Kultur

FESTSPIELE Der Grüne Hügel im Kugelhagel Im Bayreuther Erbfolgekrieg beginnt die Entscheidungsschlacht: Nächste Woche wollen die Politiker die Satzung der Stiftung nutzen, um den ewigen Festspielchef endlich loszuwerden. Von Klaus Umbach

Bayreuther Flimm-Inszenierung „Götterdämmerung“, Bayreuther Festspielhaus: „Daumenschrauben rausholen“

reffen sich vorletzte Woche die bei- zielte Diffamierungskampagne“ und die sache. „Wir können uns nicht länger hin- den Stars der beliebtesten deutschen „Demontage meiner Persönlichkeit“ durch halten lassen“, so Zehetmair zum SPIE- TKultur-Soap zufällig im Berliner ein „Mitglied der Staatsregierung“. Und GEL, „und ich spreche auch keine leeren Westin Grand Hotel: Ach, guck an, „Sie als geradezu „absonderlich“ bezeichnet er Drohungen mehr aus“: „Diesem Bub müs- auch in der Hauptstadt“, rufen sich die Zehetmairs „Gebaren“, seine „ganz per- sen wir endgültig die Bomben aus der Herren zu, begrüßen sich mit scheinbar sönliche Variante eines sentimentalen Hand nehmen.“ herzlichem Händedruck und stecken so- Rührstücks über familiäre Tradition und gar kurz die Köpfe zusammen. Ja, so sieht Geblüt gleichsam als Erkenntnis staats- man sich wieder, die Welt ist klein. Wirkt männisch-politischer Weisheit der Öffent- FAMILIENFESTSPIELE Die Bayreuther ganz wie ein trautes Wiedersehen. lichkeit einzureden“. Alles Theater, alles nur gute Miene zum „Man kennt ja die Entwicklungen, die schnöden Spiel. Denn zu sagen haben sich mit erhöhtem Alter eintreten“, kommen- die beiden Herren nichts mehr. Der bayeri- tiert der christsoziale Minister mit hinter- sche Kunstminister Johannes Baptist Ze- fotzigem Taktgefühl den Kugelhagel vom hetmair, 64, und der Bayreuther Festspiel- Grünen Hügel, „offensichtlich“ lasse des- chef Wolfgang Wagner, 81, sind total über sen greisen Statthalter „sein Gedächtnis Kreuz: Im Streit um die Zukunft des Grü- im Stich“. Die „Unbeweglichkeit und der nen Hügels haben sich die einst einträch- Starrsinn“ des amtierenden Festspielchefs tigen Kämpen verzankt wie die Kessel- machten „Konsequenzen“ unvermeidlich; flicker. was der Herr Wagner, der die Bayreuther Kurz vor dem peinlichen Renkontre in Festspiele als sein „Privattheater“ be- Berlin-Mitte hatte die Schlammschlacht trachte, von sich gebe, gehöre längst „in die zwischen den zwei Kulturträgern ihre bis- Abteilung Rumpelstilzchen“: „Müss’ ma lang heißeste Phase erreicht – hochdrama- sehen, wie ma den alten Bock loswerden.“ tisch wie eine Wagner-Oper und deppert Nächste Woche soll der Bayreuther Rü- wie der Komödienstadl. pel-Krimi allerdings wieder als seriöses Wolfgang Wagner fühlt sich von Zehet- Staatstheater auf den Spielplan: Kommen-

mair, der über ihn „frei erfundene Be- den Donnerstag trifft sich der Stiftungsrat AKG hauptungen“ verbreite und dabei „die der Festspiele im Bayreuther Rathaus zur ˾ Richard und Grenzen des guten Geschmacks weit“ un- angeblich entscheidenden Sitzung über die terlaufe, „in unglaublicher Weise verleum- Nachfolgefrage; selbst Berlins Kultur- 1876 gründete die Festspie- det“. „Erstaunt und empört“ schnaubt der staatsminister Julian Nida-Rümelin will ei- le und leitete sie bis 1882. Nach seinem Tod Greis gegen das „Kesseltreiben“, die „ge- gens einfliegen, der Fall Wagner wird Chef- übernahm Witwe Cosima das Erbe bis 1906.

