragter an der Heinrich Heine Uni­ thek Köln einen Mitgliedsausweis für sich und versität Duisburg, ist seit Februar die­ ihr Kind sowie zusätzlich das Starterköfferchen. ses Jahres Direktor der Stadtbibliothek Darin befinden sich neben dem Bibliotheksaus- Mannheim. Zuvor leitete Holtz-Ersa­ weis ein Bilderbuch, Vorlesetipps für Eltern, hin zwölf Jahre lang die Interkulturelle eine Leselatte für das Kinderzimmer und mehr- Bibliotheksköfferchen in den Bibliotheksarbeit der Stadtbibliothek sprachige Informationen zu den Angeboten der Kölner Stadtfarben. Foto: Duisburg. Er tritt die Nachfolge von Bernd Stadtbibliothek. Stadtbibliothek Köln Schmid-Ruhe an, der bereits zum 1. März 2020 eine Professur für Informations­ Für die Stadtbibliothek Köln ist die frühkindliche Sprach- und Leseförderung ein wissenschaften an der Hochschule der wichtiger Baustein ihrer Bildungsarbeit. Mit den Buchstartköfferchen knüpft sie Medien in Stuttgart übenommen hatte. an ihr Projekt Bücherbabys, eine literarische Krabbelgruppe für Eltern mit einem Als kommissarische Leiterin fungierte in Baby ab sechs Monaten an. Reime, Fingerspiele und Vorlesen sind als Teil einer Mannheim seither Stefanie Bachstein. ganzheitlichen Leseförderung bereits im Säuglingsalter wichtig und schon die Allerkleinsten profitieren in vielfacher Hinsicht vom Umgang mit Sprache und Büchern. Möglich wurde dies alles durch die Unterstützung des Fördervereins Ausbau des Fachinformations- der Stadtbibliothek, der Sparkasse KölnBonn sowie mit Förderung im Projekt dienstes Musikwissenschaft 360° der Kulturstiftung des Bundes. red. München/Dresden. Die Bayeri­ sche Staatsbibliothek (BSB) und die

094 FOYER NACHRICHTEN

Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB) starten die vierte Phase des Fa­ chinformationsdienstes (FID) Musikwis­ senschaft, ein von der Deutschen For­ schungsgemeinschaft seit 2014 geför­ dertes und nun um weitere drei Jahre verlängertes Projekt. Das Fördervolu­ men der vierten Phase liegt bei rund 2 Millionen Euro. Ziel des Projekts ist die Bereitstellung relevanter Informations­ angebote für die musikwissenschaftli­ che Spitzenforschung in Deutschland. In den kommenden drei Jahren bauen die Bayerische Staatsbibliothek und die Sächsische Landesbibliothek – Staats- und Universitätsbibliothek Dresden ihre bereits etablierten Angebote weiter aus und fügen neue Services hinzu.

Premiere: Bayerischer Der zweite Teil der vom Berufsverband Information Bibliothek (BIB) durchgeführten Fortbil- Bibliothekspreis dung »Miteinander reden: Demokratiearbeit erfolgreich gestalten« findet vom 1. bis 3. März online statt. Konditionen und Rahmenbedingungen können der BIB-Website unter https:// www.bib-info.de/fortbildung/bib-sommerkurse/bib-sommerkurs-2020/ entnommen werden. München. Erstmals verleihen das Bayeri­ Anfragen gehen an: [email protected] sche Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst und der Bayerische Biblio­ theksverband (BBV) in diesem Jahr den zwischen Buch und Makerspace«, die dbv-Landesverband Baden-Würt- Bayerischen Bibliothekspreis. Diese Aus­ vom 16. bis 20. Februar in der Akademie temberg wählt neuen Vorstand zeichnung wird für die erfolgreiche Ent­ der Kulturellen Bildung in Remscheid wicklung und Umsetzung innovativer und geplant war, fällt aus. Dazu teilten die Stuttgart. Am 10. Dezember 2020 zukunftsweisender Bibliotheksangebote Veranstalter mit: »Obwohl wir alle in der wurde auf der Mitgliederversammlung verliehen und ist mit insgesamt 15 000 Zwischenzeit mehr Erfahrung mit On­ des Landesverbandes Baden-Württem­ Euro dotiert. Bewerbungen können bis line-Angeboten und digitalen Formaten berg im Deutschen Bibliotheksverband zum 31. März eingereicht werden: ht­ gemacht haben und die Akademie Rem­ (dbv) turnusgemäß ein neuer Vor­ tps://bibliotheksverband.de/landesver scheid uns bei der Umsetzung einer digi­ stand für die dreijährige Amtszeit ab baende/bayern/auszeichnungen.html talen Fachkonferenz ihre Unterstützung Januar 2021 gewählt. Der Vorsitzende zugesagt hat, haben wir uns dagegen des Landesverbandes, der Karlsruher entschieden, weil es bedeutet hätte, nur Oberbürgermeister Frank Mentrup, Hans Popst verstorben einen sehr kleinen Teil des Programms wurde ebenso wiedergewählt wie der anbieten zu können.« stellvertretende Vorsitzende, Staats­ München. Bereits am 27. November ist sekretär im Kultusministerium Volker Hans Popst im Alter von 80 Jahren ver­ Schebesta (MdL). Die weiteren Mit­ storben. Der Diplom-Bibliothekar war Zwei BIB-Aktive in Projektbeirat glieder des Vorstands gehören dem unter anderem jahrzehntelang für die berufen bibliothekarischen Berufsstand an: RAK- und Bibliografie-Ausbildung in Ebenfalls wiedergewählt wurden Julia Bayern zuständig. Im Berufsverband In­ Reutlingen. Gleich zwei ehrenamtlich Freifrau Hiller von Gaertringen (Ba­ formation Bibliothek (BIB) und seinen Aktive des Berufsverbands Informa­ dische Landesbibliothek), Alexander Vorgängerverbänden ist Popst über 53 tion Bibliothek (BIB) sind in den »Pro­ Ewald (Bibliothek der Pädagogischen Jahre lang Mitglied gewesen. jektbeirat zur Voruntersuchung zur Hochschule Karlsruhe), Katharina Neuordnung der Berufsausbildung des Ebrecht (Bibliothek der Hochschule FaMI« berufen worden: Sibylle Fröh­ Reutlingen), Jürgen Blim (Fachstelle Fachkonferenz fällt aus lich, Mitglied des BIB-Bundesvorstands, für das öffentliche Bibliothekswesen und Karin Holste-Flinspach, Vorsitzende beim Regierungspräsidium Tübin­ Remscheid. Die Fachkonferenz »Was der BIB-Kommission Ausbildung und gen) sowie Andrea Krieg (Stadtbiblio­ geht? – Die Kinder- und Jugendbibliothek Berufsbilder. thek Karlsruhe). Bei ihr liegt auch die

BuB 73 02-03/2021 095 FOYER NACHRICHTEN

Kooperativ – agil – virtuell! Mobiles Arbeiten in Bibliotheken  24. BIB-Sommerkurs vom 19. bis 22. Juli 2021 im virtuellen Raum

Der Wechsel zwischen dem Arbeits- schärft den Blick für agile Arbeitsorga­ gezielt und vertieft mit den Fragestel­ platz in der Bibliothek mit Tätig- nisation. Dorothea Zechmann, Deut­ lungen auseinanderzusetzen. Bewusst keiten im Publikumsservice, in der sche Nationalbibliothek in Frankfurt werden hierbei sowohl Wissenschaft­ Medienvermittlung oder bei Veran- und Mitglied der dbv-Rechtskommis­ liche als auch Öffentliche Bibliothe­ staltungen und der Arbeit im Home- sion, sorgt für das Update in rechtli­ ken in den Blick genommen – das Pro­ office ist vielen Mitarbeitenden in- cher Hinsicht. Karin Langenkamp und gramm ist spartenübergreifend. zwischen vertraut. Die Vor- und Jens Winalke sind beide Mitglieder Eingeladen zur Teilnahme sind Nachteile sind bekannt, und der der BIB-Kommission für Fortbildung Mitarbeitende an Öffentlichen und Trend, das mobile Arbeiten zu ver- und sowohl in beruflicher Hinsicht als Wissenschaftlichen Bibliotheken, be­ stetigen, ist deutlich wahrnehmbar. auch im Rahmen des Berufsverbandes rufliche Wiedereinsteiger/-innen, Be­ kompetent in der Anwendung und Ver­ rufsanfänger/-innen und Studierende. Viele Mitarbeitende haben sich durch mittlung kollaborativer Tools der Zu­ Neben den Seminarinhalten gibt es learning by doing in den letzten Mo­ sammenarbeit im virtuellen Bereich. an den Abenden im Rahmenprogramm naten ihren Arbeitsalltag indivi­ für die Teilnehmenden die Mög­ duell eingerichtet, sind aber bis­ lichkeit, durch gemeinsame Ak­ weilen noch nicht zufrieden mit tivitäten ein persönliches Netz­ ihrer Arbeitsorganisation. werk zu knüpfen. Hier setzt der Sommerkurs Der Kurs ist von Montag, 19. 2021 des Berufsverbands Infor­ Juli, bis Donnerstag, 22. Juli mation Bibliothek (BIB) an und 2021, jeweils vormittags geplant wird den inhaltlichen und orga­ mit Abendsequenzen. nisatorischen Bogen spannen, Die Teilnahmegebühr be­ um den Teilnehmerinnen und trägt für BIB-Mitglieder (ebenso Teilnehmern mehr Sicherheit und Mitglieder des VDB und der Kompetenz in der Gestaltung ih­ Partnerverbände aus Österreich, res Arbeitsplatzmodells geben. Foto: Thananit - stock.adobe.com Südtirol, Luxemburg und der Zusätzlich werden sie in die Lage ver­ Schweiz) 120 Euro, für Nichtmit­ setzt, in ihren Bibliotheken als Multip­ Sie runden den Sommerkurs durch ein glieder 240 Euro. Die Gebühr umfasst likatorinnen und Multiplikatoren sowie interaktives Schulungsmodul mit den die Kosten für das inhaltliche Kurspro­ als Beraterinnen und Berater zu wirken. Teilnehmerinnen und Teilnehmern ab. gramm und den Support bei der tech­ Die Programm-Module beschäfti­ Die Seminarorganisation sieht nischen Anbindung. gen sich mit Fragen der Kommunika­ das gemeinsame Lernen in Halbtags­ Bitte melden Sie sich ab sofort ver­ tion im Team, mit Tagesstrukturierung sequenzen am Vormittag vor. Die Er­ bindlich bis spätestens 15. Mai über und Abgrenzung, rechtlichen Fragen, fahrung hat gezeigt, dass so sowohl den BIB-Fortbildungskalender an mit technikbasierten kollaborativen der Lerneffekt optimal ist als auch die (www.bib-info.de/fortbildung/fortbil Tools und Instrumenten des agilen Ar­ Möglichkeit besteht, die Teilnahme dungskalender/). Die Zahl der Anmel­ beitens. Für den kompetenten Input am Sommerkurs und die Arbeit im Job dungen ist auf 20 Personen begrenzt. sorgen Referentinnen und Referenten, miteinander zu verbinden. Der ausführliche Programmab­ die ihr Know-how in bewährter Quali­ Der Kurs ist gleichzeitig Ort der lauf ist unter www.bib-info.de/fort tät auch online vermitteln. Qualifizierung, des Austauschs und bildung/bib-sommerkurse/ abruf­ Christiane Brockerhoff, erfah­ der Reflexion. bar. Fragen gerne per Mail an sommer rene Trainerin im Bibliothekssektor, Der Sommerkurs gibt auch in der [email protected] oder telefonisch an übernimmt den Teilbereich der Kom­ Umsetzung als Online-Seminar den Ulrike Kraß (0761/201 2205). munikation und Arbeitsstruktur. Ul­ einmaligen Rahmen, sich gemeinsam rike Wunder, selbstständige Coachin, mit Fachkolleginnen und -kollegen BIB-Kommission für Fortbildung

096 FOYER NACHRICHTEN

ehrenamtliche Geschäftsführung. Neu enschau in Überlingen am Bodensee, Wissenschaftliche Informationen in den Vorstand gekommen ist Beate die coronabedingt um ein Jahr ver­ über zentrale Plattform Meinck (Stadtbibliothek Reutlingen). schoben worden ist – erwartet das in­ Die Hauptaufgabe des Verbandes liegt teressierte Publikum eine besondere Zürich (Schweiz). Am 7. Dezember in den kommenden Jahren in der Ent­ Szenerie: eine Bibliothek mit über ein­ 2020 war es soweit: Die nationale Bi­ wicklung beziehungsweise Umsetzung tausend Werken der Bodensee-Litera­ bliotheksplattform swisscovery ging eines Bibliotheksentwicklungsplanes turgeschichte – und das unter freiem live. Über swisscovery haben Nutze­ für Baden-Württemberg sowie in der Himmel. Begleitet wird die Bibliothek rinnen und Nutzer seither Zugriff auf strategischen Ausrichtung des Lan­ von einer Lesungsreihe mit renom­ den gesamten Bestand wissenschaftli­ desverbandes, der bis jetzt keine dau­ mierten Autoren und Autorinnen der cher Informationen aus 470 Bibliothe­ erhafte Bezuschussung vom Land Ba­ gesamten Bodenseeregion. Mit dabei ken der Schweiz. Dieser nationale Zu­ den-Württemberg erhält. sind Peter Stamm, Eva Gesine Baur, sammenschluss von Bibliotheken zu Manfred Bosch, Verena Roßbacher einer gemeinsamen Bibliotheksplatt­ und Zsuzsanna Gahse. Gleichzeitig form ist laut Initiatoren weltweit ein­ Bibliothek präsentiert Bücher erinnert die Reihe aber auch an be­ zigartig und bietet Zugriff auf mehr unter freiem Himmel reits verstorbene Dichter vom See wie als 40 Millionen Bücher, Serien, Zeit­ Werner Dürrson, Tami Oelfken, An­ schriften und Non-Book-Materialien Überlingen. Bei der diesjährigen ba­ nette von Droste-Hülshoff und Mar­ sowie mehr als 3 Milliarden elektroni­ den-württembergischen Landesgart- kus Werner. sche Artikel.

Frankfurter Buchmesse stellt sich für Zukunft neu auf  Hybrides Buchmessekonzept geplant / Geschäftsführer Boos gibt Stellenabbau bekannt

Die Frankfurter Buchmesse hat ei- Parallel zur internen Neuaufstel- sollen daher in diesem Jahr weiter- nen Prozess zur Modernisierung ih- lung habe es intensive Gespräche mit entwickelt werden und das physische res Konzeptes begonnen. Das gab die circa 200 deutschen und internationa- Event ergänzen. Buchmesse bekannt. Ziel ist es dem- len Aussteller/-innen der Frankfurter 2020 musste die Frankfurter nach, den Fortbestand der Messe am Buchmesse gegeben. Einig seien sich Buchmesse infolge der Corona-Pan- Standort Frankfurt am Main langfris- alle Befragten darin gewesen, dass demie ganz auf Standpräsentatio- tig zu sichern. eine physische Messe, so es die Pan- nen in den Frankfurter Messehallen demie zulässt, stattfinden solle. Die verzichten. Alle Präsenzveranstal- Wie die Buchmesse weiter mitteilte, Messe solle sich jedoch auf das We- tungen auf dem Messegelände wur- wurden die Unternehmensstruktu- sentliche konzentrieren – eine Han- den abgesagt. Stattdessen veran- ren verschlankt, beispielsweise durch delsplattform für das internationale staltete die Messe ein multimediales die Zusammenlegung von Abteilun- Geschäft mit Rechten und Lizenzen Alternativprogramm. gen. Der bereits im November ange- anzubieten und das Networking der in- »Die im vergangenen Jahr gewon- kündigte Stellenabbau ist weitgehend ternationalen Buch- und Verlagsbran- nenen wertvollen Erfahrungen werden abgeschlossen. »Wie viele andere Un- che zu ermöglichen. in das künftige Konzept der Frankf- ternehmen ist auch die Frankfurter urter Buchmesse einfließen«, sagte Buchmesse existentiell von der Co- Alexander Skipis, Hauptgeschäftsfüh- vid-19-Pandemie betroffen. Infolge- Erweitertes virtuelles Programm rer des Börsenvereins des Deutschen dessen mussten wir ein Restruktu- Buchhandels. Die Überlegungen der rierungsprogramm einleiten, das mit Alle befragten Aussteller/-innen hät- Frankfurter Buchmesse gehen dabei schmerzhaften und weitreichenden ten den Wunsch nach flexiblen Prä- über die Planungen für die Messe im Veränderungen einhergeht«, kommen- sentationsformaten geäußert, teilte laufenden Jahr hinaus. tierte Juergen Boos, der Direktor der die Buchmesse mit. Die digitalen An- Frankfurter Buchmesse den Prozess. gebote der Frankfurter Buchmesse red

BuB 73 02-03/2021 097 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Stefanie Hotze Inklusive Sprache in der Online-Kommunikation von Bibliotheken  Analyse bestehender Angebote / Handlungsvorschläge für Verbesserungen

Sprache schafft Realität. Sprache ist im Wandel. Schon im- Inklusive Sprache bezeichnet einen Sprachgebrauch, der mer hat sich die Sprache geändert, nicht nur die Recht- dazu beitragen soll, dass alle Menschen gleichberechtigt einbe- schreibung, sondern auch die Worte und deren Bedeutung zogen werden und mitgemeint sind. Außerdem werden Aspekte sind einem steten Wandel unterworfen. Dieser Wandel wie Geschlecht, Behinderung, race2 und Sprache mitberücksich- führt auch dazu, dass man mit der Art, wie wir Menschen tigt. Inklusive Sprache soll somit geschlechtergerecht, diskrimi- im schriftlichen Bereich ansprechen, verschiedene Grup- nierungsfrei und verständlich sein. Zur Umsetzung dieser An- pen aus- oder einschließen kann. forderungen werden Mittel der geschlechtergerechten Sprache, der Leichten Sprache, Gebärdensprache und Übersetzungen in Wurde früher das generische Maskulinum noch als »alle mit­ weitere Sprachen angewendet. Bei inklusiver Sprache handelt meinend« verstanden, hat sich diese Ansicht in den letzten es sich nicht um eine neue Sprache, sondern sie entspricht mehr Jahren geändert. Auch weil eine Vielzahl von Studien genau einem Werkzeugkasten zur sprachlichen Einbeziehung aller das belegt, Frauen fühlen sich nicht angesprochen, wenn die Menschen. ausschließlich männliche Form verwendet wird. Und auch das lang vorherrschende binäre System der Geschlechter, also männlich und weiblich, öffnet sich und so müssen Wege gefun­ Der Baukasten für inklusive Sprache den werden, wie man die Menschen anspricht, die sich nicht als männlich/weiblich verorten. Wie bereits in der Definition zu lesen, setzt sich inklusive Spra­ So vielfältig, wie die Bestände von Bibliotheken sind, so che aus verschiedenen Komponenten zusammen. Diese Bau­ vielfältig sind auch die Nutzenden. Dieser Diversität muss in steine sollen hier in aller Kürze erklärt werden. der (Online-)Kommunikation Rechnung getragen werden. Ver­ schiedene Nutzende haben verschiedene Ansprüche. Sei es bei den verwendeten Pronomen, bei der Sprache, in der wir etwas Geschlechtergerechte Sprache schreiben, oder welche Begriffe verwendet werden. In meiner Masterarbeit1 habe ich verschiedene Internetpräsenzen von Bi­ Grundlegend wird zwischen der Ansprache von zwei Ge­ bliotheken hinsichtlich diverser Kriterien der inklusiven Spra­ schlechtern, weiblich und männlich, oder der Ansprache von che ausgewertet. allen Geschlechtern unterschieden, denn nicht jede Person kann oder möchte in das binäre Geschlechtersystem eingeord­ net werden. Es gibt vielfältige Möglichkeiten für beide Varian­ Was ist inklusive Sprache? ten, einen Überblick bietet eine Abbildung, die in der BuB-App zu finden ist. Hier stand ich gleich zu Beginn vor einer Hürde, denn eine überzeugende Definition für den Begriff »inklusive Sprache« konnte ich nicht finden. Bei der Suche über gängige Suchma­ Leichte Sprache schinen mit der Phrase »inklusive Sprache« verweisen die Er­ gebnisse fast ausschließlich auf geschlechtergerechte Sprache. Leichte Sprache ist eine Abwandlung der eigenen Mutter­ Diese ist zwar ein Teil von inklusiver Sprache, sollte jedoch sprache für eine sehr heterogene Zielgruppe. Sie wurde nicht als Synonym dafür verwendet werden. Daher habe ich unter anderem für Menschen mit Lernschwierigkei­ als Grundlage für meine Arbeit eine eigene Definition entwi­ ten oder Menschen mit Demenz entwickelt, auch funk­ ckelt. Diese lautet wie folgt: tionale Analphabet*innen oder Menschen mit geringen

098 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Deutschkenntnissen können sie nutzen.3 Sie folgt festge­ Gebärdensprache legten Regeln und soll von möglichst vielen Menschen ver­ standen werden. Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache. Es gibt keine global gültige Gebärdensprache, auch hier gibt es viele verschiedene Sprachen. Für viele gehörlose Menschen ist Nicht-diskriminierende Sprache Gebärdensprache ihre Muttersprache und die Lautsprache Deutsch dementsprechend ihre erste Fremdsprache. Auf­ Hierbei geht es vor allem um das Nicht-Verwenden von Begrif­ grund dessen sind Videos in Gebärdensprache auch wichtig, fen beziehungsweise darum, die Begriffe zu verwenden, die die denn umfangreiche Texte in einer Fremdsprache zu verste­ jeweilige Community für sich festgelegt hat. hen, ist nicht immer einfach. Dies trifft nicht auf alle Men­ Dass für die Beschreibung von Schwarzen nicht mehr das schen zu, die die Gebärdensprache verwenden, aber zumin­ N-Wort verwendet wird. Stattdessen sollte die Selbstbezeich­ dest auf einen Teil. nung BPoC (Black People of Colour) genutzt werden. Aber zum Beispiel ist auch das Wort Ind*aner4 diskriminierend und keine Selbstbezeichnung dieser Community (Besser ist die Bezeich­ Personalpronomen nung »indigene Bevölkerung Amerikas«.). Ein weiteres Prinzip ist, dass der Mensch zuerst genannt Personalpronomen erscheinen im ersten Augenblick sicher tri­ wird. Also anstatt Behinderter zu sagen, ist die korrekte Form: vial, wenn es um inklusive Sprache geht. Sie sind aber eine der Menschen mit Behinderung. Denn die Behinderung ist nur eine einfachsten Möglichkeiten, alle Menschen mit einzubeziehen. Eigenschaft des Menschen und macht den Menschen nicht in Dafür sollte die Verwendung der Pluralformen bevor­ seiner Gesamtheit aus. zugt werden. Alternativ funktioniert auch das höfliche Sie­ zen oder das informellere Duzen. Bei all diesen Varianten ist es nicht nötig, eine geschlechtliche Zuordnung über er oder sie Mehrsprachigkeit vorzunehmen. Es gibt für geschlechterneutrale Formen der Personalpro­ Ein Großteil aller Bibliotheken in Deutschland hat Nutzende, nomen viele Lösungen, wobei für den deutschen Sprachraum deren Muttersprache nicht Deutsch ist. Daher ist es hilfreich, bisher kein Favorit zu erkennen ist. Formen, die bereits Anwen­ für diese Nutzenden entweder die gesamte Website oder zu­ dung finden sind: mindest die wichtigsten Informationen zur Nutzung der Bib­ liothek in mindestens eine weitere Sprache zu übersetzen. Vor­ • they/them (aus dem Englischen, aber im Singular zu wiegend wird hier sicherlich Englisch gewählt. Wobei Biblio­ verwenden) theken in Grenznähe zu nicht-deutschsprachigen Ländern auch • sie_er (also als Mischform aus sie und er, verbunden durch Informationen in der entsprechenden Landessprache zur Ver­ den Gendergap) fügung stellen. • xier (geschlechtsneutral)

In eigener Sache: Genderregel in BuB

Eine geschlechtergerechte Schreibweise zu verwenden ist In einem Schwerpunkt zum Thema Diversität mit Beiträ- auch für BuB ein aktuelles und wichtiges Thema. BuB nutzt gen unter anderem zu Inklusiver Sprache, Homophobie und dazu die vom Duden empfohlene Schrägstrichschreibweise. Sexismus können und möchten wir keine Schreibregel an- Anstatt von den Nutzern einer Bibliothek, schreiben wir also wenden, die möglicherweise einige Leser*innen ausschließt. Nutzer/-innen. Mit dieser Schreibweise möchten wir einer- Daher verwenden wir im Schwerpunkt dieser Ausgabe das seits eine möglichst gute Lesbarkeit unserer Texte erzielen Gendersternchen. In den übrigen Heftteilen verwenden wir und gleichzeitig auch möglichst gendergerecht schreiben. unsere bisherige Schreibweise. Liebe Leser*innen, wie stehen Sie zu dem Thema und Als Redaktion ist uns aber bewusst, dass wir mit dieser Re- was für einen Umgang mit gendergerechter Sprache wün- gelung noch nicht die perfekte Lösung gefunden haben, dass schen Sie sich in BuB? Wir freuen uns über jeden Leser*in- sich manche Leser*innen womöglich sprachlich ausge- nenbrief von Ihnen. Schreiben Sie uns an bub@ bib-info.de schlossen fühlen. Daher evaluieren wir diesen Aspekt ständig und passen unsere Schreibregeln gegebenenfalls auch un- Steffen Heizereder, kompliziert an. So auch im Heftschwerpunkt dieser Ausgabe. BuB-Redakteur

BuB 73 02-03/2021 099 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Auswahl der Bibliotheken Stefanie Hotze (M.A. LIS), ge- Um einen möglichst umfassenden Eindruck über die Verwen­ boren 1983, studierte Biblio- dung inklusiver Sprache in der deutschen Bibliotheksland­ theks- und Informationswis- schaft zu gewinnen, wurden Stadt-, Universitäts- und Hoch­ senschaft auf Diplom an der schulbibliotheken untersucht. Als Datengrundlage dient dabei HTWK Leipzig. Arbeitet seit die Deutsche Bibliotheksstatistik und die darin verzeichneten 2013 an der Universitätsbiblio- Bibliotheken. thek Erlangen-Nürnberg. 2020 Dabei sind alle 77 Universitätsbibliotheken erfasst, bei den schloss sie ihr Master-Fern- Stadt- und Hochschulbibliotheken handelt es sich jeweils um studium an der Humboldt Uni- Stichproben. Von 129 Hochschulbibliotheken wurden 56 über versität zu Berlin ab. eine Zufallsstichprobe ausgewählt. Bei den Stadtbibliotheken erfolgt eine nochmalige Aufteilung nach Bevölkerungsgröße. Dabei startet die Abfrage bei Bibliotheken, die in Orten mit mindestens 30 000 Einwohner*innen liegen. Dies liegt daran, Geschlechter berücksichtigt. 53 von den 305 Bibliotheken nut­ dass bei einem Pretest festgestellt wurde, dass Bibliotheken, die zen bereits die sprachlichen Möglichkeiten, um alle Geschlech­ in kleineren Ortschaften liegen, keine aussagekräftigen Websi­ ter anzusprechen. tes besitzen. Meist ist ihre Internetpräsenz auf die Angabe von 20 der Bibliotheken stellen Informationen in Leichter Spra­ Öffnungszeiten auf der Seite der jeweiligen Stadt beschränkt. che zur Verfügung. Es handelt sich dabei ausschließlich um Es gab also schlicht keine verwertbaren Texte zur Auswertung Stadtbibliotheken. Und nur drei Bibliotheken haben Videos mit für die Untersuchung. Informationen in Gebärdensprache. Weiterhin wurden bei den Stadtbibliotheken alle unter­ Es gibt auch zwischen den Bibliothekstypen Unterschiede sucht, die eine Einwohner*innenzahl über 500 000 haben, das bei der Verwendung inklusiver Sprache. So ist es bei Univer­ sind in Deutschland 14 an der Zahl. sitäts- und Hochschulbibliotheken üblich, dass die Webseiten Alles in allem wurden damit die Webauftritte von 305 Bib­ auch auf Englisch verfügbar sind. Bei Stadtbibliotheken war liotheken untersucht. Die Auswertung fand Ende November bis dies leider häufig nicht der Fall.5 Aber die Stadtbibliotheken be­ Anfang Dezember 2019 statt. helfen sich damit, die Informationen als pdf-Datei in verschie­ denen Sprachen zur Verfügung zu stellen. Weiterhin kam ich zu dem Ergebnis, dass mit steigender Be­ Ergebnisse der Untersuchung völkerungszahl auch die Zahl der Bibliotheken steigt, die zu­ mindest in Teilen inklusive Sprache in der Kommunikation ein­ Ich möchte einige der Ergebnisse vorstellen, die ich als beson­ setzt. Ab einer Einwohner*innenzahl von 100 000 verwenden ders wichtig ansehe. Dabei gibt es positive Tendenzen, aber etwa 40 Prozent der Bibliotheken geschlechtergerechte Spra­ auch Bereiche, die noch ausgebaut werden können. che, die mehr als zwei Geschlechter anspricht. Bei den Biblio­ Bezogen auf alle untersuchten Kommunikations­ theken in Städten mit geringer Bevölkerungszahl sind es ledig­ kanäle verwendet die Hälfte der untersuchten Biblio­ lich zehn Prozent. Noch deutlicher ist der Unterschied beim theken bereits geschlechtergerechte Sprache, die zwei Vorhandensein von Informationen in anderer Sprache, da sind es bei Großstadtbibliotheken weit über die Hälfte. Und schlussendlich gibt es auch Unterschiede bei der Ver­ wendung inklusiver Sprache in Abhängigkeit von der verwen­ 1 Die komplette Arbeit ist online abrufbar: https://edoc.hu-berlin. deten Plattform. Die Social-Media-Kanäle werden von (fast) al­ de/handle/18452/22591 len Bibliotheken auf Deutsch betrieben. Leichte Sprache und 2 Der Begriff »race« lässt sich nicht einfach mit »Rasse« überset- Gebärdensprache findet man ausschließlich auf den offiziellen zen, da dieses Wort in Deutschland negativ besetzt ist und daher Webauftritten. Und bei Twitter gibt es tatsächlich eine kleine nicht verwendet werden sollte. Im englischen Sprachraum wird er gesellschaftspolitisch gesehen und meint in erster Linie eine Mehrheit für die Verwendung von geschlechtergerechter Spra­ Gruppe von Menschen mit verbindenden Eigenschaften. Daher che für mehr als zwei Geschlechter. Alles in allem ist die am wird in Ermangelung einer treffenden deutschen Übersetzung das meisten verwendete Ansprache über Personalpronomen im englische Wort beibehalten. Plural. Das ist insofern eine gute Strategie, weil damit tat­ 3 Bredel/Maaß: Leichte Sprache. Dudenverlag, 2016 sächlich alle angesprochen werden. 4 Das Sternchen an dieser Stelle dient dazu, den rassistischen Die Untersuchung von nicht-diskriminierender Sprache hat Begriff nicht zu reproduzieren. Alternativ kann man auch den sich als schwierig erwiesen. Etwa zehn Prozent der Bibliotheken Begriff »I-Wort« nutzen. (Hierzu auch »Dear Discrimination« vom Kollektiv wirmüsstenmalreden, S. 126) nutzen den Begriff »barrierefreier Zugang«, früher wurde der 5 Es sind keine eigenständigen Webauftritte, sondern Teile vom Begriff »Behinderteneingang« genutzt. Allerdings ist dies mitt­ Webauftritt der Stadt. Diese übersetzen scheinbar nur die touris- lerweile eine offizielle und gebräuchliche Bezeichnung. Und tisch interessanten Unterseiten in andere Sprachen. (Beobach- auch wenn es nicht Gegenstand der Untersuchung war, so bin tung der Autorin) ich häufig über den Begriff »Ind*aner« gestolpert, vor allem in

100 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

ANZEIGE

Hinblick auf Medienkisten. Wie bereits am Anfang erklärt, ist dies eine Fremdzuschreibung, auf die verzichtet werden sollte. Dies ist ein Beispiel dafür, dass die Problematik von nicht-diskri­ Zwei Welten. minierender Sprache noch intensiver behandelt werden sollte. Ein System. Was können wir machen? WinBIAP.

