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Serie September 2016 51

Inszenierte Demokratie Was uns über Politik erzählt

Im Hype der letzten Jahre um „Quality TV“ spielt Narrative Techniken der politischen Inszenierung Oliver Kohns die US-amerikanische TV-Serie House of Cards () eine besondere Rolle. Im Unterschied zur House of Cards erzählt in der Tradition des backstage oftmals idealisierenden Darstellung von Politik in drama vom Alltag des – zu Beginn der Serie – majo- älteren Serien – etwa in The West Wing – eröffnet rity whips Francis „Frank“ Underwood. Als backstage House of Cards eine neue und ernüchternde Per- drama werden in der Literaturwissenschaft theatra- spektive auf Politik: Die dargestellten Politiker lische Werke bezeichnet, welche das Theater darstel- sind hier rücksichtslose Intriganten, die keine an- len und die Perspektive auf das Geschehen hinter deren Ziele kennen als die Steigerung ihrer Macht. der Bühne richten. In Stücken wie Shakespeares Die dargestellte Fiktion bestätigt damit verbreitete A Midsummer Night’s Dream wird das Schauspiel Vorurteile über den politischen Betrieb.1 Häufig zum Objekt des Theaters, wodurch die theatralische wird die Serie als adäquate Abbildung der politi- Illusion durchbrochen bzw. vervielfältigt werden schen Realität beschrieben, sowohl von Feuilleton- kann.4 Diese Tradition der Selbstreflexion wird in Autoren und Journalisten als auch von Politikern. House of Cards aufgegriffen und auf das Feld der Po- So berichtet in einem Interview, Bill litik übertragen, das dadurch eminent theatralisch Clinton habe ihm den hohen Realitätsgehalt der Se- organisiert erscheint. Die Zuschauer erleben immer rie bestätigt: „Kevin, 99 percent of what you do on wieder Bühnen der politischen Inszenierung – etwa that show is real. The 1 percent you get wrong is gleich in der ersten Folge die glamouröse Feier zur you could never get an education bill passed that Wahl des Präsidenten Garrett Walker – und den fast“,2 soll Clinton zu Spacey gesagt haben. Auch Blick hinter diese Inszenierung. Frank Underwood der deutsche Politiker Jürgen Trittin hebt den Rea- gestattet den Zuschauern als seinen Komplizen ei- lismus der Serie hervor und empfiehlt sie „für den nen Blick hinter die Bühne und zeigt ihnen, ‚wie es Gemeinschaftskundeunterricht“3. wirklich ist‘. Die Zuschauer erfahren dabei, welche Intrigen und Machenschaften die für die Öffentlich- Aus kulturwissenschaftlicher Perspektive erscheint es keit sichtbaren Ereignisse möglich gemacht haben. ein wenig naiv, raffiniert konstruierte mediale Pro- dukte als vollkommene Abbildungen einer Realität Auch durch die Darstellung der politischen All- zu betrachten. Es muss bezweifelt werden, dass die tagsszenen erhalten die Zuschauer der Serie einen Serie zu einem solch großen Erfolg hätte werden Blick hinter die Kulissen, da Underwood sich immer können, wenn sie nur die Realität des politischen wieder direkt an diese wendet, um ihnen seine Ge- Geschehens abbilden würde: Sie erzeugt Spannung, danken und Pläne zu verraten. Die konsequent ein- suspense. Nur durch die raffinierte Technik der Nar- gesetzten Monologe Underwoods, in denen er die ration gelingt es, diesen Effekt beim Publikum zu er- ‚vierte Wand‘ durchbricht und direkt in die Kamera Themen wie zeugen und gleichzeitig den Eindruck zu vermitteln, spricht, prägen die Narrationstechnik der Serie. Lobbyismus die Realität selbst werde dargestellt. Diese Technik wurde in der britischen ‚Original‘- und politische Version der Serie House of Cards (BBC 1990-1995) Korruption (...) noch umfassender genutzt. Hier steht Francis werden (...) zu Oliver Kohns lehrt Literaturwissenschaft an der Universität Urquhart, der chief whip der Konservativen im bri- zentralen Themen. Luxemburg. tischen Parlament, im stetigen Austausch mit den 52 forum 365 Serie

