In Dem Schwankenden Meere Prähistorischer Hypothesen“1 Die Germanenfrage Am Berliner Museum Für Vor- Und Frühgeschichte (1799–1945)
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„In dem schwankenden Meere prähistorischer Hypothesen“1 Die Germanenfrage am Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte (1799–1945) Marion Bertram Die Geschichte des Berliner Museums für Vor- und Frühgeschichte zeigt anschaulich, wie sich das Verständnis von Altertümern und Vergangenheit hin zu einem interdisziplinä- ren Forschungsfeld entwickelte und welche organisatorischen und konzeptionellen Ent- scheidungsprozesse von einer reinen Sammlung zu einem nach konkreten Prinzipien Dsammelnden, ordnenden und ausstellenden Museum führten.2 Die Sammlungsstücke, welche den Germanen zugewiesen wurden, standen dabei selten im Mittelpunkt des In- teresses der Museumsmacher, ebenso wenig die Germanen selbst. Vielmehr beschäftig- ten sich die früheren Leiter, Direktoren und Kustoden weitaus häufiger mit der Frage, ob und wie den Impulsen zur Datierung, Ethnogenese und Ausbreitung der Germanen, wie sie in der zeitgenössischen Forschung diskutiert wurden, im Ausstellungsbetrieb zu fol- gen sei.3 Detail des Vaterländischen Saals im Neuen Museum (2009): An der DIE „SAMLUNG DER SLaviSCHEN UND ALTGERMANISCHEN ALTERTHÜMER“ um 1850 konzipierten Südwand (1799–1829) befindet sich ein früher Versuch der bildlichen Darstellung des Die Ursprünge des heutigen Museums für Vor- und Frühgeschichte liegen in der Kunst- Dreiperiodensystems; im Bild die Bestattung eines „eisenzeitlichen kammer der Hohenzollern, die im Berliner Stadtschloss zunächst im Apothekenflügel Germanen“. Die Zusammenstel- und seit dem 18. Jahrhundert im Lustgartenflügel untergebracht war. Bereits um 1700 lung der Beigaben zeigt deutliche befanden sich dort auch einige prähistorische Keramikgefäße, die als „heidnisch-slawi- Unsicherheiten (z. B. ein bronzezeit- sche Urnen“ angesehen wurden. Erst unter Jean Henry (1761–1831), seit 1794 unter ande- liches Vollgriffschwert), die dem Forschungsstand der Mitte des rem Vorsteher des Antiken- und Münzkabinetts sowie der Kunstkammer und des Natu- 19. Jahrhunderts geschuldet sind. ralienkabinetts, begann der gezielte Erwerb einheimischer Altertümer.4 Aus der Obhut 504 505 der königlichen Hausverwaltung unterstellte Friedrich Wilhelm III. die Kunstkammer allenfalls zum kleineren Teil mit den nun eindringenden Slawen vermischte. Eine andere 1798 der Akademie der Wissenschaften. Während Henry die Oberaufsicht behielt, soll- Fraktion, für die er namentlich Aloys Hirt (1759–1837) erwähnte,12 schrieb ausnahmslos ten nun einige als Fachleute ausgewiesene Akademiker einzelne Kabinette betreuen. Un- alle sich „im Lande findenden Alterthümer einzig und allein Germanischen Völkerschaf- ter Henrys direkter Zuständigkeit verblieben unter anderem die historischen Altertümer, ten zu“. Dem gegenüber stand eine kleinere Gruppe, welche die Historizität der antiken die ethnologischen Objekte und die Kuriosa; alles in allem ein Sammelsurium, welches Quellen anzweifelte und konstatierte, dass „so weit die dokumentirte Geschichte reiche, auch prähistorische Gegenstände aufwies. In seinem Streben nach einem systematische- niemals andere, als Slavische