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5000 Jahre – 15 Hektar – 200 Gräber Archäologische Ausgrabungen im Bereich des Neubaugebietes -, Kreis

Die archäologische Überwachung und Begleitung von Großbaustellen stellt häufig hohe Anforderungen an die Flexibilität des Ausgrabungsteams und fordert – vor allem bei unerwarteten Neuentdeckungen – eine gute Koope - ration zwischen Bauträgern, Investoren und ausführenden Firmen einerseits und der Bodendenkmalpflege andererseits. Trotz oft enormem Zeitdruck konnten südöstlich von Ludwigsburg während der Ausgrabungen im 15 ha großen Erschließungsgebiet „Pattonville Gardens“ archäologische Hinterlassenschaften aus unterschiedlichen Epochen der Vor- und Frühgeschichte Südwestdeutschlands dokumentiert und wichtige Er- kenntnisse zur Besiedlungsgeschichte für die Nachwelt gesichert werden. Jörg Bofinger / Przemyslaw Sikora

Ein riesiges Neubaugebiet wird umfangreiche archäologische Rettungsgrabun- erschlossen – der Beginn einer umfang- gen zur Sicherung und Dokumentation frühkelti- reichen Rettungsgrabung scher, römischer und merowingerzeitlicher Hin- terlassenschaften nötig waren (Abb. 1). Seit den 1990er-Jahren wird die frühere Wohn- Im Frühsommer 2006, mit Beginn des Humusab- siedlung für amerikanische Militärangehörige Pat- trags im Bereich der zukünftigen bogenförmigen, tonville sukzessive zu einem modernen Wohnge- konzentrisch angelegten Ringstraßen, konnte der biet auf den Gemarkungen der Städte Remseck ehrenamtliche Beauftragte der archäologischen am und umgestaltet und Denkmalpflege, Herr Walter Joachim, in den ab- erweitert. geschobenen Abschnitten zunächst eine Reihe Infolge der archäologischen Überwachung der Er- Siedlungsgruben beobachten, deren spärliches schließungsmaßnahmen für den letzten Realisie- Fundmaterial jedoch genügend Anhaltpunkte lie- rungsabschnitt, ein knapp 15 ha großes Neubau- ferte, um eine Datierung in die ausgehende Hall- gebiet im östlichen Anschluss an die bestehende stattzeit bzw. frühe Latènezeit (spätes 6./1. Hälfte Wohnbebauung, zeigte sich relativ schnell, dass 5. Jahrhundert v. Chr.) zu erlauben.

1 Luftbild des Areals „Pattonville Gardens“ mit den geplanten Straßen- zügen, die während der Erschließungsarbeiten archäologisch überwacht wurden. Die aufgefunde- nen Relikte aus unter- schiedlichen Epochen zeigten, dass auch in den zur Bebauung anstehen- den Bereichen östlich der bestehenden Wohnbe- bauung umfangreiche Rettungsgrabungen not- wendig sein würden.