Zuschauern. Das Stilmittel der Ansprache der Zu- Kamera, nachdem er die Beobachter zuvor ignoriert schauer in Form eines Monologs ist aus der Thea- hatte. Aus der Reduzierung des Monologs muss je- tertradition entlehnt, insbesondere aus Shakespeares doch nicht gefolgert werden, dass die Inszenierung Dramen.5 Richard III. beginnt, wie die erste Folge des politischen Geschehens an theatralischer Quali- der britischen Version von House of Cards, mit einem tät einbüßt: Ganz im Gegenteil können die Macher Monolog des Titelhelden, der sich als Erzbösewicht der Serie eher davon ausgehen, dass die Zuschauer/ ankündigt: „I am determined to prove a villain“.6 innen das dramaturgische Prinzip begriffen haben und , der Darsteller Francis Urquharts, Underwood als Akteur eines politischen Schauspiels war zuvor als Richard III. erfolgreich, und manche betrachten, auch wenn er dies nicht ausdrücklich Kommentatoren sagen, dass er Urquhart in gewisser durch Kommentare und Reflexionen verdeutlicht. Weise als Richard III. spielt: als Shakespeare’schen Erzschurken, der mit spielerischer Lust seine Intri- Dass Underwood ab der zweiten Staffel der US- gen spinnt. Auch der von Kevin Spacey gespielte Serie als Erzählerfigur etwas in den Hintergrund tritt, Held der Netflix-Serie House of Cards ist in diesem ermöglicht zudem eine gesteigerte narrative Kom- Sinn als intriganter Schurke angelegt, der durch den plexität – indem nun Handlungsstränge möglich direkten Austausch mit dem Publikum gleichsam werden, in denen andere Figuren, etwa seine Frau außerhalb des fiktionalen Raums zu stehen scheint. Claire Underwood oder die Journalistin Zoe Barnes, Er ist ein Marionettenspieler, dazu befähigt, alle an- im Zentrum stehen. Den Mittelpunkt der Serie stellt deren Figuren – welche die Kamera nicht bemer- somit nicht mehr nur allein der Marionettenspieler ken – zu dirigieren, zu benutzen und kalkuliert zu Underwood dar: Dieser wird zunehmend zu einer vernichten. jener Figuren, die das Geschehen ‚hinter‘ den Ku- lissen zu lenken versuchen. Andere Charaktere, wie Die Aufhebung der vierten Wand ist ursprünglich Claire Underwood oder Underwoods Nachfolgerin eher dem Genre der Komödie eigen als jenem der als majority whip Jackie Sharpe verfolgen ihre eige- Tragödie. Diese Technik war bereits in der antiken nen Machtambitionen und agieren teilweise ähnlich Komödie populär und wurde dort als parekbasis be- skrupellos wie Underwood selbst. zeichnet. Die „Parekbasis“, so erläutert es Friedrich Schlegel, „war eine gänzliche Unterbrechung und Eine umgekehrt erzählte Verschwörungstheorie Aufhebung des Stückes, in welcher, wie in diesem, die größte Zügellosigkeit herrschte und dem Volk Nicht nur politische Konkurrenten, sondern vor von dem bis an die äußerste Grenze des Proszeni- allem auch Firmen und Konzerne nehmen in der ums heraustretenden Chor die größten Grobheiten Serie hinter den Bühnen der Macht Einfluss auf das gesagt wurden. Von diesem Heraustreten (ekbasis) politische Geschehen. Themen wie Lobbyismus und kommt auch der Name.