Völker in diesen Gegenden gewohnt haben“. Levezow war ren Sammlungsaufbau war der Plan zur Schaffung eines „allgemeinen Depots für Natio- überzeugt, dass die Artefakte dieser Völker Unterschiede aufweisen, die sie als germa- nal-Antiquitäten“ ein besonderes Anliegen Henrys. Zu diesem Zweck verfasste er 1799 nisch oder slawisch kennzeichnen und somit die Erforschung dieser Merkmale von au- einen Aufruf an private Besitzer von „merkwürdigen Alterthümern und Natur-Seltenhei- ßerordentlicher Bedeutung für die Beantwortung der „noch nicht entschiedenen Vorfra- ten“ zur freiwilligen Abgabe an die Kunstkammer. Die zentrale Aufbewahrung und Klas- ge“ sei.13 Er verwies aber auch auf große überregionale Übereinstimmungen, beispiels- sifizierung sollten „dem vaterländischen Geschichtsforscher viele interessante Aufschlüs- weise von Steingeräten, und schloss daraus auf ein möglicherweise noch älteres, über die se über Sitten, Gebräuche, Kenntnisse, Industrie und Begebenheiten der Vorzeit“ ganze Welt verbreitetes Urvolk. Letztlich betonte er den unsicheren Forschungsstand ermöglichen.5 Noch in das selbe Jahr datiert unter der Bezeichnung „Abtheilung Vater- und warnte vor „übereilten Deutungen“.14 ländischer Merkwürdigkeiten“ die Einrichtung einer „Samlung der Slavischen und alt- germanischen Alterthümer“ aus Preußen und ganz Deutschland,6 die seitdem durch re- gelmäßige Ankäufe Zuwachs erfuhr. In seinem Kunstkammer-Verzeichnis von 1805 erwähnte Henry beispielsweise „Aschenkrüge der Wenden“ und „Tartarische Götzenbil- der“. Derartige ethnische Zuweisungen entbehrten seinerzeit freilich jeder wissenschaft- lichen Argumentation und basierten in der Regel auf mündlicher Überlieferung durch die Vorbesitzer. Sammlungsobjekte, für die man eine römische Herkunft vermutete, waren dem Antikenkabinett zugeordnet. Im Zuge der Umstrukturierung der preußischen Behörden war die Kunstkammer seit 1810 dem Innenministerium und seit 1817 dem neuen Ministerium der geistlichen, Un- terrichts- und Medicinal-Angelegenheiten unterstellt, was die 1797 erstmals erwähnten Pläne zur Gründung eines Königlichen Museums beförderte.7 Seit 1820 beschäftigte sich eine eigens geschaffene Kommission mit der Aus- und Neugliederung der Kunstkammer- Sammlungen für die Abteilungen des geplanten Museums. Ab diesem Zeitpunkt stand Jean Henry der Altertumswissenschaftler Konrad Levezow (1770–1835) zur Seite, der unter anderem die Verwaltung der einheimischen Altertümer übernahm.8 1827 berichte- te Henry über die Fertigstellung eines Verzeichnisses der „Germanischen und nordischen Alterthümer“.9 Aus dem Jahre 1825 stammen Levezows „Andeutungen über die wissenschaftliche Bedeutung der allmählig zu Tage geförderten Alterthümer Germanischen, Slavischen und anderweitigen Ursprungs der zwischen der Elbe und Weichsel gelegenen Länder, und zwar in nächster Beziehung auf ihre Geschichte“, in denen er den Rang der vaterlän- dischen Altertümer als „historische Monumente“ hervorhob und die Klärung von Her- kunftsangaben und Fundumständen sowie die Bewahrung der Fundzusammenhänge anmahnte.10 In den Mittelpunkt stellte er die Frage nach den Möglichkeiten zum Er- kenntnisgewinn aus den prähistorischen Altertümern und begann mit der „großen Vor- 1 Die 1692 bei Wulfen (Sachsen- Anhalt) entdeckten bronzezeit- frage“: „Welche Völker haben, so weit ihre Spuren reichen, von Anfang an, oder nachein- lichen Urnen (12. Jahrhundert v. Chr.) ander, oder nebeneinander, bis auf Einführung des Christenthums, diese Länder gelangten 1707 und 1799 in könig- [zwischen Elbe und Weichsel] bewohnt?