Zuerst einmal lässt sich aus der Untersuchung ein positives Fazit ziehen, viele Bibliotheken verwenden bereits mehrere Bausteine der inklusiven Sprache. Allen voran ist wohl die ge­ schlechtergerechte Sprache am weitesten verbreitet. Aber auch 1.000+ die Leichte Sprache ist im Bereich der Stadtbibliotheken ver­ Bibliotheken breitet. In meiner Masterarbeit war es mir leider nicht möglich, bundesweit Handlungsvorschläge zu geben, daher möchte ich das an die­ ser Stelle nachholen. Bitte betrachten sie dies als Anregungen, Deutscher Ideen, Diskussionsgrundlagen. Dieser Beitrag ist ein temporä­ Bibliotheks- verband rer Ist-Stand, die Entwicklung inklusiver Sprache schreitet vo­ Sektionen: ran und hoffentlich auch die Akzeptanz dafür. 2 | 3A | 3B | 6 | 8 Ich möchte daher allen Mitarbeitenden, die Texte für die In­ ternetpräsenzen verfassen, Mut machen, mehr inklusive Spra­ che zu nutzen. Besprechen sie im Team, welche Zielgruppen sie haben und welche Bausteine dazu passen. Seien sie auch selbstkritisch, schauen sie die vorhandenen Texte und Beiträge ihrer Webauftritte an (offizielle Website und Social-Media-Ka­ näle). Welche Bausteine der inklusiven Sprache verwenden sie bereits? Was fehlt ihnen vielleicht, weil sie wissen, dass sie Nut­ zende haben, die davon profitieren würden? Sollten sie bei Texten für die offizielle Internetpräsenz be­ reits Vorgaben für die zu verwendende Sprachvarianten haben, dann nutzen sie vorhandene Freiräume, um auf den Social- Media-Kanälen Formen der Ansprache zu testen. Wenn sie bis­ her zum Beispiel immer »Liebe Nutzerinnen und Nutzer« ge­ schrieben haben, versuchen sie es mit »Liebe Nutzende« oder »Liebe Nutzer*innen«. Wenn sie in einer Universitäts- oder Hochschulbibliothek arbeiten, fragen sie kritisch nach, warum es keine Informationen in Leichter Sprache gibt. Menschen, die auf Leichte Sprache angewiesen sind, sollten nicht als Nut­ zende ausgeschlossen werden, indem ihnen der Zugang zu wichtigen Informationen nicht bereitgestellt wird. Es gibt vielfältige Stellschrauben, die zu Verbesserungen füh­ ren können. Die bewirken, dass mehr Menschen entsprechend ihren Bedürfnissen angesprochen werden. Wichtig ist immer, das Ganze als (Lern-)Prozess zu gestalten. Niemand wird über Nacht Expert*in auf dem Gebiet inklusive Sprache. Man lernt Bibliotheks-Management-Software in dem Bereich nie aus. Denn wie schon am Anfang festgestellt, Sprache entwickelt sich immer weiter. Außerdem ist inklusive WordPress Sprache stark verknüpft mit dem wachsenden Bewusstsein für NEUE meets Diversität in der Bevölkerung. Und Bibliotheken haben hier die FEATURES App für Leser Chance, einen wichtigen Beitrag zur Akzeptanz zu leisten. und Bibliotheken

Pooldaten Medien- • Buchhandel, services Einen Überblick über unterschiedliche gegen- DNB, ekz, … • Buchhandel, ekz, … • Covers, • Konfektionierung derte Schreibformen finden Sie in der BuB-App. Internet-Links • eRechnung • E-Medien • Standing Orders

BuB 73 02-03/2021 101 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Wolfgang Kaiser Klassismus – (k)ein Thema in Bibliotheken und an Hochschulen?  Plädoyer für die Berücksichtigung der Diskriminierungskategorie Klasse/»soziale Herkunft«

In der Novemberausgabe 2020 von BuB wurde auf Seite nicht mit dem übereinstimmt, was die sogenannten Erforder­ 6281 darauf hingewiesen, dass das Thema Diversität in Bi- nisse im akademischen Feld sind. Die Auswirkungen diesbe­ bliotheken (auch in den USA) zwar eine Rolle spielt, aber züglich zeigen sich bei den einzelnen Betroffenen, die sich als dabei hauptsächlich Kategorien wie Alter, Migrationshin- »mangelhaft« wahrnehmen. Ein Begriff, der durchaus synonym tergrund, Geschlecht, Gender und sexuelle Orientierung diesbezüglich verwendet wird, ist der der institutionalisierten vorherrschend sind. Die Soziologen Gerhards und Sawert Diskriminierung.6 Werden Gründe des Studienabbruchs hin­ wiesen im Jahr 2018 in einer Studie der Freien Universi- terfragt bzw. statistisch erfasst? Welche Rolle spielt die soziale tät Berlin zurecht darauf hin, dass es bei den Diversitäts- Herkunft bei der Wahl für das Studium zur Bibliothekar*in? diskursen an Hochschulen hauptsächlich um die Merkmale Hat diese einen Einfluss auf die Studienwahl? Wenn ja wel­ Geschlecht und sexuelle Orientierung geht.2 Ähnlich wie chen? Bevor überhaupt die eigene Bibliotheksarbeit nach der Hochschulen entwickelten inzwischen auch mehrere Bib- Diversitätskategorie der Klasse hinterfragt und analysiert wird, liotheken im Bereich der Öffentlichen Bibliotheken Leitbil- sollte bereits im Studium bzw. der Ausbildung diese Thema­ der und schufen Stellen, die den Schwerpunkt der Aufgaben tik innerhalb der Diversitätspolitik einen bedeutenderen Stel­ auf die Diversitätsthematik legten. Zu Recht konstatierten lenwert erhalten als bisher. Was bedeutet dies nun für die Bib­ die Autoren der Studie, dass es bei der Diversitätspolitik liotheksarbeit? Sind Bibliotheken klassenlose Orte, bei denen meistens um eine Gleichstellungs- und Antidiskriminie- weder die Herkunft des Personals noch die der Kund*innen rungspolitik geht.3 eine Rolle spielt? Der Soziologe Butterwegge analysierte zu­ treffend, dass die Bürger*innen demokratischer Staaten nur Was nun als relevant erachtet wird, hängt von den jeweiligen an der Oberfläche gleich sind und es nach wie vor große Un­ gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen ab.4 Im Gegensatz gleichheiten gibt, die sich in Klassen und Schichten manifes­ zur Privatwirtschaft geht es im Öffentlichen Dienst, respektive tieren.7 Reckwitz schreibt in seinem aktuellen Buch über die in Bibliotheks- und Informationseinrichtungen um die Eman­ Drei-Klassen-Gesellschaft: Neue Mittelklasse, alte Mittelklasse zipation und Verwirklichung von Chancengleichheit. Gerhards und prekäre Klasse.8 Motzko machte darauf aufmerksam, dass und Sawert fanden heraus, dass die Benachteiligungskatego­ die Belegschaft von Bibliotheken meist den bürgerlich-traditi­ rie soziale Herkunft bzw. Klasse im Hochschulkontext nicht onalistisch-intellektuellen Milieus entstammt, was sich dann erwähnt wird und machten auf die in Vergessenheit geratene doch sehr häufig nach wie vor auf die Kund*innengruppen und Klassenfrage aufmerksam, die die Studentenbewegung in den den Bestand auswirken kann.9 1960er-Jahren in den Mittelpunkt rückte.5 Das trifft ebenso auf Hochschulen bzw. Ausbildungseinrich­ tungen zu, die angehende Bibliothekare und Bibliothekarinnen Definitionen / Begriffsabgrenzungen besuchen. Lars Schmidt kam nach Analyse von Habitus-Struk­ tur-Konflikten basierend auf Bourdieus Theorie zu dem Ergeb­ Böhm konstatierte 2020 folgerichtig, dass Klassismus als eine nis, dass der Habitus von studierenden Arbeiter*innenkindern klassenbedingte Form von Diskriminierung betrachtet wird und

1 Kaiser, 2020, S. 628: »Die American Library Association und ihr Umgang mit Armut und Obdachlosigkeit« 2 Gerhards/Sawert, 2018, S. 527 3 www.stimme.de/heilbronn/nachrichten/region/heilbronner-bibliothek-fuer-alle;art140897,4371162 4 Gerhards/Sawert, 2018, S. 527-528 5 www.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/soziale-herkunft-als-die-vergessene-seite-des-diversitaetsdiskurses-15977472.html 6 https://heimatkunde.boell.de/de/2008/02/18/institutionelle-diskriminierung-im-bildungs-und-erziehungssystem-theorie 7 Butterwegge, 2020, S. 142 8 Reckwitz, 2019, S. 63 9 Motzko, 2008, S. 52

102 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

in der deutschsprachigen Wissenschaftscommunity bisher kaum den 1970er-Jahren in den USA auf. Seine Verwendung erfolgt rezipiert wurde.10 Die griffigste Definition von Klassismus fin­ häufig im Zusammenhang mit den Termini »Rassismus« und det sich auf der Webseite des Paritätischen Wohlfahrtsverban­ »Sexismus« und wird als Parallelbildung bezeichnet.17 Die erst­ des: »Klassismus ist die Diskriminierung aufgrund der sozialen malige Verwendung geht auf das Jahr 1974 zurück, als lesbi­ Schicht, zu der jemand gezählt wird oder sich selbst zählt. Kurz sche Frauen aus Arbeiterfamilien auf ihre Diskriminierungser­ gesagt, haben Menschen weitaus häufiger negative Einstellun­ fahrungen aufgrund der sozialen Herkunft aufmerksam mach­ gen und Überzeugungen gegenüber armen Menschen und po­ ten.18 Klassismus ist intersektional, was eine Überschneidung sitive Einstellungen gegenüber wohlhabenderen Menschen.«11 mit anderen Diskriminierungsformen bedeutet.19 Salma Arzouni lieferte in ihrem Faktencheck »Klassismus in Or­ ganisationen« eine sehr gute Reflexionshilfe zu diesem Thema. Sie fragte zum Beispiel differenziert nach der Art der Diskrimi­ Gesetzliche Rahmenbedingungen zu Klassismus/sozialer nierung, die Klassismus beinhalten kann: »Geht es um Diskrimi­ Herkunft als Diskriminierungsgrund nierung aufgrund der sozialen Herkunft, der sozialen Zugehö­ rigkeit, des sozialen Status oder der sozialen Schicht?«12 Kemper Kemper stellte nüchtern fest, dass institutioneller Klassismus verwendet den Begriff der Klassenbezogenheit, womit die Dis­ mithilfe von Gesetzen und Richtlinien aufrechterhalten und kriminierung aufgrund der sozialen Herkunft oder sozialen Posi­ reproduziert wird.20 In der Europäischen Menschenrechts­ tion gemeint ist.13 Klassismus hat ökonomische und strukturelle konvention gelten »soziale Herkunft« aufgrund »der Geburt Ausmaße. Dabei geht es um die Biologisierung und Kulturalisie­ oder eines sonstigen Status« als Diskriminierungskategorien.21 rung. Er verwies in diesem Zusammenhang auf den Soziologen Ende der 1990er-Jahre wurde das Diskriminierungsmerkmal Pierre Bourdieu, der diese Form der Diskriminierung Klassen­ »soziale Herkunft« vor dem eigentlichen Inkrafttreten der rassismus nannte.14 Als Beispiel eines durch Klassismus gekenn­ Amsterdamer Verträge gestrichen und seitdem nicht mehr neu zeichneten Vorurteils verwies Böhm auf die bei Wilhelm Heit­ aufgenommen.22 meyer an der Universität Bielefeld durchgeführte Langzeitstudie Sowohl im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) »Deutsche Zustände«, dass 30,4 Prozent der Befragten der Aus­ als auch in den Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien sage zustimmen, dass »die meisten Obdachlosen arbeitsscheu« kommt die Kategorie »soziale Herkunft« als Diskriminierungs­ seien.15 Liu und Soleck machten in ihrer Definition deutlich, dass merkmal nicht vor.23 Das Berliner Landesantidiskriminierungs­ es bei Klassismus nicht nur um »arme« Menschen geht, sondern gesetz hat als bisher einziges Gesetz in Deutschland die Kate­ dass Klassenerfahrungen auf verschiedene Art und Weise erlebt gorie soziale Herkunft mit aufgenommen.24 Das Allgemeine werden können. Gleichbehandlungsgesetz greift nicht im öffentlichen Dienst Es gibt den sogenannten Klassismus nach oben (upward und auch nicht in der Berliner Verwaltung, das Landesantidis­ classism), den Klassismus nach unten (downward classism) kriminierungsgesetz dagegen schon. Geregelt ist darin unter und den Klassismus innerhalb der eigenen sozioökonomi­ anderem das Verbot von Diskriminierungen aufgrund chroni­ schen Klasse (lateral classism). Letzterer verfolgt das Ziel ei­ scher Erkrankungen, der Geschlechtsidentität, dem sozialen nen Ausstieg aus der eigenen Klasse zu verhindern. Außer­ Status, dem Familienstand, der Sprache oder der zugeschrie­ dem kann es noch den internalisierten Klassismus (internali­ benen Ethnie.25 Welche Auswirkungen kann dies auf die Ber­ zed classism) geben.16 Der Begriff Klassismus kam erstmals in liner Bibliothekslandschaft haben?

10 Böhm, 2020, S. 56 11 https://der-paritaetische.de/schwerpunkt/kindertagesbetreuung/partizipation-und-demokratiebildung/ das-abc-der-beteiligung/klassismus 12 www.deutsch-plus.de/wp-content/uploads/2019/03/dplus-faktencheck-klassismus.pdf 13 https://library.fes.de/pdf-files/bueros/erfurt/12716.pdf 14 Kemper, 2008, S. 46 15 Heitmeyer nach Böhm, 2020, S. 58 16 Liu/Soleck u. a. 2004, 108 17 https://library.fes.de/pdf-files/bueros/erfurt/12716.pdf 18 Kemper, 2020, S. 35 19 https://library.fes.de/pdf-files/bueros/erfurt/12716.pdf 20 Kemper, 2020, S. 113 21 www.deutsch-plus.de/wp-content/uploads/2019/03/dplus-faktencheck-klassismus.pdf 22 www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Kurzmeldungen/DE/2018/nl_04_2018/nl_04_gastkommentar.html 23 https://andreaskemper.org/2017/08/30/soziale-herkunft-im-dritten-antidiskriminierungsbericht/ 24 www.deutschlandfunkkultur.de/klassismus-die-uebersehene-diskriminierungsform.1005.de.html?dram:article_id=481290 25 www.deutsch-plus.de/wp-content/uploads/2019/03/dplus-faktencheck-klassismus.pdf

BuB 73 02-03/2021 103 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Bibliothekarische Herausforderungen und Innovationen geht, eben nicht immer so »vermarktet«, gemessen oder gar dargestellt. Dennoch konstatierte Motzko »Ohne konkrete Kenntnis von der Lebenswelt 2008, dass die Bereitschaft in den Bibliotheken nicht beson­ der Benachteiligten und Wissen um die Ursa- ders groß ist, »den untersten sozialen Lagen ein Angebot zu chen und Auswirkungen dieser Benachteiligun- machen«.28 Einen weiteren intersektionalen Aspekt von Klas­ gen ist soziale Bibliotheksarbeit nicht möglich.« sismus brachte Schuldt vor Kurzem aufs Tableau, als er ei­ nen kritischen Blick auf aktuelle Bibliotheksräume warf, und (Hugo Käufer26) dabei stets Bourdieus Konzepte von Habitus, dessen Formen und Ästhetik fokussierte.29 Schuldt hat sich in den letzten Jah­ Dieses Zitat schreit förmlich danach, dass nun nach fast 40 ren – ohne die Begriffe Klassismus bzw. Diskriminierung auf­ Jahren ein neues Bewusstsein in das deutsche Bibliotheks­ grund der sozialen Herkunft explizit so zu verwenden – sehr wesen Einzug hält, konkrete Fort- und Weiterbildungen in­ intensiv der Thematik »Bibliotheken und Armut« gewidmet. itiiert werden, die Antworten auf diese Fragen geben und Er warf im Artikel »Soziale Bibliotheksarbeit revisited«30 ei­ Kenntnisse vermitteln. Damals gab es natürlich auch schon nige Fragen auf, die im deutschsprachigen Bibliothekswesen Klassismus und Diskriminierung aufgrund der sozialen Her­ bis heute nach wie vor unbeantwortet bleiben, eine echte De­ kunft. Selbst wenn die Begriffe so nicht verwendet wurden, batte fand bis dato immer noch nicht statt. Auf zwei Fragen gab es ein viel größeres Bewusstsein und eine Erkenntnis da­ wird hier eingegangen: für, marginalisierte Menschen durch die Bibliotheksarbeit zu unterstützen. Während meiner Zeit als Gaststudent an der Université Pa­ 1. »Ist die Bibliothek als Institution eine Barriere?«31 ris X (Nanterre) konnte ich ein Seminar besuchen, das Ant­ worten auf Fragestellungen gab, wie sie Käufer im obigen Mertens berichtete in einem Artikel aus dem Jahr 2014 über Zitat identifizierte. Durch die gemeinsame Lektüre und die die Möglichkeiten, »bildungsfernes Publikum« an die Dienst­ Bearbeitung und Diskussion der Texte wurde deutlich, in wel­ leistungen einer Vorstadtbibliothek in der Île-de-France her­ cher Form Bibliotheken in Wechselwirkung mit ihrer sozialen anzuführen. Einer der Erfolgsfaktoren, so Mertens, sei die Ver­ Umwelt stehen. Wir Studierende bearbeiteten in diesem Se­ trauensarbeit. Sie kam zum Beispiel auch auf mögliche Barri­ minar soziologische Texte, in denen es beispielsweise um den eren zu sprechen, inwiefern die Konzentration auf eine neue Bibliotheksbrand in dem Pariser Vorort Villiers-Le-Bel27 ging. Zielgruppe Folgen hat für die »traditionellen Zielgruppen« der Eine Mitstudierende, die in diesem Ort lebte, erläuterte ihre Bibliothek, ob es Konflikte geben wird oder ob die Mitarbei­ Sichtweise zur Sozialstruktur, zu sozialen Verwerfungen und ter*innen tatsächlich ausreichend ausgebildet sind, um mit zu den Bewohner*innen. Durch dieses Seminar konnte durch­ bildungsfernen Kindern, Jugendlichen und Familien zu arbei­ aus eine Sensibilisierung und ein (politisches) Bewusstsein ten. Ferner verweist sie auf mögliche sprachliche Hürden und erreicht werden, Vorurteile- und Stereotype wurden offen an­ den Erfolg, der sich nicht immer in gestiegenen Ausleihzahlen gesprochen und diskutiert. Bezogen auf Diskriminierungser­ messen lässt.32 fahrungen aufgrund von Klassismus/sozialer Herkunft ver­ Die genannten Unwägbarkeiten machen deutlich, dass bunden mit Rassismus und anderen Formen der Ausgren­ Klassismus intersektional ist (»sprachliche Hürden und sozial zungen könnten Seminare, Fortbildungen beziehungsweise benachteiligt«), aber auch dass in der bibliothekarischen Aus­ Weiterbildungen entwickelt werden, die an diese Thematik bildung die sogenannten bildungsfernen Zielgruppen kaum ähnliche Herangehensweisen vornehmen, wie ich diese an der eine Rolle spielen.33 Doch bevor Menschen, die von Klassismus dortigen Universität erlebte. Leider war das Thema Klassis­ betroffen sind, überhaupt durch die Bibliotheksarbeit erreicht mus damals noch nicht so präsent, wie es heute ist. Sicher­ werden, müsste die Schwelle überwunden werden, das Bib­ lich leisten Bibliotheken gute Arbeit mit sozial benachteilig­ liotheksgebäude überhaupt zu betreten. Constance A. Mellon ten Menschen. Aber es wird in der heutigen Aufmerksamkeits- untersuchte diese »Bibliotheksangst« 1986 und kam zu dem ökonomie, in der es sehr häufig um neue (digitale) Trends Ergebnis, dass Menschen, die von Armut betroffen sind, eher

26 Käufer, 1982, S. 27 27 https://bibliotheksportal.de/content/uploads/2017/11/fr6_BIT_2009_04_Kaiser-1.pdf 28 Motzko 2008, S. 55 29 https://b-u-b.de/bourdieu 30 Schuldt, 2016, S. 656 - 658 31 Ebd. 32 Mertens, 2014, S. 542 33 Mertens, 2014, S. 542 34 Mellon nach McEachreon und Barriage, 2016, S. 131

104 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

vom Bibliothekssystem eingeschüchtert sind und ein Unbeha­ häufigen Scheitern der Sozialen Bibliotheksarbeit und dass gen verspüren.34 Aufsuchende Bibliotheksarbeit könnte ein Lö­ es unter anderem auch daran liegt, dass Bibliothekar*innen sungsansatz sein. zu wenig bis nichts über Arbeiter*innen als potenzielle Ziel­ Schuldt stufte dieser Form der Bibliotheksarbeit als »ge­ gruppe wissen. Die Forderung von Käufer gleicht der von sellschaftlich sinnvoll und für Benachteiligte besser« ein.35 Ein Jones38 und Mounk39. Ausbau der aufsuchenden Bibliotheksarbeit wäre zu begrüßen, Diese bezog sich bei den letztgenannten Autoren zwar auf wenn Diversitätsmanagement in Bibliotheken Klassismus als die Sozialdemokratie, sie könnte ebenso das passende Postulat Diskriminierungskategorie mit einbeziehen würde. für das deutsche Bibliothekswesen sein: »Vergesst die Arbeiter­ klasse nicht!«40 Die Warnung, diese Klasse nicht zu berücksich­ tigen, könnte laut den beiden Autoren zu einem Erstarken des 2. »Kann man erfolgreiche (und für wen genau erfolgreiche) Rechtspopulismus führen. Nancy Fraser stimmt der These zu, Angebote entwerfen, wenn man vor allem darauf zielt, Men- dass die Vernachlässigung von sozialer Ungleichheit und der schen an die Bibliothek zu binden?«36 Klassenfrage dazu führte, dass die Spaltung nach rechts wei­ ter zunimmt.41 Genau aus diesem Grunde heraus sollten Bib­ Ein Blick ins Ausland (zum Beispiel nach Kanada, Großbritan­ liotheken hierzulande diese Forderung ernster nehmen und nien, Kroatien37, Frankreich und in die USA) und in die Vergan­ die bibliothekarische Aufmerksamkeit auf die Gesamtthema­ genheit des deutschen Bibliothekswesens könnte diese Frage tik um Klassismus und dessen intersektionale Implikationen beantworten. lenken.

Schlussfolgerungen

Es gibt – auch wenn darüber selten bis nie in Bibliothekszeit­ schriften berichtet wird – sehr wohl Rassismus, Antisemitis­ Wolfgang Kaiser studierte Bi- mus, Sexismus, Frauenfeindlichkeit und Chauvinismus in Bi­ bliothekswesen und Erwach- bliotheken, aber auch Klassismus. Aus meiner Sicht ist Klas­ senenbildung in Potsdam, Pa- sismus in vielen Bibliotheken, aber auch an Hochschulen, ris und Eichstätt. Zuletzt war die Bibliothekar*innen ausbilden, nach wie vor ein »blinder er von 2018 bis Mai 2020 für Fleck«, so wie es die Anerkennung und Förderung von Diver­ den Katholischen Männerfür- sität jahrzehntelang ebenso war. Wollen Bibliotheken und sorgeverein im Haus an der Pil- Hochschulen nicht nur den Anspruch haben, Orte zu sein, die gersheimer Straße, einer Not- soziale Gerechtigkeit, Gleichstellung und Antidiskriminie­ unterkunft für Wohnungslose, rung verwirklichen, sollten diese unbedingt das Thema Klas­ tätig. Von November 2013 bis sismus und Diskriminierung von Menschen aufgrund der so­ 2017 arbeitete er als pädago- zialen Herkunft mehr in den Fokus nehmen als bisher. Mei­ gischer Mitarbeiter für die Außenstelle Ingolstadt des ner Meinung nach erhöhte sich so die Diversität innerhalb Deutschen Erwachsenen-Bildungswerks. Von 2012 bis der Profession. Um zu belegen, inwiefern nun beispielsweise 2013 war Kaiser Mitarbeiter für die Audi Akademie im mehr Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft Biblio­ Bereich Lerndesign. Zu seinen Interessenschwerpunk- thekarinnen und Bibliothekare sind, könnten Intersektionali­ ten zählen die Leseförderung, die außerschulische Ju- tätsanalysen durchgeführt werden. Käufer schrieb 1982 vom gendbildung, die Erwachsenenbildung, alles um die The- men Diversität und soziale Gerechtigkeit. Seit 2009 ist Kaiser Teil des Autorenteams des Blogs www.bibliothe Möchten Sie sich noch mehr mit dem Thema karisch.de. Aktuell arbeitet Kaiser an seiner Masterar- beschäftigen? Ein ausführliches Literaturver- beit im Studienfach Soziale Arbeit an der KSH München. zeichnis finden Sie in der BuB-APP. – Kontakt: [email protected]

35 Schuldt, 2016, 658 36 Schuldt, 2016, Ebda. 37 Sieberns, 2020, S. 626 38 www.theguardian.com/commentisfree/2016/aug/18/left-must-refocus-on-class-care-about-workers-liberals-priority-right-exploit-divisions 39 www.zeit.de/politik/deutschland/2019-12/sozialdemokratie-arbeiterklasse-spd-afd-die-gruenen 40 Ebd. 41 Fraser, 2018, S. 88

BuB 73 02-03/2021 105 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Wolfgang Kaiser Lösung gewesen, um diese Übersetzung nicht selbst rassistisch werden zu lassen. Zum zweiten Mal nach dem BIB-Sommerkurs (unter anderem mit Vorträgen zum Thema »Rassismus begeg­ Engagement von nen«) wurde im Jahr 20203 im Rahmen des Bibchat zum Thema »Engagement von Bibliotheken gegen Rassismus (und Fake Bibliotheken gegen News)«4 über das Thema Rassismus am 5. Oktober 2020 zu­ mindest virtuell diskutiert. Es entstand für mich der Eindruck, Rassismus als ob die Black Lives Matter Bewegung, zu der es ja auch hier­  zulande Kundgebungen und Demonstrationen gab, zumindest Anmerkungen zu einer längst überfälligen an diesem kurzweiligen Abend von 20 Uhr bis 21 Uhr mit einer Debatte der Auslöser gewesen sein könnte, der diese Thematik auch für die Bibliothekswelt auf die Agenda brachte. Der Chat wurde von einer Bibliothekarin und einem Bibliothekar moderiert. Stimmten im September noch 35 Personen für dieses Thema »Racism Has No Place in the Society Libraries are Working ab, beteiligten sich am Ende dagegen nur etwa zehn Personen to Build«, lautete die Überschrift einer IFLA-Verlautbarung an dieser Diskussion. Folgende Fragen sollten von den Mitdis­ vom Juni 2020.1 Die genannten Gründe, weshalb die Or- kutant*innen beantwortet werden: ganisation sich zu einem solchen Statement entschloss, gehen auf den Tod von George Floyd zurück. Bereits vor George Floyd und auch danach starben und sterben viele 1. Welche Maßnahmen, Veranstaltungen, Aktionen von Afroamerikaner durch Polizeigewalt. Das Phänomen ist Bibliotheken gegen Rassismus (oder Fake News) kennt Ihr?5 nicht neu. In der Vergangenheit gab es nicht nur in den USA zahlreiche Fälle von rassistischer Polizeigewalt, son- Hierzu wurden unter anderem Lesungen von Autor*innen in Bi­ dern auch hierzulande gibt es Gewalt gegen Jüdinnen/Ju- bliotheken genannt, die in ihren Büchern Rassismus themati­ den, gegen BIPoC (Abkürzung für Schwarz, Indigen und der sieren, um darüber aufzuklären. Des Weiteren gibt es natürlich Begriff People of Color), gegen Geflüchtete und gegen Men- die Wochen gegen Rassismus, bei denen viele Bibliotheken als schen mit Migrationshintergrund, die sowohl vom Polizei- Kooperationspartner*innen aktiv beteiligt sind. Aber reicht das und von Sicherheitsapparaten ausgeht, aber noch viel häu- aus? In letzter Zeit kamen noch die Leselisten mit Büchern und figer von anderen deutschen Staatsbürger*innen ausgeübt anderen Medien gegen Rassismus6 hinzu, die auch Bibliotheken wird. Gerade in Deutschland ereigneten sich in den letzten hierzulande anlegten, um Menschen, die sich zu dieser Thematik zwei Jahren zahlreiche rassistische Vorfälle, die es ebenso informieren und bilden wollen, einen Überblick zu verschaffen. wert gewesen wären, dass darauf von Seiten der Biblio- In den USA verfügen sehr viele Öffentliche Bibliotheken, aber theksverbände und Bibliotheken reagiert wird. Wenn Bib- auch Wissenschaftliche Bibliotheken über Anti-Racism Resour­ liotheksverbände jeweils auf nationaler Ebene das Thema ces7, auf den Webseiten der unterschiedlichen Bibliotheksver­ Rassismus wirklich ernst nehmen wollen, reicht es aus mei- bände gibt es Statements, sogenannte policies, Gruppen, Links, ner Sicht nicht aus, Statements aufgrund von aktuellen Er- Webinare8 und Fortbildungen. Hierzulande sollten das Angebot eignissen in den USA zum Beispiel ins Deutsche zu über- und das Engagement in ähnlicher Form ausgebaut werden. setzen, sondern sie sollten genauso regelmäßig und kon- sequent auf Ereignisse in ihren eigenen Ländern reagieren. Alles andere wirkt leider bigott und selbstgerecht. 2. Inwiefern ist Engagement gegen (Fake News und) Rassismus ein bibliothekarischer Auftrag?9 In dieser IFLA-Erklärung wurde »race-based-violence« übri­ gens mit »rassenbedingte« Gewalt übersetzt. Ist den Überset­ Eine Teilnehmerin meinte, dass das Engagement gegen Rassismus zer*innen da nichts aufgefallen? Wenn es doch keine »Ras­ kein bibliothekarischer, sondern ein demokratischer und morali­ sen«2 gibt, dann gibt es auch keine »rassenbedingte« Gewalt. scher Auftrag ist. Dem stimme ich zu, aber trotzdem ist die The­ In diesem Falle wäre rassistisch motivierte Gewalt die bessere matik nicht minder wichtig, als nur das genuin bibliothekarische

1 http://www.ifla-deutschland.de/2020/06/10/kein-platz-fuer-rassismus-in-einer-gesellschaft-die-bibliotheken-mitgestalten/ 2 https://www.deutschlandfunkkultur.de/begriff-rasse-im-grundgesetz-solange-es-rassismus-gibt-ist.1008.de.html?dram:article_id=487093 3 https://www.bib-info.de/fortbildung/bib-sommerkurse/bib-sommerkurs-2020/ 4 https://www.bibchat.de/ankuendigung-43-bibchatde-engagement-von-bibliotheken-gegen-rassismus-und-fake-news/ 5 https://www.bibchat.de/ankuendigung-43-bibchatde-engagement-von-bibliotheken-gegen-rassismus-und-fake-news/ 6 http://blog.bibliothekarisch.de/blog/2020/06/13/buecher-und-leselisten-gegen-rassismus/ 7 https://davidson.libguides.com/c.php?g=1045534&p=7586405

106 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Arbeiten im Blick zu haben. Dennoch muss die Frage erlaubt sein, berichtete ich im Weblog bibliothekarisch.de über einen rassis­ welchen Anspruch die Einrichtung erfüllen will. Sind demokra­ tischen Vorfall in einer Bibliothek in Deutschland und verwies tische und moralische Aufträge zweit- und drittrangig und steht auf das Beispiel Großbritannien, wo Mystery-Shopping-Analy­ an erster Stelle immer der bibliothekarische Auftrag? Ist die Ein­ sen von Angehörigen der BAME-Minderheiten (Black, Asian and richtung darauf ausgerichtet, nur ihren bibliothekarischen Hand­ minority ethnic) als Testpersonen bzw. Besucher*innen durch­ lungsauftrag wahrzunehmen und alles, was »links« und »rechts« geführt wurden.14 Sind Angehörige des bibliothekarischen Be­ passiert, zu ignorieren, sozusagen Dienst nach Vorschrift aus­ rufsstandes wirklich frei von Rassismus, von rassistischen Ein­ zuüben? Aus meiner Sicht sollten alle Aufträge als gleichwertig stellungen, von rassistischem Wissen und Stereotypen? und gleich wichtig erachtet werden. Zschau hatte bereits mehr­ fach engagiert auf die Thematik »Rechtsextremismus – Gefahren und Handlungsauftrag für öffentliche Bibliotheken«10 hingewie­ 4. Wie erreicht man diejenigen, die gefährdet sind, sich auf Ras- sen. Noch vor der Gründung und Radikalisierung der sogenann­ sismus (und Fake News) einzulassen? Wie stärkt man diejeni- ten »Alternative für Deutschland« (AfD) machte Zschau auf die gen, die darin eine Antwort auf ihre Unzufriedenheit suchen?15 Gefahren insbesondere in seinem Herkunftsbundesland Sach­ sen aufmerksam und forderte gesetzliche Konsequenzen. Wird Auf diese Frage gab es kaum Antworten von Seiten der Dis­ es auf Dauer ausreichen, sich als Bibliothek eher zurückhaltend kutanten. Ein Nichtbibliothekar, der sich an der Diskussion und unpolitisch zu verhalten? Die von Zschau genannten Bei­ beteiligte, schlug vor, Publikationen, die Rassismus und Fake spiele aus Frankreich aus mehrheitlich vom Rassemblement Na­ News beinhalten aus dem Bestand der Bibliotheken zu nehmen. tional regierten Kommunen und deren Einflussnahme auf lokale »Ist Rassismus wirklich ein Verstärker für Unzufriedenheit oder Bibliothekssysteme11 legen nahe, dass eine Auseinandersetzung waren die Leute schon vorher rassistisch und nutzen es nun als im Vorhinein präventiv geschehen sollte und nicht erst, wenn ›Ausrede‹?«, fragte eine Bibliothekarin. rechtsextreme und rassistische Parteien an der Macht sind bzw. Die fünfte Frage16 befasste sich mit Literaturtipps zu Rassis­ in größerer Stärke in Gemeinden vertreten sind. mus (und Fake News), die sowohl Sachbücher als auch Romane umfassten. Es wäre wünschenswert, wenn Themen und Fragen, die an diesem Bibchat-Abend diskutiert wurden, nachhaltiger, 3. Sind Bibliotheken selbst Teil von strukturellem Rassismus intensiver und strukturell tiefgehender angegangen würden, und wenn ja, wie lässt sich dies ändern?12 zum Beispiel durch eine künftige gemeinsame Arbeitsgruppe in den Bibliotheksverbänden. Diese Frage konnte auch aufgrund des mangelnden Zeitbudgets Eine Stunde über Rassismus in Bibliotheken zu diskutieren, aus meiner Sicht nicht tiefgehender und vollständig analysiert war eindeutig viel zu oberflächlich. Bibliotheken, Ausbildungs­ werden. Die Moderatorin brachte es aber auf den Punkt, da in einrichtungen und Angehörige des Berufsstandes sollten nicht einem System, in dem struktureller Rassismus existiert, dieser über bestimmte Themen wie etwa Rassismus und Antisemitis­ meist nicht erkannt bzw. benannt wird. Wagner analysierte in mus nur deshalb diskutieren, Ausstellungen kreieren, Medien seinem Buch»Öffentliche Institutionen als weiße Räume?« wie anschaffen, Leselisten und Lesungen anbieten, weil es gerade die Rassismusreproduktion durch ethnisierende Kategorisie­ en vogue (etwa durch die Black-Lives-Matter-Bewegung) ist, rungen in einem Schweizer Sozialamt tagtäglich passiert.13 Es sondern es sollte ähnlich wie das bundesweite Schulnetzwerk mangelt hierzulande noch an einer Analyse, die Bibliotheken »Schulen ohne Rassismus« zur DNA von Bibliotheken gehören, unter die Lupe nimmt, da das Personal in den meisten bibliothe­ dass diese sich selbstkritischer mit sich und ihrer Einrichtung karischen Einrichtungen »weiß« ist, das heißt, in den meisten auseinandersetzen. Dies kann dadurch erreicht werden, indem Fällen kaum bis keine Erfahrungen von rassistischen Diskrimi­ sich das antirassistische Engagement in Form von regelmäßi­ nierungen aufweist. Eine bekannte pensionierte Bibliothekarin gen Fortbildungen, Kooperationen, Mystery-Shopping-Ana­ stellte im Bibchat dazu fest, dass es nicht nur bei der Polizei, lysen äußert und sich in der Personal(-entwicklungs-)politik sondern auch in Bibliotheken Rassismus geben kann. 2011 widerspiegelt.

8 https://www.nicheacademy.com/blog/dismantling-institutional-racism-in-your-library 9 https://www.bibchat.de/ankuendigung-43-bibchatde-engagement-von-bibliotheken-gegen-rassismus-und-fake-news/ 10 Zschau, 2011, S. 454-458 11 Ebd., S. 456 12 https://www.bibchat.de/ankuendigung-43-bibchatde-engagement-von-bibliotheken-gegen-rassismus-und-fake-news/ 13 https://www.transcript-verlag.de/978-3-8376-3950-6/oeffentliche-institutionen-als-weisse-raeume/ 14 http://blog.bibliothekarisch.de/blog/2011/05/17/aus-aktuellem-anlass-der-offene-umgang-mit-sexueller-identitaet-am-bei- spiel-der-stadtbibliothek-in-salt-lake-city/ 15 https://www.bibchat.de/ankuendigung-43-bibchatde-engagement-von-bibliotheken-gegen-rassismus-und-fake-news/ 16 Ebd.

