5000 Jahre – 15 Hektar – 200 Gräber Archäologische Ausgrabungen Im Bereich Des Neubaugebietes Remseck-Pattonville, Kreis Ludwigsburg
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02_nb308_125_174.qxd:Nabla 16.08.2008 17:47 Uhr Seite 144 5000 Jahre – 15 Hektar – 200 Gräber Archäologische Ausgrabungen im Bereich des Neubaugebietes Remseck-Pattonville, Kreis Ludwigsburg Die archäologische Überwachung und Begleitung von Großbaustellen stellt häufig hohe Anforderungen an die Flexibilität des Ausgrabungsteams und fordert – vor allem bei unerwarteten Neuentdeckungen – eine gute Koope - ration zwischen Bauträgern, Investoren und ausführenden Firmen einerseits und der Bodendenkmalpflege andererseits. Trotz oft enormem Zeitdruck konnten südöstlich von Ludwigsburg während der Ausgrabungen im 15 ha großen Erschließungsgebiet „Pattonville Gardens“ archäologische Hinterlassenschaften aus unterschiedlichen Epochen der Vor- und Frühgeschichte Südwestdeutschlands dokumentiert und wichtige Er- kenntnisse zur Besiedlungsgeschichte für die Nachwelt gesichert werden. Jörg Bofinger / Przemyslaw Sikora Ein riesiges Neubaugebiet wird umfangreiche archäologische Rettungsgrabun- erschlossen – der Beginn einer umfang- gen zur Sicherung und Dokumentation frühkelti- reichen Rettungsgrabung scher, römischer und merowingerzeitlicher Hin- terlassenschaften nötig waren (Abb. 1). Seit den 1990er-Jahren wird die frühere Wohn- Im Frühsommer 2006, mit Beginn des Humusab- siedlung für amerikanische Militärangehörige Pat- trags im Bereich der zukünftigen bogenförmigen, tonville sukzessive zu einem modernen Wohnge- konzentrisch angelegten Ringstraßen, konnte der biet auf den Gemarkungen der Städte Remseck ehrenamtliche Beauftragte der archäologischen am Neckar und Kornwestheim umgestaltet und Denkmalpflege, Herr Walter Joachim, in den ab- erweitert. geschobenen Abschnitten zunächst eine Reihe Infolge der archäologischen Überwachung der Er- Siedlungsgruben beobachten, deren spärliches schließungsmaßnahmen für den letzten Realisie- Fundmaterial jedoch genügend Anhaltpunkte lie- rungsabschnitt, ein knapp 15 ha großes Neubau- ferte, um eine Datierung in die ausgehende Hall- gebiet im östlichen Anschluss an die bestehende stattzeit bzw. frühe Latènezeit (spätes 6./1. Hälfte Wohnbebauung, zeigte sich relativ schnell, dass 5. Jahrhundert v. Chr.) zu erlauben. 1 Luftbild des Areals „Pattonville Gardens“ mit den geplanten Straßen- zügen, die während der Erschließungsarbeiten archäologisch überwacht wurden. Die aufgefunde- nen Relikte aus unter- schiedlichen Epochen zeigten, dass auch in den zur Bebauung anstehen- den Bereichen östlich der bestehenden Wohnbe- bauung umfangreiche Rettungsgrabungen not- wendig sein würden. 144 02_nb308_125_174.qxd:Nabla 16.08.2008 17:47 Uhr Seite 145 Seit Langem ist die Gegend um Pattonville als be- sonders reiche archäologische Siedlungsland- schaft bekannt. Vor allem die Nähe mehrerer rö- mischer Gutshöfe und die unmittelbare Nachbar- schaft der Neubaufläche zum bereits bekannten frühmerowingerzeitlichen Friedhof von Aldingen in der Flur „Bückele“ erforderten eine archäologi- sche Überwachung der Baumaßnahmen (Abb. 2). Nachdem die Streuung der Befunde über weite Abschnitte im gesamten Neuerschließungsgebiet festgestellt