Robnik 2009 Geschichtsaesthetik-Affektpolitik-Stauffenberg.Pdf
Total Page:16
File Type:pdf, Size:1020Kb
GESCHICHTSÄSTHETIK UND AFFEKTPOLITIK Drehli Robnik Historiker und Filmwissenschaftler; Studium in Wien und Amsterdam; Forschungstätigkeit am Ludwig Boltzmann-Institut für Geschichte und Gesellschaft, Wien; Lehrtätigkeit an der Universität Wien, an der Masaryk University, Brno und der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt/M. Gelegentlich Disk-Jockey und Edutainer. »Lebt« in Wien-Erdberg. DREHLI ROBNIK Geschichtsästhetik und Affektpolitik Stauffenberg und der 20. Juli im Film 1948 - 2008 VERLAG TURIA + KANT WIEN Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Bibliographic Information published by Die Deutsche Bibliothek Die Deutsche Bibliothek lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data is available in the internet at http://dnb.ddb.de. ISBN 978-85132-557-7 Lektorat: Joachim Schätz, Gabu Heindl Satz: Gabu Heindl, Drehli Robnik Cover: Lisa Ifsits © Drehli Robnik, 2009 Verlag Turia + Kant A-1010 Wien, Schottengasse 3A / 5 / DG 1 [email protected] | www.turia.at Inhalt Einleitung: Auge, Hand, Widerstand. Politik im Ereignis, Zeit im Affekt: Stauffenbergs Geschichtsästhetik . .7 Süße Ethik, saurer Bruch: Stauffenbergs Laptop – und Politik ohne Ressentiment . .13 Wer sieht das so? Beförderung durch Delay . .23 1. Zwei andere Deutschlands. Harnacks Hirn, Pabsts Hand: Körperbilder und Zeitlogiken der Geschichte in der Doppelverfilmung des 20. Juli von 1955 . .31 Widerstand an allen »Fronten«: Die Phänomenologie der Republik in Der 20. Juli . .34 Die Hand im historischen Augenblick: Suspense und Prothese bei G. W. Pabst . .40 Das Hand-Ehre-Deutschland: NS-Politik, Affekt und Erleuchtung in Pabsts Nachkriegsfilmen . .53 Wie anders ist Deutschland? Langs Mabuse, Harnacks Stauffenberg und der Holocaust . .62 2. »Good to see you again!« Ein Widerständler als Wiedergänger in Nebenrollen und Nebenfilmen 1948-1990 . .73 Night of the Generals, Das andere Leben und andere Seitenwechsel . .74 Allianz und Abstraktion: Deutsch-deutsche Stauffenberge im Kalten Krieg . .82 Sky high: Historie im Anbruch und im Kostüm – War and Remembrance / The Plot to Kill Hitler . .90 3. Es lebe das Neue Fleisch! Biopolitik und Gedächtnisbildung in Stauffenberg (2004) . .99 Graph Stauffenberg: Das Auge in der historischen Handlung . .102 Bleib am Leben! Familienvater vs. Fanatiker . .108 Man sieht nur mit dem Herzen gut: Gedächtnisbildung als Medienallegorie . .117 4. The Birth of a Region: Postnationaler Adel und Pöbel rund um Guido Knopp . .125 Täter und Titel: Fernsehen, Widerstand und Rollen-Spiele im Europäischen Geist . .130 Schwaben in Afrika: Briefwechsel zwischen Guido Knopp und Stauffenberg (2004) . .146 5. Es lebe das Andere! Ethik und Genetik: Was Stauffenberg-Dokus bezeugen . .153 »Wie haben Sie gegrüßt?