BuB 73 02-03/2021 107 Begleitmaterial der Bundeszentrale für politische Bildung zur Lerneinheit »Sexismus begegnen«. Foto: eigene Aufnahme. Copyright: Bundeszentrale für politische Bildung/bpb Sexismus begegnen: Hinschauen, Handeln, Haltung zeigen  Serie: Demokratiekompetenz in Bibliotheken

Was heißt eigentlich Sexismus? Wie gehe ich damit um, den sozialen Medien. Doch was genau fällt eigentlich alles un­ wenn mir im (Berufs-)Alltag sexuelle Diskriminierung be- ter den Begriff Sexismus? gegnet? Wie reagiert man am besten auf sogenannte Hate Grundsätzlich wird damit die individuelle und strukturelle Speech? Diese Leitfragen beschäftigten die Teilnehmer*in- Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts be­ nen des Workshops »Sexismus begegnen«, der in das For- zeichnet. Dazu kann man auch stereotype Rollenbilder, Vor­ mat der BIB-Sommerkurse 2020 zum Thema Demokratie- urteile und Handlungen zählen, die eine solche Abwertung, kompetenz eingebettet war. Als Element einer sechsteiligen Benachteiligung oder Ausgrenzung aufrechterhalten oder Webinarreihe, die aus einem Projekt des Studiengangs Bib- begünstigen. Neben verbalen und körperlichen sexistischen liothekswissenschaft an der TH Köln entstanden ist, lehnt Handlungen, die von einzelnen Akteur*innen ausgehen (zum sich die Veranstaltung an die von der Bundeszentrale für po- Beispiel abwertende Sprüche oder Witze), tritt institutionel­ litische Bildung (bpb) konzipierte »… begegnen!«-Serie1 an. ler Sexismus in Normen oder organisatorischen Strukturen von Unternehmen zu Tage – so etwa, wenn es um die Stellenbe­ setzung von (Führungs-)Positionen, Elternzeit oder Gehälter Das ist doch kein Sexismus, das ist doch ein Kompliment geht. Obwohl prinzipiell alle Geschlechter von Sexismus betrof­ fen sein können, ist es aufgrund patriarchaler Machtstrukturen »Frauen und Technik...«, »Das ist doch nichts für Jungen!«, bei Frauen im Vergleich zu Männern wesentlich häufiger der »Na, hast du wieder deine Tage?«, »Ihr Frauen werdet immer Fall.2 Darüber hinaus ist zu bedenken, dass Sexismus vor allem gleich hysterisch!« – Aussagen wie diese sind noch immer all­ jene Menschen erfahren, die die binären Geschlechterlogiken täglich, begegnen uns im direkten Kontakt mit Anderen und in und normativen Geschlechterrollen nicht erfüllen.3

1 Vgl. www.bpb.de/mediathek/213242/-begegnen [alle Internetquellen zuletzt abgerufen am 5.11.2020] 2 Vgl. Charlotte Diehl, Jonas Rees, Gerd Bohner: Die Sexismus-Debatte im Spiegel wissenschaftlicher Erkenntnisse. In: Aus Politik und Zeitge- schichte 08/2014, S. 22-28; Bundesministerium für Bildung und Forschung [Hrsg.]: Sexismus im Alltag. Wahrnehmungen und Haltungen der deutschen Bevölkerung. Pilotstudie. Berlin: 2020 3 Vgl. Rosa Luxemburg Stiftung [Hrsg.]: Ist doch ein Kompliment… Behauptungen und Fakten zu Sexismus. Berlin, 2018

108 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Des Weiteren lässt sich zwischen verschiedenen Ausprägun­ mit Kinderwagen, Pferdemädchen auf der anderen Seite (durch gen von Sexismus differenzieren: Hostiler Sexismus begründet rosa/blaue Farbgebung noch unterstrichen) – frühkindliche Prä­ sich in der Auffassung, dass Männer Frauen in Status, Macht gung von Geschlechterdichotomie par excellence. Da wundert und Kompetenz überlegen sind; Frauen wird beispielsweise es nicht, wenn noch immer Aussagen wie »Männer sind halt so« ihre berufliche Eignung abgesprochen. Und aufgrund der An­ oder »Das ist doch nichts für Frauen« im Umlauf sind. nahme, dass Frauen als Ziel haben, Kontrolle über Männer zu erlangen, sind insbesondere Feministinnen häufig Zielscheibe von sexistischen Sprüchen und Beschimpfungen. Dem benevo­ Reaktionsmöglichkeiten lenten Sexismus hingegen sind scheinbar beschützende oder on- und offline helfende Denk- und Verhaltensweisen zuzuordnen: Männer in­ szenieren sich beispielsweise als Versorger; die Frauen werden Begegnet man sexistischen Aussagen im direkten Kontakt, bieten im Gegenzug in eine inkompetente oder hilfsbedürftige Rolle sich – je nach Kontext – verschiedene Handlungsmöglichkeiten gedrängt. Auch wenn es sich hier vermeintlich um eine »po­ an: Widersprüchlichkeiten aufzeigen, Fakten einfordern (oder sitive« Haltung zu Frauen handelt, dient diese letztlich eben­ selbst einbringen), Gegenbeispiele nennen, das Gegenüber irri­ falls zur Betonung und Aufrechterhaltung von Geschlechter­ tieren (»Wie meinst du das?«) oder spiegeln (das heißt die Aus­ rollen und ungleichen Machtverhältnissen. Als dritte Form sage umkehren). Persönliche verbale Angriffe sollte man vermei­ könnte noch der sogenannte moderne Sexismus genannt wer­ den, sich stattdessen bemühen, ruhig und sachlich zu bleiben. Je den: Hierbei geht es um die Leugnung von geschlechtsbasierter nach Kontext kann auch Humor eingesetzt werden. Außerdem Diskriminierung und damit einhergehend die Ablehnung von kann es hilfreich sein, andere Anwesende einzubeziehen.6 Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit.4 Für problematische Postings in den sozialen Medien wird Um den Alltagssexismus anhand der Medien zu illustrieren, empfohlen, die Angelegenheit besser via Privatnachricht oder nahm der Sommerkurs-Workshop im Folgenden die Marketing­ im persönlichen Gespräch als auf der Social-Media-Timeline zu branche in den Fokus: Bei sexistischer Werbung kann es sich klären. Man kann versuchen, andere Sichtweisen, Erfahrun­ beispielsweise um die Abbildung eines geschlechtsbezogenen gen, Quellen anzubieten, sollte (und muss) aber nicht ewig dis­ Über- oder Unterordnungsverhältnisses, um ein Motiv, das se­ kutieren. Falls die Person ihre Aussage nicht löscht, kann durch xuelle Anziehung als einzigen Wert von Frauen suggeriert, oder einen knappen und sachlichen Kommentar die eigene Haltung um eine geschlechtsbezogene Zuordnung von Eigenschaften, für die Mitlesenden klar gemacht werden. Darüber hinaus gilt: Fähigkeiten und sozialen Rollen handeln. Dies trifft zum Bei­ Neben dis-empowernden, regulierenden Maßnahmen kommt spiel auf Plakate zu, die Frauen auf ihren Körper als ein »Stück insbesondere online dem Aspekt der Solidarisierung eine große Fleisch« oder als (Männer-)Spielzeug reduzieren. Noch häufi­ Bedeutung zu, das heißt von Hate Speech Betroffenen und en­ ger ist die Vermarktung von Genderklischees: Männer als Hand­ gagierten Gegenredner*innen im Diskurs beizustehen und sie werker und »Macher«; Frauen dagegen emotional, empathisch, zu bestärken. Als Admin oder Moderator*in sollte überdies auf häuslich, in Mütterrollen. Für die Produkte heißt das zum Bei­ die Einhaltung der Netiquette geachtet werden.7 spiel, dass Körperpflegeartikel für Männer herb riechen müssen und schwarz oder blau eingefärbt werden, um nicht als weiblich zu gelten.5 Beim Marketing für Kinderprodukte kommt hinzu, »Tatort« Bibliothek dass hier nicht nur vermeintlich weibliche oder männliche Ei­ genschaften oder Interessen beworben, sondern Geschlechter Welche Berührungspunkte zum Thema Sexismus ergeben sich mit Berufen assoziiert werden: Spielfiguren wie Feuerwehr­ nun konkret für bibliothekarische Einrichtungen? Hier sind zum mann, Polizist, Rennfahrer für Jungen auf der einen; Fee, Mutter einen externe Faktoren zu nennen, also sexistische Äußerungen/

4 Vgl. Julia C. Becker: Subtile Erscheinungsformen von Sexismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 08/2014, S.29-34; Thomas Eckes: Ge- schlechterstereotype: Von Rollen, Identitäten und Vorurteilen. In: Ruth Becker, Beate Kortendiek [Hrsg.]: Handbuch Frauen- und Ge- schlechterforschung. Theorie, Methoden, Empirie. 3. Erweiterte und durchgesehene Auflage. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaf- ten, 2010, S. 171-182, hier v.a. S. 183f. 5 Vgl. Pinkstinks [Hrsg.]: Wie verbreitet ist Sexismus in der Werbung in der Bundesrepublik Deutschland und was sollten wir dagegen tun? Abschlussbericht »Monitoring sexistischer Werbung« vom 1. Juli 2017 bis 30. Juni 2019. Hamburg: 2019 6 Vgl. Bundeszentrale für politische Bildung [Hrsg.]: »Was sage ich, wenn …«. Sexismus begegnen. Eine Hilfestellung für den Alltag im Privat- oder Berufsleben, Unternehmen oder Verein. Bonn: 2020; ANDERS & GLEICH. LSBTQ* in NRW [Hrsg.]: »SAG WAS!« – Impulse gegen die Sprachlosig- keit. Schlagfertig und mutig reagieren auf verbale Diskriminierung von LSBTIQ*. Düsseldorf: 2019; Melanie Ebenfeld, Manfred Köhnen [Hrsg.]: Gleichstellungspolitik kontrovers. Eine Argumentationshilfe. Expertise im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Fried- rich-Ebert-Stiftung. Bonn: 2011 7 Vgl. Amadeu Antonio Stiftung [Hrsg.]: Was tun, wenn mir Hate Speech begegnet. Berlin: 2018. URL: www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-cont ent/uploads/2018/12/HateSpeech_allgemein.pdf; Dies. [Hrsg.]: Was tun, wenn meine Organisation von Hate Speech betroffen ist. Berlin: 2018. URL: www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2018/12/HateSpeech_Organisation.pdf; Leif Kramp, Stephan Weichert: Hasskom- mentare im Netz. Steuerungsstrategien für Redaktionen. Düsseldorf: Landesanstalt für Medien NRW, 2018

BuB 73 02-03/2021 109 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Handlungen von Nutzer*innen vor Ort oder Kommentare bei dargestellt. Denn klar: Pflegearbeit, das können Frauen immer den Social Media Profilen der Institution. Mögliche Handlungs­ noch am besten.12 Neben männlichen und weiblichen Rollenkli­ ansätze dafür wurden bereits weiter oben im Artikel angeführt. schees fehlt es in der Literatur außerdem häufig an nicht-binä­ Auch bei Kolleg*innen eines Bibliotheksteams kann es zu sol­ ren und nicht-heteronormativen Protagonist*innen.13 Diese chen Vorfällen kommen, entweder untereinander oder auch ge­ Prägung einer einseitigen, androzentrischen Weltsicht – in der genüber Nutzer*innen. Nur weil es sich beim Bibliothekswesen Männer als Zentrum, Norm und Maßstab verstanden werden – zumeist um eine Frauendomäne handelt, resultiert daraus kein setzt sich sowohl bei Jugendbüchern als auch im Schulkanon feministisches Selbstverständnis; sind die Tradierung von Ge­ fort.14 schlechterklischees und mangelnde Genderkompetenz8 ebenso vorhanden wie in anderen Berufsgruppen. Dabei haben insbe­ […] wir werden erst am Ziel sein, wenn es in sondere der Medienbestand und seine Präsentation eine enorme den Buchhandlungen nicht mehr diese Regale Tragweite für die Fortschreibung von Geschlechterstereotypen. mit women’s fiction, mit Frauenliteratur gibt. Male fiction existiert als Kategorie nicht – weil die männliche Perspektive als universal gilt. »Zicken«, »starke Jungs« und »freche Frauen« (Olivia Sudjic) Bei den Bilderbüchern geht es noch vergleichsweise neutral [Quelle: Olivia Sudjic: »Je mehr ich poste, desto schlechter fühle zu, doch spätestens mit dem Schuleintritt schnappt die »Ro­ ich mich«. Interview im Zeitmagazin Nr. 46/2019, 6. November sa-Hellblau-Falle« zu:9 Diktate für Mädchen, Diktate für Jun­ 2019, zuletzt editiert am 10.11.2019. URL: https://www.zeit.de/ zeit-magazin/2019/46/olivia-sudjic-roman-internet-psyche-menschen] gen, Erstlesebücher mit »abenteuerlichen Geschichten über […] Drachen, mutige Feuerwehrleute und rasante Autoren­ nen […] für Jungs«10, »kunterbunte Geschichten über wunder­ schöne Prinzessinnen, […] Pferde und beste Freundinnen – ein­ Und im Bibliotheksbestand? Neben einem Mangel an diversen fach das Beste für Mädchen!«11 Auch bei den dort vermittelten Lesewelten bestärken einige Bibliotheken das Gendermarke­ Rollenbildern von Erwachsenen sieht es ähnlich aus: In der be­ ting durch die Kennzeichnung mit entsprechenden Interessen­ liebten Conni-Reihe geht der Vater arbeiten, während die Mut­ kreisen, so etwa in der Stadtbibliothek Basel, in der das Re­ ter den ganzen Tag zu Hause ist und sich um die Kinder küm­ gal »Prinzessin-Zicke-Freundin« der Kategorie »starke Jungs« mert. Sie bringt Conni in den Kindergarten, zum Reiten, geht gegenübersteht.15 mit ihr einkaufen, und Conni hilft ihr im Haushalt. Mit dem Va­ Dass Nutzer*innen selbst solche Label als unzeitgemäß kritisie­ ter geht es ans Gärtnern oder Handwerken, und beim Fußball ren, lässt sich anhand von Reaktionen in den sozialen Medien fest­ schauen wird der Tochter die Abseitsregel erklärt. In einer der stellen:16 So zeigte die von Milena Eberhard 2020 unternommene neueren Geschichten, in der die Berufstätigkeit der Mutter the­ Studie17, dass bei einer geschlechterdifferenzierten Systematik nur matisiert wird, muss sich der Vater plötzlich alleine um die Kin­ zwei Prozent der Mädchen bzw. Jungen Medien der anderen Ka­ der kümmern und wird dabei als unerfahren und unbeholfen tegorie ausliehen, während nach Abschaffung der Distinktion die

8 Diese äußerte sich zum Beispiel im Belächeln von und Beschweren über den »Aufwand«, neue Anmeldeformulare für die Dritte Option anfertigen zu müssen. 9 Vgl. Katharina Bruner et al.: Blaue Bücher, rosa Bücher. In: Süddeutsche Zeitung, 11.01.2019. URL: https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/kul tur/gender-wie-gleichberechtigt-sind-kinderbuecher-e970817/ 10 www.loewe-verlag.de/titel-0-0/leseloewen_das_original_7_minuten_geschichten_zum_lesenlernen_das_beste_fuer_jungs-9433. 11 www.loewe-verlag.de/titel-0-0/leseloewen_das_original_7_minuten_geschichten_zum_lesenlernen_das_beste_fuer_maedchen-9435. 12 Vgl. Heike Maurer: Das Conni-Problem. Eine Replik. In: blog interdisziplinäre geschlechterforschung, 22.09.2020. DOI: 10.17185/gen der/20200922. 13 Vgl. Linus Giese: Geschlechterklischees, nein danke! In: Buzzaldrins Blog, 29.08.2020. URL: http://buzzaldrins.de/2018/09/28/geschlechterkli schees-nein-danke/ 14 Vgl. Simon Sales Rado: Warum in der Schule nur männliche Autoren gelesen werden. In: SZ Magazin, 19.03.2020. URL: https://sz-magazin.sued deutsche.de/literatur/frauen-literatur-schullektuere-88783. 15 Vgl. Isabelle Dahinden: In anderen Städten gibt‘s das »Zicken«-Regal: »Jungs«- und »Mädchen«-Bücher? In Luzerner und Zuger Bibliotheken hält man nichts davon. In: Zentralplus, 31.07.2020. URL: www.zentralplus.ch/jungs-und-maedchen-buecher-in-luzerner-und-zuger-bibliotheken-ha- elt-man-nichts-davon-1856507. Dass eine solche Bewerbung der Medien gezielt das Lesen für Jungen attraktiv machen und so ihren erhöhten Bedarf an Leseförderung bedienen möchte, scheint kein gänzlich durchdachter Ansatz zu sein, da man so Geschlechterstereotype unnötig weiter- schreibt: Lesen ist »unmännlich« resp. wird nur durch »männliche« Themen für Jungen cool und akzeptiert. 16 Vgl. bspw. www.facebook.com/aktivistin.ch/videos/b%C3%BCcherkategorie-prinzessin-zicke-freundin-vs-starke-jungs/902766223554153/ und https://twitter.com/JensWinter/status/1265925988044681217. 17 Vgl. Milena Eberhard: »Books for boys only!« Geschlechtsspezifische Kategorisierungen von Kinder- und Jugendbüchern. Masterarbeit, Universität Zürich, 2020 (unveröffentlicht).

110 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Ausleihen von vermeintlich »geschlechtsuntypischen« Medien in wieder bestärkt. Zudem haben die Auswirkungen der Corona- der Einrichtung um 20 Prozent gestiegen sind.18 Pandemie in Familien mitunter zu einer Retraditionalisierung Ebenso kommen für die Erwachsenenliteratur »Frauen« geführt. Bibliotheken bieten das Potenzial, mit ihren Mitarbei­ und »Männer«-IK-Aufkleber zum Einsatz, und auch hier wird ter*innen, ihrem Medienbestand und einem entsprechenden die Markierung, etwa von »Frauenbüchern«, durchaus von Nut­ Programm das Thema »Sexismus« stärker in den Fokus zu rü­ zer*innen hinterfragt: Meint die Kennzeichnung »Frau«, dass cken, und in ihrer Kommune zu einem Diskurs um die Anerken­ dieses Buch von Frauen oder für Frauen geschrieben ist, handelt nung und Wertschätzung von geschlechtlicher Vielfalt beizu­ es sich um »weibliche« Themen, sollten es nur Frauen lesen?19 tragen. Für Kooperationen geeignete Initiativen gegen Diskri­ Berechtigte Fragen, zumal sich aus der Verschlagwortung nicht minierung, zu Gender oder auch feministische Literatur- oder unbedingt darauf schließen lässt, ob Kategorien wie »Frauen­ Filmfestivals gibt es zuhauf; Open Educational Ressources bücher« oder »Frauenfilme« abschätzig – im Sinne von: leichte (OER) oder abgeschlossene Projekte (wie das zur Buchmesse Unterhaltung – gemeint oder als empowernde Werke (nur oder 2018 gestartete »Vielfalt durch Lesen«24) können bei der Ent­ insbesondere?) für Frauen markiert sind.20 IK-Benennungen wicklung von Konzepten als Inspiration dienen. wie »Freche Frauen« sprechen derweil für sich.21 Dabei wäre In diesem Artikel finden sich viele Ansatzpunkte, die be­ es, gerade weil der Literaturbetrieb nach wie vor männlich do­ reits vor mehreren Jahren von anderen Kolleg*innen vorge­ miniert ist22 und sich dies in entsprechenden Lesebiografien nie­ bracht wurden.25 Mindestens ebenso alt sind die Debatten um derschlägt,23 doch wichtig, dass feministische Texte auch von die Umbenennung des Bibliothekartags, die von der »traditi­ Männern zur Kenntnis genommen und gelesen werden. onsbewussten« Bibliothekar*innenriege beharrlich abgelehnt wird. Vielleicht müssen noch ein paar Jahre ins Land ziehen, oder positiv ausgedrückt: Ärmel hochkrempeln, und die offe­ Noch viel zu tun nen Baustellen als Herausforderung annehmen. Sibylle Hedtke, Ereignisse wie die sexistischen Äußerungen über die SPD-Poli­ Studierende TH Köln tikerin Sawsan Chebli im Online-Magazin Tichys Einblick oder die verbalen Ausfälle im radioeins-Podcast des Kabarettisten Serdar Somuncu zeigen: Sexismus, Antifeminismus, Anti- Ein Infofilm zum Thema Sexismus der bpb Genderismus sind nach wie vor en vogue; werden teils – ge­ stellen wir in der BuB-App bereit. rade durch rechtskonservative politische Strömungen – sogar

18 Das Thema betrifft ferner keineswegs bloß Öffentliche Bibliotheken, findet man doch etwa im Hochschulkontext MINT-Lehrbücher mit sexisti- schen Comics und Aussagen, oder klischeebehaftete Fallbeispiele in den Rechtswissenschaften. 19 Vgl. https://twitter.com/ElisaGrtt/status/1229017619677745152 20 Zumal es in der GND bspw. zum OB Trivialroman nur den UB Trivialer Frauenroman gibt. Zum UB Frauensport existiert im Gegensatz zum UB Frau- enmusik immerhin ein (wenngleich äußert selten verwendetes) Männer-Äquivalent. Es scheint jedenfalls bemerkens- bzw. erwähnenswert zu sein, wenn Frau sich in männliche Domänen vorwagt. Gleichzeitig sollen sich bei Oberbegriffen im generischen Maskulinum alle mitgemeint fühlen. 21 Frech – ein Adjektiv das, wie es Sophie Passmann polemisch benennt, »allein für schreibende und sprechende Frauen reserviert ist« (Dies.: Män- nerliteratur. In: Zeit Magazin, Nr. 42/2019. URL: https://www.zeit.de/zeit-magazin/2019/42/maennerliteratur-feminismus-frech-hass-al les-oder-nichts). Vgl. auch Kathrin Hollmer, die aufzeigt, warum Bezeichnungen wie »girlboss«, »workingmum« oder »Karrierefrauen« nicht verwendet werden sollten (Kathrin Hollmer: Vergiftete Komplimente. In: SZ Magazin, 09.10.2020. URL: https://sz-magazin.sueddeutsche.de/ abschiedskolumne/vergiftete-komplimente-89298). 22 Vgl. Sonja Hartl: Die Wahrnehmung des Schreibens verändert sich: Sensibilisiert für patriarchale Strukturen. In: Deutschlandfunk Kultur Zeit- fragen, 04.09.2020. URL: www.deutschlandfunkkultur.de/die-wahrnehmung-weiblichen-schreibens-veraendert-sich.976.de.html?dram:article_ id=483466; Isabelle Lehn: Weibliches Schreiben in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. In: Hundertvierzehn – das literarische Online-Ma- gazin des S. Fischer Verlags, Nr. 02/2020. URL: https://www.fischerverlage.de/magazin/extras/weibliches-schreiben-gegenwartsliteratur, Carsten Otte: Autorinnen gesucht –- Wie männlich ist der Literaturbetrieb? In: SWR2 Forum, 21.02.2020. URL: www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/ swr2-forum-2020-01-21-100.html; Nicole Seifert: Welche Rolle spielen Autorinnen in den Frühjahrsprogrammen, Frau Seifert? In: Boersenblatt Sonntagsfrage, 10.01.2020. URL: www.boersenblatt.net/archiv/1790836.html. 23 Vgl. Ruth Klüger: Frauen lesen anders In: Dies.: Frauen lesen anders. Essays. 7. Auflage. dtv: München, 2016, S. 83-104; Sonja Lewandowski: Der gesummte Kanon. Homosoziale Empfehlungen im literarischen Gespräch. Goethe Institut Schweden, 30.06.2019. URL: www.goethe.de/ins/se/de/ kul/sup/ltk/21680084.html. 24 Vgl. www.vielfaltdurchlesen.de/mitmachen. 25 So unter anderem Karin Aleksander: Die Frau im Bibliothekskatalog. In: LIBREAS. Library Ideas 25 (2014). URL: https://libreas.eu/ausga be25/02alexander/ u. Dies.: Geschlechterbewusste Verschlagwortung. Bericht über die Sitzung der öffentlichen Arbeitsgruppe Gender/­Diversity in Bibliotheken am 15.03.2016. In: o|bib Bd. 3 Nr. 4 (2016). DOI: 10.5282/o-bib/2016H4S294-296; Katharina Leyrer: Das Geschlecht spukt in der Stadtbibliothek: Ein Aufruf für genderneutrale Bibliotheksangebote. In: LIBREAS. Library Ideas, 25 (2014). URL: https://libreas.eu/ausga be25/08leyrer/; Karsten Schuldt: Was kann man mit Gender in der Bibliothek anfangen? In: arbido 2 (2013). URL: https://arbido.ch/de/ausga ben-artikel/2013/gender-studies-und-i-d/was-kann-man-mit-gender-in-der-bibliothek-anfangen

BuB 73 02-03/2021 111 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Bibliotheken haben die Aufgabe, diskriminierungsfreie Orte zu sein, sagt Indra Heinrich im BuB-Interview. Die Bibliothekarin leitet das Sachgebiet Fernleihe und Dokumentenlieferung an der Staatsbibliothek zu Berlin. Foto: Sophioe Zue

»Der Anspruch auf Diversität und Vorurteils- losigkeit gilt auch für die Belegschaft«  Bibliotheken sind barrierearm, aber nicht barrierefrei / Indra Heinrich im BuB-Interview

Interview mit Indra Heinrich, Fachreferentin für schwellenlosen Zugängen ausgestattet. Auch bei Kunst, Theater, Tanz und Film an der Staatsbib- den Einstellungsprozessen ist es so, dass Menschen liothek zu Berlin. Dort leitet sie zudem das Sach- mit Behinderung aufgrund der Zugehörigkeit vieler gebiet Fernleihe und Dokumentenlieferung. Bibliotheken zum öffentlichen Dienst vergleichs­ Ehrenamtlich ist sie im VDB-Regionalverband weise faire Ausgangsbedingungen haben. Dennoch Berlin-Brandenburg aktiv. ist auch das Bibliothekswesen nicht frei von Barrie­ ren. Das beginnt bei baulichen Herausforderungen BuB: Wer Sie und Ihre bibliothekarische Lauf- bei alten Gebäuden, aber ärgerlicherweise auch Auch das Bib- bahn kennt, könnte meinen, dass es im Berufs- bei Neubauten. Und natürlich bin auch ich leider liothekswesen feld Bibliothek keine Barrieren für Menschen mit beispielsweise bei der Stellensuche schon mit Vor­ ist nicht frei Behinderungen gibt. Ist das so? urteilen konfrontiert worden. Die Botschaft, dass von Barrieren. Indra Heinrich: Ich kann hier nur für Men­ Menschen mit Behinderung genauso leistungsfähig schen mit Mobilitätseinschränkungen sprechen. und selbstständig sein können wie Menschen ohne Grundsätzlich sind für mich viele Bibliotheken Behinderung ist noch nicht bei jedem beziehungs­ zumindest barrierearm. Denn für den Buchtrans­ weise jeder Entscheidungsträger*in im Bibliotheks­ port sind die Gebäude meistens mit Aufzügen und wesen angekommen.

112 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

»Demokratie braucht inklusive Bibliotheken«

Bibliotheken spielen eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Als Orte der Teilhabe an Kultur und Bildung sowie als Begegnungs- und Lernorte in einer von Di- versität geprägten demokratischen Gesellschaft sollten sie Vorbild sein für einen barrierefreien Zugang zu Informationen, Dienstleistungen und Veranstaltungen. Bibliotheken sind ein Ort, an dem sich Wissensdurst stillen und damit auch kreative Neugier wunderbar weiterentwickeln lässt. Dies gilt für alle Menschen – so eben selbstverständlich auch für Menschen mit Behinde- rungen. Mit ihrem Bildungsauftrag tragen Bibliotheken darüber hinaus wesentlich zur Stärkung der Demokratie bei. Daher ist auch die Politik gefordert, Bibliotheken für alle nutzbar zu machen. Die UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet Bibliotheken gleich in mehreren Arti- keln zu ihrem inklusiven Auftrag. So sind sie als »Orte kultureller Darbietungen oder Dienst- leistungen« explizit in Artikel 30 benannt und auch Artikel 9 – Zugänglichkeit –, Artikel 21 – unter anderem Zugang zu Informationen – und Artikel 24 – Bildung –sind die Grundlage zur Jürgen Dusel. Verpflichtung eines inklusiven Zugangs zu Bibliotheken und ihren Angeboten. Hierbei geht es Foto: Henning Schacht meines Erachtens einerseits um räumliche Zugänglichkeit und digitale Barrierefreiheit, aber genauso auch um Angebote im Bestand beispielsweise in Leichter Sprache, Braille oder auch in Gebärdensprache. »De- mokratie braucht Inklusion« ist das Motto meiner Amtszeit, aber ich denke, wir könnten durchaus auch abwandeln und sagen: »Demokratie braucht inklusive Bibliotheken«.

Jürgen Dusel, Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen

Wie können wir generell unseren Beruf für Men- Sie nehmen regelmäßig an Bibliothekskon- schen mit Behinderungen zugänglicher ma- gressen und Fachtagungen teil. Wird bei die- Die meisten chen? Müsste zum Beispiel die Ausbildung im sen Veranstaltungen auf barrierefreien Zugang Kongresse Bibliothekswesen inklusiver gestaltet werden? geachtet? sind barri- Grundsätzlich steht das Bibliothekswesen im Da die meisten Kongresse oder Tagungen in gro­ erefrei für Hinblick auf Inklusion vor denselben Herausfor­ ßen Messehallen, an Universitäten oder Tagungs­ derungen wie das Bildungssystem generell. Denn zentren stattfinden, sind diese in der Regel barrie­ Menschen mit noch fehlen Instrumente, um für Menschen mit Be­ refrei für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen Mobilitätsein- hinderung systematisch dieselben Bildungs- und zugänglich. Bei der Auswahl von Partylocations, Re­ schränkungen damit Ausbildungschancen zu schaffen, wie für staurants oder Ähnlichem könnte man gelegentlich zugänglich. Menschen ohne Behinderung. In den konkreten noch aufmerksamer sein. Situationen ist aus meiner Sicht vor allem wich­ tig, dass die Verantwortlichen offen sind und auf Was bedeutet für Sie »Diversität« in Bibliotheken? etwaige Bedürfnisse von Menschen mit Behinde­ Aus meiner Sicht haben Bibliotheken die Auf­ rung eingehen. Dabei geht es mir vor allem um die gabe, diskriminierungsfreie öffentliche Orte zu innere Haltung: Menschen mit Behinderung sind sein, die unabhängig von irgendwelchen Heteroge­ Bibliothe- produktive Mitarbeiter*innen und können selbst­ nitätsdimensionen genutzt werden können. Der An­ ken haben verständlich auch verantwortungsvolle Aufgaben spruch auf Diversität und Vorurteilslosigkeit gilt je­ die Aufgabe, innerhalb einer Bibliothek übernehmen. In mei­ doch nicht nur für die Nutzer*innen, sondern auch diskriminie- nem Fall ist es so, dass die Staatsbibliothek zu Ber­ für die Belegschaft. lin von Beginn an diese Haltung hatte – sonst wäre rungsfreie ich jetzt heute nicht hier. Aber auch in der Biblio­ öffentliche theksakademie Bayern – wo ich als Bibliotheksre­ Die Fragen stellte Anne Sieberns, Orte zu sein. ferendarin theoretisch ausgebildet wurde – wurde Leiterin der Bibliothek des Deutschen Instituts ich offen aufgenommen. für Menschenrechte

BuB 73 02-03/2021 113 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Die Stadtbibliothek Neuss hat die Veranstaltungsreihe »Lesen mit Hund« auf die Beine gestellt. Speziell ausgebildete Therapiehunde helfen dabei Kindern mit Leseproblemen, ihre Scheu vor dem lauten Vorlesen zu überwinden. Foto: Alexandra Traut

Claudia Büchel Wichtige Meilensteile realisiert  Ausbau der barrierefreien Angebote der Stadtbibliothek Neuss schreitet voran

Ein zentrales Handlungsfeld im Bibliothekskonzept der um die Barrierefreiheit der Stadtbibliothek Neuss zu erhöhen. Stadtbibliothek Neuss ist gesellschaftliche Teilhabe. Dem Hierzu zählen der Einbau einer barrierefreien Eingangstür, Ausbau der barrierefreien Angebote wird deshalb eine Ausstattung des Veranstaltungsraums der Bibliothek mit einer hohe Priorität zugewiesen. Bereits in den Vorjahren hielt induktiven Höranlage, mobile Induktionsgeräte an den Infor­ die Stadtbibliothek spezielle Services vor, die eine Teil- mationsplätzen, Bereitstellung einer Lupenleuchte sowie ein habe von Menschen mit Beeinträchtigungen ermöglichen. stark vergrößerndes Lesegerät zur Vorortnutzung, Anschaf­ Hierzu zählen unter anderem ein Angebot an Büchern in fung von Bibliotheksausweisen mit extra großer Schrift sowie »Leichter Sprache«, Bücher ohne Worte, Hör- und Groß- Markierung von Glas-Abtrennungsflächen, Treppenstufen und druckbücher sowie die Onleihe. In Zusammenarbeit mit Säulen im Publikumsbereich. Betroffenen wurde 2018 ein neuer Angebotsflyer der Bib- liothek sowie ein Konzept für Führungen in einfacher Spra- Im Rahmen des Projektes »Nichts über uns che entwickelt. 2018 und 2019 fand zudem jeweils ein »Tag ohne uns!« wurden wichtige Meilensteine der Inklusion« statt, eröffnet durch den Bürgermeister und realisiert, um die Barrierefreiheit der in Gebärdensprache übersetzt. Stadtbibliothek Neuss zu erhöhen.

Im Rahmen des durch das Land Nordrhein-Westfalen geförder­ ten Projektes »Nichts über uns ohne uns!« (zentraler Grund­ Der Zeitschriftenbestand wurde um Abos erweitert, die die Be­ satz der UN-Behindertenrechtskonvention) wurden in den ver­ lange behinderter Menschen thematisieren. Der vorhandene gangenen zwei Jahren weitere wichtige Meilensteine realisiert, Bestand an Hörbüchern im DAISY-Format wurde ausgebaut.

114 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Zudem wurden zum Ausleihen und Abspielen zwei DAISY-Player Barrierefreiheit entspricht, wurde hierfür die Agentur »ana­ angeschafft, die in regelmäßigen Abständen in Sprechstunden tom5« eingebunden. vorgestellt werden. Neu etabliert wurde die monatlich stattfin­ Doch es bleibt noch einiges zu tun, um das Langzeitziel – dende Veranstaltungsreihe »Lesen mit Hund« (ein speziell aus­ die Erlangung des Signets »Neuss barrierefrei« – zu erhalten; gebildeter Therapiehund hilft Kindern mit Leseproblemen, ihre die größte Herausforderung stellt hierbei die Nachrüstung des Scheu vor dem lauten Vorlesen zu überwinden). Das langjährig Kundenfahrstuhls dar und ist für 2021 avisiert. etablierte »Lesebär – Bilderbuchkino« wurde um zwei Varianten erweitert, eine mit Einsatz eines Gebärdendolmetschers, die an­ dere »ohne Worte« mit musikalischer Untermalung. Claudia Büchel [Diplom-Bib- Es bleibt noch einiges zu tun, um das liothekarin (ÖB) 1997, MALIS Langzeitziel – die Erlangung des Signets (TH Köln) 2019] hat von 1997 »Neuss barrierefrei« – zu erhalten. bis 2000 in verschiedenen Teilzeitstellen in Öffentlichen Bibliotheken gearbeitet. Von Zur Sensibilisierung der Mitarbeitenden wurden 2019 meh­ 2000 bis 2009 Leiterin der rere Fortbildungen angeboten, darunter, in Kooperation mit Stadtbücherei Leichlingen dem Sozialamt, ein praxisnaher Inhouse-Workshop unter dem (Rheinisch-Bergischer Kreis, Motto »Demographie konkret – ein Perspektivwechsel« (theo­ NRW), von 2009 bis 2017 Lei- retische Grundlagenvermittlung und praxisnahes Barrieretrai­ terin der Stadtbücherei Hil- ning mit Blinden- und Rollstuhlparcours), und mehrere Fortbil­ den (Kreis Mettmann, NRW – ausgezeichnet als »Biblio- dungen zum Themenkomplex »Leichte Sprache«. thek des Jahres 2016«). 2017/2018 Leiterin der Stadtbü- Größere Projekte 2020 waren der Umbau der barriere­ cherei Münster. Seit Juli 2018 Leiterin der Stadtbibliothek freien Kundentoilette sowie der Relaunch der Bibliotheks­ Neuss (Rhein-Kreis Neuss, NRW). Foto: Michael Rupp website. Damit der Internetauftritt den Anforderungen an die

ANZEIGE

PAPIERENTSÄUERUNG

• Nachhaltige Papierentsäuerung • Homogene und tiefenwirksame Behandlung • Beibehaltung der Signaturreihenfolge • ISO zertifiziertes Qualitäts- und Umwelt- management • Individuelle Beratung

www.papersave.de

BuB 73 02-03/2021 115 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT Zum richtigen Ziel führen  Inklusives Wegeleitsystem in der Hamburger Zentralbibliothek

Bibliotheken sollten weitgehend barrierefrei und inklu- siv gestaltet werden, das fordert unter anderem auch die UN-Behindertenrechtskonvention und die davon ausgehen- den Aktionspläne. Doch die Realität sieht vielfach anders aus. Wie kann kulturelle Teilhabe im Sinne eines umfassen- den Inklusionsbegriffs nachhaltig gelingen? Beim Thema Inklusion geht es viel um die Frage der Haltung und den gelebten Auftrag, die Willkommensstrukturen einer Biblio- thek fortlaufend zu analysieren und zu verändern. »Jeder ist willkommen« bedeutet, dass sich die Bibliothek in ihrer Raum- und Angebotsplanung darauf ausrichtet, mögliche Barrieren zu identifizieren und abzubauen. Wen erreichen wir bisher noch nicht und warum ist das so? Für wen ist der Zugang nicht oder nur erschwert möglich? Wo gibt es Informations- und Kommunikationsbarrieren? Ein barrie- refreier Zugang zur Bibliothek und ihren Angeboten ist die Voraussetzung, um allen Menschen mit ihren Unterschie- den die Teilhabe zu ermöglichen – Barrierefreiheit ist für Für jede der vier Etagen der Zentralbibliothek der Bücherhallen alle Kund*innen von Bedeutung. Tatsache ist: Nur vier Pro- Hamburg wird im Eingangsbereich ein Übersichtsplan angeboten, zent aller Behinderungen sind angeboren. In den allermeis- der nicht nur optisch sondern auch taktil informiert. Durch das Design eines Drehwürfels, ist die Anordnung platzsparend und ten Fällen löst eine Krankheit die Behinderung aus, auch zusätzlich anfahrbar für Menschen im Rollstuhl. Unfälle können eine Ursache sein. Und so gehen Alter und Illustration: © inkl. Design GmbH, Berlin Behinderung oft einher.

Was also kann eine Großstadtbib­ und barrierefreie Aufenthalts­ liothek wie die Zentralbibliothek Schwerpunkt möglichkeiten mit einladender der Bücherhallen Hamburg konkret Wohnzimmer-Atmosphäre. tun? Grundlage jeder Maßnahme Das Konzept für das inklusive zur Verbesserung der Barrierefrei­ Themenschwerpunkte in BuB Wegeleitsystem wurde von der Ber­ heit ist ein Zugänglichkeitskon­ liner Agentur »inkl. Design GmbH zept. Es definiert Problemstellun­ Heft 12/2020 – Agentur für Gestaltung« entwi­ gen, Inhalte, Umsetzungsschritte Homeoffice ckelt, die Umsetzung wird im Früh­ und zeitliche Abfolgen eines Pro­ jahr 2021 zu sehen sein. Ziel aller jektes. Diese Bestandsaufnahme Heft 01/2021 Maßnahmen ist die eigenständige hat einen Katalog an Optimie­ Co-Working-Spaces Orientierung und Bewegung in den rungsmaßnahmen folgen lassen: Räumen der Bibliothek. Es schärft fortan unseren Blick Heft 02-03/2021 auf mögliche Barrieren und war Diversität beim Umbau der Eingangsebene Was erfüllt das neue barrierefreie unsere Richtschnur, wie inklusive Heft 04/2021 Wegeleitsystem? Ansätze bei der Raum- und Ange­ Schulbibliothek botsgestaltung umzusetzen sind. • Es ist gut leserlich, kontrastreich Konzeptionell beruht der Umbau Heft 05/2021 und intuitiv gestaltet (Far­ auf Ideen des niederländischen Ar­ Corona-Zwischenbilanz bige Icons bilden die fünf ver­ chitekten Aat Vos und der Gestal­ schiedenen Ebenen der neuen tung der Hamburger Innenarchi­ Heft 06/2021 Klarschriftsystematik ab). tektin Janka Riedel: Geschaffen Bibliothekartag 2021 • Die »Regeln zur Erstellung von wurde viel Platz für ebenerdige barrierearmen Aushängen«

116 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

optimiert ein einheitliches und gut lesbares Erscheinungs­ bild, die barrierefreie Schrift »Informative« durchzieht alle Gut zu wissen: relevante DIN-Normen Publikationen und Kundenhinweise. • Es verwendet Text-Bild-Kombinationen und nutzt tak­ DIN 18040 Barrierefreies Bauen tile Elemente zur Unterstützung (zum Beispiel drehbarer DIN 1450 Schriften – Leserlichkeit Würfel mit taktilen Etagenplänen, kontrastreiche, taktile DIN 32975 Gestaltung visueller Informationen im öffent- Handlaufbeschriftungen). lichen Raum DIN 32976 Blindenschrift – Anforderungen und Maße Ziel aller Maßnahmen ist die eigenständige DIN 32984 Bodenindikatoren im öffentlichen Raum Orientierung und Bewegung in den Räumen der DIN 32986 Taktile Schriften und Beschriftungen Bibliothek.