300 der spiegel 12/2001 hielten sich – durch rasch wechselnde und die Einsetzung eines kommissarischen wieder platzende Partnerschaften verban- Festspielleiters oder Notvorstands. delt – vor allem kraft Blutsbande für die Oppositionsführer Zehetmair hat bereits einzig geeigneten Thronerben und blo- diverse Rechtsgutachten eingeholt, die ihm ckierten damit die Chancen eines außerfa- „Hoffnung machen, dass wir die Sache auf miliären Aspiranten für den Bayreuther die eine oder andere Weise aushebeln kön- Hochsitz. nen“. Für diese Chance nimmt er auch ko- Zwei Jahre hat der Stiftungsrat – lange kett den Ruch eines Königsmörders in Kauf, Zeit ein Schnarchverein aus nibelungen- der „in der Öffentlichkeit den bösen Bu- treuen Bayreuthianern – der Groteske des ben spielt und den Zorn der weltweiten heillos zerstrittenen Clans ohnmächtig zu- Wagner-Sekte erntet“. Der Präsident der gesehen. Jetzt hat er das Fingerhakeln satt. Richard-Wagner-Gesellschaft von Hawaii

SEEGER-PRESS „Wir lassen uns nicht länger an der Nase hat ihm jedenfalls schon einen 206-zeiligen herumführen“, zitierte die „Bunte“ den Protestbrief übermittelt: „Wir beschwören Ob, wie und wann der oberfränkischen Regierungspräsidenten Sie, diese Angriffe zu stoppen!“ groteske Ringelpiez um die Hans Angerer; man entscheide notfalls Abgerückt ist Zehetmairs Fraktion al- Macht über die 125 Jahre alten „eben ohne Wagner“, ermannte sich lerdings bislang nur von dem Gedanken, Richard-Wagner-Festspiele tat- auch Bayreuths Oberbürgermeister Dieter die öffentlichen Gelder zu kür- sächlich beendet werden kann, Mronz; jetzt müsse es, so Nida-Rümelin in zen oder zu streichen: „Damit würden wir ist allerdings nach wie vor der „Woche“, endgültig „zum Genera- letztlich bloß die Wagner-Konsumenten be- offen. tionswechsel kommen“. Die öffentliche strafen.“ Was der Minister nicht sagt, aber Seit der Festspielchef Wolf- Hand scheint zum Schwur erhoben. weiß: Abstriche bei den staatlichen Zu- gang Wagner Anfang 1999 dem In diskreten Zirkeln und Kontakten ha- schüssen würden vor allem im Ausland als Druck des Stiftungsrats nach- ben die Stiftungsräte mittlerweile ver- Frevel fränkischer Krämerseelen empfun- und die Diskussion um seine schiedene Szenarien durchgespielt, die den und sofort die mächtigen Wagner-Ver- Nachfolge freigeben musste, tra- dem störrischen Komponisten-Enkel „den eine als Mäzene auf den Plan rufen. Die ten alle Mitwirkenden mit kin- verdammten Ernst seiner Lage demon- Folge: Bayreuth hinge, vom deutschen Fis- dischem Trotz auf der Stelle. strieren“ und ihn „so unter Druck setzen kus im Stich gelassen, am Tropf fremder Wolfgang Wagner beharrte auf sollen“, dass er weich wird und „in einem Mächte – eine nationale Schande, eine in- der Kandidatur von Frau Ge- schwachen Moment endlich nachgibt“ (Ze- ternationale Blamage; also: Hände weg. mahlin Gudrun und, da die hetmair). Erwogen wurden, neben dem Die anderen „Daumenschrauben auszu- Dame nicht stach, ersatzweise Köder einer saftigen Abfindung, die Kür- probieren“ (Zehetmair), hat das Gremium auf seinem lebenslangen Recht zung der staatlichen Festspielsubventio- offenbar weniger Skrupel. Dabei ist die