« Operation Walküre (1971), Operation Radetzky (1992) . .155 Von Berlin nach Berlichingen mit Google Earth . .163 St. Auffenberg aus Scientollywood . .177 6. Über Gipfeln, unter Gleichen: Valkyrie (2008) . .187 Es lebe das scheinheilige Deutschland! . .187 Verdrehte Augen: Queere Walküre . .197 Ein politischer Akt: Stauffenbergs Geist . .212 Danksagungen . .227 Anmerkungen . .229 Einleitung: Auge, Hand, Widerstand Politik im Ereignis, Zeit im Affekt: Stauffenbergs Geschichtsästhetik Der Witz »Mit dem Zweiten sieht man besser« wurde bereits gemacht, in Form einer Zeitungsartikelüberschrift im Rahmen der Debatte um die Berliner Dreharbeiten zu Bryan Singers Valkyrie (Operation Walküre – Das Stauffenberg-Attentat, USA/D 2008). Die Witz-Formulierung bezog sich auf den eine Augenklappe tragenden Oberst Graf Stauffenberg, den Tom Cruise spielt, sowie auf den Slo- gan des ZDF, des »Zweiten« (Deutschen Fernsehens), den TV-Promis zu Werbezwecken in die Kamera sprechen, wobei sie mit der Hand ein Auge abdecken. Bevor wir uns in eine Debatte darüber verstricken, was es besagen soll, dass ein Witz schon gemacht wurde, und ob in diesem Buch nicht ein anderer, mehr eigendynamischer Begriff von Wiederholung zum Tragen kommen soll (und wird), – eine Unterbre- chung. Denn: Es stimmt nicht, das Gegenteil ist wahr. Ohne zweites Auge sieht man besser; das gilt zumindest für Stauffenberg. Um Stauffenbergs Aisthesis, sein Wahrnehmen und seine Wahrnehmbar- keit, um deren Aufteilung und Verzeitlichung im Medium von Film- bildern geht es in diesem Buch. Es geht um internationale Film- und Fernsehbilder Stauffenbergs und des 20. Juli, die in sechs Jahrzehnten, von 1948 bis 2008, entstanden und in Umlauf gekommen sind. Claus Schenk Graf von Stauffenberg: Zur Zeit seines gescheiter- ten Hitler-Attentats, Umsturzversuchs und Erschießungstodes am 20. Juli 1944 war er 37 Jahre alt, Oberst in der deutschen Wehrmacht und Chef des Stabes im Ersatzheer des Oberkommandos des Heeres; kriegsverletzungsbedingt hatte er nur ein Auge und eine Hand (und an der nur drei Finger). Betrachten wir sein filmisches (und televisuelles) Bild als Verkörperung einer Weise, in der Geschichte zu sein, einer Subjektivität von Geschichtlichkeit, dann gilt: Ohne zweites Auge sieht man besser. Einäugiges Sehen und die Beeinträchtigung von Hand und Handeln sind Einstieg, Fluchtpunkt und insistierendes Potenzial in Stauffenbergs Aisthesis. Wer nur ein Auge (und eine Hand) hat, sieht (und »handelt«) flächig statt räumlich. Geht es hier 7 nun um die postmodernistische Denkfigur einer Entgegensetzung der (Ober-)Fläche zur Tiefe des Raums? Nein. Es geht um Zeit; von der Zeit her geht es um Geschichtsästhetik und von dieser her um Affekt- politik. Unter dem Gesichtspunkt der Zeit lässt sich das Verhältnis von einäugig-einhändig-flächigem und normalem, räumlichem Wahr- nehmen reformulieren. Es lässt sich übersetzen, in folgende Bezie- hung: zwischen der Ästhetik-als-Logik der Ereignisse in einer Zeit, die Spaltung ist, und der Ästhetik-als-Logik der Handlungen in einer Zeit, die Dauer und insofern der Verräumlichung zugeneigt ist. Ereignis- Zeit versus Handlungs-Dauer: Das entspricht in etwa einem Begriffs- paar aus Gilles Deleuze´ Logik des Sinns, das in seiner Film-Philosophie in der Unterscheidung zwischen »Zeit-Bild« und »Bewegungs-Bild« wiederkehrt, nachhallt. Ein Nachhall ist ein Echo, ein Delay. Delay heißt auch Aufschub und Verzögerung, und ein(e) solche(r) ist nun