• Taktile Bodenindikatoren weisen unter anderem den • Das »Zwei-Sinne-Prinzip« nach DIN 18040 ist berücksich­ Weg zum Eingang, zu den Aufzügen und zur nächsten tigt (zum Beispiel statt sehen – hören und tasten/fühlen). Information. • Im Veranstaltungsraum garantiert die induktive Höranlage • Eine Anfahrbarkeit bzw. Unterfahrbarkeit von Tischen ist ein ungetrübtes Hörvergnügen. gegeben. • Auf der Website informiert ein neuer Onepager »Barriere­ • Es kann auf Änderungen flexibel reagieren (zum Beispiel freiheit vor Ort« über Zugänglichkeit, Infrastruktur und An­ die Stirnseitenbeschriftung wird mit Adhäsionsfolien gebote (zum Beispiel Filme mit Audiodeskription, Gebär­ umgesetzt). densprach-Videos, Ansprechpartner finden).

Die Kombination von optischen und taktilen Elementen ermög­ licht ein Wegeleitsystem, das von möglichst vielen Menschen genutzt werden kann: Keine Sonderlösungen, sondern ein Kon­ zept, das für alle funktioniert.

Barrierefreiheit in der Bibliothek ist ein lebenslanger Prozess: »Jeder ist willkommen« ist ein Versprechen, bestmögliche Lösungen für alle zu finden.

In Fragen zur Barrierefreiheit empfiehlt es sich, fachkundige Beratung vor Ort einzuholen und bauliche Anforderungen im­ mer wieder neu zu denken und zu diskutieren: In Hamburg ist das »Kompetenzzentrum für ein barrierefreies Hamburg« ein verlässlicher und kompetenter Partner. Ein enger Kon­ takt besteht zudem zur Norddeutschen Hörbücherei, dem Blinden- und Sehbehindertenverband sowie dem Bund der Schwerhörigen. Zukünftig ist als Ergänzung zu dem Wegeleitsystem in der Zentralbibliothek der Hamburger Bücherhallen auch eine Ori­ entierung über ein digitales System geplant, sodass eine Navi­ gation via Smartphone innerhalb der Zentralbibliothek mög­ lich wird. Fazit: Barrierefreiheit in der Bibliothek ist ein lebens­ langer Prozess: »Jeder ist willkommen« ist ein Versprechen, bestmögliche Lösungen für alle zu finden.

Weitere Informationen unter www.buecherhallen.de. Kontakt: [email protected] Stelen mit Übersichtsplänen, die sowohl optisch als auch tastbar informieren, ermöglichen den Gästen der Bibliothek eine rasche Orientierung. Auch ein Stockhalter ist an das Design integriert, damit Gehhilfen oder der Blindenlangstock sicher Heidi Best, gehalten und beide Hände zum Tasten benutzt werden können. stellvertretende Leitung Fachbereich Publikumsbetrieb, Illustration: © inkl. Design GmbH, Berlin Zentralbibliothek Bücherhallen Hamburg

BuB 73 02-03/2021 117 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT Eine Kommission wird barrierefrei  Inklusion in der Arbeit der dbv-Kommission Kundenorientierte Services

Vor gut einem Jahr wurde die Kommission »Kundenorien- aus Politik, Presse und Verwaltung sowie der gesamten bib­ tierte Services« des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv) liothekarischen Community und stehen als Expert*innen für um zwei ständige Gäste und ein neues Themenfeld erwei- Fachfragen zur Verfügung. tert. Auslöser dafür war unter anderem ein Schreiben an In den vergangenen Jahren wurden, je nach Zusammen­ den dbv-Vorstand, in dem die Initiatorinnen der »AG-Barri- setzung des Gremiums, wechselnde Schwerpunktthemen von erefreiheit in (digitalen) Bibliotheken« zusammen mit be- den Kommissionsmitgliedern bearbeitet und auf unterschied­ hindertenpolitischen Akteuren aus unterschiedlichen Ins- lichste Weise umgesetzt. So wurden unter anderem neue Ser­ titutionen um Unterstützung und größere Beachtung für viceangebote in einem Wettbewerb prämiert und auf dem Bib­ das Thema ersuchten und seine Institutionalisierung im liothekartag öffentlich vorgestellt oder von Studierenden eine Rahmen der weitreichenden dbv-Kommissionsarbeit an- bibliotheksweite Umfrage zu den Erwartungen an die Kom­ regten. Die nunmehr bereits ein Jahr währende Zusam- missionsarbeit sowie zum Fortbildungsbedarf im Rahmen menarbeit von Kommission und AG hat sich, trotz erheb- der Serviceoptimierung durchgeführt. Um den Zuhörer*in­ licher Einschränkungen durch die Corona-Pandemie, gut nen spannende Einblicke in das Serviceverständnis des Nach­ bewährt und auch zu konkreten Ergebnissen in Form einer barlandes zu gewähren wurden Kolleginnen aus den Nieder­ Online-Tagung zum Thema »Barrierefreiheit in Bibliothe- landen eingeladen, die in Vorträgen über ihre Angebote und ken« im November 2020 sowie einer geplanten Vortrags- Dienstleistungen berichteten. Aber auch theoretisch-metho­ reihe geführt. dische Ansätze wurden von den Mitgliedern diskutiert, zum Beispiel im Kontext von Kundenorientierung als Teil des Seit nunmehr bereits sechs Amtsperioden beschäftigen sich Qualitätsmanagements. Mitglieder der Kommission – ursprünglich unter dem Namen »Dienstleistungskommission«, seit 2015 unter dem zeitgemä­ Die analogen und elektronischen Services ßeren Label »Kundenorientierte Services« – mit entsprechen­ richten sich besonders im Bereich der Öffent- den Themen. Im Fokus stehen dabei stets die Bibliotheksbenut­ lichen Bibliotheken immer an alle Menschen, zer*innen, Leser*innen oder Kund*innen, also all jene, die bib­ Diversität ist also selbstverständlich und wird liothekarische Services in Anspruch nehmen, sei es in kleinen, oft hochspezialisierten Einrichtungen oder großen, Öffentli­ seit Jahren mitgedacht. Insbesondere für chen oder Wissenschaftlichen Bibliotheken unterschiedlichs­ Menschen mit Behinderungen bestehen noch ter Trägerschaft. Immer geht es darum, für die Zielgruppen zahlreiche Barrieren. optimale Angebote zu entwickeln und umzusetzen. Die analo­ gen und elektronischen Services richten sich besonders im Be­ reich der Öffentlichen Bibliotheken immer an alle Menschen, Durch die personelle und inhaltliche Einbindung der AG-Barri­ Diversität ist also selbstverständlich und wird seit Jahren mit­ erefreiheit konnte nicht nur das Expert*innenteam erweitert, gedacht. Und auch Wissenschaftliche Bibliotheken oder Spezi­ sondern auch den Themen Inklusion oder Barrierefreiheit in alsammlungen, die häufig Einschränkungen bei der Benutzung der Bibliotheksarbeit ein neuer Stellenwert verliehen werden. vornehmen, werden von Personengruppen mit verschiedensten Mit der erneuten Ausschreibung für die Kommissionen des dbv Merkmalen genutzt. Aber insbesondere für Menschen mit Be­ zum Juli 2021 haben interessierte Kolleg*innen die Möglich­ hinderungen bestehen noch zahlreiche Barrieren. keit, die hier skizzierten Themen aufzugreifen, zu vertiefen Die Aufgabe der Kommission »Kundenorientierte Ser­ oder zu ergänzen und damit den kundenorientierten und in­ vices« ist es in diesem Kontext vor allem, neue Trends und klusiven Services auch in den kommenden Jahren eine gewich­ Ideen aus dem Bereich der Bibliotheksbenutzung und -ser­ tige Stimme zu verleihen. Weitere Informationen unter: www. vices aufzugreifen und zu verbreiten, Fortbildungen, Projekte bibliotheksverband.de/fachgruppen/kommissionen/kunden oder Publikationen zu initiieren oder selbst durchzuführen orientierte-services.html beziehungsweise zu erstellen. Darüber hinaus sind die Mit­ glieder der Kommission – insgesamt fünf plus zwei ständige Belinda Jopp, Vorsitzende der Gäste – Ansprechpersonen für den dbv-Vorstand, Interessierte dbv-Kommission Kundenorientierte Services

118 Der Service für Blinde und Sehbehinderte der Universitätsbibliothek Dortmund unterstützt blinde und sehbehinderte Leser*innen, unter anderem bei der Bereitstellung barrierefreier Medien. Symbolfoto: Steffen Heizereder

Der Service für blinde und sehbehinderte Menschen der Universitätsbibliothek Dortmund  Barrierefreier Lese- und Informationszugang für Menschen mit Seh- oder Lesebehinderung

Die Universitätsbibliothek (UB) Dortmund unterstützt Nachfrage nach elektronischen Dokumenten ist groß. Zurzeit blinde Leser*innen und Personen mit Sehbehinderung aus (Stand Dezember 2020) weist der Sehkon 15 656 Medien nach, einer langen Tradition heraus. Bereits 1984 wurde das Pro- 7 827 davon sind elektronische Ressourcen. jekt »Literaturversorgung für Sehbehinderte und Blinde« Für die Nutzung des Sehkon als Rechercheinstrument ist keine in Gang gesetzt. In der Folge hat der daraus entstandene Registrierung notwendig. Für das Herunterladen von elektroni­ Service für Blinde und Sehbehinderte (SfBS) immer wie- schen Volltexten dagegen ist eine Registrierung erforderlich, da der die sich weiterentwickelnden technischen Möglichkei- dies nur nachweislich blinden bzw. sehbehinderten Menschen ten zur Verbesserung der Dienstleistungen genutzt. vorbehalten ist, bundesweit und im deutschsprachigen Ausland. Im Falle von Titeln, die nicht auf unserem Repositorium hinter­ Kern der Dienstleistungen ist die Bereitstellung von Literatur legt sind, also von anderen Institutionen gemeldet wurden, fin­ in zugänglicher Form sowie ein individuelles Beratungsange­ den sich Hinweise zu den jeweiligen Ansprechpartner*innen. Seh­ bot. Neben den Hilfestellungen bei der Literatursuche fertigen kon wurde 2018 neu aufgelegt und verfügt nun über ein bedien­ heute drei Beschäftigte Umsetzungen von Literatur nach in­ freundliches Redaktionssystem, das etwa Fremddatenübernahme dividuellen Vorgaben (zum Beispiel Schriftart, Schriftgröße, ermöglicht und weitere Bibliotheken bzw. universitäre Umset­ Zeilenabstand) der Studierenden an. Es entstehen dabei zitier­ zungsdienste ermuntern soll, sich am Ausbau des Sehkon-Daten­ fähige, barrierefreie Dokumente (Großdruckdateien zum Bei­ bestands als Redakteur*innen zu beteiligen. spiel mit Bildbeschreibungen), meist im Microsoft-Word-For­ Zukünftig will die Universitätsbibliothek Dortmund als be­ mat, die über den »Sehgeschädigtengerechten Katalog online« fugte Stelle weitere Möglichkeiten ausschöpfen, um barriere­ (Sehkon) auch anderen Personen mit Sehbehinderung zugäng­ freien Lese- und Informationszugang für Menschen mit einer lich gemacht werden. Entsprechende Lizenzen werden dazu Seh- oder Lesebehinderung zur Verfügung zu stellen. von den jeweiligen Verlagen eingeholt. Interessierte können der UB Dortmund durch die Teil­ Der Sehkon, der ebenfalls zum Service-Angebot der Univer­ nahme am Sehkon bei der Vermeidung von Doppelprodukti­ sitätsbibliothek Dortmund zählt, ist als Verbundkatalog ange­ onen und einem verbesserten Literaturnachweis für die Ziel­ legt und verzeichnet wissenschaftliche Literatur für Studium gruppe helfen. – Kontakt: [email protected] und Lehre, die in sehbehinderten- bzw. blindengerechter Form im deutschsprachigen Raum zur Verfügung steht. Es handelt Gerhard Althaus, sich hier also nicht nur um die von der UB Dortmund umgesetz­ Universitätsbibliothek Dortmund, ten Titel, sondern auch um Medien anderer Einrichtungen. Die Leiter des Services für Blinde und Sehbehinderte

BuB 73 02-03/2021 119 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT Einfach Lesen im LEA Leseklub

Jeden Mittwoch, 17 Uhr, gehen 14 Men- LEA heißt Lesen Einmal Anders. Menschen, die schen ins Café Paule in Spandau zum Le- nicht so gut oder gar nicht lesen können, wer­ sen und Kaffee trinken. Jeder nimmt ein den hier unterstützt von zwei Mitleser/-innen Buch. Gerade ist das Buch Olga und Ma- oder von den anderen Teilnehmer/-innen. Für rie, Teil 2 dran. Reihum lesen sie einen Menschen, die gar nicht lesen können, gibt es Absatz oder eine Seite. Alle wollen so viel die Echo-Methode. Dabei liest jemand ein Wort wie möglich lesen. Dabei fällt vielen von oder mehrere vor. Der Nichtlesende spricht sie ihnen das Lesen nicht leicht. Manche kön- nach. Das ist für ihn wie selbst lesen. Die Teil­ nen auch gar nicht lesen. Aber das macht nehmer/-innen lesen vor allem Bücher in Leich­ nichts. Es ist ja ein besonderer Leseklub, ter und Einfacher Sprache. Es sind Krimis, Lie­ ein LEA Leseklub. besgeschichten, Märchen, Fantasy und vieles andere. Der LEA Leseklub in Spandau ist sehr beliebt. Es ist schön zusammen zu sein. Alle ken­ nen sich schon sehr lange. Seit dem Jahr 2012 gibt es den Leseklub. Es hat eine Weile gedau­ ert, einen guten Ort zu finden. Es sollte ein Café sein, hell und ruhig. Und Andere sollten sich nicht gestört fühlen. Das Café Paule ist ideal. Die Mitarbeiterinnen sind super freundlich. In Berlin gibt es noch zwei andere LEA Le­ seklubs: in der Pablo-Neruda-Bibliothek in Friedrichshain und in der Helene-Nathan-Bi­ bliothek in Neukölln. Auch sie werden von der Lebenshilfe Berlin unterstützt. Die drei Leseklubs haben Kontakt zueinander. Sie ver­ anstalten gemeinsame Lesungen oder fahren zur Leipziger Buchmesse. Vor ein paar Tagen habe ich mit Nicole ge­ sprochen. Nicole ist Mitglied im LEA Leseklub Spandau. Mein Name ist Doreen. Ich bin Mit­ arbeiterin der Lebenshilfe Berlin. Ich habe die drei Berliner LEA Leseklubs mitgegründet. Seit dem Jahr 2012 gibt es den Leseklub. Das Café Das ist unser Gespräch: Paule ist ideal dafür. Foto: Doreen Kuttner

120 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Doreen: Hallo Nicole, seit wann machst du bei dem LEA Leseklub im Café Paule mit? Nicole: Oh, das weiß ich nicht mehr. Schon lange. Vielleicht 5 Jahre?

Doreen: Warum gehst du zum Leseklub? Nicole: Weil mir das Lesen Spaß macht und weil ich wissen will, was in den Büchern passiert.

Doreen: Lest ihr die ganze Zeit? Nicole: Nein, wir trinken auch Kaffee, es­ sen Kekse und unterhalten uns. Oft ist es sehr lustig. Man kann aber auch mal über Sorgen Für Menschen, die gar nicht lesen können, gibt es und Probleme sprechen. die Echo-Methode. Jemand liest vor. Der Nicht­ lesende spricht nach. Foto: Volker Wortmann

Doreen: Welche Bücher liest du gern? Nicole: Mir gefallen viele Bücher. Wichtig Die Idee für die LEA Leseklubs hatte Anke ist, dass sie nicht so schwer sind. »Das Laby­ Groß-Kunkel 2007 aus den USA nach Deutsch­ rinth der Wörter« hat mir gut gefallen. land gebracht. Mittlerweile gibt es über 50 in Deutschland. Doreen: Was macht ihr sonst noch so im Möchten Sie noch mehr erfahren? Es gibt Leseklub? den Blog: »Einfach Lesen«. Hier können Sie Nicole: Manchmal sind wir eine Jury. Wir le­ Informationen und Geschichten rund um die sen dann Texte vom Wettbewerb: Die Kunst der LEA Leseklubs lesen aber auch vieles mehr. Die Einfachheit. Oder wir fahren zur Leipziger Buch­ Internet-Adresse ist: www.leichte-sprache. messe. Das ist toll. Da lesen wir auf der Bühne. berlin/leichte-sprache/einfach-lesen

Doreen: Aber im Moment darf sich der Le- Doreen Kuttner, seklub ja nicht treffen. Fehlt er dir? Lebenshilfe Berlin Nicole: Ja, sehr. Ich habe versucht, beim Leseklub über Zoom mitzumachen. Aber mein Internet stürzt immer ab. Ich hoffe sehr, dass wir uns bald wieder treffen dürfen. Leichte Sprache

Doreen: Ja, das hoffe ich auch. Weißt du Dieser Text ist in Leichter Sprache schon, im April fahren wir mit allen drei geschrieben. Auch das Layout wurde LEA Leseklubs ins Schloss Wartin. Dort nach den Regeln der Leichten Spra- gibt es tolle Lesungen und wir lesen zu- che erstellt. sammen. Kommst du mit? Nicole: Na klar.

BuB 73 02-03/2021 121 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Von Büchern und Menschen  Fast ohne Augenlicht in der Bibliothek arbeiten: Eine sehbehinderte Bibliothekarin berichtet

Formen, für jeden Leser möglichst im geeigneten Format. Nen­ »Ein Buch sollte die Axt sein für das gefrorene nen wir es bibliophile Diversität – sie muss auch für behinderte Meer in uns.« (Franz Kafka) Menschen möglich sein. Den Beruf der Bibliothekarin finde ich auch heute noch für mich maßgeschneidert. Geht das, wenn man wenig oder gar Als ich mich mit 18 Jahren entschied, Bibliothekarin zu nichts sieht? Es geht, und je mehr wir uns die Technik zunutze werden, kannte ich dieses Zitat noch nicht. Überhaupt, so machen können, umso besser geht es. Die digitale Welt, richtig richtig wollte ich mit dem Verfasser des Romans »Die Ver- und dosiert genutzt, ist ein unersetzlicher Helfer für Menschen wandlung« nicht warm werden. Heute, im Alter von über 50 mit Behinderung. Das alles wusste ich noch nicht als ich 1982 Jahren, finde ich vieles von dem gut, was in den Romanen mein Fachschulstudium an der Deutschen Bücherei in Leipzig Kafkas zu finden ist. Einmal mehr ein Beweis dafür, wie viel begonnen habe. Aber ich wusste schon damals, dass großer Pu­ Talent Bücher haben, unsere Wegbegleiter, unsere Freunde blikumsverkehr, Arbeit unter Zeitdruck, Routinearbeiten und für ein ganzes Leben zu sein. Seit ich lesen kann, verschlang Handschriften ein Problem werden könnten. Die Behinderung ich alles, was mir in die Hände kam. Die frühkindliche »Le- im Berufsalltag minimieren geht immer, wenn man Tätigkei­ sesucht« teile ich sicherlich mit einigen Menschen. ten delegieren und sich selbst einteilen kann. Lieber eine komplizierte Recherche mit mittelfristiger Terminierung Was etwas anders war und ist: Ich bin sehbehindert, von Geburt als Publikumsverkehr vor Feiertagen, lieber Buchvorstellungen an habe ich niemals mehr als 15 Prozent gesehen. Damals, mit schreiben als Ausleihverbuchung. Ganz bewusst habe ich mein 18, konnte ich trotzdem »Lesen bis zum Umfallen«, mit der Nase Studium auf das Gebiet der Wissenschaftlichen Bibliotheken im Buch. Manche Inhalte verknüpfe ich heute noch mit dem et­ ausgerichtet, in der Hoffnung, in diesem Bereich meine Sehbe­ was staubigen Geruch von Bibliotheksbüchern. Mit Hörbüchern hinderung besser zu kompensieren. konnte man mich »jagen«, »fremde Sprecher« störten meine Be­ Heute kommt dazu: Mir nützt meine Technikaffinität. Je ziehung zum Buch. An E-Books oder irgendwelche elektroni­ besser ich das Prinzip einer Datenbank verstehe, umso besser schen Sachen war in den 1980er-Jahren noch nicht zu denken. kann ich meine Bibliotheksinhalte einpflegen und die Nutzer Großdruckbücher gab es, sie waren aber unhandlich und für jenseits von Google mit Suchergebnissen überraschen. Mit den mich als Jugendliche uncool. Bis heute merke ich immer wie­ entsprechenden assistierenden Programmen ist der PC keine der, wie wichtig neben dem Inhalt der Bücher auch die ganze Hürde für meine Sehbehinderung. Logistik ist: Wo liest man ein Buch? Wie liest man es? Wie fühlt Ich kenne zwei, drei blinde, bzw. sehbehinderte Bibliothe­ es sich an? Es ist von Bedeutung, in welcher Form der Inhalt kar*innen. Sicherlich sind es heute weit mehr. Ein Problem zur Verfügung steht. Barrierefreiheit heißt nicht nur, den In­ für behinderte Studierende, nicht nur im hier genannten Be­ halt irgendwie zugänglich machen, sondern auch in diversen reich, ist die Zugänglichkeit der Studienmaterialien. Zu meiner

122 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Studienzeit wurde das RAK-Regelwerk in gedruckter Form als Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen). Seit 1990 habe ich Material genutzt, ein Blinder hätte keine Chance gehabt. Heute hier verschiedene Aufgaben wahrgenommen. Publikumsverkehr bedienen blinde und sehbehinderte Menschen Computertech­ gibt es nicht, da die Sendungen der Hör- bzw. Braillebibliothek nik mittels spezieller Programme, die den Bildschirmtext ver­ über den Postweg verschickt werden und die Beratung am Tele­ größern oder auslesen und per Sprache oder Braille wieder­ fon stattfindet. Ich entdeckte, dass es Menschen gefällt, wenn ich geben. Somit ist theoretisch alles zugänglich, was im Internet meine ganz persönlichen Rezensionen zu Büchern schreibe. Und vorhanden ist. Leider liegt hier die Betonung auf theoretisch. ich arbeitete in der Buchauswahlkommission, einem Gremium, Denn es braucht eine barrierefreie Webseiten- und Textgestal­ das entscheidet, welche Bücher für blinde und sehbehinderte tung zur Anwendung der assistierenden Hilfen. Regeln dafür Menschen barrierefrei im Haus aufbereitet werden sollen. Seit sind seit 2002 in der BIT-V, der Barrierefreien Informationstech­ einigen Jahren arbeite ich dort wegen des nachlassenden Sehens nik-Verordnung (Kurztitel), festgelegt. Aber fehlende Informa­ nicht mehr mit. Nun berate ich, neben meiner Arbeit in der Wis­ tionen und manchmal auch Ignoranz erschweren die Durchset­ senschaftlichen Bibliothek des Hauses, blinde und sehbehinderte zung der Verordnung auch fast 20 Jahre nach ihrer Einführung. Computerbenutzer zu technischen Fragen. Die meisten professionellen Bibliotheksprogramme sind Meine Sehbehinderung erforderte immer große Flexibilität nicht barrierefrei bedienbar. Ich habe das selbst erfahren. Der und Kreativität, daraus ergaben sich über die Jahre wechselnde Konzern, der die in meiner Wissenschaftlichen Spezialbibliothek Tätigkeitsbereiche. Wichtig ist die Gemeinschaft, darum bin ich angewandte Software herausgibt, war nicht bereit, meine Hilfs­ verwurzelt in der Blinden- und Sehbehinderten-Selbsthilfe. Nur programme auf seinen Servern zu installieren – aus Sicherheits­ wenn ich auf meine Bedürfnisse aufmerksam mache, werden gründen. Gemeinsam mit meinem Arbeitgeber musste ich eine al­ diese auch wahrgenommen. Eine Botschaft möchte ich als seh­ ternative Lösung finden. Genau hier liegt die Besonderheit, wenn behinderte Bibliothekarin senden: Behinderte Menschen lesen man als Mensch mit Behinderung gleichberechtigt am Arbeits­ genauso gern wie nicht behinderte. Das Buch ist vielleicht noch leben teilhaben möchte. Eine Voraussetzung ist die Bereitschaft wichtiger als für andere, weil es die Welt zum Menschen bringt zum lebenslangen Lernen. Ich habe in meinem Berufsleben viele und weil es eben »die Axt ist, für das gefrorene Meer in uns«. Menschen getroffen, die meinen Fähigkeiten gegenüber offen und bereit waren, mich bei Problemen zu unterstützen. Aber die Weitere Informationen unter www.dzblesen.de. Aussage, was nötig ist, wo es Probleme geben und wie man diese Kontakt: [email protected] lösen könnte, die muss immer von mir selbst kommen. In meine Arbeit als Bibliothekarin fließt immer auch ein Stück Susanne Siems, Diplom-Bibliothekarin, meines Lebens als Sehbehinderte ein. Ich bin tätig im Deutschen Wissenschaftliche Bibliothek des Blindenwesens

Diversität anerkennen, Teilhabe ermöglichen: Die AG Barrierefreiheit in (digitalen) Bibliotheken

In einer von Diversität geprägten Gesellschaft müssen Bi- Im Januar 2020 wurden die AG und ihre Themen in die bliotheken sich verändern und kontinuierlich Barrieren ab- Kommission Kundenorientierte Services des Deutschen Bi- bauen, um einen inklusiven Zugang zu ihren Angeboten zu bliotheksverbands eingebunden. Für 2021 sind kurze On- gewährleisten und neue Leser*innen zu gewinnen. Insbe- line-Lectures zu verschiedenen Aspekten von Barrierefrei- sondere für Menschen mit Behinderungen ist der barriere- heit geplant. freie Zugang zu Gebäuden, Dienstleistungen, Medien und Die AG ist offen für neue Interessent*innen. Die Mailing- Informationen von zentraler Bedeutung für eine gleichbe- liste, die seit Juni 2020 auf dem Bibliotheksportal zu finden rechtigte gesellschaftliche und kulturelle Teilhabe. ist, kann abonniert werden unter: http://lists.bibliothekspor tal.de/mailman/listinfo.cgi/ag-barrierefreiheit Aus der UN-Behindertenrechtskonvention sowie nationalen und europäischen Verordnungen und Richtlinien ergibt sich eine Ver- Ansprechpersonen für die AG: pflichtung für Bibliotheken, ihre Angebote barrierefrei zu ge- stalten. Mit den sich daraus ergebenden Herausforderungen Christiane Felsmann, Deutsches Zentrum für barrierefreies und Chancen beschäftigt sich die 2018 gegründete »AG Barri- Lesen (dzb lesen, Leipzig), [email protected] erefreiheit in (digitalen) Bibliotheken«. Die Arbeitsgruppe bietet Anne Sieberns, Deutsches Institut für Menschenrechte (Ber- ein Forum für den Austausch von Informationen und Erfahrun- lin), [email protected] gen bei der Umsetzung von Barrierefreiheit. Sie befasst sich mit Themen wie Universelles Design, Bibliotheksbau, barrierefreier Für die Kommission: Zugang zu Informationen, barrierefreie Gestaltung von Veran- staltungen und kulturelle Teilhabe, rechtliche Grundlagen, Men- Belinda Jopp, Staatsbibliothek zu Berlin, Belinda.Jopp@ schen mit Behinderungen als Mitarbeitende in der Bibliothek. sbb.spk-berlin.de

BuB 73 02-03/2021 123 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT Homophobie begegnen  Mehr als Regenbogenflagge und Büchertisch: Die Bibliothek als diskrimierungsfreier Raum für Menschen mit unterschiedlicher sexueller Orientierung und Geschlechteridentität

»Es ist bequem, über Geschlecht als Kate- Im Zusammenhang mit Vorurteilen, einer abwertenden gorie herzuziehen und anderen vorzuwerfen, Haltung gegenüber und verbaler Diskriminierung von Homo­ sie machten daraus eine Ideologie, wenn das sexuellen wird in der Regel der Begriff »Homophobie« verwen­ 5 eigene Geschlecht nicht in Zweifel gezogen det. Dabei kann es zum Beispiel darum gehen, dass behauptet wird Homosexualität sei »widernatürlich«; oder Schwule wer­ oder benachteiligt wird, es ist einfach, Sexua- den mit HIV und Pädophilie in Verbindung gebracht. Zudem lität für etwas Intimes und Privates zu halten werden Begriffe wie »schwul« oder »Schwuchtel« noch immer und irritiert zu reagieren, dass andere darüber als Schimpfwort verwendet. sprechen, wenn der eigenen Sexualität zuge- standen wird, etwas ganz Normales und Per- sönliches zu sein.« (Carolin Emcke)1 »Ich hab ja nichts gegen Schwule, aber…«

Um die gegenwärtige gesellschaftliche Akzeptanz von Homo­ Wie auch der Workshop »Sexismus begegnen«2 war »Ho- sexuellen zu erfassen, kann unter anderem ein Blick auf die mophobie begegnen« Teil des virtuellen BIB-Sommerkur- Politik bzw. Gesetzeslage helfen: So war die Einführung der ses 2020 zum Thema Demokratiearbeit: In Anlehnung an »Ehe für alle« 2017 ein wichtiger Meilenstein der rechtlichen die gleichnamige Kampagne der Bundeszentrale für politi- Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Paaren. Und sche Bildung (bpb) ging es nach einer kurzen Einführung seit Juni vergangenen Jahres ist in Deutschland endlich ein in die Begrifflichkeiten vor allem um den Umgang mit Vor- (Teil-)Verbot von sogenannten Konversionsbehandlungen6 in urteilen und Diskriminierungserfahrungen. So auch, wie Kraft getreten. Reichlich spät, wenn man bedenkt, dass die man das Thema im Sinne von Vermittlungs- beziehungs- Anfänge der Entpathologisierung von Homosexualität inzwi­ weise Sensibilisierungsarbeit im Bibliothekskontext prak- schen beinahe 30 Jahre zurückliegen: 1973 erfolgte die Strei­ tisch anpacken kann. chung aus dem DSM,7 seit 1991 wird Homosexualität in der ICD-10-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation nicht mehr als psychische Störung gelistet (und folglich liegt keine Indikation für eine Therapie vor). Reformierungsbedarf be­ Sexuelle Orientierung und Geschlecht steht weiterhin, etwa bei den Blutspende-Regelungen oder beim Adoptionsrecht. LGBTIQ* – was bedeutet das eigentlich? Das Kürzel steht für die englischen Begriffe lesbian, gay, bisexual, trans, inter und Mit Kampagnen wie »Liberate My Library« queer. Der Genderstern am Ende markiert weitere Identitä­ oder »Diversify Our Bookshelves« werden ten oder Orientierungen, die über die oben genannten Be­ Nutzende dort aktiv dazu aufgerufen, zeichnungen hinausgehen – beispielsweise Asexualität, die Anschaffungsvorschläge einzureichen. zum Teil noch explizit in LGBTIAQ* mitgenannt wird. Auch wenn die Bezeichnung eine Vielzahl (und Vielfalt) von Per­ sonen zusammenfasst, ist ihnen eines gemein: die nach wie Wie Studien zu Diskriminierungserfahrungen belegen, sind les­ vor bestehende Diskriminierung im Zusammenhang mit Ge­ bische, schwule und bisexuelle Menschen sowohl am Arbeits­ schlecht. Dabei kann es sich zum einen auf das Geschlecht platz als auch im privaten Umfeld bzw. der Öffentlichkeit noch der Person beziehen, zu der man sich hingezogen fühlt (das immer Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt.8 Dass heißt die sexuelle Orientierung), zum anderen um die Ge­ es sich hierbei nicht um irgendwelche »Befindlichkeiten« der schlechtsidentität (das heißt ob die Person sich mit ihrem Betroffenen handelt, führen Umfrageergebnisse wie jene der bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifiziert). Ge­ Leipziger Autoritarismus-Studie 2020 vor Augen: Hier gab bei­ schlechtsidentität sagt also nichts über die sexuelle Orien­ spielsweise mehr als ein Drittel der Befragten an, es sei »ek­ tierung aus (und umgekehrt): Trans Personen können bei­ elhaft«,9 wenn schwule Menschen sich küssen. Heißt: Es gibt spielsweise ebenso wie cis3-Personen homo-, bi- oder hetero­ noch viel zu tun, was die Aufklärungs- und Antidiskriminie­ sexuell sein.4 rungsarbeit angeht.