“.11 Levezows Ausführungen zufolge hingen die lich-preußischen Besitz. Sie lösten zeitgenössischen Geschichtsforscher unter Berufung auf antike Schriftquellen überwie- eine Diskussion bezüglich ihrer ethnischen Zuordnung aus und gend der These an, dass die ursprüngliche Bevölkerung „Germanischen Stammes“ gewe- wurden als römisch, germanisch sen sei, im Zuge der Völkerwanderung die Gegend größtenteils verlassen habe und sich oder auch slawisch bezeichnet. 506 507 Für die Zeit ab dem Ende des 18. bis zum ersten Drittel des 19. Jahrhunderts belegen Streitfrage in Betreff der Völkergrenzen, und der die Sammlungsbezeichnungen, -beschreibungen und -inventare die Verwendung der Be- Unterscheidung slavischer und germanischer Al- griffe des „Germanischen“, „Slavischen“ und „Römischen“, die in diesen Quellen allem terthümer“ zunächst aus. Und hinsichtlich eines Anschein nach relativ neutral nebeneinanderstehen. Aus der Perspektive des Jahres 1838 kulturhistorischen Konzeptes nach Gegenständen beschrieb Leopold Freiherr von Ledebur (1799–1877) aber das Stigma, welches dem „Ger- „religiöser, kriegerischer und häuslicher Thätig- manischen“ im 18. Jahrhundert anhaftete. Er tat dies im Zusammenhang mit Ausführun- keit“ kam er zu der Ansicht, dass diese „wieder nur gen zur Erwerbungsgeschichte einer prächtigen bronzezeitlichen Urne aus Wulfen im durch die Ermittelung des Ethnographischen oder heutigen Sachsen-Anhalt15 (Abb. 1), die der preußische König Friedrich I. 1707 für 100 Feststellung des Geographischen ihren geschichtli- Reichstaler gekauft und vorgeblich den römischen Antiken zugeordnet hatte. Ledebur chen Werth“ gewinnen würden. Letztlich aber zufolge verachtete man seinerzeit das „eigentlich Heimatliche, als Barbarisches“ und zeigte er sich doch überzeugt, dass aufgrund der brachte aus heimischem Boden „der Zufall der Beachtung Werteres und Ausgezeichnete- historischen Quellen die geographische Grenze res zu Tage, so war man weit entfernt, es für germanisch oder slavisch zu halten, sondern zwischen Germanen und Slawen bekannt sei und man trug gar keine Bedenken, es sofort für römisch zu erklären“.16 die Einteilung in Römisches, Germanisches und Slawisches auch durch chronologische Kriterien gegeben wäre. Hinsichtlich der Bestimmung römi- LEDEBUR UND DIE FRAGE NACH DEM ZWECK EINES scher Altertümer sah er offensichtlich keine Pro- „MUSEUMS FÜR vaTERLÄNDISCHE ALTERTHÜMER“ (1829–1873) bleme. Zu einem klaren Sammlungskonzept führ- ten ihn diese Überlegungen jedoch nicht. Die Idee zur Präsentation des königlichen Kunstbesitzes in einem öffentlichen Museum Nach der Rückkehr von einer mehrmonatigen wurde 1830 mit der Eröffnung des Kunstmuseums am Lustgarten (Altes Museum) ver- Forschungsreise durch Norddeutschland und wirklicht.17 Bereits als Leopold Freiherr von Ledebur 1829 zum Vorsteher der „Unter- Skandinavien äußerte sich Ledebur in einem Be- Abtheilung für vaterländische Alterthümer“ beim Kunstmuseum berufen wurde,