angebracht. Einen Augenblick. Wie ist das mit Ereignis und Dauer? Reinhart Kosellecks Ge- schichtstheorie etwa versteht die Beziehung zwischen beiden im Sinn wechselseitiger Rückführbarkeit aufeinander. Dauer wäre hier ein anderer Name für das, was Koselleck als gelebte Zeitlichkeit des Men- schen konzipiert, aus der sich die Zeitlichkeit der Geschichte (und deren Verstehbarkeit) ableitet. Dauer ist Zeit als emphatisch gelebte; dieses Leben von Zeit findet in Gegenwarten statt, durch Vergegen- wärtigungen von Vergangenheit durch Erinnerung und von Zukunft durch Hoffnung: Zeit als Dauer ist verräumlicht in der Wechselseitig- keit von »Erfahrungsraum« und »Erwartungshorizont«, wie Kosellecks metahistorisches Kategorienpaar heißt. In einer analogen Wechselsei- tigkeit steht bei Koselleck das Ereignis zur Dauer (bzw. zu den »Struk- turen«): Ereignis und Dauer setzen einander voraus, erklären einan- der. Kein Ereignis ohne Struktur bzw. Dauer, die sich im »Medium« des Ereignisses artikuliert. Allerdings deutet Koselleck auch einen unauflösbaren Rest an, eine Überschüssigkeit und frappante »Novität« der Ereignisse, kraft derer diese nie ganz auf das Dauer- hafte rückgeführt, ganz aus Strukturbedingungen erschlossen werden können. An diesem Punkt vergleicht er das geschichtliche Ereignis mit dem Kunstwerk, um dessen Eigenlogik zu fassen.1 Ereignisse treten auf, als unauflösbar in und irreduzibel auf Vor- aussetzungen, Vergegenwärtigungen und gelebte Dauer: Was Koselleck andeutet, davon geht die Zeit-Philosophie von Deleuze bereits aus. 8 Deleuze ist hier insofern interessant, als sich, wie erwähnt, sein Begriff des Ereignisses recht eng mit seinen filmphilosophischen Begriffen ver- knüpfen und in dieser Verknüpfung der Koselleck´schen Geschichts- theorie gegenüberstellen lässt. Dass Deleuze seine Zeit-Philosophie eben auch im Medium des Films formuliert, geschieht nicht von außen, quasi aus Nettigkeit gegenüber interessanten Bildern, die sich als der Wirklichkeit ähnlich missverstehen lassen, sondern: Film ist in seiner Medialität unmittelbar eine moderne Form von Subjektivität und Sozietät, von deren Ordnungen und Störungen – Modulation von Leben mit gelegentlichen Chancen zum Denken. Mit Deleuze gesehen, lässt sich sagen, dass Koselleck im (»klassi- schen«) Register des filmischen Bewegungsbilds argumentiert. In die- sem wird Zeit indirekt repräsentiert, als gelebte und bewegte Dauer, durch geordnete Kompositionen von Wahrnehmungen und Handlun- gen. Von diesem Bewegungsregister, von dieser Tiefe der Ur-Sachen, um mit Deleuze´ Logik des Sinns zu sprechen, setzen sich Ereignisse ab – wie Dunst an einer Oberfläche. Ereignisse sind reine Wirkungen und »Effekte«, nicht auf Ursachen rückführbar; vielmehr teilen sie das Feld der Ursachen und Bedingungen neu auf, indem sie nahelegen, dieses Ursächlich-Dauerhafte neu aufzurollen: Von der Warte der Wir- kung aus machen sie bislang nicht wahrnehmbare Herkünfte als neue »Phantom-Kausalitäten« anpeilbar. Das Ereignis sucht sich retroaktiv seine Ursachen, bringt Vergangenheit neu hervor; es ist die Zeit als Neues. Wie gesagt: Eine begriffliche Ahnung von diesem Ereignis- dunst verzeitlichter