124 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

Die Bibliothek als Safe Space? einbeziehen: Mit Kampagnen wie »Liberate My Library« oder »Diversify Our Bookshelves« werden diese dort aktiv dazu auf­ In Bezug auf Bibliotheken ist es schon mal ein Anfang, einen gerufen, Anschaffungsvorschläge einzureichen.11 Das kann Blick auf den eigenen Bestand zu werfen: Wie viele Bücher helfen, gerade wenn keine LGBTIQ*-Personen zum Biblio­ von queeren Autor*innen sind im Katalog? Werden in den an­ theksteam gehören, die für solche Themen besonders sensi­ gebotenen Büchern, Filmen, PC- und Konsolenspielen haupt­ bilisiert sind.12 sächlich heteronormative (und stereotype) Rollen- und Fami­ Bei den abschließenden Diskussionsanregungen im lienbilder transportiert?10 Treten homosexuelle Identitäten, BIB-Sommerkurs wurde auch hervorgehoben, dass außer dem wenn sie thematisiert werden, nur als »schwuler Sidekick« klassischen Büchertisch oder der Literaturliste anlässlich des oder als Protagonist*in auf, deren sexuelle Orientierung zu CSD mehr braucht, damit die Bibliothek in ihrer Kommune zu Problemen führt? Ebenso lohnt sich mitunter ein kritischer einem Diskurs um die Anerkennung und Wertschätzung von Blick auf die bestehende Etikettierung: Interessenkreis-Auf­ geschlechtlicher Vielfalt und ihren Orientierungen beiträgt, kleber wie »schwule Liebe« mögen gut gemeint sein, führen und vielleicht auch (zumindest ein Stück weit) zu einer Art aber – wenn sie neben »Liebe« als solcher stehen – dazu, die »Safe Space« für queere Menschen werden kann – gerade in Andersartigkeit zu betonen, anstatt homosexuelle Orientie­ ländlichen Regionen, wo es sonst keine entsprechenden An­ rung als das zu lesen, was sie ist: normal. Und wie Initiati­ laufstellen gibt. ven aus Großbritannien und den USA zeigen, kann man bei der Bestandserneuerung durchaus die Nutzer*innen mit Tom Becker und Sibylle Hedtke, TH Köln

1 Carolin Emcke: Raus bist du. In: Süddeutsche Zeitung, 13.05.2019. URL: www.sueddeutsche.de/politik/carolin-emcke-kolumne-rassis mus-1.4439103 [alle Links zuletzt geprüft am 03.01.2021] 2 Siehe hierzu den Beitrag auf Seite 108 in diesem Heft 3 Als Pendant zu Transgender bezeichnet Cisgender Menschen, deren Geschlechtsidentität mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesenen biologi- schen Geschlecht übereinstimmt. 4 Vgl. ANDERS & GLEICH. LSBTQ* in NRW (Hg.): Die Fibel der vielen kleinen Unterschiede. Begriffe zur sexuellen und geschlechtlichen Vielfalt. Düsseldorf 2019.URL: www.aug.nrw/app/download/8998203275/AuG_Fibel_klein.pdf; Nadine Funcke: LGBTQI – Was ist das? In: Süddeut- sche Zeitung, 01.09.2016. URL: www.sueddeutsche.de/leben/glossar-lgbt-was-ist-das-1.3091327; Bernd Geller: Sexuelle Vielfalt und Co- ming-out. Ein Ratgeber für Eltern. Hg. von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Köln 2018. URL: https://service.bzga.de/pdf. php?id=459f36813cefd8d7f66441a4aa25be83. 5 Weil »phobie« eigentlich Furcht oder Angst bezeichnet, sind insbesondere viele Betroffene der Meinung, dass besser von Homo- oder Schwulen- feindlichkeit geredet werden sollte. 6 Bei »Konversionstherapien« wird versucht, Homosexualität als vermeintlich »krankes«, »abnormales« Verhalten »wegzutherapieren«. Durch me- dizinische und anderweitige Interventionen soll die sexuelle Orientierung gezielt verändert oder unterdrückt werden – was schwerwiegende gesundheitliche Schäden wie Angsterkrankungen, Depressionen, Libidoverlust und ein erhöhtes Suizidrisiko verursachen kann. 7 Die Abkürzung DSM steht für »Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders«, ein Klassifikationssystem für psychische Erkrankungen, das von der Amerikanischen psychiatrischen Gesellschaft herausgegeben wird. 8 Vgl. LesMigraS Antigewalt- und Antidiskriminierungsbereich der Lesbenberatung Berlin e.V. (Hg.): »... Nicht so greifbar und doch real«. Eine quantitative und qualitative Studie zu Gewalt- und (Mehrfach-)Diskriminierungserfahrungen von lesbischen, bisexuellen Frauen und Trans* in Deutschland. Berlin 2016. URL: https://lesmigras.de/tl_files/lesbenberatungberlin/Gewalt%20(Dokus,Aufsaetze...)/Dokumentation%20 Studie%20web_sicher.pdf; Antidiskriminierungsstelle des Bundes (Hg.): Ergebnisse der Studie »Out im Office?!«. Erste Ergebnisse zur Arbeits- situation lesbischer, schwuler, bisexueller und Trans*-Beschäftigter in Deutschland. Berlin 2017. URL: www.antidiskriminierungsstelle.de/ SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/Umfragen/20170719_Umfrageergebnisse_Out_im_Office.pdf; EU-LGBTI II (Hg.): A long way to go for LGBTI equality. Luxembourg 2020. URL: https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2020-lgbti-equality_en.pdf; Lisa de Vries et al.: LGBTQI*-Menschen am Arbeitsmarkt: hoch gebildet und oftmals diskriminiert. In: DIW Wochenbericht 26/2020, S. 620-627. URL: www. diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.798177.de/20-36-1.pdf. 9 Vgl. Oliver Decker, Elmar Brähler (Hg.): Autoritäre Dynamiken. Alte Ressentiments – neue Radikalität. Leipziger Autoritarismus Studie 2020. Psychosozial Verlag: Gießen 2020. URL: www.boell.de/sites/default/files/2020-11/Decker-Braehler-2020-Autoritaere-Dynamiken-Leipzi- ger-Autoritarismus-Studie.pdf?dimension1=ds_leipziger_studie, S. 66. Als weitere Studien sei hier noch auf folgende verwiesen: Antidiskrimi- nierungsstelle des Bundes (Hg.): Einstellungen gegenüber lesbischen, schwulen und bisexuellen Menschen in Deutschland. Ergebnisse einer bevölkerungsrepräsentativen Umfrage. Berlin 2017. URL: www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/Downloads/DE/publikationen/ Umfragen/Umfrage_Einstellungen_geg_lesb_schwulen_und_bisex_Menschen_DE.pdf; Robert Bosch Stiftung (Hg.): Zusammenhalt in Vielfalt. Das Vielfaltsbarometer 2019. 2019. URL: https://www.bosch-stiftung.de/sites/default/files/publications/pdf/2019-03/Vielfaltsbaro- meter%202019_Studie%20Zusammenhalt%20in%20Vielfalt.pdf 10 In Bezug auf Kinderbücher lohnt sich etwa ein Blick auf die Empfehlungsliste von Linus Giese: Geschlechterklischees, nein danke! Buzzaldrins Blog, 29.08.2020. URL: http://buzzaldrins.de/2018/09/28/geschlechterklischees-nein-danke/ 11 Vgl. bspw. www.dur.ac.uk/library/liberatemylibrary/ und https://www.gold.ac.uk/library/about/liberate-our-library/ 12 Darüber hinaus wäre es natürlich auch wünschenswert, wenn es in Bibliotheken eine entsprechende Ansprechperson gibt oder Schulungen stattfinden, um die Genderkompetenz und den Umgang der Mitarbeitenden mit verbaler Diskriminierung zu schulen. Als eine virtuelle Infor- mations- und Kontaktstelle, entstanden aus einer Session beim BibCamp 2020, gibt es seit Kurzem den Twitteraccount »How to: Diversity für Bibliotheken«, geführt von Steffi Hotze (s. https://twitter.com/HowToBib).

BuB 73 02-03/2021 125 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT »Wir verstehen uns als gelebter Safe Space«  Der stellvertretende Leiter der Stadtbibliothek Langenfeld, Marcel Testroet, über Diversität und praktische Möglichkeiten, um Homophobie zu begegnen

Marcel Testroet, stellvertretender Leiter der hier oftmals – so scheint es mir – bis auf den Bü- Stadtbibliothek Langenfeld, war als Referent chertisch zum Christopher Street Day (CSD) we- im Rahmen der »…begegnen-Seminare« beim nig aktiv. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, BIB-Sommerkurs zur Demokratiekompetenz1 da- euch bei dem Projekt »Demokratie leben« zu bei. Vor und parallel zu seiner Tätigkeit in Lan- bewerben? genfeld – hier wurden gerade Gelder für das Pro- Die Idee kam uns durch die erfolgreiche Zu­ jekt »Vielfalt ist Gesellschaft der Initiative Demo- sammenarbeit mit den Kolleg*innen aus der aufsu­ kratie leben« akquiriert (siehe Infokasten) – hat chenden Jugendarbeit, des Jugendschutzes und der sich Testroet bereits während seines Studiums Kinder-und Jugendbeteiligung des Fachbereichs Ju­ Wir versuchen bei »SCHLAU« engagiert, einem Bildungs- und gend, Familie und Sport. Aktuell wird der Jugend­ das Thema Antidiskriminierungsprojekt zu geschlechtli- förderplan neu geschrieben und da soll das Thema sexuelle Orien- chen Identitäten und sexuellen Orientierungen. LGBTIQ*3 mehr Gewicht bekommen. Darin ha­ tierung und ge- BIB-Bundesvorstand Tom Becker sprach für BuB ben wir als Bibliothek mit unserem Jugendbereich mit ihm über die Diversitätsarbeit von und in eine Chance gesehen, Diversity-Arbeit gemeinsam schlechtliche Bibliotheken. mit der Unterstützung der Stadt umzusetzen und Vielfalt in und dafür sogar noch externe Fördergelder zu akqui­ mit unseren rieren. Eine schöne Win-win-Situation für uns als Medien sicht- BuB: Mit welcher Intention habt Ihr das aktuelle Bildungsort. bar zu machen. Projekt »Vielfalt ist Gesellschaft« in Langenfeld aufgesetzt? LGBTIQ* ist ja für uns beide schon lange ein Marcel Testroet: Mit dem Projekt möchten wir Thema. Du hast Dich in Köln in einem Multip- das gesellschaftliche Bild darstellen, wie wir es im likator*innenprojekt für Schulen einige Jahre Alltag sehen und erfahren. Und dies ist weit mehr engagiert. Was genau macht SCHLAU und wie als männlich, weiß, hetero und cis2-geschlechtlich. inspiriert Dich das in deinem Berufsleben als Bibliothekar? Das passt ja ganz gut in den aktuellen Buchmarkt SCHLAU ist ein Bildungs- und Antidiskrimi­ und in gegenwärtige politische Diskussionen. nierungsprojekt. Die Teamer*innen der lokalen Diversität, People of Color und Gendergerech- SCHLAU-Gruppen aus Hessen, Nordrhein-Westfa­ tigkeit bekommen eine immer stärkere Präsenz. len, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schles­ Als jemand der früher selbst im lesben- und wig-Holstein bieten Workshops zu geschlechtlicher schwulenpolitischen Bereich parteipolitisch ak- und sexueller Vielfalt für Schulen, Sportvereine, tiv war, freut mich das sehr. Bibliotheken sind Jugendzentren und andere Jugendeinrichtungen an. Inspiriert ist vielleicht falsch ausgedrückt. Aber durch mein Engagement bei SCHLAU wollte ich be­ reits während des Studiums meinen Schwerpunkt Demokratie leben! auf die Jugendbibliotheksarbeit legen.

Mit dem Programm »Demokratie Leben!« fördert das Bundesministe- Langenfeld liegt als Kleinstadt zwischen Köln rium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zivilgesellschaftliches und Düsseldorf. Wie greift Ihr das Thema LGB- Engagement für ein vielfältiges und demokratisches Miteinander. Ge- TIQ* konkret auf? fördert werden Projekte, die sich aktiv gegen Rechtsextremismus, Ge- Zum einen über den Bestand: Wir versuchen walt und Menschenfeindlichkeit wenden. Weitere Informationen un- das Thema sexuelle Orientierung und geschlecht­ ter: https://www.demokratie-leben.de. liche Vielfalt in und mit unseren Medien sichtbar zu machen. Zum anderen achten wir darauf, dass

126 SCHWERPUNKT DIVERSITÄT

die Menschen in der Bibliothek respektvoll mitein­ ander umgehen.

Respektvoll miteinander umgehen klingt ja ganz gut. Gibt es da bei Euch mehr als die Regenbo- genflagge an der Tür, die das signalisiert? Die Regenbogenflagge hängt noch nicht mal an Die Regen- der Tür, Haltung ist da für uns wichtiger. Als Team bogenflagge haben wir das in unserer Kultur niedergeschrieben: hängt noch Bei uns sind alle Menschen willkommen. Wenn zum nicht mal an Beispiel die Beleidigung »das ist schwul« fällt oder »das ist aber behindert«, dann gehen wir aktiv auf der Tür, Hal- die Leute zu und fragen, was sie damit meinen. Da­ tung ist da für bei kommt heraus, dass die Situation oder das was uns wichtiger. sie meinen, doof ist und das hat eigentlich nichts mit schwul oder behindert sein zu tun.

Das heißt, Ihr setzt am eigenen Verhalten im Team an? Wie habt Ihr das geschafft? »Bei uns sind alle Menschen willkommen.« – Dadurch, dass wir Leitsätze gemeinsam verfasst Marcel Testroet, stellvertretender Leiter der und diskutiert haben, ist das für alle akzeptabel. Wir Stadtbibliothek Langenfeld. Foto: Guido Bach, Life Photo Store, Siegburg verstehen uns als gelebter»Safe Space«.

Welche Aktionen aus Deiner Arbeit mit SCHLAU nett, diversitäts- und genderbezogene Kinder- nimmst Du denn mit in die Bibliothek, welche und Jugend-Bibliotheksarbeit stelle ich mir da finden sich wieder in dem geförderten Projekt herausfordernder vor. Was genau plant Ihr da? »Vielfalt ist Gesellschaft«? Erste Überlegungen, meine Erfahrungen aus Was ich von SCHLAU mitnehme, ist auf jeden den SCHLAU-Workshops in die Bibliotheksarbeit Fall ein sensibler Umgang mit Sprache. In meinen zu integrieren, haben wir durchgeführt. Dabei wol­ Veranstaltungen, aber auch intern mit Kolleg*in­ len wir ein Veranstaltungsformat für Schulklassen nen spreche ich geschlechtersensibel. Im Projekt entwickeln. Die Basis dabei sind der Jugendroman, »Vielfalt ist Gesellschaft« liegt der Fokus zurzeit auf aber auch die Verfilmung »Love Simon«, in der ein Grund genug, der Anschaffung von einem vielfältigen Medienbe­ Teenager merkt, dass er schwul ist. mir für die stand. 2021 sollen Infoveranstaltungen für Eltern Zukunft eine und Lehrkräfte und eine Veranstaltungsreihe für Schauen wir nochmal auf die Stadt: Die politi- diskriminie- Schulklassen folgen. sche Diskussion bewege sich momentan, so wird kritisiert, oft zwischen »Betroffenheitsdebatte« rungsarme Veranstaltungen sind ja, neben der Regenbogen- und »überzogener Gendersensibilität«. Wie be- Gesellschaft flagge an der Tür, einem Büchertisch zum Thema gegnet man solchen Killerphrasen in der Praxis? zu wünschen, CSD und anderen aktionsbezogenen Events ganz Diese Vorwürfe haben mich als Person bisher in der jeder nicht erreicht, ich glaube dafür bin ich in Team und Mensch so Verwaltung auch mit dem Thema zu gut eingebet­ tet. So hat sich zum Beispiel aus allen Referaten, die leben kann 1 Siehe hierzu den Beitrag »Bibliotheken begegnen mit Jugendlichen arbeiten, den weiterführenden wie er*sie gesellschaftlichen Herausforderungen« in der Dezem- Schulen sowie weiteren kommunalen Akteuren ein möchte. berausgabe 2020 von BuB (Seite 660) 2 Unter dem sogenannten Cisgender versteht man Arbeitskreis gebildet, in dem das Thema Diversität die Übereinstimmung Geburtsgeschlecht und der angesprochen wird. Geschlechtsidentität. Im Gegensatz dazu bezeichnet der Begriff Transgender Personen, deren Geschlecht- Hast Du in Deinem beruflichen Umfeld schon sidentität von ihrem eingetragenen Geschlecht abweicht. mal Diskriminierungserfahrungen selbst oder 3 LGBTIQ* ist eine aus dem englischen Sprachraum bei anderen erlebt? übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Nein, in der Tat nichts, was das Berufliche an­ Transgender, Intersexuell und queer. Der Genderstern geht. Privat sieht das etwas anders aus. Grund ge­ am Ende markiert weitere Identitäten oder Orientie- nug, mir für die Zukunft eine diskriminierungsarme rungen, die über die oben genannten Bezeichnungen Gesellschaft zu wünschen, in der jeder Mensch so hinausgehen. leben kann wie er*sie möchte.

BuB 73 02-03/2021 127 LESESAAL DIGITALE INFORMATION

Barbara Fischer Eine Stimme im Orchester der Öffnung der GND  Ein Werkstattbericht aus der Arbeitsstelle für Standardisierung an der Deutschen Nationalbibliothek

»Was uns wirklich unterscheidet, Im Zuge der Öffnung der GND für Gemeinschaften außer­ ist die Art und Weise, halb des Bibliothekswesens ist in den letzten Jahren eines im­ wie wir in großer Zahl kooperieren.«1 mer deutlicher geworden: Die GND ist weitaus mehr als nur eine Sammlung von neun Millionen Normdatensätzen zu Per­ sonen, Orten, Körperschaften, Konferenzen, Werken und Allge­ Wenn Menschen Themen mit Verve und Ausdauer diskutie- meinbegriffen.4 Sie bezeichnet auch eine Organisationsstruk­ ren, dann ist das in der Regel ein Zeichen für Engagement tur, die die Verfasstheit ihrer derzeitigen Anwender/-innen re­ und Verbundenheit. Das Thema »Öffnung der Gemeinsamen flektiert. Sie rekurriert auf ein bestimmtes Datenmodell, das Normdatei (GND)« hat diese guten Qualitäten. Es betrifft sich an den Bedarfen ihrer Anwender/-innen orientiert. Sie und bewegt viele Menschen. Es wirft Fragen zu dem großen kennt spezielle Regeln und kann als ein Spezialwerkzeug in Thema Kooperation auf, im Detail und in ganz unterschied- einer abgegrenzten technischen Umgebung gesehen werden, lichen Kontexten. Im viel beachteten Comic »Sapiens« zur das von den Erfordernissen einer Bibliotheksgemeinschaft ge­ Geschichte der Menschwerdung des Historikers Yuval Noah prägt wird. Aber die neuen Anwendergruppen sind anders or­ Harari2 findet sich das einleitende Zitat zu diesem Beitrag. Es ganisiert. Sie haben andere Datenmodelle. Sie erschließen die beschreibt auch unsere Arbeit in der Arbeitsstelle für Stan- Gegenstände ihres Interesses nach anderen Regeln und nut­ dardisierung (AfS) an der Deutschen Nationalbibliothek. zen eine andere technische Infrastruktur. Trotzdem sind sie an der Nutzung der GND-Normdaten sehr interessiert. Sie wollen Im Kern besteht unsere Arbeit im Organisieren von Kooperation. nicht nur die Identifikatoren in ihrer Erschließungsarbeit ver­ Unsere Aufgabe ist es, über nationale und disziplinäre Grenzen wenden, sondern auch neue GND-Datensätze anlegen können, hinweg, die Erschließung von Wissensressourcen zu ermöglichen. wenn sie dafür einen Bedarf sehen. Sie wollen ein aktiver Teil Wir organisieren Zusammenarbeit durch die Förderung der Kon­ der GND-Gemeinschaft werden. Dabei müssen wir gemeinsam sensfindung zu Standards, mit denen wir letztlich die Welt be­ genau überlegen, was und wie viel wir verändern können, ohne schreiben und dabei für alle gleichermaßen verständlich blei­ die GND im Kern zu beschädigen. Denn ihre verlässliche Quali­ ben wollen. Mittels der Standards wird in der Gemeinschaft der tät wollen alle erhalten wissen. Unsere Aufgabe ist es auch jetzt deutschsprachigen Bibliotheken definiert, wie Publikationen prä­ wieder, die Zusammenarbeit im Sinne einer kollektiven Inten­ ziser als mittels der natürlichen Sprache beschrieben werden sol­ tionalität zu organisieren. len, damit andere darauf eindeutig Bezug nehmen können. Dabei kommt die Gemeinsame Normdatei (GND) zum Einsatz. Harari zielt auf das große Ganze des Menschseins und wie dieses sich bei­ Ein Instrument der Öffnung spielsweise von dem Sein der Schimpansen unterscheidet. Die Ar­ beit des Katalogisierens, der Beschreibung von Medien nach den Die Öffnung der GND ist ein Konzert eines ganzen Orchesters Regeln der Formal- und Inhaltserschließung, ist weit entfernt von von Akteuren und Maßnahmen. Ein Instrument in diesem Or­ den Herausforderungen der Homo Sapiens in der Steinzeit. Und chester, ein Ansatzpunkt für eine behutsame Anpassung, ist doch ist sie gewissermaßen nur ein anderer Abschnitt auf dem­ die technische Umgebung, in der die GND verankert ist. Nicht selben Strahlenbündel. In Folge der »kognitiven Revolution«3 von der Austausch der bisherigen technischen Infrastruktur, son­ damals stehen wir vor der Herausforderung der digitalen Trans­ dern die Idee, eine parallele Struktur anzubieten, hat unsere formation von heute. Auch diese werden wir eben durch unsere Aufmerksamkeit auf die Datenbanksoftware Wikibase5 ge­ Fähigkeit zur Kooperation meistern. Das ist das, was wir können. lenkt. Wikibase ist eine Open Source Software der Wikimedia

1 Zitiert nach Yuval Noah Harari: Sapiens. Der Aufstieg. Graphic Novel. München: C.H. Beck, 2020, S.68 2 Vgl. Angaben zu Fußnote 1 3 Zum Konzept der »Kognitiven Revolution« vgl. Yuval Noah Harari: Eine kurze Geschichte der Menschheit. München: Dt. Verlags-Anstalt, 2013, S.11-100 4 Die Satzart Konferenzen der GND lässt besonders deutlich die Verschränkung der GND mit ihren Anwender/-innen der Bibliothekswelt hervortreten. Denn diese Satzart beschreibt eine besondere Art der Herausgeber von Publikationen. 5 Link zur Wikibase Website: https://wikiba.se/

128 LESESAAL DIGITALE INFORMATION

Foundation. Diese hat schon die Software Mediawiki entwi­ an der Verbesserung der Software zu arbeiten, um letztlich ckelt, mit der weltweit Millionen Wikis betrieben werden. Das ein Ökosystem für Kultur- und Forschungsdaten aufzubauen. bekannteste Wiki ist Wikipedia. Um Wikipedia zu verbessern, • drittens die Regelwerke selbst, die die GND und unsere ersann man vor acht Jahren das Projekt Wikidata. Eine Daten­ Katalogisierungsarbeit bestimmen, neu ordnen, zugäng­ bank für strukturierte Daten, mit denen man – für Menschen licher und anpassungsfähiger für Veränderungen machen. wie Maschinen gleichermaßen lesbar – die Welt beschreiben kann. Die Open Source Software Wikibase bringt einige Eigen­ schaften mit, die Kooperation in großer Zahl vereinfachen soll: Der Zweitwohnsitz der GND

• Sie bietet webbasierte Zugänge. In der Bibliothekswelt dient die GND wie schon ihre vier Vorläu­ • Sie erlaubt das parallele kollaborative Arbeiten. fer seit Langem als Werkzeug zur Referenzierung und Rationali­ • Sie protokolliert automatisch Versionsgeschichte und die sierung. Sie ist eingebunden in bestimmte Regelwerke und pro­ Editorin bzw. den Editor. prietäre Softwarestrukturen, die jedoch für Anwender/-innen • Sie bietet zu jedem Datensatz eine eigene Diskussionsseite an. außerhalb des Bibliothekswesens relativ unzugänglich sind. Wir • Sie ist auf multilinguale Anwendercommunities ausge- denken, dass wir auf Grundlage von Wikibase einigen dieser Ziel­ richtet. gruppen die Mitarbeit an der GND erleichtern können. • Sie bietet ein einfaches und flexibles (allerdings auch limi­ Daher werden wir 2021 alle bislang vorliegenden GND-Da­ tiertes) Datenmodell. tensätze mit ihren entsprechenden Verknüpfungen in eine Wi­ • Sie ist einfach und intuitiv in der Bedienung und Erfassung kibase-Instanz importieren. Das klingt nach einer einfachen neuer Inhalte. Aufgabe. Doch bislang sind die Importschnittstellen von Wi­ kibase noch sehr an den Bedarfen von Wikidata ausgerichtet. Diese Eigenschaften haben wir 2019 in der Deutschen Natio­ Daher haben wir uns professionelle Unterstützung von einem nalbibliothek intensiv untersucht und in unserer Evaluation6 Wikibase-Spezialisten gesucht, der uns bei dem Transfer der gemeinsam mit Wikimedia Deutschland zusammengetragen. Datenbankstruktur, bei dem Datenimport und bei der Erstel­ Auch aktuelle Schwächen des Systems sowie Entwicklungspo­ lung von anwenderfreundlichen Eingabemasken als Dienstleis­ tenziale wurden in diesem Rahmen erörtert. Noch erfüllt das ter zur Seite steht. Als nächstes werden wir dann erfahrene und System längst nicht alle Anforderungen für den Einsatz als idea­ neue GND-Anwender/-innen einladen, die Erfassungs- und les Redaktionssystem und Drehscheibe für Kultureinrichtungen. Suchprozesse in der neuen Umgebung zu testen, damit wir sie Hierzu hat es sich noch zu wenig von seinem Ursprung als Soft­ weiter verbessern können. In der zweiten Jahreshälfte 2021 ware für Wikidata emanzipiert. Dennoch sahen wir die Grund­ planen wir einen technischen Workflow zur Synchronisierung voraussetzungen für einen produktiven Einsatz im Kontext der der GND-Wikibase-Instanz mit dem CBS-System7. Geplant ist, AfS gegeben. Wichtig ist weniger der jetzige Stand des Produk­ dass neue oder Anwender/-innen ohne WinIBW8-Zugang, ihre tes, sondern das Potenzial, das in seiner Weiterentwicklung und Daten als Vorschlag in die Wikibase-Instanz eingeben. dem Aufbau einer breiten Community im Kultursektor liegt. Ein langfristiges Ziel ist es, eine leicht bedienbare und un­ 2020 haben wir einerseits überlegt, wie wir Wikibase mög­ terstützende Erfassungsumgebung für die GND anzubieten. lichst effektiv für die Öffnung der GND nutzbar machen können Erste Schritte in diese Richtung sind die gegenüber den bib­ und haben andererseits die Voraussetzungen geschaffen, um liothekarischen Erfassungssystemen deutlich leichter zugäng­ unsere Pläne möglichst effizient umsetzen zu können. Wir ha­ lichen GND-Webformulare9. Über diese lassen sich bislang ben entschieden, auf drei Ebenen aktiv zu werden. Wir wollen: Personen und Körperschaften erfassen. Der Ansatz ist pers­ pektivisch allerdings nicht flexibel genug. Neben den zwei ge­ • der GND als Normdatei in einer Wikibase-Datenbank ein nannten Satzarten der GND gibt es vier weitere. Diese sechs zweites Zuhause einrichten. Dort können die neuen Anwen­ Satzarten vereinen circa 50 Entitätencodes10 mit jeweils spe­ dergemeinschaften leichter und unabhängiger von den be­ zifischen Eigenschaften, mittels derer die jeweiligen Entitäten stehenden Strukturen Vorschläge für neue GND-Datensätze durch GND-Datensätze erfasst werden können. Benötigt würde machen und ihre Daten leichter mit der GND abgleichen, dafür eine dynamische Eingabemaske, die sich je nach Wahl um Dubletten in der GND zu vermeiden. des Entitätstyps oder Nutzungskontextes anpasst, benötigte • den Schulterschluss zu Wikimedia sowie anderen Institutio­ und typische Eingabeelemente anbietet, auf sinnvolle Einga­ nen suchen, die auch Wikibase nutzen wollen, um gemeinsam ben hinweist und den Nutzenden so durch den Eingabeprozess

6 Link zum Blogbeitrag über die Evaluation: https://wiki.dnb.de/pages/viewpage.action?pageId=167019461 7 CBS: Proprietäre Bibliotheks-Datenbank-Software von OCLC 8 WinIBW: Lizenzgebundene Software zur Eingabe von Daten in die GND 9 Das GND-Webformular bietet sich für Anwender insbesondere aus Kulturinstitutionen an, wie kleinere Bibliotheken, Archive und Museen, die eine geringe Menge an Datensätzen in die GND einbringen bzw. ändern möchten. https://www.dnb.de/DE/Professionell/Standardisie rung/GND/gnd_Webformular/gnd_webformular.html 10 Details zur Entitätencodierung in der GND https://wiki.dnb.de/download/attachments/90411323/entitaetenCodes.pdf

BuB 73 02-03/2021 129 LESESAAL DIGITALE INFORMATION

Accessibility, Interoperability und Reusability)11 geachtet. Daten sollen stärker miteinander vernetzt werden, um insgesamt leich­ ter neues Wissen generieren zu können. Dies gilt insbesondere für Daten, die mit öffentlichen Mitteln erstellt wurden. Das ist für viele Einrichtungen eine große Herausforderung. Es stellt sich die Frage, ob man seine Daten in ein Sammelbecken für struk­ turierte Daten oder in Datenportale geben soll. Ist man bereit, sich auf all die Konsequenzen einzulassen, wie zum Beispiel den Verlust von Gestaltungsmöglichkeiten des Datenmodells, der Er­ fassungsregeln oder der Qualitätssicherung? Oder setzt man auf Insellösungen und muss stattdessen mit einer eingeschränkten Sichtbarkeit und Nachnutzung der Daten leben? Mit der Öffnung der GND wollen wir eine Alternative schaffen. Wir setzen uns da­ für ein, ein zuverlässiges, maschinenlesbares und gemeinschaft­ lich unterhaltenes Linked Open Data Netzwerk für Kunst, Kultur und Wissenschaft als tragfähige Grundlage für FAIRes Wissen zu schaffen. Nicht die zentrale Plattform favorisieren wir, sondern ein offenes Netzwerk miteinander verknüpfter Datenbanken. Da­ für ist ein gemeinsamer organisatorischer Rahmen notwendig. Diesen möchten wir in einem Netzwerk bieten. Ein Netzwerk ist immer nur so gut wie die Partner, die es knüpfen. Gemeinsam mit Wikimedia Deutschland hat die Deutsche Nationalbiblio­ thek daher das WikiLibrary-Manifest veröffentlicht. Bereits 30 Einrichtungen sind der Einladung gefolgt. Das Manifest lädt die unterzeichnenden Institutionen ein, sich auf der Grundlage fol­ gender Leitlinien zu engagieren: Die Resultate der Computerlinguistik werden mithilfe von KI immer besser. Automatisierte Spielberichte aus dem Fußball nehmen • Die Förderung freier Lizenzen für Daten und deren Soft- beispielsweise weiter zu. Quelle: https://www.reviersport.de/348060--- wareumgebung. ol-w-4-0-erndtebrueck-marschiert-locker-vorne-weg.html • Die Schaffung von Freiräumen, in denen vielfältige Com­ munitys wachsen und gedeihen können. leitet. Ob Wikibase hierfür mittelfristig eine Grundlage bietet, • Das Angebot strukturierter Daten auf der Grundlage der FAIR muss sich noch zeigen. Aktuell bietet Wikibase solche Features Data Prinzipien, um Daten auf transparente Weise in Informa­ noch nicht. Eine Anpassung der generischen Eingabeoberfläche tion umzuwandeln und so Wissen zu schaffen, das FAIR ist. ist »ab Werk« nicht vorgesehen. Auch gibt es keine Möglichkeit, • Die Förderung gemeinsamer Mindeststandards. das Angebot auf sinnvolle Elemente oder Werte einzuschrän­ • Die Schaffung offener Organisationsstrukturen und deren ken. Der Nutzer ist stets mit dem vollen Umfang der Eigenschaf­ Einbettung in bestehende Systeme. ten und Werte konfrontiert und erhält keine Entscheidungs­ • Die Bereitstellung von Ressourcen, um für alle, die sich ak­ hilfe. Ein Ziel für 2021 ist es zu ermitteln, ob dies über die Ent­ tiv um Daten und Wissen bemühen, zugängliche und an­ wicklung einer Wikibase-Erweiterung ermöglicht werden kann wenderfreundliche Benutzeroberflächen zu schaffen. und welche Änderungen an Wikibase durch Wikimedia durch­ • Die Förderung der Datenkompetenz im digitalen Wandel. geführt werden müssten, um die Erstellung anpassbarer, assis­ tierender Eingabemasken besser zu unterstützen. Mindestens ebenso bedeutungsvoll ist im Verbund mit Wiki­ media Deutschland die gemeinschaftliche Umsetzung von kon­ kreten Maßnahmen durch alle Unterzeichnende. Es geht um Das WikiLibrary Manifest die Förderung von Wikibase als eine vielversprechende tech­ nische Infrastruktur zur Speicherung, Bearbeitung und zum Das zweite Feld, auf dem wir in 2021 aktiv sein werden, ist der Austausch von Daten auf der Grundlage der FAIR Data Prin­ Schulterschluss mit Wikimedia Deutschland und anderen Ins­ zipien. Wir möchten Wikibase zu einer anwenderfreundlichen titutionen zur Verbesserung von Wikibase als technische Infra­ Referenzdatenbanksoftware für Datahubs formen, um so das struktur. In immer mehr Kontexten wird bei der Bereitstellung angestrebte Datenökosystem zu fördern. Dazu laden wir wei­ von Daten auf die sogenannten FAIR Data Prinzipien (Findability, tere Institutionen aus der Bibliothekswelt, aus allen Bereichen

11 Information zu den Fair Data Prinzipien unter www.forschungsdaten.org/index.php/FAIR_data_principles

130 LESESAAL DIGITALE INFORMATION

von GLAM (galleries, libraries, archives and museums) und Die Elemente, die erfasst werden müssen, sind hingegen wenige. den Geisteswissenschaften ein, mittels Wikibase ein Ökosys­ Neben dem Namen, sind es in erster Linie die Lebensdaten, der tem strukturierter Daten zu schaffen, das einem wirklichen Beruf und eventuell noch Verknüpfungen zu weiteren Datensät­ Semantic Web für FAIRes Wissen näher kommt.12 zen, wie Ortsnamen als Geburts- oder Wirkungsort oder Ähnli­ ches. Für jeden der Entitätencodes in der Satzart Personen wird jedes Mal erneut beschrieben, wie beispielsweise das Element Die DACH-Dokumentationsplattform13 »Ort« modelliert werden muss. Wären diese Definitionen in ei­ ner Datenbank abgelegt, könnte in die Regel einfach das jewei­ Hätten Sie gedacht, dass der nebenstehende Bericht über ein lige Element eingefügt werden. Das heißt, ändert sich die Regel Fußballspiel von einem Computerprogramm verfasst wurde? für die Merkmale zur Erfassung einer Gebietskörperschaft16, än­ In den letzten Jahren sind die Resultate der Computerlinguistik dert man diese zentral an einer Stelle und alle anderen Orte, an mithilfe der künstlichen Intelligenz immer ausgereifter gewor­ denen dieses Element zum Einsatz kommt, werden ebenfalls ak­ den. Schreibprogramme ziehen den Inhalt aus strukturierten tualisiert. Wir haben angefangen, alle Elemente, die in der GND Datenbanken und bauen gewissen Vorgaben folgend mit den verwendet werden, in einer strukturierten Form zu beschrei­ Elementen die Texte. Vor diesem Hintergrund stehen unsere ben. Dazu übernehmen wir die Vorgaben aus den Regelwerken. Überlegungen, die Regelwerke für die Formal- und Inhaltser­ Nun wird es die Herausforderung sein, lesbare Fließtexte zu schließung14 sowie die Erfassungshilfen für die GND in struktu­ schreiben, in die die Elemente sinnvoll eingebettet werden kön­ rierter Form in einer Wikibase-Instanz zu erfassen. nen. Diese können dann einerseits deutlich konziser als bisher Seit Jahrzehnten dokumentieren wir in elaborierten Texten aktualisiert werden und gleichzeitig perspektivisch als Grund­ genaue Anweisungen, wie welches Datenfeld bspw. in der GND lage für die Erstellung der Eingabemasken für die Datenbank erfasst werden muss. Ausgangspunkte für diese Textarbeit sind mit allen GND-Datensätzen selbst dienen. die Regelwerke der Formal- und der Inhaltserschließung, die Er­ Manchmal tut es gut, sich den Sinn und Zweck seiner Arbeit fordernisse und Beschränkungen der jeweils zur Erschließung vor Augen zu führen, um den Fokus zu behalten oder um Drit­ angewandten Software und auch die Erfordernisse des Daten­ ten zu vermitteln, wieso diese Arbeit wichtig ist und Förderung austausches. Jedes Mal, wenn an einer Stelle in diesem Bezie­ braucht. Mit diesem Werkstattbericht möchten wir Ihnen unsere hungsgeflecht ein Detail geändert wird, muss in vielen Texten, Arbeit näher bringen. Es liegt ein spannendes Jahr der Pionierar­ die auf den Punkt Bezug nehmen, die Änderung ebenfalls umge­ beit vor uns. Reizvoller wird diese Arbeit noch durch die parallel setzt werden. Das bedeutet jedes Mal eine intensive Recherche­ laufenden Wikibase-Projekte in den neugegründeten Konsortien arbeit durch eine große Zahl von PDF-Seiten. Eine andere Folge der Nationalen Forschungsdaten Infrastruktur-Initiative (NFDI) dieser Art des Wissensmanagements ist, dass viele Detailinfor­ sowie weiterer großer Universal- und Nationalbibliotheken in Eu­ mationen, zum Beispiel wie man ein Datum eingibt, an unter­ ropa und Amerika, mit denen wir im Austausch stehen. schiedlichen Stellen wiederholt werden müssen, um unnötiges Blättern zu vermeiden. Im Fall einer Änderung gilt es den Über­ Unter Mitwirkung von Jürgen Kett, Sarah Hartmann und blick zu haben, wann und wo genau die Änderung noch greift. Mathias Manecke für das AfS-Projekteam »GND X Wikibase« Bleiben wir erst einmal bei der GND selbst. Die Anzahl der Felder, mittels derer man in den Datenformaten Pica oder Marc 21 Entitäten für Normdatensätze beschreiben kann, ist über­ Die Kulturmanagerin Barbara K. Fischer arbeitet seit Jahren schaubar bei circa 300. Diese Datenfelder dienen dazu, Aus­ an der digitalen Transformation des GLAM-Sektors. Bei Wi- sagen über Eigenschaften, Relationstypen, Teilbestände oder kimedia Deutschland begründete sie den Hackathon Coding Entitätencodes zu den jeweiligen zu beschreibenden Entitäten Da Vinci. Als Mitglied des EUROPEANA- Beirates setzt sie zu machen. Die Datenelemente beinhalten definierende Merk­ sich für Capacity building und Data Literacy im Kulturerbe- male und je nach Datenformat unterschiedliche Kodierungen. sektor ein. Sie wirkt in der Arbeitsstelle für Standardisierung Legt man alle Elemente in einer Datenbank ab, können die Da­ an der Deutschen Nationalbibliothek an der Öffnung der Ge- tenelemente nach den Regeln der zugrunde liegenden Regel­ meinsamen Normdatei (GND) mit. Sie leitet das DFG-Projekt werke modular zusammengestellt werden. »GND für Kulturdaten« und initiierte zuletzt für das Projekt Die bisherige Erfassungshilfe allein für Personen mit allen »GND meets Wikibase« das WikiLibrary Manifest. dazugehörigen Entitätencodes in der GND umfasst 46 Seiten.15

12 Unter nachfolgendem Link können Einrichtungen das Manifest über ein einfaches Formular mitzeichnen: www.wikimedia.de/projects/ wikilibrary-manifest 13 DACH-Dokumentationsplattform: Die Plattform soll alle Regelwerke zur bibliothekarischen Erschließung und die Erfassungshilfen für die GND im deutschen Sprachraum (Deutschland, Österreich und Schweiz) vereinen. 14 Gemeint sind die Regelwerke RDA und RSWK 15 Siehe auch https://wiki.dnb.de/pages/viewpage.action?pageId=90411361&preview=/90411361/94831186/EH-P-01.pdf 16 Eine Gebietskörperschaft ist ein Entitätencode aus der Gruppe der Geografika oder Orte.