worden war und darüber hinaus kom- plexe römische Befunde sowie zahlreiche alaman- nische Gräber im Nordosten des betroffenen Are- als ans Tageslicht gekommen waren, wurde im Herbst 2006 durch das Landesamt für Denkmal- pflege mit einer ausgedehnten Rettungsgrabung begonnen, die mindestens bis zum Sommer 2008 schutzplatte hatte man einem der zwei Individu - 2 Bekannte Fundstellen andauert. en, die beide mit angewinkelten Beinen und vor im Umfeld des von den Der Fortgang der Ausgrabungsarbeiten wurde in dem Oberkörper liegenden Armen in entgegen- Baumaßnahmen betrof - Pattonville in erster Linie durch den Ablauf der Er- gesetzter Orientierung bestattet wurden, als Bei- fenen Areals. schließungsmaßnahmen vorgegeben, sodass zu- gabe ins Grab gelegt und befand sich noch „in nächst vor allem im Bereich der späteren Straßen- situ“ am linken Unterarm. züge gegraben werden musste. Danach galt es, Obwohl aus den Feldern östlich und nördlich des die ersten Baufelder, die bereits von unterschied- Neubaugebietes bandkeramische Funde bekannt lichen Wohnbaugesellschaften zur Bebauung vor- sind (Abb. 2), ließen sich im bislang untersuchten gesehen waren, entsprechend den Terminplanun- Areal noch keine Befunde der frühen Jungstein- gen der jeweiligen Bauträger zu untersuchen. Der zeit (2. Hälfte des 6. Jahrtausends) erkennen. So- daraus resultierende Zeitdruck erforderte eine Kon- mit zeigen die beiden Gräber, die mehrere hun- zentration auf die unmittelbar bedrohten Areale dert Meter voneinander entfernt lagen, die frü- (Abb. 3), größere zusammenhängende Grabungs- heste Begehung des Geländes während des flächen konnten aus diesen Gründen nur bedingt, Endneolithikums im Verlauf des 3. Jahrtausends 3 Grabungssituation im etwa innerhalb eines Baufensters, am Stück aus- v. Chr. an. Neubaugebiet von Pat- gegraben und dokumentiert werden. Zwar entdeckt man unter den Keramikfunden auch tonville. In enger Abstim- immer wieder Scherben spätbronzezeitlicher Ge- mung mit den Erschlie- ßungs- und Bauvorhaben Jungsteinzeitliche Gräber, früh- fäße des späten 2. bzw. frühen 1. Jahrtausends mussten die archäolo - keltische Gehöfte – die ältesten Be- v. Chr., was somit auch auf eine Begehung und gischen Untersuchungen siedlungsspuren in Pattonville Nutzung des Geländes während der so genann- stets im „Schatten der ten Urnenfelderzeit hindeutet. Doch konnten bis- Bagger“ unter großem Spuren aus der Jungsteinzeit (6.–3. Jahrtausend lang keine eindeutigen Befunde nachgewiesen Zeitdruck durchgeführt v. Chr.) waren bislang nur durch Streufunde im werden, die in diese Epoche zu datieren sind. werden. Umland belegt; erst im Verlauf der Grabungs- kampagne des Jahres 2007 konnten zwei Körper- gräber aufgedeckt werden, die nun auch eine Be- gehung des Geländes spätestens in der ausgehen - den Jungsteinzeit anzeigen. Bei beiden Gräbern handelte es sich um so genannte Hockerbestat- tungen, also Grablegen, in denen die Toten mit angezogenen bzw. angehockten Beinen, auf der Seite liegend, beerdigt wurden. Während ein nur noch schlecht erhaltenes Hockergrab aufgrund fehlender Beigaben lediglich grob in die Jungstein- zeit zu datieren ist, erlaubte der Fund einer Arm- schutzplatte aus rötlichem Felsgestein (Abb. 4) in der Grablege einer Doppelbestattung – im