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Seit Langem ist die Gegend um Pattonville als be- sonders reiche archäologische Siedlungsland- schaft bekannt. Vor allem die Nähe mehrerer rö- mischer Gutshöfe und die unmittelbare Nachbar- schaft der Neubaufläche zum bereits bekannten frühmerowingerzeitlichen Friedhof von in der Flur „Bückele“ erforderten eine archäologi- sche Überwachung der Baumaßnahmen (Abb. 2). Nachdem die Streuung der Befunde über weite Abschnitte im gesamten Neuerschließungsgebiet festgestellt worden war und darüber hinaus kom- plexe römische Befunde sowie zahlreiche alaman- nische Gräber im Nordosten des betroffenen Are- als ans Tageslicht gekommen waren, wurde im Herbst 2006 durch das Landesamt für Denkmal- pflege mit einer ausgedehnten Rettungsgrabung begonnen, die mindestens bis zum Sommer 2008 schutzplatte hatte man einem der zwei Individu- 2 Bekannte Fundstellen andauert. en, die beide mit angewinkelten Beinen und vor im Umfeld des von den Der Fortgang der Ausgrabungsarbeiten wurde in dem Oberkörper liegenden Armen in entgegen- Baumaßnahmen betrof - Pattonville in erster Linie durch den Ablauf der Er- gesetzter Orientierung bestattet wurden, als Bei- fenen Areals. schließungsmaßnahmen vorgegeben, sodass zu- gabe ins Grab gelegt und befand sich noch „in nächst vor allem im Bereich der späteren Straßen- situ“ am linken Unterarm. züge gegraben werden musste. Danach galt es, Obwohl aus den Feldern östlich und nördlich des die ersten Baufelder, die bereits von unterschied- Neubaugebietes bandkeramische Funde bekannt lichen Wohnbaugesellschaften zur Bebauung vor- sind (Abb. 2), ließen sich im bislang untersuchten gesehen waren, entsprechend den Terminplanun- Areal noch keine Befunde der frühen Jungstein- gen der jeweiligen Bauträger zu untersuchen. Der zeit (2. Hälfte des 6. Jahrtausends) erkennen. So- daraus resultierende Zeitdruck erforderte eine Kon- mit zeigen die beiden Gräber, die mehrere hun- zentration auf die unmittelbar bedrohten Areale dert Meter voneinander entfernt lagen, die frü- (Abb. 3), größere zusammenhängende Grabungs- heste Begehung des Geländes während des flächen konnten aus diesen Gründen nur bedingt, Endneolithikums im Verlauf des 3. Jahrtausends 3 Grabungssituation im etwa innerhalb eines Baufensters, am Stück aus- v. Chr. an. Neubaugebiet von Pat- gegraben und dokumentiert werden. Zwar entdeckt man unter den Keramikfunden auch tonville. In enger Abstim- immer wieder Scherben spätbronzezeitlicher Ge- mung mit den Erschlie- ßungs- und Bauvorhaben Jungsteinzeitliche Gräber, früh- fäße des späten 2. bzw. frühen 1. Jahrtausends mussten die archäolo - keltische Gehöfte – die ältesten Be- v. Chr., was somit auch auf eine Begehung und gischen Untersuchungen siedlungsspuren in Pattonville Nutzung des Geländes während der so genann- stets im „Schatten der ten Urnenfelderzeit hindeutet. Doch konnten bis- Bagger“ unter großem Spuren aus der Jungsteinzeit (6.–3. Jahrtausend lang keine eindeutigen Befunde nachgewiesen Zeitdruck durchgeführt v. Chr.) waren bislang nur durch Streufunde im werden, die in diese Epoche zu datieren sind. werden. Umland belegt; erst im Verlauf der Grabungs- kampagne des Jahres 2007 konnten zwei Körper- gräber aufgedeckt werden, die nun auch eine Be- gehung des Geländes spätestens in der ausgehen - den Jungsteinzeit anzeigen. Bei beiden Gräbern handelte es sich um so genannte Hockerbestat- tungen, also Grablegen, in denen die Toten mit angezogenen bzw. angehockten Beinen, auf der Seite liegend, beerdigt wurden. Während ein nur noch schlecht erhaltenes Hockergrab aufgrund fehlender Beigaben lediglich grob in die Jungstein- zeit zu datieren ist, erlaubte der Fund einer Arm- schutzplatte aus rötlichem Felsgestein (Abb. 4) in der Grablege einer Doppelbestattung – im südli- chen Teil der Grabungsfläche zwischen römischen Befunden entdeckt – deren Zuordnung zur end- neolithischen Kulturerscheinung der Glockenbe- cher (2. Hälfte 3. Jahrtausend v. Chr.). Diese Arm-