BuB 73 02-03/2021 131 LESESAAL ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

Katrin Seewald, Ina Wolter Eine Pionierin hat Geburtstag

100 Jahre Stadtbibliothek Spandau / Richtungsweisende Innovationen für ganz Deutschland

Im Nachhinein hätte der Tag der Eröffnung der ersten Stadt- Kriegs- und Nachkriegszeit bücherei in Spandau nicht besser gewählt werden können: der 24. Oktober 1920. Erst 75 Jahre später machte Richard Nach der Machtübernahme der Nazis wird ein Zehntel des von Weizsäcker diesen Tag zum »Tag der Bibliotheken«. Buchbestandes aussortiert und kritische Mitarbeiter werden Spandau war hier also schon seiner Zeit voraus. Etwas, das entlassen. Bei Kriegsanbruch werden der Lesesaal und die sich in der Spandauer Bibliotheksgeschichte wie ein roter Zweigstellen geschlossen. Bilanz zum Kriegsende: Von 13 Mit­ Faden durchziehen sollte. arbeitern wurden 9 zum Wehrdienst eingezogen, der Biblio­ theksleiter flüchtete, Lesesaal und Jugendbücherei sind ver­ Spandau ist ein Randbezirk im Westen Berlins mit viel Grün und wüstet, die Zweigstelle Gatow total zerstört. Doch bereits am Wasser. Viele kennen den Bezirk durch den Spandauer Weih­ 8. Oktober 1945 öffnet die Haupt-stelle der Stadtbücherei wie­ nachtsmarkt in der Altstadt, das erste Ikea-Möbelhaus in Ber­ der. Bis zu 400 Leser/-innen erklimmen täglich mühsam die lin oder auch die Zitadelle, die inzwischen eine beliebte Loca­ 108 Stufen zur Bücherei. Ende 1946 eröffnen auch die Zweig­ tion für Konzerte aller Art ist. Die Spandauer/-innen sind ein stellen wieder. eigenes Völkchen, so sagt man, und eigentlich keine richtigen In den 50er-Jahren wächst die Spandauer Bibliotheksland­ Berliner, denn Spandau ist älter als Berlin. In der Geschichte schaft weiter. 1950 eröffnet die Zweigstelle Haselhorst mit der Öffentlichen Büchereien hinkt Spandau jedoch ein wenig 3 412 Bänden, größtenteils in Antiquariaten aufgestöbert, in hinter seiner großen Schwester Berlin hinterher. Während Ber­ drei winzigen Dachstübchen in einem alten Schulgebäude. lin schon 1900 das 50-jährige Jubiläum seiner Volksbücher­ 1953 folgt die Zweigstelle in Hakenfelde, zur Abwechslung im eien hinter sich hatte, beginnt in Spandau erst 1907 die »Vor­ Erdgeschoss und zudem als erste Freihand-Bücherei. Auch ein geschichte« der ersten Stadtbücherei. Ein Volksbildungsverein neues rationelles Verbuchungssystem wird eingeführt, das un­ sammelt Geld und stiftet eine Volksbücherei. Als Grundbestand ter dem Begriff »Hakenfelder-System« in die bibliothekarische wird eine Leihbücherei aufgekauft und im Keller eines Schul­ Fachliteratur Einzug hält und sich in ganz Deutschland durch­ gebäudes untergebracht. setzt. Zukunftsweisend ist auch die Betriebsform aller Span­ dauer Zweigstellen, die die Buchausleihe für Erwachsene und Jugendliche weder zeitlich noch räumlich trennen und den ju­ Von der Volksbücherei zur Stadtbücherei mit Zweigstellen gendlichen Leserinnen und Lesern so die Möglichkeit geben, unmerklich in die Literatur der Erwachsenen hineinzuwachsen. Am 24. Oktober 1920 wird dann aus der Volksbücherei eine 1956 zieht die Hauptbücherei mit der Hauptjugendbüche­ Stadtbücherei mit einem Bestand von 9 156 Büchern und einem rei in eine ehemalige Druckerei und wird für 250 000 Mark neuen Standort im Gebäude des Kaufhauses Grand am Markt. zur Bücherei umfunktioniert. Spandau hat zu dem Zeitpunkt Bereits 1928 muss die Bücherei mit dem Bestand von 86 000 Bände Erwachsenenliteratur und 21 000 Bände Jugend­ 2 000 Büchern und einer Jahresausleihe von 84 000 Bänden ins literatur und ist damit die größte Stadtbücherei Berlins. Dachgeschoss des neuen Spandauer Rathauses ziehen. In den Stadtteilen Staaken, Kladow und Gatow gibt es Zweigstellen. Drei Jahre später hat sich die Jahresausleihe mit knapp 165 000 Richtungsweisende Pionierleistungen Büchern fast verdoppelt – eigentlich ein Grund zur Freude. Doch der Hintergrund ist alles andere als freudig: Jeder zweite Es ist, als wäre das Gründungsdatum der Spandauer Bücherei Leser ist arbeitslos, der Anteil der männlichen Leser, die ver­ richtungsweisend, denn eine beachtliche Liste von Neuerun­ zweifelt versuchen, durch Weiterbildung eine bessere Chance gen nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland, ging von auf dem Arbeitsmarkt zu erlangen, liegt bei über 70 Prozent. Spandau aus: die »Heimausleihe«, das heißt die Versorgung

132 LESESAAL ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

Historische Ansichten der Stadtbibliothek Spandau. Foto: Stadtbibliothek Spandau

älterer oder gehbehinderter Leser/-innen in ihren Wohnun­ Doch es kann nicht immer bergauf gehen: 1992 entfallen gen, die erste Sonnabend-Ausleihe Berlins, die Einführung aufgrund von Sparmaßnahmen zehn Prozent des Personals der Fotoverbuchung in Deutschland, die erste Lochkarten-Sor­ und der Etat wird um die Hälfte gekürzt. Etliche Bibliotheken tiermaschine. Mit einer Ausleihe von über 700 000 Büchern werden geschlossen. steht Spandau 1965 auf Platz eins der Westberliner Bibliothe­ ken. Der Bestand in der Hauptstelle wächst auf über 100 000 Bände, und das Haus erhält 1974 einen Anbau, in dem auch Schwerpunkte setzen: Schule, Ausbildung und lebenslanges die damals hochmoderne Schallplatten-Ausleihe eröffnet. Lei­ Lernen der wird der Schallplattenspieler mit Kopfhörern schon nach kürzester Zeit gestohlen. Nach 45 Jahren zieht die Hauptbibliothek 2001 in das ehe­ Generell wird nun mehr an der Erweiterung des Angebots malige Postgebäude in die Altstadt Spandau, einem zentral neuer Medien gearbeitet: die Einführung von Musik- und Lite­ gelegenen Standort mit viel Platz, wie man damals annimmt. ratur-Kassetten, CDs, Software auf Disketten und schließlich Die technische Entwicklung nimmt nun einen großen Stel­ die Video-Ausleihe, die schnell ein großer Erfolg wird. lenwert ein. Ebenfalls 2001 erfolgt der Anschluss an den Ver­ bund der Öffentlichen Bibliotheken Berlins (VÖBB), 2003 startet Spandau seine Internetpräsenz und erwartet ihre/-n Neue Leser/-innen vs. Rotstift millionste/-n Besucher/-in. 2008 wird ein WLAN-Hotspot in der Bezirkszentralbibliothek (BZB) Spandau und Kladow in­ Mit der Maueröffnung kommen neue Leser aus dem nahen stalliert und beide sind fortan mit eigenen Endgeräten von Umland und sogar Rückgaben von Medien, die 1961 entliehen den Leserinnen und Lesern kostenlos zu nutzen. 2011 wird und über die Jahre aufbewahrt wurden. Seitdem steigen die in der Stadtteilbibliothek Kladow als erster Bibliothek Ber­ Ausleihzahlen weiter an, 1992 auf über 500 000. Bei 49 Öff­ lins die Selbstverbuchung mit RFID eingeführt. Die anderen nungsstunden in der Woche sind das 200 entliehene Medien Stadtteilbibliotheken folgen noch im Herbst. In der BZB er­ pro Stunde. Ende 1991 wird der erste PC angeschafft. Seit Ende folgt die endgültige Einführung 2012 nach dem Umbau der 1994 kann dann auch im Ausleihbereich recherchiert werden; Eingangshalle. die Stadtbibliotheken Charlottenburg, Steglitz, Schöneberg, Im gleichen Jahr erhält die Stadtteilbibliothek Falkenhage­ und Spandau nutzen die neue Technik in einem ner Feld einen Neubau, 2016 zieht auch die Zweigstelle Ha­ kleinen Verbund. selhorst in neue Räume. 2017 wird ein neuer Bücherbus im

BuB 73 02-03/2021 133 LESESAAL ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

bleiben: mit Berlins erster »Open Library« in Kladow in 2021 und einer tollen Geburtstagsparty zum 101. Geburtstag.

Was wir geplant hatten…

Da so ein Geburtstag schon etwas sehr Besonderes und auch Seltenes ist im Leben einer Bibliothek, wollten wir ihn gebüh­ STADT- rend feiern. »100 Jahre – 100 Tage« lautete daher das ursprüng­ liche Motto. Starten wollten wir die Feierlichkeiten mit einem BIBLIOTHEK großen, sommerlichen Hoffest am 18. Juli 2020 und enden SPANDAU sollte die Jubiläumsreihe nach 100 Tagen und 100 Veranstal­ AUSSTELLUNG 24.10. BIS 30.12.2020 tungen mit dem »Tag der Bibliotheken« am 24. Oktober 2020. 1OO JAHRE Das Hoffest war als Bibliotheksgeburtstag für kleine und große Kundinnen und Kunden sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbei­ tern mit verschiedenen Veranstaltungsangeboten und Krea­ CARL-SCHURZ-STR. 13, 13597 BERLIN tivstationen gedacht. Gleichzeitig wollten wir damit aber auch all unseren Kooperationspartnerinnen und -partnern eine Bühne bieten. Als Abschluss im Oktober waren verschiedene Veranstal­ tungen im ganzen Haus der Bezirkszentralbibliothek geplant und als Krönung eine Revue zur Geschichte der Bibliothek und ein Podiumsgespräch. Ein Booklet sollte über alle Veranstaltungen sowohl in der Bezirkszentralbibliothek als auch in den vier Stadtteilbibliothe­ ken informieren und bestimmt wären wir gemeinsam auch auf 100 Veranstaltungen gekommen. Für die Planung und Organisation engagierten wir Frank Sommer von eventilator e.V., mit dem wir über die Jahre im­ mer wieder zusammengearbeitet hatten. Er stand uns vor allem neuen Corporate Design der Stadtbibliothek Spandau auf die hilfreich zur Seite, als endgültig klar wurde: Corona hat uns Straßen geschickt. einen gewaltigen Strich durch die Rechnung gemacht und wie Nicht nur neue Räume machen die Spandauer Bibliotheken geplant kann da erst mal gar nix laufen. zu attraktiven außerschulischen Lernorten. EU-geförderte Pro­ jekte wie »Interkulturelle Bibliotheksarbeit«, »Familienbiblio­ thek« oder die »Lernoffensive« erschließen neue Zielgruppen …und was daraus wurde und stärken den Schwerpunkt Schule/Ausbildung/lebenslan­ ges Lernen. Es folgen Angebote wie Computerschulungen und Nachdem wir uns traurig von der Idee mit dem Fest verabschie­ digitale Sprechstunden für Seniorinnen und Senioren wie auch det hatten, fokussierten wir uns erst mal auf den Abschluss im Kooperationen, um den Spandauer Schülerinnen und Schülern Oktober. kostenlose Lernunterstützung anzubieten. Statt eines Booklets mit dem Veranstaltungsprogramm Die aktuellen Projekte »Sprachprofis« in Kooperation mit sollte es nunmehr ein Booklet mit einem kurzen Abriss zur Ge­ Spandauer Kitas zum frühkindlichen Spracherwerb oder »Di­ schichte sowie einer Beschreibung aller Bibliotheken nach be­ gital lokal« mit den Modulen Coding, Gaming und Making er­ stimmten Kriterien geben. Dazu gehörten wichtige Zahlen und weitern das Angebotsspektrum kontinuierlich. Fakten, ein kurzer Blick in die Geschichte des jeweiligen Stand­ Nach 20 Jahren am Standort in der Altstadt stößt das Ge­ ortes und eine Präsentation über die Schwerpunkte der Arbeit, bäude wieder an seine Grenzen, nicht unbedingt für den Be­ das jeweils Besondere. Die grafische Gestaltung übernahm un­ stand, aber für die bis zu 1 200 Besucher/-innen, die die Biblio­ sere mittlerweile »Haus- und Hofillustratorin« Julia Friese. In­ thek täglich besuchen, und ihre an die Bibliothek gestellten Be­ zwischen mit unserem Corporate Design sehr vertraut, ent­ dürfnisse: Arbeitsplätze für Gruppen und zum stillen Lernen, warf sie außerdem ein Plakat, auf dem sich unsere wichtigs­ Orte zum Austausch und zum Ausprobieren, zum Spielen, Ent­ ten, durchaus diversen Zielgruppen treffen. Jeder Figur ist in decken und Begegnen. Die Kosten hierfür liegen im zweistel­ Sprechblasenform eine Tätigkeit zugeordnet, die man mit der ligen Millionenbereich. Geplant war die bauliche Umsetzung Bibliothek verbindet: Ausleihen natürlich, aber auch denken, einer Machbarkeitsstudie eigentlich pünktlich zum 100. Ge­ arbeiten, chillen, vorlesen et cetera. burtstag. Nun wird aufgrund finanzieller Engpässe an einer mo­ Jede Präsentation enthält zusätzlich einen QR-Code, der dularen Lösung gearbeitet. Vorreiter möchte Spandau trotzdem zu einer Videobotschaft führt. Dieses Video ist eine persönliche

134 LESESAAL ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

Grußbotschaft einer Person, die der Bibliothek auf besondere Weise verbunden ist. So kommt eine Erzieherin zu Wort, die vom Katrin Seewald, Diplom-Biblio- Bilderbuchkino am Active Panel schwärmt, ein Ehrenamtlicher thekarin, 1990-2017 Bezirk Fried- erzählt von seiner Tätigkeit als »Medienbote«, der im Auftrag der richshain-Kreuzberg / Kinder- und Bibliothek Medien zu den Menschen bringt, die den Weg alleine Jugendbibliotheken, Mitentwick- nicht mehr schaffen, ein ehemaliges »Bibliothekskind«, nun­ lung des Programms »Kinder wer- mehr im jugendlichen Alter, berichtet, warum die Bibliothek im­ den WortStark«; seit 2018 Bezirk mer noch Heimat für ihn ist. So können en passant und sehr au­ Spandau: Koordinierung der Arbeit thentisch nicht nur verschiedene Zielgruppen zu Wort kommen, der Kinder- und Jugendbibliotheken. sondern es eröffnet sich nebenbei ein guter Einblick in die viel­ Seit 2003 auch als Referentin fürs fältige Palette der Angebote. Mehr dazu unter https://www.ber Goethe-Institut tätig. (Foto: Fotostu- lin.de/stadtbibliothek-spandau/aktuelles/artikel.996633.php dio Neukölln) Die Bibliothekspräsentationen und andere Texte aus dem Booklet zur Geschichte oder den Zukunftsvisionen wurden als Roll-ups gedruckt und stehen seit Oktober als im Foyer. Nach Ablauf der Ausstellung bekommt jeder Standort sein eigenes Ina Wolter, Studium der Germanis- Roll-up und kann es so für dauerhafte Werbezwecke nutzen. tischen Linguistik und Bibliotheks- Auch bei Vorträgen oder anderen Gelegenheiten sind sie prima und Informationswissenschaften an einsetzbar – ein tolles Werbemittel! der Humboldt-Universität zu Berlin. Ach ja, und der feierliche Abschluss im Oktober? Der fiel, Nach einem Berufsbeginn im Bereich Sie werden es ahnen, Corona zum Opfer… der Retrokonversion seit 2013 als Bi- Doch auch mit 101 Jahren kann und darf und sollte noch bliothekarin in der Bezirkszentralbi- gefeiert werden. Zwar nicht mit 100 Veranstaltungen, aber wir bliothek Spandau tätig, unter ande- geben die Hoffnung auf ein Hoffest nicht auf. rem als Leitung des Lernzentrums. Und in der Zwischenzeit können sich diverse Klassen über Seit Mitte 2020 ist sie die Leiterin der Comic-Workshops zum Thema »Die Bibliothek 2030« freuen, BZB. (Foto: Heiko Wolter) wenn nicht ... ach, lassen wir das.

ANZEIGE ® QURIA das LMS für die moderne Bibliothek

• QURIA ist neu: entwickelt für die Herausforder ungen So geht der digitalen Öffentlichen Bibliothek. LMS aus • QURIA ist (zukunfts-)sicher: der Cloud! von Axiell – dem europäischen Markt - führer mit 35 Jahren LMS-Erfahrung. • QURIA ist global UND lokal: aus der Cloud, jetzt schon live in Deutschland, der Schweiz, Schweden und Norwegen… • QURIA macht Spass: 100% responsiv! Das LMS in CAFÉ der Hosentasche, im Home- CAFÉ Office, in der OpenLibrary…

Wetten, dass Ihr LMS dagegen alt aussieht? Stellen Sie uns auf die Probe!

Lesen Sie mehr unter www.axiell.com/de

Axiell_Quria_tyska_180x126.indd 1 2021-01-20 10:34

BuB 73 02-03/2021 135 LESESAAL ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

Robert Langer, Marina Strohm Unterstützung bei der Bewältigung des digitalen Wandels  Seniorinnen und Senioren als Adressatinnen und Adressaten bibliothekspädagogischer Arbeit

Eine Erkenntnis aus der uns alle berührenden Pandemie ist Stelle relevanteste Frage: Wie passt das zu Öffentlichen Biblio­ die Sorge um unsere Eltern und Großeltern. Viele Anstren- theken? Und was wird für diese Zielgruppe aktuell angeboten?3 gungen, die wir unternehmen, um Abstand zu halten und Der Eintritt in die Lebensphase »Alter« wird oft mit dem ge­ Infektionswege zu unterbrechen, dienen dem Schutz der setzlichen Renteneintrittsalter von aktuell 65 kalendarischen besonders verletzlichen und damit gefährdeten Bevölke- Lebensjahren in Verbindung gebracht.4 Auch die Entwick­ rungsschicht der Alten. Ihnen und wie wir sie als bibliothe- lungspsychologie geht von einem Wechsel in die nächste Le­ karische Nutzergruppe bedenken und unterstützen kön- bensphase beim Erreichen des 65. Lebensjahres aus, wobei hier nen, gelten die folgenden Ausführungen. noch einmal zwischen dem höheren Erwachsenenalter und dem hohen Alter unterschieden wird.5 Das ist jedoch nur eine Hören wir von Bibliothekspädagogik, denken wir zunächst an Möglichkeit der Betrachtung. Das kalendarische Alter wird er­ Kinder- und Jugendliche. Wie begeistern wir sie für das Lesen, gänzt durch das subjektive Alter, durch Einflüsse aus früheren wie fördern wir die Lese- und Medienkompetenz, wie schaffen Lebensphasen, Wechselwirkungen mit sozialen und Umwelt­ wir für sie kreative Räume? Wir sehen sie als unsere wichtigste merkmalen und vielem mehr.6 Zielgruppe an, die sie zweifellos auch darstellen, denn sie sind Daraus folgt, dass die Zielgruppe Seniorinnen und Senio­ die Zukunft unserer Gesellschaft. Doch gerade im ländlichen ren eine höchst heterogene ist. Unter anderem die unterschied­ Raum, und mit dieser Entwicklung ist der Osten Deutschlands lichen Alterungsprozesse sowie die unterschiedlich ausgepräg­ nicht allein, gehören die Seniorinnen und Senioren zur größ­ ten körperlichen und geistigen Fähigkeiten führen zu besonde­ ten und am schnellsten wachsenden Bevölkerungsgruppe. Der ren Herausforderungen bei der Arbeit mit dieser Zielgruppe: Altenquotient lag 2018 laut Statistischem Landesamt in Sach­ Nicht nur ist mit verschiedenen Fähigkeiten und Alterungs­ sen bei 45 Prozent, der Jugendquotient bei 27 Prozent. Wäh­ prozessen umzugehen, auch haben sich durch vergangene Le­ rend letzterer in der nächsten Dekade laut Prognosen um drei bensphasen bereits Lernwege oder Lernabneigungen verfestigt, Punkte steigt, wird sich der Altenquotient um zehn Punkte er­ die sich nicht so schnell verändern lassen. höhen.1 Es wird also Zeit, dass wir uns um die Nutzergruppe 60+ kümmern und sie in unsere konzeptionellen Überlegun­ gen mit einbeziehen. Vielfalt statt Einfalt

Vielfalt ist das Schlüsselwort bei der Betrachtung der Bildungs­ Bildungsangebote für Seniorinnen und Senioren in zielgruppe Seniorinnen und Senioren. Angefangen sei bei der Öffentlichen Bibliotheken Lernfähigkeit. Diese ist zwar generell bis zum Ende des Lebens gegeben, allerdings vermindert sich die Lerngeschwindigkeit.7 Öffentliche Bibliotheken gelten als »zentrale Supportstruktu­ Dafür kann auf ein während des gesamten Lebens angehäuftes ren für das Lebenslange Lernen«.2 Sie sind offen für Nutzende Faktenwissen und auf Lebenserfahrung zurückgegriffen wer­ jeglichen Alters, jeglicher Ethnie und jeglicher Schulbildung. den, wodurch Gelerntes auf anderem Weg verknüpft werden Sie bieten allen Interessierten kostenfreien Zugang zu Bildung, kann.8 Das heißt jedoch auch, dass viele verschiedene Anknüp­ ob im informellen oder organisierten Rahmen. Der Begriff des fungspunkte zusammentreffen. Lebenslangen Lernens, welcher seit mehreren Jahren im Bib­ Genauso wie die Lernfähigkeit ist auch die bevorzugte liothekskontext zu finden ist, schließt explizit auch Lernen im Lernsituation ein Beweis der Vielfalt in dieser Zielgruppe. höheren Alter ein. Doch was genau heißt das? Ab wann ist man Ob in Gruppen, frontal, einzeln oder bei Kaffee und Ku­ »alt«? Welche Themen sind im Alter wichtig? Und die an dieser chen gelernt werden möchte, ist genauso individuell wie die

136 LESESAAL ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

Bildungsinteressen. Diese Vielfalt fin­ det sich nicht nur bei den Seniorin­ nen und Senioren, auch bei anderen Zielgruppen, wie Jugendlichen oder Kindern beispielsweise sind Unter­ schiede bei Lernsituation und Bil­ dungsinteresse zu erkennen. Trotz dieser Individualität bei den Lernin­ teressen gibt es laut Bundesarbeits­ gemeinschaft der Seniorenorganisa­ tion (BAGSO) jedoch Lieblingsthe­ men, die im Alter von Bedeutung sind. Dazu gehören Sprachen, Inter­ net, neue Kommunikationstechnolo­ gien ebenso wie Garten, Umwelt und Gesundheit.9 Dem Bereich Internet und neue Kommunikationstechnologien ist be­ sondere Aufmerksamkeit zu schen­ ken. Ohne an dieser Stelle zu sehr pauschalisieren zu wollen, gehörten Evaluation der Medienboxen der Landesfachstelle durch die Teilnehmerinnen des Workshops. Fotos: Personen ab 65 Lebensjahren auch Sächsische Landesfachstelle für Bibliotheken im Jahr 2019 noch zu den Abseits­ stehenden im digitalen Wandel. Ein großer Anteil dieser Per­ Bildungsbarrieren sonen hat kaum Kenntnis darüber, dass kostenlose Angebote mit den eigenen Daten »bezahlt« werden, etwa die Hälfte der Eine Untersuchung zu Bildungsbarrieren und -erwartungen Personen über 70 Jahren nutzt das Internet ab und zu.10 Und hat ergeben, dass ganz objektive Hürden wie die Distanz zu nur etwa 30 Prozent der Personen über 70 Jahren sagen, sie geeigneten Angeboten, mangelndes Wissen über Angebote und würden Fake News erkennen.11 Die Vorteile der Internetnut­ Kosten oder schlicht nicht vorhandener Zugang zu Wissens­ zung sehen Seniorinnen und Senioren selbst vor allem in den ressourcen Seniorinnen und Senioren von Bildung abhalten. Feldern »Wissen, Information, Lernen«, »Lauferei ersparen« Hinzu kommen subjektive Bildungsbarrieren, wie die Ansicht, und »Länger selbstständig bleiben« sowie beim Kontakt mit dass sich Lernen im Alter generell nicht mehr lohnen würde Freunden und Familie.12 Der Nutzen und das Ergebnis des oder dass der Bildungsbedarf nicht erkannt wird.14 Konkret Digital-Index gegenübergestellt zeigt, dass der selbstgese­ wären hier beispielsweise Kosten ein Aspekt, bei dem Öffentli­ hene Nutzen für diese Zielgruppe groß ist, Zugang und Um­ che Bibliotheken auf die Bedürfnisse der Zielgruppe eingehen gang allerdings noch Potenzial haben. Hier ergibt sich ein könnten. erster großer Schnittpunkt mit Angeboten der Öffentlichen Das Selbstverständnis der Öffentlichen Bibliothek, die Bil­ Bibliothek. dungsinteressen und -bedarfe und die objektiven Barrieren Die Förderung von Medien- und Informationskompetenz zeigen: Öffentliche Bibliotheken können und sollten spezi­ sowie Leseförderung gehört seit Jahren zu den Steckenpfer­ elle Bildungsangebote für Seniorinnen und Senioren anbieten. den der Bibliothekspädagogik.13 Diese Themen sind nicht nur Die Vielfalt der Zielgruppe gibt den Bibliotheken verschiedene für Kinder und Jugendliche von Relevanz, vielmehr zeigen Möglichkeiten, Angebote zu schaffen, aber auch die Herausfor­ Untersuchungen, dass besonders bei der Medien- und Infor­ derung, so viele Seniorinnen und Senioren wie möglich zu er­ mationskompetenzvermittlung auch bei Seniorinnen und Se­ reichen. Wie wichtig eine Konzentration auf diese Zielgruppe nioren Bildungsbedarf besteht. Studien ergeben ein hetero­ ist, zeigt nicht nur die demografische Entwicklung, auch die ak­ genes Bild: Über 65 Jahre alt sein heißt nicht, dass automa­ tuelle pandemische Situation gibt Anlass darüber nachzuden­ tisch Bildungsbedarf in diesem Bereich besteht. Man darf ken. Seniorinnen und Senioren, die als Risikogruppe so gut wie auch nicht dem Irrtum aufsitzen, dass jede Seniorin und je­ möglich geschützt werden und daher Familie und Bekannte der Senior genau den gleichen Bildungsbedarf hat. Hier sei derzeit nicht treffen sollen, wissen oft jedoch nicht, wie Video­ erneut auf die Vielfalt hingewiesen: Es gibt eine Vielzahl von telefonie funktioniert. Sie sollen zum Eigenschutz nicht ein­ Anknüpfungspunkten zwischen digital Abseitsstehenden und kaufen gehen, wissen aber teilweise nicht, wie ein Online-Ein­ den Seniorinnen und Senioren, die dabei keine Hilfe brau­ kauf funktioniert. Zum Schutz aller sollen sie auf persönlichen chen. Es reicht demnach nicht aus, Anfänger/-innenkurse für Fahrkartenkauf verzichten, wissen jedoch selten, dass man mit die Computernutzung anzubieten. Vielfalt muss mitgedacht einem Smartphone bezahlen kann. Die Relevanz von Bildung werden, um so viele Seniorinnen und Senioren wie möglich für Seniorinnen und Senioren, besonders im medienpädagogi­ zu erreichen. schen Bereich, wird deutlicher denn je.

BuB 73 02-03/2021 137 LESESAAL ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

Kooperationspartner/-innen der Seniorenarbeit Bildungsangebote für Seniorinnen und Senioren in sächsischen Bibliotheken Es ist nicht so, dass Öffentliche Bibliotheken mit dem Thema Bildung für Seniorinnen und Senioren allein auf weiter Flur Im Zuge der theoretischen Auseinandersetzung mit dem stehen würden. Mitunter gibt es bereits Akteurinnen und Ak­ Thema Bildung für Seniorinnen und Senioren in Öffentlichen teure in diesem Bereich, die Angebote geschaffen haben oder Bibliotheken wurde in Sachsen eine empirische Studie durch­ anderweitig aktiv sind. Hier ist das regionale Angebotsspekt­ geführt. Darin befragte die Autorin Bibliotheken in größeren rum zu untersuchen. Eine individuelle Betrachtung ist nötig, Kleinstädten (10 000 bis 20 000 Einwohner) der ländlichen um so gut wie möglich die potenzielle Rolle der Öffentlichen Räume zu ihren bisherigen Bildungsangeboten für Seniorin­ Bibliothek zu eruieren. Gibt es die Möglichkeit zu kooperieren nen und Senioren. Desweiteren interessierte sie der Stellen­ oder bestenfalls Unterstützerin für andere Akteurinnen und wert, den diese Zielgruppe im bibliothekarischen Alltag ein­ Akteure zu sein? Oder fehlt im Angebotsnetz womöglich ein nimmt, welche Akteurinnen und Akteure sich in den jeweiligen Aspekt, der durch die Bibliothek übernommen werden kann? regionalen Kontexten befinden und wie die bisherige Zusam­ Welche Kooperationsmöglichkeiten sind vorhanden? menarbeit aussieht.15 Auch wenn andere Themen wie die derzeitigen Hygiene­ Um eine Transferleistung der bibliothekswissenschaft­ konzepte, aber auch Kooperationen mit Schulen und Kinder­ lichen Analyse in den bibliothekarischen Alltag zu ermögli­ gärten oder die leidige Personalfrage die Zielgruppenarbeit mit chen, organisierte die Sächsische Landesfachstelle für Bib­ Seniorinnen und Senioren aus dem Fokus der Bibliotheken ver­ liotheken einen Workshop zur Arbeit mit Seniorinnen und drängen, sollte sie zum jetzigen Zeitpunkt wenigstens mitge­ Senioren innerhalb ihres Weiterbildungsprogramms. Die Mo­ dacht werden. In Anbetracht der gesellschaftlichen Verände­ tivation der teilnehmenden Bibliothekarinnen und Bibliothe­ rungen: Die Zukunftsfähigkeit von Öffentlichen Bibliotheken kare sich mit dem Thema zu beschäftigen war groß und ent­ kann nicht diskutiert werden, ohne den Seniorinnen und Seni­ sprach einem selbstempfundenen Defizit innerhalb der Kom­ oren mindestens ebenso viel Aufmerksamkeit zu schenken wie petenzaufstellung. Neben einer theoretischen Grundlegung anderen Zielgruppen, die im bibliothekspädagogischen Dis­ erhielten sie Inspiration, Anregungen und Umsetzungsideen. kurs bisher selbstverständlich wahrgenommen werden. Dabei stellte sich heraus, dass mancherorts bereits Aspekte

1 Vgl. Statistisches Landesamt des Freistaats Sachsen (2018): Be- 7 Vgl. Bubolz-Lutz, Elisabeth; Gösken, Eva; Kricheldorff, Cornelia; völkerung in Sachsen am 31. Dezember 2018 und Prognose 2030 Schramek, Renate (2010): Geragogik. Bildung und Lernen im Pro- nach Kreisfreien Städten und Landkreisen sowie Lastquotienten. zess des Alterns. Das Lehrbuch. Stuttgart, Verlag W. Kohlhammer, URL: https://www.statistik.sachsen.de/GBE/t2/thema2_12.htm S. 99; Rost, D. (2013): Handbuch Intelligenz, Weinheim, Basel, (12.01.2020) Beltz, S. 73 2 Stang, Richard (2018): Gesellschaftliche Veränderungsprozesse 8 Vgl. ebd. und Lebenslanges Lernen. Verortung Öffentlicher Bibliotheken 9 Vgl. Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisation e.V. im Bildungsdiskurs, in: Stang, Richard; Umlauf, Konrad, Hrsg. (BAGSO), Hrsg. (2019): Wie Bildung im Alter gelingt. Handrei- (2018): Lernwelt Öffentliche Bibliothek. Dimensionen der Veror- chung. Bonn. URL: https://www.wissensdurstig.de/wp-content/ tung und Konzepte. München, De Gruyter Saur, Seite 9-18, S. 12 uploads/2019/02/handreichung-wie-bildung-im-alter-ge 3 Damit beschäftigte sich Marina Strohm ausführlich in ihrer Mas- lingt-2019-1.pdf (27.11.2019), S. 15 terarbeit, die Anfang des Jahres 2020 an der HTWK Leipzig unter 10 Vgl. Initiative D21 e.V., Hrsg. (2019): D21-Digital-Index dem Titel »Bildungsangebote für Senior:innen in den Öffentlichen 2018/2019. Jährliches Lagebild zur Digitalen Gesellschaft. URL: Bibliotheken des Freistaats Sachsen. Eine Analyse der Rolle Öffent- https://initiatived21.de/app/uploads/2019/01/d21_in licher Bibliotheken der ländlichen Räume Sachsens innerhalb der dex2018_2019.pdf Geragogik« vorgelegt wurde. 11 Vgl. ebd. 4 Vgl. hierzu unter anderem: Bundestags-Drucksache 16/10155 12 Vgl. Telefónica Deutschland, Stiftung Digitale Chancen, Hrsg. vom 21.08.2008: Antwort der Bundesregierung auf die Große (2019): Leitfaden_Digitale Kompetenzen für ältere Menschen. So Anfrage der Abgeordneten Sibylle Laurischk, Ina Lenke, Miriam plane und gestalte ich Angebote zur Unterstützung von Senioren. Gruß, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP – Druck- 2. Auflage, S. 7 sache 16/8301 – Seniorinnen und Senioren in Deutschland. URL: https://www.bmfsfj.de/blob/77152/c5109554cac 13 Vgl. zum Beispiel Keller-Loibl, Kerstin (2018): Zur Etablierung 09879146f8317a6e7272f/bt-drucksache-senioren-in-deutsch einer Bibliothekspädagogik. Professionalisierung der Bildungs- land-data.pdf (26.11.2019), S. 5; Thieme, Frank (2008): Alter(n) arbeit Öffentlicher Bibliotheken, in: Stang, Richard; Umlauf, in der alternden Gesellschaft. Eine soziologische Einführung in die Konrad, Hrsg. (2018): Lernwelt Öffentliche Bibliothek. Dimen- Wissenschaft vom Alter(n). Wiesbaden, VS Verlag für Sozialwis- sionen der Verortung und Konzepte. München, De Gruyter Saur, senschaften, S. 35 Seite 47-56 5 Vgl. Lindenberger, Ulman; Staudinger, Ursula M. (2018): Höheres 14 Vgl. Kuwan, Helmut; Tippelt, Rudolf; Schmidt, Bernhard (2009): Erwachsenenalter, in: Schneider, Wolfgang; Lindenberger, Ulman, Weiterbildungserwartungen, Bildungsbarrieren und Informations- Hrsg. (2018): Entwicklungspsychologie. 8., überarbeitete Auflage. bedarf, in: Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (DIE), Hrsg. Mit Online-Material. Weinheim, Basel, Beltz, Seite 291-318, S. 292 (2009): Bildung Älterer. Chancen im demografischen Wandel. Bielefeld, W. Bertelsmann Verlag, Seite 156-171, S. 161 6 Vgl. Bubolz-Lutz, Elisabeth; Gösken, Eva; Kricheldorff, Cornelia; Schramek, Renate (2010): Geragogik. Bildung und Lernen im Prozess 15 Die Ergebnisse dieser Befragung wurden in besagter Masterarbeit des Alterns. Das Lehrbuch. Stuttgart, Verlag W. Kohlhammer, S. 28 dargestellt, die in Kürze im Wiborada-Verlag veröffentlicht wird.