AFP / DPA als alleiniger Geschäftsführer nen, eine außerordentliche Kündigung des Rechtslage höchst zweifelhaft: Dem amtie- der Festspiele und als alleiniger Mietvertrags über das Festspielhaus und renden Festspielchef mit Karacho an den Mieter des Festspielhauses; so war es, so Karren zu fahren ist in der Satzung der bleibt es, basta. Stiftung nicht ausdrücklich vorgesehen. Seine Tochter Eva Wagner-Pasquier, sei- Was immer der Stiftungsrat nächste Woche ne Nichte Nike Wagner und sein Neffe beschließen will, kann er allenfalls mit ei- Wieland Lafferentz, als „Abkömmlinge“ ner akuten Gefährdung des Stiftungs- der diversen Wagner-„Stämme“ bei der zwecks (Paragraf 2) motivieren. Der sieht Nachfolgekür von der Satzung bevorzugt, vor, dass „das Festspielhaus Bayreuth dau-

Intendanten von 1876 bis heute AKG AKG INTERFOTO ˾ Siegfried Wagner ˾ Winifred Wagner ˾ Wieland und Wolfgang Wagner Der Komponistensohn war von 1908 bis zu Die gebürtige Engländerin war als Witwe Die beiden Söhne Winifreds begründeten seinem plötzlichen Tod während der Festspiel- Siegfried Wagners von 1931 bis 1944 Herrin 1951 „Neu-Bayreuth“. Seit Wielands Tod saison 1930 Herr des Grünen Hügels. von Bayreuth und Hitlers „Hohe Frau“. 1966 ist Wolfgang dort Alleinherrscher.

der spiegel 12/2001 301 Kultur ernd der Allgemeinheit zu erhalten und ger zu erzielen als ein ju- zugänglich zu machen und stets den ristisches Ergebnis nach Zwecken dienstbar zu machen (ist), für die lang andauernden Rechts- es sein Erbauer bestimmt hat“. Ist da einer, streitigkeiten“. der diesen hehren Zweck torpediert? Ist das die Wende? Je- Wer Wolfgang Wagner als Mieter aus dem denfalls kommt Wolfgang Festspielhaus werfen will, muss ihm ver- Wagner mit den Schal- tragswidriges oder zumindest vertragsschä- meien seinem grantigsten digendes Verhalten schwerwiegender Art Gegenspieler entgegen. nachweisen; wer ihn als lebenslänglich ab- Denn auch Zehetmair, gesicherten alleinigen Geschäftsführer der der sich offiziell immer Festspiele stürzen und an seiner Stelle einen für Eva Wagner-Pasquier Kommissar einsetzen möchte, muss Zweifel stark gemacht hat, guckt haben und belegen, dass der Alte nicht mehr sich längst auch außerhalb Herr seiner Sinne und seines Amtes ist. des Wagner-Clans nach „Was die da vorhaben, sehe und erwar- geeigneten Kandidaten te ich ganz gelassen“, gestand Wagner letz- um. Sein Intimus Peter Jo- te Woche dem SPIEGEL. Dass ihn der nas, Intendant der Bayeri- Stiftungsrat ständig dränge, endlich einen schen Staatsoper, hat Termin für seinen Abgang zu nennen, be- bislang abgewinkt, aber stätige nur, „dass die Herrschaften ihren ei- „mit anderen Theater- genen juristischen Tricks misstrauen“: männern“ sei er noch im „Würde ich mich auf das Jahr 2002 als Ende Gespräch. meiner Amtszeit festlegen, um Ruhe in den Anders als der amtie- Saftladen zu bringen, wären die Herren ja rende Festspielchef, der mit einem Schlag aus dem ganzen Rechts- einen Nicht-Wagner auf schlamassel raus, den sie sich selbst einge- Bayreuths heiligem Stuhl