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Erst die verstreut liegenden Gruben, die auf eine Angesichts dieser intensiven landwirtschaftlichen offenbar relativ weitläufige Siedlung hinweisen, Erschließung und Nutzung überraschte die Auf- kann man aufgrund des Fundmaterials einem deckung weiterer römischer Befunde auch im Weiler oder einem Dorf der frühen Eisenzeit zu- Neubaugebiet kaum. Ziemlich genau in halber weisen. Diese wahrscheinlich aus mehreren Ge- Distanz zwischen den beiden genannten Gutshö- höften bestehende Siedlung aus dem ausgehen- fen traten auf relativ beschränktem Raum in der den 6. und beginnenden 5. Jahrhundert v. Chr. südlichen Hälfte des Neuerschließungsgebiets rö- 4 Armschutzplatte aus (Späthallstatt-/ Frühlatènezeit) befand sich vor al- mische Siedlungsstrukturen zutage, wobei be- rötlichem Felsgestein, lem im nördlichen und nordwestlichen Bereich des sonders mehrere Brandstellen auffielen. Es zeigte die als Beigabe einem Neubaugebietes und erstreckte sich bis ins Areal sich, dass es sich bei diesen Befunden um die Toten der ausgehenden des frühmittelalterlichen Friedhofs hinein. Reste von Kuppelöfen handelte: Während direkt Jungsteinzeit ins Grab Bei den Strukturen handelte es sich mit Ausnah- nach Abtrag des Oberbodens die Öfen zunächst gelegt wurde. Sie sollte me einiger Pfostenlöcher vor allem um Gruben nur als rötliche Verfärbungen oder als Steinkon- den linken Arm des und wenige Grubenhäuser. Die Gruben, darunter zentrationen zu erahnen waren, ließen sich in der Bogenschützen vor der zurückschnellenden einige mit dem typischen umgekehrt trichterför- Regel bei weiterem Abtrag die runden Brandstel- Bogensehne schützen. migen Profil, waren durchschnittlich noch etwa len mit klaren Umgrenzungen deutlich erkennen. zwischen 0,5 m und 1 m tief erhalten und verteil- Die stark verziegelten Ofenplatten besaßen einen ten sich in lockerer Streuung in den Erschlie- Durchmesser von ca. 0,75 m bis 0,9 m. Darüber ßungstrassen (Abb. 5). war in einigen Fällen der Ansatz der verziegelten In einem der kleinen Grubenhäuser mit ebenem Wandung bzw. Ofenkuppel aus Lehm noch ei- Boden ließ sich eine dünne flächige Brand- bzw. nige Zentimeter hoch erhalten (Abb. 6). Zunächst Ascheschicht auf der Sohle der Hütte nachwei- konnte man allein acht Ofenanlagen im Bereich sen. der Erschließungstrassen erfassen, im Verlauf der Insgesamt bleibt festzustellen, dass das Fundauf- Untersuchung der benachbarten Baufelder ka- kommen in den frühkeltischen Siedlungsbefunden men mindestens drei weitere Öfen hinzu. Dabei relativ gering war und zahlreiche Gruben nahezu scheinen die Öfen keinem einheitlichen Konstruk- fundleer blieben, jedoch aufgrund von Form und tionsplan zu folgen, die Öffnungen waren sowohl Verfüllung eindeutig dieser Siedlungsphase des nach Osten wie nach Westen hin orientiert. Platzes zugewiesen werden können. Keramikfrag- Obwohl vielfach in den Arbeitsgruben sowie im mente, darunter wenige S-förmig geschwungene Umfeld der Ofenstellen römisches Fundmaterial Gefäßprofile, bestätigen diesen ersten Datierungs - angetroffen wurde, ist deren Funktion jedoch ge- ansatz. genwärtig nicht eindeutig bestimmbar. Weder Fehlbrände, die bei einer Verwendung als Töpfer- Eine Batterie römischer Öfen – öfen in großer Zahl zu erwarten wären, noch er- landwirtschaftliche Produktionsstätte kennbare Konzentrationen verkohlten Getreides oder Handwerksbetrieb? oder sonstige botanische Reste, die eine Funktion als Backöfen nahe legen würden, ließen sich nach- Die fruchtbaren Böden der Lössflächen im Umland weisen. Lediglich Ziegelfragmente, eisernes Werk- von Pattonville dienten auch in römischer Zeit als zeug und Knochenartefakte deuten auf handwerk - landwirtschaftliche Nutzfläche, wie verschiedene liche Tätigkeiten, die im Umfeld mit einiger Sich er - römische Gutsanlagen in dieser Landschaft be - heit ausgeübt wurden. Mindestens ein Brunnen, legen. So liegt beispielsweise nur wenig nördlich dessen Schacht als dunkle Verfärbung im Löss zu der Kreisstraße K1692 eine Villa rustica in der Flur erkennen, jedoch nicht in Stein ausgekleidet war, „Bei den Stämmen“, eine zweite Villa befindet fügt sich gut ins Bild einer Niederlassung ein, die sich im Bereich des heutigen Zentrums von Pat- gewiss mit handwerklichen oder landwirtschaftli- tonville. chen Aktivitäten im Umfeld von römischen Werk- stätten in Verbindung stand. Auch unterstützen nachgewiesene Gräbchenstrukturen, Pfostenbau - ten und Hinweise auf Steinstrukturen im Bereich 5 Ausgrabung einer eines Ofens diese Interpretation. Hierbei mag es gut erhaltenen früheisen- sich möglicherweise um eine Darre für Getreide zeitlichen Grube. Der oder Obst gehandelt haben. Schnitt durch die Verfül- So ließe sich auf der Basis dieser Befunde vielleicht lung lässt mehrere Ab - lagerungsschichten er- ein kleines Handwerksquartier oder eine land- kennen, etwa auf halber wirtschaftliche Produktionsstätte rekonstruieren, Tiefe wurde das nahe- die von einem der benachbarten Gutshöfe betrie- zu vollständige Skelett ben oder vielleicht sogar von beiden Bauernhöfen eines Rehbocks entdeckt. genutzt worden sein könnte.