138 LESESAAL ÖFFENTLICHE BIBLIOTHEK

in die bibliothekarische Bildungsarbeit integriert wurden, ohne sie explizit als Arbeit mit Seniorinnen und Senioren zu benennen. Die in Gruppenarbeit vorgestellten bisherigen Erfahrun­ gen belebten die Diskussion und brachten neue Ideen, un­ ter anderem auch zu möglichen Kooperationspartnern wie Volkshochschule, Ländliche Erwachsenenbildung im Freistaat Sachsen e.V., Landesverband Sachsen e.V. der Volkssolidarität oder Katholische Erwachsenenbildung Sachsen (KEBS). Die Landesfachstelle nutzte die Gelegenheit, von den nun profund Informierten ihre vorhandenen Medienboxen zu den Themen Alter, Seniorinnen und Senioren sowie Demenz evaluieren zu Marina Strohm (geboren 1995) studierte Bibliotheks- und lassen. Informationsmanagement an der HdM in Stuttgart und Im Ergebnis der für alle Seiten informativen Veranstal­ absolvierte anschließend den Masterstudiengang Biblio- tung wurde ein Aufbaumodul vereinbart, in dem konkrete theks- und Informationswissenschaft mit Schwerpunkt Konzepte und Best-Practice-Beispiele präsentiert werden sol­ Bibliothekspädagogik an der HTWK Leipzig. Derzeit arbei- len. Durch die Sensibilisierung für das Thema soll das Bil­ tet sie in der Bibliothek der Ernst-Abbe-Hochschule Jena dungsangebot für Seniorinnen und Senioren insgesamt er­ und richtet gelegentlich Workshops zum Thema Altenbil- weitert werden. Die Mitarbeitenden der Bibliotheken müssen dung aus. – Kontakt: [email protected] dafür nicht Spezialistinnen und Spezialisten in Altenbildung Dr. Robert Langer (geboren 1973) studierte Slavistik, Phi- sein. Vielmehr können Kompetenzen durch gezielte Koope­ losophie, Germanistik/DaF und Bibliotheks- und Informa- rationen mit Altenbildungseinrichtungen in Öffentliche Bib­ tionswissenschaft. Er promovierte in Philosophie zu an- liotheken integriert werden. Veranstaltungen anderer Anbie­ gewandter Ethik. Heute leitet er die Sächsische Landes- ter in den eigenen Räumlichkeiten stärken zudem die Wahr­ fachstelle für Bibliotheken und fungiert gelegentlich als nehmung der Bibliothek als Ort der (altersunabhängigen) Gutachter für wissenschaftliche Qualifizierungsarbeiten. Bildung.

ANZEIGE

Bibliotheksgebühren einfach online zahlen Mit dem Open-Source-Bibliothekssystem Koha und LMSCloud sb-marburg.lmscloud.net

BuB 73 02-03/2021 139 MAGAZIN FACHLITERATUR

»Informationelle Kompetenz«…

…als grundlegende Bedingung individueller Souveränität und eines gelingenden gesellschaftlichen Miteinanders

Winfried Gödert und Klaus Lepsky, Reihe von Grafiken (die nicht immer beide langjährig als Hochschulleh­ ausreichend erläutert werden1), eine rer mit unterschiedlichen fachlichen genussvoll zu lesende präzise Sprache, Schwerpunkten an der TH Köln, Insti­ die zahlreichen veranschaulichenden tut für Informationswissenschaft, tätig Beispiele und – bereichernd – die vielen (gewesen – Winfried Gödert) und aner­ Zitate, insbesondere auch die philoso­ kannte Experten auf den Gebieten Infor­ phisch-ethischer wie belletristisch-lyri­ mationserschließung und Wissensorga­ scher Herkunft. Insgesamt ist dem Titel nisation, Wissensrepräsentation, Infor­ eine sorgfältige Redaktion anzumerken. mation Retrieval, Computerlinguistik und Automatisches Indexieren, leisten Es handelt sich um eine infor- mit vorliegender Monografie den an­ mationelle Selbstbestimmung spruchsvollen Versuch, »Informatio­ gegen die Tendenz maschi- nelle Kompetenz« als grundlegende Be­ neller und algorithmischer dingung individueller Souveränität wie auch eines gelingenden gesellschaftli­ Fremdbestimmung. chen Miteinanders unter den Bedingun­ gen drohender informationstechnolo­ Das Buch wurde 2018/2019 verfasst; gischer Dominanz zu entwerfen. Aus­ die Besorgnis, dass rationales Denken drücklich tun sie das in Abgrenzung zum und Handeln mündiger Individuen als derzeitigen die bibliothekswissenschaft­ Grundlage gesellschaftlicher Gestaltung Gödert, Winfried; Lepsky, Klaus: In- liche Diskussion beherrschenden Kon­ in den westlichen Demokratien sich im formationelle Kompetenz: ein huma- zept von »Informationskompetenz«, das Niedergang zu befinden scheint, ist ein nistischer Entwurf. Berlin (u.a.): De sie mehrfach kritisch beleuchten (dazu Befund, der im ersten Kapitel ausführ­ Gruyter Saur, 2019. XII, 288 Seiten: Il- weiter unten mehr). lich argumentativ unterlegt wird und lustrationen ISBN 978-3-11-061738-2 Um »Informationelle Kompetenz« seitdem eher an Aktualität gewonnen – Festeinband: EUR 99,95. Auch als als »gelebte Informationelle Autono­ haben dürfte. Diese Besorgnis der Au­ E-Book erhältlich mie« theoretisch zu fundieren, span­ toren ist, das wird im Fortgang erhellt, nen die Autoren einen weiten fachli­ vielschichtig. Sie speist sich aus einer ge­ chen wie zeitlichen Rahmen und in­ sellschaftlich weit verbreiteten techno­ tegrieren Ansätze unterschiedlichster logieaffinen Fortschrittsgläubigkeit, die Wissenschaftsdisziplinen. im Kontext von Big Data und Künstlicher Die sieben Kapitel des Buches, ge­ Intelligenz verstärkt auf Dataismus und folgt von einem eindringlichen Schluss­ algorithmische Entscheidungssysteme wort, lesen sich außerordentlich interes­ setzt2 und damit menschliche »Denk- sant und anregend weit über die eigent­ und Handlungsvorgänge« (S. 24) entwe­ liche Lektüre hinaus. Sie verlangen dem der ersetzt oder zumindest präjudiziert, Leser allerdings auch einiges an Konzen­ letztlich mithin soziale Praktiken einer tration und Fokussierung auf den Text technischen Informationsverarbeitung ab, da die Kapitel konsequent inhaltlich unterwirft. Einhergehend damit wird aufeinander aufbauen, dicht formuliert die Befürchtung einer Umwertung »kog­ sind (wenn auch nicht frei von Redun­ nitiver« Prozesse formuliert, welche ma­ Anschrift der Rezensentin: Prof. Dr. Haike danzen) und sich das Gesamtkonzept, schineller »Intelligenz«, auch in Hinblick Meinhardt, Technische Hochschule Köln / inklusive der geschaffenen Terminolo­ auf deren Optimierungs- und Effizienz­ Fakultät für Informations- und Kommunika- gie, erst nach und nach vollständig er­ potenziale (S. 19), aufwertet und die an tionswissenschaften / Institut für Informati- onswissenschaft / Claudiusstraße 1, 50968 schließt. Hilfreich sind dafür das Glos­ Daten orientierte Auswertungslogik zur Köln, E-Mail: [email protected] sar, ein Sach- und Personenregister, eine beherrschenden werden lässt3. Diese

140 MAGAZIN FACHLITERATUR

Entwicklungen bündeln die Autoren im menschlicher Informationsverarbei­ werden kann (beispielsweise die Dis­ Begriff »Computermetapher« (S. 11). tung, von Wissensaneignung, von Modi kussion um Fake News). Dem derzeiti­ Dass die schleichende Tendenz »In­ des Wissenstransfers und den Voraus­ gen Konzept von Informationskompe­ formationelle Selbstbestimmung zu­ setzungen erfolgreicher Kommunika­ tenz weisen die Autoren demgegenüber gunsten maschineller und algorithmi­ tion. Gödert/Lepsky synthetisieren da­ ein eher instrumentelles Verständnis zu, scher Fremdbestimmung« fast wider­ für informationswissenschaftliche, er­ wie übrigens auch der Medienkompe­ standslos aufzugeben (S. 26) den Weg kenntnistheoretische, psychologische, tenz4 (S. 185). Eine Sichtweise, die dem zu einem »informationellen Totalitaris­ philosophische/sprachphilosophische, derzeitigen fachlichen Stand nicht ge­ mus« (S. 27) bahnen könnte, ist kein kognitionswissenschaftliche, linguisti­ recht wird. Und wenn die Autoren auf S. ganz neuer Gedankengang. Das Ver­ sche, informatische… Ansätze; die ver­ 223 fordern, dass die »Bewältigung der dienst der Autoren ist es, aufzuzeigen, arbeitete Literatur ist enorm – Tegmark, Informationsflut« eben auch »eine Be­ was menschliche Informationsverarbei­ Harari, Popper, Searle, Chomsky, Wei­ wertung und Selektion (von Informatio­ tung ausmacht und inwiefern ohne in­ zenbau, Strohschneider, Nida-Rümelin, nen – HM) nach qualitativen Eigenschaf­ formationelle Autonomie als Grundpfei­ Kuhlen, Wersig, Wiener – um nur ganz ten« erfordere – dann ist dies genau das, ler »menschlicher Grundausstattung« wenige zu nennen. was derzeit unabdingbar mit der Ausbil­ (S. 9) eine humanistische Gesellschaft »Informationelle Autonomie« wird dung von Informationskompetenz und nicht zu denken ist. schließlich begründet als »die Fähig­ ihrer didaktischen Vermittlung verbun­ keit zur kognitiven Informationsverar­ den wird. beitung selbst angeregter oder durch Informationelle Autonomie Sinneswahrnehmung angestoßener Zu­ Eine konsistente Konstruktion stände und der damit verbundenen Re­ informationeller Autonomie. Die folgenden Teil-Kapitel legen eine zeption externalisierter Informationen.« tiefgehende theoretische Grundlage: (S.74). Begriffe wie aktuelle und poten­ Diskutiert werden Dimensionen von In­ zielle Information, kognitive Plastizität, Wie kann der Mensch sich informatio­ formation, kognitive Strukturen und Strukturdeterminiertheit, strukturelle nelle Autonomie bewahren, wie infor­ Wirklichkeitskonstruktion, Wissen und (kommunikative) Koppelung, Referenz­ mationelle Selbstbestimmung behaup­ Wissensmodell, Wissenskomponenten, bereiche des Wissens fügen sich schließ­ ten, ohne die auch Selbstvertrauen, Ge­ Wissensformen, Wissenstransfer, Ex­ lich zu einer konsistenten Konstruktion borgenheit und Selbstwertgefühl und ternalisierung und Rezeption von Infor­ informationeller Autonomie. letztlich gesellschaftlich Freiheit ero­ mation, Kommunikation… Für den Le­ dieren? Gödert/Lepsky diskutieren an ser entwickelt sich ein komplexes Bild vielen Phänomenen und alltäglichen Grundfunktionen Informationeller Beispielen, wie weit bereits informati­ Kompetenz onelle Abhängigkeiten, teils auch infor­ 1 Fehlerhaft scheint der Verweis auf S. 94 zur Grafik auf S.59 statt korrekt auf S. mationelle Entmündigung und Selbst­ 64? Im Fortgang wird das Augenmerk auf entmündigung fortgeschritten sind (Ka­ 2 HM: Derzeit beispeilsweise auch zu be- die »kognitiven Operatoren« und Grund­ pitel 6 / 7). Das Unbehagen, das immer obachten in konkreten sozialen Anwen- funktionen Informationeller Kompetenz mehr Menschen befällt, die in ihrem All­ dungsfeldern (innerhalb der EU) wie der als »gelebter Informationeller Autono­ tag in wachsendem Maße »digitalen As­ Erfolgsabschätzung bei der Vergabe von mie« gelegt. Die Verfasser identifizie­ sistenten« freiwillig oder unfreiwillig Weiterbildungsmöglichkeiten für Arbeits- lose (mit der eventuellen Konsequenz ren hier vor allem Fähigkeiten wie das ausgesetzt sind, deren Funktionsweise von Gewährung oder Nicht-Gewährung). Kontextualisieren, Abstrahieren, Spe­ einer Black Box gleicht5, die von Ran­ 3 HM: Der Begriff »Auswertungslogik« zifizieren, Instantiieren, Assoziieren… king- und Scoring-Verfahren tangiert stammt nicht von den Autoren, wie gene- bis hin zu den eher weniger rationalen werden, welche menschliches Verhal­ rell die von der Rezensentin verwendete Fähigkeiten zur Intuition, der Bildung ten anhand quantitativer Parameter be­ Begrifflichkeit teils auch interpretato- von Heuristiken, Hypothesen, Kreativi­ werten und über Lebenschancen (auch risch zu verstehen ist. tät, dem Erkennen von Plausibilitäten, in Bildung und Wissenschaft) entschei­ 4 Eine Sichtweise, die aus Sicht der Rezen- sentin dem medienwissenschaftlichen dann auch der Bildung von Analogien, den – wird durch die Autoren aufgenom­ wie -pädagogischen Ansätzen beispiels- dem Schlussfolgern, Strukturieren und men und die dahinter stehenden Mecha­ weise auch von Dieter Baacke nicht Ordnen. Fähigkeiten, deren Stärkung als nismen werden anschaulich und präzise gerecht wird. »Invarianten« kognitiver Fähigkeiten, es artikuliert. 5 Ein aktuelles Beispiel wäre hier beispiels- zulassen, dass auch unter den Bedin­ weise der ab dem kommenden Jahr gungen von veränderten medialen und beginnende (erzwungene) Einbau von Smart-Meter-Geräten, zumindest von kommunikativen Welten (beispielsweise Eine Gestaltungsbasis des Einzelnen »intelligenten Energiemessgeräten«, die die Dominanz sozialer Netzwerke, Frag­ Verbrauchs-Energiedaten weitermelden mentierung von Wissensbeständen…) Was aber wäre entgegenzusetzen? Die und eine externe Steuerung zulassen. informationell mündig gehandelt Autoren sehen noch(!) keinen Anlass

BuB 73 02-03/2021 141 MAGAZIN FACHLITERATUR / NEUE FACHLITERATUR

zu Defätismus, sondern plädieren für einen umfassenden gesellschaftlichen Neue Fachliteratur Diskussions- und Bildungsprozess, der informationelle Autonomie jedes Ein­ Bibliotheken als Orte kuratorischer Praxis / Herausgegeben von Klaus Ulrich Werner. zelnen als »Gestaltungsbasis« (S. 246) Berlin (u.a.): De Gruyter Saur, 2021. VI, 259 Seiten. (Bibliotheks- und Informationspra- avisiert, die Komponenten informati­ xis; 67) ISBN 978-3-11-067358-6 – Hardcover: EUR 69,95; auch als E-Book erhältlich oneller Autonomie gezielt stärkt und eine Gleichwertigkeit von rationalem Bücher im Open Access: Ein Zukunftsmodell für die Geistes- und Sozialwissen- und erfahrungsbasiertem Wissen her­ schaften / Dorothee Graf; Yuliya Fadeeva; Katrin Falkenstein-Feldhoff (Heraus- stellt. Die Entwicklung hin zu einem geberinnen). Opladen: Verlag Barbara Budrich, 2020. 211 Seiten: Illustrationen. Konzept »Informationeller Vernunft«, ISBN 978-3-8474-2460-4 – Broschiert: EUR 39,90 bislang ein Desiderat, benötige jedoch vor allem Zeit, gründliche Analysen Canuel, Robin; Crichton, Chad: Approaches to liason librarianship: Innovations in und Schlussfolgerungen, die auch kul­ organization and engagement / Edited by ACRL. Chicago, IL: American Library As- turell-transzendente und emotionale sociation Editions, 2021. 328 Seiten. ISBN 978-0-8389-4851-4 – Softcover: USD Quellen des Ich-Verständnisses (S. 245) 70,–; auch als E-Book erhältlich. inkludiere. Creative Commons: for Educators and Librarians / Creative Commons. Chicago, IL: Es liegt hier ein humanisti- American Library Association Editions, 2020. 143 Seiten. ISBN 9780838919460 scher Entwurf vor, der sich – Paperback: USD: 44,99 – Online als pdf unter https://drive.google.com/fi mit den Entwicklungen in der le/d/1w2Kz8c7xpf-fRIqRvkUjqt9drSRl7MRG/view und als Text https://certifica digitalen Transformation tes.creativecommons.org/cccertedu/ befindenden westlichen De- Facetten von Wolf Stock und ihre Bedeutung für die Informationswissenschaft: mokratien auseinandersetzt. Festschrift zu Ehren von Wolfgang G. Stock / herausgegeben von Isabelle Dorsch... Glückstadt: Hülsbusch, 2020. 176 Seiten: Illustrationen (Schriften zur Informationswissenschaft; 73) ISBN 978-3-86488-167-1 – Hardcover: EUR 27,80 Aus Sicht der Rezensentin liegt mit die­ sem Titel tatsächlich ein humanisti­ Fürbeth, Frank: dieser Stadt Franckfurt legiren wir unsere Bibliothec: Johann scher Entwurf vor, der sich aspektreich Hartmann Beyer und seine Bücherstiftung aus dem Jahre 1624. Frankfurt am und umfassend mit den positiven wie Main: Klostermann, 2020.152 Seiten: Illustrationen. (Frankfurter Bibliotheks- vor allem bedenklichen Entwicklungen schriften; 20) ISBN 978-3-465-01894-0 – Softcover: EUR 18,– von sich in einer höchst dynamischen digitalen Transformation befindenden Historisches Erbe und zeitgemäße Informationsinfrastrukturen: Bibliotheken am westlichen Demokratien auseinander­ Anfang des 21. Jahrhunderts; Festschrift für Axel Halle / Matthias Schulze (Her- setzt. Humanistisch, weil die komplexe ausgeber). Kassel: kassel university press, 2020. 532 Seiten: Illustrationen, grafi- Grundausstattung des Menschen, seine sche Darstellungen. ISBN 978-3-7376-0909-8 Broschiert: EUR 39,90. Online (cc so voraussetzungsreiche und subjek­ by sa 4.0) verfügbar unter http://dx.doi.org/doi:10.17170/kobra-202010131934 tive Wirklichkeitskonstruktion mit dem Konzept der informationellen Auto­ Kirschner, Silvana: Prozessoptimierung und Konsolidierung verteilter Datenbe- nomie rückgekoppelt werden. Manuel stände in Bibliotheken: am Beispiel von Haushalts-und Erwerbungsdaten der Castells (»Das Informationszeitalter«) SLUB Dresden. Wildau, Technische Hochschule, Masterarbeit, 2020. 88, LXX hat vor Jahren aus soziologischer Per­ Seiten: Illustrationen. Online verfügbar unter https://opus4.kobv.de/opus4-th- spektive davor gewarnt, dass informa­ wildau/files/1354/MasterarbeitKirschner.pdf tionelle Überforderung Gesellschaften fragmentieren und klassieren könnte in Rösch, Hermann: Informationsethik und Bibliotheksethik: Grundlagen und Praxis. Inseln der Informationsverweigerer wie Berlin (u.a.): De Gruyter Saur, 2020 (2021). 583 Seiten: grafische Darstellungen. die der Informationseliten. Dieser sehr ISBN: 978-3-11-051959-4 – Hardcover: EUR 69,95. Online als Open Access (pdf, realen Gefahr aus einer reflektierten epub) verfügbar unter https://www.degruyter.com/view/title/524646 und handlungsfähigen Perspektive her­ aus mit einem Gegenkonzept in gesell­ Sprengel, Sophia: Öffentliche Bibliotheken als Akteure Kulturelle Bildung? Berlin: schaftlicher Verantwortung zu begeg­ Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft der Humboldt-Universi- nen, dafür haben die Autoren eine erste tät zu Berlin, 2021. 81 Seiten (Berliner Handreichungen zur Bibliotheks- und In- Grundlage gelegt. Es wäre zu wünschen, formationswissenschaft; 464) – Zugänglich als Open Access (cc by-nc-nd 4.0) dass sie breit rezipiert würde. unter http://dx.doi.org/10.18452/22351 Haike Meinhardt

142 MAGAZIN FACHLITERATUR

Eine Debatte, die ins Leere läuft

Die Informationswissenschaft als wissenschaftssoziologisches Fallbeispiel

Zukunft der Informationswissen- schaft: Hat die Informationswissen- schaft eine Zukunft?; Grundlagen und Perspektiven – Angebote in der Lehre – An den Fronten der Informa- tionswissenschaft / Herausgegeben von Willi Bredemeier. Berlin: Simon Verlag für Bibliothekswissen, 2019. 443 Seiten: Illustrationen ISBN 978- 3-945610-46-6 - Broschur: EUR 20,–

Willi Bredemeier – Journalist, promo­ vierter Wirtschaftswissenschaftler und seit den 1970er-Jahren Akteur in der deutschen Informationswirtschaft – hat in diesem Sammelband Statements und Texte zusammengetragen, die sich mit Ausrichtung, Problemen und Me­ thoden der Informationswissenschaft beschäftigen. Ausgangspunkt – und daher wohl auch Grund für den recht alarmistischen Untertitel – war die Auf­ lösung der Lehrstühle für Informations­ wissenschaft in Konstanz, Saarbrücken und Düsseldorf nach Emeritierung der Lehrstuhlinhaber. Diese führten zwischen 2016 und 2018 zu einer Debatte über die »Zukunft der Informationswissenschaft« in Bre­ demeiers Zeitschrift »Open-Password«1.

Anschrift der Rezensentin: Dr. Ulla Wimmer, Institut für Bibliotheks- und Informations- wissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin, Unter den Linden 6, 10099 Berlin, 1 http://password-online.de/push-dienst- [email protected] archiv-2016 [17.01.2021]

BuB 73 02-03/2021 143 MAGAZIN FACHLITERATUR

Teilnehmer waren die emeritierten Pro­ den 1970er-Jahren im Fach sozialisiert – seien es die Science and Technology fessoren Kuhlen (nicht im Band vertre­ wurde und die anderen später. Zwei­ Studies, die Kulturwissenschaft oder die ten) Umstätter (2019 verstorben), Gö­ tens ergibt sich daraus eine Gap zwi­ Gender Studies. Dieser »Fluch der Inter­ dert und Bredemeier selbst. Diese Texte schen emeritierten und noch in der Wis­ disziplinarität« müsste in der heutigen, bilden Kapitel 1 des Bandes (»Ausgangs­ senschaft aktiven Wissenschaftlerinnen vernetzten aber immer noch stark von punkte«). Drei kurze Texte von Gödert und Wissenschaftlern. Und drittens gibt disziplinbezogener Governance gepräg­ und einer von Bernd Jörs (Hochschule es eine Gender-Gap: Die vier (von 33) ten Forschungslandschaft eher struktu­ Darmstadt) bilden Kapitel 2 (»Grund­ Erstautorinnen des Bandes sprechen alle rell und politisch diskutiert werden als sätzliche Kritik an der Informationswis­ in Teil 2; an der Debatte in Teil 1 ist keine fachlich-inhaltlich (also als Versagen der senschaft«). Zwei Beiträge von Umstät­ Frau beteiligt. »heutigen« Informationswissenschaft). ter und fünf weiteren Professoren erge­ Vielleicht ist dies ein Grund dafür, wa­ ben Kapitel 3 (»Die Suche nach einem rum die Debatte nicht von den Aktiven Bezugsrahmen«). Die Kapitel 1 bis 3 Die Einordnung der Positionen und in der Disziplin aufgenommen wurde. summiert der Herausgeber im Vorwort Standpunkte fehlt unter die Perspektive »Wie die Informa­ tionswissenschaft sein sollte« (S. 19) Es hätte nun für die Diskussion und die Undiskutiert bleibt am Ende und kontrastiert dies mit den Kapiteln 4 Entwicklung der Informationswissen­ auch die Kernfrage, wie viel bis 6: »Wie die Informationswissenschaft schaft nützlich und fruchtbringend sein Profil - und damit Abgrenzung tatsächlich arbeitet« (ebenda): Kapitel 4 können, diese drei Gaps zu thematisie­ – ein Fach für seinen eigenen (»Wissenschaftliche Bibliotheken«) um­ ren und sie in die Auseinandersetzung fasst zwei Beiträge der Direktoren der einzubeziehen. Dass dies nicht passiert wissenschaftspolitischen ZBMed und der TIB Hannover. Kapitel ist, muss man als die verschenkte Chance »Systemerhalt« braucht. 5 (»Aus der informationswissenschaftli­ der Publikation bezeichnen. Denn durch chen Lehre – Gesamtbilder – Beispiele«) die zeitliche und biografische Einord­ enthält Beiträge zur derzeitigen Struk­ nung der Autorenstandpunkte (es sind Die spezifische biografische Position der tur und Inhalten der bibliotheks- und ja auch etliche Nachwuchswissenschaft­ Autoren nicht für die Debatte fruchtbar informationswissenschaftlichen Studi­ lerinnen und -wissenschaftler im Band zu machen ist schon deshalb ein Feh­ engänge, unter anderem einen weiteren vertreten) hätte die Diskussion deutlich ler, weil sie sich an vielen Stellen auf­ Beitrag von Jörs. Kapitel 6 (»An den For­ an Plastizität und Tiefe gewinnen und zu drängt: zum Beispiel bei der Erwäh­ schungsfronten der Informationswissen­ einer echten Auseinandersetzung über nung von »Umwälzung durch Suchma­ schaft«) vereinigt zehn Beiträge zu aus­ Entwicklung und Perspektiven der Dis­ schinen«, »Information auch in digitaler gewählten Forschungsthemen. ziplin führen können. Form«, oder »Informationssuche auch durch Laien« –Sachverhalte, die junge Der »Fluch der Interdisziplina- Informationswissenschaftlerinnen und Autorinnen/Autoren und »Gaps« rität« müsste in der heutigen, -wissenschaftler überhaupt nicht mehr vernetzten Forschungsland- thematisieren, weil sie für sie selbstver­ Die Autorinnen und Autoren des Bandes schaft eher strukturell und ständlich sind. Die beiden Perspektiven sind überwiegend an informations- und von »Verlust« (eines bestimmten histo­ politisch diskutiert werden als bibliothekswissenschaftlichen Institu­ risch situierten Profils) und »Diversifi­ ten deutscher Hochschulen tätig, einige fachlich-inhaltlich. zierung« (einer sich etablierenden Dis­ in der Informationswirtschaft. Den He­ ziplin) zu vergleichen, hätte ein wissen­ rausgeber unterstützten Frauke Schade schaftssoziologisch gewinnbringendes (HAW Hamburg) und die KIBA (Konfe­ Statt dessen wird in den Kapiteln 1 und Vorgehen sein können. renz der Informatins- und Bibliotheks­ 2 (teilweise auch in 3) aus einer »stand­ Gelegentlich zeigt sich in Teil 1, dass wissenschaftlichen Ausbildungs- und punktlosen« Position heraus nach abso­ die pointierten Beiträge einer laufenden Studiengänge) bei der Konzeption des luten, allgemeingültigen Lösungen und Debatte außerhalb ihres ursprünglichen Buches (vor allem Kapitel 3 bis 7). Grenzen – Definitionen, »eigenen« Me­ Kontextes ihre Lücken haben: Manch­ Zwischen den Teilen 1 (Wie die IW thoden, Alleinstellungsmerkmalen, Ab­ mal fehlen den Texten Elemente, die zu sein sollte) und 2 (Wie sie derzeit ar­ grenzungen, »Forschungsfronten« – der einer kohärenten Argumentation gehö­ beitet) zeichnen sich grob (mit Ausnah­ Informationswissenschaft gefragt bezie­ ren würden, manchmal führen die ge­ men) drei »Gaps« ab: erstens eine Ge­ hungsweise das Fehlen derselben in der genseitigen Bezüge zu einer gewissen nerationen-Gap (leider enthält das Au­ »heutigen« Informationswissenschaft Überschneidung. Trotzdem sind sie als torenverzeichnis keine Geburtsdaten, beklagt. Dass derlei für ein interdiszip­ Dokumentation der Perspektiven dieser die dies leichter nachvollziehbar ma­ linäres Fach schwierig ist, ist zweifellos Generation der deutschen Informations­ chen). Aus dieser Gap ergibt sich, dass ein politisch-strategischer Nachteil, der wissenschaft relevant und das struktu­ eine Gruppe (Teil 1) vorwiegend in jede interdisziplinäre Disziplin schwächt relle Problem der Schließungen muss

144 MAGAZIN FACHLITERATUR

schließlich auch von der aktiven Com­ Forschungsansätze und -projekte der Zur Rezeption des Bandes munity reflektiert werden. aktuellen Informationswissenschaft. Ratlosigkeit hinterlassen allerdings Besonders hervorzuheben ist hier der Die Lektüre des Bandes ist gewinnbrin­ die beiden längeren Beiträge des akti­ Beitrag von Hauff-Hartig zu »Fehl-, gend und interessant, sofern man da­ ven Professors Bernd Jörs. Sie lesen sich Falsch- und Desinformation als infor­ bei eine Meta-Ebene einnimmt und ihn mit ihren umfangreichen Zitaten wie mationswissenschaftliche Herausfor­ als wissenssoziologisches Fallbeispiel eine lange Sammlung von Belegen für derung«. An etlichen Stellen gehen liest: Die Lektüre erfolgte – teils invol­ eine immer empörtere Argumentation, die Autorinnen und Autoren dabei am viert, teils distanziert – aus der Position die aber selbst nie explizit gemacht wird Rande auf die in Teil 1 aufgeworfenen einer spät aus der Bibliothekspraxis zur – jedenfalls nicht in dieser Publikation. Fragen nach den »eigenen« Fragestel­ Wissenschaft gestoßenen Hochschul­ lungen und Methoden ein (Griesbaum, mitarbeiterin. Aus Teil 1 ergab sich für Lewandowski, Spree). Sie sind in dieser die Autorin ein deutlicheres Verständ­ Beiträge aus der Forschung Form als eine verhaltene Antwort zu se­ nis dafür, wo die Informationswissen­ hen, ohne sich auf die grundsätzliche schaft herkommt und wie sehr sie sich Die Autorinnen und Autoren in den Ka­ und strategische Ebene der Beiträge in verändert hat. Aus Teil 2 lassen sich die piteln 4 bis 6 hatten den Vorteil, ihre Bei­ Teil 1 zu begeben. Diversifizierung und durchaus auch träge von vorn herein konzipieren und Dass dieser Querschnitt durch die der spezifische Blick der aktuellen In­ strukturieren zu können – dafür fehlt ih­ derzeitige Forschungslandschaft nicht formationswissenschaft ableiten. Die nen manchmal der lebhafte Gestus der alle Bereiche abdecken kann, liegt auf Frage, wie beides zusammenkommt, Diskussionsbeiträge in Teil 1. der Hand und ist sicher kein Manko des bleibt offen; und undiskutiert bleibt Die in Kapitel 6 aufgezeigten »For­ Bandes. Es ist aber bemerkenswert, dass am Ende auch die Kernfrage, wie viel schungsfronten« enthalten je ein bis ausgerechnet das Forschungsfeld Infor­ Profil – und damit Abgrenzung – oder vier Beiträge zu den Themen Online- mation Behaviour fehlt, mit dem die wie viel Offenheit und Diversifizierung Marketing, User Experience, Such­ neuere Informationswissenschaft das ein Fach heute für seinen eigenen wis­ maschinen, Fake News, »Smart City alltägliche Informationsverhalten von senschaftspolitischen »Systemerhalt« und Smart Country«, Digitalisie­ Akteurinnen und Akteuren außerhalb benötigt. rung und Forschungsinfrastruktur. von Wissenschaft und Wirtschaft zu ih­ Diese Texte beschreiben interessante rem Forschungsgegenstand erklärt hat. Ulla Wimmer

ANZEIGE

Missing Link | Internationale Versandbuchhandlung

Westerstrasse 114-116 | D-28199 Bremen | fon: (0421) 50 43 48 | fax : (0421) 50 43 16 Erwerbungspartner, mit denen Sie rechnen können Flexibel Erfahren Innovativ Konditionsstark Serviceorientiert Engagiert Klar

[email protected] | www.missing-link.de

BuB 73 02-03/2021 145 AUS DEM BERUFSVERBAND VORGESTELLT: BIB-AKTIVE

München… Bayern… Deutschland – ein Fazit  Christa Waltenberg, die ehemalige Leiterin der Juristischen Bibliothek der Stadtbibliothek München, zieht Bilanz

Ihr Fazit zur langjährigen BIB-Arbeit das zeitliche und inhaltliche Abstimmen schöne Tradition ein, gemeinsam die zieht die ehemalige Leiterin der Juris- mit den Fortbildungsangeboten anderer Landesausstellungen zu besuchen. tischen Bibliothek der Stadtbibliothek Anbieter wie beispielsweise der Lan­ Nach den Fusionen mit BBA und spä­ München. Die »Hogwarts-Bibliothek« desfachstelle für das öffentliche Biblio­ ter mit dem VdDB war die Herausforde­ – ein Kleinod im Münchner Rathaus – thekswesen. Stießen Thema auf weniger rung, den neuen Verband mit Leben zu schätzen Jurist*innen wie Filmschaf- oder wenig Resonanz hinterfragten wir füllen. Respekt und gegenseitige Wert­ fende, die einen wegen dem aktuellen mögliche Gründe: falsches Thema, fal­ schätzung bildeten eine gute Basis. Nicht Inhalt und die anderen wegen dem scher Referent, falscher Zeitpunkt, fal­ zuletzt trug das Kennenlernen in ge­ Ambiente. Der beeindruckende Le- scher Ort. meinsamen Fortbildungen viel dazu bei. sesaal zählt zu den »111 Orte, die man Schön, im Rückblick zu sehen, wie Ohnehin war der Aspekt der Vernet­ in München gesehen haben muss«1. Fortbildung einem »Zeitgeist« unter­ zung einer meiner Leitgedanken: ver­ liegt: Wer erinnert sich heute noch an netztes Arbeiten im Landesvorstand; In der BIB-Landesgruppe Bayern war das »Neue Steuerungsmodell« in Anleh­ Voraussetzungen für ein »come to­ ich seit 1990 zwanzig Jahre aktiv und nung an das Tilburger Modell oder an gether« der Mitglieder zu schaffen; die weitere Jahre als Rechnungsprüferin die »Fraktale Bibliothek«? Bestimmte Zusammenarbeit mit anderen biblio­ und Aktive im Hintergrund. Unabhän­ Themen haben ihre Zeiten, so wurde thekarischen Akteurinnen und Akteu­ gig von den verschiedenen Vereinsna­ zu Beginn meiner Verbandstätigkeit ren sowie Kooperationspartnerinnen men – es war eine arbeitsintensive, aber die Wichtigkeit von IT-Themen und von und -partnern aktiv zu suchen, wo im­ auch schöne Zeit. Ich durfte viele inter­ elektronischen Medien auch für die klei­ mer Gemeinsamkeiten gefunden wer­ essante Kolleginnen und Kollegen ken­ neren Öffentlichen Bibliotheken von den den konnten. Heute nennen wir das eine nenlernen, habe viele Anregungen be­ verantwortlich Agierenden weniger er­ »Win-Win-Situation«. kommen und mit den Augen und Ohren kannt, aber schon entsprechende Fort­ Der Vorstand des BIB-Bayern unter­ viel für meinen Alltag mitgenommen. bildungen verstärkt angeboten. Auch das nahm große Anstrengungen, den Ausbil­ Stichpunktartig zusammengefasst wa­ Verständnis und die Bedeutung von Ziel­ dungsberuf des Fachangestellten für Me­ ren Schwerpunkte meiner BIB-Arbeit gruppenarbeit und generell zur konzep­ dien- und Informationsdienste in Bayern Fortbildung, vernetztes Arbeiten, FaMI- tionellen Arbeit mussten erst wachsen. anzustoßen. Wir standen im regen Kon­ Ausbildung und Wahlprüfsteine. takt mit Kolleginnen und Kollegen aus Die Fortbildungen mit qualifizier­ anderen Bundesländern, um von deren ten Referentinnen und Referenten – ob Sachthemen und »soft skills« breitgefächertem Wissen der rechtlichen aus dem Bibliothekswesen oder von »au­ Rahmenbedingungen und den vielfälti­ ßen« – waren mir eine Herzensangele­ Ein Personalverband wie der BIB darf gen Praxiserfahrungen bei der Schaf­ genheit. Auch wenn die Finanzierungs­ neben den Sachthemen den Bereich der fung von Ausbildungswegen zu profitie­ wege manchmal kompliziert waren, mit »soft skills« nicht vernachlässigen, so ren. Schließlich wollten wir in Bayern Kooperationen konnte mancher »Edel­ umfassten unsere Angebote auch bei­ konstruktiv mitdiskutieren! stein« zum Funkeln gebracht werden, spielsweise Stimmschulung oder Stilbe­ Die Anregung des BIB, Wahlprüf­ ohne die Mitglieder zu stark zu belasten. ratung (für weibliche Mitglieder). Das steine zur Landtagswahl 2008 zu for­ Fortbildung stellt eine dringende Pendant für männliche Mitglieder kam mulieren, wurde zunächst von den an­ Notwendigkeit dar und bedeutet »kein mangels Nachfrage nicht zustande. Und deren Verbänden, die im Beirat der dbv– Herausstehlen aus der Arbeit«. Wegen wenn man von der bayerischen BIB-Lan­ Landesgruppe Bayern vertreten waren, begrenzter Zeit- und Personalressour­ desgruppe spricht, darf ein Hinweis auf sehr skeptisch gesehen. Es gab zu die­ cen versuchten wir, sich ergänzende den Ehrenvorsitzenden Lothar Thal­ sem Zeitpunkt nur wenige Vorbilder. Fortbildungen anzubieten. Wichtig war mann (er sprach von der Landesgruppe Alle Vertreter/-innen leisteten viel Ab­ als dem bayerischen Erbhof) nicht feh­ stimmungs- und Formulierungsarbeit. len. Während seiner Ägide wurde ne­ Letztendlich konnte das Papier zu den 1 Die Juristische Bibliothek: Im Rathaus gibt es eine außergewöhnliche Samm- ben einem attraktiven Fortbildungspro­ politischen Parteien auf den Weg ge­ lung. In: Rüdiger Liedtke: 111 Orte in gramm über viele Jahre ein Radl-Wo­ bracht werden. München, die man gesehen haben muss. chenende mit VBB-Wimpel organisiert. Im Vereinsausschuss des BIB ar­ Bd.2. Köln, 2012. S.118 – 119 Als Ehrenvorsitzender führte er die beiten der Bundesvorstand und die