“7 Durch die Aufhebung politische Korruption, die in der BBC-Serie kaum der Fiktionalität bewirken Underwoods Monologe eine Rolle gespielt haben, werden in der amerikani- auch in House of Cards einen komischen Effekt. schen Version zu zentralen Elementen. Personifiziert In den Monologen zeigt sich ein gänzlich anderer werden diese Themen durch Remy Danton, der als Underwood als der, den die anderen Figuren zu se- Teilhaber der Firma Glendon Hill eingeführt wird. hen bekommen: Während er seinem Präsidenten ge- Auch hier inszeniert House of Cards einen Blick auf genüber Loyalität und Unterwürfigkeit vorheuchelt, Politik im Genre des backstage drama. Während er – zeigt sich in den Monologen seine Machtgier, Kälte in Episode 2 der ersten Staffel – aus einem Re- und Arroganz. Nur eine dünne Schicht aus Lügen staurant zu dem Treffen mit Danton in einer Ho- und Heuchelei überdeckt den Umstand, dass die tellobby geht, plaudert Underwood im Dialog mit demokratische Politik der Gegenwart nach den glei- dem Zuschauer seine Verpflichtung gegenüber chen Prinzipien des Machtkalküls funktioniert wie Glendon Hill aus und kommentiert mit gespielter, in den Königstragödien Shakespeares. Demokratie ironischer Selbstkritik: „It’s disgusting, I know“.8 Viele wird als inszeniertes Schauspiel demaskiert. House of Cards beansprucht, alles zu zeigen: Die ZuschauerInnen schmutzigsten Geheimnisse und dunkelsten Intrigen fragen sich, was Während das monologische Ansprechen des Zu- hinter den Bühnen des Politischen (in einer späteren aus House of schauers in der britischen Serie House of Cards aus Folge können die Zuschauer sogar beobachten, wie Cards über die den 1990er Jahren ein prägendes Stilmittel bleibt, Frank Underwood sich einen Pornofilm anschaut). amerikanische erscheint sie in der amerikanischen Serie der 2010er Politik des Jahre spätestens ab der zweiten Staffel spürbar redu- Der drogenumnebelte Verschwörungstheoretiker Wahljahres 2016 ziert. Es gibt ganze Episoden der Serie, in denen Un- Roy Kapeniak spricht in einer späteren Szene der gelernt werden derwood sich nicht mehr an das Publikum wendet. zweiten Folge die Perspektive der Serie auf Politik im kann. „Did you think I’d forgotten you?“, fragt Underwood Klartext aus: „Left, right, red, blue, Democrat, Repu- am Ende der ersten Episode der zweiten Staffel in die blican. They’re all dangling from the same strings.“9 forum 365 Serie 53

Das ist in gewisser Weise die Essenz des Blicks auf die backstage in House of Cards. Mit der Fokussie- rung auf die dunklen Machenschaften in den Hin- terzimmern des Politischen stellt House of Cards eine umgekehrt erzählte Verschwörungstheorie dar. Traditionell werden Verschwörungstheorien ana- lytisch erzählt, d. h. es wird ex post ein verborgener Zusammenhang – ein ‚Komplott‘ – zwischen schein- bar unzusammenhängenden Vorgängen konstru- iert. Als Theorie beruft sie sich auf das Verborgene und Geheime und ist daher immer wieder in eine systematische Nähe zur Paranoia gerückt worden.10