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ben werden können. Ein Blick auf den Gesamt- 6 Freilegung eines plan (Abb. 7) zeigt, dass die Ausdehnung des römischen Kuppelofens Friedhofs weit in südliche Richtung reicht. Allein im Süden des Neu - zwischen April und Oktober 2007 wurden 90 Grä- erschließungsgebiets. ber auf dem ca. 180 m langen und ca. 15 m brei- ten Streifen der zukünftigen äußeren Ringstraße (Chicagoweg) freigelegt. Bislang ließen sich noch keine Spuren einer Friedhofsabgrenzung fest- stellen. Die östliche Grenze liegt derzeit im Ackerland au- ßerhalb der zur Bebauung vorgesehenen Fläche. Vielleicht wird man die Ausdehnung in diese Rich- tung durch geophysikalische Messungen bestim- men können. Im untersuchten Areal lassen sich auffällige Grup- pierungen von Gräbern nachweisen, die durch befundfreie Zonen voneinander getrennt sind. Es Unerwartet hingegen in diesem Zusammenhang können bisher mindestens drei solcher Gräber- waren die schon stark durch Bodenabtrag in Mit- gruppen umgrenzt werden. Bei den Grablegen leidenschaft gezogenen Reste von mindestens zwei handelt es sich überwiegend um Einzelbestattun- einfachen römischen Brandgräbern. Lediglich zwei gen. Nur in zwei Fällen hat man Doppelbestattun- schmucklose Tonurnen mit wenig Leichenbrand gen aufgedeckt. Alle Gräber waren in West-(Kopf)- in kleinen Gruben, im oberen Bereich bereits zer- Ost-Richtung orientiert, vereinzelt mit leichten Ab - stört, deuten auf einen Bestattungsplatz aus rö- weichungen nach Süden. Dem schon bekannten mischer Zeit. Die gut erhaltene rautenförmige Pferdegrab aus der bekannten „alten“ Gräber - Bronzefibel mit Glaseinlagen, die ebenfalls aus gruppe konnte man eine weitere Pferdedoppel- diesem Areal stammt, allerdings schon im Pflug- bestattung am Ostrand der untersuchten Fläche horizont geborgen wurde, könnte man als Hin- hinzufügen. weis auf weitere, bereits zerstörte römische Grab- stellen interpretieren.

Der merowingerzeitliche Friedhof – von einer kleinen Gräbergruppe zum Reihengräberfeld

Seit Ende der 1960er Jahre ist das kleine Gräber- feld von Aldingen in der Flur „Bückele“ bekannt, das am nordöstlichen Rand des Neuerschließungs- gebiets, jenseits der Kreisstraße Remseck-Patton- ville, liegt. Dort wurden zwischen 1969 und 1971 insgesamt 24 Gräber ausgegraben, darunter eine Pferdebestattung. Dieser frühmittelalterliche Fried- hof von Aldingen wird zu den so genannten „Klein- gräberfeldern“ vom Typus Hemmingen des 5. Jahr- hunderts gerechnet und galt als vollständig er- fasst. Bei der Überwachung der Erschließungsarbeiten kamen bereits im Sommer 2006 zahlreiche weitere frühmittelalterliche Gräber zutage, die scheinbar den bekannten Friedhof in südwestlicher Richtung fortsetzen. Die Zahl der während der Kampagnen 2006 und 2007 freigelegten und dokumentierten 7 Gesamtplan des mero- wingerzeitlichen Fried- Grablegen übersteigt nun bei Weitem 200. Dabei hofs in Remseck-Patton- muss beim gegenwärtigen Stand der Geländear- ville. Die kleine Nekro- beiten mit weiteren Gräbern gerechnet werden, pole von Remseck-Aldin- da die Baufelder, in denen der westliche Rand des gen befindet sich im Friedhofs zu vermuten ist, erst im Laufe der ab- Nordosten, jenseits der schließenden Grabungssaison 2008 ausgegra - Kreisstraße.