146 AUS DEM BERUFSVERBAND VORGESTELLT: BIB-AKTIVE

Vertreter/-innen aus allen Bundeslän­ elementare Aufgabe. Unabhängig vom El­ dern und Kommissionen an gemeinsa­ ternhaus besteht hier die große Chance, men Zielen. Zwanzig Jahre nahm ich Kinder aus allen sozialen Milieus zu errei­ für die Landesgruppe Bayern an den chen. Leseförderung und Medienkompe­ diskussionsfreudigen und leidenschaft­ tenz sind wichtige Elemente. Die Einen­ lichen Sitzungen teil und brachte im­ gung auf die Zielgruppe Kinder ist jedoch mer auch das Gesamtwohl des Verban­ zu kurz gesprungen. In der digitalen Welt des berücksichtigende Anträge unserer ist Medienkompetenz eine grundlegende Landesgruppe ein. Auf langen Zugfahr­ Kulturtechnik für alle. Kompetente Mitar­ ten konnte ich vieles überdenken, auch beiter/-innen fungieren wertschätzend als zu den jährlichen Wirtschaftsplänen. Lotsen in unserer Wissensgesellschaft. An­ So anstrengend und zeitaufwendig gebote der Bibliothek zur Fort- und Wei­ die Gremienarbeit neben dem üblichen terbildung bilden keinen Gegensatz zu An­ Tagesgeschäft hin und wieder war, so regungen für die Freizeit. bereichernd waren jedoch auf der an­ Eine starke Vernetzung vor Ort bringt deren Seite die vielfältigen und inter­ alle Beteiligten einen Gewinn. Abspra­ essanten fachlichen Anregungen und chen und Zusammenarbeit mit anderen die vielen wunderbaren persönlichen Institutionen kennzeichnen die Arbeit. Begegnungen. Zum Alltagsgeschäft gehört, Kontakt Daher kann ich die Mitarbeit im Vor­ zum Unterhaltsträger beziehungsweise stand insbesondere jüngeren Kollegin­ zur Politik zu suchen und zu halten. Wie nen und Kollegen nur empfehlen. Es ist sagte schon Uta Klaassen – Urgestein des ein Geben und Nehmen, ein lebenslan­ BIB – »Mit dem Sektglas in der Hand…« ges Lernen, das auch auf andere Berei­ dort Lobbyarbeit leisten, wo die Geldge­ che übertragen werden kann. ber/-innen anzutreffen sind; nicht jam­ Seit gut 30 Jahren für den BIB und seine mern, sondern Perspektiven aufzeigen. Vorgängerverbände in ganz unterschiedli- Die zahlreichen Leuchttürme in der Bi­ Blick in die Zukunft chen Funktionen aktiv: Christa Waltenberg. bliothekslandschaft sollen als Vorbilder Foto: privat befruchtend wirken. Abschließend noch auch ausgehend von Die Onleihe kann als Blaupause die­ meiner beruflichen Heimat, der Münch­ Bibliothek als ein konsumfreier Aufent­ nen: Durch Zusammenarbeit auf unter­ ner Stadtbibliothek, die auch sparten­ halts-, Lern-, Begegnungs- und Veran­ schiedlichsten Feldern können überregi­ übergreifend viele Facetten des Biblio­ staltungsort gehört zu ihren Stärken. onale Angebote erstellt oder gemeinsam thekswesens unter einem Dach und mit Das Verständnis der Bibliothek spiegelt eingekauft werden und die Kundschaft einem gemeinsamen Leitbild vereint, sich in ihrem Raumkonzept wider: Re­ nimmt es als Leistung ihrer Bibliothek mein Blick in die Zukunft der (Öffentli­ galschluchten zurückdrängen, dafür wahr. Bibliotheksnahe Organisationen chen) Bibliothek: Frei- und Erlebnisräume schaffen. als Dienstleister liegen im Trend. Es Im Bibliothekswesen fand und fin­ Begrenzte Ressourcen zwingen jede können nicht genug Baukästen geschaf­ det ein Paradigmenwechsel statt. Gerne Bibliothek, ihre Zielgruppe(n) zu defi­ fen werden, aus denen sich die Mitarbei­ stand früher das Buch im Mittelpunkt. nieren. Das schließt Überlegungen der ter/-innen bedienen können. Einspeisen Jetzt steht der Mensch im Zentrum! Mitarbeiter/-innen mit ein, welche und und Abschreiben sind erlaubt. Auch der Kundenorientierung bildet die Grund­ warum sie bestimmte Gruppen bisher Blick über den nationalen Tellerrand lage der Bibliotheksarbeit, dabei ist wei­ nicht erreichen konnten. Die Bibliothek bringt Anregungen. terhin ein gut sortierter und gepflegter schafft Angebote, die immer wieder an Inspirierend wirken Fortbildungen, Medienbestand – unabhängig vom Trä­ den Bedürfnissen der Kunden und Kun­ Tagungen – auch in neuen Formaten –, germedium – die Grundlage für die Bi­ dinnen überprüft werden. Veränderung persönliche Begegnungen oder die Lek­ bliotheksarbeit. Die Teilhabe der Men­ ist der Normalfall. Das Bibliotheksteam türe der Fachzeitschrift BuB - Forum Bi­ schen vor Ort schafft eine Identifikation arbeitet mit Qualitätsstandards und bie­ bliothek und Information. mit »ihrer Bibliothek« und strahlt in das tet seine Dienstleistungen aktiv an. Die Mein Fazit für Öffentliche Bibliothe­ Gemeinwesen zurück. Häuser öffnen ihre (digitalen) Türen und ken: Für die Menschen da sein! Und für Dabei wächst die gesellschaftliche die Menschen können eintreten und ent­ Bibliotheksbeschäftigte ein unbedingt Verantwortung/Bedeutung der Biblio­ sprechend ihren Interessen die Angebote stärker auszuschöpfendes Potenzial, als thek. Die Öffentliche Bibliothek begreift nutzen. Die Bibliothek ist Gastgeberin Lobbyistinnen und Lobbyisten für ihre sich als Teil der Stadtgesellschaft und und eine Ermöglicherin. Bibliothek aufzutreten. agiert lokal – auch zusammen mit an­ Die Zusammenarbeit mit Schu­ deren Akteuren in der Gemeinde. Die len ist für Öffentliche Bibliotheken eine Christa Waltenberg

BuB 73 02-03/2021 147 AUS DEM BERUFSVERBAND WAHLEN 2021

Aufruf zur Kandidatur für den Dem Wahlausschuss gehören an: • Astrid Vetter (Schulbiblio­ BIB-Bundesvorstand • Katrin Lück / Vorsitzende (Euro­ thek Gymnasien im Ellental, pa-Institut, Bibliothek, Saarbrücken) Bietigheim-Bissingen) • Frank Redies (Staatsbibliothek Liebe BIB-Mitglieder, Berlin) Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge und • Bernd Schleh (BuB-Redaktion, eine rege Wahlbeteiligung! die Amtszeit des amtierenden Bundes­ Reutlingen) vorstandes endet im Jahr 2021. Die Mit­ Stellvertretende Mitglieder sind: glieder des BIB sind daher eingeladen, • Silke Hoffmann (Stadtbibliothek Für den Wahlausschuss einen neuen Vorstand zu wählen. Die Reutlingen) Katrin Lück (Vorsitzende) Durchführung der Wahl ist abhängig von der Pandemie-Lage. Geplant ist bis­ her – wie in den Vorjahren – eine kom­ binierte Brief- und Präsenzwahl, die im Rahmen einer BIB-Mitgliederversamm­ BuB-Herausgeber gesucht! lung im Herbst 2021 abgeschlossen  wird. Das nähere Wahlprocedere wird Aufruf zur Kandidatur / Inhalt und Ausrichtung der abhängig von der Pandemie-Lage kurz­ Fachzeitschrift mitbestimmen fristig bekanntgegeben, und zwar auf der Website des BIB und, falls zeitlich möglich, auch im BuB-Verbandsteil. Die nominierten Kandidatinnen und Kan­ »BuB – Forum Bibliothek und Information« ist die am weitesten verbreitete, didaten werden sich ebenfalls auf die­ spartenübergreifende Fachzeitschrift für den Bibliotheks- und Informations- sen Wegen den Mitgliedern des BIB sektor im deutschsprachigen Raum. Wesentlicher Bestandteil des Publikati- vorstellen. onskonzepts ist das BuB-Herausgebergremium. Die drei Herausgeber/-innen Alle Mitglieder des BIB haben die bestimmen zusammen mit der hauptamtlichen Redaktion Inhalt und Ausrich- Möglichkeit, bis zum 19. März 2021 Vor­ tung der Fachzeitschrift. Einer der Herausgeber/-innen gehört laut Statut der schläge für Kandidatinnen und Kandida­ Zeitschrift dem BIB-Bundesvorstand an, die beiden anderen werden von den ten zur Wahl des Bundesvorstands zu un­ BIB-Mitgliedern gewählt. terbreiten. Selbstverständlich können Sie auch selbst Ihre Kandidatur für ein Vor­ In diesem Jahr endet die Amtszeit der beiden direkt gewählten Herausgeber/-in- standsamt erklären. nen. Wer als BIB-Mitglied Interesse hat, die Fachzeitschrift aktiv mitzugestalten, Der Bundesvorstand besteht aus der/ kann bis zum 19. März seine Kandidatur beim Wahlausschuss unter wahlaus- dem Vorsitzenden, zwei stellvertretenden [email protected] oder per Post an BIB-Geschäftsstelle, z.Hd. Katrin Lück Vorsitzenden und maximal zwei weiteren (Wahlangelegenheit – persönlich), Postfach 1324, 72703 Reutlingen anmelden. Mitgliedern, die gemeinsam möglichst Die Durchführung der Wahl ist abhängig von der Pandemie-Lage. Geplant ist bis- breit die gesamte Mitgliedschaft reprä­ her eine kombinierte Brief- und Präsenzwahl, die im Rahmen einer BIB-Mitglie- sentieren sollen. derversammlung im Herbst 2021 abgeschlossen wird. Das nähere Wahlprocedere In gleicher Weise wie der Bundesvor­ wird abhängig von der Pandemie-Lage kurzfristig bekanntgegeben. stand werden auch die zwei Herausgeber BuB erscheint zehn Mal im Jahr (Doppelhefte Februar/März und August/Sep- der Zeitschrift BuB durch die BIB-Mitglie­ tember) und hat als einzige bibliothekarische Fachzeitschrift in Deutschland der gewählt. Beachten Sie dazu bitte den eine IVW-geprüfte Auflage. Die verbreitete Auflage liegt derzeit bei rund 7 000 nebenstehenden Wahlaufruf. Exemplaren. Richten Sie Ihre Vorschläge für Kan­ Bezieher von BuB sind neben den rund 5 400 BIB-Mitgliedern, für die das didatinnen und Kandidaten bitte an den Abonnement im Vereinsbeitrag eingeschlossen ist, auch Bibliotheken des In- und Wahlausschuss, den Sie mit der Mail­ Auslands, Ausbildungsstätten und Kulturpolitiker. adresse [email protected] er­ Neben der gedruckten Ausgabe umfasst das Fachinformationskonzept von reichen. Einsendungen per Post rich­ BuB einen Online-Auftritt unter www.b-u-b.de mit tagesaktuellen Nachrichten, ten Sie bitte an die Vorsitzende des Fachartikeln und bibliothekarischen Serviceangeboten. Die Seite hat regelmäßig Wahlausschusses: 15 000 unterschiedliche Besucher und mehr als eine halbe Million Zugriffe – im Monat. Hinzu kommt die elektronische Ausgabe als BuB-App, die zusätzlich Fo- BIB-Geschäftsstelle togalerien, Videos, Direktlinks und andere Features bietet. z.Hd. Katrin Lück (Wahlangelegenheit Für inhaltliche Fragen zur Kandidatur steht der leitende Redakteur Bernd – persönlich) Schleh (07121/349114) gerne zur Verfügung. Postfach 13 24 red D-72703 Reutlingen

148 AUS DEM BERUFSVERBAND VORGEMERKT

VorgeMERKT Neue IBAN-Nummer Du sollst beim Vorlesen Liebe BIB-Mitglieder, im Zuge einer Fusion der Volks- nicht nudeln! bank Reutlingen eG hat sich un- sere Bankverbindung geändert. Das BIB-Geschäftskonto hat eine Seit einem Jahr üben wir. Die Gruppe • Zum Vorlesen im Seniorenheim neue IBAN und BIC bekommen. heißt »Lesezauber im Senioren- sind Märchen, Fabeln und kurze Bitte verwenden Sie ab sofort für heim« und besteht aus 15 Mädchen Geschichten von früher gut ge- die Überweisung des BIB-Mit- und Jungen im Alter von 8 bis 15 Jah- eignet. Geeignet sind auch Ge- gliedsbeitrags nur noch die neue ren. Alle haben einen Migrationshin- dichte und Lieder. Bankverbindung und ändern Sie tergrund – die türkischen Kids sind • Nicht geeignet sind Comics oder dahingehend Ihren Dauerauftrag. zum Teil schon in der dritten Gene- dicke Fantasy-Romane. ration in Deutschland und antworten Die neue Bankverbindung des BIB auf die Frage, wo sie geboren wur- Nach dieser langwierigen und um- lautet: den, erstaunt und etwas angenervt fangreichen Vorbereitung in der mit »Klinikum!«. Die tamilischen, Gruppe ist nun echtes Einzelcoa- IBAN: DE85 6039 0000 0159 3360 07 aserbaidschanischen und russi- ching angesagt. Alle müssen einen schen Kinder sind fast alle erst vor Begrüßungstext zu sich selbst erfin- BIC: GENODES1BBV Kurzem zugewandert. Alle sind sehr den und immer dazu sagen, woraus motiviert und wollen den Menschen sie vorlesen werden. Dann geht das Vereinigte Volksbanken eG im Altersheim Freude bringen und Coaching los: Geschichten vorlesen. In dem Märchen »Der Schweine- Die Regeln für das gute Vorle- hirt« von Hans Christian Andersen sen haben wir jetzt zehn Monate büffelten daraufhin die Hofdamen die Impressum lang besprochen und trainiert. Wir Rosen. Auch beim zweiten Vorlesen »Aus dem Berufsverband« wiederholen: büffelten sie noch. Nach dem dritten »Büffeln« konnte das Wort neu identi- Hg.: Berufsverband Information Biblio- • Man kann nicht aus einem Buch fiziert werden: Die Hofdamen befühl- thek, Postfach 13 24, 72703 Reutlingen vorlesen, wenn man das Buch ten nun die Rosen. vergessen hat! Verantwortliche Bearbeiterinnen: • Man muss die Gefühle mitlesen! »An der großen Eiche« ging gar • Man soll die Zuhörerinnen und nicht. Die kleine Ayshe las immer »An Katrin Lück Zuhörer beim Vorlesen immer der großen Aische«, worüber sich ihr Europa-Institut / schön angucken! großer Bruder kaputtlachen musste. Bibliothek Universi- • Die Zuhörer wiederum gucken tät des Saarlandes, den Vorleser oder die Vorlese- Was eine Witwe ist, musste bei Postfach 151150, rin an! Sie schlürfen während »Max und Moritz« erst mal erklärt 66041 Saarbrücken des Vorlesens nicht aus der werden. »Ach, die Alte mit den Hüh- Telefon: 0681 / 302-2543 Teetasse. nern, die Single ist!« machte den Be- • Lachanfälle beim Vorlesen sind ziehungsstatus der Frau Bolte klarer. Karin doof, vor allem wenn die Ge- Holste-Flinspach schichte gerade nicht lustig ist. »König Dosenbart« war auch eine Stauffenbergschule, • Man darf beim Vorlesen nicht tolle Neuschöpfung, die sehr gut zu Arnsburger Straße nudeln! »Nudeln?« schreit die »Schneefittchen« passte. Alles aus 44, 60385 Frankfurt/ Vorlesebande, »oh, lecker Nu- »Grimmis Märchen«, versteht sich. Main deln, können wir uns Nudeln ko- Telefon: 069 / 21246841 chen? Oh bitte…!« • Korrektur: Man darf beim Vorle- Claudia Elsner-Overberg, E-Mail: [email protected] sen nicht nuscheln! Diplom-Bibliothekarin Solingen Redaktionsschluss: BuB 04/2021: 19. Februar

BuB 73 02-03/2021 149 SUMMARY Summary

Important Milestones Achieved / Expansion A Pioneer’s Birthday / The City Library of Support in Coping with the Digital Revolution of Barrier-Free Services Continues at Neuss Spandau Turns 100 – Landmark Innovations / Senior Citizens as Recipients of Library Pe- City Library (Claudia Büchel) Set the Trend for all of Germany (Katrin See- gagogy (Robert Langer, Marina Strohm) (pp. 114 – 115) wald, Ina Wolter) (pp. 136 – 139) (pp. 132 – 135)

Social participation is a core element of the In hindsight the date of the opening day of the One realization that has arisen during the library concept at the Neuss City Library. Th- first public library in Spandau could not have pandemic which has affected all our lives is erefore, expanding barrier-free services has been a better choice: 24 October 1920. Just a concern for the older generation of parents been given high priority. In previous years. the 75 years later Germany’s president, Richard and grandparents. Many of the efforts we city library has already provided special ser- von Weizsäcker, declared October 24th »Li- take to maintain social distancing and break vices which facilitate the involvement of peo- brary Day« – another sign that Spandau was the chain of infection serve to protect the ple with impairments. These include books in ahead of its time. And this feature has been a especially vulnerable and endangered mem- simple German, wordless books, audio books, red thread running through its history. bers of our society, the elderly. This article by large-print books and access to »Onleihe«, Spandau is a city district on the fringe of Robert Langer and Marina Stohm deals with the platform for digital media. western Berlin with a lot of green areas and how we can consider and support this user In the past two years further important water. A notable array of innovations, not only group from a library perspective. milestones have been achieved in order to lo- for Berlin but for all of Germany, came out of When we hear the term library education, wer barriers even more. This includes making Spandau: »home lending«, a service to deli- we think first of all of children and young peo- entrances barrier-free, equipping the library’s ver materials to the homes of elderly or ho- ple. How can we help them become enthusia- meeting room with an audio induction loop mebound readers; the first library in Berlin to stic readers, how can we promote reading and system, placing mobile induction hearing de- offer lending on Saturdays; the implementa- media competency, how can we provide room vices at information stations, making mag- tion of a modern photographic lending sys- for creativity? We regard them as our most nifying lamps available, as well as providing tem in Germany; the first sorting machine for important target group, as they undoubtedly a reading device with a high rate of magnifi- computer punch cards. In 1965, after lending are, since they are the future of our society. cation, offering library cards with extra-large over 700,000 books, Spandau was ranked But especially in rural areas, and not only in print, and placing identifiable markings on first-place among all West German libraries. the eastern regions of Germany, senior citi- glass walls, steps and pillars in the public The main branch quickly grew to hold over zens represent the largest and fastest gro- areas. The periodicals collection has been ex- 100,000 volumes, and in 1974 a newly added wing segment of the population. In 2018, ac- panded to include subscriptions to publica- wing also included the highly modern collec- cording to the Saxony’s Statistical Office, the tions devoted to the concerns of people with tion of vinyl records for lending. In those days elderly represented 45% and the younger ge- impairments. The collection of audiobooks in an intensive effort was being made in general neration only 27% of the state’s population. the standardised DAISY format has been ex- to expand the collection of new media: music While the latter group is predicted to rise by panded; in addition, two DAISY players have and spoken-word cassettes, CDs, software 3 percent in the next decade, the proportion been acquired and made available for loan. A on diskettes, and then video cassettes, which of elderly will rise by 10%. Hence it is time to series of monthly events with the title »Rea- quickly became a great success. give more attention to the user group of 60+ ding with Dog« has been established where a And another curious fact: upon the and include them in our conceptional plan- specially trained therapy dog helps children opening of the Berlin Wall in 1989, new users ning. with reading difficulties overcome their inhi- from the surrounding areas began to come A major problem in this matter is that the bitions about reading aloud. Remodelling pu- in and some even returned books which had target group of senior citizens is a highly he- blic toilets to make them barrier-free and re- been borrowed before the wall was built in terogeneous one. Among other things the di- launching the library website were major pro- 1961 and stored away for all those years. versity of the aging process and the differen- jects in 2020. For 2021 a revamping of the pu- ces in physical and mental abilities present blic elevator is on target. considerable challenges for working with this group of users.

Translated by Martha Baker

150 RÉSUMÉ Résumé

D’importants jalons posés sur le chemin des- Anniversaire d’une pionnière : les cent ans de Un soutien pour appréhender l’évolution siné par la Bibliothèque municipale de Neuss la Bibliothèque municipale de Spandau ! / Des numériques : les seniors, public bénéficiaire vers une offre accessible à toutes et tous innovations d’envergure pour inspirer toute d’une action pédagogique en bibliothèque (Claudia Büchel) l’Allemagne (Katrin Seewald, Ina Wolter) (Robert Langer, Marina Strohm) (pp. 114 – 115) (pp. 132 – 135) (pp. 136 – 139)

La dimension participative représente le Rétrospectivement, le jour de l’inauguration Le souci pour les parents et les grands-pa- cœur même du concept de bibliothèque tel de la première bibliothèque municipale de rents est l’une des leçons que l’on peut ti- qu’il est développé par la Bibliothèque mu- Spandau ne pouvait pas mieux tomber : c’était rer de la pandémie qui nous touche toutes nicipale de Neuss. La priorité est clairement un 24 octobre 1920. 75 ans plus tard, Richard et tous. De nombreux efforts que nous entre- donnée à la construction d’une offre acces- von Weizsäcker, ancien président fédéral , fai- prenons pour maintenir la distanciation et sible à toutes et tous. Déjà, au cours des sait de ce 24 octobre la »Journée annuelle des tenter de rompre les circuits de contami- années précédentes, la Bibliothèque munici- Bibliothèques«. Spandau était donc en avance nation participent de la protection des per- pale a mis l’accent sur le développement de sur son temps. C’est là d’ailleurs ce qui joue sonnes dites à risque, c’est-à-dire particu- services spécifiques permettant à des per- d’une certaine manière le rôle d’un fil d’Ariane lièrement fragiles, notamment les personnes sonnes souffrant de handicap de contribuer. dans l’histoire de la bibliothèque de Spandau. âgées. C’est sur elles et sur la manière de Des ouvrages »Faciles à lire«, des livres sans Spandau se situe dans la banlieue occi- concevoir et de soutenir ce public d’usagers texte, des collections en grands caractères et dentale de Berlin, au milieu de la verdure et en bibliothèque que se penchent dans leur des fonds audio ainsi que des documents di- de grands plans d’eau. De nombreuses inno- contribution Robert Langer et Marina Strohm. sponibles en ligne comptent parmi ces nou- vations très significatives non pas seulement Lorsqu’il est question d’action pédago- velles offres. pour Berlin mais pour toute l’Allemagne pro- gique en bibliothèque, il est intuitivement fait Au cours des deux dernières années, des viennent de Spandau : par exemple, le prêt référence au public des enfants et des adole- jalons essentiels ont été posés afin d’accroître à domicile permettant d’assurer la livraison scents. De quelle façon nous suscitons leur in- davantage l’accessibilité de la Bibliothèque mu- de documents aux personnes âgées ou à mo- térêt pour la lecture, comment nous encoura- nicipale de Neuss. Cela a impliqué notamment bilité réduite, également les premiers prêts geons les compétences de lecture et de com- d’agencer une porte d’entrée adaptée, d’équiper du samedi à Berlin, l’introduction du prêt préhension, comment nous créons des espaces les espaces d’animation avec des dispositifs de de photographies sur réservation (une pre- créatifs qui leur sont destinés… Nous con- diffusion sonore inductive, d’installer des outils mière dans toute l’Allemagne), le premier sidérons le jeune public comme notre public mobiles inductifs aux points d’information, de automate de tri par cartes perforées. Avec un principal, car n’est-il pas d’ailleurs l’avenir de proposer à l’utilisation des lampes-loupes ainsi taux d’emprunt de plus de 700 000 livres par notre société ? Toutefois, et surtout dans les zo- que des appareils d’agrandissement des textes, an, Spandau se trouvait être en 1965 à la pre- nes rurales, pas seulement pour l’est de l’Alle- de concevoir des cartes de bibliothèque avec mière place des bibliothèques de Berlin-Ou- magne, les seniors représentent désormais au une typographie en très grand caractères, de di- est. L’accroissement des collections au sein sein de la population le groupe qui s’accroît le sposer dans les espaces ouverts au public des de la centrale a rapidement permis d’attein- plus largement et le plus rapidement. La part marquages sur les surfaces vitrées et de sépa- dre les 100 000 volumes, ce qui a conduit à de la population senior se situait en 2018 à un ration ainsi que sur les marches d’escalier, les la construction d’une extension en 1974 dans taux de 45 % selon le Département régional de colonnes, etc. Les abonnements aux collections laquelle a été installé l’espace ultra-moderne la statistique de Saxe, la part de la population de périodiques ont été étendus aux titres qui à l’époque de la discothèque. De manière jeune se trouvant, elle, à un taux de 27 %. Tan- se penchent sur la situation des personnes en générale, à chaque époque, on relève qu’un dis que cette dernière catégorie continuera de situation de handicap. Le fonds de livres audio important travail a été réalisé pour élargir progresser de trois points au cours de la proch- en format DAISY a été repensé en totalité : deux l’offre de nouveaux supports : introduction de aine décennie selon les pronostics, la part dans nouveaux lecteurs DAISY ont été acquis et pro- cassettes de musique et de littérature, de CD, la population des seniors va quant à elle croître posé au prêt à domicile. Sous l’intitulé »lire avec de logiciels sur disquettes et, finalement, le de dix points. Il est donc plus que temps que le chien«, une animation mensuelle a été créée prêt de vidéos qui ont rapidement rencontré nous prenions soin de ce groupe d’usagers des : il s’agit de permettre à des enfants souffrant un grand succès. 60 ans et plus et que nous les intégrions dans de difficultés de lecture de surmonter leur peur Parmi tant d’autres, une curiosité encore nos réflexions professionnelles. de la lecture à voix haute par le contact avec un : avec la chute du mur en 1989, vinrent de L’un des obstacles principaux tient en ce chien spécialement formé à la démarche théra- nouveaux lecteurs venant des alentours mais que ce groupe des seniors est marqué par une peutique. En 2020, d’autres importants chan- aussi des retours d’ouvrages empruntés juste forte hétérogénéité. Entre autres, nous pouvons tiers ont eu lieu comme, par exemple, la restruc- avant l’érection du mur en 1961 et qui, pen- souligner la diversité des vieillissements ainsi turation des toilettes dans une logique d’acces- dant tout ce temps, avaient été conservés de que l’évolution très différenciée des capacités sibilité PMR ainsi que la refonte du site Internet l’autre côté. cognitives et corporelles, ce qui induit de nom- de la Bibliothèque. Pour 2021, c’est la rénovation breuses difficultés dans le travail auprès de ce de la rampe d’accès pour les fauteuils roulants public. qui est envisagée. Traduit par David-Georges Picard

BuB 73 02-03/2021 151 Die Stadt Duisburg sucht für die Stadtbibliothek im Sachgebiet ,,Vorakzession/Einkauf" zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine*n Sachgebietsleiter*in

Duisburg – kontrastreich und lebendig. Industriekultur, Naher- • ausgeprägte Dienstleistungs- und Kundenorientierung holungsgebiete, kulturelle Angebote und sportliche Highlights. • Offenheit gegenüber neuen Anforderungen, kooperativer, team- Wir bieten attraktive Berufsfelder, Vereinbarkeit von Familie orientierter Arbeitsstil und Beruf, gute Bildungs- und Karrieremöglichkeiten. • selbstständiges, verantwortungsbewusstes arbeiten Die Stadtbibliothek besteht aus einer Zentralbibliothek, sechs Bezirksbibliotheken, fünf Stadtteilbibliotheken, zwei kombinierten • Team-, Konflikt- und Kooperationsfähigkeit Schul- und Stadtteilbibliotheken sowie einer Fahrbibliothek. • sicherer Umgang mit MS-Office Anwendungen Der Medienbestand des Gesamtsystems umfasst ca. 585.000 Einhei- ten und erzielt 2,5 Millionen Entleihungen im Jahr. Wir bieten: Das Aufgabengebiet: • ein sicheres und unbefristetes Beschäftigungsverhältnis mit einer • Leitungstätigkeiten wahrnehmen Besoldung nach dem Landesbesoldungsgesetz NRW (LBesG; A 12) bzw. eine Vergütung nach dem Tarifvertrag öffentlicher Dienst • eigenverantwortlich Medien für das gesamte Bibliothekssystem (TVöD) in Vollzeit bei flexibler Arbeitszeit. Die Eingruppierung beschaffen und formal erfassen erfolgt in Entgeltgruppe 11 TVöD • an Organisationsveränderungen mitwirken • ein umfangreiches betriebliches Gesundheitsmanagement • spezielle Katalogisierungsarbeiten wahrnehmen • vielfältige Fortbildungsmöglichkeiten • im Kontakt mit örtlichen Buchhändlern, der Einkaufszentrale oder anderen Partner*innen vorgegebene Bestandsprofile überwachen und an deren Überarbeitung mitwirken Die Stadtverwaltung verfolgt offensiv das Ziel der beruflichen Gleichstellung von Frauen und Männern. Auswahlentscheidungen • Arbeitsabläufe auf neue Regelwerke umstellen erfolgen unter Berücksichtigung der Vorgaben des Landesgleich- • technische Möglichkeiten zur Nutzung von Fremdleistungen stellungsgesetzes NRW sowie des Frauenförderplans/Gleichstel- erkennen und anwenden lungsplans der Stadt Duisburg (www.duisburg.de/frauenbuero). • besondere bibliothekarische Aufgaben gem. Weisung wahrneh- Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen und Gleichge- men stellten werden bei gleicher Eignung bevorzugt berücksichtigt. • am Auskunfts- und Informationsdienst teilnehmen Haben wir Ihr Interesse geweckt? Wir erwarten: Dann freuen wir uns über Ihre Bewerbung! Ihre aussagekräftige Bewerbung für die Kennziffer A21/42-12/2334 (31.2) kann nur • eine abgeschlossene (Fach-)Hochschulbildung (Bachelor (FH/HS) berücksichtigt werden, wenn Sie diese bis zum 05.03.2021 über un- oder vergleichbarer Abschluss) der Fachrichtung Bibliothekswesen sere Karriereseite www.duisburg.de/karriere online einreichen. • und eine anschließende mindestens 2-jährige einschlägige Berufs- Bitte fügen Sie Ihrer Bewerbung in deutscher Sprache Anschreiben, erfahrung nach Erwerb der jeweiligen o. a. Qualifikation Lebenslauf, Nachweis über den Ausbildungsabschluss bzw. Studien- • die Fähigkeit Mitarbeiter*innen zu führen sowie die Bereitschaft, abschluss und Arbeitszeugnisse bzw. dienstliche Beurteilungen bei. Verantwortung und eigenständiges Handeln von Mitarbeitern*in- Die Erfassung per Mail oder Post übersandter Bewerbungen ist nen zu fördern grundsätzlich nicht möglich. • Medienkompetenz mit Interesse an technikunterstützten Arbeits- Sie haben keinen Internetzugang oder die Möglichkeit Ihre Bewer- instrumentarien und die Bereitschaft die entsprechenden Organi- bungsunterlagen einzuscannen? Dann rufen Sie uns an – wir finden sationsmittel einzusetzen eine Lösung: 0203/283-2728. • Kenntnisse im Bereich MARC 21und RDA (Ressource Description Bei Fachfragen wenden Sie sich bitte an Herrn Oehme, Stadtbibli- an Access) wären wünschenswert othek, Telefon 0203/283-4229, bei Fragen zum Bewerbungsver- • ein hohes Maß an Organisationsfähigkeit, Eigeninitiative, Ver- fahren an Frau Boffen, Personalamt, Telefon 0203/283-2214. handlungsgeschick, Überzeugungsvermögen, Entscheidungsfreude

und analytischem Denkvermögen

152

Kleinanzeigen Forum Bibliothek BuB und Information Fachzeitschrift des BIB Bibliotheksausstattung Buchförderanlagen Berufsverband Information Bibliothek e.V. 73. Jahrgang, Nr. 2-3, Februar/März 2021 Vertriebspartner von Fördersysteme ISSN 1869-1137 für Bibliotheken für Deutschland und Telelift GmbH Herausgeber (institutionell) / Eigenverlag Österreich Frauenstraße 28 Berufsverband Information Bibliothek (BIB) 82216 Maisach Gartenstraße 18 · 72764 Reutlingen Alles für moderne +49 (0)8141 / 315 91-0 Bibliotheken: www.telelift-logistic.com Planung Herausgeber (fachlich) Einrichtung Brigitte Döllgast, München Ausstattung Olaf Eigenbrodt, Hamburg Dr. Dirk Wissen, Berlin ekz.bibliotheksservice GmbH Bismarckstraße 3, 72764 Reutlingen Redaktionsbeirat Tel. +49 7121 144-420 www.ekz.de Dale S. Askey, Cameron Library, Edmonton, Alberta (Kanada)· Dr. Jan-Pie- ter Barbian, Stadtbibliothek Duisburg · Walburgis Fehners, Bibliothek Publikationen der FH /Ostfriesland/Wilhelmshaven · Dr. Gerhard W. Matter, Bibliotheks- und Rollregale Kantonsbibliothek Baselland, Liestal (Schweiz) · Eva Ramminger, Uni- versitäts- und Landesbibliothek Tirol, Innsbruck (Österreich) · Barbara Schleihagen, Deutscher Bibliotheksverband, Berlin · Prof. Cornelia Von- hof, Hochschule der Medien, Stuttgart

Redaktion Postfach 13 24 · 72703 Reutlingen Telefon 07121/34 91-0 / E-Mail: [email protected] Regalsysteme nach Maß Redaktion: Bernd Schleh (verantwortlich, slh) und Steffen Heizereder (hei) Ihr Komplettanbieter von Einrichtungssystemen, stationären und fahrbaren Regalsystemen mit Rezensionen: Dr. Jürgen Plieninger 40 Jahren Erfahrung. Aus dem Berufsverband: Karin Holste-Flinspach, Katrin Lück www.zambelli.com Anzeigen Annegret Kopecki, Tel: 07121/3491-15 Miriam Stotz, Tel: 0711/781988-34 Bibliotheksumzüge Bestellen Sie Ihr Exemplar unter E-Mail: [email protected] [email protected] als Softcover oder Ringbuch für 29,95 Wir verändern Ihren Standort, Euro zzgl. 5 Euro Versand (Inland) Druck nicht den Ihrer Bücher! Bechtel Druck Hans-Zinser-Str. 6, 73061 Ebersbach/Fils

Vertrieb Winkhardt & Spinder GmbH & Co. KG Kühne Ernsthaldenstraße 53, 70565 Stuttgart Bibliotheksumzüge verbreitete Auflage 6697 Exemplare Beratgerstr. 19 | D-44149 Dortmund | Fon 0231 917227-0 www.kuehne-dms.de | [email protected] (4. Quartal 2020)

Datenschutzbeauftragter Regina Störk / ms computer gmbh (Markwiesenstr. 33, 72770 Reutlingen, Tel. 07121/680860, Mail: [email protected])

Erscheinungsweise zehn Hefte jährlich (Doppelhefte: Foto: Alexander Limbach / Fotolia Februar/März und August/September)

Anzeigenschluss Preis je Heft € 16, jährlich € 110, ermäßigt € 55. für die Ausgabe Preise einschließlich MwSt. und zzgl. Versand- Mai 2021 gebühr. Für Mitglieder des BIB ist der Bezug ist am im Mitgliedsbeitrag enthalten. 27. April 2020! Redaktionsschluss Bestellen Sie Ihre für Heft 05/2021: 23. März 2021 Anzeige unter: [email protected] Anzeigenschluss für Heft 05/2021: 27. April 2021