In House of Cards beobachten wir dagegen nicht primär die Akteure, die Verschwörungen ex post rekonstruieren, sondern wir nehmen – quasi als schweigende Komplizen – an deren Planungen und Ausführung teil, indem wir Underwoods Machen- Frank Underwood gestattet den Zuschauern als seinen Komplizen schaften betrachten. Die Verschwörung wird hier einen Blick hinter die Bühne. (© Netflix) demnach nicht analytisch, sondern synthetisch, d. h. linear und chronologisch erzählt. Protagonisten wie Frank Underwood erscheinen stets bemüht, die In- trigen und Zusammenhänge zu verschleiern, damit sie nicht von äußeren Beobachtern und ‚Agenten der Wahrheit‘ (wie Zoe Barnes) durchschaut werden 1 Vgl. Nicklas Baschek, „Die teuerste Seifenoper der Welt“ in: Die können. Zeit, 15.4.2015 (http://www.zeit.de/kultur/film/2015-04/house- of-cards-underwood-kritik, letzter Zugriff am 14.7.2016). Ein Ausblick auf eine kommende Wahl 2 Vgl. David Hochman, „What Bill Clinton told Kevin Spacey About ‚House of Cards‘“, in: Gotham, 20.4.2015 (http://gotham-magazine. Viele ZuschauerInnen fragen sich, was aus House of com/kevin-spacey-on-house-of-cards-saving-the-planet, letzter Zugriff am 14.7.2016). Cards über die amerikanische Politik des Wahljahres 2016 gelernt werden kann. Ein schriller Querein- 3 Jürgen Trittin, „Wer das Feuer liebt“ in: Der Freitag, 9.1.2014 (https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/wer-das-feuer-liebt, steiger ins politische Geschehen wie Donald Trump letzter Zugriff am 24.7 2016). ist in der Serie jedenfalls nicht vorzufinden: Der 4 Vgl. Christopher Innes, „Elemental, my Dear Clare: The Case of Milliardär Raymond Tusk bemüht sich zwar um po- the Missing Poet“ in: Martin Middeke und Werner Huber (Hrsg.), Bio- litischen Einfluss, er tut dies jedoch stets mithilfe fictions: The Rewriting of Romantic Lives in Contemporary Fiction der Vermittlung durch seinen langjährigen Freund and Drama, Rochester 1999, S. 187-200, hier: S. 188. Garrett Walker. Leichter wäre es dagegen, in Claire 5 Vgl. James Cappio, „If Richard III Had Married Lady Macbeth: Underwood ein Porträt Hillary Clintons zu erken- The Shakespearian Pedigree of House of Cards“, in: Blogging nen: Eine Akteurin, die lange Zeit nur hinter der Shakespeare (http://bloggingshakespeare.com/if-richard-iii-had- married-lady-macbeth-the-shakespearean-pedigree-of-house-of- Bühne des politischen Geschehens tätig war, um cards). diese ab der dritten Staffel mit enormem Ehrgeiz zu 6 William Shakespeare, Richard III in: ders., Complete Edition, Eng- betreten. sei ein „Claire character“, lish and German, Augsburg 1996, Bd. 2, S. 6 (Act I, Scene 1). urteilt daher , der Autor der Ro- 11 7 Friedrich Schlegel, Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe, hrsg. manvorlage zu House of Cards. Und nicht wenige von Ernst Behler, Paderborn u.a. 1958ff., Bd. 11, S. 88. Amerikaner betrachten Hillary Clinton als eine eher 8 House of Cards, Staffel 1 (USA 2013), „Chapter 2“, TC 00:05:08. nicht vertrauenswürdige und unehrliche Person: 9 House of Cards, Staffel 1 (USA 2013), „Chapter 2“, TC 00:31:00. Sie repräsentiert den „old way of politics“, kritisiert der Regisseur Michael Moore und prognostiziert ei- 10 Vgl. kritisch dazu Luc Boltanski, Rätsel und Komplotte. Krimi- 12 nalliteratur, Paranoia, moderne Gesellschaft, aus dem Französischen nen Wahlerfolg Trumps. Falls dies im November von Christine Pries, Berlin 2013, S. 353ff. 2016 geschehen sollte, können wir die Gründe für 11 https://www.buzzfeed.com/jimwaterson/you-might-think- den Vertrauensverlust in die etablierte Politikerka- that-but-we-couldnt-possibly-comment?utm_term=.mmdYxZzol#. ste – unter anderem – nachvollziehen, indem wir od6r61Pwk, letzter Zugriff am 24.7.2016. noch einmal ein paar Folgen von House of Cards an- 12 http://michaelmoore.com/trumpwillwin/, letzter Zugriff am schauen. u 24.7.2016.