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8 Beispiel eines rück- der 500 n. Chr. abbrechenden alamannischen Grä- sichtslos geplünderten berfelder des „Typus Hemmingen“ gehandelt hat, Grabes. Die Skelettreste oder ob diese Gräber lediglich Teil eines großen, waren in eine Ecke des sich allmählich ausdehnenden Ortsgräberfeldes Grabes geschoben, ledig- waren, wie etwa im nahen . lich „wertlose“ Beigaben Leider ist der scheinbar belegungsfreie Raum zwi- wie Keramik oder Kno- chenkämme ließen die schen den 1969/71 und den während der neuen Grabräuber zurück. Ausgrabungen festgestellten Bestattungen nicht erforscht worden: Die über 2 m hohe Böschung wurde für die Baustraße des Neubaugebiets ab- Obwohl nahezu 90 Prozent der bis jetzt erforsch- ge tragen, ohne die Archäologische Denkmalpfle- ten Gräber Ziel frühmittelalterlicher Grabräuber ge zu informieren. Daher kann nicht abschließend waren, erlauben die überlieferten Beigaben, einen entschieden werden, ob hier tatsächlich die räu m- Datierungsrahmen für die Belegung des Gräber- liche Trennung eines kleinen Separatfriedhofs zu feldes zu umreißen: Schon eine erste Übersicht er- suchen ist oder ob eine kontinuierliche Fortset- gibt, dass der Belegungszeitraum deutlich über zung der Grablegen gegeben war. Betrachtet man die frühmerowingische Periode hinausreicht, wie jedoch die Orientierung der Grabgruben, fällt sie ausschließlich im Aldinger Gräberfeld nachge- auf, dass die jüngst bei den Rettungsgrabun- wiesen ist. Drei Bestattungen aus den neuen Gra- gen in Pattonville dokumentierten Gräber deut- bungen, die frühe Bügel- und Kleinfibeln enthiel- lich stärker an der West-Ost-Achse ausgerichtet ten, lassen sich noch dem frühen Zeithorizont zu- sind als die Gräber des 5. Jahrhunderts jenseits rechnen und belegen, dass die kleine Aldinger der Straße. Gräbergruppe ursprünglich doch eine größere räumliche Ausdehnung besaß als angenommen. Frühmittelalterlicher Grabraub – Hingegen ist die Mehrzahl der Gräber deutlich viele Informationen trotz massiver jünger, wie Schilddornschnallen mit Beschlag, drei- Plünderungen teilige eiserne Gürtelgarnituren, vielteilige Gürtel- garnituren oder bei den Frauenbeisetzungen cha- Wie bereits angedeutet, wiesen fast alle Gräber rakteristische Perlentypen, etwa gerippte gelbe der aktuellen Grabung Spuren mehr oder weni- Mehrfachperlen, zeigen. Somit erreicht die Bele- ger brutaler Beraubung auf. Obwohl das rück- gungsnutzung das späte 7. Jahrhundert n. Chr., sichtslose Vorgehen der Grabräuber häufig nur wobei sich ein Schwerpunkt in der zweiten Hälfte noch stark in Mitleidenschaft gezogene Befunde des 6. und zu Beginn des frühen 7. Jahrhunderts hinterließ, ließen sich dennoch wertvolle Informa- abzeichnet. tionen zum frühmittelalterlichen Grabraub, aber Die Gräber des Friedhofs von Remseck-Aldingen auch zum Bestattungsbrauch und zur Grabarchi- „Bückele“ scheinen also zu einer etwas größeren tektur gewinnen. In den meisten Fällen waren die Nekropole gehört zu haben. Gegenwärtig ist noch Raubschächte schon auf der Höhe von Planum 1, nicht abzuschätzen, ob es sich tatsächlich um eine also direkt unter dem anstehenden Humus, gut eigenständige Gräbergruppe und damit um eines erkennbar. Allein die Lage der Raubgrube inner-

9 Remseck. Restaurierte Beigaben aus Befund 383. Perlrandbecken und klei- ner vollständig erhaltener Glockenbecher, der sicher- lich in fränkischen Glas- werkstätten gefertigt wurde.