südli- chen Teil der Grabungsfläche zwischen römischen Befunden entdeckt – deren Zuordnung zur end- neolithischen Kulturerscheinung der Glockenbe- cher (2. Hälfte 3. Jahrtausend v. Chr.). Diese Arm- Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3 | 2008 145 02_nb308_125_174.qxd:Nabla 16.08.2008 17:47 Uhr Seite 146 Erst die verstreut liegenden Gruben, die auf eine Angesichts dieser intensiven landwirtschaftlichen offenbar relativ weitläufige Siedlung hinweisen, Erschließung und Nutzung überraschte die Auf- kann man aufgrund des Fundmaterials einem deckung weiterer römischer Befunde auch im Weiler oder einem Dorf der frühen Eisenzeit zu- Neubaugebiet kaum. Ziemlich genau in halber weisen. Diese wahrscheinlich aus mehreren Ge- Distanz zwischen den beiden genannten Gutshö- höften bestehende Siedlung aus dem ausgehen- fen traten auf relativ beschränktem Raum in der den 6. und beginnenden 5. Jahrhundert v. Chr. südlichen Hälfte des Neuerschließungsgebiets rö- 4 Armschutzplatte aus (Späthallstatt-/ Frühlatènezeit) befand sich vor al- mische Siedlungsstrukturen zutage, wobei be- rötlichem Felsgestein, lem im nördlichen und nordwestlichen Bereich des sonders mehrere Brandstellen auffielen. Es zeigte die als Beigabe einem Neubaugebietes und erstreckte sich bis ins Areal sich, dass es sich bei diesen Befunden um die Toten der ausgehenden des frühmittelalterlichen Friedhofs hinein. Reste von Kuppelöfen handelte: Während direkt Jungsteinzeit ins Grab Bei den Strukturen handelte es sich mit Ausnah- nach Abtrag des Oberbodens die Öfen zunächst gelegt wurde. Sie sollte me einiger Pfostenlöcher vor allem um Gruben nur als rötliche Verfärbungen oder als Steinkon- den linken Arm des und wenige Grubenhäuser. Die Gruben, darunter zentrationen zu erahnen waren, ließen sich in der Bogenschützen vor der zurückschnellenden einige mit dem typischen umgekehrt trichterför- Regel bei weiterem Abtrag die runden Brandstel- Bogensehne schützen. migen Profil, waren durchschnittlich noch etwa len mit klaren Umgrenzungen deutlich erkennen. zwischen 0,5 m und 1 m tief erhalten und verteil- Die stark verziegelten Ofenplatten besaßen einen ten sich in lockerer Streuung in den Erschlie- Durchmesser von ca. 0,75 m bis 0,9 m. Darüber ßungstrassen (Abb. 5). war in einigen Fällen der Ansatz der verziegelten In einem der kleinen Grubenhäuser mit ebenem Wandung bzw. Ofenkuppel aus Lehm noch ei- Boden ließ sich eine dünne flächige Brand- bzw. nige Zentimeter hoch erhalten (Abb. 6). Zunächst Ascheschicht auf der Sohle der Hütte nachwei- konnte man allein acht Ofenanlagen im Bereich sen. der Erschließungstrassen erfassen, im Verlauf der Insgesamt bleibt festzustellen, dass das Fundauf- Untersuchung der benachbarten Baufelder ka- kommen in den frühkeltischen Siedlungsbefunden men mindestens drei weitere Öfen hinzu. Dabei relativ gering war und zahlreiche Gruben nahezu scheinen die Öfen keinem einheitlichen Konstruk- fundleer blieben, jedoch aufgrund von Form und tionsplan zu folgen, die Öffnungen waren sowohl Verfüllung eindeutig dieser Siedlungsphase des nach Osten wie nach Westen hin orientiert. Platzes zugewiesen werden können. Keramikfrag- Obwohl vielfach in den Arbeitsgruben sowie im mente, darunter wenige S-förmig geschwungene Umfeld der Ofenstellen