brockt haben.“ Da wird er sich hüten, „ich SEEGER-PRESS wohl nur akzeptieren will mich doch nicht selbst kastrieren“. Familie Katharina, Wolfgang, Gudrun Wagner: Bockige Lust würde, wenn er dadurch Da sitzt er, ein rüstiger, rosiger Greis, eine Inthronisierung sei- der nicht müde wird, in syntaktischem Hol- schmoren, schließlich hat auch er schon ner ungeliebten Tochter Eva verhindern terdiepolter seine Verdienste und Sorgen mit seinen Rechtsbeiständen zusammen- könnte, spekuliert Zehetmair eher auf eine um Opas Erbe aufzuzählen, „die systema- gehockt, nein, „so auf die krumme Tour Festspielleitung im Doppelpack: Das Amt tische Zersetzung meiner Frau“ durch po- wird mich der Stiftungsrat nicht los“. auf dem Grünen Hügel sei schließlich litische Widersacher anzuprangern, den Und doch, ganz so stur, wie er sich lan- „kein Fulltime-Job, sondern eine Art „totalen Alleinvertretungsanspruch“ sei- ge gegeben und gefallen hat, ist der Alte Sommerresidenz und damit nur das Sah- ner kandidierenden Tochter Eva zu kon- nicht mehr. Der Aussitzer bewegt sich, neu- nekrönchen auf einem bewährten Haupt“; terkarieren und pflichtschuldig darauf erdings findet er – Einsicht? Taktik? Muf- deshalb ließe sich Frau Eva guten Ge- hinzuweisen, dass er „natürlich weit in fensausen? – auch Töne von fast pastoraler wissens mit einem erfahrenen Bühnen- die Zukunft“ plane, planen müsse, „weil es Sanftmut. mann liieren. ja sonst keiner tut und kann“. Derzeit jet- Letzte Woche betonte er jedenfalls, dass Und wenn Wolfgang Wagner, der Ra- tet er durch die Wagner-Welt, um den er „nicht ausschließlich auf Gudrun Wag- chegott, den Stiftungsrat so lange zappeln nächsten Bayreuther Nibelungen-„Ring“ ner als einzig möglicher Nachfolgerin be- lässt, wie die von ihm verstoßene Eva dort zu besetzen. Den Dirigenten hat er schon: stehe“, dass „auch andere Lösungsmodel- Liebkind ist? Dann wird sich wohl auch Christian Thielemann, bei den Regisseu- le denkbar“ seien und „durchaus ein Kan- Zehetmair von seiner Favoritin lossagen ren beobachtet er noch „einige interessan- didat von außen in Frage kommt, wenn die und mit einem Nicht-Wagner auf dem te Persönlichkeiten“. Premiere ist 2006, Familie Wagner die Sache nicht schafft“. Er Wagner-Thron anfreunden müssen: „Ich „da wird es Zeit“. strebe „eine einvernehmliche Regelung in- bin“, sagt er, „durchaus nicht völlig auf Liebend gern – die bockige Lust sieht nerhalb eines überschaubaren Zeitrah- Eva fixiert.“ man ihm an – lässt er seine Gegner weiter mens“ an, und die sei „allemal kurzfristi- Ehrlich? Schon geistert die Vision durch die Szene, Zehetmair habe Eva – allein oder im Tandem – dazu ausersehen, ihrem KAMPF UM DEN HÜGEL Kandidaten für die neue Festspielintendanz Vater als Nebenregentin an die Seite ge- stellt zu werden und so in dem Betrieb mit- zumischen, dessen der Papa nicht mehr Herr werde. „Wenn eine solche Konstella- tion bei der anstehenden Sitzung heraus- kommen sollte“, sagt Wolfgang Wagner, „dann geht auf dem Hügel demnächst al- les drunter und drüber, und dann hat der Stiftungsrat nur eins erreicht – Bayreuth und seine Tradition kaputtzumachen.“ Und diesem Vorspiel zur Götterdämme- K. H. LAMMEL BILDERDIENST ULLSTEIN M. HORVATH rung kehrt er den Rücken. Wenn die Poli- ˾ Eva Wagner-Pasquier ˾ Wieland Lafferentz ˾ Nike Wagner tiker nächste Woche in Bayreuth über ihn zu Gericht sitzen, wird er sich in Korea bewirbt sich als Tochter kandidiert als Wolfgangs strebt als Nichte Wolfgangs Großvaters „Rheingold“ ansehen – auch Wolfgangs und als Opern- Neffe und Chef der Salzbur- und Buchautorin nach der ein Stück um Macht, Intrigen und krumme managerin. ger Mozarteum-Stiftung. Macht in Bayreuth. Touren. ™

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