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sammengeschoben. Nur dem Umstand, dass der kleine Glockenbecher aus grünlichem bis milchig weißem Glas (Abb. 9) in einer Art Nische seitlich des eigentlichen Grabes auf Kopfhöhe niederge- legt wurde, ist die Bergung des unversehrten Stücks zu verdanken. Die archäologische Begleitung der Baumaßnah- men im Neubaugebiet von Pattonville erbrachte also nicht nur für die vorgeschichtlichen und römi - schen Besiedlungsphasen, die in diesem Bereich nachgewiesen werden konnten, eine Vielzahl von 10 Remseck. Befund 383. neuen Informationen. Sondern die Befunde und Stark durch antiken Grab- Gräber des merowingerzeitlichen Friedhofs er- raub beeinträchtigte Kör- weitern auch beträchtlich die Kenntnisse über die perbestattung mit dem frühmittelalterliche Epoche in diesem Raum und im Grab verbliebenen Perlrandbecken zu Füßen sind weit mehr als einzelne, bloße Mosaikstein- des Toten. Reste des Sar - chen. Wo allerdings die Siedlung der Dorfgemein- ges sind als dunkle Ver- schaft liegt, die auf dem Friedhof von Pattonville fär bungen zu erkennen; ihre Toten bestattete, weiß man noch nicht. Zu in der Nische südlich des suchen wäre sie vielleicht auf der 200 m nördlich Schädels lag der kleine gelegenen Bachniederterrasse, auf der sich auch vollständig erhaltene Glo- ein römischer Gutshof befindet. ckenbecher aus Glas.

halb des Grabes erlaubte vielfach Rückschlüsse auf das Geschlecht der Bestatteten. So befanden sich die Schächte in der Regel entweder im Be- reich des Oberkörpers, wo bei den Frauengräbern die meisten Schmuck- und Trachtbestandteile zu vermuten sind, bzw. im mittleren oder unteren Teil der Grabgrube, wo Ausrüstung und Waffen als typische Männerbeigaben zu erwarten sind. Im Grab zurück blieben normalerweise lediglich die 11 Kleine versilberte zusammengeschobenen Skelettreste und „wertlo- Bronzeschnallen der Wa- se“ Keramikbeigaben wie Tonschalen oder Becher denbinden oder Schuhe (Abb. 8). In einigen Fällen lassen jedoch einzelne, aus einem Grab, die offenbar von den Räubern übersehene Stücke die die einst qualitätvolle Bei- einstmals qualitätvolle und prächtige Ausstattung gabenausstattung er- ahnen lassen. Die übrigen der Toten erahnen (Abb.11). Beigaben fielen den Dank der meist guten Erhaltung der Befunde im Grabräubern zum Opfer. Lösslehm konnte man zudem trotz massiver Berau - bungsspuren vielfältige Erkenntnisse zum Gra b - Literatur bau gewinnen: In den Gräbern wurden die Toten teils in Baumsärgen beigesetzt, die sich häufig J. Bofinger/I. Stork: Arch. Ausgr. Baden-Württemberg noch als dunkle Verfärbungen abzeichneten. Im 2006, S. 157–160. Falle eines solchen Grabes mit Baumsarg etwa ge- H. Schach-Dörges: Das frühmittelalterliche Gräberfeld lang es, im Fußbereich des Skelettes ein nahezu bei Aldingen am mittleren Neckar. Materialhefte zur vollständig erhaltenes Perlrandbecken, offenbar Archäologie 74, 2004. eingeschlagen in ein Tuch oder vom Leichentuch H. Schach-Dörges: Römische und alamannische Spu- verhüllt, zu bergen, obwohl die Bestattung im ren im Raum Remseck am Neckar. Heimatkundliche Oberkörper- und Schädelbereich völlig durchwühlt Schriftenreihe der Gemeinde Remseck am Neckar 7, worden war (Abb. 10). Die Befundlage lässt ver- Remseck am Neckar 1987. muten, dass beim Berauben der westliche Teil des Grabes über einen engen Schacht regelrecht nach Beigaben „abgefischt“ wurde. Außer der Bronze- schale zu Füßen des Toten übersahen die Räuber Dr. Jörg Bofinger, dabei lediglich einen kleinen Eisenpfriem und die Przemyslaw Sikora M.A. Klinge einer Axt; die Skelettreste des Oberkörpers Regierungspräsidium Stuttgart wurden systematisch an die Grabgrubenwand zu- Landesamt für Denkmalpflege

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